Neuntes Kapitel.

Schlacht bei Platää.

[96] Die Führer der Hellenen verkannten nicht, wo und wie sie ihren Gegenstoß gegen die nur einen Schritt zurückgewichene und immer von neuem drohende persische Offensive zu führen hatten. Schon gleich nach der Schlacht von Salamis soll Themistokles vorgeschlagen haben, daß die Flotte nach dem Hellespont fahre und die persischen Brücken zerstöre; das ist die dem Verständnis der Menge angepaßte Form für einen Zug nach Thracien und Kleinasien, um die dortigen Griechen zum Abfall von den Barbaren zu ermutigen. Bloß um die Hellespont-Brücke zu zerstören, hätte Themistokles sich nicht zu bemühen brauchen; das besorgten Wind und Wetter auch ohne die Griechen.

Der Plan des Themistokles fand bei seinen Landsleuten keinen Beifall; sie sollten in die Ferne ziehen, während das große persische Heer ihre Heimat verwüstete? Auch im nächsten Frühjahr vermochte Themistokles mit seiner Idee so wenig durchzudringen, daß die Athener statt seiner, des Siegers von Salamis, seine politischen Gegner Aristides und Xanthippus zu Feldherren wählten.

Besseres Verständnis fand Themistokles bei den Spartanern – ganz natürlich: gelang der Plan, so mußte Mardonius den hellenischen Boden verlassen, und die Landschlacht, die die Spartaner so sehr fürchteten, war überflüssig geworden.

In dem Zwiespalt zwischen beiden führenden Staaten geschah zunächst gar nichts. Die Athener verlangten, daß die Peloponnesier mit ganzer Macht vorrückten und Attika gegen eine Invasion der Perser decken halfen. Die Spartaner bestanden auf der See-Expedition. Jeder suchte den andern zu seinem Plan zu[96] zwingen. Die Spartaner rückten nicht aus, und die Athener mußten, als Mardonius nahte, zum zweitenmal Land und Stadt preisgeben und über das Wasser flüchten. Nun drohten sie den Spartanern, sie würden sich mit den Persern vertragen, Frieden und sogar Bündnis schließen, wenn sie vom Peloponnes keine Hilfe erhielten.

Endlich fand man einen Kompromiß. Von den Joniern kam eine Botschaft über die andere, sie seien bereit zum Abfall; es bedurfte also nicht mehr der ganzen Flotte, sondern nur eines Teiles, um die Expedition zu wagen. Dadurch wurde das Gros der athenischen Hopliten für den Landkrieg disponibel. Während bei Salamis nach der geringsten Angabe 310 griechische Trieren gefochten haben sollen, die eine Besatzung von 50-60000 Mann verlangten, gingen jetzt nur 110 Trieren mit vielleicht 20000 Mann unter Führung des spartanischen Königs Leotychides und des Atheners Xanthippus übers Meer. Das peloponnesische Hoplitenheer aber unter Pausanias sammelte sich auf dem Isthmus und nahm, als nunmehr Mardonius, um nicht mit verkehrter Front zu schlagen, Attika verließ, eine Stellung am Kithäron bei Platää, die Attika deckte. Hier aber blieb er stehen, und die Perser lagerten sich ihnen gegenüber in der Ebene. Keiner griff den andern an.

Bis zu dieser Stelle haben wir die Darstellung führen können, ohne in eine besondere Untersuchung über die Größe der beiden Heere einzutreten. Das Eine ist deutlich, daß die Perser sich den Griechen taktisch überlegen fühlten und daß diese eine Schlacht im freien Felde nicht zu liefern wagten. Seit dem vorigen Jahr hatten sich die Verhältnisse für die Griechen insofern viel günstiger gestaltet, als ein Teil der Flottenmannschaft, die bei Salamis gekämpft hatte, jetzt zu Lande diente, namentlich von den Athenern, Megarern, Ägineten und Korinthern. Deshalb konnte man jetzt die Attika deckende Stellung bei Platää einnehmen, was man sich ein Jahr vorher noch nicht getraut hatte. In Anbetracht, daß immer noch ein Teil der Mannschaft von den Schiffen in Anspruch genommen war, zugleich aber die höchsten Anstrengungen gemacht wurden, dürfen wir annehmen, daß die Spartaner und Athener je etwa 5000 Hopliten, alle anderen zusammen etwa ebensoviele[97] dort hatten, das gesamte Heer also ungefähr 20000 Hopliten stark war und mit ebensoviel Ungewappneten eine Masse von 40000 Mann bildete. Die Perser mit den ihnen unterworfenen Griechen werden annähernd ebenso stark gewesen sein. Hätte Mardonius eine bedeutende oder gar doppelte Überlegenheit gehabt, so hätte er nicht still gelegen am Asopus, sondern mit der einen Hälfte seines Heeres die Griechen durch einen der östlichen Pässe des Kithäron umgangen und ihnen die Zufuhr abgeschnitten oder sie im Rücken angegriffen, während er sie mit der anderen in der Front festhielt.

Selbst bei nur mäßiger numerischer Überlegenheit hätte Mardonius das Umgehungs-Manöver wohl noch machen können und gemacht, ohne Sorge, daß die getrennten Armee-Teile isoliert angefallen und geschlagen werden könnten. Denn an militärischer Qualität den hellenischen Landwehren wenigstens gleich, war das persische Heer dem Gegner durch die Zusammensetzung aus den verschiedenen Waffengattungen an Manövrierfähigkeit so sehr überlegen, daß auch ein isoliertes Korps nicht so leicht gegen seinen Willen zur Schlacht gezwungen werden konnte. Durch den Hinzutritt der griechischen Gemeinden hatten die Perser neben ihren Reitern und Bognern jetzt auch Hopliten. Das Stillsitzen am Asopus findet daher nur dann seine genügende Erklärung, wenn wir annehmen, daß Mardonius den Griechen an Zahl nur knapp gewachsen, wohl eher um einige, vielleicht sogar um ziemlich viele Tausend Mann schwächer war.

Aus der Stärke des Mardonius dürfen wir jetzt nachträglich schließen, daß auch Xerxes ein Jahr vorher etwa ebenso viel Krieger gehabt hat. Die Verluste und die Truppen, die ihn zurückgeleiteten und bei ihm blieben, werden durch die Kontingente der unterworfenen Griechen sowie einige ausgeschiffte Seesoldaten54 reichlich ausgeglichen worden sein. Der Troß seines Heeres wird vermutlich, bei den vielen vornehmen Elementen darin, relativ stärker gewesen sein, als bei den Griechen und kann leicht einige 40000-50000 Menschen betragen haben, so daß das Ganze eine Menschenmassen von 50000-70000 Köpfen bildete, eine Menge,[98] die den Griechen unermeßbar erschien, so daß sie in den beliebigsten Zahl-Phantasien sich darüber ergingen.

Die Tradition über Platää, wie sie bei Herodot vorliegt, ist ausführlich und reich an Einzelheiten, aber voller Widersprüche, die sich bisher nicht haben entwirren lassen. Wer die rechte Vorstellung gewinnen will, wie weit sich schon nach einem Menschenalter die Legende von der realen Wahrheit entfernt, den verweise ich noch einmal auf die Geschichte der Burgunderkriege von Bullinger. Auch volks-psycholo gisch ist es höchst interessant, zu sehen, wie ähnlich die Volksphantasie bei doch so verschiedenen Völkern wie Hellenen und Schweizern gearbeitet, wie sie, ohne daß doch an Nachahmung zu denken wäre, fast identische Bilder und Typen geschaffen hat.

Aber so sehr jeder einzelne Zug, jede einzelne Erzählung als nicht wirklich bezeugt gelten muß und angezweifelt werden darf, so ganz hoffnungslos ist ein Rekonstruktions-Versuch doch nicht. So unzuverlässig die Legende in allen ihren Einzelheiten sein mag, einige Tatsachen erscheinen doch darin, die nicht wohl erfunden sein können und uns die Möglichkeit geben, das eigentlich Wichtige, das Typische, das Prinzipielle der Schlacht-Entscheidung mit Sicherheit festzustellen. Noch weiter aber mag uns die Topographie führen. Grundy in seinem schon angeführten Werke hat eine überaus sorgsame Untersuchung und Feststellung des Geländes von Platää gebracht, die mir bei der Ausarbeitung der ersten Auflage dieses Werkes noch nicht bekannt war, aber einem meiner Schüler, LUDWIG WINTER55, die Grundlage für eine, wie mir scheint, wohlgelungene Rekonstruktion geboten hat.

Durch Kombination mit den freilich sehr wenigen festen Punkten galt es, alle die Namen von Pässen, Buchten, Höhen, Tempeln, die Herodot in reicher Menge überliefert, im Gelände zu fixieren und zu sehen, ob die Bewegungen der beiden Heere sich dahineinpassen lassen. Es ist ganz ebenso wie mit Marathon und Salamis. Das Gelände, auf dem eine Schlacht geliefert wird, ist ein so wichtiges Element des Vorganges, daß, sobald dieses gewonnen ist, auch das kriegsgeschichtliche Bild sich entschleiert.

Sofort, als die Griechen aus dem Kithäron-Paß auf die nördliche[99] Seite des Gebirges heraustraten, wurden sie von den persischen Bogen-Reitern angefallen. Die Megarer, die die Spitze hatten, gerieten in Bedrängnis, bis ihnen die Athener mit ihren Bognern zu Hilfe kamen. Allmählich quollen immer mehr Griechen aus dem Paß heraus, und da sie nicht tiefer herabstiegen, sondern sich auf den Abhang hielten, so brachen die Perser, ohne ihr Fußvolk einzusetzen, das Gefecht ab.

Pausanias zeigt, daß er die Lehre von Marathon verstanden hat und sie befolgen will. Das war aber nicht so einfach. Sein Heer bestand aus den Milizen von etwa 20 unabhängigen Gemeinwesen, Leuten, die bald wieder heim wollten, um ihr Hauswesen zu besorgen und den Grund der Zander-Strategie ihres Feldherrn nicht begriffen. Pausanias wußte Rat. Er ließ sich einen Propheten kommen, dem so viel taktische Einsicht beizubringen war, daß er aus den Opfern erkannte, die Hellenen würden siegen, wenn sie sich auf der Verteidigung hielten und den Asopus, das Flüßchen vor ihrer Front, nicht überschritten. Ob gleich endlich große Not an Lebensmitteln bei den Griechen entstand, hielten sie nunmehr in ihrer Stellung aus.

Nach einigen Tagen verlegte Pausanias seine Stellung weiter nach vorn, auf den letzten Hügel am Rande der Tiefebene, an dessen Fluß unmittelbar der Asopus fließt. Die Absicht dieses Manövers war offenbar, den Feind zum Angriff zu verlocken: man setzte sich so weit aus, wie irgend möglich, ohne doch den Vorteil der rechts und links angelegten Defensiv-Stellung ganz aufzugeben.

Mardonius aber wußte nicht weniger als Pausanias, was die Taktik von ihm verlangte und was ein guter Prophet wert ist. Er ließ sich ebenfalls einen so hellsehenden Mann kommen, der aus den Opfern erkannte, daß die Perser den Asopus nicht überschreiten dürften.

Statt die Griechen auf ihrem Hügel anzugreifen, verhinderte Mardonius sie mit seinen Bognern, aus dem Asopus Wasser zu schöpfen und seine Reiter umritten sogar den Hügel und verstopften die Quelle (Gargaphia) auf der Rückseite und fingen die Zufuhr ab.[100]

Auf diese Weise brachte er die Griechen in solche Bedrängnis, daß Pausanias schließlich nichts anderes übrig blieb, als abzuziehen. Er wollte eine Stellung etwas weiter rückwärts nehmen, dicht neben der Stadt Platää, wo dem Heer weder das Wasser noch die Zufuhr abgeschnitten werden konnte. Der Abzug war nicht so einfach, da man bei der unmittelbaren Nähe des persischen Heeres leicht im Marsch angegriffen werden konnte. Man beschloß deshalb, in der Nacht abzumarschieren und das Heer in drei Kolonnen zu teilen. Die Spartaner blieben bis zuletzt. Herodot erzählt von dem Anführer eines Lochos, Amompharetos, der sich geweigert habe, zurückzugehn, sich darüber mit dem König gezankt und schließlich ihm mit beiden Händen einen Stein vor die Füße gelegt habe. Da Amompharetos aber endlich doch den andern gefolgt ist, so wird die Erzählung so auszulegen sein, daß der Hauptmann sich keineswegs dem König widersetzt, sondern im Gegenteil ihm geschworen hat, wie jener Stein auf dem Hügel auszuharren und den Rückzug zu decken.

Als die Perser am Morgen entdeckten, daß die Griechen abgezogen seien, brachen sie sofort auf und setzten ihnen nach. Sie holten sie ein, ehe die Griechen sich wieder vereinigt hatten und diese Zersplitterung der Griechen wird es gewesen sein, die Mardonius bewog, sein Orakel zu verachten und den Angriff zu befehlen.

An einer Stelle, bei den Megarern und Phliasiern, waren die Perser siegreich; sei es nun, daß jene, als die Schlacht schon entschieden war, sich unvorsichtig und ohne Ordnung in die Ebene wagten, wie Herodot erzählt, sei es, da wir uns auf die Erzählung als solche ja nicht verlassen dürfen, daß sonstwie günstige Umstände dem Reiterangriff zum Erfolge verhalfen. Die Athener ihrerseits gerieten an die griechischen Bundesgenossen der Perser und schlugen diese in einer regulären, aber wohl wenig hartnäckigen Hoplitenschlacht. Das eigentliche und charakteristische Gefecht aber lieferten die Spartaner und die ihnen angeschlossenen Tegeaten.

Als die Perser gegen die Spartaner zum Angriff vorgingen, erzählt und Herodot, überschütteten sie sie mit Pfeilen. Viele von ihnen wurden getötet und verwundet, aber sie hielten den Verlust aus und blieben stehen, weil die Opfer noch nicht günstig waren.[101] Endlich, als Pausanias die Hilfe der Hera von Platää anrief, deren Tempel von der Stellung der Spartaner sichtbar war, wurden die Opfer günstig, die Spartaner stürzten sich auf den Feind, und die Perser, ohne genügende Schutzwaffen, konnten dem geschlossenen Ansturm der eisengepanzerten Männer nicht widerstehen.

Pausanias wußte Propheten und Priester zu gebrauchen. So lange nur die Vortruppen der Perser aus der Entfernung die Phalanx beschossen, wohl um die Griechen zum verfrühten Angriff zu verlocken, hielt er seine Leute fest. Erst als die Masse der Perser näher herangekommen war, auf den Fleck, den er sich gewählt hatte, da erhob Pausanias die Hände betend zur Göttin, und sofort sah und verkündete der verständige Priester, daß das Opfer günstig geworden, und Pausanias gab das Signal zur Attacke.

Obgleich unmittelbar vorher fortwährend von den persischen Reitern die Rede ist, die die Griechen bedrängen, hören wir nichts davon, daß sie ihnen bei diesem Angriff in die Flanke gekommen wären; sie decken nur den Rückzug. Pausanias hat es also durchgesetzt, die Schlacht auf einem Gelände zu liefern, wo die persische Reiterei der Phalanx in die Flanke nicht beikommen konnte und Winter dürfte auch diese Stelle jetzt richtig bestimmt haben. Die Analogie zu Marathon ist vollständig. Alle Einzelheiten mag man bezweifeln, so viel läßt sich jedoch mit Sicherheit annehmen, daß die Perser endlich den Angriff gewagt haben und die Schlacht so wie sie von Anfang an von Pausanias angelegt war, analog derjenigen von Marathon verlaufen ist. Ohne Marathon würde man nicht imstande sein, aus der Tradition irgend einen historischen Kern herauszufinden, aber Marathon gibt den Schlüssel zum Verständnis, und von hier aus habe ich kein Bedenken, auch noch einen Schritt weiter zu gehen und die Erzählung von dem Aushalten der Spartaner in dem persischen Pfeilhagel, dem ungünstigen Opfer und dem Gebet des Pausanias für gesicherte historische Tatsachen zu erklären. Es wird wenig Beispiele in der Geschichte geben, wo wir in dem wundervollen Schmelz der volkstümlichen Legende so deutlich den Kern des geschichtlichen Ereignisses erkennen können.[102]

Nicht unmöglich scheint mir, daß bei dem Entschluß des Mardonius, die Schlachtentscheidung herauszufordern, eine strategische Erwägung mitgespielt hat, von der sich in der Überlieferung keine Spur findet, die aber durch die Natur der Dinge nahegelegt wird.

Betrachten wir den böotischen Kriegsschauplatz isoliert, so scheint es, daß es die Griechen waren, die zu einer Entscheidung drängen mußten. Mardonius hatte ja den Krieg jetzt auf Mürbemachen angelegt; er ließ sich von den unterworfenen Griechen verpflegen und bedrohte Attika mit stets neuer Verwüstung. Aber Böotien ist nur ein Teil des Kriegsschauplatzes. Es kann Mardonius nicht unbekannt geblieben sein, die Griechen selbst werden dafür gesorgt haben, daß er es erfuhr, daß ihre Flotte nach Jonien abgesegelt war und daß sie hofften, dort den Aufstand zu entzünden. Die Vermutung ist wohl nicht zu gewagt, daß Xerxes selbst in Sardes die Gefahr erkannt und dem Mardonius eine Botschaft hat zukommen lassen, er möge sich beeilen, in Hellas eine Entscheidung herbeizuführen und einen Teil seiner Truppen zurückschicken, um Jonien zu decken und im Gehorsam zu erhalten. Mardonius also hatte jetzt das stärkere Motiv, die Entscheidung zu suchen, und so würde sich erklären, daß er trotz seiner richtigen Erkenntnis, daß es taktisch für ihn günstiger sei, wenn er in der Defensive bliebe und in der Ebene den Angriff der Griechen abwartete, schließlich doch seinerseits zum Angriff schritt.

Unerklärt bleibt, weshalb ein Korps der Perser unter dem Kommando des Artabazus nach Herodots Erzählung an der Schlacht nicht teilgenommen hat; vermutlich ist es einfach zu spät gekommen.

Daß die Griechen ihre Kräfte teilten und, während sie dem mardonius entgegengingen, gleichzeitig eine große Flotte abschickten, erscheint formell als ein großer Fehler. Warum schlugen sie nicht erst mit versammelten Kräften den Mardonius und zogen dann übers Meer? Die Strategie zeigt sich hier, wie wir das noch oft sehen werden, abhängig von der Taktik. Auch 10000 Hopliten mehr hätten die Griechen nicht befähigt, in die böotische Ebene hinabzusteigen und den Perser an[103] beliebiger Stelle auf freiem Felde anzugreifen. Sie konnten nichts anderes tun, als ihm eine Defensivschlacht auf einem gegen seine Reiterei gedeckten Terrain anbieten und ihn zum Angriff zu verlocken suchen. Das geschah durch die See-Expedition, vielleicht auch durch den wiederholten Stellungswechsel, den Pausanias vornehmen ließ. Will man in all' diesem Zusammengreifen nur Zufall, in den Prophetensprüchen und Opferzeichen nur Einwirkungen blinden Aberglaubens sehen? Zu widerlegen wäre eine solche Ansicht nicht, aber ich traue dem Themistokles und Pausanias zu, wie die Griechen sie uns schildern, daß sie wußten, was sie taten. Neben dem Miltiades und Leonidas was für Männer, die den strategischen Blick und das Heldentum mit der Verschlagenheit und Feinheit des überlegenen Geistes zu verbinden wissen, von fern her die Dinge überschauen und zu den äußersten Mitteln, dem Schein des Verrats, der Ausnützung des Aberglaubens der Menge greifen, um zu ihrem hohen Ziel zu gelangen!


1. Gleichzeitig mit der Schlacht von Platää siegten die Griechen auch in Kleinasien bei Mykale. Hier, wo persische Reiterei nicht erwähnt wird, sollen die Griechen die Angreifer gewesen sein. Die Jonier gingen während der Schlacht zu ihnen über. Da die Hoplitenbesatzung der griechischen Flotte jedenfalls nur sehr klein war, so muß auch das persische Heer, wenigstens nach Abzug der Jonier, sehr klein gewesen sein; ein neuer Beweis, daß Xerxes über große Kriegermassen nicht verfügte, sonst hätte es ihm in der Zwischenzeit von fast einem Jahr seit Salamis nicht schwer sein können, ein neues Heer aufzustellen. Die kriegerische Tüchtigkeit der Perser war noch nicht gebrochen; noch etwa 25 Jahre später brachten sie einem bedeutenden athenischen Heer in Ägypten eine Niederlage bei und vernichteten es vollständig.

2. Derselbe sinnreiche Seher, der die Spartaner bei Platää so gut führte, war auch bei ihnen, als sie etwa im Jahre 467 in schwerer Schlacht die Arkadier bei Dipäa besiegten. In der Nacht vor dieser Schlacht hatte sich im spartanischen Lager ein Altar mit glänzendem Rüstzeug geschmückt selber aufgebaut und um ihn herum sah man die Spuren zweier Rosse. Daraus erkannten die Krieger, daß die göttlichen Dioskuren ihnen zu Hilfe gekommen seien und wurden von solchem Mut und solcher Begeisterung ergriffen, daß sie die an Zahl weit überlegenen Feinde besiegten. Der aufgeklärte Grieche aber, der uns diese Geschichte überliefert, erzählt, König Archidamus habe die Altäre aufrichten und die Pferde herumführen lassen, um den Mut seiner Krieger zu erhöhen. Herodot IX, 35, Polyän, Strateg. I, 41.

3. Ich komme hier noch einmal auf das Buch von HAUVETTE zurück.[104]

Hauvette glaubt an die 2100000 Krieger des persischen Landheeres; um einige 100000 Mann möge die Zahl vielleicht übertrieben sein, aber speziell die 80000 Reiter scheinen ihm eine ganz glaubliche Zahl (p. 311, p. 312). Mein Einwand, daß die persische Armee nach modernen Verhältnissen von Berlin bis Damaskus gereicht haben würde und, selbst auf den dritten Teil der Ausdehnung reduziert, den ein modernes Heer beansprucht, so lang gewesen sein würde, daß, als die ersten vor Thermopylä ankamen, die letzten gerade aus Sardes ausmarschieren konnten – dieser Einwand macht auf Hauvette keinen Eindruck, da ja die Verhältnisse antiker Heere ganz anders waren als die der modernen. Die modernen Heere marschieren nur vier Mann breit, damit die eine Hälfte der Straße frei bleibt, und überdies bleibt zwischen den Kompagnien, Bataillonen, Regimentern, Divisionen stets ein erhebliches Intervall. Dergleichen kannten nach Hauvette die Perser nicht. Xenophon läßt in der Cyropädie einmal 10000 Mann Kavallerie eine Karree von 100 Mann Breite und 100 Mann Tiefe formieren; ähnlich können die Perser des Xerxes marschiert sein.

Die Breite, in der ein Truppenteil marschiert, hängt ab von der Breite der Straße. Ist die Straße auch nur an einigen wenigen Stellen zu schmal für die Marschkolonne, so gibt das eine Marschstockung, die sich progressiv nach hinten fortpflanzt und zuletzt ganz unerträglich wird. Die weiter hinten Marschierenden müssen Stunden lang warten und verbrauchen ihre Kräfte dabei oder laufen, wenn sie nicht sehr gut diszipliniert sind, auseinander. Die Vordersten kommen ebensoviel voraus, und die Kolonne reißt völlig auseinander. Jede gute Führung legt daher den höchsten Wert darauf, Marschstockungen zu vermeiden oder, da das bei größeren Massen kaum je erreicht wird, sie auf ein Minimum zu reduzieren. Deshalb sind die Intervalle zwischen die verschiedenen Truppenteile eingelegt, damit die kleineren Stockungen sofort ausgeglichen werden können, und die höheren Vorgesetzten sind fortwährend damit beschäftigt, die Intervalle aufrecht zu erhalten. Haben, wie Hauvette meint und wohl möglich ist, die Perser diesen Kunstgriff nicht angewandt, so müssen ihre Marschkolonnen relativ sich noch länger ausgedehnt haben, als die modernen. Mit gutem Bedacht sehen auch moderne Truppen darauf, daß die eine Hälfte des Weges möglichst frei bleibt. Bei jeder marschierenden Truppe ist es durchaus nötig, namentlich in Feindesland, daß neben den Truppen her eine Kommunikation für die höheren Offiziere, Befehlsüberbringer, Meldungen, unter Umständen auch für schnelles Vorziehen einer bestimmten Truppe, etwa der Kavallerie, möglich ist. Das kann bei den Persern nicht anders gewesen sein. Auf dem langen Wege von Sardes zum Hellespont und vom Hellespont bis Attika sind zahlreiche Flüsse zu überschreiten, gebirgiges Land zu durchqueren, Pässe zu überwinden. An vielen Stellen werden die Brücken, Furten und Bergwege nicht breiter, sondern schmäler gewesen sein, als die, mit denen moderne Heere rechnen. Nicht 100, oft gewiß nicht einmal vier, sondern nur zwei Mann breit werden die Perser marschiert sein, indem sie dabei natürlich möglichst viel Parallel-Straßen benutzten.[105]

In den handschriftlichen Aufzeichnungen eines Generals vom preußischen Garde-Korps vom 18. August 1870, das an diesem Tage auf besonderen Befehl mit breiteren Fronten vormarschierte, habe ich eine längere Ausführung darüber gefunden, daß ein solches Marschieren mit breiter Front auf Chausseen, nach den Erfahrungen des Schreibers, seinen Zweck nicht erreiche, »vielmehr nur durch häufiges Stutzen, Abbrechen und Wiederaufmarschieren sehr ermüdete und ganz natürlich bei einem so langen Marsch Lücken entstehen ließ, die als Unordnung erschienen«.

Der Unterschied zwischen Hauvettes Annahme – gegen 1700000 Krieger – und der meinigen – höchstens 25000, eher wohl 15000 bis 20000 Krieger – ist groß, aber ein ganz passender Ausdruck für die methodische Verschiedenheit unserer Forschung. Diese ist so groß, daß irgend eine Verständigung unmöglich erscheint. Jedes einzelne Faktum in den Perserkriegen, jeder Versuch einer kausalen Erklärung des Zusammenhanges muß anders erscheinen, je nachdem man diese oder jene Heereszahl annimmt, oder sich ihr auch nur nähert. Ich glaube daher, auf Einzelheiten nicht weiter eingehen zu sollen und verzichte auf Widerlegung anderer falscher Vorstellungen in diesem Buche, indem ich noch einmal hervorhebe, daß es Hauvette keineswegs weder an Gelehrsamkeit noch an Scharfsinn fehlt, daß unsere Methode aber eine verschiedene ist – natürlich nur eine praktisch verschiedene: prinzipiell verwirft auch Hauvette die Sachkritik nicht. Auch er hat ja z.B. in der Frage des Laufschritts von Marathon, in dem Hinweis auf die Marsch-Intervalle u.s.f. sachliche Erwägungen herangezogen. Aber er führt sie nicht durch und gibt sich der Selbsttäuschung hin, daß, wo ein bloß philologisch gebildetes Auge keine Unmöglichkeiten sieht, auch keine vorhanden seien.

4. Welche Masse das Heer des Xerxes ausmachte und nach meiner Zahlen-Berechnung, macht man sich am besten klar, wenn man es sich marschierend vorstellt. 20000 Krieger oder mit dem großen Troß im Ganzen wohl 70000 Köpfe stark, mit viel Pferden, geringer Marsch-Disziplin, oft auch beengten, unebenen, durch Steigungen, Wasserrisse und andere natürliche Hemmungen beeinträchtigten Straßen müssen wir es uns (wo es nicht Parallelstraßen benutzen konnte) als eine Kolonne von wenigstens 10 Meilen Tiefe vorstellen. Liegt nicht Besonderes vor, so wird die Spitze nicht vor 5 Uhr morgens aufbrechen, die Queue nicht nach 6 Uhr abends ins Lager kommen sollen. Will man zwei Meilen, gleich vier Stunden, marschieren, so müssen die Letzten um 2 Uhr nachmittags abmarschieren, d.h. noch nicht die Hälfte des Heeres erreicht am ersten Tage des Marschziel, oder mit anderen Worten: mehr als zwei Tage lang sehen die Anwohner unausgesetzt neue Truppen heranziehen und auch am dritten Tage kommen noch welche und vermutlich auch in den nächsten Tagen noch viele Nachzügler. Kein Wunder, daß hier alles Zählen aufhört.[106]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 96-107.
Lizenz:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.

244 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon