Bauern-Kriegsdienst.

[107] Indem in einer langen, langsamen Entwickelung das Vasallen-Aufgebot an die Stelle des altgermanischen Volksaufgebots, auch in den reingermanischen Teilen des Karolingerreichs, trat, ist doch der staatsrechtliche Begriff des allgemeinen Volksaufgebots als eines äußersten, letzten Notbehelfs, als Landsturm, nie ganz verlorengegangen, und in den Grenzgegenden, namentlich Sachsens, ist auch noch lange immer wieder von Zeit zu Zeit ein praktischer Gebrauch davon gemacht worden. Bei Widukind scheint zuweilen der Unterschied, der zwischen dem Berufskriegertum und dem Heerbann im alten Sinne gemacht wird, noch in den Ausdrücken erkennbar.

I, 21 sieht König Konrad, daß Herzog Heinrich sehr stark ist »suppeditante fortium militum manu, exercitus quoqueinnumera multitudine«. Die Unterscheidung zwischen den milites und der Menge des exercitus scheint kaum anderes zu deuten, als zwischen Berufskriegern und Volksaufgebot. Ebenso I, 36, wo dem Bernhard »exercitus cum praesidio militari« gegen die Redarier übergeben wird, und I, 38, so die »legio Thuringorum cum raro milite armato« (vgl. auch II, 3) gegen die Ungarn[107] geschickt wird. Ganz sicher und absolut konstant ist Widukind in dieser Terminologie jedoch nicht, wie schon die merkwürdige Wendung zeigt, daß er an der letztzitierten Stelle die Thüringer Volkswehr nicht mit »exercitus«, sondern mit »legio« bezeichnet, was doch gerade eine spezifisch militärische Begriffsbezeichnung ist. I, 17 gebraucht er die Wendung »exercitus et militia«, stellt also beides nebeneinander, I, 21 aber erzählt er von der Entrüstung »totius exercitus Saxonici« über König Konrad, wo zweifellos die Ritterschaft eingeschlossen ist, unmittelbar neben der Stelle, wo sie gesondert werden. Gar I, 38 wünscht Heinrich die Ungarn in den Bereich des exercitus zu locken, wo in erster Linie die Ritterschaft und höchstens daneben der Heerbann gemeint sein muß. Kurz vorher kommt das Wort »exercitus« noch zweimal in demselben, umfassenden Sinne vor.

Es scheint mir daher zu viel geschlossen, wenn SCHÄFER105 die Erzählung Widukinds (III, 17), Herzog Konrad hat »suppeditante fortium militum manu« unentschieden gekämpft und mit dem »exercitus« der Lothinger, dahin auslegt, daß letzteres der Heerbann des Landes gewesen sei. Ein bloßes Bauernaufgebot würde Konrad der Rote mit seinen Rittern wohl auseinandergesprengt haben.

BALTZER S. 3 glaubt sogar, daß der Bauer zu Pferde gedient habe. Er glaubt aus Thietmar (975-1018) herauszulesen, daß diesem die Beteiligung von Fußvolk am Kriege als etwas Ungewöhnliches erschienen sei, und schließt daraus weiter, daß also auch die Bauern damals zu Pferde dienten – der richtige Schluß ist vielmehr, daß sie gar nicht dienten.

Am wenigsten darf man schließen, wie Baltzer weiter tut, daß die Institution des bäuerlichen Reiterdienstes unter den Saliern wieder verfallen sei, weil wir in der Schlacht an der Unstrut von »vulgus pedestre« hören. Allerdings wurden in den inneren Kriegen Heinrichs IV. auch Bauern aufgeboten. In dem Gedicht über den Sachsenkrieg ist gesagt (II, 130 ff.), daß aus allen Dörfern die Haufen zusammengekommen und der Bauern seinen Pflug verlassen habe, um gegen den König zu kämpfen (vgl. darüber noch unter Kap. 3), und nachher bot wieder Heinrich in Süddeutschland die Bauern für sich auf. Geleistet aber haben diese Aufgebote hier so wenig, wie in den Generatonen vorher gegen die Wikinger. Die Sachsen wurden in der Schlacht an der Unstrut von den Rittern Heinrichs niedergemetzelt, wie einst die fränkischen Bauern-Aufgebote von den Normannen, und die Bauern, die im Elsaß und am Neckar 1078 für den König kämpften, wurden nicht nur völlig überwältigt, sondern auch von ihren ritterlichen Gegnern zur Strafe für die Anmaßung, Waffen führen zu wollen, kastriert.

GUILHIERMOZ S. 346 ff. stellt fest, daß vom 10. Jahrh. an das Volk in den Quellen als die waffenlose, unkriegerische Menge behandelt werde, meint aber, daß gerade um diese Zeit die Bestimmungen beginnen,[108] die auch von den Bauern Kriegsdienst verlangen. Er erklärt das so, daß die Bauern das Fußvolk stellten, dessen Bewaffnung aber als etwas so Minderwertiges angesehen wurde, daß man die Leute doch als »inermes« bezeichnete. Daß diese Lösung des Widerspruchs unmöglich ist, wird keines Beweises bedürfen. In Wirklichkeit ist gar kein Widerspruch vorhanden. Denn prüft man die Zeugnisse, die Guilhiermoz S. 387 aus dem 11., 12. und 13. Jahrh. für den Kriegsdienst der Bauern anführt, näher, so sprechen sie entweder nicht von Bauern (z.B. die »hommes de la vallée d'Andorre«, die von jedem Hause einen Mann stellen wollen) oder es handelt sich um den Landsturm. Auch bei den Zeugnissen, die ERNST MEYER, Deutsche und französische Verfass.-Gesch. I, 123 Anm. 4 anführt, schließt es gerade die Bestimmung, daß von jedem Hause nur ein Mann kommen soll, aus, daß von einem Bauern-Aufgebot die Rede ist: ein solches Massenaufgebot ist nur in der nächsten Nähe auf wenige Tage denkbar.

Otto v. Nordheim sagte im Jahre 1070 seinen Bauern, da sie nicht fechten könnten, möchten sie für ihn beten (pro se, quoniam arma ferre non possent, supplicita ad Deum voto facere flagitavit).106 Es fiel ihm nicht ein, sich durch sie zu verstärken, obgleich er unmittelbar darauf ein Gefecht hatte und den Kampf gegen den König noch den ganzen Winter fortsetzte. Wenn im Widerspruch mit diesem Bilde die neuen Historiker viel von den Leistungen der sächsischen Bauern in den Kämpfen gegen Heinrich IV. zu erzählen wissen, so werden wir unten bei Darstellung der einzelnen Schlachten sehen, wie wenig davon wirklich in den Quellen steht und übrigbleibt.

Sollen wir nun auf Grund jener Stellen bei Widukind annehmen, daß zwischen zwei Perioden der Nicht-Leistung doch noch wieder eine Generation der Kriegstüchtigkeit gelegen hat? Das ist offenbar unmöglich. Die angeführten Stellen sind wohl zum Theil nur rhetorischer Aufputz; man mag aber auch annehmen, daß, wie ja zur Zeit der stehenden Heere im 18. Jahrhundert auch Miliz-Bataillone vorkommen, König Heinrich I. und andere die Scharen der Berufskrieger zuweilen durch Landsturm-Aufgebote verstärkten, daß aber auch das allmählich mehr und mehr abkam, vielleicht mit Ausnahme der Grenzdistrikte, wo sich ein gewisses Kriegertum in der Masse erhielt.

NITZSCH (in der Hist. Zeitschr. Bd. 45 p. 205) hat gemeint: »Noch im 12. und 13. Jahrhundert erging bei allgemeiner Landesgefahr in den Gauen in dem Norden der Elbe das Landesaufgebot bei Strafe des Hausbrandes und des Zimmerbrechens; am Ende des 12. Jahrhunderts treffen wir eben dort als zu Recht bestehende Sitte, daß die Bevölkerung zur Belagerung einer angegriffenen Burg abwechselnd aufgeboten wird und sich ablöst.«[109]

In einem Aufsatz »Das sächsische Heergewäte und die Holstein-Ditmarsische Bauernrüstung« (Jahrbücher f. d. Landeskunde der Herzogtümer Schleswig, Holstein, Lauenburg, Bd. I S. 335) (1858) glaubt NITZSCH den Nachweis zu führen, daß im 14. Jahrh. der Bauer im Norden noch zu Pferde diente und daß, wenn dies am Schluß des 15. Jahrh. nicht mehr der Fall war, darin eine bedeutende Veränderung lag. Die Stellen, auf die er sich beruft, sind zum Teil überhaupt ohne Beweiskraft, z.B. die Erzählung des Presbyter Bremensis (Mitte des 15. Jahrh.) über die Reiter des Grafen Klaus (100 Jahre früher) oder sie beweisen nur, daß bei einem Landsturm-Aufgebot auch Leute zu Pferde dabei waren, was von vornherein nicht zu bezweifeln ist. NITZSCH selbst zitiert S. 353 ein Aufgebot der Wilster Marsch a.d.J. 1342, das die Erzählung des Presbyter Bremensis direkt widerlegt, da nur Männer und Wagen, keine Reitpferde, dabei gefordert werden.

Als besonderen Beweis, daß der Bauer einmal zu Pferde gefochten habe, glaubt Nitzsch ansehen zu dürfen, daß das Streitroß zum sächsischen Heergewäte gerechnet wurde und daß einige Spuren vorhanden sind, wonach auch bei den Bauern das Streitroß dazu gehörte. Nitzsch glaubt das auf die Zeit Heinrichs I. zurückführen zu dürfen, der »seinen ganzen Stamm den Reiterkrieg gelehrt haben soll«. Aber die Spuren, daß das Streitroß auch bei den Bauern zum Heergewäte gehörte, sind jedenfalls nur sehr schwach und beweisen, wenn man sie als solche anerkennen will, jedenfalls nicht, daß das Roß einmal allgemein zum Heergewäte gehörte, und schließlich für die Beziehung auf die Zeit Heinrichs I. fehlt jeder Anhalt: man könnte dann ebensogut in noch viel frühere Zeiten hinausgehen.

Am wahrscheinlichsten ist noch, daß sich in Preußen ein gewisses Kriegertum im Volke gehalten hat. Das Streitroß, das anderswo, z.B. in Brandenburg, der Schulze stellen soll, bedeutet wohl bloß das Pferd, nicht, daß er selbst es reiten soll.

Daß, wie wir noch sehen werden, König Harold von England in seinem Kampf gegen die Normannen es mit einem Bauern-Aufgebot nicht versuchte, wird sich daraus erklären, daß der angelsächsische Bauer an dem Kampf zwischen Harold und Wilhelm überhaupt keinen inneren Anteil nahm; daß es sich um die Abwehr einer Fremdherrschaft handelte, wird ihm erst hinterher klargeworden sein. Die Erhebung der Sachsen gegen Heinrich IV. aber hatte zweifellos ein volkstümliches Element, und wiederum die Bauern, die Heinrich nachher aufbot, werden ebenfalls von dem Parteigeist der Epoche genug berührt gewesen sein, um einem Aufruf zu folgen, so daß sich diese Aufgebote als Ausnahme- Erscheinungen sehr gut erklären.

In Landesnot soll auch der Markgraf von Östreich einmal (1082) das ganze Land bis zu den Rinder- und Schweinehirten herab zur Verteidigung gegen einen Einfall der Böhmen aufgeboten haben.107[110]

Der Landfriede von 1156 belegte es aber ausdrücklich mit Strafe, »si quis rusticus arma vel lanceam portaverit« und gebot dem reisenden Kaufmann, sein Schwert am Sattel zu befestigen,108 es also nicht wie der Ritter an einem Wehrgehenk zu tragen.

Wenn Otto I. nach dem Gedicht der Roswitha Gesta Oddonis v. 194) neben seinen Rittern auch eine große Volksmasse aufbot

»Militibus suis summo conamine lectis

Necnon immodica tota de gente caterva«,

so ist das nicht von einem Landsturm zu verstehen, sondern es bedeutet entweder, daß die eigentlichen Berufskrieger durch geworbenes Volk sehr verstärkt wurden, denn wenn auch der Bauer und Bürger als Stand weder waffenpflichtig noch waffenberechtigt war, so ergänzt sich das Kriegertum doch im einzelnen fortwährend aus Bauers- und Bürgerssöhnen –

Oder aber, was mir wahrscheinlicher ist,109 Roswitha meint mit den »milites sui« des Königs seine eigenen, direkt verpflichteten Krieger, Vasallen und Ministerialen, die scararii der karolingischen Zeit, palatini, wie sie unter Arnulf, aulici, wie sie später einmal unter Heinrich III. genannt werden,110 im Unterschied von den Aufgeboten aus dem ganzen Lande, die ihm alle die Grafen zuführten.

Der Witz Ottos I. bei Widukind III, 2, daß er soviel Strohhüte gegen Frankreich führen werde, wie weder Herzog Hugo noch sein Vater gesehen, ist uns unverständlich, daß er aber den Gegner mit einem Bauernheer habe schrecken wollen, völlig ausgeschlossen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 107-111.
Lizenz:

Buchempfehlung

Chamisso, Adelbert von

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon