Ergebnis.

[489] Nach dem Gange der Schlacht bei Crecy schien es, daß die englische Taktik der kombinierten Schützen und Ritter zu Fuß eigentlich nur defensiv brauchbar sei. Bei Azincourt ist Heinrich V. mit eben dieser Taktik zur Offensive fortgeschritten. Aber das war doch nur möglich unter den ganz besonderen Umständen eben dieser Schlacht. Es hat sich keineswegs von hier aus eine neue Taktik entwickelt und es ist nicht richtig, wenn man gemeint hat, das englische Fußvolk bilde den Übergang zur modernen Infanterie, und Eduard III. sei deshalb als ihr eigentlicher Schöpfer anzusehen.462 Im Gegenteil, diese Schützen-Ritter-Phalanx ist trotz der glänzenden Erfolge, die ihr wiederholt beschieden gewesen sind, doch Episode geblieben, und die moderne Infanterie ist aus einer ganz anderen Wurzel erwachsen, die wir noch kennen zu lernen haben. Die Bogner, Spießknechte und Ritter Eduards III. und Heinrichs V.[489] sind schließlich doch nichts anderes, als die Bogner, Spießknechte und Ritter des Mittelalters auch sonst, nur daß gewisse ihrer Eigenschaften in genialer Weise und in besonders hohem Grade ausgenutzt wurden, indem man durch die starke Vermehrung der Bogner und die bessere Disziplinierung der Ritter neue Kampfesformen schuf. Das Absitzen der Ritter, das dabei nötig wird, ist aber technisch kein Fortschritt, denn der Ritter geht der Kraft seines Rosses verlustig, und die Ritter-Schützen-Phalanx ist nach wie vor einer genügend starken Offensive berittener Ritter im freien Felde nicht gewachsen. Die Bewegung zu Fuße wird den Rittern so schwer, daß, wenn man später ähnlich manövrieren wollte, beim Vorgehen bestimmt wurde, wie oft unterwegs Halt gemacht werden solle, um den Rittern Zeit zum Verschnaufen zu geben, und der Hofmeister Karls des Kühnen, Olivier de la Marche, erzählt uns einmal, die burgundischen Ritter seien durch das Gehen zu Fuß so ermüdet worden, daß ihre Pagen sie unter den Armen halten mußten, damit sie nicht umfielen.463

Trotzdem finden wir, da in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts das Absteigen der Ritter zum Gefecht tatsächlich Sitte geworden ist. Es ist, als ob sie das Roß nur noch als Tragtier benutzten, nicht mehr als Kampfesmittel, es sei denn, daß sie zur Verfolgung wieder aufsteigen oder auf der Flucht noch wieder zu ihrem Roß, das ein Knappe so lange gehalten hat, zu gelangen suchen. Der Grund für diese Sitte liegt nicht im Technischen, sondern muß nur in der Steigerung jenes psychologischen Momentes gefunden werden, das das Absteigen zunächst in der Defensive erzeugt hatte: der Ernst des Kampfes war dadurch aufs äußerste gesteigert. Ritter, die im Gefecht absprangen, verbrannten ihre Schiffe hinter sich; sie bekundeten dadurch, daß sie siegen oder sterben wollten, und diese moralische Werterhöhung konnte wohl die mechanische Einbuße kompensieren und überkompensieren, umsomehr, als die Zahl der Ritter kleiner und der gemeinen Soldknechte größer geworden ist und diesen durch die abgesessenen Ritter moralischer Halt gegeben und Zuversicht eingeflößt werden soll. Man kann sagen: nachdem das gemeine Söldnertum den Ritter so[490] weit überwachsen hat, daß seine direkte physische Kriegsarbeit nur noch sekundär in Betracht kommt, wird es ratsam, den moralischen Schwung der Ritterschaft nicht mehr direkt zu verwerten, sondern mittelbar in der Hebung der gemeinen Masse zur Anwendung zu bringen.

Freilich, es kam auch vor (Schlacht bei Bullegneville, 1431), daß sich die burgundischen Ritter weigerten, abzusteigen, und endlich, auf das Drängen der Picarden und Engländer, beschlossen wurde, daß jeder Mann, welchen Standes er auch sei, bei Todesstrafe absteigen müsse.464

Hier haben wir, glaube ich, auch den Grund gefunden, weshalb im früheren Mittelalter das Absitzen der Ritter so viel seltener vorkommt.

Die dargelegten psychologischen Momente sind dauernder Natur und hätten ebenso gut, sagen wir, schon in karolingischer oder staufischer Zeit sich zeigen können. Aber um diese Kraft auszulösen, mußte sie einerseits durch die wachsende Menge der Knechte, namentlich der Schützen, postuliert werden, und dann mußte der durch Crecy und die nachfolgenden englischen Siege gegebene Anstoß erfolgen. Von den Engländern ging er aus, weil hier die Ritterschaft am besten diszipliniert und in der Hand des Feldherrn war, der dadurch in den Stand gesetzt wurde, die Neuerung durchzuführen. Und nachdem einmal praktisch der ungeheure Erfolg abgesessener Ritter vor die Augen getreten war, fluteten die Gedanken in dieser Richtung von selber weiter. Es wurde nicht bloß Sitte, sondern es war auch etwas Mode dabei, die Ritterlichkeit zu zeigen, indem man sich von seinem Rosse trennte. So wird es zu erklären sein, daß ein französischer Prinz, der Herzog von Brabant, Bruder des Herzogs von Burgund, der zur Schlacht bei Azincourt erst im letzten Augenblick, von wenigen Rittern begleitet, eintraf, vom Rosse sprang, um mit den anderen und wie die anderen zu kämpfen, und dann sofort von den Engländern getötet wurde. Sein Großvater, König Johann von Frankreich, hatte zur Erinnerung an den Sagenkönig Arthur einen Orden zum »Stern« gegründet, dessen Mitglieder sich nach den Statuten verpflichteten,[491] nie mehr als vier Klafter nach ihrer Schätzung zu fliehen.465 Die Bestimmung ist so absurd, daß sie praktisch kaum je befolgt worden sein kann, aber daß man sie treffen konnte, zeigt, daß der gesteigerte ritterliche Ehrbegriff damals nahe daran war, zur Karikatur zu werden: noch einige Schritt weiter, und man wäre bei dem Harakiri der Samurai, der japanischen Ritter, angekommen. An solche Auswüchse muß man erinnern, um die an sich naturwidrige Erscheinung, daß der Ritter grundsätzlich, auch beim Angriff, zum Kampf absitzt, begreiflich zu finden. Die Natur der Dinge widerstand aber schließlich doch so sehr, daß die Sitte nicht vollständig durchdrang, und wir finden zwischendurch immer wieder Reitergefechte oder Gefechte, in denen wenigstens ein Teil der Ritter zu Pferde bleibt.466 Wie oft und wie weit tatsächlich die natürliche Grenze für das Absitzen, nämlich entweder Geländeschwierigkeiten oder der Wunsch, dem Fußvolk als Rückgrat zu dienen, überschritten worden ist, ist schwer festzustellen, da die Quellen geneigt scheinen, auch da von Absitzen zu reden, wo es nicht, oder wenigstens nicht allgemein, stattgefunden hat.467

Wennschon nur eine bedeutsame Episode, so mag man das Absitzen der Ritter zum Gefecht doch insofern als ein Vorspiel für die Neuzeit ansehen, als darin ein gewisser Übergang zum späteren Offizierkorps liegt: der Offizier im modernen Sinne kämpft überhaupt nicht mehr selbst, sondern hält nur durch Disziplin und Beispiel die Masse zum Kämpfen an; in dieser psychologischen Wirkung auf die Masse der gemeinen Krieger haben wir ja auch das Hauptmotiv für das Absitzen der Ritter erkannt: um ihretwillen begeben sie sich eines wesentlichen Teiles ihrer eigenen Waffenwirkung.[492]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 489-493.
Lizenz: