Fürsten und Hunni


Fürsten und Hunni.

[15] Daß das germanische Beamtentum in zwei verschiedene Klassen zerfiel, ergibt sich ebenso sehr aus der Natur der Sache, dem politischen Organismus, der Gliederung der Völkerschaft, wie es direkt von den Quellen bezeugt ist.

Cäsar (b. G. IV, 13) erzählt, daß die »Fürsten und Ältesten« der Usipeter und Tenchterer zu ihm kamen (principes majoresque natu). Er gibt (IV, II) den Ubiern außer den Fürsten einen Senat (principes ac senatus) und erzählt, daß der Senat der Nervier, die, wenn auch nicht Germanen, doch sicher eine der Germanen sehr ähnliche Verfassung hatten, 600 Mitglieder gehabt habe. Lassen wir die Übertreibung der Zahl beiseite, so ist klar, daß ein Römer den Namen »Senat« nur auf eine größere beratende Versammlung anwenden konnte. Das können nicht ausschließlich die Fürsten, es muß ein größerer Kreis gewesen sein; es gab also außer den Fürsten bei den Germanen noch eine andere Kategorie von öffentlichen Organen.[15]

Auch bei der Agrarverfassung der Germanen spricht Cäsar (VI, 22) nicht bloß von den Fürsten, sondern er sagt, »magistratus et principes« waren es, die die Äcker anwiesen. Der Zusatz »magistratus« als bloßen Pleonasmus zu fassen, verbietet die sonst so knappe Ausdrucksweise Cäsars. Es wäre doch höchst auffallend, wenn gerade bei dem an sich ganz einfachen Begriff der »Fürsten« Cäsar bloß um der Wortfülle willen immer wieder Zusätze gemacht hätte.

Nicht so deutlich wie bei Cäsar tritt die doppelte Kategorie der Beamten bei Tacitus hervor, da dieser gerade inbezug auf den Begriff der Hundertschaft in ein verhängnisvolles Mißverständnis verfallen ist, das den Gelehrten viel Mühe gekostet hat. Aber auch aus Tacitus ist zuletzt die fragliche Tatsache mit Sicherheit zu entnehmen. Hätte es nur eine Kategorie von Beamten bei den Germanen gegeben, so hätte diese jedenfalls recht zahlreich sein müssen. Nun erfahren wir aber immer wieder, daß in jeder Völkerschaft einzelne Familien weit über die Menge hervorragten, so weit, daß keine andere sich mit ihnen messen konnte, daß einzelne rundweg als die »stirps regia« bezeichnet werden (Tacitus, ann. II, 16, hist. 4, 13). Die heutige Forschung ist darüber einig, daß es einen Kleinadel bei den Urgermanen nicht gab. Die nobilitas, von der immer wieder die Rede ist, ist ein fürstlicher Adel. Diese Familien leiten ihre Herkunft von den Göttern ab12 »reges ex nobilitate sumunt« (Germania cap. 7). Die Cherusker erbitten sich vom Kaiser Claudius den Neffen des Armin als den einzig übrigen von königlichem Stamm (ann. II. 16). In den nordischen Staaten gab es keinen Adel außer den königlichen Geschlechtern. Eine so starke Differenzierung zwischen diesen Adels-Geschlechtern und dem Volk wäre nicht möglich gewesen, wenn für jede Hundertschaft ein fürstliches Geschlecht existiert hätte. Es genügt nicht, anzunehmen, daß unter diesen zahlreichen Häuptlingsfamilien einige ein ganz besonderes Ansehen genossen hätten. Wäre es weiter nichts gewesen als ein solcher Gradunterschied, so wären an die Stelle ausgestorbener Familien ohne weiteres andere gerückt; man hätte nicht einige als »stirps regia« bezeichnet und die Zahl hätte nicht so klein werden können. Gewiß war der Unterschied kein absoluter; eine alte Hunno-Familie konnte wohl auch einmal unter die Fürsten aufrücken. Aber deshalb war der Unterschied doch nicht bloß ein gradueller, sondern ein spezifischer: die Fürstenfamilien bildeten eine Adel, in dem der Begriff des Amtes sehr zurücktrat, die Hunni gehörten zu den Gemeinfreien und wurden wesentlich getragen durch das Amt, das immerhin auch wieder eine gewisse Erblichkeit annehmen konnte. Was uns Tacitus von den germanischen Fürstenfamilien erzählt, bedingt also, daß ihre Zahl nur sehr gering war, und diese geringe Zahl wieder um bedingt, daß es unter den Fürsten noch niedere Beamte gab.

Auch militärisch ist es schlechthin notwendig, daß in einem größeren Heerhaufen kleinere Abteilungen von allerhöchstens 200-300 Mann unter[16] einem besonderen Vorgesetzten existieren. Ein germanisches Aufgebaut von 5000 Kriegern muß wenigstens 20, wahrscheinlich aber an die 50 Unterführer gehabt haben. Unmöglich kann die Zahl der principes so groß gewesen sein.

Dasselbe ergibt die Betrachtung des Wirtschaftslebens. Notwendig hatte jede Dorf einen eigenen Vorsteher. Gerade der Agrar-Kommunismus und die vielfältigen Vorkehrungen, die für das Austreiben und den Schutz der Herden nötig waren, machte das unerläßlich. Das Dorf als Körperschaft mußte jeden Augenblick bereit sein zu handeln und konnte nicht die Ankunft und die Befehle eines mehrere Meilen entfernten princeps abwarten. Müssen wir uns die Dörfer auch als recht groß vorstellen, jedes einzelne Dorfhaupt war doch nur eine sehr kleine Größe. Die Familien, deren Stamm als königlich angesehen wurde, müssen eine umfassendere Autorität gehabt haben, wie sie auch viel weniger zahlreich waren. Zwischen Fürsten und Dorfhäuptern ist also zwischen wesentlich verschiedenen Funktionären zu unterscheiden.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 15-17.
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