Erstes Kapitel.

Die Bildung einer europäischen Infanterie.

[2] Die erstaunliche Kraft des schweizerischen Kriegertums beruhte auf der Massenwirkung der großen geschlossenen Haufen, in denen jeder Einzelne erfüllt ist von dem durch zweihundert Jahre ununterbrochener Siege genährten Selbstvertrauen. Die durch das ganze Volk verbreitete kriegerische Gesinnung machte es möglich, es als Menge in den Kampf zu führen, und die Massenbildung wiederum wuchtete alle noch so große persönliche Tapferkeit des alten Berufskriegertums nieder. Mit der Schlacht bei Nancy war dieses schweizerische Massenkriegertum aus den Bergen, die ihm für seine bisherigen Siege so wesentliche Bundesgenossen gewesen waren, herausgetreten. Wie schon in dem Kriege, der schließlich bei Branson und Murten entschieden wurde, die Eidgenossen mehr für den König von Frankreich als für ihr eigenes politisches Interesse gefochten hatten, so fing jetzt ihre militärische Kraft an, auch fern von der Heimat in fremden Diensten wirksam zu werden. Schon hierdurch übte dieser kleine Bruchteil eines deutschen Stammes eine wesentliche geschichtliche Wirkung aus; noch viel größer aber, weltgeschichtlich umgestaltend wurde diese Wirkung, indem nun die anderen Völker, die Überlegenheit des schweizerischen Kriegswesens erkennend, es nachzuahmen begannen.

Schon sehr lange hatte es ja neben der schweren, gepanzerten Reiterei nicht bloß Schützen, sondern auch Fußknechte mit blanker[3] Waffe gegeben, die die Ritter im Kampfe unterstützten. Der Fortschritt, der zu machen und die Reform, die zu vollziehen war, bestand darin, diese Fußknechte, die bisher nur Hilfswaffe gewesen waren, sehr vermehrt zu festgeschlossenen Haufen zusammenzuballen.

Voll gelungen ist dieser Fortschritt zunächst nur bei zwei Völkern, den Deutschen und den Spaniern; bei den Franzosen und den Italienern finden wir wohl Ansätze dazu, aber sie sind nicht oder erst später zur Ausbildung gelangt. Das ist gewiß ein sehr merkwürdiger Unterschied, dem eine besondere Betrachtung zu widmen sein wird. Zunächst aber wenden wir uns der Aufhellung der ersten positiven Erscheinung der neuen Zeit zu, die sich auf deutschem Boden vollzieht.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 2-4.
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