Dümouriez

Dümouriez. Dieser merkwürdige Mann, der ehedem die Augen von halb Europa durch seine glänzenden Thaten blendete, und jetzt, durch einen unbegreiflichen Wechsel des Schicksals, so entfernt von dem großen Schauplatze der Weltbegebenheiten lebt, daß selbst seine physische Existenz unbekannt sein würde, wenn uns nicht von Zeit zu Zeit ein Product seines Geistes davon versicherte, war 1739 zu Cambray geboren, machte frühzeitig einige Feldzüge mit, und erhielt von dem Französischen Hofe verschiedene geheime Aufträge, wodurch er veranlaßt wurde, mehrere Länder Europens zu bereisen, und Gelegenheit bekam, sich mannichfache Kenntnisse zu erwerben. Bei dem Ausbruche der Revolution befand er sich als Commendant in Cherbourg, und hatte daselbst keine Gelegenheit, eine bedeutende Rolle zu übernehmen. Seine unruhige Thätigkeit und neugierige Wißbegierde erlaubten ihm aber nicht lange, seine Tage in einförmiger Ruhe hinzubringen. Er begab sich daher schon im Jahr 1790 nach Paris, um den geheimsten Triebfedern der Revolution an der Quelle nachzuspüren, und in die Charaktere der vorzüglich handelnden Personen tiefer einzudringen. Durch die damaligen Minister Laporte und Montmorin, mit denen er in Verbindung stand, erhielt er nähern Zutritt zu Hofe, mußte im Jahr 1791 mit einer Division Soldaten die Ruhe in einigen aufrührerischen Departements wieder herstellen, und wurde, als ein Mann von ungemeiner Popularität, im Jahre 1792 (den 15. März)an Delessarts Stelle zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten vom König erwählt. In diesem neuen Amte bewirkte er die Kriegserklärung an das Haus Oesterreich, gewann dadurch. an Volksgunst, verlor aber das Zutrauen des [370] Hofes, und erhielt (am 16. Juni 1792) seinen Abschied, nachdem er in den letzten vier Tagen seiner ministeriellen Laufbahn Kriegsminister gewesen war. Die National-Versammlung hieß ihm das Schlachtschwert wieder ergreifen, und stellte ihn bei der Nordarmee an. Da aber Lafayette, nach der großen Katastrophe des 10. Augusts, die Armee der Franken verlassen hatte, und die Heere der Alliirten mit starken Schritten in Frankreich vordrangen; wurde er zum Oberbefehlshaber der Centralarmee erwählt. Seine damaligen Thaten bleiben, bei der immer noch großen Ungewißheit über die wahre Lage der Dinge in Champagne, auch jetzt noch räthselhaft; bekannter ist sein glänzendes Kriegsglück, mit dessen Hülfe er sich einige Monate später zum Herrn der Oesterreichischen Niederlande machte. Aber damit hatte er auch das Ziel erreicht, welches sein unbegrenzter Ehrgeitz nicht überschreiten sollte. Durch einen schnellen Uebertritt auf die Seite der Alliirten wollte er sich zum Befreier seines durch Factionen zerrissenen Vaterlandes aufwerfen, mit einem Heereshaufen nach Paris vordringen, den Convent sprengen, die Constitution von 1791 wieder einführen, und Ludwig XVII. zum Oberhaupte der gemäßigten Monarchie erheben. Allein dieser große Plan scheiterte; sein Heer verließ ihn, er wanderte (den 5. April 1793) aus, lebte seitdem unbekannt in mehreren Ländern, und genoß das einzige Vergnügen, seine ehemaligen glänzenden Thaten dem Andenken der Nachwelt eigenhändig überliefern zu können. Jetzt soll er sich im Hollsteinischen aufhalten. Außer den Memoiren und seiner eignen Lebensgeschichte hat er noch einige kleinere Brochüren geschrieben, die sich zunächst auf die dermalige Lage Frankreichs beziehen. Alle diese Schriften athmen einen Geist, und charakterisiren ihren Verfasser als einen warmen Vertheidiger der gemäßigten Monarchie. Die schöne Sprache, in der sie abgefaßt sind, die interessante Darstellung der Begebenheiten und die warme Theilnahme an dem Schicksale seines Vaterlandes, welche Dümouriez bei jeder Gelegenheit äußert, fesseln alle denkende Leser, und bestimmen sie zu einem gemäßigten Urtheil über den unglücklichen General. Freilich ist es ihm nicht gelungen, sich wegen aller seiner Handlungen zu rechtfertigen; man wird seinen Ehrgeitz, seinen Hang zu Intriguen, [371] und seine Unbeständigkeit immer mit vollem Rechte tadeln, aber dessen ungeachtet sich genöthigt sehen, ihn als General zu bewundern und als unglücklichen Verbannten zu beklagen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 370-372.
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