Der Thiufadus.

[333] Es ist die Frage, ob der Thiufadus der Befehlshaber über 1000 oder über 10 ist. Grimm hat das überlieferte tiufadus in thiufadus geändert (thiu asu thusundu verkürzt), weil ein Befehlshaber über zehn Mann nicht zu vermuten sei. Vgl. DIEFENBACH, Wörterbuch d. gotischen Sprache II, 685. Das letztere ist, wie wir gesehen haben, auf jeden Fallun richtig. Ganz klar aber ist die Sache nicht.

In den Heeresgesetzen der westgotischen Könige Wamba und Erwig, über die wir unten noch zu handeln haben (abgedruckt unten Buch 4, Kap. 4) ist der Centenar und Dekan verschwunden, während der Thiuphad noch existiert, aber als ein Mann, der zu den »viliores personae« gehört, dem Prügel angedroht werden. Ist der Thiuphad wirklich ein Anführer von 1000 Kriegern gewesen, so ist er sehr weit herabgeglitten, denn ein Mann, der 1000 kommandiert, ist immer schon eine hochgestellte Persönlichkeit,[333] und selbst wenn die Zahl 1000 praktisch auch nicht entfernt erreicht worden sein sollte, so erscheint eine so starke Degradation doch befremdlich. Aber die älteren westgotischen Gesetze (abgedruckt unten Buch 4, Kap. 1) scheinen kaum eine andere Auslegung zuzulassen, und schließlich würde der Vorgang unsere Auffassung, namentlich im Zusammenhang mit dem Verschwinden des Centenarius, nur bestätigen. Der vielgegliederte Aufbau der Wanderzeit 10-100-1000 und darüber noch ein Graf oder Herzog wurde nach der Ansiedlung mehr und mehr überflüssig. Die Hundertschaft im alten Sinne verschwand. Die Tausendschaft (von Anfang an tatsächlich erheblich unter dieser Zahl) wurde durch die mannigfachen Verteilungen bei der etappenweisen Ansiedlung kleiner und kleiner. Eine Zeit lang mögen die Bezeichnungen Hundertschaft und Tausendschaft nebeneinander hergegangen sein, indem sie ungefähr dasselbe bedeuteten. Wie weit solche Nomenklaturen sich oft von ihrem ursprünglichen Sinn entfernen, zeigt das Wort »Division«, das in der napoleonischen Armee ebensowohl (übereinstimmend mit dem heutigen Sprachgebrauch) einen großen Heerkörper von mehreren Regimentern wie die taktische Formation der Kompagnie bedeutete. Dieser Doppelsinn führte sogar bei dem großen Angriff des Korps Erlon bei Belle-Alliance zu einem verhängnisvollen Mißverständnis. Der westgotische Tiuphad ist auf dem Wege des Herabgleitens etwas ähnliches geworden, wie im fränkischen Reiche der Tunginus, ein Dorfschulze, und es ist nicht unmöglich, daß die thiuphadia L. Vis. IX, 2, 5, die DAHN, Könige VI., 209, Anmerk. 8, auf eine etwas künstliche Weise weginterpretiert, hineingekommen ist, weil sie tatsächlich schon mit der centena identisch war, obgleich das Gesetz an anderen Stellen noch den traditionell geltenden Schematismus der Ein- und Überordnung festhält.

ZEUMER, N. Archiv, Bd. 23, S. 436, macht darauf aufmerksam, daß cap. 322 des cod. Euric. noch den millenarius als Richter in einer Privatrechtssache nennt, den die entsprechende Antiqua IV, 2, 14 fortläßt: seine Stellung hat sich in der Zwischenzeit bereits verändert.[334]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 333-335.
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