Zweites Kapitel.

Griechische Bewaffnung und Taktik.

[31] Die Hauptmasse eines griechischen Heeres zur Zeit der Perserkriege bestand aus gepanzertem Fußvolk mit einer etwa zwei Meter16 langen Stoßlanze, den Hopliten. Die Schutzwaffen sind Helm, Harnisch,17 Beinschienen, Schild; ein kurzes Schwert ist Hilfswaffe.

Die Hopliten bilden einen festgeschlossenen taktischen Körper, die Phalanx. Die Phalanx ist eine ununterbrochene, mehrgliedrige Linear-Aufstellung.18 Die Tiefe wechselt; sehr oft hören wir von 8 Mann Tiefe, was wie eine Art Normalstellung angesehen worden zu sein scheint; wir hören aber auch von 12, ja von 25 Mann Tiefe.19[31]

Zum eigentlichen Fechten können in einer solchen Phalanx höchstens zwei Glieder kommen, indem das zweite Glied im Augenblick des Zusammenstoßes auf die Lücken des ersten tritt. Die weiteren Glieder dienen dazu, die Fallenden und Verwundeten sofort zu ersetzen, vor allem aber einen physischen und moralischen Druck auszuüben. Die tiefere Phalanx wird die flachere niederkämpfen, auch wenn auf beiden nur tatsächlich genau dieselbe Zahl der Kämpfer zum Gebrauch der Waffen gelangt.

Wäre nicht der Vorteil dieses Druckes, so wäre es viel besser, die Linie zu verlängern, dadurch den Feind zu überflügeln und im Moment des Zusammenstoßes auf beiden Flanken zu umklammern. Aber bei gleichen Kräften kann eine solche Umklammerung nur stattfinden auf Kosten der Tiefe der Aufstellung, und obgleich nur wenige Minuten zu vergehen brauchen vom Zusammenprall der Linien an, bis die Umklammerung sich vollzogen hat, so würde doch in dieser Zeit vermutlich schon die tiefere feindliche Phalanx das flache Zentrum überrannt und damit die ganze Aufstellung gesprengt haben.

Es stehen sich also bei der Phalanx zwei Prinzipien mit polarischer Wirksamkeit gegenüber: die Tiefe, die Wucht gibt, und die Länge, die Umfassung ermöglicht. Sache des Feldherrn ist es, nach der Lage der Umstände, der Größe der Heere, der Qualität der beiderseitigen Truppen, der Gestaltung des Geländes die Tiefe und Länge der Phalanx zu bestimmen. Ein sehr großes Heer wird mehr nach der Tiefe als nach der Länge verstärkt, weil es überaus schwer ist, eine lange Linie einigermaßen gerichtet und geordnet vorwärts zu bewegen, eine tiefe Kolonne hingegen nicht so leicht aus der Ordnung zu bringen ist.

Da die hinteren Glieder der Phalanx fast niemals zum Gebrauch der Waffen gelangen, so könnte es überflüssig erscheinen, etwa über das vierte Glied hinaus alle Krieger mit der vollen Schutzrüstung zu versehen. Doch ist bei den Griechen nicht überliefert, daß jemals ein solcher Unterschied gemacht worden sei. Ein Ungepanzerter ist nicht imstande, gegen einen Gepanzerten wirklich zu fechten. Die Aufstellung von einigen Reihen Ungepanzerter hinter den Gepanzerten würde also nicht viel mehr als eine Art Demonstration gewesen sein. Das Bewußtsein, von[32] diesen Hintermännern doch keine wahre Unterstützung empfangen zu können, würde den Druck, das Vorwärtsschieben der vorderen Glieder, worin ja der Wert der hinteren Glieder besteht, sehr stark abgeschwächt haben. Kam es wirklich an irgend einer Stelle dazu, etwa durch zufälliges Zerreißen der Phalanx, daß der gewappnete Feind in die ungewappneten hinteren Glieder gelangte, so hätten diese sofort zurückweichen müssen, und die Flucht an der einen Stelle riß leicht das ganze Heer mit sich fort.

Am allerwenigsten wäre es deshalb angegangen, etwa unzuverlässige Leute, Sklaven, in die hinteren Glieder der Phalanx zu stellen. Sie nützten dort nichts, konnten aber durch vorzeitige, wohl gar böswillige Flucht leicht auch bei den Hopliten eine Panik hervorrufen.

Diese Darlegung hebt natürlich den umgekehrten Satz, daß, wenn man weniger gut bewaffnete Leute hat, diese in die hinteren Reihen gestellt werden, nicht auf. Solche leicht oder nur stückweise Bewaffneten können sich auch dadurch nützlich machen, daß sie den eigenen Verwundeten helfen, feindliche Verwundete, über die das Gefecht hinweggeht, vollends töten oder gefangen nehmen. Das sind aber nur sekundäre Dienste, und die Phalanx als solche postuliert möglichst vollgerüstete Krieger durch alle Glieder hindurch.

Von höchster Bedeutung ist es bei solcher Fechtweise, was für Leute im ersten Gliede stehen. Immer wieder preist Tyrtäus in seinen Kriegsliedern die Männer des Vordergefechts »ἐν προμάχοισι«. Die späteren Theoretiker empfehlen den Feldherren, in das erste und letzte Glied die zuverlässigsten Leute zu stellen, um die ganze Phalanx zusammenzuhalten. Ein angeklagter athenischer Bürger führte vor Gericht für sich an, daß er sich freiwillig in einer gefährlichen Schlacht habe ins erste Glied stellen lassen.20

Wenn in Lacedämon die Spartiaten und Periöken gleichmäßig als Hopliten ins Feld ziehen, die Spartiaten aber als[33] Berufskrieger für viel mehr gelten als die Periöken, die für gewöhnlich ihrem wirtschaftlichen Beruf nachgehen, so erklärt sich das wohl am besten so, daß die Spartiaten vorwiegend die ersten Glieder der Phalanx bildeten.21

Fernwaffen sind mit einer Hopliten-Phalanx nur in sehr geringem Maße zu verbinden. Der Bogen war bei den Griechen eine altangesehene Waffe; der Nationalheros Herakles war Bogenschütze. Bei den Athenern wird in dem Feldzuge von Platää ein besonderes Bogner-Korps erwähnt. Aber seit die Spießkämpfer eine Phalanx bildeten, war der Bogen in den Hintergrund gedrängt worden, weil die beiden Waffengattungen sich, wenn auch nicht gerade einander ausschließen, doch sehr schlecht miteinander kombinieren lassen. Die Bogner, Schleuderer, Speerwerfer können vor, neben und hinter der Phalanx gedacht werden. Wenn sie vor der Front ausschwärmen, müssen sie vor dem Zusammenstoß der beiden Phalangen verschwunden sein, also sich um die Flügel herumgezogen haben. Wollten sie sich durch die Phalanx selbst durchdrängen, so würde die Unordnung und der Aufenthalt, der dadurch entsteht, viel mehr Schaden anrichten, als die Verluste, die sie etwa dem Feinde beigebracht haben, nützen. Um sicher um die beiden Flügel herumzukommen, müßten die Schützen schon den Rückzug antreten, wenn die Phalangen noch viele hundert Schritt voneinander entfernt sind. Hat der Feind gar keine Schützen und man schickt ihm Schützen entgegen, die ihn auf dem Anmarsch fortwährend beschießen, so könnte ihm das allerdings wesentlichen Abbruch tun. Haben aber beide Teile Schützen, so werden sich wesentlich nur diese untereinander beschießen und das entscheidende Phalangen-Gefecht davon gar nicht beeinflußt werden. Von den beiden Flügeln der Hopliten-Phalanx aus könnten, schräg schießend auf den anrückenden Feind, eine Anzahl Schützen Einfluß auf den Gang der Schlacht gewinnen.[34] Aber wir finden von solchem Tun keine erkennbaren Spuren, auch nicht in den späteren Griechen-Schlachten.

Stellt man endlich Schützen hinter die Phalanx, so können sie von dort aus kurz vor dem Zusammenprall ihr Geschoß entsenden; viel Wirkung aber kann es, ohne eigentliches Zielen, in hohem Bogen geschleudert, nicht haben, besonders wenn, wie es die Regel ist, die eigene Phalanx im Sturmschritt dem Feind entgegengeht. Wir finden daher eine derartige Schützenverwendung wohl öfter theoretisch empfohlen22, praktisch aber ist sie nur selten in Anwendung gekommen, z.B. in dem Gefecht, das Thrasybul den 30 Tyrannen in den Straßen des Piräus lieferte. (Xen. Hell. II, 4.) Hier standen aber die Krieger Thrasybuls nur 10 Mann tief auf einer Höhe und erwarteten den Feind, der 50 Mann tief die Straße heraufkam; die von oben auf die dichte Masse geschleuderten Geschosse konnten also unter diesen besonderen Umständen sehr gute Dienste tun.

In der Regel aber sind die Schützen nur Hilfswaffe. Die eigentliche Schlachttruppe der Griechen in den Perserkriegen besteht bloß aus Hopliten.

Trotzdem rechnet Herodot auf jeden Hopliten einen Ungewappneten (ψιλός) in den Perserkriegen und zählt diese Ungewappneten bei seiner Berechnung der Heeresstärke mit. Die späteren griechischen Historiker erwähnen auch wohl öfter große Massen von Ungewappneten, rechnen sie aber nicht eigentlich als Krieger, und wie wir gesehen haben, mit Recht, da sie für die Schlacht so gut wie nicht in Betracht kamen. Wir haben hier eine Schwierigkeit, die uns noch öfter, namentlich bei den Ritterheeren des Mittelalters, begegnen wird. Die scharfe Scheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, die uns heute als selbstverständlich erscheint, ist nicht so strikte durchführbar. Der griechische Hoplit hat sehr schwer an seiner Rüstung zu tragen und sorgte für die kurze Zeit, die die Feldzüge zu dauern pflegten, selbst für seinen Unterhalt. Die meisten waren Männer von Besitz, nicht mehr in den jüngsten Jahren. Sie konnten daher einen Gehülfen, als Träger, Fouragierer, Koch, im Verwundungsfalle[35] Pfleger, kaum entbehren. Jeder Hoplit mußte einen zweiten Mann, sei es einen Sohn, Bruder, Nachbarn oder auch nur einen zuverlässigen Sklaven bei sich haben. Dieser Gefährte ist nicht völlig unbewaffnet; er hat wenigstens einen Dolch im Gürtel oder ein Handbeil und vielleicht auch noch einen leichten Spieß. Gilt es, das feindliche Land zu verwüsten, da der Feind sich nicht zur Schlacht stellt, so können das die Ungewappneten besser als die schwerfälligen Hopliten. In der Schlacht mag ein Teil auf den Flanken der Phalanx vorgehen, um den Feind durch Schleudern von Steinen und Wurfspießen beim Vorgehen zu belästigen; ein anderer Teil mag der Phalanx folgen, um die hingestürzten Verwundeten sofort aufzunehmen und zu versorgen, feindliche, die in ihre Hände fallen, gefangen zu nehmen oder zu töten. Diese Ungewappneten sind also nicht bloße Troßknechte, sie haben auch gewisse kriegerische Funktionen, aber es gibt doch ein falsches Bild, wenn man sie mit den Hopliten einfach zusammenzählt, um die Heeresstärke zu bestimmen. Das Richtige ist vielmehr, wie die Griechen es meist selber getan haben, nur die Hopliten und etwaige Reiter und Schützen, die als solche besonders genannt werden, zu zählen; dabei aber im Auge zu behalten, daß annähernd dieselbe Zahl der Troßknechte vorhanden waren, die auch gewisse sekundäre kriegerische Funktionen erfüllten.

Kavallerie haben die Griechen gegen die Perser nicht verwandt.

Die Schwäche einer Hopliten-Phalanx liegt in den Flanken. Gelingt es dem Gegner, eine Phalanx in einer Flanke zu packen, während die Front beschäftigt ist, so ist sie verloren. Die wenigen Krieger der äußersten Rotten können einen Angriff kaum aufhalten, und während sie stehen bleiben müssen und die Wendung gegen den Feind machen, zwingen sie entweder die ganze Phalanx, ebenfalls zu halten, so daß die ganzen hinteren Glieder ihre eigentliche Aufgabe, vorwärts zu drücken, nicht mehr erfüllen können, oder die Phalanx reißt auseinander und wird von der Flanke aus aufgerollt.

Sehr anschaulich ist das geschildert23 in einem Gefecht bei Korkyra im Jahre 373. Die Spartauer belagern die Stadt und[36] treiben einen Ausfall zurück. Da fallen ihnen aus den Toren andere Korkyräer in die Flanken, »acht Mann tief aufgestellt«, erzählt Xenophon weiter, »glaubten die Lacedämonier die Flanke (τὸ ἄκρον, also wörtlich die ›Spitze‹) zu schwach und versuchten umzuschwenken« (ἀναστρέφειν ἐπειρῶντο). Die letzten Rotten also suchten noch rückwärts einen Haken und eine neue Front zu bilden. Die Feinde sahen das für den Beginn der Flucht an, setzten ihnen um so kräftiger zu, die Schwenkung konnte nicht ausgeführt werden, und eine Rotte nach der anderen ergriff die Flucht.

Ganz besonders gefährlich ist der Phalanx die Kavallerie, indem sie, wenn auch noch so schwach, deren Flanke angreift. Dann ist die Kraft der Phalanx sofort gebrochen, da sie sich nicht mehr vorwärts bewegen kann, ohne in Unordnung zu geraten.

Den Ursprung der Phalanx-Aufstellung als taktischen Körpers, mit anderen Worten, wie sich das Fechten im taktischen Körper aus dem vervielfachten Einzelgefecht entwickelte, haben wir aus dem Rahmen dieses Buches ausgeschlossen und den Beginn unserer Darstellung da gesetzt, wo bei den griechischen Staaten der taktische Körper der Hopliten-Phalanx unzweifelhaft existiert und eine hohe Wirksamkeit zeigt. Einige Andeutungen über das Voraufgehende möchte ich mir jedoch nicht versagen.

Manches deutet darauf hin, daß die Dorier, die sich einen Teil der peloponnesischen Landschaften unterwarfen, zuerst den Wert des festen Zusammenhaltens der Krieger nicht bloß erkannt, sondern auch zu praktischer und wirksamer Ausübung gebracht haben. In der legendarischen Überlieferung über die messenischen Kriege, wie sie uns bei Pausanias erhalten ist, heißt es (IV, 8, 11), die Lacedämonier hätten nicht verfolgt, weil es ihnen wichtiger sei, ihre Ordnung zu bewahren, als noch einen oder den andern Fliehenden zu töten.24 (»ἦν δὲ αὐτοῖς καὶ ἄλλως πἀτριον σχολαιοτέρας τάς διώξεις ποιεῖσθαι, μὴ διαλῦσαί τὴν τάξιν πλείονα ἔχοντες πρόνοιαν ἤ τινα ἀποκτεῖναι φεύγοντα«). Fast gleichlautend ist (Arneth, Maria[37] Theeresia V, 171) eine Aufzeichnung des Kaisers Franz I. für seinen Bruder Karl von Lothringen aus dem Jahre 1757 über die Kriegsweise der Preußen. »Sie verstünden aus einem erfochtenen Sieg nur selten bedeutsame Vorteile zu ziehen. Die Ursache sei, daß sie nichts so sehr fürchteten, als ihre Reihen in Unordnung zu bringen, weshalb sie rasches Nachdrängen meistens vermieden.«

Die älteste Erinnerung an den Ursprung der Phalanx scheint eine Legende aufzubewahren, die wir bei Polyän (I, 10) finden. Als die Herakliden gegen Sparta kriegten, wurden sie von ihren Gegnern beim Opfern überfallen. Sie ließen sich jedoch nicht erschrecken, sondern befahlen ihren Pfeifern voranzuschreiten. Die Pfeifer bliesen und gingen voran, die Hopliten aber, nach der Melodie und dem Rhythmus einherschreitend, bildeten und bewahrten unzerreißbar die Schlachtreihen und siegten (οἱ δὲ ὁπλῖται πρὸς τὸ μέλος καὶ τὸν ῥυθμὸν ἑμβαίνοντες ἂρρηκτοι τήν τάξιν ἐγένοντο καὶ τοὺς πολεμίους ἐνίκησαν). Diese Erfahrung lehrte die Läcedämonier, die Pfeifer immer als Führer in der Schlacht zu haben, und der Gott verhieß ihnen, sie würden immer siegen, so lange sie mit Pfeifern und nicht gegen Pfeifer kämpften. –Der Pfeifer ist in diesem Zusammenhang nichts anderes, als die taktische Ordnung; ein Haufe von einzeln kämpfenden Helden marschiert nicht nach dem Takt und würde durch das unregelmäßige Geräusch seines Vorgehens sogar die Pfeifer übertönen.


1. Auch Plutarch, Lycurg c. 22 und Thucydides (V, 70) erzählen, daß die Läcedämonier langsam und nach dem Takt und nach der Weise zahlreicher Pfeifer in die Schlacht zögen.

Mit Unrecht ist jedoch hieraus geschlossen worden (Liers S. 177), daß die Spartaner bis zum tatsächlichen Zusammenstoß in diesem Schritt geblieben seien und keinen Anlauf gemacht hätten wie die Athener. Anmarsch mit Musik und Tritt verträgt sich durchaus damit, daß die eigentliche Attacke zuletzt mit Marsch Marsch gemacht wird, wie die Natur, man kann sagen, die Psychologie der Sache das verlangt.

Auch Polybius IV, 20, 6 berichtet, daß die alten Kreter und Lacedämonier im Kriege statt der Trompete »αὐλὸν καὶ ῥυθμόν«, also ein taktmäßiges Pfeifen- oder Flötenspiel eingeführt hätten.

2. Sieht man näher zu, so findet man in den Fragmenten der Tyrtäus-Lieder, wie schon Ad. Bauer (a.a.O. p. 242, zw. Aufl. 304)[38] richtig bemerkt hat, Spuren, daß dem Sänger geschlossene Reihen vorschweben, namentlich 10, 15 Bergk »μάχεσθε παρ᾽ ἀλλήλοισι μένοντες«. Andere Stellen deuten freilich mehr auf Einzelkampf, wie in der Ilias, z.B. die Anrede an die Gymneten am Schluß von Nr. 11, aber die Existenz taktischer Körper schließt ja Einzelkämpfe und häufige Einzelkämpfe nicht aus.

3. Im Bürgereid der Athener war besonders ausgesprochen: »οὐσ᾽ ἐγκαταλείψω τὸν παραστάτην ᾧ ἄν στοιχῶ.«

Diesen Zitaten hat OLSEN, Schlacht bei Platää (Progr., Greifswald 1903) S. 15 noch die folgenden beiden schönen Stellen hinzugefügt: Sophokles Antigone v. 670: »δόρους ἂν ἐν χειμῶνι προστετάγμενον μένειν δίκαιον κἀγαθὸν παραστἀτην« und Thucydides II 11, 9 Rede des Archidamos: »ἕπεσθ ὅπῃ ἅν τις ἡγῆται, κόσμον καὶ φυλακὴν περὶ παντὸς ποιούμενοι. ... κἅλλιστον γὰρ τόδε καὶ ἀσφαλέστατον πολλοὺς ὄντας ένὶ κόσμῳ χρωμένους φαίνεσθαι«.

4. Auf Grund einer höchst sorgsam durchgeführten Zusammenstellung und Vergleichung der literarischen Quellennachrichten mit den überlieferten Vasenbildern hat in jüngster Zeit HELBIG nachzuweisen gesucht25, daß in Griechenland (mit Ausnahme von Thessalien) bis nach den Perserkriegen überhaupt keine Kavallerie existiert habe, sondern daß die ἱππεῖς, die Frage liegt ja im wesentlichen vor dem Zeitpunkt, wo meine Untersuchung einsetzt, ich will aber doch nicht unterlassen zu bemerken, daß mir Helbigs Beweisführung nicht zwingend erschienen ist, und daß sich manches sehr Gewichtige dagegen einwenden läßt. Vor allem sind prinzipiell die Begriffe Kavallerie und Infanterie viel zu modern, das heißt viel zu scharf gefaßt; wer den dritten Band dieses Werkes liest, wird finden, daß es Krieger zu Fuß und zu Pferde gegeben hat, auf die sich weder das Wort Infanterie noch Kavallerie anwenden läßt. Auch Helbigs Begriff der berittenen Infanterie ist daher von vornherein anfechtbar, und das ist nicht etwa ein bloßer Wortstreit, sondern diese Grundbegriffe beherrschen die gesamte Untersuchung; namentlich die Interpretation der Szenen auf den Vasenbildern wird unausgesetzt bestimmt durch die Vorstellung, daß, wo Pferde und bewaffnete Männer vorhanden sind, man nur zu wählen habe, ob es sich um Infanteristen oder Kavalleristen handle. Wer sich genügend in die Natur der mittelalterlichen Ritterkämpfe eingelegt hat, wird finden, daß die griechischen Vasenbilder oft eine andere Deutung zulassen, als Helbig sie ihnen gibt, z.B. wenn er die Kampfesszene Figur 37, S. 255 so auslegt, daß zwei berittene Hopliten überfallen würden und nicht mehr Zeit hätten, vom Pferde zu steigen, um zu kämpfen, so möchte ich eher glauben, daß sie überfallen werden, ehe sie Zeit haben, aufs Pferd zu[39] steigen, um, sei es entweder zu Pferde zu kämpfen oder zu fliehen. Auch die Auslegung auf S. 188 scheint mir nicht zulässig, und so noch mehrere andere.

Helbigs Vorstellung ist, daß Bürger zu Pferde, sogar mit zwei Pferden, zum Kriege aufgeboten seien, um im Falle des Gefechts in die Phalanx als Hopliten einzutreten, nach dem Gefecht aber wieder aufzusitzen und zu verfolgen. Das scheint mir unannehmbar. Daß ein wohlhabender Mann, der bestimmt wird, mit auszuziehen, sich, um nicht laufen zu müssen, auf sein Pferd setzt und nachher als Hoplit kämpft, mag vorgekommen sein. Daß die Pferdebesitzer nach der Entscheidung des Phalanxkampfes schleunigst zu ihren Pferden gelaufen, aufgesessen sind und den geschlagenen Feind verfolgt haben, mag auch vorgekommen sein, obgleich der Begriff einer derartigen Verfolgung in der älteren griechischen Geschichte nirgends bezeugt ist und sich mit ihr kaum verträgt. Ganz sicher aber ist nicht das ganze Institut der berittenen Hopliten um dieser Zwecke willen vom Staate organisiert worden. Bei den meisten Gelegenheiten liegt es doch auf der Hand, daß die berittenen Krieger für die Entscheidung viel mehr leisten konnten, wenn sie nicht absaßen, sondern die feindliche Phalanx in der Flanke zu Pferde attackierten.

Aus der Anwendung des modernen Begriffes der Kavallerie ergibt sich für Helbig auch die Forderung (S. 169), daß die Reiter sich zu gemeinschaftlichen Übungen vereinigt hätten, und er bezweifelt die Durchführbarkeit solcher Übungen. Sehr mit Recht. Aber die je zwei Reiter, die jede attische Naukrarie zu stellen hatte, waren eben nicht eine 96 Mann starke Schwadron, sondern es waren 96 einzelne Reiter oder, wenn man will, Ritter, die gemeinschaftliche Übungen so wenig abhielten, wie die mittelalterlichen Ritter sie abgehalten haben.

Daß diese Ritter unter Umständen als Hopliten in die Phalanx eintraten, ist ganz natürlich: auch die mittelalterlichen Ritter kämpften ja häufig zu Fuß, nicht nur wenn die Umstände für einen Kampf zu Pferde nicht geeignet waren, sondern auch um den andern Fußkämpfern einen größeren moralischen Halt zu geben, und ganz ebenso wie einem athenischen Reiter das zum besonderen Ruhme angerechnet wird26, finden wir es auch von Rittern des 15. Jahrhunderts gerühmt (Bd. 3, S. 468, 549). In den Perserkriegen, wo die wenigen griechischen Reiter gegen die Überzahl der persischen schlechterdings nutzlos gewesen wären, ist es daher selbstverständlich, daß die vornehmen Athener in den Reihen der Hopliten kämpfen, und Helbigs Schluß (S. 160), daß, da die Griechen bei Marathon und Platää keine Kavallerie zeigen, sie keine gehabt hätten, ist nicht zwingend.

Auf die Einzelheiten der Helbigschen Untersuchung einzugehen, erübrigt sich für uns, da sie auch, so weit sie in unsere Periode fallen, mehr in das Gebiet der Antiquitäten gehören. Hier hat eine erneute Untersuchung noch das letzte Wort zu sprechen. Denn wenn ich auch den Grundgedanken und die positive Lösung Helbigs nicht habe akzeptieren können, so hat er[40] doch darin unzweifelhaft recht, daß in der Überlieferung Widersprüche stecken, die bisher unbeachtet und ungehoben geblieben sind. Schon die Fragestellung, die Zusammenbringung des weitzerstreuten Stoffes und die scharfsinnige Kombinierung war ein großes Verdienst. Die definitive Lösung aber steht noch aus und die Rätsel sind geblieben.

Ganz besonders auffallend für unsere Empfindungen ist die Angabe Pausanias' (I, 18; Helbig S. 180), daß in einem athenischen Tempel Standbilder der Dioskuren gewesen seien, die Herren zu Fuß, ihre Diener zu Pferde. Das wäre heute die verkehrte Welt.[41]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 31-42.
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