3. Der Limesbau Domitians.

[164] ist uns nach der gewöhnlichen Annahme bezeugt durch Frontin (I, 3, 10), wo es von ihm heißt: »limitibus per centum viginti milia passuum[164] actis non mutavit tantum statum belli, sed subjecit ditioni suae hostes, quorum refugia nudaverat«. Gegen die Verwertung dieses Zeugnisses hat sich der General WOLF gewandt im Militär-Wochenblatt 1900, Nr. 102, Sp. 2533. Er macht darauf aufmerksam, daß in dem handschriftlich überlieferten Text nicht »limitibus«, sondern »militibus« stehe, »limitibus« auf einer bloßen Konjektur beruhe, und daß sachlich sich eine so große Befestigungsanlage nicht während eines kurzen Feldzuges herstellen lasse. Erst müsse man den Feind besiegen und unterwerfen, ehe man zum Bau von Befestigungen schreiten könne. Kühne und unternehmende Gegner wie die Chatten würden, wenn die Römer ihr Heer auseinandergezogen hatten, über die mit Bauen beschäftigten einzelnen Abteilungen hergefallen sein. »Wir haben hier ein Beispiel«, fügt der Verfasser hinzu, »wie das mangelnde Verständnis einer kriegerischen Begebenheit den besten Kenner der lateinischen Sprache in Irrtum versetzen konnte.«

Um diesen Gegensatz handelt es sich nun wohl nicht; auch Generalleutnant v. Sarwey hat die Lesart »limitibus« angenommen, und sie ist die zweifellos richtige. Das ganze Kapitel Frontins handelt von der Auffindung des jedesmal richtigsten strategischen Systems, »De constituendo statu belli«. Alexander und Cäsar, wird dargelegt, hatten gute Gründe, stets auf die Schlachtentscheidung auszugehen; Fabius Cunctator tat mit Recht das Gegenteil. Perikles räumte das Land und führte den Krieg zur See. Scipio befreite Italien von Hannibal, indem er selbst nach Afrika ging. In diesem Zusammenhang heißt es nun von Domitian: »Imperator Caesar Domitianus Augustus, cum Germani more suo e saltibus et obscuris latebris subinde impugnarent nostros tutumque regressum in profunda silvarum haberent, limitibus per centum viginti milia actis non mutavit tantum statum belli, sed et subjecit ditioni suae hostes, quorum refugia nudaverat«. Liest man »militibus« so entsteht das Bild eines ganz gewöhnlichen Feldzuges; von der Konstituierung eines besonderen »status belli« kann nicht die Rede sein. Liest man »limitibus«, so ist diese Schwierigkeit gehoben, aber hält man an der gewöhnlichen Auslegung limes = Grenzbefestigung fest, so ist das »refugia nudaverat« schwer zu erklären. Ich möchte daher vorschlagen, die »limites«, wie Tac. II, 7, nicht als »Grenzen«, sondern als »Wege« aufzufassen. Mit dieser Interpretation gewinnt der ganze Paragraph einen präzisen Sinn und festen Zusammenhang: die Chatten waren in den Schlupfwinkeln ihrer Wälder nicht zu fassen; da legte Domition durch ihr Gebiet 120 Meilen (180 Kilometer) Straßen an und veränderte dadurch nicht nur den status belli, sondern unterwarf auch die Feinde, deren Zufluchtsorte er zugänglich gemacht hatte, seiner Herrschaft.

Entfällt auch durch diese Interpretation das Zeugnis für die Anlegung des Pfahls durch Domitian, so wird in der Sache dadurch doch nichts geändert, da das eroberte Gebiet geschützt werden mußte und die Funde die Anlegung der Kastelle in der Zeit Domitians sichergestellt haben.[165]

Die Armee wurde zum Zweck des Baues der Straßen, Kastelle und Zäune natürlich nicht aufgelöst, sondern die Bauten stückweise unter dem Schutz genügend massierter Truppen vollzogen.

Zur 2. Auflage. OXÉ in seiner Untersuchung über den limes, Bonner Jahrb. 114, S. 109 (vgl. oben S. 130), will die Zahl 12000 in 120 Fuß ändern (statt »limitibus per centum viginti milia actis« »limitibus ped. CXX actis«) und sie nicht auf die Länge, sondern auf die Breite der Straßen beziehen. Ein wahrhaft klassisches Beispiel, zu welchen Verirrungen philologische Gelehrsamkeit ohne militärische Sachkunde führen kann. Oxé schreibt: »Man kann unmöglich einem praktischen Offizier wie Frontin zutrauen, daß er bei einem limes – wenn er ein Maß angab – das Breitenmaß überging, das Lehrreichste an dem ganzen Beispiel und das in der Fachliteratur Üblichste. Dagegen ist zu sagen, daß es erstens schwer verständlich wäre, wenn die Römer, denen doch an der schnellen Entscheidung liegen mußte, sich die ungeheure Arbeit aufgeladen hätten, Straßen von 120 Fuß Breite in der Wildnis anzulegen, die 30 Fuß und noch 20 Fuß breit alles Nötige geleistet hätten. Selbst wenn man aber die 120 Fuß nicht auf die eigentliche Straße, sondern auf den Ausbau in den Wäldern beziehen will, um Überfälle zu erschweren, so ist zweitens die Breite der Schneise sehr wenig im Verhältnis zur Länge der Anlage. Der Kaiser legte während des Feldzuges in den feindlichen Landen 180 Kilometer Wege an: das ist eine Leistung und ist das Mittel, um germanisches Völkerschaftsgebiet den Römern zu unterwerfen. Nur ein militärisch ganz verständnisloser Techniker hätte auf die Idee kommen können, der Nachwelt statt der Länge die Breite der Straßen aufzubewahren. Am allerwenigsten aber ist man berechtigt, eine in dieser Beziehung völlig einwandfreie handschriftliche Überlieferung so ins Minderwertige zu verbessern.«

VIEZE, Domitians Chattenkrieg, Progr. d. 8. städt. Realschule in Berlin, Ostern 1902, hält noch andere Übersetzung »limites« = »Grenzbefestigung« fest.

4. Eine ganz eigenartige Begründung für den Rückfall der Römer in eine bloße Grenzverteidigung gegen die Germanen hat MAX WEBER gefunden (Handwörterbuch d. Staatswissensch. I, 180). Er meint, die provinzialen Großgrundbesitzer, die Possessoren, hätten von dem Heere »vor allem Schutz und Bewachung ihres Besitzes, also defensive Aufgaben verlangt«. Dazu ist zu bemerken, daß Großgrundbesitzer gegen Barbaren nicht anders geschützt werden als andere Menschen, und daß daher auch für sie der beste Schutz gegen die Germanen gewesen wäre, wenn man sie unterworfen hätte – vorausgesetzt nämlich, daß man es konnte.[166]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 164-167.
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