Literatur.

[634] Kurz ehe ich in meinen »Perser- und Burgunderkriegen« (1887) die politischen Beziehungen der Schweiz zu Karl dem Kühnen das erstemal behandelt, ist eine Untersuchung von HEINRICH WITTE, »Zur Geschichte der Entstehung der Burgunderkriege« (Programm von Hagenau 1885), erschienen, die mir nicht mehr rechtzeitig zugegangen war, um sie zu berücksichtigen. Derselbe Gelehrte hat dann in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Band 45, 47, 49 (1891, 1893, 1895) eine Folge von weiteren Untersuchungen zu diesem Gegenstand erscheinen lassen, die durch sorgfältige Heranziehung und Vergleichung von Quellen, gedruckter wie archivalischer, höchst wertvoll sind. Bei aller Akribie der Untersuchung sind sie aber doch nicht ohne eine gewisse Parteinahme für die Schweizer als die »Deutschen«, gegen den Herzog als den »Wälschen«, und ich habe Gründe, meine Auffassung, wie ich sie in den »Perser- und Burgunderkriegen« vorgetragen habe, zu modifizieren, daraus nicht entnehmen könne. Wenn es z.B. in dem Programm Seite 8 heißt, Sigismund hätte den Frieden mit den Eidgenossen auch ohne das burgundische Bündnis haben können, wenn er ihn aufrichtig wünschte; »so kriegslustig die Eidgenossen auch im allgemeinen waren, so sehr das Bewußtsein ihrer Überlegenheit im Felde, der Haß gegen die Ritterschaft sie vorwärts trieb, so wären sie doch jederzeit zu einem Frieden bereit gewesen, wenn Sigmund Ernst machte, seine Ritterschaft zu zügeln, wenn er auf das verzichtete, was nun doch einmal verloren war« – so halte ich diese Auffassung für nicht richtig: in den Eidgenossen lebte ein Eroberungstrieb, der wohl durch innere Hemmungen zurückgehalten wurde, aber doch, wenn die Habsburger auch noch so gern den Friegen bewahrt hätten, schließlich wieder hervorgebrochen wäre. Nur durch das Ablenken des Kriegstriebes auf das Söldnertum hat von der nächsten Generation an das Erobern der Schweizer sein Ende gefunden. WITTE selbst fügt noch die Anmerkung hinzu: »Sigmund mochte vielleicht die ehrgeizigen Pläne Berns fürchten, aber der Waldshuter Krieg hatte gerade gezeigt, daß die Eidgenossen durchaus nicht so geneigt waren, solche Pläne mit ihren[634] Mitteln zu unterstützen. Und außerdem war auch Bern nicht so kriegslustig, wie man gewöhnlich glaubt.« Dagegen ist zu sagen, daß, wenn Bern wirklich nicht im höchsten Grade kriegs- und eroberungssüchtig gewesen wäre, ein politischer Grund für die Absage an den Herzog von Burgund am 25. Oktober 1474 überhaupt nicht übrig bliebe, sondern man dann die alte Auffassung, daß dieser Krieg schlechterdings nichts als ein Söldnerdienst im Lohne des Königs von Frankreich gewesen wäre, einfach annehmen müßte.

In der »Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins«, Bd. 45, S. 16, meint WITTE, der Friede zwischen den Eidgenossen und Österreich würde auch ohne das Eingreifen König Ludwigs zustande gekommen sein. »Die gemeinsame Gefahr, die nicht weggeleugnet werden kann, die auch ohne das Eingreifen Hagenbachs immer größer wurde, je bestimmter Karl die Errichtung eines Königreichs Burgund ins Auge faßte, mußte notwendig Herzog Sigmund und die Eidgenossen zusammenführen.« Richtig ist in diesem Satz, daß die Eidgenossen die Gründung der Großmacht Burgund an ihren Grenzen nicht wünschten, und daß hierin ein politisches Motiv für sie lag, sich mit den Habsburgern zu vertragen und diesen ihren alten Feinden für die Wiedererlangung ihrer verpfändeten oberrheinischen Besitzungen einen gewissen Rückhalt zu gewähren; zu viel aber ist es behauptet, daß das Königreich Burgund für die Eidgenossen eine »Gefahr« bedeutet habe, die nicht abgeleugnet werden könne – ganz umgekehrt muß diese Gefahr vielmehr schlechtweg geleugnet werden. Nicht einmal der Urenkel und Erbe Karls des Kühnen, Kaiser Karl V., der noch über eine ganz andere Macht verfügte als sein Ahn, ist für die Schweizer eine Gefahr geworden. Sehr richtig sagt WITTE selber S. 74 auf Grund einer Depesche des mailändischen Gesandten Cerrati an seinen Herrn: »Bern hatte den höchsten Begriff von seiner und der Eidgenossen Widerstandskraft; innerhalb seiner Berge glaubte es stark genug zu sein, es mit Burgund, Savoyen und Mailand zusammen aufnehmen zu können, und König Ludwig wußte, was er tat, als er den Eidgenossen den Kampf mit seinem burgundischen Gegner aufhalste.«

Es steht hiermit wohl in innerem Widerspruch, wenn Seite 72 Witte von einem »Zustand der Notwehr« spricht, in dem sich die Eidgenossen gegenüber den Eroberungsgelüsten Burgunds befunden hätten und S. 367 meint, daß Bern vermutlich die Besitzungen des Grafen von Romont in Ruhe gelassen hätte, wenn dieser nicht gegen die Interessen Berns gehandelt hätte. Ich meine umgekehrt, daß der Graf von Romont sich hätte anstellen können, wie er wollte, die Berner immer einen Vorwand gefunden hätten, bei Gelegenheit dieses Krieges zum wenigsten einen Teil seiner Besitzungen, zum allerwenigsten Murten, in ihre Gewalt zu bringen.

Eine wirkliche Korrektur des Tatbestandes ist herbeigeführt worden durch VISCHER, in einem Exkurs zu seiner Herausgabe von Knebels[635] Tagebuch, Baseler Chroniken, Band III, S. 369, wo nachgewiesen ist, daß die Gesandtschaft des Herzogs von Burgund an die Eidgenossen, die ein sehr feindschaftliches Verhältnis feststellte, und auf die ich mich noch, »Gesch. d. Perser- und Burgunderkriege«, S. 175, bezog, nicht im Frühjahr 1474 die Kantone bereist hat, sondern schon 1469 stattfand. Konsequenzen für den ganzen politischen Zusammenhang ergeben sich jedoch daraus nicht, wie z.B. DÄNDLIKER in seiner Geschichte der Schweiz, Bd. II, S. 841 (dritte Auflage) meint; denn sogar Bern ließ noch am 15. März 1474 dem Herzog sagen: »Es sei der Stadt Bern unvergessen, wie zwischen des Herzogs Vordern, und namentlich des Herzogs Vater und ihr, viel Gunst bestanden habe, woraus die gegenseitigen Verständnis er wachsen seien, welche Bern erberlich gehalten.« Die Stadt gedenke auch jetzt, gegen jedermann so zu leben, als es ihrer Ehre und ihrem Leumund gebühre. (WITTE, »Zeitschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins«. Neue Folge, Bd. VI, S. 23, Anmerk.) Man sieht aus diesen auf Schrauben gestellten Worten ganz deutlich, wie Bern sich rüstet, aus einem bis zu diesem Augenblick noch guten Verhältnis zur Feindseligkeit überzugehen.

Hervorragend unbefangen beurteilt die Verhältnisse DIERAUER in seiner »Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft« (zweiter Band 1892), einem überhaupt sehr verdienstlichen Buch.

DÄNDLIKER, Gesch. d. Schweiz (Bd. II), sucht, ähnlich wie WITTE, die Schweizer als bedroht und den Krieg als eine Verteidigung hinzustellen. Er spricht S. 200 von der »ängstlichen Scheu« der Eidgenossen und meint (S. 201), daß das Volk von »Furcht vor dem grimmigen unberechenbaren Herzog« erfüllt gewesen sei. Alle diese Empfindungen waren den Eidgenossen sicherlich ganz fremd und geben ein sehr falsches Bild von ihnen. S. 841 führt er aus meinem »Pers.- u. Burg.- Krieg« an, daß auch ich das französische Geld nur eine sekundäre Rolle spielen lasse, unterläßt aber, die für mich entscheidenden Gesichtspunkte hervorzuheben, erstens des Gegensatzes zwischen Bern und den anderen sieben Kantonen, und zweitens, daß die politischen Motive bei Bern Eroberungs-, nicht Verteidigungsmotive waren. Bei den sieben östlichen Kantonen habe ich dem französischen Gelde keineswegs bloß eine sekundäre Rolle zugewiesen.

Das grundlegende, quellenmäßige Werk für die Burgunderkriege bleibt nach wie vor EM. v. RODT, Die Feldzüge Karls des Kühnen, Herzogs von Burgund, und seiner Eren. Mit besonderem Bezug auf die Teilnahme der Schweizer an denselben. 2 Bde. Schaffhausen 1843, und wertvoll ist auch die umfassende Biographie des Amerikaners J. FOSTER KIRK, History of Charles the Bold, Duke of Burgundy. 3 Bde. London 1863-68.

C. TOUTEY, Charles le Téméraire et la Ligue de Constance, Paris 1902, ist eine sehr ausführliche Untersuchung, ergibt aber für unsere Zwecke nichts.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 634-636.
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