Vormittagssitzung.

[199] [Der Angeklagte Fritzsche im Zeugenstand.]


DR. FRITZ: Herr Präsident! Meine Herren Richter!

Der Angeklagte Fritzsche hat sich gestern am Schluß der Sitzung darüber geäußert, wie er verfolgten Personen geholfen hat im Rahmen der bescheidenen, ihm gegebenen Möglichkeiten.

Um dieses Thema abzuschließen, biete ich dem Gericht an mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft zunächst als Fritzsche-Exhibit Nummer 6 eine eidesstattliche Versicherung des Grafen Westarp, die in meinem Dokumentenbuch II auf Seite 23 bis 25 zu finden ist, mit Datum vom 15. Juni 1946. Ich bitte, vom Inhalt amtlich Kenntnis zu nehmen. Ferner biete ich als Beweismittel dem Gericht an eine weitere eidesstattliche Versicherung als Fritzsche-Exhibit Nummer 8 von einer Frau Krüger, Berlin. Dieselbe befindet sich noch nicht in meinen Dokumentenbüchern, sie ist aber im Original von dieser Frau Krüger sowohl in deutscher als in englischer Sprache abgegeben worden. Beide Ausfertigungen sind notariell beglaubigt. Ich verweise auch auf den Inhalt, insbesondere auf die beiden letzten Absätze. Aus dem vorletzten Absatz ergibt sich, daß die Frau Krüger, vom Einzelfall ausgehend, auch allgemeine Kenntnis über diese Tätigkeit des Angeklagten Fritzsche hat; und der letzte Absatz ist ganz interessant, er betrifft die Lebenshaltung des Angeklagten Fritzsche.

Ich verweise auch hier im übrigen nur auf den gesamten Inhalt und bitte, davon Kenntnis zu nehmen.

Schließlich verweise ich in diesem Zusammenhang auf die bereits mehrfach zitierte eidesstattliche Versicherung des Dr. Scharping, Fritzsche-Exhibit Nummer 2, Dokumentenbuch Fritzsche II, Seite 6 bis 15. Ich beziehe mich hier insbesondere auf die Seiten 13 unten und 14 oben.

Herr Fritzsche! Zu diesem Thema noch zwei allgemeine Fragen: Haben Sie denn in der letzten Zeit des Krieges nicht versucht, etwas über das Gesamtschicksal der Juden zu erfahren?


FRITZSCHE: Ja, ich nutzte eine Gelegenheit aus, über die ich an anderer Stelle noch kurz sprechen werde. Ich fragte Mitarbeiter des Obergruppenführers Glücks in Oranienburg-Sachsenhausen nach den Juden. Die Antwort war, ganz kurz zusammengefaßt:

Die Juden stünden unter dem besonderen Schutz des Reichsführers-SS. Dieser wünsche mit ihnen ein politisches Geschäft zu [199] machen. Er sehe sie als eine Art von Geiseln an, und er habe den Wunsch, daß ihnen nicht ein Haar gekrümmt werde.


DR. FRITZ: Es ist in diesem Prozeß von mehreren Zeugen der Anklagebehörde behauptet worden, daß die deutsche Öffentlichkeit von den Mordtaten gewußt hätte.

Ich frage gerade Sie als Journalist, der im nationalsozialistischen Staat arbeitete: Wie war nach Ihrer Kenntnis und Beobachtung das Verhalten der breiten Masse des deutschen Volkes zu den Juden? Wußte das Volk vom Mord an den Juden? Kurz bitte?


FRITZSCHE: Unter Fortlassung aller der Dinge, die in diesem Prozeß schon erwähnt wurden, möchte ich nur einige Beobachtungen erwähnen, die mir wichtig erscheinen. Ich übergehe die bereits geschilderte Zeit kurz nach dem ersten Weltkrieg, in der gewisse antisemitische Gefühle in Deutschland populär waren. Ich möchte nur feststellen, daß im Jahr 1933 bei dem Judenboykott, den die NSDAP veranstaltete, sich die Sympathien des deutschen Volkes offen wieder den Juden zuwandten. Durch Jahre hindurch versuchte die Partei erbittert, das Publikum vom Einkauf in jüdischen Geschäften abzuhalten; schließlich geschah das sogar mit Strafandrohungen. Einen tiefen und entscheidenden Einschnitt in dieser Entwicklung bedeutete der Erlaß der Nürnberger Gesetze. Durch sie wurde zum erstenmal der Kampf gegen die Juden von dem Boden der Agitation weggezogen, also der Agitation, von der man sich noch distanzieren konnte, und wurde geschoben auf den Boden der Staatspolitik.

Es ging damals ein tiefes Erschrecken durch das deutsche Volk, weil nun eine Spaltung bis in die einzelnen Familien hinein auftrat. Damals entstanden viele menschliche Tragödien, die vielen, eigentlich allen sichtbar waren, und es gab für diese Rassengesetze nur eine Rechtfertigung, eine Entschuldigung, eine Erklärung, das war die Behauptung und der Gedanke: Nun, dann wird durch die, wenn auch unter Schmerzen jetzt vorgenommene Trennung der beiden Völker nun endlich der wilden und ungezügelten Agitation ein Ende gemacht, und es entsteht in der Trennung ein Friede, da, wo bisher Friedlosigkeit herrschte. Als die Juden das Abzeichen eines Sterns tragen mußten, als ihnen zum Beispiel in Berlin die Benutzung von Sitzplätzen in der Straßenbahn verboten wurde, da nahm das deutsche Publikum demonstrativ Partei für die Juden und immer wieder kam es vor, daß ostentativ dann Juden Platz angeboten wurde. Ich habe mehrere Äußerungen von Dr. Goebbels hierüber gehört, der über diese ungewollte Wirkung der Kennzeichnung der Juden äußerst erbittert war.

Ich bin als ein Journalist, der in jener Zeit gearbeitet hat, der festen Überzeugung, das deutsche Volk kannte den Massenmord an den Juden nicht; was auch immer an Behauptungen aufgestellt wurde, [200] das waren Gerüchte, und was an Nachrichten in das deutsche Volk hineindrang von außen, das wurde amtlich immer und immer wieder dementiert. Ich kann, weil mir gerade diese Unterlagen fehlen, aus dem Gedächtnis nicht mehr einzelne Dementis zitieren, aber an einen Fall erinnere ich mich mit besonderer Deutlichkeit. Es war der Augenblick, als von russischer Seite nach der Wiedereroberung von Charkow dort ein Prozeß veranstaltet wurde, in dem zum erstenmal gesprochen wurde von Tötung mit Gas. Ich lief mit diesen Berichten zu Dr. Goebbels und fragte ihn, wie es damit stünde. Er erklärte, er wolle die Sache untersuchen, er wolle sie mit Himmler besprechen und mit Hitler. Am nächsten Tage kündigte er mir ein Dementi an. Dieses Dementi wurde dann nicht öffentlich ausgegeben, und zwar mit der Begründung: Man wünsche in einem deutschen Prozeß die Dinge, die da klargestellt werden müßten, noch deutlicher zu machen. Ganz ausdrücklich aber ist mir von Dr. Goebbels erklärt worden: Die Gaswagen, die in dem russischen Prozeß erwähnt worden wären, wären ein reines Produkt der Phantasie; es gäbe keine tatsächliche Unterlage dafür. Nicht umsonst wurden die an der Durchführung des Mordes Beteiligten unter den Befehl des strengsten Stillschweigens gestellt. Hätte das deutsche Volk von dem Massenmord erfahren, es hätte Hitler sicher die Gefolgschaft versagt. Vielleicht hätte es für einen Sieg fünf Millionen Gefallene geopfert, niemals hätte es aber einen Sieg erkaufen wollen mit einem Mord an fünf Millionen, und ich möchte noch erklären: Dieser Mordbefehl Hitlers erscheint mir das Ende jeder Rassentheorie, jeder Rassenphilosophie und jeder Rassenpropaganda; denn nach dieser Katastrophe würde jede weitere Vertretung der Rassenlehre gleichbedeutend sein mit der intellektuellen Urheberschaft an einem neuen Mord. Eine Ideologie, in deren Namen fünf Millionen Menschen ermordet wurden, darf ja nicht überleben.


DR. FRITZ: Ich komme nun zu einem anderen Thema:

Ihnen ist von der Anklage vorgeworfen worden, daß Sie zu Greueltaten aufgereizt hätten und daß die Resultate Ihrer Propaganda sich auf jeden Gesichtspunkt der Verschwörung erstreckten, einschließlich des anormalen und unmenschlichen Verhaltens. So muß ich Sie also auch zu dem Komplex der Konzentrationslager befragen: War Ihnen die Existenz der Konzentrationslager bekannt?


FRITZSCHE: Ja, die Tatsache ihrer Gründung wurde veröffentlicht, ich glaube 1933, und die Konzentrationslager wurden später mehrfach in amtlichen Veröffentlichungen erwähnt.


DR. FRITZ: Was war nach Ihrer damaligen Ansicht der Zweck dieser Lager?


FRITZSCHE: Nach meiner Erinnerung wurde angegeben, in diese Lager sollten diejenigen gebracht werden, die nicht abzuhalten [201] waren von einer aktiven Arbeit gegen den neuen Staat. Sie wurden erklärt mit der anormalen innerpolitischen Lage, eine ohnmächtige Mitte, zwei starke extreme Parteien, von denen nun eine zur Regierung gekommen war. Die gesetzliche Grundlage wurde geschaffen. Erst später hieß es, daß auch Gewohnheitsverbrecher in die Konzentrationslager gebracht würden, um Rückfallverbrechen zu verhindern.


DR. FRITZ: Wußten Sie etwas über die Zahl der Konzentrationslager, die im Laufe der Zeit geschaffen wurden?


FRITZSCHE: Vor dem Krieg hatte ich gehört von drei Lagern, im Krieg vermutete ich fünf bis sechs Lager. Die hier gezeigte Karte von einer Vielzahl von Lagern war für mich eine große Überraschung.


DR. FRITZ: Wußten Sie etwas über die Zahl der Häftlinge in diesen Lagern?


FRITZSCHE: Nichts Genaues. Zu Anfang des Krieges sprachen Auslandsmeldungen von Millionenzahlen von Häftlingen. Da bat ich zusammen mit einigen Journalisten den Obergruppenführer Heydrich, vor in-und ausländischer Presse zu sprechen und sich für eine Diskussion zur Verfügung zu stellen. Er tat das. Er gab nach meiner Erinnerung keine absolute Zahl der Häftlinge an, aber er zog einen Vergleich zu den Insassen der Gefängnisse und Zuchthäuser in früherer Zeit, und dieser Vergleich erschien nicht beunruhigend. Es war im Winter 1940 oder 1941.


DR. FRITZ: Setzten Sie keinen Zweifel in die Richtigkeit dieser Zahl?


FRITZSCHE: Damals nicht.


DR. FRITZ: Wußten Sie etwas darüber, wie es in den Konzentrationslagern zuging? Haben Sie einen Menschen gesprochen, der in einem Lager war?


FRITZSCHE: Jawohl, schon 1933 oder 1934 sprach ich einen Journalisten, der einige Wochen in dem Konzentrationslager Oranienburg, dem alten Lager Oranienburg, gewesen war. Er berichtete, er sei nicht selbst gequält worden, aber er hätte gesehen und gehört, wie andere verprügelt wurden und wie ihnen absichtlich Finger in der Tür eingeklemmt wurden.


DR. FRITZ: Haben Sie diese Mitteilungen einfach hingenommen und auf sich beruhen lassen?

FRITZSCHE: Im Gegenteil, ich habe Lärm geschlagen. Der Journalist, er hieß nach meiner Erinnerung Stolzenberg, wünschte, selbst nicht genannt zu werden. Ich schrieb drei Briefe; einen an Dr. Goebbels, der mir sagen ließ, er werde sich der Sache annehmen, und je einen an Frick als Innenminister und Göring als preußischen [202] Ministerpräsidenten. Von beiden Stellen riefen dann höhere Beamte an und erklärten, es sei eine Untersuchung im Gange. Ganz kurze Zeit später hörte ich, daß dieses alte Lager Oranienburg aufgelöst wurde, daß der Kommandant zum Tode verurteilt worden sei, eine Meldung, die ich von einem Herrn von Lützow erhielt, dem Pressereferenten des damaligen Leiters der Staatspolizei, Diels oder Diehl.


DR. FRITZ: Haben Sie nach diesem ersten Erfolg eines Protestes gegen Mißhandlungen weitere Mitteilungen erhalten über Greueltaten in den Konzentrationslagern?


FRITZSCHE: Nein, weitere Mitteilungen über Mißhandlungen habe ich nicht erhalten. Dagegen habe ich oft Nachfrage gehalten bei einzelnen Personen der Gestapo oder der Pressestelle des Reichsführers-SS. Alle von mir Befragten erklärten folgendes: Schweinereien seien nur vorgekommen in der ersten Zeit, also gleich 1933 oder anfangs 1934, als die Konzentrationslager von SA-Leuten ohne Beruf bewacht wurden, also denjenigen Angehörigen der SA, die einen ganzen Tag zur Verfügung standen; darunter seien oft nicht die besten Elemente gewesen. Es wurde mir weiter erklärt, daß der 30. Juni in diesen Zuständen eine Reinigung bedeutet hätte; der 30. Juni hätte eine Beseitigung der Gauleiter und der SA-Führer gebracht, die ihre Macht mißbraucht hatten. Nun, so wurde schließlich erklärt, seien die Konzentrationslager bewacht von SS, die hauptberufliche Wächter eingestellt habe, hauptberufliche Verwalter, berufsmäßige Kriminalbeamte und Gefängnisaufsichtspersonal. Das sei eine Garantie gegen Mißbräuche.


DR. FRITZ: Haben Sie sich nach einzelnen Personen erkundigt, die in einem Konzentrationslager saßen?


FRITZSCHE: Natürlich; nach so bekannten Persönlichkeiten, wie nach Pfarrer Niemöller oder Schuschnigg, habe ich mich erkundigt, oder nach dem verhafteten Privatsekretär von Heß, Leipkin. Immer erhielt ich beruhigende Auskünfte.


DR. FRITZ: Nun, das mögen Ausnahmefälle bei bekannten und prominenten Personen sein. Haben Sie nicht mit anderen Leuten aus einem Konzentrationslager zu sprechen versucht?


FRITZSCHE: Ja. Im April 1942 begegnete mir ein früherer Funktionär der Kommunistischen Partei, namens Reintgen. Mit ihm war ich ein halbes Jahr als Soldat zusammen, er berichtete deshalb völlig offen und rückhaltslos. Er schilderte, er sei 1933 durch Schläge auf den Rücken mißhandelt worden, später nicht mehr. Das stimmte mit meinen Beobachtungen überein.


DR. FRITZ: Haben Sie selbst Konzentrationslager besucht?


FRITZSCHE: Nein, innerhalb der Umzäunung eines Konzentrationslagers bin ich niemals gewesen. Dagegen war ich mehrfach [203] im Winter 1944/1945 in den Verwaltungsgebäuden in der Nähe des Lagers Oranienburg-Sachsenhausen. Außerdem sprach ich so oft, wie es mir nur irgend möglich war, mit Häftlingen, wenn ich diese auf dem Marsch oder irgendwo bei der Arbeit sah.


DR. FRITZ: Mit wem sprachen Sie in Oranienburg?


FRITZSCHE: Mit einem Mitarbeiter des Obergruppenführers Glücks; zweimal auch mit diesem selbst. Sie sagten, die Auslandsberichte über grausame Behandlung seien falsch. Die Behandlung sei nicht nur menschlich, sondern ausgesprochen gut, da die Häftlinge doch wertvolle Arbeitskräfte darstellten. Ich habe länger gesprochen über die Arbeitszeit deshalb, weil damals gerade ein etwas törichter Erlaß heraus gekommen war über eine Verlängerung aller Arbeitszeiten. Die Stellungnahme von Glücks war sehr vernünftig, nämlich die, daß eine längere Arbeitszeit nicht etwa Mehrarbeit erbringe. Deshalb sei es bei einer Arbeitszeit von acht bis zehn Stunden täglich geblieben.

Von Vernichtung durch Arbeit sprach er nicht. Von ihr habe ich im Gerichtssaal zum ersten Male gehört.


DR. FRITZ: Und wie war das mit Ihren Fragen an die Häftlinge direkt?


FRITZSCHE: Nun, zunächst fuhr immer ein Aufseher dazwischen, und dann zeigte sich naturgemäß ein tiefes Mißtrauen auf der Seite der Häftlinge; aber schließlich erhielt ich immer auf sachliche Fragen auch sachliche Antworten. Und deren Inhalt, ganz kurz zusammengefaßt, war immer wieder der, ihre Verhaftung sei ungerecht. Ihr Essen sei eigentlich besser als im Gefängnis. Oft hörte ich den Satz: »Dann sind wir wenigstens nicht Soldaten.« Und bei den Aufsehern sah ich als Waffe immer nur Gewehr oder Revolver; Schlaginstrumente habe ich nicht gesehen.


DR. FRITZ: Haben Sie nicht auch hier bei den Konzentrationslagern immer neues Mißtrauen geschöpft aus den Rundfunksendungen des Auslandes?


FRITZSCHE: Lange Zeit nicht, und zwar aus Gründen, die ich hier gestern schon schilderte. Erst im April 1945 kamen die Berichte von englischen Parlamentariern über den Fall Buchenwald. Aber dieser Fall liegt so spät, daß ich die Einzelheiten der Vorfälle, die sich dabei abspielten im Propagandaministerium, im Interesse der Kürze wohl nicht erwähnen sollte.


DR. FRITZ: Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß doch zweifellos Verbrechen und Mißhandlungen übelster Art in den Konzentrationslagern vorgekommen sind?


FRITZSCHE: Ich stehe da vor einem schrecklichen Rätsel, seit ich in der Gefangenschaft die ersten zuverlässigen Mitteilungen darüber hörte. Nur ein Teil der furchtbaren Zustände, die man [204] vorfand, ist zu erklären durch Stockung des Verkehrs bei Kriegsende. Der Rest ist mehr als genug. Es hat offenbar der Befehl zur geheimen Massentötung von Menschen diejenigen in unvorstellbarer Weise verrohen lassen, die mit seiner Ausführung beschäftigt waren.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof weiß nicht, ob diese Erklärung irgendwelche Beweiskraft hat; wir haben über diese Dinge bereits alles gehört. Er hat uns erklärt, warum er nichts darüber gewußt habe.


DR. FRITZ: Herr Präsident! Ich habe nur noch zwei Fragen an den Angeklagten.

Herr Fritzsche! Es ist hier gesagt worden, daß die Zustände in den Konzentrationslagern dem deutschen Volk allgemein bekannt gewesen seien. Wollen Sie uns auch hierzu als Journalist Ihre begründete Stellungnahme mitteilen?


VORSITZENDER: Hat er uns denn das nicht schon gesagt?


DR. FRITZ: Verzeihung, Herr Präsident. Darüber hat er sich geäußert bei der Mißhandlung und Vernichtung von Juden, bei der Extermination der Juden, da hatte ich ihn gefragt...


VORSITZENDER: Sie fragen ihn über seine Ansicht als Journalist. Ich sehe nicht ein, inwiefern das für uns von Bedeutung ist.


DR. FRITZ: Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Präsident – das ist meine vorletzte Frage –, wenn Sie dieselbe zulassen würden. Ich erwarte von dem Angeklagten eine Antwort, die geeignet ist, dem Gericht bei der Urteilsfindung zu helfen.


VORSITZENDER: Worüber soll er seine Meinung als Journalist abgeben?


DR. FRITZ: Der Angeklagte Fritzsche will hier einige Äußerungen wiedergeben, zum Beispiel des Dr. Goebbels.


VORSITZENDER: Schön, stellen Sie die Frage.


DR. FRITZ: [zum Zeugen gewandt] Hatten Sie die Frage verstanden?


FRITZSCHE: Ich glaube, daß hier eine Verwechslung vorgekommen ist, insofern, als ich Äußerungen von Dr. Goebbels nicht zu diesem Komplex zu sagen vermag, sondern zu einem letzten Komplex, der mir wichtiger erscheint, als diese vorletzte Frage.


DR. FRITZ: Immerhin bitte ich Sie, sich ganz kurz zu meiner Frage zu äußern. Soll ich sie wiederholen?


FRITZSCHE: Danke. Ich möchte auch hier nur kurz auf das verweisen, was ich schon im Zusammenhang mit den Mordtaten gesagt habe. Es gab viele Gerüchte; aber diese Gerüchte wurden [205] dementiert. Es lag zweifellos ein eiserner Ring des Schweigens um diese Schrecknisse, und wichtig erscheint mir aus meinem Arbeitskreis nur die Beobachtung, daß es im RSHA und einigen von dessen Abteilungen Stellen gegeben haben muß, die systematisch dafür arbeiteten, diese Greueltaten zu verheimlichen, zu verbergen und beruhigende Erklärungen und Dementis gegenüber den Stellen abzugeben, die die Öffentlichkeit vertraten.


DR. FRITZ: Ich stelle nun eine letzte zusammenfassende Frage. Sie haben sich bei Ihrer Vernehmung durch mich über Hitler und seine Politik erheblich anders geäußert, als früher in Ihren Rundfunkansprachen und so weiter. Können Sie in ganz wenigen Sätzen den Zeitpunkt und die Ursache Ihrer Meinungsänderung angeben?


FRITZSCHE: Ich bitte, dies ganz präzise tun zu dürfen.

Die erste Station auf dem Wege dieser Erkenntnis war nicht die deutsche Niederlage; denn Recht oder Unrecht ist unabhängig von Sieg oder Niederlage, es war die Tatsache, daß Hitler diese Niederlage noch zur Selbstvernichtung des deutschen Volkes machen wollte, wie Speer dies jetzt in furchtbarer Weise bestätigt hat und wie ich es im letzten Kampfabschnitt in Berlin beobachten konnte, als unter der Vorspiegelung einer falschen Hoffnung fünfzehn-, vierzehn-, dreizehn- und zwölfjährige Jungen ausgerüstet wurden mit Handfeuerwaffen gegen Panzer und zum Kampf aufgerufen wurden, Jungen, die vielleicht eine Hoffnung für einen Wiederaufbau gewesen wären. Hitler flüchtete in den Tod und hinterließ den Befehl weiterzukämpfen. Er hinterließ ebenfalls die amtliche Nachricht, daß er im Kampfe gefallen sei. Ich erfuhr, daß er Selbstmord begangen hatte, und so war meine letzte Publikation am 2. Mai 1945 die Mitteilung dieses Selbstmordes; denn ich wollte die Bildung einer Hitler-Legende im Keim ersticken.

Ich hörte dann in der Gefangenschaft von einem mitgefangenen deutschen Major namens Sforner, daß er von der Gestapo verhaftet wurde, zur Erzielung eines Geständnisses gefoltert wurde, ja, daß man vor seinen Augen seine Frau verprügelte. Das war die zweite Station.

Die dritte Station bedeutete ein anderer Mitgefangener, der ja weltbekannte Geograph General Niedermayer, der mir den Nachweis erbrachte, daß die von Hitler gegebene Begründung des Angriffs auf Rußland falsch war, mindestens in einem wichtigen Fall. Er konnte mir nach einer Unterredung mit dem Dolmetscher sagen, daß Molotow in der entscheidenden Unterredung mit Ribbentrop 1941 keineswegs neue Forderungen gestellt hatte, sondern vielmehr nur die Verwirklichung der 1939 gegebenen Zusicherungen verlangte. Damit entfiel ein Teil, ich betone ein Teil, der Gründe für die Behauptung, daß unser Angriff gegen Rußland einem Angriff Rußlands zuvorkam.

[206] Die vierte Station war der hier im Gerichtssaal erbrachte Nachweis zu dem Fünf-Millionen-Mord an den Juden. Ich habe mich über ihn bereits geäußert. Ich halte es nur für meine Pflicht, noch eine Äußerung zu bekunden, die Dr. Goebbels in meiner Anwesenheit am Sonnabend, dem 21. April 1945 tat. Dr. Goebbels sagte im Zustande äußerster Erregung über den letzten entscheidenden Durchbruch der Russen bei Berlin folgendes: »Nun, das deutsche Volk hat es ja nicht anders gewollt, es entschied sich ja im Rahmen der Volksabstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund mit großer Mehrheit gegen eine Politik der Nachgiebigkeit und für eine Politik der Ehre und des Wagemuts. So hat« – so schloß Dr. Goebbels – »so hat das deutsche Volk selbst den Krieg gewählt, den es jetzt verloren hat.«

Das waren die letzten Worte, die ich von Dr. Goebbels hörte, und diese Worte sind unwahr. Ich erkläre unter meinem Eid: Niemals vorher hatte Dr. Goebbels jener Volksabstimmung eine solche Bedeutung gegeben, niemals hatte er ihr einen solchen Sinn unterlegt. Das genaue Gegenteil war der Fall. Dem deutschen Volke ist gerade bei dieser Volksabstimmung ausdrücklich noch einmal eine feierliche Versicherung des Friedenswillens Hitlers und seiner Mitarbeiter gegeben worden. Hiernach steht für mich fest, daß Hitler und mindestens einige seiner Mitarbeiter das Volk in einigen entscheidenden Punkten, einigen Ausgangspunkten ihrer Politik, bewußt belogen haben, und, was für die Geschichte nicht so wichtig ist, ich persönlich fühle mich in diesen Punkten ebenfalls belogen.


DR. FRITZ: Herr Präsident! Ich habe keine Frage mehr an den Angeklagten Fritzsche.


VORSITZENDER: Wünscht irgendein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?


DR. STAHMER: Herr Zeuge! Haben Sie davon gehört oder festgestellt, daß am Anfang der Einrichtung der Konzentrationslager neben den ordentlichen Lagern noch sogenannte »wilde Lager« bestanden haben, die von SA-Führern ohne Kenntnis der zuständigen Stellen eingerichtet waren?


FRITZSCHE: Nein. Damals habe ich davon nichts gehört. Hier im Gerichtssaal hörte ich zum erstenmal von diesem Unterschied.


DR. STAHMER: Können Sie aus Ihrer heutigen Kenntnis feststellen, ob die Mißstände, die Sie geschildert haben, in diesen wilden Konzentrationslagern vorgefallen sind?


FRITZSCHE: Dazu kann ich ganz präzise antworten. Der Mißstand, der mir bekannt wurde, tauchte ja auf in dem alten Lager Oranienburg, einem Lager, das dort in der Berliner Straße lag. Zu welcher Gattung dieses Lager gehörte, weiß ich nicht. Dieser Mißstand aber wurde ja auch abgestellt, und ich betonte schon[207] in meiner Vernehmung, daß fast unmittelbar nach meinem Brief an den preußischen Ministerpräsidenten ich angerufen wurde von einem Ministerialrat oder Ministerialdirektor mit der Zusage der Untersuchung, einer Zusage, die auch eingehalten worden ist, wobei ich mich allerdings nicht erinnere, ob gerade von dieser Stelle mir noch ein Schlußbescheid zuging.


DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.


DR. KUBUSCHOK: Im Juni 1934 wurde die Veröffentlichung der Marburger Rede des Angeklagten von Papen verboten. Ist es richtig, daß von diesem Zeitpunkt an jegliche Auslassung des Angeklagten von Papen nur mit ausdrücklicher vorheriger Genehmigung des Propagandaministeriums veröffentlicht werden konnte?


FRITZSCHE: Das ist richtig, sogar in einem noch engeren Sinne. Die Beschlagnahme der Marburger Rede war, wie ich mich genau erinnere, veranlaßt worden von dem späteren Ministerialdirektor Berndt. Dieser machte Dr. Goebbels darauf aufmerksam. Für die weiteren Veröffentlichungen Papens aber galt der Grundsatz, daß auch nicht das Propagandaministerium das Recht hätte, sie freizugeben, sondern sie mußten zugeleitet werden entweder dem Minister persönlich oder dem Führer.


DR. KUBUSCHOK: Sie erwähnten bei Ihrer Vernehmung, daß Sie den Angeklagten von Papen von früher her kennen; diese Bekanntschaft rühre von Ihrem Besuch in der Türkei her. Wann war Ihr Besuch in der Türkei?


FRITZSCHE: Im Januar, ich glaube, des Jahres 1944.


DR. KUBUSCHOK: Welchen Zweck hatte Ihr Besuch?


FRITZSCHE: Ich hielt einen Vortrag vor der Reichsdeutschen Kolonie in Istanbul und in Ankara anläßlich des 30. Januar.


DR. KUBUSCHOK: Hatte Herr von Papen mit dieser Rede und dieser Veranstaltung etwas zu tun?


FRITZSCHE: Nein, weniger als nichts. Ich bekam von Berlin aus die offizielle Bitte mit, Herrn von Papen doch dazu zu veranlassen, zur Feier des 30. Januar nicht wieder, wie er es sonst tat, ostentativ abzureisen. Ich habe auch den Versuch unterlassen, Herrn von Papen umzustimmen, und so ging er rechtzeitig von seinem Dienstsitz weg, um Schneeschuh zu laufen.


DR. KUBUSCHOK: Danke.


DR. THEODOR KLEFISCH, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Herr Zeuge! Sie sagten soeben, es sei Ihnen berichtet worden, daß Ende 1933 und Anfang 1934 SA-Männer ohne Beruf gewisse Konzentrationslager bewacht hätten [208] und daß darauf wohl Mißstände zurückzuführen seien. Ich habe nur eine Frage: Von wem stammt dieser Bericht?


FRITZSCHE: Von dem damaligen Pressechef oder Pressereferenten des Reichsführers-SS Himmler, namens Gerhard Ratke.


DR. KLEFISCH: Ratke?


FRITZSCHE: Ratke.


DR. KLEFISCH: Danke.


DR. FRITZ SAUTER, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN FUNK UND VON SCHIRACH: Herr Zeuge! Sie haben vorgestern bereits ausgesagt, daß der Angeklagte Funk im Propagandaministerium mit der Propaganda nichts zu tun hatte, sondern in der Hauptsache mit Organisation und mit Finanzaufgaben. Nun muß ich Sie aber bitten, mir noch einige Fragen zu beantworten über die Tätigkeit des Angeklagten Funk im Propagandaministerium. Sie wissen, Herr Zeuge, daß zunächst eine Presseabteilung der Reichsregierung bestanden hat, das war eine staatliche Einrichtung. Wie lange hat diese Presseabteilung bestanden, und was ist aus ihr geworden?


FRITZSCHE: Sie bestand schon lange vorher, jedenfalls bis März 1933. Bis dahin war sie ein Glied des Auswärtigen Amtes. Von da ab wurde sie zum Glied des Propagandaministeriums, wo sie also nunmehr eine doppelte Funktion auszuüben hatte: Erstens, Presseabteilung dieses Ministeriums zu sein und zweitens weiterhin als Presseabteilung der Reichsregierung zu fungieren.


DR. SAUTER: Herr Zeuge! Können Sie mir sagen, wer vom März 1933 an, also von der Eingliederung der Presseabteilung ins Propagandaministerium, der Chef dieser Presseabteilung und damit praktisch der Chef des Pressewesens gewesen ist. War das Funk, oder wer war das sonst?


FRITZSCHE: Nein, das war der Ministerialrat Jahnke als Nachfolger des Ministerialdirektors Berndt, dann erfolgte die Aufteilung dieser Presseabteilung in drei Abteilungen; deutsche Presse...


DR. SAUTER: Das interessiert mich nicht. Mich interessiert, Herr Zeuge, nur, ob der Chef dieser Abteilung der Angeklagte Funk war, oder ob es richtig ist, daß er damit nichts mehr zu tun hatte?


FRITZSCHE: Nominell war er schon der Chef, aber mit der praktischen Arbeit hatte er nichts zu tun. Die lief von Dr. Goebbels über Hahnke zu Jahnke.

DR. SAUTER:... und später zu Ministerialdirektor Berndt. Herr Zeuge, eine weitere Frage: Wer hat denn im Propagandaministerium, also ich spreche immer von der staatlichen Stelle, wer [209] hat denn da die Leitung der Pressepolitik gehabt? Hatte der Angeklagte Funk etwas damit zu tun, oder wer hat das sonst gemacht? Die Leitung der Pressepolitik?


FRITZSCHE: Die hat zu jener Zeit Dr. Goebbels ausgeübt, später dann der Reichspressechef Dr. Dietrich.


DR. SAUTER: Der Angeklagte Funk war im Propagandaministerium Staatssekretär, wenigstens hatte er den Titel Staatssekretär. Wenn man nun ganz allgemein die Sache betrachtet, würde mich interessieren, hat er auch tatsächlich die Stellung eines Staatssekretärs bekleidet, oder hat diese Stelle des Staatssekretärs, also des regelmäßigen Vertreters des Ministers, ein anderer Beamter gehabt?


FRITZSCHE: Er hatte selbstverständlich die Stelle eines Staatssekretärs und auch ihre Macht und ihr Ansehen und ihr Gehalt. Aber die praktische Arbeit war anders aufgeteilt.


DR. SAUTER: Wie denn?


FRITZSCHE: Ich habe es schon gesagt. Praktisch machte Funk Organisation und Finanzen des – man kann schon so sagen – riesigen Kulturkonzerns, der damals ausgebaut wurde, während die aktuelle Politik Dr. Goebbels mit dem Chef seines Ministeramtes Hahnke, dem Nachfolger Funks als Staatssekretär, machte.


DR. SAUTER: Dann, Herr Zeuge, hätte ich noch eine letzte Frage, die sich auf einen anderen Gegenstand bezieht. Ist Ihnen bekannt, wie sich der Minister Dr. Goebbels im November 1938 oder später, 1938, über diese Judenpogrome vom 9. November 1938 in Bezug auf den Angeklagten Funk geäußert hat?


FRITZSCHE: Erheblich später erklärte Dr. Goebbels einmal in meiner Anwesenheit, man müsse eben manchmal radikal sein, damals, als Funk immer erklärt hatte, daß man die Juden nicht aus der Wirtschaft eliminieren könne; aber er, Dr. Goebbels, hat Funk eben beweisen müssen, daß es doch ginge, indem er die Krawalle des 8. November veranstaltete.


DR. SAUTER: Hat er in dem Zusammenhang etwas davon gesagt, daß er diese Judenaktion, für die ja Dr. Goebbels verantwortlich war, ausgerechnet auch deshalb eingeleitet hatte, um auf diese Weise Dr. Funk zu treffen und um ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen? Hat er sich so Ihnen gegenüber geäußert?


FRITZSCHE: Das war der Sinn meiner eben gegebenen Antwort.

DR. SAUTER: Ich habe sonst keine weiteren Fragen, Herr Präsident. Danke schön.


DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Herr Fritzsche! Sie haben hier im Gerichtssaal gehört, welch schwerwiegende Vorwürfe dem Angeklagten Raeder wegen [210] des Artikels im »Völkischen Beobachter« gemacht worden sind, im Artikel »Churchill versenkte die Athenia«, der am 23. Oktober 1939 im »Völkischen Beobachter« erschien.

Herr Präsident! Es ist das Dokument 3260-PS, gleich GB-218. Ich habe zu dem Fall »Athenia« einige Fragen an Sie: Herr Fritzsche! Wann erhielt das Propagandaministerium die Nachricht von der Torpedierung der »Athenia« und auf welchem Weg?


FRITZSCHE: Das Datum vermag ich aus der Erinnerung nicht anzugeben, aber ich weiß, wir erhielten die Nachricht auf dem Funkweg, also durch das Abhören irgendeiner Auslandsmeldung.


DR. SIEMERS: Diese Funkmeldung war also gleich kurz nach der Versenkung der »Athenia«?


FRITZSCHE: Ohne Zweifel.


DR. SIEMERS: Trat das Propagandaministerium mit dem Oberkommando der Kriegsmarine daraufhin in Verbindung, um Näheres über die Versenkung in Erfahrung zu bringen?


FRITZSCHE: Jawohl, das tat ich persönlich, weil ich zufällig als Zensurberater bei mir hatte einen Verbindungsoffizier zum Oberkommando der Kriegsmarine.


DR. SIEMERS: Mit wem traten Sie beim Oberkommando der Kriegsmarine in Verbindung, und was erfuhren Sie dort?


FRITZSCHE: Ich fragte zunächst den erwähnten Offizier. Es war der Kapitänleutnant Hahn, dann telephonierte er, wahrscheinlich aber auch ich, mit dem Oberkommando der Kriegsmarine, und nach meiner Erinnerung sprach ich dort mit dem Korvettenkapitän Wolf.


DR. SIEMERS: Und was sagte Kapitän Wolf Ihnen?


FRITZSCHE: Er sagte mir schon zu diesem sehr frühen Zeitpunkt, daß kein deutsches U-Boot überhaupt in der fraglichen Seegegend wäre.


DR. SIEMERS: Ich erinnere daran, daß die »Athenia« am 4. September 1939 versenkt wurde. Was tat das Propagandaministerium, nachdem das Oberkommando der Kriegsmarine erklärt hatte, daß es kein deutsches U-Boot gewesen sei zu diesem Zeitpunkt?


FRITZSCHE: Es wurde eben diese Meldung ausgegeben.

DR. SIEMERS: Herr Fritzsche! Wie kam es dann ungefähr sechs bis sieben Wochen später zu dem erwähnten Artikel »Churchill versenkte die Athenia« vom 23. Oktober 1939? Soll ich Ihnen den Artikel zeigen?


FRITZSCHE: Danke. Ich erinnere mich dieses Vorfalles besonders gut, zumal ich natürlich auch mein Gedächtnis nachgeprüft [211] habe, nachdem er hier im Gerichtssaal zum erstenmal wieder Erwähnung fand.

Ich weiß, daß die Aufforderung, diesen Aufsatz zu schreiben, mit einer bis ins einzelne gehenden Gebrauchsanweisung von Hitler kam, und zwar von ihm persönlich. Der Auftrag kam auf zwei verschiedenen Wegen, einmal durch einen telephonischen Anruf des Reichspressechefs Dr. Dietrich, ein zweites Mal durch einen ebensolchen von Dr. Goebbels oder einem seiner Beauftragten; das vermag ich nicht mehr zu sagen. Der Auftrag sollte weitergegeben werden an den »Völkischen Beobachter«, und nun kommt der Umstand, warum ich mich an die Einzelheiten erinnere.

Als ich einem meiner Mitarbeiter sagte, er möge den »Völkischen Beobachter« verständigen, kam er zu mir zurück mit der Mitteilung, das sei nicht mehr nötig gewesen, der »Völkische Beobachter« habe aus dem Hauptquartier alles Nötige schon direkt und unmittelbar gehört.


DR. SIEMERS: Wann wurde dieser Auftrag von Hitler beziehungsweise von Dr. Goebbels erteilt?


FRITZSCHE: Am Vortage des Erscheinungstages nehme ich an.


DR. SIEMERS: Stand irgendeine Stelle im OKM mit diesem Artikel in Verbindung?


FRITZSCHE: Nach meiner Kenntnis nicht.


DR. SIEMERS: Haben Sie vor Veröffentlichung dieses Artikels mit Großadmiral Raeder über den Artikel gesprochen oder ihn von dem Auftrag Hitlers in Kenntnis gesetzt?


FRITZSCHE: Nein, ich glaube überhaupt, daß das OKM von dem auf die geschilderte Weise zustandegekommenen Aufsatz keinerlei Kenntnis gehabt hat.


DR. SIEMERS: Haben Sie zu irgendeiner Zeit mit dem OKM oder mit Großadmiral Raeder selbst noch einmal über den Fall »Athenia« gesprochen?


FRITZSCHE: Erst hier im Gefängnis.


DR. SIEMERS: Herr Fritzsche! Ist es richtig, daß im September 1939 in der »Times« behauptet worden ist, daß in der Tschechei durch deutsche Kreise 10000 Tschechen einschließlich des Oberbürgermeisters in Prag ermordet worden sind?


FRITZSCHE: Ob es in der »Times« gestanden hat, das weiß ich nicht. Sicher aber im »News Chronicle«.


DR. SIEMERS: Was hat das Propagandaministerium daraufhin getan?


[212] FRITZSCHE: Es hat deutsche und ausländische Journalisten nach Prag gebracht. Wenn ich mich nicht irre, ist einer der ausländischen Journalisten, der damals mit nach Prag flog, sogar hier im Gerichtssaal anwesend.


DR. SIEMERS: Und was stellten diese ausländischen Journalisten fest?


FRITZSCHE: Sie hatten ein Interview mit dem angeblich getöteten Oberbürgermeister von Prag, sie reisten im Land herum und berichteten entsprechend.


DR. SIEMERS: Stellte sich demnach die Meldung als völlig unrichtig heraus?


FRITZSCHE: Sie stellte sich damals als völlig unrichtig heraus. Ich muß aber hinzufügen, daß seit dem Montag dieser Woche und seit der Aussage des Herrn von Neurath mir klar geworden ist, daß im Schatten dieses großen und wirkungsvollen Dementis dann eben doch eine Verhaftungsaktion in der Tschechoslowakei durchgeführt worden ist, und wenn über diese...

Ich darf das noch hinzufügen, ich muß es klären: Und wenn, was ich nicht mehr weiß, über diese Ver haftungsaktion...


VORSITZENDER: Dr. Siemers, was hat das mit Raeder zu tun?


DR. SIEMERS: Ich glaube, Herr Präsident, daß es in gewisser Weise ein Parallelfall mit dem Artikel im »Völkischen Beobachter« ist, den die Anklage aus mir nicht bekannten Gründen so ganz besonders hervorgehoben hat.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß dieses Beweismittel unzulässig ist.


DR. SIEMERS: Herr Fritzsche! Wissen Sie, welche Einstellung Dr. Goebbels zu Großadmiral Raeder hatte?


FRITZSCHE: Aus den wenigen Äußerungen, die er über Großadmiral Raeder machte, war erkennbar, daß es eine überaus ablehnende Einstellung war, und zwar begründete er diese bei mehreren Gelegenheiten mit der ablehnenden Haltung Raeders gegenüber der Partei und ihren Wünschen, sowie mit der positiven Haltung Raeders in kirchlichen Fragen und dem Schutze der Marinegeistlichen vor irgendwelchen Zugriffen oder Wünschen der Partei.


DR. SIEMERS: Danke, ich habe keine weiteren Fragen.

DR. HORN: Herr Zeuge! Sie erwähnten vorhin, daß bei der Besprechung Ribbentrop-Molotow ein General Niedermayer anwesend gewesen sei. Woher haben Sie diese Information?


FRITZSCHE: In Ihrer Frage ist ein Irrtum enthalten. Ich habe nicht gesagt, daß General Niedermayer an dieser Unterredung [213] teilgenommen habe, sondern ich sagte – und will das nunmehr genauer zum Ausdruck bringen – daß mir in der Gefangenschaft dieser General Niedermayer begegnete, der gerade eben vorher in einer anderen Zelle wochen- oder monatelang zusammengewesen war mit dem Dolmetscher, der die Unterredung Molotow-Ribbentrop übertragen hatte.


DR. HORN: Haben Sie von General Niedermayer den Namen dieses Dolmetschers erfahren?


FRITZSCHE: Zweifellos, aber ich habe ihn mir nicht gemerkt.


DR. HORN: Und dann habe ich noch eine Frage.

Nach der letzten Unterredung zwischen dem Britischen Botschafter Sir Nevile Henderson und dem damaligen Außenminister von Ribbentrop am 30. August 1939, in der die Bedingungen für die Verhandlungsgrundlagen mit Polen bekanntgegeben wurden, wurden diese Bedingungen am nächsten Tag im »Daily Telegraph« veröffentlicht. Angeblich soll diese Auflage, die diese Bedingungen enthielt, zurückgezogen worden sein.

Was wissen Sie über diesen Artikel?


FRITZSCHE: Ich darf zunächst wieder einen Irrtum richtigstellen, der sich in Ihre Frage eingeschlichen hat. An dem fraglichen nächsten Morgen veröffentlichte der »Daily Telegraph« nicht etwa die Bedingungen oder die Note, sondern er brachte eine Mitteilung darüber, daß in der vorangegangenen Nacht die Britische Regierung beraten habe, und zwar über die von ihrem Botschafter in Berlin übermittelten deutschen Bedingungen an Polen. Es ging also aus dieser Notiz hervor – sie konnte jedenfalls nicht anders verstanden werden – daß diese Bedingungen in London vorgelegen hatten.


DR. HORN: Danke sehr.


DR. THOMA: Herr Fritzsche! Sie haben gestern ausgesagt, daß der »Völkische Beobachter« unmittelbare Verbindung mit dem Führer und dem Führerhauptquartier gehabt hat während des Krieges. Welche Persönlichkeiten haben Sie denn da im »Völkischen Beobachter« im Auge gehabt?


FRITZSCHE: Weniger Persönlichkeiten innerhalb des »Völkischen Beobachters« als vielmehr Persönlichkeiten innerhalb des Hauptquartiers. Also, Dr. Dietrich und seine Vertreter ließen es sich angelegen sein, den »Völkischen Beobachter« immer unmittelbar anzurufen.


DR. THOMA: Wissen Sie, daß Rosenberg seit dem Jahre 1937 nicht mehr Hauptschriftleiter im »Völkischen Beobachter« war?


FRITZSCHE: Ich bin der Überzeugung, daß er es auch vorher nur dem Namen nach war.


[214] DR. THOMA: Herr Zeuge! Können Sie dem Gericht mitteilen, wer bei den sogenannten Aktionen der Partei – ich denke an die Bücherverbrennungen, an den Boykott im April 1933, an die Judenaktionen im November 1938 – jeweils der treibende Keil war?


FRITZSCHE: Ich bin heute der festen Überzeugung, Dr. Goebbels.


DR. THOMA: Herr Zeuge! Ist Ihnen bekannt, daß Goebbels bei jeglicher Anwesenheit Hitlers in Berlin bei diesem zu Gast war?


FRITZSCHE: Das trifft in dieser Form nicht zu. Jahre vor dem Krieg hat Dr. Goebbels Hitler sicher sehr selten gesehen.


DR. THOMA: Ich habe noch eine andere Frage. Wissen Sie, daß Goebbels eine unmittelbare Telephonverbindung zu Hitler hatte?

FRITZSCHE: Das höre ich von Ihnen zum erstenmal.


VORSITZENDER: Dr. Thoma! Das hat doch mit Rosenberg nichts zu tun, ob Goebbels eine direkte Telephonverbindung mit Hitler hatte.


DR. THOMA: Herr Präsident! Ich wollte damit nur Fritzsche fragen, ob Rosenberg eine ähnliche Verbindung zu Hitler hatte wie Goebbels.


FRITZSCHE: Die Telephonanlage Rosenbergs kenne ich nicht, aber ich weiß und habe oft gehört, daß Rosenberg sehr selten bei Hitler war.


DR. THOMA: Das genügt mir, danke schön.


VORSITZENDER: Wünscht irgendein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?

Wir wollen uns vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung das Kreuzverhör vorzunehmen?

GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Ich möchte dieses Kreuzverhör mit der Aufklärung der Rolle beginnen, die die deutsche Propaganda bei der verbrecherischen Tätigkeit der Hitler-Regierung gespielt hat. Beantworten Sie mir folgendes: Geben Sie zu, daß die deutsche Propaganda die Rassentheorie verbreitete und in das Bewußtsein des deutschen Volkes die Ideen der Überlegenheit der deutschen Rasse einführte? Geben Sie das zu?


FRITZSCHE: In dieser Frage sind zwei Komplexe enthalten. Ich darf auf jeden von beiden antworten. Ich gebe zu, daß die deutsche Propaganda die Rassentheorie verbreitet hat, aber ich bestreite, [215] daß die deutsche Propaganda die Theorie der Herrenrasse verbreitet hat.


GENERAL RUDENKO: Das geben Sie also nicht zu?


FRITZSCHE: Nein.


GENERAL RUDENKO: Gut. Geben Sie zu, daß die deutsche Propaganda dem deutschen Volk den Rassenhaß gegen die Juden predigte, sowie die Notwendigkeit propagierte, diese zu vernichten?


FRITZSCHE: Es sind wieder zwei Fragen in dieser einen enthalten. Ich darf wieder getrennt antworten.


GENERAL RUDENKO: Entschuldigen Sie, das brauchen Sie nicht weiter zu unterstreichen. Antworten Sie auf beide Fragen, bitte.


FRITZSCHE: Ich gebe zu, wie schon in der Antwort auf die erste Frage, daß die deutsche Propaganda die Rassentheorie vertreten hat, aber ich bestreite auf das entschiedenste, daß die deutsche Propaganda die Vorbereitungen traf oder gar aufgehetzt hat zum Massenmord an den Juden.


GENERAL RUDENKO: Aber Sie wollen doch nicht abstreiten, daß die deutsche Propaganda dem deutschen Volk den Rassenhaß gegen die Juden predigte, das streiten Sie doch nicht ab?


FRITZSCHE: Sogar das kann ich nicht uneingeschränkt bejahen. Ich habe deshalb in meiner Antwort auf die zweite Frage eine andere Nuance gebraucht. Die deutsche Propaganda, worunter ich die amtliche deutsche Propaganda verstehe, hat nicht einmal den Rassenhaß gepredigt, sondern die Lehre von der Rassenunterscheidung – und das ist ein großer Unterschied. Aber ich gebe Ihnen zu, daß es eine Art von deutscher Propaganda gegeben hat, die darüber hinaus den reinen und primitiven Rassenhaß predigte.


GENERAL RUDENKO: Geben Sie zu, daß die deutsche Propagandatätigkeit sich ebenfalls gegen die Kirche richtete?


FRITZSCHE: Nein, auch das muß ich abstreiten.


GENERAL RUDENKO: Wollen Sie damit sagen, daß die deutsche Propaganda die Kirche nicht verfolgte?


FRITZSCHE: Genau das ist es, was ich sagen will. Die amtliche deutsche Propaganda hat keine Kirchenverfolgung betrieben; dagegen, um das aufzuklären, gab es auch hier wieder eine nichtstaatliche, eine illegale Propaganda gegen die Kirche, und der Staat und seine Organe haben darüber hinaus in der Zeit des Kirchenkampfes manche Äußerungen getan und manche Handlungen getan, die den Eindruck erwecken konnten, als ob sie an dem Kirchenkampf teilnähmen. Ich meine hiermit die Prozesse, die gegen Geistliche als Sensationsprozesse aufgezogen wurden.


[216] GENERAL RUDENKO: Sehr gut. Geben Sie zu, daß die von der Hitler-Regierung im Zusammenhang mit dem sogenannten Problem der Erweiterung des Lebensraumes Deutschlands gemachte Propaganda im deutschen Volk militaristische Bestrebungen entwickelte und züchtete?


FRITZSCHE: Auch das bestreite ich auf das entschiedenste.


GENERAL RUDENKO: Geben Sie zu, daß die deutsche Propaganda sich der Provokation, der Lüge und der Verleumdung bediente, um die aggressiven Pläne der Hitler-Regierung zu verschleiern?


FRITZSCHE: Herr Ankläger! Auf diese Frage zu antworten, ist mir überaus schwer nach allem, was ich gestern hier freiwillig ausgesagt habe. Wenn ich den Versuch mache zu einer ganz kurzen Zusammenfassung, dann ist es der: Ich behaupte, die deutsche Propaganda hat dem deutschen Volk bei jeder einzelnen der Aktionen, die durchgeführt wurden, angefangen von der Rheinlandbesetzung bis hin zum Angriff auf die Sowjetunion, eine Darstellung der Dinge gegeben, die im deutschen Volk den Eindruck an ein gutes Recht erwecken mußte, aber auf der anderen Seite habe ich – und ich betonte schon, wann das geschah – inzwischen erkannt, daß das Gebäude dieser Argumente auf einem Fundament ruhte, das an ein paar Stellen brüchig war.


GENERAL RUDENKO: Das heißt, auf einem Fundament der Lüge und Verleumdung?


FRITZSCHE: Nein, diese Formulierung ist mir nicht – ich bitte um Entschuldigung – sachlich genug.


GENERAL RUDENKO: Also Sie bestehen darauf zu bestreiten, daß die deutsche Propaganda zur Lüge und Verleumdung ihre Zuflucht nahm? Wollen Sie das abstreiten?


FRITZSCHE: Jawohl, das streite ich aus meiner gründlichen Kenntnis der deutschen Propaganda ab, und ich bitte um die Erlaubnis, hierzu eine ganz kurze Erklärung geben zu können.


GENERAL RUDENKO: Bitte, geben Sie eine Erklärung ab, aber nur auf der Grundlage meiner Frage.


FRITZSCHE: Selbstverständlich. Von heute aus betrachtet war es das Unglück des deutschen Volkes, daß seine Propaganda gerade in den kontrollierbaren Einzelheiten so sauber war, daß ganz übersehen wurde, daß in ihren drei Grundvoraussetzungen drei Fehler eingebaut waren. Deutlicher vermag ich es nicht zu machen.


GENERAL RUDENKO: Von welchen Fehlern sprechen Sie?


FRITZSCHE: Das erste, der Glaube an die Menschlichkeit Adolf Hitlers, zerstört durch den Befehl zum Fünf-Millionen-Mord, das zweite, der Glaube an die sittliche Reinheit des Systems, zerstört [217] durch die Folterbefehle, und das dritte, der Glaube an den unbedingten Friedenswillen Adolf Hitlers, erschüttert durch das, was in diesem Gerichtssaal zur Sprache kam.


GENERAL RUDENKO: Schön, wir werden noch auf diese Frage zurückkommen, wenn wir den Komplex Ihrer persönlichen Teilnahme an der Durchführung der deutschen Propaganda behandeln werden.

Jetzt möchte ich Sie folgendes fragen: Es war Ihnen natürlich bekannt, daß es im OKW eine besondere Propagandaabteilung gab, die dem Angeklagten Jodl unterstand?


FRITZSCHE: Das war mir bekannt. Aber es ist ein Irrtum, wenn Sie glauben, daß die Abteilung dem Angeklagten Jodl unterstand. Sie unterstand dem General von Wedel und als dessen Nachfolger einem Standartenführer Gunther d'Alquen.


GENERAL RUDENKO: Schön. Ich will diesen Umstand im Augenblick nicht weiter aufklären. Mich interessiert etwas anderes: Welche Beziehungen bestanden zwischen dem Propagandaministerium und dem OKW?


FRITZSCHE: Zwischen dem Propagandaministerium und dem OKW allgemein kann ich nicht sagen. Dagegen kann ich genaueste Angaben machen über die Beziehungen zwischen Propagandaministerium und dieser eben von Ihnen erwähnten Propagandaabteilung des OKW. Von dieser Abteilung war ein ständiger Vertreter im Ministerbüro von Dr. Goebbels, der auch täglich an den Ministerkonferenzen teilnahm, über die ich ja schon einmal gesprochen habe und der sich eigentlich immer in der engeren Umgebung von Dr. Goebbels aufhielt.


GENERAL RUDENKO: Von wem wurden die propagandistischen Aufgaben und Anordnungen für das OKW erteilt?


FRITZSCHE: Ich kann es mir nur so denken, daß die propagandistischen Aufgaben des OKW formuliert wurden im Einverständnis mit den Weisungen, den Wünschen von Dr. Goebbels und den Weisungen des Chefs OKW, also Keitel oder Jodl.


GENERAL RUDENKO: Wie wurde die oberste deutsche Propaganda in Zusammenhang mit den propagandistischen Maßnahmen gebracht, die vom OKW ausgingen?


FRITZSCHE: Ich verstehe den Sinn der Frage noch nicht.


GENERAL RUDENKO: Wie wurde die allgemeine deutsche Propaganda in Zusammenhang mit den propagandistischen Maßnahmen des OKW gebracht?


FRITZSCHE: Wahrscheinlich wurde sie einfach eingebaut in die propagandistischen Maßnahmen des OKW, denn Dr. Goebbels war [218] eine so starke Persönlichkeit, daß er sich eine Außerachtlassung seiner propagandistischen Richtlinien nicht hätte gefallenlassen.


GENERAL RUDENKO: Schön. Nun möchte ich wissen, welcher Art die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem Propagandaministerium und dem Auswärtigen Amt waren?


FRITZSCHE: Die Beziehungen waren in manchen Zeiten etwas gespannt, aber in den letzten Jahren des Krieges nahm ständig ein Vertreter des Außenministers auch an den sogenannten Ministerkonferenzen des Propagandaministeriums teil.


GENERAL RUDENKO: Welche Rolle spielte das Auswärtige Amt in der Durchführung von propagandistischen Maßnahmen, insbesondere bei der Vorbereitung und Ausführung von Angriffskriegen?


FRITZSCHE: Ich darf auf diese Frage folgendes antworten: In jedem Augenblick des Beginns einer Aktion oder eines Krieges erschien das Auswärtige Amt oder ein Vertreter des Auswärtigen Amtes mit einem fertigen Dokumentenbuch, einem Weißbuch. Die Entstehung dieser Weißbücher ist mir unbekannt. Jedenfalls entstanden sie nicht im Propagandaministerium, und ich erfuhr in einigen Fällen nachträglich einiges von ihrer Erarbeitung im Rahmen des Auswärtigen Amtes.


GENERAL RUDENKO: Ist es richtig, folgenden Schluß daraus zu ziehen: Das Auswärtige Amt nahm direkt und aktiv an der Ausarbeitung von propagandistischen Aufgaben und Weisungen teil. Ist das richtig?

FRITZSCHE: Das ist zweifellos richtig, schon deshalb, weil der Außenminister sich in der Propaganda das entscheidende Wort vorbehalten hatte bezüglich der Außenpolitik und bezüglich der Propaganda, die ins Ausland ging.


GENERAL RUDENKO: Denken Sie an den Angeklagten Ribbentrop, wenn Sie vom Außenminister sprechen?


FRITZSCHE: Selbstverständlich.


GENERAL RUDENKO: Sehr gut. Sie geben zu, daß der Angeklagte Ribbentrop persönlich propagandistische Aufträge erteilte, den Überfall auf die Sowjetunion als einen Präventivkrieg darzustellen?


FRITZSCHE: Die Frage ist nicht mit Ja und Nein zu beantworten, aber mit einer ganz kurzen Tatsachenschilderung. Der damalige Außenminister von Ribbentrop empfing am frühen Morgen des Tages, an dem der Rußlandfeldzug begann, die Auslandspresse und die deutsche Presse. Er legte ihnen ein Weißbuch vor und erläuterte in einer Rede die Lage der Dinge und schloß dem Sinne nach, nicht dem Wortlaut nach, mit der Betonung:

[219] »Aus all diesen Gründen war Deutschland gezwungen, diesen Angriff auf die Sowjetunion zu machen, um einem sowjetischen Angriff zuvorzukommen. Ich bitte Sie, dies auch in dieser Weise darzustellen.«

GENERAL RUDENKO: Ich wollte hiermit feststellen, daß die propagandistischen Aufträge eben vom Angeklagten Ribbentrop erteilt wurden. Gerade das wollte ich feststellen. Geben Sie das zu?

FRITZSCHE: Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe das zugegeben, was ich sagte. Ihre letzte Frage ist Ihre eigene Folgerung auf das, was ich sagte. Hier möchte ich nicht zustimmen.


GENERAL RUDENKO: Ja. Aber als Antwort auf meine vorhergehende Frage haben Sie doch die entscheidende Rolle, die der Angeklagte Ribbentrop bei der Durchführung der politischen Auslandspropaganda spielte, selbst hervorgehoben. Nicht wahr, das ist doch richtig?


FRITZSCHE: Vollkommen richtig.


GENERAL RUDENKO: Gut, das ist genug. Wollen wir darüber hinweggehen.

Sagen Sie mir, wie verhielt es sich mit den Beziehungen zwischen dem Propagandaministerium und dem sogenannten Ministerium für die besetzten Ostgebiete? Können Sie mir in diesem Zusammenhang erklären, in welcher Weise diese beiden Ministerien zusammenarbeiteten, welche Beziehungen zwischen ihnen bestanden?

FRITZSCHE: Es gab einen ständigen Verbindungsmann, der sowohl dem Ostministerium angehörte wie dem Propagandaministerium, und es gab darüber hinaus ein Institut, das beide Ministerien gemeinschaftlich gegründet hatten und gemeinschaftlich verwalteten. Das war das Institut mit Namen Vineta, das die gesamte Propaganda im Osten machte.


GENERAL RUDENKO: Ich verstehe. In welcher Reihenfolge und von wem wurden die propagandistischen Schlag- und Losungsworte, wie sie bei Ihnen genannt wurden und die für die besetzten Ostgebiete bestimmt waren, ausgearbeitet. Wer hat sie ausgearbeitet?


FRITZSCHE: Ich kann es nicht unter Eid aussagen, weil ich es nicht so genau weiß. Aber meine Vermutung ist, sie wurden ausgearbeitet nach den übrigen vorhandenen Grundlagen der allgemeinen Propaganda von dem genannten Dr. Tauber und seinen Mitarbeitern in diesem Vineta-Unternehmen.


GENERAL RUDENKO: Schön. Aber Sie wissen doch wohl und werden zugeben, daß in all diesen Maßnahmen das Propagandaministerium den Haupteinfluß behielt?


[220] FRITZSCHE: Unbedingt. Hier hatte zweifellos das Propagandaministerium die überlegene Initiative und den größeren Einfluß.


GENERAL RUDENKO: Das ist klar. Sagen Sie, welchen Einfluß hatte der Angeklagte Bormann auf die deutsche Propaganda? Welche Rolle kam ihm zu?


FRITZSCHE: Diese Rolle ist ganz außerordentlich groß. Ich weiß, daß man es nicht gerne sieht, wenn über einen vermutlichen Toten hier ausgesagt wird, und ich muß trotzdem im Interesse der historischen Wahrheit folgendes sagen:...


GENERAL RUDENKO: Das weiß man ja noch nicht, ob er tot ist. Wir wissen nur, daß er von der Anklagebank abwesend ist. Er ist jedoch Angeklagter im gegenwärtigen Prozeß. Deswegen frage ich Sie auch darüber. Bitte fahren Sie fort.


FRITZSCHE: Der Einfluß des Angeklagten Bormann war außerordentlich stark, nicht nur auf allen anderen Gebieten, sondern auch auf dem Gebiete der Propaganda. Er zeigte sich in folgendem:

Erstens in der gestern schon von mir erwähnten allgemeinen Art der Parteiagitation radikalster Richtung. Ein Fernschreiben Bormanns an Dr. Goebbels, etwa des Inhalts... »aus der Partei höre ich Klagen über das und das Gebiet...« war immer ein Anlaß, den gesamten Apparat von Dr. Goebbels in schnellste Bewegung zu setzen.

Und zweitens hatte Dr. Goebbels – ich kann das, was ich hier unter Eid aussage, ja nicht anders ausdrücken – eine ausgesprochene Angst vor Martin Bormann. Und ängstlich versuchte er jede seiner Handlungen, die vielleicht von radikalen Parteielementen mißdeutet werden konnte, zu rechtfertigen vor Bormann.


GENERAL RUDENKO: Vielleicht können Sie uns sagen, wer noch von den hier anwesenden und in meinem Kreuzverhör noch nicht genannten Angeklagten an der propagandistischen Tätigkeit aktiv teilgenommen hat und in welcher Weise. Vielleicht wird es Ihnen unangenehm sein, über Angeklagte zu sprechen, die hier anwesend sind.


FRITZSCHE: Angenehm ist mir das nicht. Aber ich gebe die Antwort.


GENERAL RUDENKO: Ich bitte darum.


FRITZSCHE: Einen im übrigen sehr segensreichen Einfluß auf die Propaganda hat eines der Ämter des Angeklagten Kaltenbrunner ausgeübt. Ob er persönlich das veranlaßte, das weiß ich nicht. Es handelt sich um folgende Tatsache: Bei dem gestern von mir erwähnten Kampf um eine realistische Nachrichtengebung stieß ich immer auf den Widerstand der Partei und des Auswärtigen Amtes, und ich fand die Unterstützung eines Amtes, dessen Namen ich nicht weiß, aus dem Reichssicherheitshauptamt. Dieses Amt gab nämlich [221] Berichte heraus über die gesamte Volksstimmung in Deutschland und verteilte diese Berichte an verschiedene oberste Reichsbehörden. Und in diesen Stimmungsberichten wurde dann immer das von realistischen Nachrichten gelobt, was von den geschilderten zwei anderen Seiten bekämpft worden war.


GENERAL RUDENKO: Nun, Sie haben die Organisation Kaltenbrunners genannt. Wen von den Angeklagten können Sie noch nennen?


FRITZSCHE: In der deutschen Propaganda hat keiner der anderen eine Rolle gespielt.


GENERAL RUDENKO: Und wie steht es mit dem Angeklagten Heß? Er ist zwar heute nicht anwesend, hat er irgendeinen Einfluß gehabt?


FRITZSCHE: Leider nein.


GENERAL RUDENKO: Warum leider?


FRITZSCHE: In der Zeit, als er noch im Amt war, hatte er eine sehr segensreiche Aufgabe. Er war sozusagen die große Beschwerdestelle für alle Mißstände in Partei und Staat. Ich wünschte, er hätte diese...


GENERAL RUDENKO: Nun gut. Wir wollen dieses Thema nicht weiter verfolgen. Jetzt wollen wir zur Klärung Ihrer persönlichen Rolle und Ihrer persönlichen Teilnahme an der deutschen Propagandaarbeit übergehen.

Ich möchte Sie bitten, mir genau zu sagen, welche Beziehungen Sie zu Goebbels hatten. Sie haben gestern ausführlich darüber gesprochen, ich möchte aber jetzt nur eine kurze Antwort von Ihnen hören.


FRITZSCHE: Die kürzeste Formel ist die: persönlich geringe Fühlung, dienstlich im Laufe der Zeit immer stärkere Fühlung.


GENERAL RUDENKO: Schön. Ist Ihnen der Name des Generalfeldmarschalls Ferdinand Schörner bekannt?


FRITZSCHE: Der Name ist mir bekannt.


GENERAL RUDENKO: Ich möchte jetzt Auszüge aus seinen Aussagen zitieren. Meine Herren Richter, ich lege dieses Dokument als USSR-472 vor.


[Zum Zeugen gewandt:]


Man wird Ihnen gleich dieses Dokument vorlegen. Zu Ihrer Bequemlichkeit sind die Absätze, die ich zitieren werde, mit Rotstift unterstrichen. Ich werde jetzt den Auszug Nummer 1 zitieren. Bitte folgen Sie dem Text. Ich lese:

»Es war allbekannt, und auch ich wußte davon, daß Fritzsche nicht nur der nächste Kampfgenosse von Goebbels, sondern auch sein Liebling war. Diese Liebe von Goebbels [222] hat er dadurch gewonnen, daß er in seiner politischen Tätigkeit viel Goebbels nachahmte und in seinen Vorträgen einzelne Ausdrücke Goebbels' anführte. Goebbels seinerseits hat sich in seinen schriftlichen und mündlichen Erläuterungen auf die Rückschlüsse und Voraussagen von Fritzsche berufen, indem er ihnen die Bedeutung der Urteile der Regierung gab.«

Sagen Sie, Angeklagter Fritzsche, entspricht das den Tatsachen?

FRITZSCHE: Darf ich fragen, welches Zitat Sie verlesen, 1, 2 oder 3?

GENERAL RUDENKO: Ich habe Ihnen gesagt, das erste.


FRITZSCHE: Das erste lautet nach meinem Text:

»Es war allbekannt und auch ich wußte davon, daß Fritzsche nicht nur der nächste Kampfgenosse von Goebbels, sondern auch sein Liebling war.«


GENERAL RUDENKO: Das ist ganz richtig. Das ist genau das, was ich zitiert habe. Ich frage Sie, entspricht dies der Wirklichkeit?

FRITZSCHE: Ich würde es nicht so ausdrücken. Ich halte es für eine Geschmacksfrage. Diese Angabe...


GENERAL RUDENKO: Ich verstehe Sie.


FRITZSCHE: Einen Augenblick. Ich muß noch etwas hinzufügen. Der Ausdruck »nächster Kampfgenosse von Goebbels«, der ist objektiv falsch und »Liebling«, wie gesagt, ich glaube es nicht.


GENERAL RUDENKO: Ja, sehr gut. Gehen wir weiter.

Sie hatten das absolute Vertrauen von Goebbels und waren im Propagandaministerium mit weitesten Vollmachten ausgestattet. Das geben Sie doch zu?


FRITZSCHE: Unbedingt.


GENERAL RUDENKO: Sehr gut. Demnach spiegelten sich in Ihren Reden die Forderungen der Hitler-Regierung an die deutsche Propaganda in vollem Umfang wider, da Sie ja das Vertrauen und die weitestgehenden Vollmachten besaßen?


FRITZSCHE: Jawohl, ganz genau in dem Umfange, den ich gestern geschildert habe.


GENERAL RUDENKO: Ich will jetzt Auszüge aus Ihren Aussagen vom 12. September 1945 zitieren. Es ist ein Dokument, das ich dem Gerichtshof als USSR-474 vorlege. Ich zitiere den Auszug Nummer 1.


FRITZSCHE: Darf ich um das Dokument bitten?


GENERAL RUDENKO: Selbstverständlich, man wird es Ihnen gleich geben. Bitte folgen Sie dem Auszug Nummer 1; er ist mit Rotstift unterstrichen. Ich lese:

»Im Laufe längerer Zeit war ich einer der Führer der deutschen Propaganda...«

[223] Ich lasse etwas aus und gehe weiter:

»Es ist zu erwähnen, daß Goebbels mich als einen überzeugten Nationalsozialisten und begabten Schriftsteller schätzte, infolgedessen galt ich im Apparat der deutschen Propaganda für seinen Vertrauensmann.«

Ist das richtig?

FRITZSCHE: Herr Ankläger! Das ist nicht richtig. Ich weiß, daß ich dieses Protokoll unterschrieben habe; aber ich habe in dem Augenblick, als ich dieses Protokoll in Moskau unterschrieb, erklärt:

»Sie können mit diesem Protokoll anfangen, was Sie wollen, wenn Sie es veröffentlichen, dann wird es kein Mensch in Deutschland glauben und kein Kluger in anderen Ländern; denn dieses Protokoll enthält nicht meine Sprache.«

Ich erkläre, nicht eine einzige dieser Fragen, die hier in dem Protokoll stehen, ist mir in dieser Form vorgelegt. Ich erkläre weiter, nicht eine einzige dieser Antworten dieses Protokolls habe ich in dieser Form gegeben, und ich habe es unterschrieben aus Gründen, die ich auf Verlangen näher darlege.

GENERAL RUDENKO: Sie bestätigen also diese Aussagen nicht?

FRITZSCHE: Nein, nur die Unterschrift ist echt.


GENERAL RUDENKO: Nur die Unterschrift. Sehr gut.

Also, wir wollen uns merken, daß in dem Auszug, den ich verlesen habe und den Sie bestreiten, gesagt wird, daß Goebbels Sie als überzeugten Nationalsozialisten und begabten Schriftsteller schätzte und daß Sie infolgedessen im Apparat der deutschen Propaganda der Vertrauensmann von Goebbels waren. Das ist ungefähr der Sinn dieses Zitats, nicht wahr? Geben Sie das nicht zu? Einen Moment bitte, ich möchte Sie daran erinnern...


FRITZSCHE: Doch, Herr General, das gebe ich zu, diese Tatsachen gebe ich zu.


GENERAL RUDENKO: Das geben Sie also zu?


FRITZSCHE: Jawohl.


GENERAL RUDENKO: Aber worüber sprechen wir denn sonst? Das heißt also, daß Sie diese Aussage bestätigen?


FRITZSCHE: Ich spreche von dem Protokoll, das mir vorgelegt wurde, in seiner Gesamtheit.


GENERAL RUDENKO: Ich befrage Sie jetzt nur über das Zitat, das ich eben verlesen habe. Sie werden es doch nicht abstreiten, Sie geben es doch zu?


[224] FRITZSCHE: Ich bestätige nicht das Zitat. Ich bestätige aber wiederum den Inhalt, den Sie eben zusammenfaßten, noch einmal.


GENERAL RUDENKO: Das ist sehr gut. Dieser Inhalt weicht vom Zitat ja gar nicht ab, sondern folgt aus ihm. Nun möchte ich Ihnen den Auszug ins Gedächtnis zurückrufen...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Was haben Sie gesagt, Angeklagter? Haben Sie gesagt, daß Sie dieses Dokument nicht unterschrieben haben oder daß Sie es doch taten?


FRITZSCHE: Herr Vorsitzender! Ich habe dieses Schriftstück unterschrieben, obwohl sein Inhalt nicht meine Aussagen wiedergab.


VORSITZENDER: Warum haben Sie es dann getan?


FRITZSCHE: Ich habe diese Unterschrift geleistet nach einer viele Monate dauernden überaus strengen Einzelhaft. Ich habe die Unterschrift geleistet, weil ich von einem Mitgefangenen, mit dem ich einmal zu sammen war, erfahren hatte, daß einmal im Monat vor einem Gerichtshof nur auf der Grundlage von solchen Protokollen ohne Vernehmung Urteile gesprochen wurden und weil ich glaubte, auf diese Weise wenigstens zu einem Urteil und damit zu einem Ende dieser Haft zu kommen.

Ich möchte, um nicht mißverstanden zu werden, ausdrücklich betonen, daß keinerlei Gewalt angewendet wurde und daß ich sehr menschlich behandelt worden bin, auch wenn die Haft überaus streng war.


GENERAL RUDENKO: Gut. Sie haben doch wohl niemals angenommen, Angeklagter Fritzsche, daß man Sie nach alledem, was Sie getan haben, in einem Erholungsheim unterbringen würde. Offensichtlich mußten Sie in einem Gefängnis enden, und Gefängnis ist eben Gefängnis. Aber das nur nebenbei.

Ich möchte Sie nun folgendes fragen: Sie haben hier ausgesagt, daß Sie im Jahre 1945 diese Aussage als Folge einer strengen Haft unterschrieben haben. Schön. Sind Sie, nachdem Sie in Nürnberg angekommen waren, am 3. November 1945 hier durch General Alexandrow verhört worden?


FRITZSCHE: Jawohl.


GENERAL RUDENKO: Das ist also richtig – sehr gut. Ich möchte Sie an einige Ihrer Antworten erinnern. Es wurde Ihnen folgende Frage gestellt:

»Haben Sie am 12. September 1945 Aussagen gemacht? Erinnern Sie sich daran?«

Sie antworteten:

»Ich bin sehr oft verhört worden, und ich weiß nicht mehr, um welche Aussagen es sich jetzt handelt.«

[225] General Alexandrow hat Ihnen Ihre Aussage vom 12. September vorgelegt, und Sie haben darauf geantwortet:

»Dieses Dokument ist mir bekannt.«

Dann sind Sie gefragt worden:

»Ich möchte Sie bitten, sich dieses Dokument anzusehen. Erinnern Sie sich an diese Aussagen?«

Und Sie antworteten darauf:

»Selbstverständlich.«

Und weiter:

»Bestätigen Sie dieses Dokument, mit dem Sie sich jetzt vertraut gemacht haben und das von Ihnen unterschrieben ist?«

Sie haben »selbstverständlich« geantwortet.

Erinnern Sie sich an diese Aussage hier in Nürnberg?

FRITZSCHE: In der von Ihnen zitierten Aussage fehlen alle die Stellen, an denen ich immer wieder erklärte, dieses Protokoll ist mir fertig zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt worden. Ich habe 20 bis 30 Änderungswünsche geäußert. Ein paar sind erfüllt worden, und es fehlen die Stellen, an denen ich hier in Nürnberg sagte: Gewisse Tendenzen in den Antworten dieses Protokolls sind richtig, keine einzige aber stellt wirklich meine Antwort dar.

GENERAL RUDENKO: Sehr gut. Ich möchte Sie nun an einen Auszug Ihrer Erklärung vom 7. Januar 1946 erinnern.

Meine Herren Richter! Es ist das Dokument 3469-PS. Es ist nicht in meinem Dokumentenbuch enthalten, weil es von der Anklagebehörde vorgelegt worden ist. Ich zitiere aus diesem Dokument. Es ist ein sehr kurzer Abschnitt.


[Zum Zeugen gewandt:]


Es ist Absatz 39 Ihrer Erklärung:

»Dr. Goebbels hatte einmal den Versuch gemacht, mich zur vorherigen Vorlage meiner Texte zu veranlassen. Ich hatte das abgelehnt mit dem Hinweis, daß ich nur unmittelbar vor der Sendung eine knappe freie Niederschrift zu diktieren pflegte, also halbfrei spräche. Er verzichtete daraufhin auf die Vorlage unter der Bedingung, daß ich auf Wunsch wenigstens bestimmte Themen behandeln würde.«

Ist das richtig?

FRITZSCHE: Jawohl.

GENERAL RUDENKO: Das deutet auf jenes Vertrauen hin, das Ihnen Goebbels erwies, nicht wahr?

FRITZSCHE: Er schenkte mir zweifellos großes Vertrauen, und ich habe das nicht bestritten.


[226] GENERAL RUDENKO: Gut. Fahren wir fort. Im gleichen Dokument, das ich soeben erwähnt habe, also in Ihrer Erklärung vom 7. Januar 1946, finden wir im Absatz 35 folgende Äußerung. Ich glaube, es ist von Ihnen persönlich als Antwort auf die Fragen Ihres Verteidigers niedergeschrieben worden. Sie schreiben dort:

»Auf dem Rundfunkgebiet selbst wurde ich in immer stärkerem Maße zur einzigen Autorität im Ministerium...«

Entspricht das den Tatsachen?

FRITZSCHE: Ich hatte den Schluß der Frage nicht gehört, aber diese Stelle ist richtig zitiert. Ich habe sie geschrieben.

GENERAL RUDENKO: Entspricht es der Wirklichkeit?


FRITZSCHE: Jawohl.


GENERAL RUDENKO: Sie geben also zu, daß Sie nach Goebbels im deutschen Propagandaapparat die wichtigste Stellung einnahmen?


FRITZSCHE: Nein, das liegt in meiner vorherigen Antwort ja nicht drin.


GENERAL RUDENKO: Das frage ich Sie jetzt.


FRITZSCHE: Ich gebe zu, daß ich eine überaus einflußreiche Stellung hatte im deutschen Rundfunk, dessen Leiter ich war. Wenn Sie jetzt neu fragen, wer die zweite Stelle im Gesamtapparat der Propaganda hatte nach Dr. Goebbels, dann antworte ich: Dr. Dietrich, der Staatssekretär, oder der Staatssekretär Dr. Naumann.


GENERAL RUDENKO: Entschuldigen Sie. Ich sagte nicht, die »zweite Stelle«, ich sagte, die »einflußreichste Stelle«. Wollen Sie sich dagegen wenden?


FRITZSCHE: Gegen den Gebrauch des Wortes »einflußreichste« habe ich nichts einzuwenden. Dies ändert aber nichts an meiner Antwort.


GENERAL RUDENKO: Also gut, »einflußreich« ist noch stärker ausgedrückt, sehr gut. Fahren wir fort. In der gleichen Erklärung vom 7. Januar 1946 erklären Sie im Absatz 15:

»Während der ganzen Periode von 1933 bis 1945 war es die Aufgabe der ›Abteilung deutsche Presse‹, die gesamte inländische Presse zu überwachen und sie mit Richtlinien zu versehen...

Mehr als 2300 deutsche Tageszeitungen waren dieser Kontrolle unterworfen.«

Sodann:

»In Durchführung des an mich von Dr. Goebbels ergangenen Auftrages erfaßte ich in meinem Arbeitsgebiet [227] das gesamte Nachrichtenwesen für die deutsche Presse und den deutschen Rundfunk...«

Ist das richtig?

FRITZSCHE: Ich weiß nicht, ob der letzte Satz gerade richtig zitiert ist, aber die ersten Sätze habe ich voll wiedererkannt. Es ist mein Affidavit 3469-PS, das entspricht wortwörtlich der Wahrheit.

GENERAL RUDENKO: Ganz richtig. Sagen Sie mir nun folgendes: Sie haben in der Abteilung »Deutsche Presse«, welcher Sie vorstanden, den »Schnelldienst« eingerichtet, der provokatorisches Material an die »Deutsche Presse« lieferte. Geben Sie das zu?


FRITZSCHE: Wenn Sie bereit sind: den Ausdruck »provokatorisch« zu streichen und ihn zu ersetzen durch das Wort »mit Propagandamaterial«, dann gebe ich das zu.


GENERAL RUDENKO: Gut. Der Gerichtshof wird es zu würdigen wissen. Wir wollen uns hierüber nicht streiten.

Nunmehr die letzte Frage zu dieser Gruppe: Wurden Ihre Rundfunkvorträge unter dem Titel »Hans Fritzsche spricht« als amtliche Regierungsmitteilungen aufgefaßt?


FRITZSCHE: Ich habe den Sachverhalt gestern schon erklärt: An sich waren es private Arbeiten, aber die öffentlich hörbaren privaten Arbeiten eines Ministerialdirektors im Propagandaministerium und Leiter des deutschen Rundfunks werden selbstverständlich dann als offiziös, nicht als offiziell, als offiziös gewertet, und auf diese Tatsache mußte ich Rücksicht nehmen und habe ich Rücksicht genommen.


GENERAL RUDENKO: Gut. Ich möchte nun nochmals auf die Aussage Ferdinand Schörners, die ich dem Gerichtshof bereits als Beweisstück USSR-472 vorgelegt habe, zurückkommen. Ich will den zweiten Auszug zitieren. Haben Sie ihn gefunden, Angeklagter Fritzsche?


FRITZSCHE: Jawohl.


GENERAL RUDENKO: Ich zitiere:...


VORSITZENDER: General Rudenko! Der Gerichtshof möchte gern das ganze Dokument sehen. Auf jeden Fall die Fragen, worauf diese Antworten gegeben wurden.


GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Das ganze Dokument ist Ihnen vorgelegt worden.


VORSITZENDER: Ich verstehe. Sie meinen, daß die Teile, die wir hier auf englisch haben, nur die Teile sind, die ins Englische übersetzt wurden?


[228] GENERAL RUDENKO: Ganz richtig. Ich möchte nun den Auszug Nummer 2 verlesen:

»Es ist mir bekannt, daß Fritzsche ein angesehener Mitarbeiter des Propagandaministeriums war und sich in den nationalsozialistischen Kreisen, sowohl im deutschen Volk einer großen Berühmtheit und Liebe erfreute. Seine große Beliebtheit erwarb er durch seine kriegspolitischen Wochenberichte über die internationale Lage, die er im Rundfunk hielt. Ich hatte oft seine Vorträge wie in Friedenszeiten so auch während des Krieges zu hören bekommen. Seine Vorträge, die mit einer fanatischen Treue zu dem Führer und Nationalsozialismus durchdrungen waren, habe ich als Richtlinien der Partei und Regierungsführung aufgenommen.«

Stimmen Sie dieser Bewertung zu?

FRITZSCHE: Ich habe keine Einwendungen gegen dieses Zitat zu erheben und erkläre darüber hinaus...

VORSITZENDER: General Rudenko! Ist dieses Dokument beschworen?


GENERAL RUDENKO: Dieses Dokument ist entsprechend dem in der Sowjetunion üblichen Prozeßverfahren rechtskräftig gemacht worden.


VORSITZENDER: Wo wurde das Protokoll aufgenommen?

GENERAL RUDENKO: In Moskau.


VORSITZENDER: War der Mann, der die Erklärung abgegeben hat, frei oder im Gefängnis?


GENERAL RUDENKO: Zu jener Zeit war er Kriegsgefangener.


VORSITZENDER: Hat der Mann, der diese Aussagen gemacht hat, dieselben unterzeichnet?


GENERAL RUDENKO: Natürlich, es wurde von ihm unterschrieben.


VORSITZENDER: Fahren Sie bitte fort.


GENERAL RUDENKO: Danke schön. Somit haben Sie...


FRITZSCHE: Ich darf hinzufügen, daß es mir sogar bekannt ist, daß an entlegenen Frontabschnitten – zum Beispiel bei deutschen Kolonien im Auslande – meine Rundfunkansprachen als politischer Kompaß genommen wurden.


GENERAL RUDENKO: Ich verstehe. Ich möchte Ihnen nun ein weiteres Dokument vorlegen und Sie damit bekannt machen.

Herr Vorsitzender! Ich lege nun als Beweisstück USSR-471 die Aussage von Hans Voß vor.


[229] [Zum Zeugen gewandt:]


Angeklagter Fritzsche! Kennen Sie den Namen Vizeadmiral Hans Voß?

FRITZSCHE: Der Name ist mir bekannt, die Persönlichkeit nicht.

DR. FRITZ: Verzeihung, Herr Präsident, es kommt vielleicht dem Protokoll des Generalfeldmarschalls Schörner keine allzu große Bedeutung zu, aber immerhin, ich kann nicht feststellen in dem Protokoll, an welchem Ort es aufgenommen ist, wo?


VORSITZENDER: General Rudenko sagt, daß es in Moskau aufgenommen worden ist.


DR. FRITZ: Es geht aber nicht daraus hervor. Und dann fällt mir auf, daß in der Photokopie, die ich hier bekommen habe, die Unterschrift des Feldmarschalls... Da steht zunächst »gezeichnet« und später ist dann rechts am Rande allerdings eine handschriftliche Unterschrift beigefügt. Ich weiß nicht, ob es sich um ein im Rahmen des Gerichts zulässiges Dokument handelt oder nicht.


VORSITZENDER: Sie können sich das Original zum Vergleich ansehen.


GENERAL RUDENKO: Ich spreche vom Dokument USSR-471, das eine schriftliche Erklärung von Hans Voß darstellt.

Schauen Sie sich den Auszug Nummer 1 an, der unterstrichen ist. Ich verlese:

»In seiner völligen Ergebenheit zu Hitler und der Nationalsozialistischen Partei hat Fritzsche demselben unschätzbare Dienste im Sinne der Ausbreitung des Nationalsozialismus in Deutschland erwiesen.«

Entspricht das den Tatsachen?

FRITZSCHE: Ich erhebe wenigstens keinen Widerspruch.

GENERAL RUDENKO: Das heißt also, daß Sie damit einverstanden sind?


FRITZSCHE: Es ist so, wie ich es ausdrückte, ich erhebe keinen Widerspruch. Einverstanden möchte ich mich damit nicht erklären.


GENERAL RUDENKO: Sie streiten es also nicht ab?


FRITZSCHE: Ich erhebe keinen Widerspruch, ich sage es zum dritten Male.


GENERAL RUDENKO: Gut. Ich möchte Sie nun über Ihre Einstellung zur Rassentheorie befragen. Gestern haben Sie darüber Ihrem Verteidiger ausführliche Erklärungen abgegeben. Ich möchte Ihnen deswegen nur zwei oder drei Fragen vorlegen und bitte Sie, dieselben kurz zu beantworten. Waren Sie mit dieser Rassentheorie einverstanden?


[230] FRITZSCHE: Jawohl. Genau in dem gestern umschriebenen und begrenzten Sinne.


GENERAL RUDENKO: Gut. In einer Rundfunkrede vom 6. Februar 1940 haben Sie über Polen gesprochen. Es ist das Dokument USSR-496.

Meine Herren Richter! Ich will dieses Dokument nicht verlesen, weil ich für die darin enthaltenen Gedanken keine Propaganda machen will. Aber ich bitte, dieses Dokument dem Angeklagten vorlegen zu dürfen, damit er sich mit ihm vertraut macht und Sie, Angeklagter, bitte ich, den Auszug Nummer 1 dieses Dokuments zu lesen. Die Stelle ist mit Rotstift umrandet. Es bezieht sich auf Ihre Einschätzung des polnischen Volkes.

Ich möchte Sie nur über Ihre Rede befragen.


FRITZSCHE: Nach einem Auszug von etwa 20 Zeilen vermag ich einen Rundfunkvortrag von mir nicht wiederzuerkennen, wenn ich, wie ich gestern sagte, etwa tausendmal gesprochen habe, dann muß man mir schon den Vortrag als solchen geben, damit ich den Gedankengang wiedererkenne.


GENERAL RUDENKO: Haben Sie sich denn mit dem Dokument nicht vertraut gemacht? Es ist doch der volle Text Ihrer Rundfunkrede über den Deutschlandsender vom 6. Februar 1940.


FRITZSCHE: Das ist ein Irrtum. Es handelt sich hier um 20 Zeilen, die beginnen mit den Worten:

»Es erfordert große Anstrengungen, die über diese Greueltaten veröffentlichten Dokumente...«


GENERAL RUDENKO: Genug, es ist richtig. Genug des Zitierens. Es ist das Dokument, das ich meine. Ich frage Sie nur, ob es Ihre Rede ist.

FRITZSCHE: Es ist durchaus möglich, aber wenn Sie mir nur 20 Zeilen von dieser Rede geben, dann kann ich Ihnen nur folgendes bestätigen: Jawohl, ich habe damals die amtlichen deutschen Dokumente über die an Deutschen in Polen begangenen Greueltaten in der Hand gehabt und habe mit großer Empörung über das im Rundfunk gesprochen, was ich dort in den Dokumenten sah.


VORSITZENDER: Wollen wir uns jetzt vertagen?


GENERAL RUDENKO: Gut.


DR. THOMA: Herr Präsident! Ich bitte, Herrn Rosenberg heute nachmittag zu beurlauben, weil ich mit ihm das Plädoyer besprechen will.


VORSITZENDER: Jawohl.

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 17, S. 199-232.
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