Entscheidungsschlacht vor Antiochien.

8. Juni 1098.

[422] So viel Berichte von Augenzeugen wir auch über diese Schlacht haben, so bleiben die entscheidenden Punkte doch so sehr im Dunkeln, daß militärisch wenig daraus zu lernen ist.

Die Christen haben die Stadt genommen, mit Ausnahme der Citadelle, als ein großes Entsatzheer unter dem Emir von Mossull, Kerboga, heranzieht. Statt sich ihm zur Feldschlacht zu stellen, lassen sich die Christen in Antiochien einschließen, fallen in Hungersnot und raffen sich in der letzten Verzweiflung endlich zur Schlacht auf, die sie ohne Schwierigkeit gewinnen. Die heilige Lanze, die nach der Traumanweisung eines Mönchs unter einem Altar gefunden war, hatte das Heer wieder mit Vertrauen und sieghafter Zuversicht erfüllt. Man könnte das Ereignis vielleicht verwerten als Beispiel für jene Eigenschaft ritterlicher Heere, daß sie nicht, wie disziplinierte Truppen, einfach dem Kommando folgen, sondern nur schlagen, wenn in jedem einzelnen die rechte Stimmung dazu vorhanden oder erzeugt ist. Aber wenn die Geschichte mit der heiligen Lanze hierfür auch höchst charakteristisch ist, so genügt sie doch vielleicht nicht, allein den Zusammenhang zu erklären, da wir hören, daß auf der anderen Seite, in Kerbogas Heer, großer Zweispalt herrschte, Mißtrauen und Verrat, so daß das entscheidende Motiv für den Sieg nach so langer Zögerung vielleicht hier zu suchen ist.

Nach der gewöhnlichen Auslegung der Quellen bei SYBEL, KUGLER, HEERMANN, OMAN, KÖHLER vollzieht sich der Aufmarsch der Christen so, daß sie über die Orontes-Brücke ziehen,[422] sich dann aber nicht mit dem Rücken gegen diese Brücke aufstellen, sondern mit der Flanke, indem eine Abteilung nach der andern nach rechts (bei Sybel nach links) schwenkend aufmarschiert. Das scheint mir doch völlig unglaublich, jedenfalls unverständlich. Weshalb ließ denn Kerboga, der mit seinem Heer in unmittelbarer Nähe stand, zu, daß die Christen vor seinen Augen einen solchen Aufmarsch machten? Daß er das Defilieren über die Brücke nicht von Anfang an verhinderte, war ja richtig und natürlich, – aber weshalb ließ er das ganze Heer hinüber, statt seine Reiter loszulassen, als etwa die Hälfte noch im Übergang und dem schwierigen Aufmarsch nach der Flanke begriffen war, die er dann doch sicher überwältigt, auf die Brücke zurückgetrieben und hier, wo sich alles stopfte, vernichtet hätte? Mag Kerboga das aus irgendeinem Grunde unterlassen haben – wie konnten die Christen es auf eine solche Möglichkeit auch nur ankommen lassen?

Die Waffenverteilung ist die bekannte: das Fußvolk, wesentlich Bogner, voran, die Ritter (deren Zahl durch Beutepferde, die man in der Stadt gewonnen, wieder vergrößert ist) hinterher, die dann vorbrechen und den Kampf entscheiden.

Die Zahl, Reihenfolge, Stellung der verschiedenen Haufen zueinander darf nicht, wie Heermann es tut, als wesentlich betrachtet werden, und am wenigsten darf man sagen, daß die acht acies, die gebildet wurden, in vier Treffen aufgestellt worden seien. Sie marschierten alle nebeneinander auf, und der Angriff begann staffelförmig von den dem Flusse zunächststehenden Haufen, was aber keine weitere Bedeutung hatte.

Die Front reichte von Orontes bis zum Gebirge und war zwei miliaria, d.i. wenigstens 2000, vielleicht 4000 Schritt lang. Die einzelnen Schlachthaufen waren also entweder von Anfang an zu einer Linie von wenigen Gliedern Tiefe aufmarschiert, da die Christen gewiß allerhöchstens 2000 Reiter hatten, oder sie hatten sehr weiten Abstand voneinander genommen.

Eine Quelle (Raimund) sagt, man habe so weiten Abstand voneinander gehabt, wie in Prozessionen die Kleriker.428 Köhler bezieht das auf den Abstand der einzelnen Haufen voneinander, Heermann auf den Abstand der einzelnen Ritter, und dies letztere scheint mir die natürlichere Auslegung.

Das Fußvolk marschierte, wie allseitig berichtet wird, vor den Rittern her; nichtsdestoweniger finden wir, daß während der Schlacht Fußvolk von den Türken hinter den Rittern angegriffen wird. HEERMANN S. 121 und 122 schließt daraus wohl mit Recht, daß es sich nach rückwärts durch die Reiter durchgezogen und gesammelt habe. Mit Unrecht aber vermutet er, daß die Bogenschützen nunmehr über die Köpfe[423] der Reiter hinweg ihren Pfeilhagel auf die Feinde entsandt: das wäre für die eigenen Reiter und Pferde in der Melee doch gar zu gefährlich gewesen.

Interessant ist die Episode, die auch Raimund erzählt, wie ein Haufe eben dieses Fußvolks, von Türken im Rücken angegriffen, ein Knäul bildet und sich behauptet, »pedites facto gyro impetum hostium sustinuerunt viriliter«.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 422-424.
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