Die Heimkehr des reichen Mannes.

[222] Die Pfirsichbäume standen in Ägypten in schönster Blüte und der Rosenflor erfüllte die Luft mit seinem Dufte, als ich gegen Ende des Monats Februar meine Rückkehr nach der Heimat beschloß. Von meinem Schatze, in dessen Besitz ich durch die ganz unerwartete Freigebigkeit eines orientalischen Fürsten gekommen war, hatte ich nur wenig angegriffen, und ich überlegte im stillen, in welcher Weise ich ihn nutzbringend am besten verwerten könnte. Ich dachte sogar daran, mir ein Haus in Berlin zu kaufen, um selber einmal den Wirt zu spielen und mir ein festes Heim zu schaffen. Die Reisen wollte ich an den Nagel hängen und in meinen vier Pfählen einzig und allein meiner Wissenschaft und meiner Familie leben. Doch der Mensch denkt und Gott lenkt, wie es der Leser getreulich später erfahren soll, denn ich kaufte zwar ein Haus, aber mein kleines Vermögen, das an dem Hause haftete, verlor ich bis zum letzten Heller während meines dritten Aufenthaltes in Ägypten.

Auch meinen morgenländischen Gönner, Sajid Pascha, sah ich zu meinem höchsten Bedauern dem Verfall seiner Finanzen entgegeneilen. Als er am Anfang des Jahres 1863 das Zeitliche segnete, hinterließ er dem Lande eine Schuldenlast[222] von 600 Millionen Mark, nachdem er es schuldenfrei nach dem Tode seines Vorgängers, des grausamen, aber sparsamen Abbas I. übernommen hatte. Er hatte am Schlusse seiner Regierung viele Enttäuschungen erleben müssen, als seine Lage sich von Tage zu Tage bedenklicher gestaltete, und nicht die letzte war es, daß die silbernen Knöpfe an den Uniformen seiner Soldaten und die diamantenen Abzeichen seiner Offiziere, die auf seinen Befehl in Gold umgesetzt werden sollten, sich als völlig wertlos erwiesen. Die Knöpfe entpuppten sich bei näherer Prüfung als versilbertes Messing, das ein französischer Fabrikant an Stelle echten Silbers geliefert hatte, und die Diamanten waren von ihren Trägern in Glas umgewandelt worden, nachdem sie die echten Steine gegen hohe Preise verkauft hatten. Selbst die kostbaren Stoffe, meist Stickereien auf Seide, die den Kriegern und Pferden zum Schmucke dienten, wurden hergenommen, um in bare Münze umgesetzt zu werden, aber niemand zahlte angemessene Preise, da die vorhandene Masse ihren Wert von vornherein herunterdrückte. Der Ruin war einmal da und Anleihen, es waren die ersten ägyptischen, die auf den Markt kamen, mußten aufgenommen werden, um die großen Löcher zustopfen zu helfen.

Die letzten Nachrichten aus der Heimat waren nicht dazu angethan, mich trotz meines eingebildeten Reichtums fröhlich zu stimmen. König Fried rich Wilhelm IV. litt unter den Folgen einer heimtückischen Krankheit, die sich allmählich bei ihm entwickelt hatte und von der ich zu meinem Schrecken durch eine Mitteilung A. von Humboldts die erste Kunde erhielt. Sie waren an einen konsularischen Freund gerichtet, dem der greise Gelehrte die folgenden Worte geschrieben hatte:

»Ich verdanke Ihrer zuvorkommenden Güte angenehme Nachrichten von der Abreise unseres teuren gemeinschaftlichen Freundes Dr. Br. nach Oberägypten, so wie einen überaus[223] liebenswürdigen geistreichen Brief des Pascha Mahommed Said. Dieser Fürst weiß seine Sekretäre gut auszusuchen. In keiner europäischen Kanzlei weiß man seiner und geschmackvoller zu loben. Den Brief des Pascha habe ich teilweise dem Monarchen vorlesen können. Es ist derselbe Seiner Majestät um so angenehmer gewesen, als der König, aus großer Vorliebe für Br., auch während des ernsteren Stadiums der Krankheit, mich oft über ihn befragt hatte. Ich darf diesen Ausdruck meines Dankes nicht schließen, ohne Ew. Wohlgeb. die fröhliche Nachricht der auffallend fortschreitenden, wenngleich langsamen Genesung des Königs, die wir seit der Übersiedlung nach Charlottenburg, genauer seit 10 bis 12 Tagen (im Physischen und auch im Gemütlichen, die Deutlichkeit der Rede betreffend) verspüren. Schonung von allen Geschäften wird aber gewiß noch 6–8 Monate lang notwendig bleiben.«

Meine im Anfang des Monats März 1858 erfolgte Rückkehr nach Berlin hatte mich mit einem neuen Schreck erfüllt. In aller Frühe des Morgens erwartete mich mein Vater auf dem Schlesischen Bahnhofe, aber wie schnürte es mir das Herz zusammen, als ich an Stelle des kräftigen schönen Mannes, wie ich ihn wenige Monate vorher verlassen hatte, eine kranke, elende Gestalt vor mir sah. die mich mit thränendem Auge begrüßte. Auf meine hastige Frage, was vorgefallen sei, gab er nur die eine Antwort: »Mein Sohn, entsetze Dich nicht! Dir darf ich es sagen, daß ich nach drei Monaten diese Welt verlassen muß.« Er hat leider allzu pünktlich Wort gehalten, denn genau drei Monate nach meiner Heimkehr drückte ich ihm die müden Augen zu. Er starb ein Opfer seines militärischen Berufes, den er, ohne jede Schonung seines leidenden Zustandes, fast bis zum letzten Atemzuge in getreuester Pflichterfüllung ausübte. Meine eigene Familie bestand damals außer meiner Frau aus drei Kindern:[224] zwei Söhnen und einer Tochter; durch den Tod meines Vaters fiel mir die Sorge für die Erhaltung meiner verwitweten Mutter und meines um 15 Jahre jüngeren Bruders zu, des einzigen, den ich besaß und der heute, mit dem Range eines Bey bekleidet, eine ehrenvolle Stellung als Konservator am vizeköniglichen Museum in Giseh bekleidet.

Tiefe Bekümmernisse erfüllten mein Inneres, besonders bei dem Gedanken an die nächste Zukunft und an die Pflichten, die das Schicksal mir, dem jungen Ernährer einer sechsköpfigen Familie, auferlegt hatte. Sie zu betäuben, nahm ich zu dem besten Mittel meine Zuflucht, indem ich mich der Fortsetzung meiner ägyptischen Arbeiten überließ und in den täglichen Funden und Entdeckungen mit Hilfe des von mir auf meinen beiden Reisen in Ägypten gesammelten Materials die wahre Freude meines Daseins empfand. Mein Umgang beschränkte sich auf wenige gleichgesinnte Altersgenossen, die den verschiedensten Berufen angehörten und sich nach vollbrachter Tagesarbeit regelmäßig einmal in der Woche zu einem munteren Abendkränzchen vereinigten. Floß auch in den Adern der meisten kein Berliner Blut, so gelangte dennoch der Berliner Witz zur vollsten Geltung. Da nicht bloß »studierte Leute«, sondern auch Künstler, namentlich Afinger, Blaeser, Hildebrandt, Meyerheim u.a., und nicht zu vergessen der damalige Sodawassererzeuger Marsch zu unserem Kreise gehörten, so durfte er sich mit Recht einer gewissen Vielseitigkeit rühmen, der es niemals an Stoff zu fesselnden oder munteren Unterhaltungen gebrach.

Außerhalb dieses abgeschlossenen Zirkels waren es besonders drei Persönlichkeiten, mit denen das Schicksal mich in Berührung brachte und von denen die beiden ersten eine fühlbare Wirkung auf mein späteres Schicksal ausübten. Ihre Namen: Fürst Pückler-Muskau, Baron Jul. von Minutoli[225] und Lassalle habe ich nur anzuführen, um meine Zeit genossen an die Bedeutung eines jeden einzelnen zu erinnern.

Der Fürst gehörte zu den bekanntesten Persönlichkeiten am Hofe und in der vornehmen Berliner Gesellschaft, in der er sich trotz seiner 73 Jahre mit beinahe jugendlicher Leichtig keit bewegte und eine unwiderstehliche Anziehung ausübte. Sein ganzes Wesen bis zum Ausdruck der Sprache hin ließ den hochgebildeten Weltmann erraten, der Länder und Völker gesehen und mit den Großen dieser Erde in vielfache Berührung gekommen sein mußte. Und so war es in der That, denn seine Reise in Ägypten und im Sudan zur Zeit des Vizekönigs Mehemmed Ali und seine Wanderungen in Vorderasien, um nur an seine exotischen Pilgerfahrten zu erinnern, verschafften ihm einen weit über die Grenzen des Vaterlandes verbreiteten Ruf, nachdem er in seinem fünfbändigen Werke:»Semilasso in Afrika« und in ähnlichen Veröffentlichungen in der Mitte der dreißiger Jahre sich als hervorragender Schriftsteller offenbart hatte. Die Angriffe, welche die formgewandte Feder Fallmerayers in der ersten Hälfte der vierziger Jahre gegen »Semilasso« und »den Verstorbenen« richtete, berührten niemals den litterarischen Wert der Schriften des, Fürsten; sie verurteilten nur seine darin ausgesprochenen Ansichten über Mehemmed Ali und das ägyptische Fellachentum, sowie seine Vorschläge, deutsche Kolonien nach dem Nilthale zu senden. In letzterer Beziehung stand der Fürst nicht allein da. Noch im Jahre 1868 war es einem deutschen Schriftsteller, Hans Wachenhusen, vorbehalten, den Vizekönig Ismael und seinen Minister Nubar für denselben Vorschlag zu erwärmen, freilich ohne Erfolg, nachdem eine Hauptbedingung dafür sich als unerfüllbar herausgestellt hatte.

Der »alte Fürst«, wie er in Berlin genannt wurde, war[226] eine heitere, lebensfrohe Natur, die sich selbst durch die natürlichen Einwirkungen des zunehmenden Alters nicht beirren ließ. Berühmt durch seine erfolgreiche Thätigkeit auf dem Gebiete der Gartenkunst, hatte er doch seine öde Standesherrschaft Muskau in der Lausitz in einen herrlichen Park umgewandelt, und allbekannt durch seine Küche und seinen Feingeschmack, verlebte der Fürst die Wintermonate in Berlin, die er regelmäßig im ersten Stockwerk des damals bestehenden Hotels de Russie (hinter dem Kommandanturgebäude, in der Nähe der Schloßbrücke) zu verbringen pflegte. Für den Sommer liebte er es, seinen Aufenthalt im Schlosse Branitz bei Kottbus zu nehmen, nachdem er Muskau an den Prinzen Friedrich der Niederlande verkauft hatte. Schon am Anfang des Jahres 1857 war ich dem Fürsten durch ein Schreiben Alexander v. Humboldts empfohlen worden. Der betreffende Brief, von dessen Inhalt ich keine Kenntnis besaß, ist mir ganz vor kurzem und zu meiner eigenen Überraschung durch seinen gegenwärtigen Besitzer, Herrn Dr. Karpeles, abschriftlich mitgeteilt worden. Die auf mich bezügliche Stelle in demselben: »Angenehm von Sitten, in Frankreich und England geachtet, besitzt er ein seltenes Talent »Deutsch« zu schreiben. Ihnen, Meister in dieser Kunst, darf er von dieser Seite empfohlen werden,« lehrt aufs neue, wie ein A. v. Humboldt zu loben verstand.

Nachdem ich die Ehre gehabt hatte, ihm vorgestellt worden zu sein, erwachte seinerseits eine Zuneigung für meine Person, die vielleicht mit unserer gemeinschaftlichen Sehnsucht nach dem gelobten Lande Ägypten in Zusammenhang stand. Ich hatte das Glück, sein ständiger Hausfreund zu sein, seine Besuche in meinem bescheidenen Heim zu empfangen und an seinen Ausfahrten teilzunehmen, bei denen er selber die Pferde mit sicherer Hand zu führen pflegte. Seine Mittagsmahle im[227] Hotel bestanden regelmäßig aus einer Auswahl erlesenster Gerichte, wozu die Besitzung Branitz das Geflügel, die Eier und die Butter lieferte, und niemals ließ er sich es nehmen, die Salate von anderen Händen bereiten zu lassen. Er führte dies Kunststück selber aus und jedesmal, wenn ich auf einer Speisenkarte in Berlin oder im Auslande »Salate du Prince Pueckler« las, ward ich im Geiste nach dem Hotel de Russie versetzt.

Dem ehemaligen Reisenden im Orient war es angenehm, von seinen Erinnerungen an Mehemmed Ali zu reden und sich seiner Erfindungen während seiner Wanderungen zu rühmen. Dazu gehören die sinnreiche Zusammenstellung eines kleinen Kochapparates für flüssige und feste Speisen, den man thatsächlich bequem in die Tasche stecken konnte und der allen Anforderungen genügte. Eine zweite Erfindung bestand in einer Vorrichtung, um bei einem Aufenthalte in der Wüste während der Nacht Löwen und – Mücken von sich abzuwehren. Zu Nutz und Frommen aller Afrikareisenden will ich das Geheimnis verraten. Es besteht aus einem einfachen Sacke aus weißem Kattun, in den der Reisende hineinkriecht. Er endet nach dem Kopfe zu in eine Art von Haube aus Gazestoff, die am Scheitel durch eine Schnur verschließbar ist. Man befestigt sie an einem in einen Baum oder in die hölzernen Zeltstangen eingetriebenen Nagel. Den Löwen verscheucht das Unheimliche des Anblickes, – man denke, ein weißer Sack, der sich stellenweise bewegt, – und der Mückenstachel ist unvermögend, durch den Stoff hindurch den lebendigen Inhalt zu erreichen.

Die Gesellschaft beim Fürsten war stets auch in geistiger Beziehung eine auserlesene und die Gegenstände der Unterhaltung blieben allem Gewöhnlichen oder Unbedeutenden fern. Das Salz der historischen Anekdote würzte sie und gab ihr häufig einen pikanten Beigeschmack.[228]

Nicht selten ereignete es sich, daß mein Pate, Fürst Heinrich von Carolath, und sein Freund, der Dichter Geibel, außer ihnen der bissig aufgeregte Zwerg meines Paten, sich im Hotel zusammenfanden, um eine Partie Whist miteinander zu spielen, wobei Gespräche über Tagesfragen die Pausen auszufüllen pflegten. Vor allem war es der verschlimmerte Gesundheitszustand unseres Königs, der den Stoff dazu lieferte und Befürchtungen hervorrief, die man so gern als unnötig bezeichnet hätte. Am 7. Oktober 1858 war Prinz Wilhelm von Preußen zum Regenten ernannt und damit eine neue Ära der Geschicke unseres Vaterlandes eingeleitet worden.

Mir selber wurde es klar, daß für mich selber eine neue Zeit hereingebrochen war und daß ich alles aufzubieten hatte, um auf eigenen Füßen stehen zu lernen. Auch die Tage A. von Humboldts waren bereits gezählt. Wennschon der angehende Neunziger seine alte Schaffenskraft sich erhielt und bis in die späte Nacht hinein an der Vollendung seines Kosmos arbeitete, so hatte sein vorgerücktes Alter, aber in gleichem Maße die Leiden des königlichen Dulders auf Körper und Geist des Urgreises ihre störenden Wirkungen ausgeübt. Dazu kam, daß liebgewordene Gewohnheiten, die ihn täglich in die Nähe und die Gesellschaft seines königlichen Freundes an den Hof in Berlin, Sanssouci oder Charlottenburg geführt hatten, mit einem Schlage abgebrochen waren, so daß seine früheren Einflüsse ihre segensreichen Erfolge verloren. Es ist wahr, daß der berühmte Gelehrte und Nestor der Wissenschaft von dem Prinzen von Preußen und von seiner erlauchten Gemahlin, der späteren Kaiserin Augusta, durch Auszeichnungen und Aufmerksamkeiten voller Zartgefühl geehrt wurde, aber es wurde ihm schwer, sich in die neuen Verhältnisse zu schicken und warmen Anteil an Ereignissen zu nehmen, die früher seinen Geist so lebhaft beschäftigt hatten. Seine Widersacher,[229] und er halte deren in schwerer Menge, triumphierten freilich über das Erbleichen und Versinken des leuchtenden Sternes, sie entblödeten sich nicht, gelegentlich von »dem bekannten Touristen Humboldt« zu sprechen und seine hohen wissenschaftlichen Verdienste in den Hintergrund zu drängen, aber sie vergaßen, daß vor dem Ruhme seines Namens und seiner Arbeiten die ganze Welt sich verehrungsvoll beugte.

Dankbar muß ich es bekennen, daß Fürst Pück ler aus freiem Antriebe sich bewogen fühlte, mich von diesen Zeitläuften an unter seinen persönlichen Schutz zu stellen. Ihm allein schuldete ich die Auszeichnung, im Jahre 1863 zum Konsul Preußens in Kairo ernannt zu werden, wie es der Leser später ausführlicher erfahren soll.

Die zweite Persönlichkeit, mit der ich im Jahre 1858 in nähere Berührung trat, war Dr. Ferd. Lassalle, dessen Namen ich nur zu nennen brauche. um eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten in das Gedächtnis zurückzurufen. Zu meiner Überraschung erschien er eines Tages in meiner Wohnung, um mir sein eben vollendetes Werk »Die Philosophie Herakleitos des Dunkeln von Ephesos« als Angebinde seiner Hochachtung zu überreichen und daran die Bitte zu knüpfen, ihn in Zukunft als seinen Schüler betrachten zu wollen. Er sei entschlossen, seine Zeit auf eine Reihe von Jahren ausschließlich wissenschaftlichen Untersuchungen zu widmen, nachdem auf Böckhs, des berühmten Hellenisten, und A. v. Humboldts Empfehlung und Vermittlung seine bereits beschlossene polizeiliche Ausweisung aus Berlin rückgängig gemacht worden sei. Er wolle sich allen Ernstes mit altägyptischen Studien beschäftigen und ersuche mich inständigst, ihn als Schüler nicht zurückzuweisen. Er sei zu alt, um mitten unter jungen Studenten im Kolleg zu meinen Füßen zu sitzen und zöge deshalb die Form eines regelrechten Privatissimum vor. Auf meine[230] Frage, welchen besonderen Zweck er mit seinen zu erwerbenden ägyptischen Kenntnissen verbinden wolle, erwiderte er mir, er habe es sich in den Kopf gesetzt, das altägyptische »Totenbuch« von Anfang bis zu Ende zu übertragen und zu erklären. Lächelnd bemerkte ich ihm, daß dies eine Aufgabe sei, die kaum in hundert Jahren gelöst werden könne, aber sein Entschluß stand einmal fest, und er entgegnete mir einfach: »Was ich will, das kann ich, ich werde die Aufgabe lösen, denn gerade die Schwierigkeiten sind es, die einen besonderen Reiz auf mich ausüben.«

Lassalle war damals 33 Jahre alt. Unser L. Pietsch hat in seinem reizenden Buche »Wie ich Schriftsteller geworden bin« die äußere Erscheinung des sozialdemokratischen Agitators mit überraschender Treue und Wahrheit geschildert und die Eigenheiten seines Charakters mit richtigen Strichen gezeichnet. Einen Grundzug seines Charakters bildete das Leidenschaftliche und Aufbrausende, mit dem die Sucht nach Rechthaberei verbunden war. Es hat mich in der Folge viel Mühe gekostet, in den verabredeten Stunden den Eigensinn des Schülers zu zähmen. Häufig kam es vor, daß ich in einer gewissen Erbitterung die Stunden aufgab, worauf regelmäßig Lassalle in erregtester Stimmung Briefe an mich vom Stapel ließ, die meist mit den Worten »Zum Teufel auch« begannen.

Als ich ihn zum erstenmal kennen gelernt hatte, wohnte er, wie der Berliner zu sagen pflegt, Chambre garnie in einem Eckhause, das an der Behren- und Mauerstraße gelegen war. Später gründete er sein eigenes Haus in der Bellevuestraße, dicht neben der Wohnung von Fräulein Ludmilla Assing. Sein Heim war für damalige Verhältnisse vornehm eingerichtet, eine prachtvolle Bibliothek befand sich in dem Saale, der sein Arbeitszimmer bildete und von welchem aus eine[231] Glasthür nach einem Treibhause mit exotischen Pflanzen führte. Selbst ein Diener fehlte nicht, um der Befehle des Herrn gewärtig zu sein und der gnädige Herr war bisweilen sackgrob. Lassalle führte ein Dasein im vornehmen Stile und nur in seinen Unterhaltungen entwickelte er sozialdemokratische Ideen, die im vollsten Gegensatze zu seinem wirklichen Leben standen.

Es ist bekannt, daß die Gesellschaften, die sich auf besondere Einladungen in seinem Hause vereinigten, zu den gewähltesten gehörten, sei es mit Rücksicht auf die Stellung und den Namen der eingeladenen Gäste, sei es mit Bezug auf ihre geistigen Vorzüge. Fürst Pückler-Muskau, General von Pfuel, Hans von Bülow, um nur einige Namen zu nennen, folgten gern den Einladungen des geistreichen und gelehrten Wirtes, wobei die Gräfin von Hatzfeld so gütig war, die Honneurs des Hauses zu machen. Die Bewirtung ließ an Auswahl und Feinheit der aufgetragenen Gerichte und der kredenzten Weine nichts zu wünschen übrig, und Lassalle schien seelenvergnügt zu sein, wenn das Lob seiner Tafel aus dem Munde der Gäste erschallte. Die Unterhaltung bewegte sich natürlich in den gewähltesten Formen; sie war stets anregend geistvoll, und jeder der Teilnehmer konnte behaupten, einen Gewinn für sich aus ihr davongetragen zu haben.

Unsere Bekanntschaft, durch meine späteren Reisen nach Persien und Ägypten jeweilig unterbrochen, dauerte bis zu seinem Tode. Meine Vorstellung, daß Lassalle auf dem altägyptischen Gebiete nichts Besonderes leisten würde, hat sich vollauf bestätigt, denn es ist die Eigentümlichkeit dieser Studien, daß sie die ganze Zeit und Arbeitskraft eines Mannes verlangen und somit keine Gelegenheit bieten, sich mit andern Dingen eingehend beschäftigen zu können. Daß Lassalle ein ebenso gescheiter als hochgebildeter und wissenschaftlich unterrichteter Mann war, steht unzweifelhaft fest. Sein Scharfsinn[232] schreckte vor keinen Schwierigkeiten zurück, aber dem Ägyptischen gegenüber fehlte es ihm, wie ich vorher bemerkt hatte, an der nötigen Zeit und Ruhe, um die Rätsel der Vorzeit zu lösen und seinen Namen durch seine Leistungen auch auf diesem Felde zur Berühmtheit zu bringen. Immerhin gedenke ich der Berührungen mit Lassalle nicht ohne einiges Vergnügen und rufe mir häufig die angenehmen Stunden in das Gedächtnis zurück, die ich in seiner Häuslichkeit verbracht habe.

Die dritte Persönlichkeit, mit der ich zu verkehren die Ehre hatte, war, wie die beiden vorangehenden, allen damaligen Berlinern wohlbekannt. Der Freiherr Julius v. Minutoli bekleidete längere Zeit die Stellung eines Polizeipräsidenten von Berlin, der die Märztage des Jahres 1848 ein jähes Ende bereiteten. Ich habe schon oben der Teilnahme gedacht, die er dem jungen Gymnasiasten in vollstem Maße entgegentrug, wohl zunächst aus dem besonderen Grunde, daß Ägypten und das ägyptische Altertum einen besonderen Reiz auf ihn ausübte.

Sein Vater, der General H. C. Menu von Minutoli, gehörte in die Zahl der älteren Reisenden, die Ägypten und Nubien in den Jahren 1820 und 1821 unter der Herrschaft Mehemmed Alis besucht und ihren Weg sogar bis zu der Oase des Jupiter Ammon ausgedehnt hatten. Seine Bemerkungen über das alte und neue Ägypten verrieten den Kenner, der mit offenem Auge die Vergangenheit und Gegenwart des Orients betrachtete und seinen Vorstellungen darüber einen anziehenden litterarischen Ausdruck verlieh.

Das ägyptische Museum in Berlin verdankt ihm wertvolle Beiträge antiker Schätze, die der General aus dem alten Pharaonenlande nach der Heimat geführt hatte, während ein anderer Teil im Besitze der Familie verblieb. Dieser letztere war es, der meine häufige Verbindung mit dem ehemaligen[233] Polizeipräsidenten Berlins herbeiführte, die später, seltsam genug, die Veranlassung zu meiner Reise nach Persien darbot.

Nach den Märztagen war Herr J. von Minutoli genötigt worden, sich zeitweilig aus dem Staatsdienst zurückzuziehen. Er benutzte die freie Zeit, Vorlesungen an der Universität zu Berlin zu hören, und ich erinnere mich, häufig an seiner Seite gesessen zn haben, um den geographischen Vorträgen unseres großen Ritter zu lauschen. Später trat er von neuem in den Staatsdienst ein, um in seiner Eigenschaft als Generalkonsul die Interessen unseres preußischen Vaterlandes in Spanien und Portugal zu vertreten. Der liebenswürdige Mann hatte die Güte, von seinem Aufenthaltsorte Barcelona aus in den regsten brieflichen Verkehr mit mir zu treten, mich von den Nachgrabungen und Funden in Spanien in Kenntnis zu setzen und seine Teilnahme soweit auszudehnen, meine Mitgliedschaft von zwei spanischen Akademien an Ort und Stelle zu beantragen und zu erreichen. Wie ich nachträglich bemerken will, erfreute er sich während seines ganzen Aufenthaltes in Spanien der besonderen Huld der damaligen Königin Isabella.

Quelle:
Brugsch, Heinrich Ferdinand Karl: Mein Leben und mein Wandern. Zweite Auflage, Berlin 1894, S. 222-234.
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