Vorwort.

Dieser vierte und letzte Band der »Geschichte der Kriegskunst« erscheint in dem Jahre, in dem der größte aller Kriege zu Ende ging. Schon im Jahre 1914 war er der Forschung noch so gut wie vollendet und auch zum großen Teil schon ausgearbeitet. Aber der äußere Sturm, statt, wie man vielleicht meinen könnte, mich fortzureißen zur Vollendung gerade dieser Aufgabe, Ausarbeitung dieses Themas, lenkte mich ab und ich habe die Arbeit unterbrochen, um sie endlich zu Ende zu führen, ohne zwischen ihr und der Gegenwart eine Brücke zu schlagen. Wenn in diesem Buche von den Verhältnissen unserer Zeit die Rede ist, so ist damit die Zeit vor dem Weltkriege gemeint, wo die Worte geschrieben wurden, manchmal auch die Zeit, wo ich selber das Kriegswesen praktisch kennen gelernt habe (ich bin im Jahre 1867 Soldat geworden und habe als Premier-Leutnant der Reserve 1885 den Abschied genommen).

Ich habe ursprünglich wohl gedacht, das Werk in den deutschen Einigungskriegen auslaufen zu lassen und noch die Fortentwicklung der Napoleonischen Strategie durch die Moltkesche darzustellen. Aber ich habe diesen Gedanken fallen lassen, da er sofort in die Probleme des Weltkrieges hineingeführt haben würde, die für eine wissenschaftliche Behandlung im Sinne dieses Werkes noch nicht reif sind. Das soll nicht heißen, daß ich der neuesten Zeit überhaupt noch keine Betrachtung zu widmen wagte, sondern nur, daß es noch nicht in der systematischen, abgeschlossenen Weise geschehen kann, wie es ein Werk von der Art des vorliegenden erfordert. Deshalb bricht dieses Werk mit Napoleon und seinen Zeitgenossen ab. Die Fortsetzung bis auf die Gegenwart aber ist bereits da, wenn auch in anderer Form. Was ich über die kriegsgeschichtlichen Erscheinungen des späteren 19. Jahrhunderts, im besonderen über die Strategie Moltkes und endlich über die Erscheinungen des Weltkrieges zu sagen habe und zu sagen vermochte, ist in einzelnen Aufsätzen und in der gleichzeitig mit diesem Buch erscheinenden Sammlung »Krieg und Politik«, 1914 bis 1918 (drei Bände) niedergelegt. Die Moltke-Aufsätze stehen in der Sammlung »Erinnerungen, Aufsätze und Reden«, ergänzt durch einen Artikel über Caemmerers »Entwicklung der Strategischen Wissenschaft im 19. Jahrhundert«, in den »Preuß. Jahrbüchern«, Bd. 115, S. 347 (1904). Hier ist im Anschluß an Schlichting der neue Gedanke Moltkes, der strategische Anmarsch aus zwei Fronten, den dann Schlieffen im Anschluß an meine Analyse der Schlacht bei Cannä zu der Idee der doppelten Umfassung fortgebildet hat, des Breiteren dargelegt und technisch wie psychologisch begründet, und das leitet über in die strategischen Betrachtungen, mit denen ich die Ereignisse des Weltkrieges begleitet habe.

Die Natur der Dinge brachte es mit sich, daß ich das Technische des Kriegswesens, der Bewaffnung wie der Taktik, bei der Behandlung der Neuzeit ganz zurücktreten lassen konnte, nicht weil es weniger zu bedeuten hätte, als früher, im Gegenteil, es ist ja nur immer schneller und immer gewaltiger angewachsen, sondern weil es in seinem Wesen und seiner Bedeutung so klar zutage liegt, daß es keiner Untersuchungen mehr bedarf, reichliche Literatur darüber vorhanden ist und ich mich also begnügen durfte, das praktische Ergebnis festzustellen. Ich durfte mich um so mehr auf das Notwendigste beschränken, als die unschätzbare »Geschichte der Kriegswissenschaften« von MAX JÄHNS dem Suchenden für weitere Belehrung das wohlgeordnete Material darbietet. Bei dieser Einschränkung des Technischen war es mir, wie ich hoffe, um so mehr möglich, den Grundgedanken des Werkes, den Zusammenhang zwischen Staatsverfassung, Taktik und Strategie, »Die Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte«, wie der Titel lautet, plastisch herauszuarbeiten. Die Erkenntnis der Wechselwirkung zwischen Taktik, Strategie, Staatsverfassung und Politik wirft ihr Licht auf den Zusammenhang der Universalgeschichte und hat Vieles, was bisher im Dunkel lag oder verkannt wurde, aufgehellt. Nicht um der Kriegskunst willen ist dieses Werk geschrieben worden, sondern um der Weltgeschichte willen. Wenn Militärs es lesen und daraus Anregungen entnehmen, so kann mir das nur recht sein und ist mir eine Ehre; geschrieben aber ist es für Geschichtsfreunde von einem Historiker. Ich würde sogar nichts dagegen haben, wenn man dieses Werk, das den Krieg behandelt und noch dazu ausdrücklich im Rahmen der politischen Geschichte, doch in die Kategorie der kulturgeschichtlichen Werke einordnen wollte. Denn die Kriegskunst ist eine Kunst wie die Malerei, die Baukunst oder die Pädagogik, und das ganze kulturelle Dasein der Völker wird in hohem Grade bestimmt durch ihre Kriegsverfassungen, die wiederum mit der Technik des Krieges, der Taktik und Strategie zusammenhängen. Alles steht in Wechselwirkung miteinander, der Geist jeder Epoche offenbart sich in ihren vielseitigen Einzelerscheinungen, und die Erkenntnis jedes einzelnen, wie in meinem Falle der Kriegskunst, fördert die Erkenntnis der Menschheits-Entwicklung im ganzen. Keine weltgeschichtliche Epoche, die nicht in ihren Fundamenten durch die Ergebnisse dieser Arbeit berührt würde. Aber es hat Mühe und auch Kampf gekostet, die Idee, daß auf diesem Wege etwas zu gewinnen sei, durchzusetzen. Selbst Leopold Ranke lehnte ihn direkt ab, als ich ihm einmal meinen Plan vortrug; die Fakultät, der ich jetzt die Ehre habe, anzugehören, machte mir Schwierigkeiten bei der Habilitation, da das Kriegswesen nicht auf die Universität gehöre, und Theodor Mommsen, als ich ihm den ersten Band überreicht hatte, der doch recht tief in die alte und besonders in die römische Geschichte eingreift, erklärte mir bei seinem Dank, seine Zeit werde ihm doch wohl kaum erlauben, dieses Buch zu lesen. Da ich auf der anderen Seite auch den Generalstab gegen mich hatte, so wird man mir zugestehen, daß mein Kampf nicht leicht war. Niemand, der dafür bekannt war, mein Schüler zu sein, durfte Lehrer an der Kriegsakademie werden, und Historiker, die sich von dem Zutreffenden meiner Forschungs-Ergebnisse überzeugt hatten, waren doch vorsichtig genug, das möglichst wenig merken zu lassen. Bei Anderen habe ich es, wie man sehen wird, bis in die neueste Zeit nicht erreichen können, daß sie meine Auffassung auch nur richtig wiedergaben. Neue Ideen haben sich durchzusetzen nicht nur gegen den zähen Widerstand des Überlieferten, sondern auch gegen das fast noch unbelehrbarere Mißverständnis.

Wie ich bei der Herausgabe des ersten Bandes einst in der Vorrede das Werk von JULIUS BELOCH, »Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt« nennen mußte, als eine Arbeit, die der meinigen not wendig vorangehen mußte, so darf ich auch diesmal nicht unterlassen, schon hier ein Werk zu nennen, das ebenso sehr eine unerläßliche Vorarbeit, wie die wertvollste Ergänzung dieses Bandes bildet. Es ist »Macchiavellis Renaissance der Kriegskunst« von MARTIN HOBOHM. Ich habe mir die Ergebnisse dieser ebenso gelehrten, wie glänzend geschriebenen Arbeit vollständig zu eigen machen können, und Herr Dr. Hobohm hat mich auch weiter durch Sammlung von Material für die Fortführung der Forschung sehr wesentlich unterstützt. Neben Herrn Dr. Hobohm bin ich Herrn Dr. Siegfried Mette für seine Beihilfe beim Lesen der Korrektur und Herstellung des Registers zu Danke verpflichtet.


Berlin-Grunewald, den 7. August 1919.

Hans Delbrück

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4.
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