Fünftes Kapitel.

Die Schlacht von Zama-Naraggara

und die Treffen-Taktik.

[391] Nur mit einem mäßigen Heer war Scipio nach Afrika übergegangen, aber wie Hannibal einst in Italien, hatte er in Afrika seine Ergänzung gesucht und gefunden. Er hatte die beiden ersten Jahre, während Hannibal noch in Italien war, sehr vorsichtig operiert und hauptsächlich erreicht, daß ein Teil der Numider sich von den Karthagern loslöste und auf die Seite der Römer trat. Der mächtigste Scheik der karthagerfreundlichen Numider, Syphax, fiel in römische Gefangenschaft, und sein Widerpart Masinissa gewann die Herrschaft. Nicht eher ließ sich Scipio in die Entscheidungsschlacht mit Hannibal ein, als bis ihm Masinissa 6000 Mann zu Fuß und 4000 numidische Reiter zugeführt hatte. Die Römer waren dadurch in dieser Waffe bei Zama-Naraggara den Puniern weit überlegen. Selbst die römischen Berichte, die wir allein haben, geben an, daß Hannibal nur 2000-3000 Reiter gehabt habe.

An Fußvolk waren wahrscheinlich die Karthager um einiges stärker, überdies hatten sie eine Anzahl Elefanten, die den Römern fehlten: aber die Elefanten spielen auch in dieser Schlacht keine wesentliche Rolle; in der Hauptsache sind es dieselben Truppenarten, umgekehrt verteilt wie bei Cannä. Die innere Struktur aber ist eine ganz andere.

Wie bei Cannä haben beide Heere auf beiden Flügeln der Infanterie die Kavallerie; diese beginnt die Schlacht, und die stärkere, also hier die römische, schlägt die schwächere, die karthagische, aus dem Felde.[391]

Um den Sieg von Cannä zu gewinnen, war es aber einst nicht nur notwendig gewesen, daß die 10000 punischen Reiter die 6000 römischen warfen und schlugen, sondern auch, daß sie unmittelbar nach ihrem Siege sich wieder sammelten und zu dem Angriff in den Rücken der römischen Phalanx schritten. Das ist außerordentlich schwer. Wir haben bereits eine Reihe von Schlachten kennen gelernt, wo ein Kavallerieflügel, selbst unter persönlicher Führung des Oberfeldherrn, siegte, die siegreichen Reiter aber, statt sich nun an das feindliche Fußvolk zu machen, hinter den geschlagenen feindlichen herjagten und dadurch ihren Erfolg für den Ausgang der Schlacht wertlos machten. So geschah es bei Ipsus unter Demetrius, bei Raphia unter Antiochus, bei Mantinea unter Machanidas, so ging es in späteren Jahrhunderten z.B. auch mit der österreichischen Kavallerie bei Mollwitz. Tapferen Reitern zugleich Appell beizubringen, dazu gehört eine militärische Erziehung, die nicht so leicht und nicht von heut auf morgen zu geben ist. Darum gehörte zu dem Siege von Cannä nicht bloß die numerische Überlegenheit, sondern auch das von Hamilkar Barkas gebildete Offizierkorps, das die Mannschaft auch im Gefecht in der Hand zu behalten wußte. Die Numider, die Masinissa dem Scipio zuführte, kamen frisch vom Atlas und aus den Oasen. Nach den römischen Berichten hat Hannibal außer seinen Reitern 80 Elefanten gehabt, und da wir wissen, daß Elefanten am wirksamsten gegen Reiterei verwandt werden, so könnte man sich durch Kombination seiner Reiter mit den Elefanten der römischen Übermacht zu erwehren. Aber das hat er nicht getan; vielleicht war ihre Zahl viel geringer, als die Römer angeben, jedenfalls zu gering, als daß Hannibal hierauf seine Hoffnung gesetzt hätte. Er ließ vielmehr das Reitergefecht ganz wie gewöhnlich auf beiden Flügeln beginnen, ohne es wie an der Trebia durch seine Elefanten zu unterstützen, und mit Leichtigkeit siegten die Römer – mit solcher Leichtigkeit, daß wir annehmen dürfen, der Karthager habe es von vornherein gar nicht anders gewollt: Hannibal hatte den Seinen den Befehl gegeben, nicht sowohl zu schlagen, als fliehend die Feinde hinter sich her vom Schlachtfelde wegzulocken. So geschah es. Auf beiden Flügeln jagte sowohl die numidische wie[392] die italisch-römische Reiterei im Siegesrausch hinter ihren Gegnern her und entfernte sich weiter und weiter vom Platz der Entscheidung.

Im Zentrum hatten zunächst die Leichtbewaffneten miteinander geplänkelt und er Kampf war ernsthafter als gewöhnlich geworden, da Hannibal hier diesmal die Elefanten aufgestellt hatte. Da wir wissen, daß Elefanten gegen tüchtige geschlossene Infanterie nichts ausrichten, und verwundet, wild gemacht und zurückgetrieben der eigenen Infanterie gefährlich werden konnten, so fragen wir, wie Hannibal hier zu dieser Aufstellung kam. Ich denke, er wollte dadurch etwas Zeit gewinnen, um den Beginn des Infanteriekampfes hinauszuschieben. Das Manöver, das nach seiner Idee die Schlacht gewinnen sollte, konnte erst einsetzen nach Entfernung der Reiterei. Blieb die feindliche Reiterei in der Nähe, so war es für die Punier unmöglich, die Schlacht zu gewinnen. Wir werden annehmen dürfen, daß das Lager Hannibals befestigt und derartig angelegt war, daß es nicht sofort eingeschlossen werden konnte. Hannibal hätte also, wenn er es für nötig hielt, so lange noch die Elefanten vor der Front herumtobten, die Schlacht abbrechen und sich in das Lager wieder zurückziehen können. Bei Cannä hatte er sein Zentrum vorgeschoben, um möglichst schnell zum Nahkampf zu gelangen, aus dem es keinen geordneten Rückzug mehr gibt. Bei Naraggara verlängerte er künstlich durch die Einmischung der Elefanten das Gefecht der Vortruppen, um es selber möglichst lange in der Hand zu behalten, ob man in die eigentliche Schlacht eintreten solle oder nicht. Gegen die Gefahr, daß verwundete, wildgewordene Elefanten umkehrten und die eigenen Truppen niedertraten, gab es ein Mittel: die Kornaks hatten einen spitzen stählernen Keil, den sie dem Tier, wenn es sich nicht mehr regieren ließ, in den Nacken schlugen, so daß es tot zusammenbrach.194

Die Ouverture hatte der Idee des Meisters entsprochen. Die beiderseitigen Reiter gingen auf und davon, während das Gefecht der Schützen und der Elefanten sich abspielte. Die Phalangen rückten vor und um ihre Flügel oder durch ihre Intervalle zogen die Vortruppen sich zurück.[393]

Jetzt hätten wir die einfache alte Phalangenschlacht, wo die Masse und ihr Mut, nicht mehr der Feldherr entscheidet. Da geschieht etwas Neues, Unerhörtes.

Hannibal hat seine schwere Infanterie in zwei Treffen aufgestellt; im ersten stehen die karthagischen Bürger, die ihr Dasein gegen den furchtbaren Rivalen persönlich verteidigen, im zweiten das Korps, das Hannibal aus Italien mit zurückgebracht, die alte Garde, die ihm schon über die Pyrenäen und Alpen gefolgt und in zwanzigjährigem Kriege mit ihm grau geworden ist.

Naraggara ist die erste Schlacht in der Weltgeschichte, in der uns die Treffen-Taktik als ein großes neuentdecktes Prinzip maßgebend und entscheidend für die Schlachten-Führung entgegentritt.

In der Treffen-Aufstellung stehen die taktischen Körper hintereinander, so fern, daß jeder sich selbständig bewegen, so nah, daß sie sich unmittelbar unterstützen können.

Das Wesen der Phalanx beruht, wie wir gesehen haben, darauf, daß zwar nur die ersten oder gar nur das erste Glied eigentlich kämpft, also höchstens ein Viertel, vielleicht nur ein Fünfzehntel, Dreißigstel oder noch weniger der Bewaffneten. Der Wert dieser ganzen Masse besteht ausschließlich darin, daß sie die Gefallenen ersetzen, den Zusammenhang de Linie erhalten und von hinten einen physischen und moralischen Druck ausüben. Wird nun die hintere Hälfte losgelöst und in einiger Entfernung von der vorderen aufgestellt, so geht von allen diesen Vorteilen viel verloren; namentlich der physische Druck ist völlig aufgehoben. Dafür aber ist das zweite Treffen in der Lage, selbständige Bewegungen machen zu können, also einen etwaigen Flanken- oder Rücken-Angriff abzuwehren und selber, sich herausziehend, Flanken-Angriffe zu machen.

Hannibal ließ sein zweites Treffen mehr als ein ganzes Stadion, über 300 Schritt, von dem ersten Distanz nehmen und komandierte es selbst. Hätte die römische Reiterei, statt die flüchtige punische zu verfolgen, sich sofort gegen die Infanterie gewandt, so hätte das zweite Treffen dem ersten den Rücken gedeckt. Zwischen die beiden hätten sich die feindlichen Reiter schwerlich gewagt. Das karthagische Heer hätte dann, nach allen Seiten ohne Schwierigkeit Front machend, während die Elefanten die[394] römische Phalanx aufhielten, wie ich annehme, den Rückzug ins Lager angetreten.

Nun aber waren die feindlichen Reiter verschwunden, und sofort setzte Hannibal das zweite Treffen in Bewegung, um, während das erste Treffen mit den römischen Hastaten aneinandergeriet, geteilt, rechts und links auf die Flügel zu eilen und die Römer aus der Flanke anzugreifen. Es ist dieselbe Bewegung, die die Afrikaner bei Cannä machten, mit dem Unterschied, daß sie später einsetzte, weil die Truppen jetzt einen längeren Weg zu machen hatten, daß der gleichzeitige Rückenangriff der Kavallerie fehlte und daß die römische Infanterie diesmal nicht in der Überzahl, sondern numerisch schwächer, vielleicht erheblich schwächer als die punische war. So behauptete sich das erste Treffen der karthagischen Bürger ohne Schwierigkeit, und hätte ihm nun der doppelte Flankenangriff der »alten Banden« sekundiert, so hätten die Römer erliegen müssen. Hannibal hätte trotz der Überlegenheit der feindlichen Reiterei die Schlacht gewonnen.

Aber auch der genius Roms hatte einen Mann hervorgebracht, der die Zeichen der Zeit verstand und, wie 2000 Jahre später Gneisenau Napoleon, dem Kriegsgott seine eigene Kunst entgegensetzte.

Wir kennen die alte Einteilung der römischen Legion in die drei Jahresschichten der Hastaten, Principes und Triarier, die hintereinander standen. Bei der Aufstellung zur Schlacht von Naraggara, berichtet uns Polybius, stellte Scipio die Manipel der Principes und Triarier »mit Abstand« (ἐν ἀποστάσει) auf. Auch die römische Phalanx war also in zwei Treffen zerlegt. Bei Cannä hatten die Principes und Triarier noch fest an den Hastaten geklebt: jetzt führte Scipio, sobald er die Bewegung des zweiten punischen Treffens bemerkte, ihm das seinige ganz in derselben Art entgegen. Ein Bürgerheer und Bürgeroffiziere vermögen eine solche Bewegung nicht zu machen: aber der Krieg selbst hatte den Römern wie den Feldherrn, so Offiziere und Soldaten gebildet, die auf dem Schlachtfeld ebenso zu manövrieren vermochten wie ihre Gegner. Statt auf die Flanken der römischen Phalanx stieß Hannibals alte Garde auf eine verlängerte Schlachtlinie, und der Kampf blieb, was er gewesen war, eine Parallelschlacht.[395]

Dennoch hatten die römischen Legionen gegen die verzweifelte Tapferkeit der karthagischen Bürger, die siegessichere Kriegsübung der Veteranen und vielleicht auch die Überzahl einen schweren Stand, und es scheint, daß sie nahe daran waren, zu erliegen, als die römische Reiterei von ihrem wahnwitzigen Verfolgungsritt zurückkehrte und den Puniern in den Rücken fiel. Welches Weltenschicksal hing an diesen Minuten!

Das karthagische Heer wurde geschlagen und auf der Flucht aufgerieben. Glücklich genug rettete sich Hannibal selber nach Hadrumet.195


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 391-396.
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