Über die Sarisse und die Rottenbreite


Über die Sarisse und die Rottenbreite.

[429] Wir finden den Langspieß nicht bloß bei den Macedoniern, sondern auch öfters bei den barbarischen Völkerschaften. Xenophon (Anab. IV, 7, 16) erzählt von den Chalybern, daß sie 15 Ellen lange Spieße geführt hätten, und von den Mossynöken (V, 4, 25), sie hätten Spieße gehabt, so lang[429] und dick, daß ein Mann sie kaum zu tragen vermochte. Auch die Aetolier haben Sarissen (Livius 38, 7), und bei den Germanen, endlich bei den Schweizern und Landsknechten werden wir sie wiederfinden und bei diesen letzteren noch einmal die Anwendung der Waffe genauer zu betrachten haben.

Ob das Wort »Sarisse« von je einen Langspieß bedeutet hat oder ursprünglich neben den vielen anderen Namen (δόρυ, λόλχη, αἰχμή, κοντός, ξυστόν, ἀκόντιον, σαύνιον, ὑσσός, παλτόν) nur im allgemeinen Spieß (wie wir ja auch Spieß, Speer, Lanze, Pike, Ger, Gleve, Pinne haben), ist unsicher. Strabo X, 1 12 (XC 448) sagt »διττὴ ἡ τῶν δοράτων χρῆσις, ἡ μὲν ἐκ χειρός, ἡ δὲ ὡς παλτοῖς, καθάπερ καὶ ὁ κοντὸς ἀμφοτέρας τὰς χρείας ἀποδιδωσι καὶ γἀρ συστάδην καὶ κοντοβαλούντων, ὅπερ καὶ ἡ σάρισσα δύναται καὶ ὁ ὑσσύς.« Wenn diese Angabe so aufzufassen ist, daß auch die Sarisse als Wurfspieß verwendet werden konnte, so kann diese nicht übermäßig lang gewesen sein.

Daß König Philipp II. es gewesen ist, der die macedonische Phalanx einrichtete, erzählt Diodor XVI, 3. Er nennt jedoch als ihre Eigentümlichkeit nur die enge Aufstellung, nicht den langen Spieß, aber aus der engeren Aufstellung der Phalanx läßt sich die Verlängerung des Spießes als ein notwendiges Komplement erschließen. Hätte Philipp seinen Leuten bei griechischer Bewaffnung nur die engere Aufstellung gegeben, so sieht man nicht, was er davon für einen Gewinn gehabt hätte. Die Griechen hatten eine so lange Erfahrung im Hoplitenkampf, daß sie sicherlich auch die für diese Art des Gefechts beste Dichtigkeit der Aufstellung angenommen hatten. Stellten die Macedonier sich dichter, d.h. für den Einzelkampf zu eng, so muß ihre Absicht auf einen geschlossenen Stoß oder passive Abwehr gerichtet gewesen sein, und dazu bedurften sie längerer Spieße, als diejenigen ihrer Gegner waren. Man darf annehmen, daß ein Spieß bis zu einer Länge von etwa 12 bis vielleicht 14 Fuß noch mit einer Hand regiert werden kann, und es ist möglich, daß auch die Griechen zuweilen schon so lange Spieße gebraucht haben. Wenn Cornelius Nepos Chabrias cap. 1 geschildert wird, wie der athenische Feldherr seine Phalanx »obnixo genu scuto projecta hasta impetum excipere hostium docuit«, so muß man dabei wohl an längere, als die gewöhnlichen Hoplitenspieße von kaum 8 Fuß denken.

Wie lang sie aber tatsächlich und im besonderen zu Philipps und Alexanders Zeit gemacht wurden, können wir nicht mit Bestimmtheit sagen. Arrian gibt nirgends eine deutliche Charakterisierung der Sarisse als Langspießes, und bei der Erzählung vom Tode des Klitus gebraucht er das Wort in einer Art, die den Sinn »Langspieß« ausschließt. Alexander, sagt er, habe nach dem einen die Lanze (λόγχην) eines der Adjutanten, nach dem andern die Sarisse eines Wachtpostens ergriffen und damit den Klitus erstochen. Dann habe er, wie einige berichteten, in der Verzweiflung die Sarisse gegen die Mauer gestemmt, um sich hineinzustürzen. Beides ist mit einem Langspieß kaum ausführbar; eine 18-21 Fuß lange Stange[430] ist ein so überaus schwerfälliges Instrument, man braucht so viel Raum, es zu bewegen, so viel Zeit, es richtig, um Schwerpunkt anzufassen, daß man in einem von vielen Menschen angefüllten Bankettsaal kaum damit hantieren kann.

Als Alexander kurz vor seinem Tode Barbaren in sein Heer aufnimmt, gibt er ihnen nach Arrian (III, 6, 5) »δόρατα Μακεδονικὰ ἀντὶ τῷν βαρβαρι κῶν μεσαγκυλῶν«. Daß die Quelle, der Arrian diese Nachricht entnommen hat, hier nicht den Ausdruck »Sarisse« gebraucht, sondern »macedonische Spieße«, scheint mir nicht dafür zu sprechen, daß der Unterschied zwischen den verschiedenen Arten der Spieße sehr groß war.

Die einzige Stelle, die bei Arrian dafür spricht, daß die Sarisse ein Langspieß war, ist die Schilderung des Anrückens der Phalanx in der Schlacht bei Gaugamela (III, 14): »ἥ τε φάλαγξ ἡ Μακεδονικὴ πυκνὴ καὶ ταῖς σαρίσσαις πεφρικυῖα ἐμβεβλήκει«. Wenn wir aber von dem Fußvolk in der Schlacht am Hydaspes, von dem ausdrücklich gesagt ist, daß es Hypaspisten waren, lesen (V, 17, 7): »τοὺς πεζοὺς ξυνασπίσαντας ὡς ὲς πυκνοτάτην ξύγκλεισιν ἐπάγειν τὴν φάλαγγα ἐσήμηνε«, so scheint die Beweiskraft der ersten Stelle wieder aufgehoben. Polybius IV, 64, 6 f. gebraucht sogar von Peltasten die Ausdrücke »συνασπίζειν« und »συμφράττειν τοῖς ὅπλοις«. Unter dem König Perseus sind, wie Kromayer, Ant. Schlachtfelder II, 321 feststellt, Peltasten mit Sarissen bewaffnet.

Sehr häufig spricht Arrian (I, 27, 8; III, 23, 3; IV, 6, 3; IV, 28, 8) von den »leichteren Hopliten« (»τῶν ὁπλιτῶν ὅσοι κουφότεροι« »τῆς Μακεδονικῆσ φάλαγγος τούς κουφοτάτους« »τῆς φάλαγγος ἐπιλέξας τοὺς κουφοτάτους τε καὶ ἄμα εὐοπλοτάτους«) oder umgekehrt (II, 4, 3) von den schwer Bewaffneten »σύν ταῖς τάξεσι τῶν πεζῶν ὅσοι βαρύτερον ὡπλισμένοι ἦσαν«. Da die sonstigen Unterschiede der Bewaffnung innerhalb der Phalanx doch nicht so bedeutend gewesen sein können, so ist das vielleicht in der Hauptsache auf den kurzeren handlichen Spieß der vorderen Glieder im Gegensatz zu dem unbeholfenen Langspieß zu beziehen.

In den Schlachtschilderungen Diodors finden wir nichts, woraus über den eigentümlichen Charakter der Sarissenphalanx etwas zu entnehmen wäre. In der Schlacht am Hydaspes (XV 1, 88) erzählt er, wie die Macedonier mit ihren Sarissen das indische Fußvolk zwischen den Elefanten niederstachen. Da wir nun aus Arrian (vgl. oben die Analyse der Schlacht am Hydaspes) wissen, daß hier nur Hypaspisten, nicht Pezetären zur Stelle waren, so könnte man geradezu schließen, daß auch die Spieße der Hypaspisten Sarissen genannt wurden.

Buch XVII, cap. 100 schildert uns Diodor den Zweikampf des Atheners Dioxippos mit dem Macedonier Korragos. Dioxippos war nach Art des Herakles nur mit einer Keule bewaffnet. Korragos schleuderte zuerst eine Lanze (λόγχην) gegen ihn; Dioxippos wich ihr aus: »εἶθ᾽ ὁ μὲν τὴν Μακεδο νικὴν σάρισαν προβεβλημένος ἐπεπορεύετο, ὁ δὲ ὲγγίσαντος[431] αὐτοῦ τῷ ῥοπάλῳ πατάξας τὴν σάρισαν ἀπέθραυσεν« Hier ist die Sarisse zweifellos als ein Langspieß gedacht.

In der Pflanzenkunde des Philosophen Theophrast, des Schülers des Aristoteles, finden wir die Notiz (III, 12,2) »τὸ δὲ ὕψος τοῦ ἄρρενος (κρανείας) δώδεκα μάλιστα πήχεων, ἡλίκη τῶν σαρισῶν ἡ μεγίστή«. »Der männliche Kornelkirschbaum wird höchstens 12 Ellen hoch, so lang wie die größte Sarisse.« Theophrast ist gestorben im Jahre 287; historische Ereignisse erwähnt er noch aus den Jahren 307 und 306.211 Das Buch ist also geschrieben zur Zeit der Diadochen zwischen 306 und 287. Wenn damals die größte Sarisse 18 Fuß lang war, so läßt das den Schluß zu, daß sie in der Zeit Alexanders und Philipps jedenfalls nicht länger war. Es ist aber noch nicht gesagt, daß auch nur in der Zeit des Theophrast die Phalangiten 18füßige Sarissen gebraucht haben. Es wäre auch möglich, daß der Philosoph mit der »längsten Sarisse« keine Feldwaffe, sondern eine im Belagerungskrieg, bei der Mauerverteidigung oder auf den Schiffen gebrauchte, im Auge gehabt hat. Daß tatsächlich der männliche Kornelkirschbaum (das Holz, aus dem die sogenannten Ziegenhainer Stücke gemacht werden) in jenen Gegenden höchstens 18 Fuß lang wird, wird mir von unseren Botanikern bestätigt. Theophrast bezeugt uns also, daß auch die nächsten Nachfolger Alexanders die polybianische Sarissenphalanx mit 21 Fuß langen Spießen noch nicht hatten.

Die Schilderung, die Plutarch im Philopömen cap. 9 von der Einführung der Sarisse bei den Achäern gibt, ist nicht verwertbar. Es erscheint nach ihm, als ob die Achäer bis auf Philopömen überhaupt keine wirklichen Hopliten gehabt hätten.

Bei den Lacedämoniern soll Kleomenes (nach Plutarch, Kleomenes cap. 23) die Sarisse eingeführt haben. Worin man ihren Vorteil sah, ist nicht gesagt; eine Polybianische Phalanx können die Lacedämonier doch wohl schwerlich gebildet haben. In der Schlacht von Sellasia soll gerade die macedonische Phalanx und ihre Bewaffnung den Kleomenes niedergerungen haben (cap. 28).

Die ausführliche Schilderung, die nun Polybius XVIII, 28-32 von de macedonischen Phalanx gegeben hat, hat deshalb so viel Schwierigkeiten gemacht, weil die Länge, die für die Sarisse angegeben wird, nämlich 16 Ellen reglementsmäßig, 14 Ellen tatsächlich, praktisch unmöglich schien und weil zweitens Polybius sowohl den Römern wie den Macedoniern drei Fuß Rottenbreite gibt, zugleich aber behauptet, ein Legionar habe die doppelte Breite eingenommen wie ein Phalangit. Die in der Hauptsache richtige Lösung ist gefunden in einem Artikel von RUD. SCHNEIDER in der Philolog. Wochenschr. vom 15. Mai 1866 (Nr. 20) und in der Abhandlung von Dr. EDMUND LAMMERT, »Polybius und die römische Taktik« Programm des Königl. Gymnasiums zu Leipzig, 1889.[432]

Was die Rottenbreite betrifft, so ist klar, daß eine von den beiden Angaben Polybius' fallen muß. Früher neigte man meist dazu, die drei Fuß für die Phalangiten anzunehmen und den Legionaren, die für den Kampf mit dem Schwert Raum gebrauchen, 6 Fuß zu geben. Auch Stoffel in seiner Geschichte Cäsars nimmt dies an. Schneider und Lammert haben jedoch sowohl durch sachliche Betrachtung, wie durch kritische Erwägung aller überlieferten Quellenstellen ganz klar nachgewiesen, daß das unrichtig ist, und wenn ich selber früher den Einwand erhoben habe, daß bei 11/2 Fuß auf den Mann kein Raum bleibe für das Halten der Spieße, da ja der Mann selbst etwa 11/2 Fuß breit ist, so hat mich die Praxis gelehrt, daß dieser Einwand keine Berechtigung hat. Die Berliner akademischen Turnvereine waren so entgegenkommend, sich mir für ein Sarissenexerzieren zur Verfügung zu stellen. Wir komponierten auf dem großen Spielplatz von Schönholz eine Phalanx zunächst mit lauter Stangen von einigen 20 Fuß Länge und versuchten, in wie gedrängter Stellung sich der Haufe noch bewegen könne. Es ergab sich, daß mit gefülltem Spieß die Bewegung noch ganz gut möglich war, indem auf den Mann noch nicht zwei Fuß Breite kam. Die Stangen waren ja sehr schwer zu hantieren, aber es war ziemlich feuchtes starkes Fichtenholz. Die Angabe, daß die Phalangiten auf 11/2 Fuß gestanden haben, wird ja namentlich im Ernstfall nicht mathematisch genau zu nehmen sein. Aber wenn man sich eingeübte Leute und Spieße von trockenem Holz vorstellte, so konnte man mit Fug behaupten, daß die Aufstellung und Bewegung zu anderthalb Fuß ganz wohl möglich sei.

Besonders gut gelang das Experiment, als wir nun nach Lammerts Vorschlag die vordersten Glieder nicht mit den ganz langen, sondern mit abgestuft kürzeren Stangen bewaffneten. Selbst die Spitzen des sechsten Gliedes ragten noch aus der Front hervor, und der ganze Haufe bewegte sich ohne Schwierigkeit, selbst im Marsch-Marsch.

Durch diesen Versuch wird auch definitiv der Widerspruch beseitigt, den SOLTAU im Anschluß an seinen Aufsatz im Hermes, Bd. 20, S. 362, gegen Lammert in der Deutsch. Lit.-Zeit., Nr. 37, Jahrg. 1890, erhoben hat. Soltau will die Polybiusstelle so auslegen, daß die Römer ursprünglich mit drei Fuß Rottenbreite gestanden, zwischen den Manipeln aber beim Anmarsch breite Lücken gelassen hätten und diese kurz vor der Attacke dadurch ausgefüllt, daß sie auf 5-6 Fuß Abstand nahmen; wenn Polybius noch einmal von drei Fuß spreche, so sei damit der Mann selbst nicht eingerechnet (χάλασμα καὶ διάστασις). Dem Wortlaut nach wäre diese Erklärung, wenn wir nichts als diese Polybiusstelle hätten, vielleicht nicht so ganz ausgeschlossen; man braucht aber nur einmal eine solche Aufstellung vor Augen gehabt und nachgemessen zu haben, um sich zu überzeugen, daß sie sachlich ganz unhaltbar ist. Eine Aufstellung mit drei Fuß Rottenbreite ist schon so überaus locker, daß es ganz ausgeschlossen ist, sie als πυκνότης zu bezeichnen; sechs Fuß aber würden kaum noch einen Zusammenhang bestehen[433] lassen, und das Manöver des Abstandnehmens beim Anmarsch zur Attacke wäre ganz unausführbar. Die unter Berücksichtigung aller sonstigen einschlägigen Stellen sehr sorgfältig durchgeführte Interpretation Lammerts darf also bestehen bleiben. Ganz gut hat LIERS, Kriegswesen der Alten, S. 45 auch darauf aufmerksam gemacht, daß auch die Schilderung bei Thucydides V, 71, auf eine enge Stellung der griechischen Hopliten schließen lasse.

Lammert ist übrigens der Ansicht, daß der Widerspruch in Polybius' Darstellung nicht dem Historiker zur Last falle, sondern daß das Exzerpt, das uns vorliegt, überarbeitet worden ist. Für alle Einzelheiten verweise ich den Leser auf die vortreffliche Untersuchung.

Um dem Einwand Rüstows und Köchlys zu begegnen, daß die Sarissen, so wie Polybius sie beschreibt, nicht hätten gehalten werden können, da der Schwerpunkt zu weit vorn liege, hat Lammert noch die Annahme gemacht, daß das hintere Ende durch einen starken Metallbeschlag beschwert gewesen sei, und das schien auch mir zuerst ganz einleuchtend. Ich bin jedoch von dieser Ansicht zurückgekommen durch den Vergleich mit der Waffe, die der Sarisse am ähnlichsten, ja wohl kongruent ist, dem Langspieß der Schweizer und der Landsknechte. DEMMIN, »Die Kriegswaffen in ihrer geschichtlichen Entwicklung« (3. Aufl.) S. 779 gibt an, diese Spieße seien 7-8 Meter lang gewesen, »also 2-3 Meter länger als die 5-6 Meter lange macedonische Sarisse.« Diese Angabe ist wohl sicher unrichtig. Die Sarisse war, wie wir wissen, bis zu 24 Fuß, also über 7 Meter lang, deutsche Spieße dieser Länge aber scheint es nicht gegeben zu haben. WENDELIN BÖHEIM in seinem »Handbuch der Waffenkunde« gibt S. 319 als »durchschnittliche Länge« der deutschen Langspieße 4,5 Meter (= 15 Fuß) an und als Maximum 5 Meter (noch nicht 17 Fuß). Das ist, wie wir sofort sehen werden, wieder etwas zu wenig.

Diese alten deutschen Langspieße sind heute sehr selten, und das Berliner Zeughaus besaß früher keinen einzigen. Herr Direktor von Ubisch hatte jedoch die Güte, auf meinen Wunsch einen zu beschaffen. Außerdem habe ich Erkundigungen beim Museum Carolino-Augusteum in Salzburg und dem schweizerischen Landesmuseum in Zürich eingezogen, die die meisten Langspieße besitzen, und von beiden Direktionen in liebenswürdigster Weise Auskunft erhalten. Endlich hat mich bei der Untersuchung der Holzarten mein hiesiger Kollege der Botanik, Herr Privatdozent Dr. Reinhardt, unterstützt.

Der Berliner Langspieß ist 17 Fuß lang (über 5 Meter); von den 31 Spießen, die Salzburg besitzt, ist der längste etwas über 17 Fuß lang (515 Zentimeter); von den 18 Spießen in Zürich die vier längsten etwas über 18 Fuß (540 bis 544 Zentimeter). Bleibt diese Länge auch hinter der nach Polybius tatsächlich angewandten Sarisse von 21 Fuß um fast drei Fuß zurück, so sind die Waffen sich doch ähnlich genug, um einen Rückschluß zuzulassen.[434]

Lammert teilt nun eine Berechnung mit, wonach eine Sarisse aus trockenem Eschenholz, 6,5 Meter (= rund 14 griech. Ellen oder 21 Fuß) Länge, unten 5 Zentimeter, oben 3 Zentimeter im Durchmesser, 5,6 Kilogramm Holzgewicht haben würde; dazu eine Eisenspitze 270 Gramm. An einem solchen Spieß hält er eine Beschwerung von 2,4 Kilogramm am Fußende für wahrscheinlich.

Ich habe ebenfalls sowohl für Kiefer wie Esche und Kornelkirsche Berechnungen machen lassen, die damit übereinstimmen. Das spezifische Gewicht des Eschenholzes ist 0,59, des besten Kiefernholzes 0,63, der Kornelkirsche 0,81. Das letzte ist also außerordentlich schwer, kommt aber für die ganz langen Spieße nicht in Betracht. Kiefernholz ist verschieden, je nach dem Boden, auf dem es gewachsen ist; es gibt auch noch brauchbares, das leichter ist als Esche. Vermutlich haben die Griechen wie die Schweizer passendes Holz auf magerem, nicht zu feuchtem Boden für den Bedarf an Spießen besonders gezogen. Esche wächst nicht leicht in dieser Länge ganz gerade. Ob die Macedonier nun Esche oder Kiefer gebraucht haben, der Unterschied ist nicht sehr erheblich.212 Was die Stärke betrifft, so hat der Berliner Spieß fast gar keine Verjüngung und einen Durchmesser von etwa 31/2 Zentimeter. Die Salzburger und Züricher Spieße sind durchweg in der Mitte am stärksten; die Salzburger haben hier 13 Zentimeter, am Fußende 8,5, am Beginn des Eisens 7,5 Zentimeter Umfang, also in der Mitte einen Durchmesser von etwas über 4 Zentimeter. Bei den Zürichern ist der stärkste in der Mitte 4 Zentimeter, an der Spitze 3,1, am Fußende 3,2 Zentimeter stark. Böheim (S. 312) gibt als Dicke 4,5 Zentimeter an. Das stimmt also im Durchschnitt mit Lammerts Annahme überein. Alle die deutschen Spieße aber haben kein Gegengewicht, nicht einmal eine Hülse am Fußende. Nur eine Anzahl kurzer Spieße des Züricher Museums, die ins 17. Jahrhundert gesetzt werden, haben eine solche.

Wenn also die Deutschen ihre Langspieße ohne Gegengewicht führen konnten, so werden wir von den Macedoniern dasselbe annehmen dürfen, und der oben beschriebene Versuch in Schönholz spricht ebenfalls dafür.

Besonders aufgefallen ist mir übrigens bei diesem Versuch noch, wie unbequem die langen Spieße im Marsch zu tragen waren; hier machten sie mehr Schwierigkeiten als gefällt in der Attacke.


[435] Zweite Auflage. Ich habe seitdem die Langspieße in Zürich und auch in Wien persönlich untersucht und das obige Alles bestätigt gefunden. Ebenso haben wiederholte kleine Exerzierübungen mit den Stangenwaffen des Berliner Zeughauses, die ich die Teilnehmer meines kriegsgeschichtlichen Seminars habe machen lassen, die Ergebnisse des Experiments auf dem Schönholzer Turnplatz bestätigt.

Meiner Auffassung von der römischen wie von der macedonischen Phalanx hat jedoch KROMAYER eine prinzipiell abweichende entgegengesetzt und in wiederholter Polemik verteidigt.213 Er legt die oben behandelte Polybiusstelle dahin aus, daß die macedonischen Phalangiten mit drei Fuß, die Römer ursprünglich ebenfalls mit drei Fuß, dann aber nach dem Zusammenprall sich gelockert und durch Vor- und Zurücktreten durchschnittlich mit sechs Fuß Distanz gefochten hätten. Seiner Meinung nach schließt eine Aufstellung mit bloß drei Fuß Distanz den Gebrauch des Schwertes aus. Nach dem ersten Choc also löst sich das erste Glied in eine dünne Kette von einzelnen Kunstfechtern auf, die allein das aktive Gefecht führt, während für Mannschaften der hinteren Glieder nur in den Kampf eingreifen, indem die den Augenblick erspähen, wo sie eine Lanze oder ein Geschoß durch die Lücken ihrer Vorkämpfer auf die Gegner richten, wo sie schützend den Ihrigen zur Seite springen, Hiebe abfangen oder einen zu weit vordringenden Gegner zurückwerfen, wo sie Gefallene oder Verwundete zurücktragen und zurückziehen können, schließlich indem sie die Gefallenen ersetzen. (Hist. Zeitschr. 95, 17). Zeitweilig wechselt das Einzelfechten des ersten Gliedes mit durchschnittlich sechs Fuß Raum für den Mann wieder mit der engeren Massierung ab.

Wenn diese Auffassung richtig wäre, so hätten wir an ihr eine wissenschaftliche Entdeckung ersten Ranges. Es ist der Kern der antiken Infanterietaktik, um den es sich handelt, nicht etwa eine untergeordnete technische Spezialität.

Der Waffengebrauch in Verbindung mit dem Massendruck ist es, der in der Darstellung dieses Werkes das Wesen der Phalanx macht, und die Entwicklung besteht in allmählich fortschreitender Gliederung. Dieses Entwicklungsbild ist in allen seinen Teilen zerstört, wenn Kromayers Theorie über die Rottenbreite und das Kunstfechten des ersten Gliedes richtig ist, eine Konsequenz, über die freilich der Autor selbst sich nicht klar geworden ist, da er doch wieder meiner Darstellung der Schlacht bei Cannä, die ja ganz und gar auf dem Begriff des Massendrucks der Phalanx basiert, ausdrücklich zustimmt. Aber daß der Autor sich der Konsequenzen[436] seiner Idee selber nicht bewußt geworden ist, hebt ihre sachliche Tragweite nicht auf. Wir dürfen uns daher einer eingehenden Nachprüfung nicht entziehen.

Die Vorstellungen Kromayers sind falsch und unrealisierbar aus folgenden Gründen:

1. Er hält die Distanz von sechs Fuß für den Römer für nötig, weil man ohne diese mit dem römischen Schwert nicht habe fechten können. Danach wären also die Römer bei dem ersten Zusammenstoß, wo ja auch Kromayer nur drei Fuß Distanz annimmt, des Gebrauchs ihrer Waffen beraubt gewesen – eine sehr merkwürdige Weise, den Kampf zu eröffnen, besonders wenn der Gegner tückischerweise seine Leute so aufstellen sollte, daß sie ihre Waffen gebrauchen können.

2. Die sechs Fuß Distanz, die dann durch Lockerung entstehen, sollen »durchschnittlich« gemeint sein, da ja in dem Gewühl ein genaues Abstandnehmen nicht möglich war. »Durchschnittlich« ist eine Hilfslinie, die hier unbrauchbar ist. Dabei haben einige zu viel, andere zu wenig. An den zu weiten Stellen dringt der Feind ein, an den zu engen kann der Römer seine Waffe nicht gebrauchen. Polybius kann deshalb bei seiner Schilderung unmöglich an einen solchen »Durchschnitt« gedacht haben.

3. Der weitere Raum für die Krieger des ersten Gliedes soll gewonnen sein, indem sich »einzelne oder mehrere tiefer in die Feinde eingedrängt haben, an anderer Stelle die Genossen mehr zurückgeschoben sind.« Man fragt, wie sich bei diesem Eindrängen in den Feind der angeblich nötige Raum von sechs Fuß für den einzelnen wahren läßt und ob nicht die Einengung durch Gegner ebenso das Fechten beeinträchtigt wie durch die Nebenmänner der eigenen Linie.

4. Am allerwenigsten kann man sich dieses Eindringen von einzelnen in die gegnerische Front vorstellen bei einem Kampf der Römer gegen eine Phalanx mit Langspießen, wovon Polybius ja sprechen will. Denn der Legionar mit dem kurzen Schwert, der erst zwischen die Langspieße gelangt ist, ist dem Spießer so nah auf den Leib gerückt, daß dieser sich nicht mehr verteidigen kann. Polybius berichtet uns ja gerade, daß die Sarissenfront undurchdringlich gewesen sei – wie soll er da meinen, daß durchschnittlich alle sechs Fuß doch ein Römer dazwischen gekommen sei, und danach die Rottenbreite beider Teile berechnen?

5. Kromayer stellt sich vor, daß der römische Krieger seinen Stoß mit horizontal nach der Seite gestreckten Arm führe. Das wird er ganz gewiß nur höchst selten tun, da diese Art Stoß sehr unpraktisch und unwirksam ist; der hauptsächlichste Stoß geht mit gekrümmtem und sich streckendem Arm von hinten nach vorn. Das lehrt nicht nur die heutige Fechtkunst, sondern wird noch ausdrücklich bezeugt bei Vegez I, 12, wo den Legionaren empfohlen wird, nicht zu schlagen, sondern zu stechen, denn dies sei dem Gegner gefährlicher, »und ferner, während der Schlag geführt wird, wird der Arm und die rechte Seite entblößt, der Stich aber wird mit gedecktem[437] Körper gerührt.« Für diesen Stich, bei dem der Arm dicht am Körper bleibt, genügen also drei Fuß Raum vollständig. Selbst für einen Stich mit horizontal ausgestrecktem Arm sind aber nicht sechs Fuß nötig, sondern bloß vier.

6. Jeder Feldherr stellt seine Soldaten so eng nebeneinander, wie es der Gebrauch ihrer Waffen nur irgend zuläßt, denn je enger, desto mehr Waffen sind in der Front. Wenn es wahr wäre, daß der Kämpfer mit dem römischen Schwert sechs Fuß Raum gebrauchte, während z.B. der alte griechische Hoplit mit seinem Spieß nur drei gebrauchte, so ist es klar, daß das Schwert eine völlig unbrauchbare Schlachtwaffe wäre. Auf jeden Schwertkämpfer hätte man dann zwei Spießer losgehen lassen können, und da hätte jenem kein Kunstfechten geholfen, er hätte erliegen müssen. Der Kampf mit dem kurzen, römischen Schwert und mit dem Hoplitenspieß können deshalb wesentlich verschiedenen Raum nicht in Anspruch genommen haben.

7. Wenn die römische Phalanx nicht auf dem Massendruck, sondern auf dem Kunstfechten des ersten Gliedes mit sekundärer Unterstützung des zweiten und dritten beruht hätte, so wären in einer tiefen Aufstellung wie bei Cannä wenigstens 9/10, wahrscheinlich 19/20 des Heeres so gut wie überflüssig gewesen.

8. Eine gewisse Tätigkeit für die Masse der römischen Krieger sucht Kromayer noch insofern zu reservieren, daß er eine Art Abwechslung zwischen dem Kunstfechten der ersten Glieder und dem Massendruck konstruiert. Das Kunstfechten soll einsetzen, nachdem der erste Zusammenprall mit einem »natürlichen Rückstoß« geendet und die Massen also wieder etwas auseinander geraten sind. Dann, »wenn der Gegner irgendwo wieder zum Massenangriffe überzugehen Miene macht«, soll sich ihm wieder »die gleiche lebendige Menschenmauer entgegenstellen und Stoß mit Stoß erwidern« (H. Z. 95, 17). So sollen enge und weite Aufstellung nicht einmal, sondern unaufhörlich ineinander übergehen. Dagegen ist einzuwenden, daß solche Vorgänge, wenn überhaupt, nur denkbar wären unter der Voraussetzung, daß beide Gegner immer beides, das Luftgeben zum Kunstfechten und das Drängen ohne Möglichkeit des Waffengebrauchs, ganz gleichzeitig machen, denn diejenige Partei, die sich überhaupt nicht auf Luftgeben und Kunstfechten einließe, sondern unablässig oder auch nur einen Augenblick länger drängt, als der Gegner, hätte ja den Sieg in der Hand. Die dünne Kette der Kunstfechter, mit 6 Fuß Distanz, wäre nicht imstande, das sieht auch Kromayer ein, der Wucht der feindlichen Masse von 10, 20, 30, vielleicht 60 Mann Tiefe auch nur einen Moment standzuhalten. Die Glieder hinter ihnen aber, wenn sie einmal ein auch noch so kleines Stückchen zurückgewichen sind, um dem ersten Gliede den nötigen Raum zum Kunstfechten zu geben, wie sollen sie wieder zum Vorwärtsgehen gebracht werden? In dem ungeheuren Getöse gibt es für die ganze Masse weder Kommando mehr, noch Signal, und selbst wenn es das gäbe: die[438] Masse, die einmal vor dem Feinde nur einen Augenblick zurückgewichen ist, während dieser vordrängt, ist es so gut wie unmöglich, wieder vorwärts zu bringen – es sei denn durch Unistände, wie etwa in der Schlacht bei Cannä. Der erste Schritt rückwärts bei dem Kampf zweier Phalangen ist der entscheidende; er gibt den Vorankommenden ein moralisches Übergewicht, das sich von Sekunde zu Sekunde steigert und fast immer, Eingreifen neuer Kräfte vorbehalten, zum Siege führen wird. Die Vorstellung Kromayers von einem »natürlichen Rückstoß« ist »natürlich« nur für den Unterliegenden, nicht für beide Parteien zugleich, und damit fällt auch die Möglichkeit eines unaufhörlichen Wechsels zwischen weiter und enger Aufstellung.

9. Kromayer beruft sich (H. Z. 17) für seine Vorstellung vom Kunstfechten in der Schlacht auf eine Schilderung der Schlacht bei Mutina, Appian, Bürgerkriege III, 68. Die Stelle hat für seine Hypothese aber keinerlei Beweiskraft. Es handelt sich nicht um eine rangierte Schlacht, sondern um drei selbständige Gefechte von Legions Bruchteilen nebeneinander, die für den eigentlichen phalangenmäßigen Druck gar nicht stark genug waren und sich deshalb bei der Tapferkeit der Veteranen naturgemäß in einen zäh durchgeführten Masseneinzelkampf auflösten. Von einem wiederholten Wechsel zwischen Druck und Einzelfechten ist nicht die Rede, und der lange Einzelkampf erscheint dem Erzähler so wenig als der normale, wennschon gesteigerte Gefechts-Typus, daß er sich umgekehrt auf die Analogie der Ringkämpfer beruft, die, um Athem zu schöpfen, einen Augenblick auseinander treten und dann wieder aufeinander losstürzen.

10. Kromayer beruft sich für die Annahme, daß die Phalangiten drei Fuß (deshalb also die Römer sechs Fuß) Raum gebraucht hätten, auf die Gewohnheiten der Schweizer und Landsknechte (Antike Schlachtfelder I, 323 und H. Z. 95, 18). Dem 4. Bande dieses Werkes (2. Buch, 3. Kapitel) habe ich eine Spezial-Untersuchung eingefügt, aus der sich ergibt, daß die angeführten Stellen nicht beweiskräftig sind. Für unsere Frage aber ist, wie auf der Hand liegt, überhaupt nichts daraus zu schließen. Die phalangitische Aufstellung, die Polybius mit der römischen kontrastiert, ist ja nicht aufzufassen als die altgriechische oder macedonische, sondern als eine Aufstellung, deren Engigkeit erst künstlich eben in jener Zeit zum Äußersten gebracht war und sich nicht bewährt hat. Es wäre deshalb gar nicht zu verwundern, wenn die Schweizer und Landsknechte eine weitere Aufstellung gehabt haben; selbst bei diesen kommt aber auch die enge Aufstellung vor.

11. Kromayer setzt den Fall, daß zwei Phalangen der engen Aufstellung gegeneinander gefochten hätten und folgert daraus die Unmöglichkeit des ganzen taktischen Bildes, da sich die beiden Haufen, bloß fähig, vorwärts zu drücken und nicht fähig zu parieren und zu fechten, gegenseitig aufgespießt hätten. Ob jemals zwei solche Phalangen wirklich gegeneinander gestanden, ist sehr zweifelhaft. Ist es oder wäre es geschehen, so hätten sich die verschiedenen Glieder in der Tat gegenseitig, ohne viel fechten[439] zu können, in die Spieße hineingedrückt, oder wären von den hinten nachdrängenden Gliedern hineingedrückt worden. Eine gewisse Möglichkeit, zu parieren, möchte ja den vordersten Gliedern, die kürzere Spieße hatten, geblieben sein, aber sie war jedenfalls sehr gering. Das ist aber kein Grund, die ganze Vorstellung zu verwerfen. Auch auf diese Weise konnte und mußte schließlich der stärkere und entschlossenere Teil siegen. Überdies ist uns bei den Taktikern (Asklepiodot, Kap. IV) ausdrücklich eine Stellung mit 11/2 Fuß Raum, also ohne die Möglichkeit des eigentlichen Fechtens, für die Verteidigung überliefert und bezeugt. Natürlich ist sie nur denkbar bei der Bewaffnung mit dem Langspieß, der in Massen vorgestreckt eine Wehr ist, während nicht nur das Schwert, sondern schon der Kurzspieß ohne Fechtraum fast nutzlos sein würden.

12. Nehme ich schließlich hinzu, daß wir bei Vegez (III, 14) das ausdrückliche Zeugnis haben, daß die Römer mit drei Fuß Distanz fochten, weil bei solcher Aufstellung die Schlachtlinie sowohl lückenlos sei als auch den Raum zum Waffengebrauch gewähre (Singuli autem aramati in directum ternos pedes inter se occupare consueverunt, hoc est in mille passibus mille sescenti sexaginta sex pedites ordinantur in longum, ut nec acies interluceat et spatium sit arma tractandi), so darf ich Kromayers mit der größten Sicherheit vorgetragene Auffassung jetzt wohl als sachlich wie quellenmäßig endgültig widerlegt betrachten.

Die Vorstellung Kromayers von der Auflösung der Legionenfront in eine dünne Kette von Kunstfechtern wird um so phantastischer, wenn wir später sehen, daß er an anderer Stelle (Ant. Schlachtfeld. II, 83) sich für die Theorie Veiths erklärt, wonach die Römer zwischen den Manipeln (resp. Kohorten) nicht bloß beim Anmarsch, sondern auch während des Kampfes breite Intervalle bewahrt hätten. Die ohnehin einer ganz dünnen Linie von Plänklern entsprechende Kampflinie der Legionare wird also nun noch viel schwächer besetzt, da immer auf Strecken, die im allgemeinen so lang sind, wie die Front der Fechtenden selbst, gar keine Kämpfer stehen. Von dem Druck, den die Masse schaffen soll, ist in den kleinen auseinandergezerrten Haufen selbst in den von Kromayer zugestandenen einzelnen Momenten des Stoßes nicht mehr die Rede.

Ob Kromayer sich darüber klar geworden ist, daß die Veithsche Theorie von den Intervallen im Kampf und die seinige von der Rottenbreite sich in der Verdünnung potenzieren und dadurch vollends gegenseitig vernichten, erscheint zweifelhaft. Ebenso, ob er bewußt oder unbewußt im zweiten Bande seiner »Antiken Schlachtfelder« seine Theorie fallen gelassen und eine andere aufgestellt hat. Er spricht nämlich hier (S. 83) von der »Gewohnheit« der Römer »im Kampf anfangs ein wenig zu weichen und den siegesfroh vordringenden Gegner durch die Zähigkeit des Widerstandes erst zu enttäuschen, dann zu ermatten und endlich zu überwältigen.« An die Stelle des »natürlichen Rückstoßes«, nach der älteren Theorie, der bei den Gegnern gleichartig erfolgen soll, um dem Einzelfechter Platz zu machen,[440] ist also jetzt »eine Gewohnheit« bloß der Römer getreten. Daß diese neue Theorie ganz ebenso unmöglich ist, wie die alte, leuchtet ein, denn wenn die Römer wirklich nach dem ersten Zusammenprall freiwillig wieder ein Stück zurückgewichen wären und bloß die lockere Kette von Einzelfechtern am Feinde gelassen hätten, so ist es klar, daß diese lockere Kette dem Massenandrang des Feindes keinen Augenblick hätte standhalten können. Das hat Kromayer auch früher selber eingesehen, denn Hist. Z. 95, S. 17 stellt er es noch als Aufgabe der hinteren Glieder der Phalanx hin, »wenn der Gegner irgendwo wieder zum Massenangriffe überzugehen Miene macht, ihm alsbald die gleiche lebendige Menschenmauer entgegenzustellen und Stoß mit Stoß zu erwidern.«

Merkwürdig mutet an, daß RUD. SCHNEIDER in dem Gött. Gel.-Anz. 169, S. 445 erklärt, die Frage des Abstands sei für ihn ein noch ungelöstes Problem, da der Phalangit mit 1/2 Fuß nicht auskomme, wenn man ihm aber drei Fuß gäbe, das Doppelte, 6 Fuß, für den Legionar offenbar zu viel sei. Warum hat er nicht einmal 100 Studenten zusammengebracht, sie mit Hopfenstangen bewaffnet und eine Phalanx bilden lassen? Wer aber einmal eine solche Phalanx gesehen und gemessen hat, ist zur selbigen Stunde über alle Zweifelsqualen bezüglich des Rottenabstandes hinaus. Gelehrte sind wunderliche Leute. Hier haben wir einmal die seltene Gelegenheit, ein historisches Problem durch ein ganz einfaches Experiment zu lösen, weshalb macht man es nicht?

Zu der Umwandlung der Lehre von dem »natürlichen Rückstoß« in eine bloße »Gewohnheit« speziell der Römer, scheint Kromayer bewogen worden zu sein, indem er nachträglich auf die Schilderung der Schlacht zwischen Römern und Galliern im Jahre 223 aufmerksam geworden ist, denn er belegt die neue Theorie mit folgender Anmerkung: »So schildert Polybius II, 33, 7 die Kampfweise der Römer in einer für ihre Taktik äußerst wichtigen Bemerkung. Flaminius – sagt er – habe in einer Gallierschlacht durch eine Aufstellung, die kein Zurückweichen zuließ, die den Römern eigentümliche Kampfart unmöglich gemacht« »διέφθειρε τὸ τῆς Ρωμαϊκῆς μάχης ἴδιον, οὐχ ὑπολειμόμενος τόπον πρὸς τὴν ἐπὶ πόδα ταἰς σπείραις ἀναχώρησιν.« Die Stelle geht aber weiter: »εἰ γὰρ συνέβη βραχὺ μονον πιεσθὴναι τῇ χώρᾳ τοὺς ἄνδρας κατὰ τὴν μάχην, ῥίπτειν ἂν εἰς τὸν ποταμὸν αὐτοὺς ἔδει διὰ τὴν ἀστοχίαν τοῦ προεστῶτος.« Der Sinn ist also, daß es die Gewohnheit der Römer sei, auch bei nachteiligem Gefecht nicht zu fliehen, sondern nur schrittweise zurückzuweichen, daß aber Flaminius, indem er das Heer mit dem Rücken gegen einen Fluß aufstellte, ein solches Zurückweichen unmöglich gemacht hatte; hätten die Römer auch nur ein kleines Stück zurückgehen müssen, so wären sie bereits in den Fluß gestürzt, wären dadurch in Unordnung geraten und hätten eine volle Niederlage erleiden müssen. Mit einer besonderen Taktik der Römer hat die Stelle nicht das geringste zu schaffen.[441]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 429-442.
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