Sechtes Kapitel.

Der Normannenstaat in Italien.

[191] An den Normannenstaat in England schließen wir die Darstellung des Normannenstaates in Unteritalien, der etwas vor der Eroberung Englands durch Wilhelm gegründet wurde und manche Analogien bietet, so daß die Erscheinungen sich gegenseitig erklären und das Bild, das wir von ihnen gewonnen haben, sichern.

Zunächst ist wichtig, daß die beiden Staatsgründungen fast gleichzeitig sind, denn es ergibt sich daraus ein neuer Beweis, mit wie geringen militärischen Kräften damals operiert werden konnte. Als Herzog Wilhelm über den Kanal setzte, um England zu erobern, hatte er nicht einmal die aufgesparten Gesamtkräfte seiner Landschaften zur Verfügung, sondern ein Teil davon war bereits nach Italien abgeflossen. Es waren, wie wir gleich sehen werden, nicht gerade viel Normannen, die sich auf diese Fahrt begeben haben, aber für das beschränkte Gebiet Wilhelms kamen sie doch immer in Betracht und wiederum, wenn für die Begründung eines Königreichs in Italien so wenig Krieger genügten, so läßt das auch einen Schluß auf England zu.

Während wir bei unseren Zahlenberechnungen uns in den meisten Fällen weniger auf direkte und zuverlässige Quellenangaben als auf zufällige Notizen und Rückschlüsse stützen müssen, haben wir für die Normannen in Italien einige Angaben, die wohl direkt verwendbar sind.

Vierzig normannische Ritter waren es, die, von einer Pilgerfahrt nach Jerusalem zurückkehrend, zufällig in Salerno erschienen,[191] als es im Jahre 1016 im Begriff war, den Sarazenen zu erliegen. Das Eingreifen dieser tapferen kleinen Schar genügte, die Stadt zu befreien, und dies Ereignis wurde der Anlaß, daß die Normannen sich in größerer Zahl nach Unteritalien auf den Weg machten, um ihre Kriegsdienste anzubieten. In Unteritalien existierte damals noch eine Anzahl kleiner longobardischer Herzogtümer, Grafschaften und Stadtherrschaften, die in wechselndem Kampf lagen untereinander und mit dem griechischen Kaisertum, sowie mit den Sarazenen, die sich Sicilien vollständig unterworfen hatten. Die Normannen kamen als Söldner, um bald den Griechen gegen die Sarazenen, bald gegen die Griechen den longobardischen Herrengeschlechtern oder den Landschaften zu dienen, und schließlich machten sie sich selbst zu Herren, ganz wie es einst Odoaker oder die Gothen im römischen Reich getan hatten. In den beiden ersten entscheidenden Schlachten bei Olivento und bei Cannä, in denen sie die Griechen überwanden (1041), wird ihre Stärke auf 3000 und 2000 Mann angegeben; auch diese geringe Zahl waren jedoch keineswegs lauter Normannen, sondern sie waren unterstützt durch Landeseinwohner, die sich ihnen gegen die Griechen angeschlossen hatten. Bei Olivento waren nach anderen Quellen die Normannen 500 Ritter oder 700 Ritter und 500 Fußknechte stark.154 Von Robert Guiscard selbst wird in seinen ersten Anfängen berichtet, daß er sich aus den niedrigsten Klassen der kalabrischen Bevölkerung, den Nachkommen der römischen Kolonen und Sklaven, eine Schar beutelustiger Anhänger gebildet habe, mit denen er das Land plünderte.155 Die Normannen mit ihrer überlieferten Wikinger-Tapferkeit bildeten also nur einen Kern, um den sich kriegslustiges und kriegstüchtiges Volk jeder Art sammelte. So besteht ja auch das Heer Wilhelms des Eroberers nicht bloß aus Normannen, sondern aus Söldnern aller Herren Länder.

Mehrfach versuchte die gepeinigte Bevölkerung sich dieser[192] kriegerischen Herrenklasse in Verschwörungen und Aufständen zu entledigen. Sie fürchteten für ihre Frauen und Töchter, als Normannen bei ihnen einquartiert waren, heißt es einmal bei Gaufredus Malaterra.156 Aber alles Sträuben ist vergeblich, und schließlich gelingt es dem kräftigsten und glücklichsten der normannischen Abenteurer, Robert Guiscard, nicht nur ganz Unteritalien und Sicilien, das den Sarazenen entrissen wird, unter der Herrschaft seiner Familie zu vereinigen, sondern die Normannenherrschaft wird so stark, daß sie sich mit den deutschen Kaisern messen, daß Robert Guiscard Heinrich IV. aus Rom vertreiben, Gregor VII. unter seinen Schutz nehmen und sogar den Plan fassen kann, sich das byzantinische Reich zu unterwerfen und Konstantinopel zu erobern. Wenn das Heer, mit dem er zu diesem Zweck über das adriatische Meer setzte, auf 1300 normannische Ritter und 15000 sonstige Krieger angegeben wird,157 so ist die letztere Zahl gewiß sehr übertrieben, und eine noch größere Übertreibung ist es, wenn dieselbe Quelle erzählt, daß das Heer, das Robert gegen Heinrich IV. führte, 30000 Mann zu Fuß und 6000 Reiter stark gewesen sei. Das geht schon daraus hervor, daß der Hauptteil dieses Heeres nach anderem Zeugnis158 sarazenische Söldner gebildet haben sollen, die unmöglich so sehr zahlreich gewesen sein können, und hätte Unteritalien soviel kriegerische Fähigkeit gehabt, Heere von 15000 und gar 30000 Mann auf die Beine zu bringen, so wäre es ja vollständig unbegreiflich, wie die wenigen Normannen ihre Herrschaft haben aufrichten können. Schon die 1300 Ritter, die Robert über das adriatische Meer gegen Byzanz geführt haben soll, bedeuten sicherlich ein Maximum, als solches aber sind sie ein immerhin wertvolles Zeugnis, was wenige Ritter für eine Bedeutung hatten.

Das Staatswesen, das die Normannen in Unteritalien schufen, nahm ganz ähnliche Formen an, wie dasjenige ihrer Stammesgenossen in England. Der Grund für diese Ähnlichkeit liegt nicht in einer besonderen Rassen- oder Stammeseigentümlichkeit dieses Volkes, sondern in dem geschichtlichen Ereignis. Das[193] Staatswesen ist aufgebaut auf der Kombination von Rittertum mit einer Beamten- und Steuerverwaltung; die Tendenz, die an sich im Rittertum liegt zur Ausbildung einer Feudalverfassung in stufenweisem Überbau, wurde in den Normannenstaaten gehemmt und zurückgedrängt durch die starke Monarchie mit ihren Beamten und Steuern, weil ohne solche starke Monarchie die Herrschaft des fremden Kriegertums überhaupt nicht zu erhalten gewesen wäre. Die normannischen Ritter waren an sich nicht weniger unregierlich und selbstbewußt als die französischen oder deutschen, aber sie mußten sich der Monarchie fügen, weil sie ohne sie wieder in ein heimatloses Abenteurertum zurückgeworfen worden wären. Die italienischen Normannen fühlten sich noch im Jahre 1083 so wenig mit ihrem Lande verwachsen, daß, als der Krieg, den Robert Guiscard so beutefroh gegen Byzanz unternommen, nicht recht vorwärts ging und er selbst nach Italien zurückgekehrt war, ein großer Teil des Heeres sich von dem griechischen Kaiser Alexius gewinnen ließ und zu ihm übertrat, und als zwei Jahre darauf (1085) Robert selbst starb, wiederholte es sich, daß die normannischen Besatzungen, die noch auf griechischem Boden standen, in den Dienst des bisherigen Gegners traten.159

Generationen mußten vergehen, ehe der fremde, heimatlose Kriegerstand mit dem Volke der Unterworfenen zu einer neuen Einheit verschmolzen war. Wenn auch das Lehnswesen tatsächlich eingeführt wird, so bleiben die Ritter doch mehr Sold- als Lehnsritter.

Der Fürst, der dieses System zur höchsten Vollkommenheit bildet, ist der Sohn der letzten Normannin, Constanze, der deutsche Kaiser Friedrich II., der Hohenstaufe.

Wohl sind auch von Friedrich II. noch die Männer vom Kriegerstande (milites tam feudati quam non feudati), »belehnte und unbelehnte«, wie der Chronist sagt160 aufgefordert worden sich zu stellen (cum toto servitio quod facere tenentur).

Aber dieses eigentliche Lehnsaufgebot spielt nur noch eine sehr geringe Rolle. Die Krieger dienen fast durchweg um Sold,[194] sowohl die Ritter, wie die Bürger, wie die gemeinen Kriegsknechte, die sich anwerben lassen.

Als Friedrich II. im Jahre 1227 zum Kreuzzuge rüstete, verlangte er, daß jedes Ritterlehn eine Steuer von 8 Unzen Gold zahle und außerdem je 8 Ritterlehen zusammen einen Ritter stellen und ausrüsten sollten.161 Es ist also noch dasselbe System, wie in den karolingischen Kapitularien, nur daß hier deutlich ausgedrückt ist, daß es sich nicht um eine Gruppe von Bayern handelt, die einen der ihrigen ausrüsten sollen, sondern um Gruppen von Rittern, und daß die zu zahlende Steuer nicht an den Grafen, sondern direkt in die Kasse des Königs geht.

Das persönliche Band zwischen direkten königlichen Vasallen und Untervasallen, worauf das eigentliche Lehnswesen beruht, zerschnitt Friedrich II. prinzipiell, indem sein Gesetzbuch bestimmte, daß der König auch die Afterlehen vergeben und niemand sich einem anderen, als dem König verpflichten dürfe; die Verbindung zwischen dem Untervasallen und seinem nominellen Lehnsherrn bestand nur noch in einer Geldabgabe von 10 Goldunzen. Dieselbe Einwickelung hatte ja auch die Feudalität im Normannenstaat in England genommen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 191-195.
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