Kynoskephalä.

[424] Die Schlacht entspricht im ganzen dem generellen Bilde, das wir nach Polybius von einem Zusammentreffen der Phalanx mit der Legion entworfen haben. Die Entscheidung war aber nicht vorbedacht, sondern entwickelte sich aus einem Rekognoszierungsgefecht. Philipp, in der Meinung, einen günstigen Moment zu benutzen, nahm die Schlacht an, obgleich das hügelige, kupierte Terrain für die Sarissenphalanx ungünstig war. Überdies marschierte sie nicht gleichmäßig auf, und während der rechte Flügel siegreich vordrang, wurde der linke, noch in der Bildung begriffen, von den Elefanten[424] der Römer durchbrochen und darauf ohne Mühe von den Legionaren geworfen.

Da wir sonst nirgends in der Geschichte einen beglaubigten Elefantensieg dieser Art finden, so ist es wichtig, zu betonen, daß auch hier nicht eine geordnete Truppe von den Elefanten gesprengt wurde, sondern daß die Phalangiten, wie Polybius ausdrücklich berichtet, noch in der Marschordnung waren und durch das Terrain im Aufmarsch behindert wurden.

Als dieser Flügel der Macedonier geschlagen war, führte ein Trubun zwanzig Manipel der siegreichen Legionen, vermutlich aus dem zweiten Treffen, statt sie verfolgen zu lassen, dem andern macedonischen Flügel in den Rücken und entschied dadurch auch hier die Schlacht.

In großer Verlegenheit würde die Geschichte der Taktik sein, wenn der Zufall gewollt hätte, daß uns statt der Erzählung des Polybius allein die Überarbeitung des Livius über die Schlacht von Kynoskephalä erhalten wäre. Livius XXXIII, 8 hat nämlich den Befehl des Philipp an die Phalanx nach Polybius, mit gefällten Sarissen zu attackieren (καταβαλοῦσι τὰς σαρίας ἐπάγειν) übersetzt: »Macedonum phalangem hastis positis, quarum longitudo impedimento erat, gladiis rem gerere jubet«. Das Beispiel ist höchst wertvoll, um daran sozusagen die kritische Entschlossenheit zu üben, wenn, wie so oft, der Wortlaut der Überlieferung sachlichen Bedenken unterliegt. Wie viele Gelehrte würde es geben, die eine so positive Aussage auf ein bloßes Mißverständnis zurückzuführen für erlaubt halten würden, wenn wir nicht zufällig den Urtext daneben legen könnten?210


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 424-425.
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