6. Limites.

[131] Tac. Ann. II, 7 »cuncta inter castellum Alisonem ac Rhenum novis limitibus aggeribusque permunita«. Man hat bisher in dem »limitibus« Grenzwälle sehen wollen, aber das ist eine einleuchtende Unmöglichkeit: in welcher Richtung sollen sie gelaufen sei? Was sollen sie begrenzt, was beschützt haben? Woher die Truppen, solche Linien zu besetzen? Wir werden darüber noch unten bei der Betrachtung des späteren großen limes zu sprechen haben. Limes heißt der Rain, d.i. zugleich Grenze und Weg. Das Wort wird aber auch sehr viel so gebraucht, daß nur an die eine Bedeutung gedacht wird und die andere vollständig verschwindet. Z.B. »aperire limites«, Vellejus II, 121, heißt wohl einfach »eine Grenze setzen«, in welchem Sinne auch Seneca, de benef. I, 14, den Ausdruck gebraucht, sogar in restringierenden Sinne »minus laxum limitem aperire«. Livius aber XXXI, 39, läßt König Philipp »transversis limitibus« gegen den Feind marschieren; Cicero, Somn. Scip. 8 (de re publ. VI, 24), sagt »bene meritis de patria quasi limes ad coeli aditum patet« und Ovid, Metam. VIII, 558, sogar »solitus fluminis limes«. Hier wie an vielen anderen Stellen ist es also nichts als »Weg«. Die Vorstellung, daß der limes mit einer Befestigung verbunden oder überhaupt Grenzbefestigung sei, ist erst viel jünger, wohl gar erst modernen[131] Ursprungs und nunmehr durch die Limes-Forschung selbst allmählich wieder aufgelöst. Tacitus gebraucht den Ausdruck siebenmal. Germ. 29 und Agr. 41 in dem Sinne »Grenze«. Hist. III, 21 und 25, Schlacht bei Cremona, wie man die Schilderung auch sonst verstehen mag, offenbar in dem Sinne »Weg«. Ann. I, 50, zieht Germanicus gegen die Marser, »silvam Caesiam limitemque a Tiberio coeptum scindit, castra in limite locat«. Germanicus ist nördlich der Lippe vorgegangen, hat sich dann nach Süden gewandt, die Lippe überschritten und darauf den Cäsia-Wald und den Limes des Tiberius durchschnitten. Es ist völlig ausgeschlossen, hier an eine Befestigung zu denken. Dagegen paßt sehr gut die Annahme eines Weges, den Tiberius südlich, ungefähr parallel der Lippe anzulegen angefangen, den man nun kreuzte und auf dem man das Lager schlug.

Die siebente Stelle ist eben die unsere. Mit einer »Grenze« kann »limes« hier durchaus nichts zu tun haben. Die »aggeres«, mit denen die »limites« zusammengestellt sind, sind Straßendämme. Auch an der oben angeführten Stelle über die Schlacht bei Cremona ist erst (Hist. III, 21 und 23) von dem »agger viae« die Rede, im unmittelbaren Anschluß daran von limes im Sinne von Weg, und das wird es auch hier sein. »Permunire« heißt sonst bei Tacitus befestigen, wobei »per« den Sinn nur verstärkt, ihn nicht ändert. »Befestigen« im Sinne von »verschanzen« kann hier nicht gemeint sein. Es ließe sich vielleicht einfach mit »sichern« übersetzen, in welchem Sinne »munire« vielfach vorkommt, z.B. Plinius h. nat. XX, 51, und Lucrez IV, 1256 (Lachmann) »gnatis munire senectam«, gesagt wird, so dürfte sich unser Satz vielleicht am besten wiedergeben lassen: er durchbaute alles zwischen Aliso und dem Rhein mit neuen Straßen und Wegen, oder in natürlicherer Ausdrucksweise: er baute eine durchgehende feste Straße von Aliso bis zum Rhein.

Eine andere, nicht ganz unmögliche Auslegung, an die ich zuerst gedacht habe, würde sein, die limites als Ausholzungen entlang der Straße aufzufassen, um den Germanen die Überfälle zu erschweren. Da die Urbedeutung von limes Rain ist und, wenn eine Grenze durch einen Wald gezogen wurde, gewiß oft an ihr entlang eine Ausholzung stattfand, so wäre die Übertragung wohl nicht unmöglich. Aber da limes so sehr oft einfach als »Weg« und sogar neben »agger« erscheint, so ist diese Auffassung auch an unserer Stelle doch wohl die richtige. Auf jeden Fall ist der Sinn der Stelle der, daß Germanicus, während die Legionen bei Aliso standen und abwarteten, bis der Feldherr mit der Flotte in der Weser erschien, die Zeit benutzen ließ, die Verbindung zum Rhein zu verbessern.
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Zur 2. Auflage. Die vorstehend entwickelte Auffassung hat ihre Bestätigung gefunden in einer mit breitester philosophischer Gelehrsamkeit ausgeführten Abhandlung von OXÉ in den Bonner Jahrbüchern, Bd. 114/115. Auch er legt dar, daß der limes des Tiberius eine Heerstraße ist, von der der Verfasser annimmt, daß sie ganz gerade und sehr breit gewesen sei. Die Anlage, die Germanicus i. J. 16 machen läßt, ist ihm einfach die Fertigstellung der von Tiberius begonnenen Straße. Das ist seiner Ansicht nach sowohl der Natur der Sache, wie dem Ausdruck »permunire« zu entnehmen, in dem die Fertigstellung liege. Wenn das richtig sein sollte, so muß Tacitus den Ausdruck aus seiner Quelle übernommen haben, denn er selbst hat schwerlich so viel topographische Anschauung gehabt und so viel Aufmerksamkeit auf den sachlichen Zusammenhang verwandt, um bei der Erzählung von dem Werk des Germanicus an den limes der Tiberius zu denken. Vgl. noch unten über die limites des Domitian.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 131-133.
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