Mein Amt als wissenschaftlicher Reisemarschall.

[309] Während ich mitten in der besten Arbeit war, um meinen Schülern die Pforten der Wissenschaft zu öffnen und sie in den Tempel derselben eintreten zu lassen, traten fast wöchentlich Hindernisse ein, die mich mehr, als mir lieb war, von der Schule entfernten und mich in das Hofleben hineinwarfen. Ich erhielt Aufträge aller Art, die mit der Schule nicht das Geringste zu schaffen hatten, und in erster Reihe zählten dazu die Pflichten, die ich als offizieller Begleiter fürstlicher Personen auf ihren Reisen nach Oberägypten und Nubien und nicht selten auch der Sinaihalbinsel zu erfüllen hatte. Drei und mehr Wochen, ja selbst Monate lang blieb ich von Kairo entfernt und mußte mich damit begnügen, das Schicksal meiner Schule erprobten deutschen Lehrern anzuvertrauen. Meine Reisen in das Oberland auf vizeköniglichen Dampfern boten mir freilich die Gelegenheit dar, die Denkmälerwelt aufzusuchen und wie alte Bekannte wieder begrüßen zu können, allein die hohen und höchsten Herrschaften, denen ich als wissenschaftlicher Wegweiser diente, konnten nicht mir zu Liebe Stunden und Tage an einem und demselben Orte weilen, und so mußte ich mich schon damit zufrieden geben, in stiller Nacht oft bis über die Geisterstunde hinaus den Überresten der Vorzeit meine Besuche abzustatten, um die mit Hilfe von Kerzen erleuchteten Inschriften in meine Kopierbücher einzutragen. Trotzdem war es mir vergönnt, in dieser Verborgenheit manch schönen Fund zu machen und mein bereits im Druck befindliches Wörterbuch seinem Umfange und seinem Inhalte nach wesentlich zu vermehren.

Die fürstlichen Personen, die ich die Ehre hatte zu begleiten, gehörten fast durchweg dem deutschen Stamme an, so daß ich niemals in die Lage kam, in der Unterhaltung mich[309] einer anderen als meiner Muttersprache zu bedienen. Die Expeditionen, welche ich Gelegenheit hatte zu führen, waren im Laufe der Jahre folgenden fürstlichen Personen zur Verfügung gestellt worden: Dem österreichischen Erzherzog Rainer und seiner Gemahlin Marie, außerdem dem Bruder des ersteren. dem Erzherzog Ernst; dem regierenden Großherzog von Mecklenburg Schwerin Franz Friedrich und seiner erlauchten jugendlichen Gemahlin Marie (unter den Begleitern der Herrschaften befand sich damals Baron von Schack, dessen persönliche Bekanntschaft ich hier zu machen das Glück hatte); den Erbgroßherzögen von Mecklenburg-Schwerin und von Oldenburg; dem österreichischen Erzherzog Johann Salvator, dem Kaiser von Brasilien Dom Pedro d'Alcantara und seiner Gemahlin, dem Kronprinzen Rudolf von Österreich u.s.w. Man wird es erklärlich finden, daß der bescheidene Gelehrte im Umgange mit so hohen Persönlichkeiten und ihren vornehmen Begleitern einen Einblick in die große Welt erhielt, wie es nur wenig Sterblichen gestattet ist. Ich habe aus den täglichen Berührungen mit ihnen die Erfahrung gewonnen, daß selbst in den obersten Kreisen der menschlichen Gesellschaft, in denen Stellung und Etikette eine so einflußreiche Rolle spielen und das äußere Auftreten dem Gesetze eines strengen Zeremoniels unterworfen ist, das Herz sich an dem stillen Glück weidet, auf einem fernen schönen Stück Erde menschlich mit allen übrigen zu fühlen und die Gedanken in ungeschminkter Sprache auszusprechen. Ernst und Scherz treten in ihr volles Recht und äußern sich ungezwungen, ohne Rücksicht auf höfische Formen. Wie glücklich fühlten sich die Großen dieser Welt, dem Parkettboden der Paläste entronnen zu sein und an den schwarzen Ufern des Nilstromes sich frei von allem lästigen Zwange zu wissen!

Eine ebenso große Ehre als Überraschung ward mir zu[310] teil, als eines schönen Tages mein brauner Diener einen Besuch ankündigte, den zwei arabische Droschken nach der Hochschule geführt hatten. Die Namen der Besucher vermochte er mir nicht zu nennen. Indem ich ihm auftrug, dieselben in mein Empfangszimmer zu führen, warf ich den Blick nach dem Garten hinunter, in dessen Mitte sich ältere und jüngere Herren und Damen in einfach bürgerlicher Tracht langsam bewegten. An ihrer Spitze befand sich ein Herr im Vollbart von ungefähr fünfzig Jahren, der einer älteren Dame in einfacher Reisetoilette den Arm gereicht hatte. Wie mußte ich nicht staunen, als in dem Empfangszimmer das würdige Paar mir mit den Worten entgegentrat: »Der Kaiser und die Kaiserin von Brasilien sind hierher gekommen, um Ihre Bekanntschaft zu machen.« Sie stellten mir ihre Begleitung vor, Minister und Hofdamen, deren Namen ich später in den Zeitungen zu lesen häufig Gelegenheit hatte. Der Kaiser bat mich, während seines dreiwöchigen Aufenthaltes in Ägypten ihm als Begleiter zu dienen, er sei im New-Hotel in Kairo abgestiegen und würde mir dankbar sein, wenn ich von morgens früh 4 Uhr an bis abends 10 Uhr mich an seiner Seite befände. Er sei gekommen, um die Sklavenfrage in Ägypten zu studieren und nebenbei Land und Leute und die Denkmäler der Vergangenheit kennen zu lernen. Ich fühlte mich gezwungen, dem Kaiser die Bitte auszudrücken den Vizekönig zu bewegen, mir den Befehl übermitteln zu lassen, mich als offizieller Begleiter ihnen anzuschließen. Zugleich ließ ich es durchblicken, daß ich aus mir unbekannten Gründen in Ungnade gefallen sei und nicht wünschen könne, der Mißstimmung des Khedive eine neue Nahrung zu bieten. »Das überlassen Sie mir«, sagte lächelnd Dom Pedro, »ich ersuche Sie nur, sich morgen gegen neun bei mir einzufinden; alles Weitere wird sich von selbst ergeben.«[311]

Am nächsten Morgen fand ich mich rechtzeitig ein. Der Kaiser stieg mit mir die Treppe abwärts, indem er mich rechts gehen ließ und mit seinem rechten Arm meinen linken umfaßte. In dem vor der Freitreppe stehenden Wagen mußte ich auf seinen weiteren ausdrücklichen Befehl die rechte Seite des Sitzes einnehmen, während sich es der Kaiser mit der linken genügen ließ. »Es ist meine Absicht«, so sprach er lächelnd, »dem Khedive und dem Hofgesinde zu zeigen, in welcher Weise der Kaiser einen König der Wissenschaft zu ehren wünscht«. Und fort ging es durch die Straßen Kairos nach dem Palaste Abdin. Ich war tief beschämt und gerührt und mußte mich in mein Schicksal ergeben.

Noch an demselben Abend erschien der vizekönigliche Zeremonienmeister in meinem Hause, um mich im Auftrage seines Herrn zu ersuchen, den Kaiser von Brasilien zu begleiten, mit der Bitte, mich in meinen Äußerungen über die ägyptische Sklaverei mit Vorsicht zu bewegen und über die ägyptischen Verhältnisse, insofern sie zum Tadel Anlaß gäben, reinen Mund hatten zu wollen. Der Vizekönig, so fügte er hinzu, würde es als einen ihm geleisteten besonderen Dienst betrachten, wenn ich mich dazu verpflichte, und es mir und meinen Kindern zu lohnen wissen.

Ich konnte nur darauf erwidern, daß ich augenblicklich im Dienste des Vizekönigs stände und als sein Beamter von selber die Verpflichtung in mir fühlte, die rücksichtsvollste Achtung gegen meinen Herrn unter allen Umständen zu wahren. Ich sei ein Preuße und meine Nation betrachte die Treue als ihr Ehrenschild. Der Vizekönig möge sich unter allen Umständen auf mich verlassen.

Der Verkehr mit dem Kaiser von Brasilien von morgens früh bis abends spät gab mir Veranlassung, seine Eigenschaften auf das genaueste kennen zu lernen und seinen wissenschaftlichen[312] Eifer auf allen Gebieten der menschlichen Erkenntnis zu bewundern. Einfach und natürlich in seinem ganzen Auftreten und beinahe in nichts unterschieden von einem bescheidenen Privatmanne, liebte er es, sich über alles, was ihn interessierte, zu unterrichten und sehr genaue Aufzeichnungen von dem Gehörten in sein Buch niederzuschreiben. Es war eine Eigentümlichkeit, die mich anfangs erschreckte, aber später durchaus nicht mehr auffiel, daß der Kaiser mitten in seiner Rede in einen 5–10 Minuten langen tiefen Schlaf verfiel, plötzlich daraus erwachte und die letzte Hälfte eines unterbrochenen Satzes mit vollständiger grammatischer Genauigkeit zu Ende führte. Der Kaiser war nicht das, was man einen gelehrten Mann nennen könnte, aber dagegen ein Amateur, der auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaften wohl Bescheid wußte, mit den berühmtesten Gelehrten im Verkehr stand und ein gesundes Urteil über Menschen und Dinge besaß. Sein Ideal schien das Stillleben eines für alles Schöne und Gute begeisterten Mannes zu sein, den des Daseins Plage und Sorge nicht allzu sehr drückt, und er versicherte mich, daß er den Kaiser Napoleon fast beneide, nicht um seine fürchterliche Niederlage, nicht um seinen schmählichen Sturz, sondern um die Annehmlichkeit seines Privatlebens in stiller Zurückgezogenheit. »Ginge es an«, so bemerkte er mir, »so legte ich gern meine Krone nieder, um als erster Bürger selbst in einer Republik mein Dasein zu führen und meine ganze Zeit den Wissenschaften und schönen Künsten zu leben.« Bei unserer Trennung machte mir der Kaiser das rührende Geständnis, daß er mir keinen Orden verleihe, da man die Dienste eines aufrichtigen Freundes nicht mit einem Orden ablohnen könne.

Kurz vor seiner Abreise teilte er mir auf dem Bahnhofe noch mit, daß der Vizekönig ihm bei seinem Abschiedsbesuche die Frage vorgelegt habe, was er, ein großer und weiser[313] Kaiser, ihm anrate, um sein ägyptisches Volk glücklich zu machen. »Ich antwortete ihm«, sprach der Kaiser, »leben und handeln Sie nach den Worten des Koran und Sie werden Ihr Volk unstreitig glücklich machen.« An demselben Tage meldete ich mich beim Khedive. Er erzählte mir dieselbe Geschichte, bestätigte seine Frage, aber nach seiner Erzählung habe ihm der Kaiser geantwortet: »Wollen Sie Ihr Volk glücklich machen, so werden Sie samt ihren Unterthanen katholisch.«

Nach der Abreise des Kaisers hatte ich die Ehre im Laufe der Jahre briefliche Mitteilungen von seiner Hand zu erhalten, die sich auf neueste wissenschaftliche Arbeiten und Entdeckungen bezogen und die volle Teilnahme eines Kenners auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft durch ihren Inhalt bezeugten.

Dom Pedro d'Alcantara stellte den Typus eines edlen Menschen dar, der, wie ich es bereits bemerkte, durch seine Einfachheit im Auftreten und durch sein leutseliges Wesen die Herzen für sich gewinnen mußte. Ich habe ihn später nur noch ein einziges Mal wiedergesehen zur Zeit, als ich mich als ägyptischer Generalkommissar zur Weltausstellung nach Philadelphia begeben hatte (1876). Wenige Tage vor Eröffnung derselben teilte mir der Kaiser durch den Draht seine Ankunft in New-York mit, wohin ich mich begab, um ihn und seine hohe Gemahlin zu begrüßen und in seiner Begleitung die Rückreise nach Philadelphia anzutreten. Bei der feierlichen Eröffnung der »CentenniaI Exhibition« bildete die stattliche Figur des Kaisers in einfachem Gesellschaftsanzug einen Anziehungspunkt der Aufmerksamkeit aller und die amerikanische Republik schien stolz darauf zu sein, den Kaiser als Vertreter des mächtigsten Reiches auf der südlichen Hälfte des amerikanischen Weltteils in ihrer Mitte erscheinen zu sehen. Was mir in seinem Charakter vor allem auffiel, war die unbeschreibliche Ruhe und Geduld, mit welcher er gleichsam alles über[314] sich ergehen ließ. Sein feierlicher Durchgang durch die weitläufigen Galerien des Ausstellungsgebäudes unter Führung des amerikanischen Generalkommissars Mr. Goshorn, verbunden mit der Vorstellung von Hunderten von Personen, an ihrer Spitze die Generalkommissäre der Regierungen, durfte billigerweise als eine außerordentliche Leistung betrachtet werden.

Die Tage und Wochen, die ich als Begleiter des brasilianischen Kaiserpaares in seiner unmittelbaren Nähe in Ägypten verlebte, haben für mich den Wert lieber Erinnerungen. Ich habe es bitter beklagt, als die Tagesblätter seiner Zeit die Abdankung des Kaisers meldeten, denn entsprach sie auch seinen eigenen Wünschen, so verstieß sie in ihrer Form gegen das Gefühl der Dankbarkeit, welche das brasilianische Volk seinem Kaiser schuldete, der nur der erste Bürger in seinem Staate sein wollte. Sanft ruhe die Asche des Unvergeßlichen!

Quelle:
Brugsch, Heinrich Ferdinand Karl: Mein Leben und mein Wandern. Zweite Auflage, Berlin 1894, S. 309-315.
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