Die Scara und die Domänenhöfe


Die Scara und die Domänenhöfe.

[18] Eine Kriegsverfassung, die darauf beruht, daß der Kriegerstand über das ganze weite Reichsgebiet zerstreut auf seinen Höfen lebt und für jeden Kriegszug erst aufgeboten, ausgerüstet, gesammelt und in wochenlangen Märschen herangeführt werden muß,[18] eine solche Kriegsverfassung ist von einer sehr großen Schwerfälligkeit und für kleinere Kriegsaufgaben, Grenzschutz und Nachbarfehden unbrauchbar. War auch in Grenzgebieten der angesiedelte Kriegerstand vielleicht zahlreicher, als im Innern des Landes und erstreckte sich das Kriegertum, die Kriegsfähigkeit, Kriegslust und Bewaffnung hier noch über erheblich weitere Kreise, so war und blieb ein Aufgebot bloß aus einem Grenzstrich und seinen Nachbarlandschaften doch immer sehr klein und war, namentlich offensiv, da diese Leute ungern ihre eigenen Höfe ungeschützt ließen, wenig zu gebrauchen. Wir finden daher, daß unter Karl dem Großen das Aufgebot der Lehnsleute ergänzt wird durch eine Truppe, die »scara«, die »Schar« genannt wird. Wir könnten es vielleicht am besten mit »Wache« übersetzen. Es ist eine kleine, sozusagen stehende Truppe, Mannschaft, die nicht angesiedelt ist, sondern am Hofe oder in einem Lager verpflegt wird, eine Leibwache des Kaisers, die groß genug ist, kleinere kriegerische Expeditionen selbständig, ohne die Verstärkung und Unterstützung durch das Landesaufgebot zu machen. Da sie meist junge Leute waren, so werden sie von den Schriftstellern auch »tirones« und »juvenes« genannt18; die deutsche Bezeichnung ist Haistalden oder Austalden, woher unter heutiges Wort »Hagestolz« kommt, da sie keine Familie haben konnten. Auch für die dauernde Besetzung von Burgen in erobertem Gebiet bedarf man ihrer, da die belehnten Vasallen immer nur gewisse Zeit von ihrer Hufe fortgerufen werden können.

Nicht nur zu kriegerischen Zwecken nach außen, sondern auch im Innern, gegen Räuber, zu polizeilichen Diensten wurden diese stets bereiten Scharen verwendet; die Worte »Scharwache« und »Scherge« sind daher entstanden. Auch zu allerhand technischen Zwecken, z.B. der damals sehr wichtigen Grenzabsteckung, wurden sie verwandt oder, wie man wohl besser sagt, für dergleichen Dienste waren geeignete und ausgebildete Leute unter ihnen. Bei König Knut von Dänemark-England finden wir später die »Hauskerle« als analoge Institutionen, und milites aulici, palatini, die uns in späteren Jahrhunderten begegnen,19 sind dem Wesen nach abermals dasselbe.[19]

Die Scharen oder Leibwachen wurden als zur Person des Königs und zum Hofe gehörig auch vom Hofe und in der Art des Hofes verpflegt. Die fränkischen wie die deutschen Könige hatten keine eigentliche Residenz, sondern waren fast fortwährend in Bewegung durch ihr großes Reich,20 um der Natur des Staates gemäß persönlich das königliche Amt auszuüben. Dies Umherziehen wäre von unerträglicher Schwierigkeit gewesen, wenn für den ganzen Regierungsapparat und Hofhalt immer die ganze Verpflegung hätte mitgeschleppt werden müssen. Das geschah nicht nur nicht, sondern umgekehrt, es war noch ein besonderes Motiv für die Beweglichkeit des Königtums, daß es seine Verpflegung allenthalben fand, daß die königlichen Domänen, statt ihre Erträge an entfernte Zentralpunkte zu schicken, sie nur an Ort und Stelle für die Verpflegung des königlichen Hofes bereit zu halten brauchten. Nicht die Verpflegung wurde zu Hofe geschafft, sondern der Hof zog von einer Verpflegungsstelle zur anderen. Konr. PLATH hat nachgewiesen, daß schon die Merowinger-Könige sich zahllose Paläste (Pfalzen) gebaut haben, oft nur eine Tagereise voneinander entfernt, offenbar zu dem Zweck, dem reisenden Hof als Unterkunftsstätte zu dienen. Es war wirtschaftlicher, diese zahlreichen großen Bauten aufzuführen, als Jahr für Jahr die Domänenerzeugnisse auf weite Entfernungen zu transportieren, und viele solcher Erzeugnisse, Fettvieh, Wild, Fische, Eier, waren überhaupt nicht weit transportierbar. Man kann wohl nicht geradezu sagen, das Reise-Königtum sei ein Produkt der Naturalwirtschaft; es ist tiefer in der Natur des germanischen Königtums begründet: aber jedenfalls hängt es eng mit der Naturalwirtschaft zusammen und hat sich wegen dieses Zusammenhangs so tief eingebürgert und so lange behauptet.

Ganz neuerdings hat nun CARL RÜBEL21 nachgewiesen, daß in der Karolingerzeit auf den Wegen, die mit den Sachsenkriegen zusammenhängen, von Etappe zu Etappe Reichshöfe gegründet[20] worden sind, große Domänenhöfe, die die Sammelstellen für die Abgaben der umliegenden Bauernschaften bildeten. Diese Reichshöfe also waren imstande, nicht nur den Hof, sondern auch die ihn begleitende, oder auch eine selbständig marschierende scara auf einen oder einige Tage zu verpflegen, und gaben ihr eine Beweglichkeit, wie sie ein eigentliches Landheer niemals erreichen konnte. Für dieses mußte das Mitbringen und Mitschleppen der Verpflegung beibehalten werden, da für mehrere Tausende die Vorräte der Reichshöfe natürlich nicht ausreichten. Einige Heerstraßen- und Grenzgebiete konnten nicht die Kriegslast für das ganze Reich tragen und das eigentliche Heer mußte also seine Vorräte selbst mitbringen und mitschleppen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 18-21.
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