XX. Geschäftiger Müßiggang.

[235] Ich habe mit dem guten Rechte eines Erzählers, der bei der Niederschrift seiner Erinnerungen etwa an das Interesse einiger Freunde und an einige Dutzend unbekannter Leser denkt, schon jetzt über die ersten Versuche einer journalistischen, einer dichterischen und einer philosophischen Tätigkeit berichtet, ich habe die Rückerinnerung an das Entstehen meiner Novellen und Theaterstücke aus der Prager Zeit für später verspart, wo ich über meine ganze belletristische Vergangenheit möglichst unbestochen Gerichtstag zu halten gedenke; ich möchte hier nur noch ausführen, was ich zu Prag in den drei Jahren trieb, die zwischen meiner Universitätszeit und meiner Übersiedlung nach Berlin liegen. Meine Umgebung hatte so unrecht nicht, wenn sie mich als einen verbummelten Schöngeist betrachtete. Daß ich eigentlich auch während dieser Jahre ganz fleißig war, das wußte vielleicht niemand, ausgenommen etwa meine gute Mutter, die heimlich die Bücher kontrollierte, die ich aus der Königl. Bibliothek nach Hause geholt hatte, und die mir hie und da fast widerwillig durch ein verwundertes oder achtungsvolles Wort über die Schwierigkeit dieser Bücher wohltat. Immer sehr liebevoll, nicht allzuoft, aber doch vielzuoft für meinen Hochmut, fielen dann Bemerkungen darüber, daß ich[235] im Alter von 24 oder 25 Jahren die verdammte Pflicht und Schuldigkeit hätte, mir mein Brot selber zu verdienen und nicht mehr den Eltern auf der Tasche zu liegen.

Ich werde auch recht gut eingesehen haben, daß es nur ein geschäftiger Müßiggang war, wenn meine Bestimmung zum Schriftsteller sich besonders in dem zeitraubenden Aufenthalte im Tagescafé und zwölf Stunden später im Nachtcafé kundtat, wenn ich als richtiger Schöngeist für Vereinsfeste Prologe schrieb oder bald besser bald schlechter geratene Festreden ausarbeitete, wenn ich in befreundeten Familien bei Dilettantenvorstellungen als Regisseur und als Schauspieler glänzte. Meine Mutter wurde damals die Angst nicht los, ich könnte, durch diese wohlfeilen Triumphe verführt, eines Tages Schauspieler werden. Meine Leidenschaft für das Theater war wirklich sehr groß; aber eigentlich schwebte mir – wenn ich es genau bedenke – weder das Leben eines berühmten Dramatikers noch das eines berühmten Schauspielers als erstrebenswert vor; ich zweifelte nur nicht daran, daß ich nur zu wollen brauchte, um das eine oder das andere Ziel schnell und sicher zu erreichen. Ein kleiner Journalist war damals der einzige Vertraute meiner Theaterpläne und meiner dramatischen Entwürfe; ihm spielte ich den Mephisto, den Wallenstein und den Holofernes vor, ihm teilte ich meine eigenen Dramen mit; und seine maßlose, unkritische Bewunderung fachte mein Theaterfeuer immer wieder an. Doch muß ich bekennen, daß ich diesen Verehrer, einen verwachsenen und zwerghaften Jüngling, eigentlich verachtete, weil ich das Ungenügen seines Urteils über meine geschmeichelte Eitelkeit hinweg ganz deutlich wahrnahm; auch verbot es mir mein[236] Anstand, diesem glühenden Verehrer nur ein Sterbenswörtchen von meinen philosophischen Studien zu verraten. Mein Anstand, mein Stolz verbot es mir aber nicht, meiner jungen Eitelkeit von diesem kleinen Journalisten schmeicheln zu lassen. Es ist das einzige Mal in meinem Leben gewesen, daß ich das wunderliche Gefühl kennenlernte: einen »Apostel« zu haben. Die sonst so boshafte Kröte war für mich eitel Anerkennung und Güte. Der gefürchtete kleine Journalist schrieb eine biographische Notiz über mich für ein deutsches Dichter-Lexikon; brachte mein Porträt in einem Prager Witzblatte; lobte meine aufgeführten und unaufgeführten Dramen in einer Wiener Zeitung. Und ich duldete das übertriebene Lob; ich fühlte mich als berufener Dramatiker, als den Vollender von Otto Ludwigs Plänen; und vielleicht gehört es zum Wesen des Dramatikers, nach Beifall lüstern zu sein und nach der Herkunft des Beifalls nicht zu fragen.

Schon im Jahre 1873 hatte ich ganz zufällig und ausnahmsweise einmal den Dramaturgen gespielt; aus Anlaß einer tragischen Geschichte. Zu unserem Freundeskreise gehörte ein ehemaliger Augustiner, Robert Weiß, der seinen geistlichen Rock ausgezogen hatte und mit Inbrunst dichterische Ziele verfolgte: zum mindesten war er ein sehr begabter Lyriker. Eines Morgens erfuhren wir, daß er freiwillig aus dem Leben geschieden war; Cyankali hatte ihn von seiner Unrast erlöst. Wir glaubten, was erzählt wurde, daß eine unglückliche Liebe zu einer schönen und geistig hochstehenden Schauspielerin ihn in den Tod getrieben hätte; ich weiß jetzt bestimmt, daß seine Liebe einer andern Frau galt. In seinem Nachlaß fand sich ein feingeistiger Einakter »Eine Komödie«. In unsrem engsten Kreise wurde der Plan[237] gefaßt, dieses kleine Stück zur Aufführung zu bringen als eine Totenfeier; und die Schauspielerin, der wir irrtümlich die Schuld an seinem Tode gaben, sollte die kleine Hauptrolle spielen. Der Plan wurde ausgeführt; die Künstlerin, der wir Unrecht getan hatten, setzte trotzdem alle ihre schöne Kraft für das Gelingen ein. Mir war das Amt zugefallen, die zarten und überlangen Dialoge für die Bühne »einzurichten«; so hatte ich zum ersten Male mit der lebendigen Bühne zu »schaffen«.

Ich war damals noch Student. Zwischen diesem ersten Kulissenerlebnis und meiner etwa zwei Jahre spätern ersten Tätigkeit als »Theaterkritiker« liegt die Zeit, wo mein geschäftiger Müßiggang (man weiß, daß das Wort von Goethe stammt) auch das Theater zu erobern vorhatte.

Der Theaterteufel hatte mich gepackt; ich glaube aber nicht, daß ich mich ihm verschrieben hätte, auch wenn meine Erfolge auf der Bühne größer gewesen wären. Ich verkehrte im Tagescafé und im Nachtcafé sehr viel mit Schauspielern, bewunderte und verhimmelte zwei Schauspielerinnen und erlebte in gewaltiger Aufregung und dennoch ohne die innerste Anteilnahme die Aufführung zweier meiner Stücke am Prager Landestheater, eines großen Schauspiels und eines Einakters. Der materielle Erfolg dieser ganzen fast schlafwandelnden Tätigkeit war der, daß ich, der ich bis dahin auf meine Studentenkarte hin für wenige Kreuzer einen Stehplatz im Parkett kaufen konnte, aus besonderer Anerkennung meiner Verdienste und zur Aufmunterung für meine Begabung, das Recht des freien Eintritts ins Theater erhielt. Ein »Gesichtsentree«, wie sich der unwahrscheinliche Herr Dramaturg in seiner Sprache ausdrückte.[238]

Von dem Schauspiel, das im Mai 1874 (gegen Ende Mai, das gilt nicht für die beste Theaterzeit) aufgeführt wurde, soll ja noch ernsthaft die Rede sein. Hier nur eine kleine Schnurre, zum Atemschöpfen, bevor ich Schweres zu erzählen habe.

Ich wollte der ersten Aufführung meines Schauspiels ungesehen und unerkannt beiwohnen; wie ich es denn auch später durchgeführt habe, selbst nach erfolgreichen Darstellungen dramatischer Arbeiten, ja sogar in Berlin, niemals an die Rampe zu treten und mich vor der vielköpfigen Bestie zu verbeugen. Ich habe niemals begreifen können, wie ein Dramatiker von einigem Stolze sich dazu herbeilassen könne.

Damals also wies mir der unwahrscheinliche Herr Dramaturg einen rückwärtigen Platz in der Theaterloge des fünften Ranges an, die übrigens für die namenlosen Mitglieder des Chors und des Balletts eingeräumt war. Als ich wenige Minuten vor Beginn der Vorstellung erschien, waren die drei Vorderplätze schon von drei Ballettmädeln eingenommen; ich nahm hinter einer rundlichen Blonden Platz. Nach dem Schlusse des ersten Aktes rührte sich keine Hand; na ja, Technik des Dramas, bloße Exposition. Während der Pause unterhielten sich die drei Ballettmädel über einige Herren in den Adelslogen und über die Toilette einer Sängerin, die gegenüber in der richtigen Theaterloge saß, einen Rang tiefer. Als der Vorhang eben zum zweiten Male in die Höhe ging, wandte sich die rundliche Blonde vor mir an ihre Nachbarin mit der Frage: »Du, ise Opper oder Schauspiel?« Das fragte dieses verworfene Geschöpf, nachdem es einen ganzen Akt meines Dramas angehört hatte. Aber nach dem zweiten Aufzuge gab es wahrhaftig Applaus und der Dramaturg erschien,[239] um mir zu gratulieren und »mich auf die Bühne zu schleppen«; er mußte wieder abschieben; doch die kurze Verhandlung hatte die Neugier der Ballettmädel erregt. Die lange Schwarze wies mit dem Daumen nach mir und flüsterte der Blonden zu: »Das ist nämlich der Autor.« Und die Blonde drehte sich mit dem Lächeln einer Mäzenin nach mir herum und sagte wohlwollend: »Ise serr scheen!« Jetzt wußte das Geschöpf endlich, ob es »Opper oder Schauspiel« war und verriet zugleich einen natürlichen guten Geschmack.

Das Schauspiel wurde noch ein zweites Mal aufgeführt; zu einer dritten Wiederholung kam es nicht. Es ist wahr, daß die Darstellerin der Titelrolle unmittelbar nach der zweiten Aufführung aufs Land fahren mußte, um in Ruhe das Ziel ihrer Schwangerschaft abzuwarten; es ist nicht minder wahr, daß mein Stück auch ohne dieses Ereignis vom Spielplan abgesetzt worden wäre, weil es dem Publikum nicht genug gefallen hatte. Der Dramaturg, der die Pflicht des Lügens mit unvergleichlichem Eifer übte, sprach zu mir weder von der Schwangerschaft der Schauspielerin noch von den Schwächen meiner Arbeit; er meldete nur geheimnisvoll, der Kurfürst von Hessen-Kassel (der damals noch in Prag »residierte« und eine der Adelslogen übernommen hatte) hätte sich sehr ungnädig über den politischen Hintergrund meines Schauspiels ausgesprochen. Sollte der unwahrscheinliche Dramaturg in diesem Falle ausnahmsweise nicht gelogen haben?[240]

Quelle:
Mauthner, Fritz: Erinnerungen, Band 1: Prager Jugendjahre, München 1918, S. 235-241.
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