Der Dorf- und Ackerwechsel.

[17] Die Angabe Cäsars, daß die Germanen jährlich sowohl den Acker, wie die Wohnstätte gewechselt hätten, halte ich in dieser Allgemeinheit für anfechtbar, da für den jährlichen Wechsel der Wohnstätte kein Motiv zu finden ist. Ließ sich auch die Hütte samt Hausrat, Vorräten und Vieh leicht verpflanzen, eine gewisse Mühe war mit dem Wiederaufbau doch immer verbunden, und ganz besonders mühselig muß mit den wenigen und unvollkommenen Spaten, über die germanische Geschlechter sicher nur verfügten, das Ausgraben der Keller gewesen sein. Ich zweifle daher nicht, daß der »jährliche« Wechsel der Wohnstätten, von dem die Gallier und Germanen Cäsar erzählt haben, eine starke Übertreibung oder ein Mißverständnis ist.

Tacitus wiederum berichtet direkt von einem Wechsel der Wohnstätten nichts mehr, sondern spricht (Germ. 26) nur von einem Wechsel der Äcker, und man hat in dem Unterschied eine höhere Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung sehen wollen. Ich halte das für ausgeschlossen. Wohl ist es möglich und wahrscheinlich, daß schon zu Tacitus', ja schon zu Cäsars Zeit viele germanische Dörfer feste Ansiedelungen waren, nämlich solche, die ein sehr fruchtbares, zusammenhängendes Gebiet hatten. Für sie genügte es, rings um das Dorf herum Ackerfeld und Brache jährlich zu wechseln. Diejenigen Dörfer jedoch, deren Gau zum größten Teil aus Wald und Sumpf bestand oder deren Boden weniger fruchtbar war, konnten damit nicht auskommen. Sie mußten die einzelnen brauchbaren Fluren des weiten Gebietes eine nach der anderen ausnutzen und zu diesem Zwecke von Zeit zu Zeit ihr Dorf verlegen. Die Worte des Tacitus schließen, wie schon Thudichum richtig bemerkt hat, einen derartigen Wechsel der Wohnstätte keineswegs aus, und wenn sie ihn auch nicht ausdrücklich aussprechen, so scheint mir doch ziemlich sicher, daß er dem Tacitus bei seiner Schilderung[17] vorgeschwebt hat. Seine Worte lauten (Germ. 26): »agri pro numero cultorum ab universis in vices occupantur, quos mox inter se secundum signationem partiuntur; facilitatem partiendi camporum spatia praebent, arva per annos mutant et superest ager«. Das Auffällige in dieser Schilderung ist der doppelte Wechsel: erst heißt es, die agri werden abwechselnd in Besitz genommen, dann, die arva werden jährlich gewechselt. Wenn es sich nur darum handelte, daß das Dorf abwechselnd ein größeres Stück des Gebietes zum Ackerland bestimmte und innerhalb dieses Ackerlandes wieder jährlich zwischen Ackerfeld und Brache gewechselt wurde, so wäre die Schilderung für Tacitus' sonst so knappe Art recht umständlich und auch das Ereignis für so viele Worte, sozusagen, zu gering. Ganz anders, wenn dem Römer dabei vorgeschwebt hat, daß eine Gemeinde, die abwechselnd ganze Fluren okkupierte und hierauf unter ihre Mitglieder verteilte, mit dem Wechsel der Fluren auch die Wohnstätten wechselte. Er sagt uns das nicht ausdrücklich; das ist aber bei seiner knappen Art doch nicht so ganz unerklärlich, und es ist ja auch keineswegs anzunehmen, daß alle Dörfer so verfuhren. Dörfer, die nur über ein sehr kleines, aber fruchtbares Gebiet verfügten, hatten das Umherziehen nicht nötig.

Ich zweifle daher nicht, daß Tacitus (Germ. 26) mit der Unterscheidung »agri in vices occupantur« und »arva per annos mutant« nicht sowohl eine neuere Stufe des germanischen Wirtschaftslebens schildert, als Cäsar stillschweigend korrigiert. Macht man sich klar, daß einem germanischen Dorf von 750 Seelen ein Gau von 3 Quadratmeilen gehörte, so ist Tacitus' Angabe auf der Stelle einleuchtend. Bei der dürftigen Art der Bestellung war es notwendig, alle Jahre neuen Acker unter den Pflug (Hacke) zu nehmen, und war der Acker in der Nähe des Dorfes erschöpft, so war es einfacher, das ganze Dorf an eine andere Stelle des Gaues zu verlegen, als von dem alten Dorf aus entferntere Gefilde zu bebauen und zu bewachen. Nach einer Reihe von Jahren und vielleicht mehrfachem Umziehen kam man wieder an die alte Stelle zurück und konnte auch die alten Keller wieder benutzen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 17-18.
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