Zweites Kapitel.

Berufsarmee. Kohortentaktik.

[442] Die im zweiten punischen Kriege gebildeten militärischen Kräfte der Römer hatten genügt, die Mächte des Ostens zu überwinden; zwei, Macedonien und Syrien, wurden niedergeworfen, die dritte, Ägypten, und die meisten kleineren Staaten schlossen sich den Römern freiwillig an und ordneten sich ihnen unter. Von jetzt an gab es niemand mehr, der gegen Rom hätte offensiv werden können. Aber die allmähliche Durchführung der direkten römischen Weltherrschaft machte noch fortwährend kleinere und größere Kriege nötig, in denen sich die militärische Tradition erhielt und fortpflanzte. Man kämpfte gegen die Gallier in Oberitalien, in Spanien, machte Macedonien den Garaus, bändigte Griechenland, zerstörte Karthago, schlug sich mit einem Numiderkönig. Oft erst nach anfänglichen Niederlagen und nach langem Hin- und Herschwanken gewannen die Römer endlich in diesen Kriegen die Oberhand. Das neue Kriegswesen, wie es Scipio geschaffen, hätte, da es den Hannibal überwand, mit Leichtigkeit den orbis terrarum untertänig gemacht, wenn es sich als eine organische Institution dem Körper der römischen Republik hätte eingliedern lassen. Aber es stand, wie wir gesehen haben, in innerem Widerspruch zur Republik, und in diesem inneren Widerspruch bewegt sich von jetzt an die römische Kriegsgeschichte und mit ihr die römische Geschichte überhaupt. Die alte Verfassung, wonach die beiden Jahresbürgermeister die Heere kommandierten und die Legionen nach Bedürfnis aus den Bürgern ausgehoben und wieder aufgelöst wurden, bestand fort, hätte aber, tatsächlich angewandt, weder die Aufgaben der römischen Politik erfüllen noch ertragen werden können. Die allgemeine Wehrpflicht läßt sich nicht[442] auf einen dauernden Kriegszustand anwenden, wie ihn Rom jetzt durchzuhalten hatte, und die Soldaten, die in Spanien und in Asien, in Afrika und an den Alpen zu fechten hatten, konnten nicht zugleich Bürger sein. Es läßt sich berechnen, daß bei gesetzlicher allgemeiner Wehrpflicht tatsächlich nur ungefähr der zehnte Teil der wehrfähigen römischen Jugend die Waffen trug214, dieser aber streifte den Bürger allmählich mehr und mehr ab und bildete wirkliches Soldatentum aus. Dieses berufsmäßige Kriegertum war nun wohl eine Tatsache, aber keine konstitutionelle Einrichtung geworden, und die Maschine funktionierte infolgedessen mit der größten Unregelmäßigkeit. Die Bürgerwehr brach durch das Berufssoldatentum, namentlich im Oberbefehl, immer wieder durch.

Man siegte trotzdem, da bei dem ungeheuren materiellen Übergewicht Roms über alle anderen Staaten zeitweilige Niederlagen und längeres Hinschleppen wenig Schaden anrichteten und der Bestand von berufsmäßig ausgebildeten Kriegern, Generalen, Offizieren, Soldaten, groß genug blieb, um endlich doch, sobald ein wirklich fähiger Mann die Sache in die Hand bekam, ein brauchbares Heer zu organisieren und den entscheidenden Schlag zu führen.

Im dritten Jahrhundert, während der punischen Kriege, wird man annehmen dürfen, daß ein Drittel der freien Einwohner Italiens das römische Bürgerrecht besaß. Wenn also die Römer die etwas kleinere, die socii die größere Hälfte des Landheeres stellten und die socii navales das Hauptkontingent für die Flotte, so war die Wehrpflicht ziemlich gleichmäßig verteilt. Während des zweiten punischen Krieges hatten jedoch die Römer selber die Hauptlast tragen müssen, da ein Teil der bundesgenossen abfiel, ein anderer in der Gestellung lässig wurde. Nach dem Siege zogen nun die Römer die Bundesgenossen um so stärker heran; der bei weitem kleinere Teil des Heeres bestand jetzt aus Bürgern; man warb auch in den Provinzen und nahm alle Art Söldner, Numider, Balearen, Gallier, Iberer, Kreter in Dienst und ließ die griechischen Bundesgenossen Hilfstruppen stellen. Das eigentlich römische Heer[443] war in der Regel nur 4 Legionen, 18000-20000 Mann stark; mit allen Kontingenten aber hatte die Republik etwa 50000 Mann ziemlich ständig unter den Waffen, die von Zeit zu Zeit, wenn in Spanien eine Empörung ausbrach oder zum Zweck der Bezwingung Karthagos, während man gleichzeitig in Macedonien und Griechenland kämpfte, vermehrt wurden.

Auf eine etwas härtere Probe wurde die Republik gestellt, als ein neuer barbarischer Feind an der Grenze erschien und Italien mit einem Einfall bedrohte, die Germanen. Die Römer erlitten eine Reihe von Niederlagen (113 unter Papirus Carbo in Noricum, 109 unter M. Junius Silanus bei den Allobrogern, 107 unter L. Cassius an der oberen Garonne und 105 unter Mallius Maximus, Cäpio und Aurelius Scaurus bei Arausio), bis endlich C. Marius mit einem neugebildeten Heer bei Aquä Sextiä 102 die Teutonen und Ambronen und bei Vercellä 101 die Cimbern und Tigoriner besiegte und vernichtete. Wie groß die Furcht der Römer gewesen war, erkennen wir aus dem Ruhm und der Stellung, die Marius durch seinen Sieg gewann. Sechsmal hintereinander hatte das Volk ihn, den avancierten Feldwebel, zum Konsul gewählt, und nach dem Siege wurde er begrüßt als der dritte Gründer Roms, aber alle Einzelheiten des Krieges, die berichtet werden, erweisen sich bei näherer Betrachtung als Wachtstubengeschichten und Adjutantenklatsch, so daß man für die Kriegsgeschichte nichts daraus entnehmen kann. Der Krieg ist aber für uns sehr wichtig dadurch, daß er die allmählich vollzogene Umwandlung des römischen Heeres aus einem Bürgerheer in eine Berufsarmee formell in einer neuen Organisation zum Ausdruck und dadurch zum Abschluß brachte. Direkt ist zwar auch das nur teilweise überliefert, aber alle Anzeichen weisen darauf hin, daß Marius der Schöpfer der Organisation war, die uns später mit größerer Deutlichkeit entgegentritt.215[444]

Die Einteilung der Legionen nach den drei Jahrgangsgruppen, Hastaten, Principes, Triarier, muß schon im zweiten punischen Kriege zu einer reinen Formalität geworden sein. Die beiden legiones urbanae, die Jahr für Jahr gebildet wurden, müssen fast ganz aus eben zur Dienstfähigkeit herangewachsenen jungen Leuten bestanden haben, und die Triarier in ihnen waren so wenig erfahrene Kriegsgesellen216 wie etwa die junge Garde Napoleons 1814, die aus lauter Rekruten bestand; umgekehrt waren in den älteren römischen Legionen auch die Hastaten schon nicht mehr so ganz jung, ja in den Cannensischen Legionen, die noch bei Naraggara fochten, müssen selbst die jüngsten erheblich älter gewesen sein, als die berühmten Brummer, »die alte Garde« Napoleons.

Auch der Sinn der Altersgruppierung, die Schonung der älteren Jahrgänge, war geschwunden, seit die Abteilungen zu Treffen geworden waren. Indem die Triarier, die hatten geschont werden sollen, jetzt beliebig aus dem Hintertreffen auf eine Flanke oder zum Kehrtmachen oder zu einer Detachierung kommandiert wurden, konnten sie gerade auf Stellen gelangen, die die allergrößten Gefahren und Verluste drohten.

Wenn sich trotzdem der Schematismus der Dreiteilung noch 100 Jahre lang erhielt, so erklärt sich das durch die natürliche Stabilität jeder einmal bestehenden Organisation.217

Die Doppelstellung der Veliten, als Trainknechte und Burschen auf der einen, Leichtbewaffnete auf der andern Seite ist, wie wir sahen, vielleicht schon im zweiten punischen Kriege modifiziert worden.

Marius hob alle diese Unterscheidungen nunmehr auf. Die Trainknechte und Burschen wurden überhaupt nicht mehr als Kombattanten gezählt und schieden aus der Legion aus.218 Der Dienst der[445] Leichtbewaffneten wurde jetzt ganz an eigene Korps von Bogenschützen und Schleuderern verwiesen. Die Legion bestand aus gleichmäßig bewaffneten und gearteten Hopliten; die Zahl der Manipel blieb, aber jeder Manipel wurde gleichmäßig auf 200 Mann Stärke gebracht und je drei Manipel zu einer Kohorte zusammengefaßt.

Die Kohorte von 600 Mann, also etwa dem modernen Bataillon entsprechend, bildet von jetzt an den taktischen Körper. Die Legion hat 10 Kohorten oder 6000 Mann.219

Die neue Formation lehnt sich insofern an die Vergangenheit an, als eine Kohorte von drei Manipeln bereits existierte. Die Kontingente der Bundesgenossen, die ja keine ganzen Legionen stellen konnten, aber sonst dieselbe Organisation wie die Römer haben mußten, hießen von je Kohorten und waren eingeteilt in Hastaten, Principes und Triarier.220 Diese Kohorten aber hatten keine taktische Bedeutung. Im Lager wurden sie vermutlich zu Legionen kombiniert und bei der Aufstellung zur Schlacht insofern aufgelöst, als die Hastaten zum ersten, die Principes und Triarier zum zweiten resp. dritten Treffen kamen. Die Kohorten des Marius sind etwas ganz anderes. Sie bleiben zusammen, sie bilden einen, sie bilden den taktischen Körper.

Die bisherigen Manipel bildeten noch keinen taktischen Körper; dazu sind sie zu klein. Sie haben noch keine wahre Selbständigkeit; wenn es auch im einzelnen Falle vorkommen mag, daß ein einzelner Manipel oder mehrere zusammen selbständige Bewegungen machen oder eine isolierte Aktion vollführen, so ist es im Prinzip doch das ganze Treffen oder ein zu bestimmender Teil des Treffens, der operiert. Der alte Manipel ist nur 60 oder 120 oder höchstens[446] 150 Mann stark; die neue Kohorte hat 600. Diese Abteilung, durch und durch exerziert, kann nunmehr jede Bewegung ausführen und jede Form annehmen, die befohlen wird. Die Treffen werden nach Kohorten gebildet. Der Feldherr kann anordnen, daß das Heer sich in einem, zwei, drei oder vier Treffen aufstelle. Er kann das eine Treffen stärker, das andere schwächer machen. Er kann einen Haken bilden; die Kohorten mit dem Rücken gegeneinander stellen, so daß eine doppelte Front entsteht. Er kann jede Kohorte von dem Platz, wo sie steht, wegziehen und auf einen anderen stellen.

Die Legion ist immer nur ein administrativer Körper gewesen; der ursprüngliche taktische Körper ist die ganze Phalanx, ob sie aus einer oder mehreren Legionen bestehe. Bei der Phalanx als dem taktischen Körper ist es im wesentlichen bei den Griechen und Macedoniern geblieben. Die Römer haben die Phalanx erst mit Gelenken versehen, sie dann in Treffen geteilt, endlich in eine Vielheit kleiner taktischer Körper aufgelöst, die imstande sind, bald zu einer kompakten, undurchdringlichen Einheit zusammenzuschließen, bald mit vollendeter Schmiegsamkeit die Form zu wechseln, sich zu teilen, sich nach dieser oder jener Seite zu wenden. Wie ängstlich mußte die alte griechische Hoplitenphalanx auf der Hut sein gegen einen Flankenangriff, namentlich durch Kavallerie! Der römische Feldherr seit Marius befiehlt einigen Kohorten, die Deckung nach der Flanke zu übernehmen und fühlt sich gesichert. Wie einfach erscheint eine solche Anordnung, aber dieses Einfache möglich zu machen, die Bildung kleiner Haufen, die so fest zusammenhalten, daß sie taktische Körper bilden, war unendlich schwer. Eine Jahrhunderte lange Entwicklung und die römische Disziplin gehörte dazu; nur dieser eine Staat des Altertums hat sie wirklich durchgeführt und hat dadurch die Herrschaft über alle anderen gewonnen.

Erst hat man gefunden, daß eine Menge von Einzelkriegern die größte Wirkung ausübe, wenn sie sich zu einer einheitlich wirkenden Masse zusammenschließe. Aber diese Masse war plump und unbehilflich und höchst empfindlich in Flanke und Rücken. Die größte Zahl der Waffen in ihr konnte nicht in Tätigkeit treten.

Aber um an die Stelle des einen großen Haufens eine Anzahl kleinerer zu setzen, die sich gegenseitig sekundierend ihre Schwächen ausgleichen, dazu bedurfte es einer neuen Kraft, der militärischen[447] Disziplin, die eine Summe von Einzelkriegern zu einer höheren geistigen Einheit verbindet, von einem Willen regiert, fest zusammenhaltend, so daß selbst die ungeheure seelische Erregung, das Gewühl, der Lärm, der Schrecken, die Todesgefahr der Schlacht sie nicht auseinandersprengt. Die Kohorte bleibt in der Hand des Führers, die Führer folgen dem Befehle des Feldherrn.221

Die Kohortentaktik bedeutet den Höhepunkt der Entwicklung, den die Gefechtskunst der antiken Infanterie zu erreichen vermochte. Die Sache des Künstlers, des Feldherrn ist es von jetzt an, nicht neue Formen zu finden, sondern die gefundenen durchzubilden und zu gebrauchen.

Die Voraussetzung für die Kohortentaktik ist das Berufsheer, das an die Stelle des Bürgerheeres getreten ist.

Bis auf Marius scheinen sich die alten Formen der Aushebung noch erhalten zu haben, wenn ihr Wesen auch längst verwandelt war. Die ursprüngliche allgemeine Wehrpflicht war schon lange vor dem zweiten punischen Kriege sehr mild gehandhabt worden. Während dieses Krieges hatte sie noch einmal in der größten Strenge und Ausdehnung funktioniert. Von da an wurde sie obsolet. Die Heere, die Rom ins Feld stellte, waren im Verhältnis zur Bürgerzahl so klein, daß wenige Jahrgänge genügt hätten, sie zu füllen. Statt aber, um der ausgleichenden Gerechtigkeit willen, immer neue Rekruten einzustellen und auszubilden, nahm man lieber die gedienten Krieger, auch wenn sie wenig Neigung dazu verrieten. Sold, Beute und Triumphalgeschenke waren aber so reichlich, daß oft auch viele freiwillig eintraten. Als der Krieg gegen Perseus von Macedonien ausbrach, erzählte Livius (XLII, 32), meldeten sich viele alte Soldaten freiwillig zum Dienst, da sie die reich sahen, die früher gegen Philipp und Antiochus zu Felde gewesen waren. Theoretisch blieb[448] die allgemeine Wehrpflicht bestehen und wurde auch zuweilen angewandt, entweder, indem die Pflichtigen untereinander losten, oder, indem mit mehr oder weniger Willkürlichkeit die Behörden Einzelne herausgriffen. Man wird annehmen dürfen, daß bei der Losung der vom Los Getroffene nicht behindert war, einen passenden Ersatzmann zu stellen, und bei der diskretionären Bestimmung durch die Beamten wurden die Wohlhabenden, die für die Führung ihrer Wirtschaft schwerer entbehrlich waren, verschont oder wußten sich durch Bestechung dem Dienst zu entziehen. Wie sehr der Begriff der Dienstverpflichtung im zweiten Jahrhundert bereits verblaßt war, erkennt man besonders daraus, daß mehrfach berichtet wird, wie bei gefährlichen und wenig Beute verheißenden Feldzügen die Rekruten nicht zusammenzubringen gewesen seien. Die Aufgerufenen brachten allerhand Vorwände, um sich der Einstellung zu entziehen, und man scheute sich, nachzuforschen. Endlich aber blieb doch wieder nichts übrig, als zuzugreifen.222

Wiederholt sind Versuche gemacht worden, in dieses System der administrativen Willkür, eine gewisse Ordnung zu bringen. Während wir bei Polybius die Bestimmung lesen, daß der römische Bürger verpflichtet sei, 16 Feldzüge oder im Notfall sogar 20 zu machen, findet sich bei Appian einmal die Bemerkung, daß, wer sechs Feldzüge mitgemacht habe, berechtigt sei, seinen Abschied zu fordern. Es scheint, daß Cajus Gracchus derartige Einschränkungen erneuert oder noch andere getroffen hat, die aber alle wieder aufgehoben werden mußten, als der Cimbernsturm Rom in Schrecken setzte und das Vaterland der bewährten und durchgebildeten Soldaten nicht entbehren konnte.223 Ein wirkliches System und zuverlässige Ordnung in eine Aushebung zu bringen, die ein unbeschränktes Recht beansprucht, aber nur einen beschränkten Bedarf hat, ist unmöglich; wir werden das später bei Friedrich Wilhelm I. von Preußen kennen lernen. Das militärische Prinzip, altgediente Leute zu haben, drängt naturgemäß das humane, um der Gerechtigkeit willen die Last einigermaßen gleich zu verteilen, immer wieder zurück, und die Neigung vieler Soldaten, die sich in längerem[449] Dienst dem bürgerlichen Leben entfremdet haben, ganz im Soldatenstande zu bleiben, kommt dieser Tendenz entgegen. So entsteht ein Widerspruch von Form und Inhalt, ein eigentümliches Zerrbild einer Aushebung, die tatsächlich aus administrativer Willkür und freier Werbung, »pressen«, wie es in der englischen Marinegeschichte genannt wird, zusammengesetzt war. Brachten die Konsuln das formale Recht in gar zu strenge Anwendung, so empfanden die Bürger das als Tyrannei und riefen die Hilfe der Volkstribunen an Livius berichtet zweimal, zum Jahre 150 und zum Jahre 138 (Epitome 48 u. 55), daß die Volkstribunen die Konsuln in einem solchen Konflikt ins Gefängnis gesetzt hätten. Marius machte nun all den antiquierten Formen ein Ende und setzte die reine Werbung an die Stelle. Je mehr Kapitalismus und Sklaverei den alten Mittel- und Bauernstand zwischen sich zerrieben, desto mehr Material bot Italien dem Werbe-Offizier und Marius soll sich sogar nicht gescheut haben, Sklaven einzustellen.224 Auch jetzt wurde die allgemeine Dienstpflicht gesetzlich keineswegs aufgehoben und hat später noch die Grundlage zu Aushebungen gegeben, aber wie das Wesen der Armee schon längst bestimmt ist durch das Söldnertum, so hat sie von jetzt an auch die Formen.

Durch die Verleihung des Bürgerrechts an alle Italiker einige Jahre später wurde auch der Unterschied zwischen den eigentlich römischen Legionen und den socii aufgehoben. Dieser Unterschied war ja immer nur ein politischer, kein militärischer gewesen, etwa wie Rheinbund-Truppen, Italiener, Schweizer im Heere Napoleons. Die Organisation und Fechtart unterschied sich nicht wesentlich. Die auxilia, die seit dem Ende des zweiten punischen Krieges bei römischen Heeren erscheinen, sind anderer Natur, es sind besondere Truppengattungen, wie Bogner und Schleuderer, oder Barbaren je nach ihrer Stammesart. Namentlich die Reiterei besteht ausschließlich aus solchen Elementen.


1. Meine Auffassung von der Geschichte der römischen Dienstpflicht weicht von der bis jetzt herrschenden wesentlich ab. Während ich davon ausgegangen bin, daß sie in dem kleinen Urkanton im strengsten Sinne unbedingt allgemein war, will die herrschende Auffassung, daß sie erst allmählich[450] erweitert und endlich im Zeitalter der punischen Kriege allgemein geworden sei. Während ursprünglich alle, die unter 12500 (oder 11000) As besaßen, vom Dienste frei gewesen seien, sei die Grenze später auf 4000 As oder noch weiter für den Landdienst herabgesetzt und die unterste Schicht zu dem Seedienst ausgehoben worden. Nach meiner Meinung ist, da die Dienstpflicht schon vorher allgemein war, durch die Einrichtung des Seedienstes nicht eine neue, bisher nicht existierende Verpflichtung für die Ärmeren eingeführt worden, sondern umgekehrt: man schuf eine Schutzbestimmung für die Wohlhabenderen: wer über 4000 As Vermögen hatte, durfte nur für den Land-, aber nicht für den Ruderdienst ausgehoben werden. Keineswegs wurden aber dadurch die unteren Klassen vom Landdienst freigestellt. Das geht mit Sicherheit aus der Tatsache hervor, daß man nach Cannä sogar zwei Legionen aus Sklaven bildete. Ganz gewiß hätte man nicht zu diesem äußersten Mittel gegriffen, wenn noch eine ganze Schicht von Bürgern vorhanden gewesen wäre, die man heranziehen konnte. Man hätte dann doch lieber den Bürgern die Rüstung gegeben und die Sklaven rudern lassen. Die Worte des Polybius (IV, 17, 1-3) vereinigen sich hiermit sehr wohl. Er sagt, dienstpflichtig seien alle bis zum 46. Lebensjahre »πλὴν τῶν ὐπὸ τὰς τετρακοσίας δραχμὰς τετιμημένων τούτους δὲ παρτᾶσι πάντας εἰς τὴν ναυτικὴν χρείαν«. Im zweiten Jahrhundert, als Polybius diese Worte schrieb, bedurfte Rom immer nur eines Teiles, meist eines ganz geringen der Wehrpflichtigen. Für den Landdienst werden in den meisten Fällen die Freiwilligen ausgereicht haben. Die besitzenden Klassen schonte man, oder sie wußten sich Schonung zu verschaffen. Für den sehr unbeliebten Matrosen- und Ruderdienst225 mußte die Aushebung strenger sein; für diesen wurden also vorweg die Proletarier ausgesondert. Die Grenze von 400 Drachmen (4000 As), die Polybius angibt, beruhte vermutlich nicht auf Gesetz, sondern war eine Verwaltungsmaßregel, ein Senats- Beschluß, der nach Umständen modifiziert wurde. So wird es kommen, daß, während Polybius 4000 als Grenze nennt, Gellius mit 1500 und 375 As die Klasse der Proletarier und capite censi abschließt. Daß der aerarius in der Zeit des zweiten punischen Krieges felddienstpflichtig war, ist, wie schon Mommsen, Staatsr. III, 252 richtig gesehen hat, auch direkt durch mehrere Erzählungen bei Livius (XXIV, 18; XXVII, 11 und XXIX, 37) bezeugt. Diese Erzählungen sind völlig durchschlagend und müssen den letzten Zweifel beseitigen. Es wäre ganz unmöglich, daß uns berichtet wird, wie Leute zu Aerariern gemacht und gleichzeitig ins Feld geschickt wurden, oder daß ein Censor drohte, das ganze Volk zu Aerariern zu machen, wenn mit diesem Stande die Rechtsvorstellung der Dienstfreiheit verbunden gewesen wäre.

Die herrschende Meinung nähert sich nun der meinigen dadurch, daß sie zugibt, in Not- und Ausnahmefällen sei ohne Rücksicht auf Klassen[451] und Census ausgehoben worden. Die Reform des Marius habe, wie Mommsen es ausdrückt, darin bestanden, daß er das außerordentliche Verfahren zum regelmäßigen machte. Der Ausweg scheint mir ungangbar 1) weil ich nachgewiesen zu haben glaube, daß schon in der älteren Zeit eine Beschränkung der Dienstpflicht auf »Klassen« nicht existiert hat; 2) weil, nachdem jedenfalls den ganzen zweiten punischen Krieg hindurch die allgemeine Felddienstpflicht praktisch bestanden und sich im Rechtsbewußtsein eingebürgert hatte, ganz undenkbar erscheint, daß, sage man nun diese Pflicht oder dieses Recht wieder auf die oberen Klassen beschränkt worden wäre. Richtig ist, daß das Landheer eine gewisse höhere soziale Stufe einnahm, weil die Proletarier in erster Linie für die Flotte ausgehoben wurden, und möglicherweise spielte auch die Beschaffung der Waffen noch eine gewisse Rolle, so daß ein ganz Armer nicht direkt Hoplit werden konnte.226 Trat ein Proletarier aber zunächst als Velit ein und meldete sich als schon etwas ausgebildeter und disziplinierter Soldat von neuem, so ist gewiß nicht anzunehmen, daß man ihn nicht zuletzt auch zum Hopliten gemacht hat.

Bestand nun in Rom die allgemeine Wehrpflicht, so ist klar, daß sie schon im ganzen zweiten Jahrhundert sehr lax gehandhabt worden sein muß. Die Censuszahlen des zweiten Jahrhunderts gehen von 243704 bis auf 337452227 (im Jahre 164/3); ein Jahrgang Rekruten war danach wenigstens 10-15000 Mann stark. Das Heer, das regelmäßig ausgehoben wurde, bestand aus 4 Legionen, also 18-20000 Mann. Da wir mit Sicherheit annehmen dürfen, daß sicher viele, wohl die meisten von denen, die überhaupt Soldat wurden, dabei blieben und ihre 16, 20 oder auch noch mehr Jahre dienten, so brauchten in gewöhnlichen Zeiten jährlich nicht mehr als 1-2000 Rekruten neu eingestellt zu werden, also statt aller nur etwa der zehnte Teil der Tauglichen. Die Vorschrift, daß man, um ein öffentliches Amt zu bekleiden, zehn Feldzüge mitgemacht haben müsse, wurde gewiß nicht mehr eingehalten; immerhin war es in einem so kriegerischen Staat nötig, dem Heere praktisch angehört zu haben, wenn man im öffentlichen Leben eine Rolle spielen wollte, und neben denen, die der Soldatenberuf selber lockte, werden auch aus diesem politischen Grunde nicht wenige junge Leute bereit gewesen sein, einige Sommer die Waffen zu tragen. So fanden sich die willigsten und militärisch brauchbarsten Elemente leicht in genügender Zahl zusammen. Freilich, für den undankbaren Krieg in Spanien, gegen Numantia, soll es schwer gewesen sein, Offiziere wie Mannschaften zu erlangen – ein weiterer Beweis, daß eben von einer[452] eigentlichen, regelmäßigen Aushebung für gewöhnlich nicht mehr die Rede war.

Polybius (VI, 19) schildert uns, wie die sämtlichen kriegsfähigen Römer jährlich nach Rom zur Aushebung zusammenkommen (ἐὰν δὲ μέλλωσι ποιεῖσθαι τὴν καταγραφὴν τῶν στρατιωτῶν οί τὰς ὑπάτους ἔχοντες ἀρχάς, προλέγουσιν ἐν τῷ δήμῳ τὴν ἡμέραν, ἐν ᾗ δεήσει παραγενενέσθαι τοὺς ἐν ταῖς ἡλικίαις ᾽Ρωμαίους ἅπαντας), tribusweise die Soldaten aus ihnen ausgewählt und auf die Legionen verteilt werden.

Nach dem Gesagten ist das ein Idealbild, das in Wirklichkeit etwas anders ausgesehen haben muß. Alle kriegsfähigen Römer wären 150-200000 gewesen, die unmöglich alle Jahre aus ganz Italien auf dem Kapitol zusammenkommen konnten.

Wir werden uns also vorzustellen haben, daß jede Tribus dafür sorgte, so viel Leute zu stellen, daß der Bedarf gedeckt werden konnte. Nach den Fehlenden wurde dann nicht weiter gefragt, und das Ganze galt als eine Gestellung aller Kriegsfähigen. Mußten einmal höhere Anforderungen gemacht werden und es fanden sich nicht genug Freiwillige, so wurde tatsächlich konskribiert und unter den Pflichtigen gelost.228 In welcher Art das geschehen ist, wissen wir nicht. Jedenfalls nicht so, daß erst alle Kriegsfähigen in Rom zusammenkamen und hier die Passenden und Entbehrlichen ausgesucht und zwischen ihnen gelost wurde, oder so, daß nur gerade der zufällig jüngste Jahrgang herangezogen wurde. Wahrscheinlich fand eine Voruntersuchung und Bezeichnung der Geeigneten schon vorher in den Tribus statt, so daß bei der eigentlichen Aushebung in Rom nur eine übersehbare Anzahl antrat.

Diese Ausführungen würden sich in die herrschende Auffassung noch einfügen lassen. Die wesentliche Differenz bleibt, ob im zweiten Jahrhundert der Ersatz des römischen Heeres grundsätzlich auf die Söhne des Mittelstandes eingeschränkt wurde oder ob es bereits wesentlich ein Berufsheer war, das nur tatsächlich (insofern die Proletarier auf die Flotte kamen, falls für diese ausgehoben wurde) einen gewissen bürgerlich-bäuerlichen Charakterzug behielt. Im ersteren Falle hätte die Reform des Marius das Heer auf eine ganz andere Basis gestellt und etwas ganz Neues geschaffen; im anderen hätte sie einer bereits bestehenden Sache nur die entsprechende Form gegeben, denn jener Rest von bürgerlich-bäuerlichem Charakter ist auch mit Marius noch nicht völlig abgestreift, sondern erst ganz allmählich abgestorben.

Mit dieser meiner, auf die überlieferten Zahlen der Bevölkerung und der Heere gestützten Darstellung läßt sich nun ein anderes Quellenzeugnis nicht vereinigen, auf das die herrschende Ansicht sich wesentlich beruft und das man bisher als einen rechten Eck- und Grundstein der Geschichte der römischen Kriegsverfassung angesehen hat. Es ist die Erzählung, die Sallust[453] (bell. Iug. cap. 86) von der Heeresreform des Marius gibt: »milites scribere, non more majorum neque ex classibus, sed uti cujusque lubido erat, capite censos plerosque.« Der natürlichen und wörtlichen Auffassung nach, müßte man meinen, daß bis dahin die Aushebung nach Klassen, d.h. den alten servianischen Schätzungsklassen stattfand, und die Proletarier (capite censi) dienstfrei waren. Daß dies nicht angehe, hat man nun längst erkannt. Polybius, der es doch wissen mußte, berichtet nichts von einer Aushebung nach Klassen und läßt nur die unter 4000 As Geschätzten auf die Flotte kommen. Man hat das so ausgeglichen, daß der ursprüngliche servianische Census der 5. Klasse von 12500 auf 4000 As herabgesetzt worden sei und daß Sallust nicht eine Aushebung nach den 5 verschiedenen Klassen meine, sondern die »Klassen« als eine Einheit von Proletariern gegenüberstelle.

Ich halte das für eine Vergewaltigung des Wortlautes. Sallust hat wirklich geglaubt, was er sagt, daß bis auf Marius noch irgend ein Rest der Aushebung nach den servianischen Klassen bestanden habe, aber so wenig je nach servianischen Klassen ausgehoben worden ist, so wenig natürlich auch nach den im Jahre 179 geschaffenen Klassen. Was vorliegt, ist nichts, als daß Sallust ganz ebenso wie Cicero in der durch die »Kommentare des Königs Servius« hervorgerufenen Täuschung über die ältere römische Verfassung gelebt, und daß er sich die Frage vorgelegt hat, was denn aus dieser alten Einrichtung geworden, wann und unter welchen Umständen sie beseitigt worden, keine andere Antwort gefunden hat, als daß das unter Marius, wo ja eine große Reform stattgefunden, geschehen sein müsse. Daß solche Irrtümer bei sehr bedeutenden Historikern möglich sind, kann ich sofort mit sehr erlauchten Beispielen belegen.

Jedermann wird glauben, daß Heinrich von Sybel oder Heinrich von Treitschke die Geschichte der preußischen Armeeverfassung gekannt haben, und wenn beide gar dasselbe sagen, so werden zukünftige Geschlechter es für vermessen halten, eine solche Aussage zu bezweifeln. Beide aber setzen den Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht in die Regierung Friedrich Wilhelms I., die bekanntlich erst unter Friedrich Wilhelm III. in den Freiheitskriegen eingeführt wurde. SYBEL (Begründ. d. D. Reiches, I, 32) nennt das Kantonreglement von 1733 den »ersten Schritt zur allgemeinen Wehrpflicht«, und TREITSCHKE (D. Gesch. I, 75 vgl. S. 153) findet, daß schon unter Friedrich dem Großen »eine der Säulen, welche diesen Staatsbau trugen, der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht, langsam ins Wanken geraten« sei. Auch die Quelle des Irrtums ist in diesem Falle festzustellen. MAX LEHMANN in seiner Jugendschrift »Knesebeck und Schön« (S. 284) hatte den Satz hingestellt, daß Friedrich Wilhelm I. »die Idee der allgemeinen Wehrpflicht, wenn auch nicht in vollem Glanze, so doch in gebrochenem Licht geschaut habe«. Diese Ausführung machte ihrer Zeit sehr viel Eindruck; Sybel und Treitschke haben sicherlich geglaubt, sie nur zu wiederholen, machten aber den Fehler, den sie enthält, durch die Ausdrücke,[454] die sie gebrauchen, noch viel stärker, als er schon ursprünglich war. Kein anderer als Max Lehmann selber hat seitdem der besseren Erkenntnis am meisten zum Siege verholfen. Es ist der Grundgedanke seines »Scharnhorst«, daß die allgemeine Wehrpflicht nicht die Fortsetzung, sondern das diametrale Gegenteil der altpreußischen Heeresverfassung und des ganzen altpreußischen Staates gewesen sei. Was Friedrich Wilhelm I. wollte, war die schärfstmögliche Trennung zwischen Bürger- und Soldatenstand. Die allgemeine Wehrpflicht bedeutete in seinen Augen durchaus nichts anderes als das, was in allen anderen Staaten seiner Zeit, Frankreich, Österreich, Rußland, ebenfalls bestand, daß nämlich der Souverän das Recht habe, seine Untertanen nach diskretionärem Ermessen für den Heeresdienst auszuheben. Heute aber versteht man unter der allgemeinen Wehrpflicht nicht bloß ein abstraktes Prinzip, sondern ein praktisches System, wie es Preußen, und Preußen allein unter allen Staaten seit 1813 besaß.

In jenem anderen Sinne müßte man sagen, daß auch Frankreich und Österreich schon vor 1870 die allgemeine Wehrpflicht gehabt hätten, was auf ein Spiel mit Worten herauskommen würde. Die Möglichkeit jenes Doppelsinnes aber ist es offenbar gewesen, die zwei so große Gelehrte wie Sybel und Treitschke über ihren Irrtum, den sie, aufmerksam gemacht, natürlich selbst sofort erkannt und anerkannt haben würden, hinweggetäuscht hat.

Man entschuldige die breite Ausführung dieser Analogie, aber sie ist von der größten methodologischen Wichtigkeit. Immer und immer wieder bin ich im Laufe dieser Untersuchung in die Lage gekommen, ganz bestimmte Aussprüche der alten Schriftsteller über Leistungen und Einrichtungen ihrer Staaten auf Grund sachlicher Rückschlüsse zu verwerfen, so Herodots Acht-Stadien-Lauf bei Marathon, Livius' Schilderung des Manipulargefechts, Thucydides' Angabe über die athenische Bürgerzahl, so jetzt Sallusts Behauptung über die römische Rekrutierung. So fest ineinandergefügt meine Schlüsse mir auch scheinen, so kann ich mich doch selber zuweilen kaum der Besorgnis erwehren, ob das hochaufgetürmte Gebäude auch allen Stürmen des Widerspruchs gewachsen sein werde, und muß daher suchen, den spitzbogigen Mauern durch Strebepfeiler aus dem festen Stein neuester unbestreitbarer Tatsachen einen unerschütterlichen Halt zu geben.

Aus der Vorstellung des späteren Geschlechts über die uralten Klassen ist auch die Erzählung Livius X, 21 erzeugt, daß in dem Gallierschrecken des Jahres 295 vor der Schlacht von Sentinum befohlen sei, »omnis generis hominum dilectum haberi«, oder Orosius IV, 1, 3 aus Livius, daß man, als im Jahre 280 Pyrrhus nahte, die Legionen durch Proletarier, die eigentlich immer hätten in der Stadt bleiben sollen, um für Nachkommenschaft zu sorgen, vollzählig gemacht habe.


2. Den Übergang vom Bürger- zum Soldatenstand scheinen die evocati gebildet zu haben, über deren Wesen es schwer ist, zu klarer Anschauung zu kommen; die Lösung wird sein, daß der Name in den verschiedenen[455] Zeiten Verschiedenes bedeutete. Solche Leute soll es schon im Jahre 455 gegeben haben (Dionys X, 43). Historisch begegnen sie uns, wie zu erwarten, vom Schluß des zweiten punischen Krieges an; es sind alte Soldaten, die freiwillig wieder Dienst genommen haben. Wann aber war damals ein alter Soldat ein evocatus?

Die gesetzliche Dienstpflicht währte ja bis zum 46. Jahr und umfaßte für den Infanteristen 16 und in Notfällen 20 Jahre. Selbst bei ununterbrochener Dienstzeit wäre danach ein evocatus stets ein Mann von allerwenigstens 33, meist wohl wenigstens 40 Jahren gewesen. Dann hätte ihre Zahl aber immer nur sehr gering sein können.

Wir werden uns also im zweiten Jahrhundert wohl den evocatus als einen Mann vorzustellen haben, den, wenn auch noch gesetzlich dienstpflichtig, doch aus Billigkeitsgründen die Ersatzbehörden eigentlich nicht mehr hätten nehmen dürfen, der sich aber doch freiwillig zum Dienste meldete. Als im Jahre 200 das römische Volk den Krieg gegen Philipp von Macedonien beschloß, wurde zugleich festgesetzt, daß von den alten Soldaten des zweiten punischen Krieges niemand gezwungen, nur Freiwillige genommen werden durften (Livius XXXI, 8). Solche Freiwillige, »Rengagés«, »Kapitulanten«, waren der Grundstock des neuen Heeres. Im nächsten Jahre aber meuterten sie, erklärten, sie seien gegen ihren Willen nach Macedonien eingeschifft worden, und forderten ihre Entlassung. Wenn später zeitweilig die Bestimmung bestand, daß eine sechsjährige Dienstzeit den Anspruch auf Entlassung gebe, so wären alle, die über sechs Jahre dienten, als evocati zu betrachten gewesen.

Als sich nun allmählich das reine Söldnertum durchsetzte, das keine andere Beschränkung der Dienstzeit als durch die Dienstfähigkeit kennt, ist für evocati in dem bisherigen Sinne kein Platz mehr, und wenn und wie wir sie erwähnt finden, so handelt es sich entweder um vorübergehend Aufgebotene,229 oder sie haben einen andern Charakter. Sie bilden jetzt eine eigene Truppe,230 sie haben einen eigenen Kommandanten,231 sie haben Pferde,232 ein Mann, der primus pilus gewesen ist, ist später evocatus. 233 Ich möchte daher annehmen, daß es sich um eine Art Stabswache handelt, in die die ältesten und bestgedienten Leute versetzt wurden.234 Wenn Cäsar berichtet, daß Pompejus bei Pharsalus 2000 evocati gehabt habe, die er auf die ganze Schlachtlinie verteilte, so mag die Zahl stark übertrieben sein; zu dem angegebenen Begriff aber würde es ganz gut stimmen. Die[456] evocati waren nicht mehr wie im zweiten Jahrhundert die Altgedienten, die das Knochengerüst jedes Manipels bildeten, sondern eine kleine Elite-Schar, die den gewöhnlichen Dienst nicht mehr zu tun brauchte, aber am Tage der Schlacht in Reih und Glied trat. Bei Thapsus sind nicht nur die Generale (legati), sondern auch die evocati um Cäsar und verlangen, er solle die Schlacht befehlen. Octavian soll später 10000 alte Soldaten als Leibwache um sich gesammelt haben,235 offenbar ein Kunstgriff, um die Veteranen zum Wiedereintritt in den Dienst zu bewegen, daß man sie in anderer Form als der des gewöhnlichen Legionsdienstes, unter Zubilligung der bei den evocati üblichen Privilegien zu den Waffen rief.

Die Stellen, wo in den Quellen evocati erwähnt sind, sind gesammelt bei MARQUARDT II, 387 und FRÖHLICH, Kriegswesen Cäsars S. 42, wo auch die Charakterisierung als »Stabswache« formuliert ist.


3. Die Abhandlung von G. VEITH, »Die Taktik der Kohortenlegion«, Klio, Bd. 7 (1907), S. 303 und »Antike Schlachtfelder« III, 701 ist in ihrer Polemik gegen mich, wie in ihren positiven Ergebnissen aufgebaut auf lauter Mißverständnissen und Widersprüchen. Der Verfasser legt einleuchtend dar (S. 312), daß eine lange zusammenhängende Front das Gegenteil eines beweglichen, elastischen Körpers und die schwerfälligste Formation sei, die es gäbe. Die Beweisführung ist aber überflüssig, denn es ist ja eben dasselbe, was auch ich dargelegt, indem ich den Wert der Intervalle zwischen den Manipeln und Kohorten entwickelt habe. Der Unterschied ist, daß nach meiner Auffassung die Intervalle im Augenblick des Zusammenstoßes, des Beginns des Kampfes, zugehen, indem von hinten in die kleinen Lücken einzelne Leute desselben Manipels, in die größeren ganze Abteilungen (Centurien, Manipel, Kohorten) aus dem zweiten Treffen einspringen oder einrücken, während nach Veiths Auffassung um der Manövrierfähigkeit willen auch während des Kampfes zwischen den Kohorten größere Intervalle bleiben. Zugleich aber bemerkt Veith selbst (S. 328), daß »gefährlich große Lücken« nicht eintreten durften; (S. 324) daß man über Truppen, die einmal im Handgemenge sind, nicht mehr disponieren kann und (S. 328 Anmerk.) daß, je mehr der Kampf sich der Entscheidung näherte, desto mehr (durch Einschieben von hinten) die Intervalle restringiert und die Front zusammenhängender geworden sei.

Man braucht nicht lange nachzudenken, um sich klar zu machen, daß das, was Veith für den Entscheidungskampf postuliert, die zusammenhängende Front, für den Kampf überhaupt notwendig ist. Denn wo auch immer während des Kampfes in der Front eine Lücke war, hatte der Gegner, der eine geschlossene Front hatte, die Möglichkeit, die Fechtenden von der Front und Flanke zugleich anzugreifen. Oder sollen wir uns vorstellen, daß diejenigen Krieger, die auf eine Lücke beim Feinde stießen, davor stille standen?[457] Aus dem zweiten Treffen konnte das Eindringen des Feindes in die Lücken nicht verhindert werden, denn ehe die Hilfe kam, war das Verderben schon da, sowohl das physische, wie namentlich das moralische, und nachträglich konnte nicht mehr viel geholfen werden, da ja die Eingedrungenen in der Front Widerstand leisten konnten und die Flügelrotten genügten, die umfaßten Glieder des Gegners, die sich ja nach vorn zu wehren hatten, von der Seite aus abzustechen; namentlich die auf diese Weise von rechts, von der unbeschilderten Seite aus Angegriffenen waren wehrlos. Veith meint, auch die in die Lücke Eingedrungenen seien ja nun ihrerseits von drei Seiten angegriffen. Inwiefern? Die bisher nach vorn Kämpfenden konnten doch nicht plötzlich den dortigen Gegner ignorieren und sich nach der Seite wenden? Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob eine Abteilung in die feindliche Front einbringt und damit mitten unter die Feinde gerät, oder ob eine Abteilung von beiden Seiten umgangen und dadurch von drei Seiten vom Feinde eingeschlossen wird. Die erstgedachte Abteilung drückt ihrerseits vorwärts und die hinteren Glieder schieben naturgemäß gerade an dieser Stelle nach; die zweitgedachte Abteilung aber wird gedrückt und ist binnen kürzester Frist zerquetscht. Recht hat Veith, wenn er ausführt, daß das Eindringen in eine freiwillig gelassene Lücke nicht so gefährlich sei, wie wenn der Feind sich erst diese Lücke schaffe, indem er eine Abteilung in die Flucht schlage. Das ist ganz selbstverständlich, denn das wäre bereits die teilweise Niederlage. Aber das hebt den Satz, daß jede Lücke in dem Kampf zweier Schlachtreihen mit blanken Waffen höchst gefährlich ist und verhängnisvoll werden kann, nicht auf. Kommt die Hilfe, die das zweite Treffen bringen soll, nicht überhaupt zu spät, so gelingt es ihr im besten Falle, die Eingedrungenen wieder zurückzutreiben und die Lücke zu schließen, d.h. also, den Zustand herzustellen, von dem uns Veith hat lehren wollen, daß er unvorteilhaft sei! Dabei beruft sich der Schöpfer dieser erstaunlichen Kampfbilder fortwährend darauf, daß er praktischer Militär sei!

Um seine These zu beweisen, geht Veith sogar zu der Behauptung fort (S. 313), daß die verschiedenen Abteilungen, wenn sie im Anmarsch das Terrain ausgenützt hätten, im Moment des Zusammenstoßes gar nicht imstande gewesen wären, sich plötzlich in eine zusammenhängende Linie zu vereinigen und alle Intervalle zu schließen. Es ist in der Welt nicht einzusehen, weshalb nicht, sobald man sich klar macht, daß auf geringe Distanz hinter dem ersten das zweite und hinter dem zweiten das dritte Treffen folgt. Es ist die so selbstverständliche, wie wichtige Aufgabe der Legaten, für die Veith mühevoll nach einer Tätigkeit in der Schlacht sucht, dafür zu sorgen, daß, wo immer beim Vormarsch im ersten Treffen Lücken entstehen, die zu groß sind, um sie durch einzelne Leute aus diesem Treffen selbst zu füllen, sofort die passende Abteilung aus dem zweiten oder nötigenfalls sogar dritten Treffen bereitgestellt und vorgeführt wird, die Lücke zu schließen.[458]

Von einem quellenmäßigen Nachweis ist bei Veith natürlich nicht die Rede. Alles, was so scheint, beruht auf der fortwährenden Verwechslung der Intervalle im Anmarsch mit Intervallen im Kampf. Oder aber z.B., wenn der Verfasser die Gefechte, die Cäsar V, 15 und V, 34 schildert, für unsere Frage heranzieht, ist dabei der Umstand außer acht gelassen, daß es sich in Cäsars Erzählung gar nicht um rangierte Schlachten handelt.

Ich wiederhole also: ich bin ganz der Meinung wie Veith, daß zwischen den Manipeln (resp. Kohorten) Intervalle waren und daß solche Intervalle vorhanden sein müssen, weil die Obersten und Generale sonst über die einzelnen taktischen Körper nicht verfügen können. Veith ist aber auch wieder ganz derselben Meinung wie ich, daß man über Truppen, die einmal im Handgemenge sind, nicht mehr disponieren kann. Wenn Veith also aus Polybius XV, 15, 7 schließt, daß Intervalle vorhanden waren, so hat er recht; wenn er aber schließt, daß die Intervalle auch während des Handgemenges vorhanden waren, so ist dieser Schluß unzulässig.


Zur 3. Aufl. 4. Die römische Bürger-Reiterei ist nach der allgemeinen Annahme seit dem zweiten punischen Kriege eingegangen und durch barbarische Söldner ersetzt worden. SOLTAU, Zeitschr. f. öster. Gymnasien, Bd. 22 (1911), S. 385, 481, 577 hat jedoch nachgewiesen, daß hier feiner unterschieden werden muß. Als eigentliche Kavallerie ist die Bürger-Reiterei allerdings durch fremde Söldner ersetzt werden; sie hat jedoch in kleinem Maßstabe fortbestanden als Truppe für die Söhne der senatorischen und wohlhabenden Bürgerfamilien und funktionierte als Stabswache, Meldereiter und ähnliche Dienste. Vgl. unten Buch VII, Kap. 1, Nr. 3.


5. OEHLER, Neue Forschungen zur Schlacht bei Muthul, Jahresh. d. öster. archäol. Instituts, Bd. XII, S. 327 (1909) u. Bd. XIII, 257 entwirft ein Gefechtsbild, aus dem ich nur entnehmen kann, daß die Quellen nichts ergeben, was kriegsgeschichtlichen Wert hätte.


6. In der Frage des Gepäcks, das der römische Soldat trug, habe ich mich in den ersten Auflagen dieses Bandes einfach an STOFFEL angeschlossen und sie erst eingehender im 2. Bande (Buch IV, 4. Kapitel) beim Lehnswesen behandelt. Stoffel lehnt die Vorstellung, daß der Legionar für 16 oder gar 30 Tage Mundvorrat getragen habe, als eine Unmöglichkeit ab. Seitdem ist die sehr beachtliche Untersuchung von STOLLE, »Der römische Legionar und sein Gepäck«, Straßburg 1914 erschienen und sucht von Neuem zu beweisen, daß die 30 Tage zwar unrichtig, die 16 aber quellenmäßig sicher bezeugt seien, und zwar nicht als Ausnahme, auch nicht so, daß die Last täglich kleiner geworden sei, sondern als das einfach Normale.

Er reduziert das Gewicht des zu tragenden Mehlvorrates dadurch etwas, daß er einen Teil in Zwiebacks-Form mitnehmen läßt. Seine Berechnung lautet so:
[459]

Brot, Zwieback, Weizen 11,369 kg

Fleisch 1,910 kg

Käse 0,436 kg

Salz 0,327 kg

Wein oder Limonade 0,327 kg

––––––––

Mundvorrat, Summa 14,369 kg

Geräte 5,278 kg

Werkzeuge 7,149 kg

––––––––

Gepäck, Summa 26,796 kg

Waffen mindestens 14,463 kg

––––––––

Gesamtbelastung mindestens 41,259 kg


Stolle verhehlt sich nicht, daß diese Belastung sehr hoch ist und sucht den Ausgleich darin, daß die Römer nur kurze Tagemärsche gemacht hätten (Vgl. unten Buch VII, Kap. 3, Schluß).

Daß bei besonderen Veranlassungen der Soldat mit 411/4 kg und auch noch mit mehr bepackt werden kann, ist natürlich zugegeben; es handelt sich aber um das Normale. In der Untersuchung im zweiten Bande, die Stolle leider unbekannt geblieben ist, ist dargelegt, wie sehr eine Belastung von mehr als 31 kg die Marschierfähigkeit herabsetzt. Sollten die Römer wirklich, um 300 Maultiere für die Legion zu sparen, ihren Heeren die Möglichkeit von stärkeren Märschen, sagen wir über 15 Kilometer, genommen haben? Um das glaublich zu machen, sind Aussagen von Cicero und Ammian nicht stark genug. Cicero nicht, weil er unter dem Verdacht rhetorischer Übertreibung steht, Ammian nicht, obgleich er militärkundig ist, weil zu seiner Zeit die disziplinierten Truppen längst nicht mehr existierten und barbarische Reisläufer am allerwenigsten gewillt sind, sich schwer bepacken zu lassen. Zeugnisse aus der Zeit nach dem Untergang der Severe sehe ich daher von vornherein als wertlos an. Schon wenn in der Zeit der römischen Republik die Disziplin einmal lax geworden war, suchten sich ja die Legionare so sehr zu entlasten, daß sie sich privatim einen Knecht oder ein Tragtier hielten (Sallust, Bell. Iugurth 45,2; Plutarch, Marius Kap. 13). Ciceros und Ammians Zeugnis schlägt aber um so weniger durch, als ihnen das Zeugnis des Josephus B. J. III, 5,5 direkt widerspricht, wonach der Soldat nur für drei Tage Proviant selber trug. Dieses Zeugnis vermag Stolle nicht beiseite zu schieben, wenn er auch eine unrichtige Interpretation widerlegt. Auch mit bloß drei Tagen Mundvorrat war der Legionar schon ganz ordentlich bepackt.[460]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 442-461.
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