Jünglingsvereine

[373] Jünglingsvereine nennt man auf evangelischer Seite freie Vereinigungen auf Grund christlicher und vaterländischer Gesinnung, die, namentlich in größern Städten, einzeln stehenden jungen Männern, besonders des Arbeiter-, Handwerker- und Kaufmannsstandes, die Möglichkeit anständiger und anregender Verwendung ihrer freien Zeit bieten. Der erste derartige Verein entstand, soweit bekannt, 1768 in Basel, begründet vom dortigen Pfarrer Meyenrock; fast gleichzeitig folgten später seinem Vorbilde der Verein des Pastors Döring in Elberfeld (1816) und der des Küfermeisters Engelmann in Stuttgart (1817), diesen wieder die J. in Bremen (1834 durch Pastor Mallet)[373] und Frankfurt a. M. (1835). Besonders in Rheinland und Westfalen fand die Jünglingsvereinssache kräftige Förderung durch angesehene Geistliche (wie Krummacher in Elberfeld). Die deutschen J. haben sich zu landschaftlich abgegrenzten Bündnissen zusammengeschlossen, von denen der älteste und größte Bund der 1848 gegründete Westdeutsche (Vorort Barmen) ist; neben ihm bestehen zurzeit: der Ostdeutsche (Vorort Berlin), der Norddeutsche (Hamburg), der Sächsische (Dresden), der Südostdeutsche oder Schlesische (Breslau), der Thüringische (Weimar), der Süddeutsche (Stuttgart), der Oberrheinische (Karlsruhe), der Elsaß-Lothringische Bund (Straßburg) und der Bayrische Bund (Nürnberg). Die Gesamtzahl der J. in Deutschland, die ihre 7. Nationalkonferenz 1904 in Stuttgart abhielten, betrug in jenem Jahre: 1996 mit über 108,000 Mitgliedern, dazu 520 nicht eingegliederte Vereine mit etwa 7000 Mitgliedern. Die Mitglieder tragen als Abzeichen einen schwarz-weiß-roten Schild mit goldenem Kreuz und dem Wahlspruche Psalm 119,9. – Die J. sind auch in andern Ländern, besonders in der Schweiz, in Holland, England und Nordamerika verbreitet und begründeten 1855 in Paris einen Weltbund, der unter Wahrung der nationalen und kirchlichen Eigenart der einzelnen Länder von dem Internationalen Zentralkomitee in Genf geleitet wird und jetzt 55 nationale Bündnisse mit rund 7000 Vereinen und 664,000 Mitgliedern umfaßt. Alle vier Jahre findet eine Weltkonferenz statt. In England und Amerika nennen sich die Vereine Young men's Christian Associations, nach deren Muster zuerst in Berlin (1883), dann auch in andern Großstädten Christliche Vereine junger Männer begründet wurden, die in stattlichen Häusern außer christlicher Anregung Vorträge, Geselligkeit, Unterhaltung für Jünglinge aller Stände bieten. Zu einer internationalen Organisation mit ca. 64,000 Gemeinschaften und rund 4 Mill. Mitgliedern (beiderlei Geschlechts) gehört auch der Jugendbund für entschiedenes Christentum, der 1904 in Deutschland 220 Gemeinschaften mit über 5000 Mitgliedern zählte. Ähnliche Ziele verfolgt der christliche Soldatenbund mit seinen Soldatenheimen und die Kellnermission, die in Frankfurt a. M., Berlin u. a. O. Kellnerheime errichtet hat. – Daß die J. gerade in der Gegenwart einem wirklichen Bedürfnis entsprechen, bedarf im Hinblick auf ihre Entwickelungsgeschichte keines Beweises. Mit Recht wird jedoch von erfahrener Seite darauf gedrungen, daß Leiter von Jünglingsvereinen, um das Hauptziel: Heranbildung christlicher Persönlichkeiten, zu erreichen, sich vor einseitiger Hervorkehrung entweder der religiösen oder der belehrenden oder der geselligen Seite hüten müssen. Vielfach bilden die J. nur Zweige der evangelischen Vereine für Innere Mission (s. d.) und finden dann räumliche Unterkunft in den Vereinshäusern dieser Gesellschaften oder den von diesen unterhaltenen »Herbergen zur Heimat« (s. Herberge). Vgl. K. Krummacher, Die evangelischen J. (2. Aufl., Köln 1894); Tiesmeyer, Die Praxis des Jünglingsvereins (2. Aufl., Bremen 1896); Hennig, J. (in Schäfers »Evangelischem Volkslexikon«, Bielef. 1900); Schäfer, Jünglings-, Gesellen- und Arbeitervereine (in der »Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche«, Bd. 9, Leipz. 1901); v. Hassell, Die christlichen Vereine junger Männer in Deutschland (Stuttg. 1898); Dietrich, Geschichte des ältesten evangelischen Männer- und Jünglingsvereins in Berlin (Berl. 1901). Zeitschriften: »Der Leuchtturm« (Elberfeld); »Der Bundesbote« (Berlin); »Sächsischer Jünglings-Bote« (Dresden); »Des Jünglings Freund« (Stuttgart); »Der Jünglingsverein« (Berlin) u. a. – Den Jünglingsvereinen nahe verwandt sind die von Kolping 1846 begründeten katholischen Gesellenvereine (s. d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 373-374.
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