Achtes Kapitel.

Das englische Bogenschießen. Die Eroberung von Wales und Schottland durch Eduard I.

[403] In merkwürdig unsicherem Licht, nicht recht erkennbar in den Quellen, und, soweit erkennbar, schwankend und wechselnd, erscheint die Bedeutung des Bogens im Kriegswesen des früheren Mittelalters. Bei den Urgermanen finden wir ihn in den Quellen so gut wie gar nicht; die Gothen und andere germanische Völkerschaften der Völkerwanderung erscheinen aber so sehr als Bogenschützen, daß Vegez geradezu schreiben konnte, die Römer seien ihrem Pfeilhagel unterlegen. In den karolingischen Kapitularien wird der Bogen vorgeschrieben, aber in den erzählenden Quellen der Zeit erscheint er nur ganz selten, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß wir uns die deutsche Ritterschaft als fast ausschließlich Lanze und Schwert verwendend zu denken haben. Die Normannen wiederum in der Schlacht bei Hastings machen einen äußerst wirksamen Gebrauch von ihren Bogenschützen. Die Kreuzfahrer aber, als sie mit den Türken zu tun bekommen, finden, daß diese ihnen als Schützen überlegen sind, und schaffen sich die Waffe der berittenen Bogenschützen erst nach ihrem Muster. Von Kaiser Friedrich II. hören wir, daß einen wesentlichen Teil seiner Heere in Italien seine sarazenischen Bogenschützen ausmachten, in den Schlachten aber, die sein Sohn und sein Enkel gegen Karl von Anjou schlagen und verlieren, sind nach den Erzählungen gar keine Schützen tätig gewesen.401[403]

Neben den Bogen ist allmählich die Armbrust getreten.402 Das Wort hat weder mit Arm noch mit Brust etwas zu tun, sondern ist eine volksethymologische Umdeutung des mittellateinischen arcubalista, arbalista. Sie scheint schon im Altertum nicht bloß als Geschütz, sondern auch als Handwaffe bekannt gewesen zu sein; auf einem Relief des vierten Jahrhunderts n.Chr., heute im Museum von Puy, ist sie abgebildet, und Vegez, Ammian und Jordanes scheinen sie zu erwähnen. Im eigentlichen Mittelalter findet sich ihre erste Spur in einem Miniaturbilde in einer Bibel Ludwigs IV. vom Jahre 937. Anna Komnena soll sie unter dem Namen Tzagra als eine eigentümliche Waffe der Abendländer erwähnen, und sie kommt in einer nicht ganz verständlichen Weise vor in einem Beschluß des Lateranischen Concils vom Jahre 1139.403 Da jedoch noch der Historiograph Philipp Augusts behauptet, erst Richard Löwenherz habe sie den Franken bekannt gemacht, und die Parze habe gewollt, daß der König durch eben diese Waffe selbst habe umkommen müssen,404 so muß sie im 12. Jahrhundert doch noch ziemlich selten gewesen sein.

Das Schwererwerden der Schutzrüstung trieb zu der entgegengesetzten Abwandlung der Trutzwaffen. Schon in der »Anleitung zum Bogenschießen« aus der Zeit Justinians405 wird geraten,[404] schräg gegen den Gegner zu schießen, da von vorn der Schild mit dem Pfeil nicht zu durchdringen sei. Der Bolzen der Armbrust hat nun eine viel größere Durchschlagkraft als der Pfeil; die Armbrust scheint also die gegebene Schußwaffe gegen schwergepanzerte Ritter, trotzdem hat sie sich nur sehr langsam eingebürgert, hat den einfachen Bogen nie ganz verdrängt, sondern nur neben ihm bestanden und ist schließlich sogar noch einmal vom Bogen geschlagen worden. Nachdem so lange der Bogen nur stellen- und zeitweise aufgetreten ist, haben wir das merkwürdige Schauspiel, daß er im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert in den englischen Heeren mit einem Male eine ganz überwältigende Bedeutung gewinnt. Wie ist es zugegangen, wie war es möglich, daß eine so alte Waffe, deren Technik seit Jahrtausenden bekannt und nicht wohl mehr gesteigert worden sein kann, plötzlich eine solche Bedeutung gewann?

Schon OMAN in seiner Geschichte der Kriegskunst hat erkannt, daß der Ursprung dieser Rejuveneszenz des Bogens bei Eduard I. von England und seinen wallisischen Kriegen zu suchen ist, und ein neueres Werk über diese Kriege von JOHN MORRIS, das auch sonst über das Kriegswesen dieser Epoche in allen Richtungen von höchstem Wert ist, hat auch die Herkunft dieser Waffe eingehend behandelt.406 Morris, wie es auch schon Oman vor ihm getan hat, geht aus von dem Bericht, daß man früher die Sehne nur bis zur Brust, jetzt aber die Sehne des Langbogens bis zum Ohr gezogen habe.407 So wörtlich möchte ich diese Darstellung nicht wiederholen, denn daß, je weiter man die Sehne zieht, der Schuß um so stärker wird, kann keine neue Erfindung gewesen sein, und starke Männer hat es auch schon früher gegeben. Überdies finden wir wörtlich dieselbe Erklärung schon 700 Jahre früher bei Prokop, wo er begründen will, daß zu seiner Zeit der Gebrauch des Bogens so allgemein geworden sei. Wenn es Zeiten und Völker gegeben hat, die nicht den Langbogen, sondern den Kurzbogen gebrauchten, und zwar Völker, die so berühmt als[405] Schützen waren, die Perser und Parther, so kann in den verschiedenen Formen ein so wesentlicher Unterschied nicht liegen, und gute Schützen haben sicher ihren Bogen stets so stark und so weit gespannt, wie es ihre Körperkraft nur immer herausbrachte. Mit einer geringen Modifikation aber wird Morris' Gedanke doch richtig sein: mag man auch davon ausgehen, daß es vor und seit Jahrtausenden Bogen und Pfeile gegeben hat, deren Technik nicht zu übertreffen war, so braucht sich diese Technik doch nicht immer auf der gleichen Höhe gehalten zu haben, und wenn wir im Mittelalter Zeiten und Völker finden, wo von Bogenschießen kaum die Rede ist, und große Schlachten ohne Schützen geschlagen werden, so wird in dieser Zeit auch die Technik sowohl in der Herstellung wie in der Anwendung der Waffe zurückgegangen sein. Sehr hübsch zieht Morris heran, wie zu Ende des 19. Jahrhunderts mit vorher unerreichten Geschwindigkeiten im Wettrudern auch der Bau eines so uralten Geräts wie des Bootes noch große Besserungen und Verfeinerungen erfahren habe. Der Eifer in der Ausübung der Kunst geht mit der Herstellung immer vollendeterer Instrumente Hand in Hand. Es handelt sich also nicht um Einführung von etwas völlig Neuem, sei es des Langbogens, sei es der Sitte, die Sehne bis ans Ohr zu spannen, sondern es handelt sich darum, daß mit der von einer bestimmten Stelle ausgehenden, größeren, intensiveren Pflege der Schußwaffe naturgemäß und von selbst die vorher vernachlässigte Technik der Herstellung wie des Gebrauchs sich verbesserte und wieder zu einer Höhe erhob, wie sie wohl auch schon früher erreicht worden war, aber den Mitlebenden als neu erschien. Die vollendete Technik ist also nicht die Ursache, sondern die Folge der kriegsgeschichtlichen Erscheinung der Wiederaufnahme des Bogens, eine Folge, die dann freilich wieder auf die Ursache zurückwirkt: je mehr jetzt geleistet wird, desto stärker wird der Antrieb, diese Waffe zu benutzen.

Die eigentliche Frage ist daher, woher jetzt und gerade in England der Anstoß zur Wiederaufnahme der Kunst des Bogenschießens kam.

Die Geburtsstätte sind die wallischen Kriege König Eduards I. (1272-1307), die mit der definitiven Unterwerfung von Wales und der Vereinigung dieses Landes mit England endeten. Noch[406] die vorhergehenden großen Entscheidungen auf englischem Boden, die Schlachten von Lewes und Ewesham, in denen Heinrich III., der Vater Eduards I., mit seinen Baronen schlug, zeigen kaum etwas von Schützen, so wenig wie die gleichzeitigen von Benevent und Tagliacozzo. Als Kronprinz hatte Eduard schon an jenen Schlachten teilgenommen und nachher eine Kreuzfahrt ins heilige Land gemacht, wo er die türkischen Bogenschützen und ihre Wirksamkeit kennen gelernt haben wird. Eine unbeglaubigte Überlieferung läßt ihn sogar durch einen türkischen Pfeil verwundet werden. Zur Regierung gekommen, ergriff er die Aufgabe, die Walloiser, die sich in ihren Bergen durch alle Stürme, erst der römischen, dann der angelsächsischen, dann der normannischen Okkupation der Insel hindurch in ihrem keltischen Volkstum und uralter barbarischer Kriegstüchtigkeit erhalten hatten, zu unterwerfen, um den ewigen Grenzkriegen und Leiden der benachbarten Grafschaften ein Ende zu machen. Mit der eigentlichen Ritterschaft war zwischen diesen Wäldern, Höhen und Schluchten wenig zu machen. Die Walliser kämpften im Norden noch nach der Ursitte am meisten mit dem Spieß, wie die Germanen bei Tacitus, im Süden, wo sie schon früher unter englisch-normannische Herrschaft und Einfluß gekommen waren, war das Bogenschießen ausgebildet. Schon zwei Generationen vor Eduard I. hatte ein politischer Schriftsteller und Geschichtsschreiber Giraldus Cambrensis (auch Gerald de Barri genannt, † ca. 1220) den Rat gegeben, wie man der Walliser Herr werden könne. Gerald war selber der Enkel des normannischen Konstablers von Pembroke und einer wallisischen Fürstentochter. Er war stolz auf seine beiderseitige Abkunft und bringt den Leistungen von hüben wie von drüben Verständnis entgegen. Er preist die Ritterschaft und schildert uns die Kampfesweise der Walliser, wie sie, leicht bewaffnet, bald stürmisch angreifen, bald sich flüchtig und behende in ihre unzugänglichen Berge und Wälder zurückziehen. Gerald rät deshalb, aus den unterworfenen oder verbündeten Stämmen der Walliser Hilfstruppen zu gewinnen und die Bogner mit den Rittern zu kombinieren. »Semper arcarii militaribus turmis mixtim adjiciantur.«408 Auf diese Weise,[407] durch so zusammengesetzte Truppen war eben Irland unterworfen worden. Nicht anders hatte ja auch Wilhelm I. einst die Angelsachsen unterworfen. Aber daß Gerald das als etwas Besonderes empfiehlt und die französische Fecht-Methode allein in dem lanzenbewehrten Ritter sieht, ist uns ein neuer Beweis, daß in der Zwischenzeit die Methode Wilhelms des Eroberers tatsächlich in Abgang gekommen war. In der Wehrordnung (assize of arms) Heinrichs II. von 1181 wird der Bogen als Waffe überhaupt nicht genannt.409

Das unmittelbare Bedürfnis für einen Gebirgskrieg führte also Eduard I. darauf, die überlieferte, aber vernachlässigte und nicht breit genug vertretene Kunst des Bogenschießens wieder in Pflege zu nehmen und zu entwickeln. Die ersten Elemente dazu entnahm er hauptsächlich den wallisischen Grenzgrafschaften, denen dieser Krieg Lebensinteresse und Überlieferung war, und den Wallisern selbst, die in englischen Dienst traten und englischen Sold nahmen. Mit den bloßen feudalen Aufgeboten hätte man trotz stärkerer Ausnutzung der Schutzwaffe noch nichts ausgerichtet. Die Regel, daß Lehnsleute nur 40 Tage zu dienen verpflichtet sind, war damals anerkannt, ja noch weniger: es kommt vor, daß auch nur drei Wochen verlangt werden, oder es wird berichtet, daß ein Aufgebotener so lange zu dienen verpflichtet war, als seine mitgebrachte Zehrung reichte; er brachte einen Schinken mit, suchte möglichst schnell damit fertig zu werden und ging wieder nach Hause.410 Eduard aber wußte, daß nur ein bis zum äußersten durchgeführter Krieg ihn wirklich zum Ziel führen könne. Wir wissen, daß von je im normannischen Staat sich das Lehnsaufgebot durch Söldnertum ergänzte und sogar ersetzte. Eduard begründete diesen Krieg nunmehr vollständig auf Soldzahlung und benutzte die Aufgebote nur nebenher oder kombinierte beides,411 indem er z.B. allen Belehnten vom Ritterstand (mit über 40 Pfund Besitz) befahl, sich für ein Aufgebot von drei Wochen bereit zu halten und nach Ablauf dieser Frist für drei weitere Wochen in den Sold des Königs zu treten. (Ad eundum in absequium nostrum et morandum[408] ad vadia nostra [auf unsere Kosten] ad voluntatem nostram quandocunque super hoc ex parte nostra per spacium trium septimanarum fuerint premuniti.)412 Unbezahlter Dienst wurde in der eigenen Grafschaft oder Mark verlangt und Sold gezahlt, sobald es über die Grenze ging. Bei großen Unternehmungen, wie etwa einer wichtigen Belagerung, wurde auch dem Landesaufgebot im eigenen Gebiet nach einem unbezahlten Pflichtdienst von drei Tagen Löhnung gereicht.413 Neben englischen Söldnern ließ Eduard auch aus der Gascogne geübte Krieger kommen und führte den Krieg ununterbrochen, auch den Winter hindurch. Morris hat die Kriegführung durch Heranziehung des sehr zahlreich erhaltenen Urkundenmaterials, der königlichen Befehle, Soldrechnungen usw. vollständig aufgeklärt und sehr anschaulich geschildert: fortwährend fühlt man sich an die Feldzüge der Römer in Germanien und des Deutschen Ordens in Preußen erinnert. Die Hauptsorge Eduards war die Herstellung der Kommunikationen und die Verpflegung. Wie Germanicus und die deutschen Ritter benutzte er dafür den Seeweg sowohl wie die Flüsse und ließ Schiffer aus seinen fünf Häfen kommen. Wie Domitian die Chatten besiegte, indem er 180 Kilometer Wege durch ihr Land anlegte, so besoldete Eduard Holzfäller, die durch die wallischen Wälder Zugänge schlugen.414

Obgleich Eduard für diese Kriege sein Land geschlossen hinter sich hatte und die höchsten Anstrengungen machte, sind die Heere, die er auf die Beine brachte, kaum größer, als wir sie bisher im Mittelalter kennen gelernt haben. Als der Krieg im Jahre 1277 begann, ließ der König Kriegsrosse aus Frankreich kommen – über 100, wie ausdrücklich berichtet wird:415 wir unsererseits notieren die Zahl als Zeugnis, daß 100 »dextrarii et magni equites« damals bereits etwas bedeuten wollten.

Morris (S. 80 f.) berechnet, daß es unter Eduard I. höchstens 2750 Ritter, eingeschlossen alle, die verpflichtet waren, Ritter zu werden, gegeben habe; nehme man an, daß auf jeden Ritter zwei andere Reiter kommen, so sei das Höchste, was in England[409] vorhanden, aber natürlich nie annähernd gleichzeitig aufzubieten war, etwa 8000 Reiter.

Das Maximum des Fußheeres berechnet Morris (S. 132) im Jahre 1277 auf 15 640 Mann, aber davon waren nicht viel über 6000 Engländer, über 9000 verbündete Walliser, und nur ganz kurze Zeit blieb diese große Streitmacht beisammen.

Im Jahre 1282, in dem zweiten Kriege, stieg das Fußvolk bis auf 8600 Mann, wovon etwa 1800 Walliser. Reiter waren dabei im ganzen, Ritter und Knechte, etwa 700-800.416

Im Winter schmolz dieses Heer durch Verluste und Desertion sehr zusammen. Der Abgang aber wurde ersetzt durch das Eintreffen von Söldnern aus der Gascogne. Als der Krieg ausbrach, waren von dem Seneschall dieses Erblandes König Eduards nicht mehr als 12 berittene und 40 Fuß-Armbruster verlangt worden;417 jetzt aber kam eine Truppe, die MORRIS (S. 188) nach den Lohnlisten genau auf 210 Reiter und 1313 Mann zu Fuß hat berechnen können. Die Hauptwaffe war die Armbrust; 70000 Bolzen in Tonnen und Körben brachten die Zuzügler mit. Aus der Höhe des Soldes ersieht man, daß diese Armbruster als Elite-Krieger angesehen wurden.418 Mit dieser Verstärkung erfocht Eduard den endgültigen Sieg.

In den beiden größeren Gefechten, die in den Walliser Kriegen vorkamen, sind nach Morris' Schätzung (S. 105) nicht mehr als 2000-3000 Mann alles in allem engagiert gewesen.419

Blicken wir zurück, daß vorher Kaiser Friedrich II. und Wilhelm der Eroberer als die Fürsten genannt werden, die viele[410] Schützen unter ihren Kriegern hatten, so ist deutlich, daß die Schützen jedesmal dann erschienen, wenn ein großer Kriegsherr mit starker Zentralgewalt ein Heer schafft; die Feudalaufgebote aber sind es, die der Schützen entbehren. Der Feldherr kennt ihren Wert und schätzt sie, er kann sie aber nur haben, wenn er ihnen Sold zahlen (oder wenigstens versprechen kann, wie Wilhelm der Eroberer). Der Lehnsträger und der einzelne Ritter erzieht und liebt Schützen in seinem Gefolge nicht, nicht als ob er nicht die Waffe technisch sehr wohl zu schätzen wüßte und ihre Wirksamkeit kannte, aber wir haben bereits erkannt, daß eine merkwürdige Spannung zwischen dem Begriff des Lehnsritters und der Verwendung der Schüthen existiert, indem diese eine Beziehung zum soldzahlenden Oberbefehl haben, die dem Wesen der Ritterschaft widerspricht.

Weshalb Eduard I. schließlich den Bogen als die Waffe seiner Schützen wählte, während doch die Armbrust damals ihr hohes Ansehen erlangt hatte und auch von ihm viel verwandt worden war, ist direkt nicht überliefert. Der französische Forscher LUCE in seinem Bertrand du Guesclin (S. 160) meint, man brauche nur einen Blick auf die Armbrüste des 14. Jahrhunderts in unsern Museen zu werfen, »si massive et d'un maniement si complicé«, um zu begreifen, daß sie nicht mit Vorteil gegen die englischen Bogen kämpfen konnten – aber das scheint mir doch zu viel behauptet. Die Armbrust ist emporgekommen gegen den Bogen und hat sich trotz der englischen Siege dauernd neben ihm behauptet: hatte die eine Waffe den Vorzug der einfacheren Handhabung und der schnelleren Schußfolge, so hatte die andere die viel größere Durchschlagskraft. Es handelt sich also nicht um etwas schlechthin Besseres hier oder dort, sondern um verschiedenartige Vorteile und Nachteile, die sich nicht kompensieren. Zutreffend hat man schon das Nebeneinander von Bogen und Armbrust[411] mit der Konkurrenz von Flinte (Muskete) und Büchse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verglichen: die Flinte lud sich und schoß viel schneller, aber unsicherer; die gezogene Büchse lud sich schwer, aber hatte den sicheren Schuß. Erst die Erfindung des Hinterladers, der den Vorzug des schnellen Ladens mit dem des sicheren Treffens verband, löste das Dilemma, für das zwischen Bogen und Armbrust eine Lösung nicht gefunden worden ist.420 Juvénal des Ursins sagt vom Herzog Johann von Brabant 1414: »Er hatte viertausend Armbrustschützen, jeder mit zwei Armbrüsten ausgestattet, und mit zwei starken Knechten, von denen der eine einen großen Schild hielt und der andere die Armbrust spannte, derart, daß immer eine gespannt war.«

Ich denke, der Grund, weshalb Eduard I. den Bogen ausbildete, während einst schon sein Vorgänger Richard Löwenherz die Armbrust bevorzugt hatte, ist, daß dieser gegen Ritter, jener gegen die Walliser zu kämpfen hatte, die nur unbedeutende Schutzrüstungen trugen. Als nun in diesen und den darauf folgenden Schottenkämpfen der Bogen sich so vortrefflich bewährt hatte, haben ihn die englischen Könige, wie wir noch sehen werden, auch für die französischen Kriege beibehalten und die Methode gefunden, ihn auf das allergünstigste zu verwerten.

Mit Hilfe der zahlreichen und tüchtigen Bogner, die die Ritter unterstützten, und vermöge einer energischen Administration, die die ununterbrochene Kriegführung ermöglichte, und endlich eines geregelten Zufuhr- und Verpflegungssystems, ist es Eduard I. gelungen, die Bergbewohner von Wales im Laufe einiger Jahre zu endgültiger Unterwerfung zu bringen. Die hier geschaffene Waffenmacht gab ihm auch den Sieg über die Schotten.
[412]


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 403-413.
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