Die Standarten-Schlacht bei Northallerton.

22. August 1138.

[418] König David von Schottland machte einen Einfall in England und hatte dazu ebensowohl die germanische Vasallenschaft des Tieflandes wie die barbarischen Kelten des Hochlandes aufgeboten. Gegen ihre wilden Verheerungen und Mordbrennereien wurde der Landsturm der bedrängten Grafschaften in die Waffen gerufen.

Der alte Erzbischof von York ließ sich auf einer Bahre umhertragen, um die Aufgebotenen anzufeuern und ihnen Mut einzusprechen. Ein[418] Carroccio wurde angefertigt, auf welchem die Banner von St. Peter zu York, St. Johann zu Beverley und St. Wilfried zu Rippon vereinigt wurden. Auf der Spitze des Fahnenbaums war eine silberne Büchse mit einer geweihten Hostie. Alle fasteten, beichteten, empfingen die Absolution und das Abendmahl und schwuren sich wechselseitig treues Zusammenhalten. Man nahm eine Stellung auf einem Hügel bei Northallerton, nördlich von York, um den feindlichen Angriff zu erwarten, und die Ritter stiegen von den Rossen und stellten sich auf als das erste Glied der Phalanx des Landsturms. König Stephan von England selbst war nicht zur Stelle, hatte aber Ritter zur Unterstützung geschickt. Die zahlreichen Bogner standen in der Masse der Phalanx, mögen wohl zunächst zum Teil davor gestanden und sich dann hinter die Ritter gezogen haben, um von hier aus zwischen ihnen durch oder über sie weg zu schießen.424

Wir haben vier den Ereignissen ziemlich nahestehende Berichte, die ziemlich gut miteinander übereinstimmen. Einer ist von dem Prior der der schottischen Grenze zu liegenden Abtei Hexham, Richard, geschrieben vor 1154; ein anderer von dem Abt Aelred von Rievaulx († 1166), der in seiner Jugend am Hofe König Davids von Schottland gelebt hatte und nun ganz nahe dem Schlachtfeld wohnte.

Wahrscheinlich verlief die Schlacht so, daß, nachdem ein wilder Ansturm der Gaelen und ein Angriff einer Ritterschar unter dem Prinzen Heinrich von Schottland abgeschlagen war, der Rest des schottischen Heeres auf den Angriff verzichtete und abzog, ohne daß ein Gegenangriff stattgefunden hätte. Möglicherweise ist auch der Prinz Heinrich mit einigen Rittern durch den linken Flügel der englischen Phalanx hindurchgekommen, war aber zu schwach, etwa nun von hinten anzugreifen.

Die Schlacht ist hochberühmt in der englischen Volksüberlieferung und ausgeschmückt mit Sagen und Übertreibungen. Die Schotten sollen an Zahl weit überlegen und 10000 oder 11000 von ihnen gefallen sein. Wir werden annehmen dürfen, daß tatsächlich die Engländer die an Zahl Überlegenen waren, denn ein Landsturm, wenn er überhaupt zusammenkommt, ist zahlreich: der Fehler pflegt in der mangelnden Kriegstüchtigkeit zu liegen, und da ist nun in der Tat die Schlacht höchst interessant, wie man durch die geistliche Beredsamkeit und die Mittel der Kirche, das Carroccio und die Einmischung der Ritter in die Masse, in der sie das erste Glied bilden, wirklich den Haufen widerstandsfähig gemacht hat. Freilich nur insoweit, daß er standhielt und den feindlichen Angriff abschlug: eine Analogie zu Legnano – aber nicht zu dem athenischen Landsturm bei Marathon, der im Laufschritt selber seinen Angriff machte.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 418-419.
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