Drittes Kapitel.

Moritz von Oranien.

[178] In den ersten zwanzig Jahren des offenen Kampfes waren die Spanier den Niederländern militärisch überlegen. Brachten Wilhelm von Oranien und seine Brüder einmal ein Söldnerheer zusammen, so war es zuchtlos und wurde im freien Felde geschlagen, oder mußte wieder aufgelöst werden, weil der Sold nicht aufzubringen war. Die Niederländer behaupteten sich nur dadurch, daß die befestigten Städte den Spaniern ihre Tore verschlossen, und wenn diese auch nicht wenige mit schwerer Belagerung nahmen und grauenhaft abstraften, ihrer aller wurden sie doch nicht Herr, und als Alba schließlich vor der kleinen Stadt Alkmar wieder abziehen mußte, wurde er abberufen, und in einem hinüber und herüber von Kriegführen und Verhandeln, Eingreifen Frankreichs und Eingreifen Englands, bildete sich aus den aufständischen Provinzen eine Vereinigung von Städten und Landschaften, die imstande war, ein regelmäßiges Heer im Felde zu halten. 1585, nach der Ermordung Wilhelms des Schweigers, hatte die Belagerung von Antwerpen die Kräfte der Spanier in Anspruch genommen. Dann kam die Zeit, wo sie alle Mittel auf die große Armada und den Kampf gegen England verwandten, 1588. Gleich darauf veranlaßte die Krise in Frankreich nach der Ermordung Heinrichs III. und der Thronbesteigung des ketzerischen Heinrich IV. das Eingreifen der spanisch-niederländischen Truppen in den französischen Parteien-Streit. Der südliche Teil der niederländischen Landschaften blieb endlich in den Händen der Spanier, die nördlichen Provinzen aber befestigten sich immer mehr in ihrer Freiheit und fanden jetzt in dem jungen Moritz, dem Sohn des[178] Schweigers, den Führer, der die gegebenen militärischen Mittel in neue Formen zu gießen und dadurch zu erhöhter Leistung zu erheben verstand.

Wir erinnern uns, wie Machiavelli das Kriegswesen seiner Zeit durch Wiederaufnahme der großen antiken Überlieferungen zu erneuern sich vermaß. Er war damit gescheitert, nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch. Daß wir dennoch in ihm den Genius anerkennen müssen, erhellt, wenn wir nunmehr sehen, wie zwei Menschenalter nach seinem Tode die militärischen Reformen wirklich nicht nur bei der Antike, sondern direkt bei ihm, seinen Gedanken und seinen Studien, anknüpfen.

Im Jahre 1575 hatte Wilhelm von Oranien der Stadt Leyden zum Lohn für die mit äußerstem Heldenmut durchgehaltene Belagerung eine Universität gestiftet, an der sich die großen Philologen der Epoche sammelten. Unter ihnen war Justus Lipsius, der 1589 sein Werk Civilis doctrina erscheinen ließ, dessen fünftes Buch betitelt ist: »De militari prudentia«; 1595 ließ Lipsius, nach Löwen übergegangen, das Buch: »De militia Romana« folgen. Diese Schriften sind rein philologischer Natur, aber schließlich kann der Verfasser als Machiavellis Jünger doch nicht umhin, auch Blicke auf die Gegenwart zu werfen, von der man nicht etwa sagen könne, daß sie eine schlechte, sondern von der man sagen müsse, daß sie gar keine Disziplin habe; wer aber mit den Truppen der Gegenwart die römische Kriegskunst zu verbinden verstände, verkündet er, der würde sich den Erdkreis untertan machen können. »Vorschriften können wir nicht geben, aber die Anregung (gustum dare potuimus, praecepta non potuimus), fügt er hinzu, und so ist es gekommen«201.

Das Jahr 1590, als Moritz, bis dahin bloß Statthalter von Holland und Seeland, auch Statthalter von Geldern, Utrecht und Ober-Assel geworden war, ist als das Stufenjahr in der Geschichte der Infanterie anzusehen.

Neben Moritz stand an der Spitze der vereinigten Niederlande als Statthalter von Friesland sein Vetter Ludwig von Nassau und wurde, wie es scheint, fast mehr noch als jener im[179] Innersten ergriffen von der Idee, daß Kriegswesen der Zeit zu reformieren nach dem Muster der Alten, und in wechselseitiger Beeinflussung machten sich die beiden verwandten und befreundeten Fürsten ans Werk. Ihr Briefwechsel und die Aufzeichnungen getreuer Mitarbeiter, die uns erhalten sind, geben uns einen Einblick in ihre Arbeit202.

Das klassische Werk, auf das die oranischen Fürsten sich besonders berufen, ist die Taktik des Kaisers Leo, die 1554 in einer lateinischen Übersetzung, dann auch in einer italienischen erschienen war und von Meursius in Leyden 1612 auch griechisch herausgegeben wurde203. Im 18. Jahrhundert ist eine französische und dann auch eine deutsche Übersetzung erschienen, und der Fürst von Ligne hat das Werk »unsterblich« genannt und den Kaiser Leo neben Friedrich den Großen und über Cäsar stellen wollen. Es sind im wesentlichen etwas systematische Auszüge aus älteren Schriftstellern, besonders aus Aelian, der auch direkt von den Niederländern studiert und benutzt wurde.

Wenn wir uns nun erinnern, wie schlecht die philosophischen Theoretiker des Altertums über das praktische Kriegswesen unterrichtet waren und wie im besonderen die Hauptquelle über die römische Manipular-Taktik bei Livius (VIII, 8) auf einem schweren Mißverständnis dieses ganz unmilitärischen Historikers beruht und bis in unsere Tage die Vorstellungen verwirrt hat, so liegt die Frage nahe, ob es überhaupt möglich war, daß die Kriegsmänner um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts aus einer so wirren und verfälschten Überlieferung eine praktisch brauchbare und nützliche Belehrung geschöpft haben. Aber es ist tatsächlich möglich[180] gewesen. Einfach praktisch ausführen hätten sie zwar eine in dieser Art überlieferte Kunstfertigkeit nicht können. Aber trotz aller ihrer Mangelhaftigkeit enthielt die Überlieferung doch große allgemeine Wahrheits-Momente: diese herauszufinden und nutzbar zu machen, darauf kam es an, und Moritz und Ludwig Wilhelm waren die Männer dazu. Sie hatten vor Machiavelli ja den Vorzug, nicht ein neues Kriegswesen schaffen zu sollen oder zu wollen, sondern bloß ein ihnen übergebenes fortzuentwickeln, und mit bewundernswertem Scharfblick fanden sie aus der antiken Überlieferung das heraus, was die Zeit gebrauchen konnte.

Der entscheidende Punkt ist äußerlich das Exerzieren, innerlich die Disziplin. Machiavelli hatte einst das Wesen des antiken Kriegertums in dem bewaffneten Volksaufgebot gesucht und geglaubt, ein solches Volksaufgebot vermöge einiger beiläufig gelernter Handgriffe mit den Waffen militärisch brauchbar zu machen; die Oranier entnahmen den alten Schriftstellern, was das durch dauerndes Exerzieren gewonnene Zusammenhalten für den Wert einer Truppe bedeutet, und schufen mit Anlehnung an die antike Überlieferung die neue Exerziertechnik. Wenn je, so kann man hier von der Renaissance einer verlorengegangenen Kunst sprechen. Zwar hatten schon die Schweizer bei der Herstellung ihrer Gevierthaufen sich an eine gewisse Ordnung gewöhnen müssen, und Jovius berichtet uns, wie sie bei dem Einzuge in Rom im Jahre 1494 nach dem Takt des Trommelschlages marschierten, also wohl einigermaßen Tritt zu halten suchten. Noch mehr werden die Spanier auf ordnungsmäßige Herstellung ihrer Gevierthaufen gehalten haben204, und die Bewegung der Schnecke bei Infanterie wie Kavallerie setzt ein gewisses Exerzieren voraus. Aber das war doch nur das Notdürftigste, um in der Menge eine gewisse Ordnung zu halten; wenn der Rekrut die Grundbewegungen begriffen hatte, so glaubte man fertig zu sein und keine weitere Arbeit nötig zu[181] haben. Man kannte ja keine andere Form der Aufstellung als den Gevierthaufen, und die war sehr einfach, bis die Oranier damit begannen, flache Haufen zu formieren und diese auf die verschiedenste Weise zu bewegen. Die Tiefe wird meist auf 10, aber auch auf 6 und 5 Glieder angegeben205. Merkwürdigerweise wird nirgends direkt berichtet, daß die Bewegungen im Tritt ausgeführt wurden, es sei denn, daß das Kommando »Kranendans«, das sonst nicht zu belegen ist, auf den steifen Schritt des Kranichs deutet und als »Tritt fassen« auszulegen ist206.

Die flache Aufstellung der Haufen war nun eine Änderung von großer Tragweite. Schon indem man die Dreizahl der alten Gevierthaufen vermehrt hatte, hatte es sich ganz von selber ergeben, daß sie nicht alle von vornherein mit der gleichen Front anrückten, sondern einige zurückgehalten wurden. Die neue flache Aufstellung führte dazu, systematisch der ersten Linie eine zweite und vielleicht noch eine dritte folgen zu lassen, also eine wirkliche Treffenbildung. Hätte man alles in einer Front aufgestellt, so wäre diese doch gar zu leicht zerrissen oder durchbrochen worden, und bei der mangelnden Tiefe hätte ein in solche Bruchstelle eindringender Haufe die Schlachtlinie leicht aufrollen können, und dieses Motiv wird nun noch verstärkt durch die Einordnung der Schützen, die Moritz auf das Verständnis von etwa zwei zu eins zu den Spießern brachte207. Ich finde nirgends so direkt überliefert, daß es die Rücksicht auf die Schützen gewesen ist, deren vermehrte Zahl bei den Gevierthaufen so schwer unterzubringen war und nun das Bedürfnis nach der neuen Ordnung hervorgerufen hat. Aber nach dem ganzen Zusammenhang muß man wohl annehmen, daß dieses Motiv wenigstens stark mitgewirkt hat. Jedenfalls war es die Folge der neuen Ordnung, daß auch einer großen Anzahl von Schützen jetzt an den Piken die gewünschte Anlehnung gegeben[182] werden konnte. Man stellte die Schützen, bei denen noch Musketiere und Arkebusiere unterschieden werden, rechts und links von den Pikenierhaufen auf. Rüstow hat diese Aufstellung die niederländische Brigade genannt. Die Schützen feuerten karakolierend von diesen Plätzen neben den Pikenieren aus oder breiteten sich auch, wenn die Umstände darnach waren, vor der Front der Pikeniere aus208. Wurden sie aber von feindlichen Reitern oder Pikenieren direkt angegriffen, so zogen sie sich zurück hinter die Pikenierhaufen, während die Pikeniere des zweiten oder dritten Treffens herbeieilten, um die Lücken zu schließen und den Feind abzuwehren209. Auch von diesem Gesichtspunkte aus gehörte also zur flachen Ordnung notwendig eine rückwärtige Gliederung nach Treffen.

Zu den Übungen, die gemacht wurden, gehörte auch, daß die Truppe sich auflöste und sich auf ein Trommelsignal aufs schnellste wieder formieren konnte, weil jeder Mann seinen Platz kannte. Die Niederländer werden gerühmt, sie könnten 2000 Mann in 11/2 Viertelstunden aufhellen, während man sonst für 1000 Mann eine Stunde gebraucht habe210.

Neben den Pikenieren werden eine Zeitlang auch noch Hellebardiere und Rondhartschiere (Schildträger) verwendet. Doch ist es nicht nötig, darauf einzugehen, da sie bald verschwunden sind.

Das Entscheidende ist in der neuen Aufstellung noch mehr als die Ordnung selbst die außerordentliche Beweglichkeit jedes einzelnen der neugebildeten kleinen taktischen Körper und die Sicherheit, mit der ihre Führer sie in der Hand hatten, selbst in allen Erregungen des Gefechts, und sie in Ordnung an den Fleck brachten, wo der Augenblick sie forderte, wie Johann von Nassau es ausdrückt, »um einander zu entsetzen, geschwind[183] kehren und wenden und auch den Feind zugleich und unversehens an zwei oder drei Orten angreifen zu können«211.

Je mehr wir uns in diese Erscheinungen vertiefen, desto mehr erkennen wir, daß viel mehr dazu gehört, als eine bloße Erkenntnis und ein bloßer Entschluß oder Befehl, um die neue Kunst ins Leben treten zu lassen. Wilhelm Ludwig, so berichtet uns sein Biograph, studierte alles, was bei den alten Griechen und Römern an kriegerischen Künsten geübt war und scheute weder Mühe, noch Arbeit, noch Kosten. Sein Sekretär Rend und der Oberst Cornput unterstützten ihn bei dem Studium der Alten und der Überführung der dort gegebenen Vorschriften in die Praxis. Mit Bleisoldaten baute man sich die Form erst auf dem Tische auf, ehe man sie den Soldaten einübte; um sich zu vergewissern, ob die Bewaffnung mit den langen Spießen ohne Schild oder die römische Bewaffnung mit Schwert und Schild besser sei, stellte Moritz 1595 einmal eine Probe an212. Die Kommandoworte wurden aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt, den Soldaten wurde während des Exerzierens Stillschweigen geboten, damit die Kommandoworte nicht überhört würden. Man fand bei den Alten die Vorschrift und nahm sie auf, daß bei einem Kommando das Spezielle dem allgemeinen vorausgehen müsse (nicht »um rechts«, sondern »rechts um«), weil sonst keine exakte Ausführung zu erwarten sei. Nicht bloß in der Garnison, auch im Lager, in Fühlung mit dem Feinde, auch bei schlechtem Wetter wurde exerziert213. Soldaten desertierten, weil es ihnen zu viel wurde.

Die alten Kriegsmänner, auch der Graf Hohenlohe, der militärische Mentor des Prinzen Moritz, lachten und spotteten über[184] solche Künste, die in ernster Schlacht doch verwehen würden; aber die beiden Oranier ließen sich nicht irre machen. Im Winter reiften Offiziere durch die Garnisonen, um den Dienst zu inspizieren. Im Jahre 1590 hatten sie mit dem neuen Wesen begonnen, aus dem Jahre 1594 haben wir einen langen Brief Ludwig Wilhelms an Moritz, worin er ihm Bericht erstattet und Auskunft gibt. Er rät, die Haufen der Pikeniere nicht gar zu flach zu machen, da sie immer dem Ansturm der Kavallerie stand zu halten fähig bleiben müßten; Kaiser Leo schreibe darüber das Richtige vor (Tiefe von 16 Mann). Er bezeichnet weiter die Kapitel in Leos Taktik, deren Vorschriften man nachzuahmen habe214 und gibt schließlich ein Verzeichnis der Kommando-Ausdrücke, die er nach Aelian gebildet und in Anwendung gebracht habe. Es sind mit Einrechnung einiger, die noch nicht definitiv fixiert seien, gegen 50, und manche von ihnen leben noch in den heutigen Kommandos fort. Man solle nicht mehr Kommandos einführen, fügt er hinzu, als nötig, um den Leuten das Einprägen zu ermöglichen. Besonders wichtig sei, daß die Leute Glied und Reihe (Rotten) unterscheiden lernen, die Abstände beachten und sich auch eng gedrängt aufstellen und marschieren lernten. Dazu müssen sie das Eindublieren lernen, sowohl nach Gliedern, wie nach Rotten, ferner rechts und links um machen und rechts und links schwenken215. Es folgt noch manches dergleichen, was ich zum Teil schon oben verwertet habe, und[185] schließlich verwahrt sich der Briefschreiber, wenn Moritz über seinen Brief lachen sollte, so möge es »inter parietem ende amicos« geschehen216.

Moritz war, nach einem Ausdruck Wallhausens, ein »Aufsucher des Trillens«, aber er schuf nicht nur mit seinem Vetter zusammen die neue Kunst, sondern sorgte auch für die Erfüllung einer unerläßlichen Vorbedingung: das war die pünktliche Soldzahlung. Von Beginn des Landsknechtswesens an war der dunkelste Punkt in der neuen Institution die Soldzahlung gewesen.

»Gebe man mir«, sagt der General Basta in seinem Traktat über die Reiterei, »nur ein Heer, mit allen diesen comoditeten (Sold, Verpflegung, Beuteanteil) versehen, es sey gleich so verderbet, als es immer müglich, so wollte ich mich unterstehen, dasselbige zu reformieren und wiederumb zurechtzubringen. Dahergegen ich nicht versprechen dorffte, were auch unmüglich, daß ich ein gutes Heer in der rechten und guten disziplin halten köndt, wenn es seiner nottürfftigen commoditeten beraubt were.«

Wir haben erfahren, wie sehr sogar die strategischen Entschlüsse von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit abhingen, den Knechten den versprochenen Lohn zu geben. Niemals hätte man die Anstrengungen des mühseligen Exerzierdienstes, die den Älteren unter ihnen als nicht bloß überflüssige, sondern lächerliche Spielereien erschienen, durchgesetzt, wenn man ihnen noch etwas schuldig war. Der kaufmännische Geist in den Generalstaaten war umsichtig und fachkundig genug, um die Bedeutung der pünktlichen Zahlung einzustehen, und der in allen Kriegswirren blühende Handel, wie die Sparsamkeit der strengen Kalviner, die in jedem Luxus[186] Sünde sahen, gab die Mittel dazu. Der König von Spanien mit allem Golde und Silber von Amerika war doch nicht imstande, dem unermeßlichen Kreis der politischen Aufgaben, die er sich stellte, allenthalben gerecht zu werden. Nach der Schlacht auf der Mooker Heide (1574) sagte das spanische Heer, das 3 Jahre keinen Sold erhalten, den Gehorsam auf, wählte sich einen Befehlshaber und quartierte sich auf eigene Hand in Antwerpen ein, bis die Bürger sich bequemten, 400000 Goldkronen zu zahlen. Teils baar, teils in Stoffen wurden den Soldaten nun die Rückstände gutgetan. Das geschah noch mehrmals und führte zu den fürchterlichsten Unordnungen und Greueln. Oft dauerte es Monate, bis die Truppen zum Gehorsam zurückgebracht waren. Im Jahre 1576 wurde in der »furia« von Antwerpen die Stadt völlig ausgeplündert, zum Teil niedergebrannt und die Einwohnerschaft massenhaft hingerichtet. Das störte natürlich auch die Kriegführung.

Die niederländischen Truppen benahmen sich nicht so. Die Generalstaaten schufen eine geregelte Geldwirtschaft, und das besagte um so mehr, als diese Armee sehr teuer war. Die alten Landsknechtfähnlein pflegten um die 400 oder 300 Mann stark zu sein, oft noch stärker, bis zu 500. Moritz setzte die Stärke auf etwas über 100 herab, aber ohne Verminderung des Offizieretats. Die Bedeutung dieser Abwandlung wird von Wallhausen in seiner »Kriegskunst zu Fuß« (S. 97) vortrefflich folgendermaßen charakterisiert.

Der Fürtrefflichste Kriegsheld, Prinz Mauritius, gebraucht zu jeder Kompagnie, oft weniger als 100 Mann stark217, folgende Befehlshaber: den Kapitän, den Leutenampt, Fähndrich, zwei oder drei Cherganten, drei Korporale, drei Landpassaten, ein Captän des armes, ein Korporal von Adelsburschen oder Gefreiten, ein Schreiber, ein Profoß, zehn weniger oder mehr Gefreite, zwei Trommelschläger. Nun habe man an so viel Befehlshaber alle Monat beinahe ebensoviel zu zahlen, wie den Soldaten und der ganzen Kompagnie. Es könnte also die Hälfte der Unkosten erspart werden, wenn man die Kompagnie 200 oder 300 Mann stark mache und es erscheine deshalb ungereimt, die Kompagnien[187] so schwach zu machen. Aber wisse, fährt er fort: »Daß dem hochgebornen Prinzen nicht viel daran gelegen, daß er solche starcke Kompagnie und Regimenter habe, wie anderstwo bräuchlich, sondern er hat seine Refolution, daß er mit einem Regiment seiner Soldate nicht stärker als 1000 Mann, einem Regiment seiner Feund von 3000 darff unter Augen ziehen, und so offt er mit dieser Ordnung seinem Feind angegriffen, ist ihm allzeit die Viktoria blieben, welches dann unmüglich scheint, daß drey nicht mehr thun als einer und könte also großer Unkosten vermieden werden. Denn je weniger Soldaten und mehr Befehlshaber du hast, je besser sie abgerichtet werden.«

Die alten Landsknechts-Hauptleute an der Spitze ihrer Fähnlein waren Führer und Vorkämpfer gewesen. Die niederländischen Hauptleute mit den anderen sie unterstützenden soldatischen Vorgesetzten, wurden in dem Sinne, wie er uns heute geläufig ist, Offiziere. Sie führten nicht bloß, sondern sie schufen, sie bildeten sich erst das Soldatentum, das sie nachher führten. Indem Moritz von Oranien der Erneuerer der Exerzierkunst und der Vater der wahren militärischen Disziplin wurde, wurde er auch der Schöpfer des Offizierstandes, wenn dieser auch erst später den spezifisch exklusiven Charakter annimmt.

Die neue, auf das Exerzieren begründete Disziplin, die den kleinen flach aufgestellten taktischen Körpern von Pikenieren und Schützen die Fähigkeit geben sollte und gab, es mit den alten Gevierthaufen aufzunehmen, gibt der niederländischen Soldateska sofort auch noch eine zweite Fähigkeit, die zunächst sogar einen praktisch bedeutenderen Erfolg zeigte, als die gesteigerte taktische Kunstfertigkeit. Das ist die Möglichkeit, von den Soldaten Schanzarbeit zu erlangen, was auch wohl früher hier und da geschehen war, aber jetzt zum System erhoben wurde. Auch hier wirkte das klassische Vorbild; mit besonderer Betonung hat Lipsius in seinen Schriften auf die Castrametatio hingewiesen, und die Römer selbst haben ja gewußt und ausgesprochen, daß nicht bloß virtus und arma, sondern auch ihr opus ihnen den Sieg über die Feinde gegeben habe. Die alten Landsknechte waren zu stolz und selbstbewußt gewesen, um sich zur Spatenarbeit herzugeben. Die niederländischen Prinzen erkannten[188] und setzten durch mit ihrer genügenden Bezahlung und ihrer Disziplin, daß die Soldaten sich auch zur Erdarbeit bereit finden ließen. Gleich als im Jahre 1589 Wilhelm Ludwig von Generalstaaten sein Programm vorlegte und in erster Linie die regelmäßige Soldzahlung forderte, fügte er hinzu: daß man ihnen mit dem reichlichen Lohn auch die falsche Scham abgewöhnen müsse, daß sie nicht graben wollten. Wenn man das erreichte, sichere man sich vor den Gefahren, die der Krieg sonst mit sich führe. In einem befestigten Lager könne man nicht zur Schlacht gezwungen werden, und wenn man solche Lager an den Wasserläufen anlege, könne einem auch die Zufuhr nicht abgeschnitten werden. Auf diese Weise solle man die Festungen – er nennt Nymwegen, Grawe, Benlo, Roermonde, Deventer, Zütphen – einschließen und ohne Kampf, ohne das Risiko eines Schicksalsschlages einnehmen. Denn man könne sich durch die Befestigungen so decken, daß Parma an Entsatz nicht denken könne. Habe man aber erst die Städte an den Wasserläufen, so würden auch die anderen sich aus Mangel an Proviant nicht lange halten können218.

Noch aus dem 30jährigen Kriege können wir ein Gegenbild dazu anführen. Als die böhmischen Truppen im Sommer 1620 ihre Stellung verschanzen sollten, fanden sie diese Zumutung entehrend, weigerten sich zu arbeiten und verlangten ihren rückständigen Sold219.

Moritz ergriff die Offensive, nahm Nymwegen und eine Reihe kleinerer Orte durch Überrumpelung oder Beschießung, Steenwyk, Coeworden, Gertruidenborg und endlich Groningen (1594) in förmlicher Belagerung mit Laufgräben und Minen. Vor Steenwyk wird uns berichtet220, wie Wilhelm Ludwig selbst Tag und Nacht bei den Arbeiten war. Die Belagerten verwiesen den »arbeyders« mit schmähenden Worten, daß sie sich selbst von Kriegsleuten zu Bauern und Gräbern erniedrigten und an Stelle der Spieße die Schippen gebrauchten. Aber weder solche Worte noch[189] die Beschießung oder die Ausfälle hielten den Fortgang der Arbeit auf.

Es wird berichtet221, daß Moritz Palissaden auf den Wasserwegen mit sich geführt und mit ihrer Hilfe, indem jeder Soldat zwei oder drei herantrug, schnell in unmittelbarer Nähe des Feindes sich gesichert habe.

Vor Gertruidenborg (1593) sicherte Moritz sich, obgleich durch sumpfiges Gelände die Arbeit besonders erschwert war, durch Zirkum- und Kontravallation. Mansfeld kam mit 9000 Mann zum Entsatz, aber er konnte nichts machen und mußte die Kapitulation mit ansehen. Wilhelm Ludwig aber schrieb, als die Entscheidung gefallen war, dem Sieger222. »Diese Belagerung kann durchaus das zweite Alesia genannt werden, und bedeutet die Wiederherstellung eines großen Teils der antiken Kunst und Wissenschaft des Krieges, die bisher sehr gering geschätzt und von den Ignoranten verlacht wurde, und die sogar von den größten modernen Feldherren nicht verstanden oder wenigstens nicht ausgeübt worden ist«.

Bei der Einnahme von Delfzyl ließ Moritz zwei Soldaten hängen, den einen, weil er einen Hut, den anderen, weil er einen Dolch gestohlen hatte. Bei der Belagerung von Hulst ließ er einen Mann wegen Beraubung einer Frau vor versammeltem Kriegsvolk erschießen.

Eine Generation später (1620) meldete der venezianische Gesandte Girolamo Trevisano aus den Niederlanden nach Hause223, die Staaten unterhielten selbst jetzt im Frieden 30000 Mann zu Fuß effektive Stärke und ungefähr 3600 Pferde; niemals wäre die Auszahlung des Soldes auch nur um eine Stunde verzögert, möge vorfallen, was wolle, und das habe auf die Disziplin den größten Einfluß. Es sei verblüffend zu sehen, wie die Städte sich um Garnisonen bewerben und die Bürger um Einquartierung, denn sie hoffen an ihnen viel zu verdienen. Wenn einer eine Kammer mit 2 Betten übrig hat, kann er 6 Soldaten unterbringen, denn zwei[190] davon sind immer im Dienst. Der Bürger trägt kein Bedenken, Frau und Töchter mit Soldaten allein zu lassen, was anderswo nicht ginge.

Die einzige Feldschlacht, die Moritz geliefert hat, bei Nieuport (2. Juli 1600), ist von Rüstow eingehend, aber doch nicht ganz befriedigend und erschöpfend behandelt. Ein Mitglied meines Seminars, KURT GÖBEL, hatte eine Spezial-Untersuchung in Angriff genommen. Er ist Ende Oktober 1914 ganz in der Nähe dieses Schlachtfeldes bei Dixmuiden im Kampfe für das Vaterland gefallen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 178-191.
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