Nachmittagssitzung.

[516] [Der Zeuge Wagner im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich heute nachmittag um 4.30 Uhr vertagen, um eine geschlossene Sitzung abzuhalten.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Admiral Wagner! Im Laufe der Zeit kam zwischen Adolf Hitler und dem Großadmiral Dönitz ein enges Verhältnis zustande. Beruhte dieses Verhältnis darauf, daß der Großadmiral sich gegenüber den Wünschen des Führers besonders nachgiebig zeigte?


WAGNER: Nein, durchaus nicht. Die Tätigkeit des Großadmirals Dönitz als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine begann mit einem scharfen Gegensatz zu Hitler. Hitler hatte die Absicht, die großen Schiffe der Kriegsmarine, also die verbliebenen Schlachtschiffe und Kreuzer abzuwracken. Großadmiral Raeder hatte diese Absicht bereits abgelehnt.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Dieser Vorfall ist bereits bekannt, Herr Admiral, Sie brauchen darauf nicht weiter eingehen.


WAGNER: Gut. Außerdem lag die Achtung, die Hitler für Dönitz empfand, darin, daß jede Äußerung des Großadmirals absolut zuverlässig und absolut aufrichtig gegeben wurde. Der Großadmiral legte besonders Wert darauf, daß gerade ungünstige Entwicklungen, Mißerfolge und Fehler im Hauptquartier ohne Umschweife objektiv und unverblümt zur Sprache kamen. Ich möchte als Beispiel erwähnen, daß der Großadmiral mir den Befehl erteilt hatte...


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß wir Beispiele dafür brauchen, die allgemeine Erklärung ist bestimmt vollkommen genügend.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Zeigte sich der Großadmiral in irgendeiner Form bereit, den politischen Wünschen des Führers oder der Partei zu entsprechen?


WAGNER: Nein. Solche Wünsche der Partei sind nach meiner Ansicht an die Kriegsmarine nur in drei Fällen herangetreten. Das erste war die Kirchenfrage, die hauptsächlich schon zur Zeit des Großadmirals Raeder spielte. Es dürfte allgemein bekannt sein, daß die Kriegsmarine ihre Kirchenorganisation beibehalten und durch eine Vergrößerung entsprechend erweitert hat. Der zweite Wunsch der Partei war, nach russischem Vorbild politische Kommissare innerhalb der Wehrmacht zu schaffen. In diesem Falle ging Großadmiral Dönitz zu Hitler und verhinderte diese Absicht Als nach dem 20. Juli 1944 Bormann trotzdem erreichte, daß die sogenannten NSFO's, die Nationalsozialistischen Führungsoffiziere innerhalb der Wehrmacht eingeführt wurden, geschah dies nicht im [516] Sinne der Partei als politische Kommissare, sondern lediglich als Offiziere, die dem Kommandeur unterstellt waren und die ihm in keiner Weise in die Führung der Truppe hineinreden durften Der dritte Fall war die Absicht der Partei, der Wehrmacht überhaupt die politischen Straffälle abzunehmen.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Dieser Fall ist auch schon bekannt, Herr Admiral.

Sie führten über die Besuche im Führerhauptquartier Protokolle. Ist das richtig?


WAGNER: Ja.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Eine Reihe von diesen Protokollen sind hier nun als Beweismittel vorgelegt worden. Bitte erläutern Sie dem Tribunal, welchen Zweck diese Protokollführung verfolgte über die Besuche der Oberbefehlshaber im Führerhauptquartier?


WAGNER: Mit diesen Protokollen sollten der Chef der Seekriegsleitung, der Chef der Marinerüstung und der Chef des Allgemeinen Marineamtes, also die drei führenden Leute des Oberkommandos der Marine über alle Vorfälle unterrichtet werden, die sich in Gegenwart des Großadmirals abgespielt haben, soweit sie irgendwie für die Kriegsmarine von Interesse waren. Das lag im Rahmen meiner Aufgaben.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sagten eben: »Über Vorfälle unterrichten, die sich in Gegenwart des Großadmirals« ereignet hätten. Bedeutet das, daß er altes auch persönlich mitgehört haben muß, was Sie in diesem Protokoll niedergelegt haben?


WAGNER: Nicht unbedingt. Es kam öfter vor, daß der Großadmiral sich bei Lagebesprechungen, wenn sie in großen Räumen stattfanden, bei Themen, die ihn weniger interessierten, in einen anderen Teil des Raumes zurückzog und eigene Sachen erledigte oder mit anderen Teilnehmern Marinefragen besprach. Bei dieser Gelegenheit konnte es durchaus vorkommen, daß ich Dinge gehört und protokolliert habe, die der Großadmiral persönlich nicht gehört hatte. Er erfuhr sie dann allerdings spätestens durch mein Protokoll.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich lasse Ihnen das von Ihnen geführte Protokoll über Besprechungen am 20. Februar 1945 schicken. Es hat die Nummer GB-209 und ist im Dokumentenbuch der Anklage abgedruckt auf Seite 68. Es betrifft Erwägungen über den Austritt aus der Genfer Konvention. Bitte, schildern Sie einmal diesen Hergang dieser ganzen Angelegenheit, so wie Sie ihn in Erinnerung haben.


WAGNER: Etwa zwei bis drei Tage vor dem Datum dieses Protokolls also etwa am 17. oder 18. Februar 1945 wurde ich von [517] Admiral Voß aus dem Hauptquartier angerufen, das sich damals in Berlin befand, und mir wurde mitgeteilt, daß Hitler im Zusammenhang mit der angelsächsischen Propaganda zum Überlaufen unserer Truppen im Westen die Absicht geäußert habe, aus der Genfer Konvention auszutreten.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Was sollte das bezwecken?


WAGNER: Nach diesem ersten Eindruck, den ich damals hatte, augenscheinlich den Truppen und dem deutschen Volke zum Ausdruck zu bringen, daß die Gefangenschaft keine Vorteile mehr brächte. Nun habe ich daraufhin sofort die Seekriegsleitung angerufen, da ich diese Absicht für völlig falsch hielt und um ein militärisches und völkerrechtliches Gutachten gebeten. Am 19., bei Teilnahme an der Lage, kam Hitler wieder auf diese Frage zu sprechen, und zwar diesmal nicht im Zusammenhang mit den Angelegenheiten der Westfront, sondern mit den Luftangriffen der Westgegner auf offene deutsche Städte – die Angriffe auf Dresden und Weimar waren gerade gewesen. Er beauftragte den Großadmiral, die Folgen eines Austritts aus der Genfer Konvention vom Standpunkt der Seekriegführung aus zu prüfen; eine sofortige Antwort wurde nicht erwartet und auch nicht gegeben Der Generaloberst Jodl war ebenfalls aufs schärfste gegen diese Absicht eingestellt und suchte die Unterstützung des Großadmirals.

Daraufhin wurde eine Besprechung vereinbart; das ist die Besprechung, von der dieses Protokoll unter Ziffer 2 spricht.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das ist die Besprechung vom 20. Februar, Herr Admiral?


WAGNER: Ja.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wer nahm an dieser Besprechung teil?


WAGNER: Großadmiral Dönitz, Generaloberst Jodl, Botschafter Hewel und ich.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Was war der Gegenstand?


WAGNER: Der Gegenstand war die Absicht des Führers, aus der Genfer Konvention auszutreten.

Das Ergebnis war die einstimmige Auffassung aller Beteiligten, daß dieser Schritt ein Fehler sei, neben militärischen Gründen vor allem deswegen, weil ein Austritt aus der Genfer Konvention nach unserer Überzeugung sowohl bei der Wehrmacht wie beim deutschen Volk das Vertrauen zur Führung untergraben mußte, weil die Genfer Konvention als der Inbegriff des Völkerrechts allgemein galt.


[518] FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Nun findet sich in Ihrem Vermerk der Satz: »Man müßte für notwendig gehaltene Maßnahmen ohne Ankündigung treffen und nach außen hin auf alle Fälle das Gesicht wahren.« Was soll dieser Satz bedeuten?


WAGNER: Dieser Satz soll bedeuten, daß auf keinen Fall irgendwelche wilden Sachen gemacht werden sollten. Wenn die oberste Führung es für notwendig hielt, Gegenmaßnahmen gegen die Luftangriffe des Gegners auf offene deutsche Städte oder gegen die Überlaufpropaganda im Westen zu ergreifen, so sollte man sich im Rahmen des dafür notwendig und berechtigt erscheinenden Maßes halten. Man sollte nicht durch globale Kündigung sämtlicher Genfer Abkommen vor der Welt und vor dem eigenen Volke sich selbst ins Unrecht setzen und Maßnahmen ankündigen, die weit über den Rahmen des notwendig und berechtigt Erscheinenden hinausgehen.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wurde dabei von irgendwelchen konkreten Maßnahmen gesprochen oder an solche konkreten Maßnahmen gedacht?

WAGNER: Nein. Ich kann mich genau entsinnen, daß über irgendwelche Einzelmaßnahmen während der verschiedenen Besprechungen überhaupt nicht gesprochen worden ist. Es handelte sich lediglich um die globale Frage: Aus der Genfer Konvention auszutreten oder nicht?


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist Ihnen irgend etwas bekanntgeworden über eine angebliche Absicht Adolf Hitlers, als Vergeltung für den Luftangriff auf Dresden, 10000 Kriegsgefangene zu erschießen?


WAGNER: Nein, davon habe ich nie etwas gehört.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Bedeutet der Ausdruck »das Gesicht wahren« nicht irgendeine Heimlichkeit, das Verschweigen der wahren Tatsachen?


WAGNER: Meines Erachtens ist es gewiß, daß eine Heimlichkeit in keinem Fall in Frage kommen konnte, denn weder eine Gegenmaßnahme gegen die Luftangriffe noch eine Abschreckungsmaßnahme gegen Überlaufen konnte wirksam werden, wenn man sie verheimlichte.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wie lange hat dieses ganze Gespräch gedauert, das Sie hier protokolliert haben?

WAGNER: Ich bitte um Auskunft, um welches Gespräch es sich handeln soll.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das Gespräch vom 20. Februar, in dem sich die Sätze befinden, die ich Ihnen eben vorgelesen habe.


[519] WAGNER: Das wird 10 Minuten oder eine Viertelstunde gewesen sein.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ihr Protokoll bedeutet also eine starke Zusammenfassung des Inhalts?


WAGNER: Jawohl. Es sind nur Stichworte aufgenommen worden.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hat Admiral Dönitz seine ablehnende Auffassung nun dem Führer auch vorgetragen?


WAGNER: Nach meiner Erinnerung ist es dazu nicht gekommen. Man kam zu der Überzeugung, daß Hitler schon bei seiner Fragestellung an den Großadmiral aus den Mienen des Großadmirals und der Haltung der übrigen Beteiligten die glatte Ablehnung seiner Ansicht entnommen hatte. Wir haben dann unsere Stellungnahme noch schriftlich an das OKW gegeben und haben weiter von der ganzen Sache nichts mehr gehört.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich gebe Ihnen jetzt ein anderes Protokoll, das unter GB-210 eingereicht ist. Es ist auf der nächsten Seite des Urkundenbuches der Anklage und betrifft Besprechungen im Führerhauptquartier vom 29. Juni bis 1. Juli 1944.

Am 1. Juli finden Sie dort eine Eintragung, die lautet: »Der Führer äußert im Zusammenhang mit dem Generalstreik in Kopenhagen, daß Terror nur mit Gegenterror bekämpft werden könne.« Ist diese Äußerung gefallen in einem Gespräch zwischen Hitler und Admiral Dönitz oder in welchem Zusammenhang?


WAGNER: Das ist eine Äußerung Hitlers während der Lagebesprechung, die weder an Großadmiral Dönitz noch überhaupt an die Kriegsmarine gerichtet war.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wenn sie nicht an die Kriegsmarine gerichtet war, weshalb haben Sie sie dann ins Protokoll aufgenommen?


WAGNER: Ich habe alle Äußerungen im Protokoll aufgenommen, die irgendwie von Interesse für die Kriegsmarine sein konnten; denn das Oberkommando der Kriegsmarine war an dem Generalstreik in Kopenhagen naturgemäß interessiert, weil in Kopenhagen unsere Schiffe repariert wurden und außerdem Kopenhagen ein Seestützpunkt war.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: An wen ist dieses Protokoll hier von Ihnen weitergegeben worden, wer ist der Empfänger?


WAGNER: Nach dem Verteiler, der auf Seite 4 angegeben ist, hat nur der Oberbefehlshaber und die erste Abteilung der Seekriegsleitung das Papier bekommen.


[520] FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hatte die Seekriegsleitung irgend etwas mit der Behandlung der Werftarbeiter in Dänemark zu tun?


WAGNER: Nein, gar nichts. Die Werften unterstanden seit 1943 ausschließlich dem Rüstungsministerium.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Die Anklage sieht in dieser Äußerung und der Weitergabe der Äußerung an eine Abteilung des Oberkommandos eine Aufforderung zur rücksichtslosen Behandlung von Landeseinwohnern. Entspricht das irgendwie dem Sinne eines solchen Protokolls?


WAGNER: Davon kann gar keine Rede sein. Das Protokoll diente lediglich den Stellen der Oberkommandos zur Unterrichtung.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich übergebe Ihnen nun ein anderes Dokument, das die Nummer US-544 trägt. Es ist abgedruckt im Urkundenbuch der Anklage auf den Seiten 64 und 65. Es ist ein Vermerk des völkerrechtlichen Referenten in der Seekriegsleitung über die Behandlung von Saboteuren. Kennen Sie diesen Vermerk?


WAGNER: Ja, ich habe ihn auf der ersten Seite abgezeichnet.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Am Schluß des Vermerks steht der Satz:

»Für den Marinebereich bleibt zu prüfen, ob der Vorgang nicht dazu zu benutzen ist, um nach Vortrag bei dem Ob. d. M. sicherzustellen, daß über die Behandlung der Angehörigen von Kommandotrupps bei allen daran interessierten Stellen volle Klarheit besteht.«

Ist es zu diesem Vortrag beim Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, das war also damals seit 10 Tagen der Großadmiral Dönitz, gekommen?

WAGNER: Nein, zu diesem Vortrag ist es nicht gekommen, wie aus den verschiedenen Vermerken am Kopf des Schreibens hervorgeht.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Bitte, erläutern Sie das einmal.


WAGNER: Der Völkerrechts-Referent der Seekriegsleitung I i machte diesen Vorschlag über den Operations-Referenten I a an mich, als Chef der Operations- Abteilung. Der I a hat in einem handschriftlichen Vermerk neben seine Abzeichnung geschrieben: »Die unterstellten Befehlshaber haben Kenntnis«. Er hat also gegen den Vorschlag des Völkerrechts-Referenten Stellung genommen, er hielt eine Erläuterung der Befehle innerhalb der Kriegsmarine für überflüssig. Ich habe diese Angelegenheiten geprüft, bin zur Entscheidung gekommen, daß dem Operations-Referenten recht zu [521] geben sei; habe mir den Völkerrechts-Referenten Dr. Eckardt kommen lassen, ihn mündlich von meiner Entscheidung in Kenntnis gesetzt und ihm dieses Papier zurückgegeben. Damit entfiel auch der hier im Zusammenhang mit den Erläuterungen zu diesem Befehl gemachte Vorschlag eines Vertrags beim Ob.d.M.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Erinnern Sie sich, ob Großadmiral Dönitz bei irgendeiner späteren Gelegenheit Vortrag erhalten hat über den Kommandobefehl?


WAGNER: Nein, ich kann mich daran nicht erinnern.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ihnen ist von mir vorgelegt worden das Protokoll GB-208 über den Fall des Motor-Torpedobootes in Bergen. Es ist der Fall, der im britischen Urkundenbuch auf Seite 66/67 abgedruckt ist. Haben Sie von diesem Vorfall vor diesem Verfahren jemals etwas gehört?

WAGNER: Nein, erstmalig bei den Vernehmungen im Zusammenhang mit diesem Verfahren.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Aus den Akten des britischen Kriegsgerichts, die von der Anklage hier im Kreuzverhör vorgelegt worden sind, habe ich entnommen, daß vor der Erschießung der Besatzung dieses Motor-Torpedobootes zwei Telephongespräche stattgefunden haben, und zwar zwischen dem Führer des Sicherheitsdienstes in Bergen und dem SD Oslo und zwischen dem SD Oslo und Berlin. Können Sie sich entsinnen, ob ein solches Gespräch des SD Oslo mit Ihnen oder einem Ihrer Sachbearbeiter im Oberkommando der Kriegsmarine geführt worden ist?


WAGNER: Mit mir ist ein solches Gespräch keinesfalls geführt worden; auch nach meiner Kenntnis nicht mit einem anderen Offizier meiner Abteilung oder des Oberkommandos.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Halten Sie es überhaupt für möglich, daß der SD Oslo sich mit dem Oberkommando der Kriegsmarine in Verbindung setzte?


WAGNER: Nein, ich halte es für völlig ausgeschlossen. Wenn der SD Oslo sich mit jemand als Zentralstelle in Berlin in Verbindung setzt, so nur mit seiner eigenen vorgesetzten Behörde, dem Reichssicherheitshauptamt.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich halte Ihnen jetzt ein anderes Dokument vor, und zwar GB-212, das abgedruckt ist auf Seite 75 des Urkundenbuches der Anklage. Dort ist ein Beispiel erwähnt von einem Lagerführer eines deutschen Kriegsgefangenenlagers. Es heißt dort, daß er Kommunisten plötzlich und unauffällig von der Bewachung umlegen ließ, die sich in der Lagerbesetzung bemerkbar machten. Ist Ihnen dieser Vorfall als solcher bekannt?


[522] WAGNER: Ja, ein solcher Vorfall ist mir bekannt, und zwar erhielten wir die Meldung, ich glaube durch einen ausgetauschten Schwerverletzten, daß der Kommandant, der deutsche Kommandant eines Gefangenenlagers in Australien, in dem sich die Besatzung des Hilfskreuzers »Cormoran« befand, einen Mann seiner Besatzung hatte heimlich umbringen lassen, weil er sich als Spitzel und Vaterlandsverräter betätigt hatte.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: In diesem Befehl steht nun aber nichts von Spitzel, sondern es steht da etwas von Kommunist. Wie ist das zu erklären?


VORSITZENDER: Es steht nicht Kommunist, sondern Kommunisten, im Plural.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Kommunisten, Plural.


WAGNER: Nach meiner Auffassung ist es nur dadurch zu erklären, daß man den wahren Sachverhalt verschleiern wollte, um dem feindlichen Nachrichtendienst keine Möglichkeit zu geben, dem Fall nachzugehen und damit dem genannten Oberfeldwebel Schwierigkeiten zu machen. So hat man eine andere Darstellung gewählt.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Die sowjetische Anklage war der Auffassung, daß daraus ein Plan zu entnehmen war über die unauffällige Beseitigung von Kommunisten überhaupt. Können Sie aus der Entstehung dieses Befehls etwas darüber sagen, ob ein solcher Plan bestand und überhaupt diskutabel war?


WAGNER: Zunächst war dieser Befehl gerichtet an die Personalstelle, die die Auswahl des Offiziers-Nachwuchses und Unteroffiziers-Nachwuchses innerhalb der Kriegsmarine zu erledigen hatte. Das waren etwa sechs bis sieben Personalstellen. Darüber hinaus kann ich nur sagen, daß selbstverständlich...


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Einen Augenblick, Herr Admiral, bitte.

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Ist es notwendig, auf alle diese Einzelheiten einzugehen? Die Frage hier ist: Gab es bezüglich der Beseitigung von solchen Leuten einen Befehl oder nicht – aber nicht alle Einzelheiten, wie dieser Befehl zustande kam.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich werde die Frage dann so stellen:


[Zum Zeugen gewandt:]


Gab es in der Marine irgendeinen Befehl oder irgendeinen Wunsch, Kommunisten planmäßig und unauffällig umzubringen?

WAGNER: Nein, einen solchen Befehl oder Plan gab es nicht. Es war selbstverständlich eine größere Zahl von Kommunisten auch innerhalb der Kriegsmarine. Das war jedem Vorgesetzten bekannt, [523] und diese Kommunisten haben in ihrer erdrückenden Mehrheit genau so ihre Pflicht als Deutsche getan wie jeder andere Deutsche im Krieg.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Die Anklage wirft Admiral Dönitz vor, daß er noch im Frühjahr 1945 ein zähes Durchhalten gepredigt habe, und zwar wertet sie das als Beweis dafür, daß er ein fanatischer Nazi war. Wurde das von Ihnen, und wurde das überhaupt in der Masse der Kriegsmarine so gesehen?

WAGNER: Nein. Die Einstellung des Großadmirals wurde nicht als politischer Fanatismus angesehen, sondern als selbstverständliche soldatische Pflichterfüllung bis zum letzten, und ich bin der Überzeugung, daß dies der Auffassung der überwiegenden Mehrheit der gesamten Kriegsmarine, sowohl der Offiziere wie der Unteroffiziere wie der Mannschaften entsprochen hat.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Wünscht einer der anderen Verteidiger Fragen zu stellen?


DR. SIEMERS: Admiral Wagner! Sie haben bereits Ihre Stellungen kurz skizziert. Ich möchte in Ergänzung nur gerne noch ganz klar festhalten, wer in der Seekriegsleitung an führender Stelle unter Großadmiral Raeder arbeitete, und zwar in den entscheidenden Jahren vor dem Krieg und während des Krieges. Wer war Chef des Stabes in den letzten Jahren, in den zwei letzten Jahren vor dem Krieg und zu Beginn des Krieges?


WAGNER: Chef des Stabes der Seekriegsleitung war von 1938 bis 1941 der Admiral Schniewind, von 1941 bis zum Rücktritt – über den Rücktritt des Großadmirals Raeder hinaus, Admiral Fricke.


DR. SIEMERS: Das waren also die beiden Offiziere, die unter Großadmiral Raeder in der Seekriegsleitung die höchsten Posten hatten?


WAGNER: Das waren die unmittelbaren Berater des Großadmirals.


DR. SIEMERS: Und die Seekriegsleitung hatte mehrere Abteilungen?


WAGNER: Ja, sie bestand aus mehreren Abteilungen, die mit laufenden Nummern bezeichnet waren.


DR. SIEMERS: Welche war davon die wichtigste Abteilung?


WAGNER: Die wichtigste Abteilung der Seekriegsleitung war die Operationsabteilung, die die laufende Nummer 1 hatte.


DR. SIEMERS: Und die übrigen Abteilungen, 2, 3, womit beschäftigen sich diese?


[524] WAGNER: Das war die Abteilung für Nachrichtenverbindungen und die Abteilung für Nachrichtenbeschaffung.


DR. SIEMERS: Wer leitete als Chef die Operationsabteilung?


WAGNER: Von 1937 bis 1941 Admiral Fricke. Von 1941 bis über den Rücktritt des Großadmirals Raeder hinaus war ich der Abteilungschef.


DR. SIEMERS: Sie haben also viele Jahre lang unter Großadmiral Raeder gearbeitet. Und ich bitte Sie, zunächst kurz etwas über die grundsätzliche Einstellung Raeders aus der Zeit Ihrer Tätigkeit in der Seekriegsleitung zu sagen?


WAGNER: Unter Führung des Großadmirals Raeder war die Kriegsmarine eingestellt auf eine friedliche Entwicklung im Einvernehmen mit England. Fragen der Schiffstypen, der Ausbildung und der taktischen Schulung standen im Vordergrund. Von Angriffskriegen hat Großadmiral Raeder bei keiner Besprechung, der ich beigewohnt habe, etwas geäußert. Auch hat er niemals in dieser Richtung irgendwelche Vorarbeiten von uns verlangt.


DR. SIEMERS: Erinnern Sie sich, daß Raeder im Jahre 1940 und im Jahre 1941 sich ausdrücklich gegen einen Krieg mit Rußland ausgesprochen hat?


WAGNER: Ja. Er war ganz scharf gegen einen Krieg mit Rußland eingestellt, und zwar aus doppelten Gründen. Einmal hielt er den Bruch des Freundschaftsvertrages mit Rußland für unzulässig und falsch. Zum zweiten war er aus strategischen Gründen der Überzeugung, daß wir unsere gesamten Kräfte gegen England zusammenfassen müßten.

Als sich im Herbst 1940 herausstellte, daß die Invasion nach England nicht durchführbar war, hat sich der Großadmiral für eine Mittelmeer-Strategie eingesetzt, um hier gegen die englische Einkreisungspolitik eine Bresche offenzuhalten.


DR. SIEMERS: Die Marine hatte verhältnismäßig viel mit Rußland während der Zeit der Freundschaft zwischen Deutschland und Rußland zu tun durch Lieferungen. Ist in der Beziehung immer alles gut und glatt abgewickelt, soweit Sie orientiert sind?


WAGNER: Ja. Mir ist bekannt, daß eine große Zahl von Lieferungen aus dem Bereich der Kriegsmarine an Rußland gegeben wurden; zum Beispiel nicht fertiggestellte Schiffe, schwere Geschütze und anderes Kriegsmaterial.


DR. SIEMERS: Und die Marine hat sich auch immer bemüht, auf diesem vertragsfreundlichen Standpunkt stehenzubleiben?


WAGNER: Jawohl. Das war die Auffassung des Großadmirals.


DR. SIEMERS: Herr Admiral! Die Anklagebehörde hat Raeder vorgeworfen, daß er sich niemals um völkerrechtliche Bestimmungen [525] gekümmert hätte und grundsätzlich völkerrechtliche Verträge gebrochen hätte, wenn es irgendwie praktisch gewesen sei. Können Sie dazu generell etwas sagen über die Einstellung von Raeder?


WAGNER: Ja. Das ist völlig falsch. Großadmiral Raeder legte großen Wert darauf, daß jede einzelne Seekriegsmaßnahme auch nach der völkerrechtlichen Seite hin geprüft wurde. Zu diesem Zweck hatten wir ja extra einen Völkerrechts-Referenten in der Seekriegsleitung, mit dem wir Operations-Referenten täglich zusammengearbeitet haben.


DR. SIEMERS: Die Anklagebehörde hat des weiteren Raeder vorgeworfen, daß er zu einem Krieg gegen USA geraten habe und versucht habe, Japan zu einem Kriege gegen USA zu veranlassen. Darf ich Sie bitten, dazu Stellung zu nehmen?


WAGNER: Ich halte diesen Vorwurf für völlig unberechtigt. Mir ist bekannt, daß der Großadmiral besonderen Wert darauf legte, daß alle Seekriegsmaßnahmen gerade im kritischen Jahr 1941 genauestens daraufhin geprüft wurden, welche Auswirkungen sie auf die USA haben konnten. Er hat sogar auf eine ganze Reihe von militärisch berechtigten Maßnahmen verzichtet, um Zwischenfälle mit den USA zu vermeiden. So hat er im Sommer 1941 aus einem weiten Seeraum vor den Küsten der USA die U-Boote zurückgezogen, obgleich dieser Seeraum ohne weiteres als freies Meer anzusprechen war. Er hat eine bereits angelaufene Minen-Unternehmung gegen den britischen Hafen Halifax in Kanada verboten, um auf alle Fälle zu vermeiden, daß möglicherweise ein USA-Schiff auf diese Minen laufen könnte. Er hat schließlich den Angriff auch auf englische Zerstörer im Nordatlantik verboten, weil auf Grund der Abgabe von 50 amerikanischen Zerstörern an England eine Verwechslungsgefahr zwischen englischen und amerikanischen Zerstörern gegeben war. Und dies alles zu einem Zeitpunkt, als die Vereinigten Staaten mitten im Frieden Island besetzt hatten; als sie britische Kriegsschiffe in Werften der Vereinigten Staaten reparierten; als die amerikanischen Seestreitkräfte Befehl hatten, alle deutschen Einheiten der britischen Flotte zu melden; und als schließlich der Präsident Roosevelt im Juli 1941 seinen Streitkräften Befehl gegeben hatte, deutsche U-Boote, die sie sichteten, anzugreifen.


DR. SIEMERS: Hat Großadmiral Raeder jemals in der Seekriegsleitung die Äußerung getan, daß ein Krieg mit Amerika unbedenklich sei, und daß etwa die Flotte oder die amerikanischen U-Boote nichts taugen?


WAGNER: Nein. Derartige Äußerungen hätte Großadmiral Raeder als Fachmann nie getan.

[526] DR. SIEMERS: Hat Raeder nicht eher im Gegenteil ausdrücklich davon gesprochen, wie stark die amerikanische Flotte sei, und daß man nicht gleichzeitig gegen England und Amerika, gegen zwei so große Seemächte kämpfen soll?


WAGNER: Ja. Es war ihm und uns vollkommen klar, daß der Eintritt Amerikas in den Krieg eine außerordentlich große Verstärkung der feindlichen Kraft bedeutete.


DR. SIEMERS: Herr Admiral! Nun hat Großadmiral Raeder aber einmal in seinem Kriegstagebuch vorgeschlagen, daß Japan Singapur angreifen müßte. Ist im Zusammenhang damit irgendwie in der Seekriegsleitung auch von Pearl Harbor gesprochen worden?


WAGNER: Nein, keineswegs. Der Überfall der Japaner auf Pearl Harbor war sowohl für den Großadmiral wie für die Seekriegsleitung und meines Erachtens auch für alle anderen deutschen Stellen eine völlige Überraschung.


DR. SIEMERS: Bestanden denn keine ständigen marine-militärischen Besprechungen und Unterhaltungen zwischen Japan und Deutschland?


WAGNER: Nein. Vor dem Kriegseintritt Japans haben Besprechungen militärischer Art nach meiner Überzeugung nicht stattgefunden.

DR. SIEMERS: Ich möchte Ihnen jetzt die Urkunde C-41 vorlegen.

Herr Präsident! Es handelt sich um die Nummer GB-96. Sie wird später von der Britischen Delegation in dem Dokumentenbuch 10a für Raeder vorgelegt. Ich weiß nicht, ob sie jetzt schon dem Gericht vorliegt. In dem Anklagebuch gegen Raeder ist sie noch nicht enthalten. In dem neu zusammengestellten Dokumentenbuch 10a ist sie auf der Seite 18.


VORSITZENDER: Wenn Sie wünschen, können Sie sie jetzt vorlegen. Sie können sie jetzt als Beweismittel vorlegen, wenn Sie wollen. Sie können sie also dem Zeugen vorlegen.


DR. SIEMERS: Die Anklagebehörde hat es vorgelegt, ja.


VORSITZENDER: Gut.


DR. SIEMERS: Es handelt sich um eine Schrift, von Admiral Fricke unterzeichnet. Sie stammt vom 3. Juni 1940 und hat die Überschrift »Raumerweiterungs-und Stützpunktfragen«. In dieser Schrift sind sehr weitgehende Ausführungen über Zukunftspläne gemacht.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich möchte Sie fragen, ob Raeder zu dieser Denkschrift einen Auftrag erteilt hat oder wie es überhaupt zu dieser Schrift gekommen ist?

[527] WAGNER: Großadmiral Raeder hat zu dieser Denkschrift keinen Auftrag erteilt. Es handelt sich hier um persönliche, theoretische Gedanken des Admirals Fricke für eventuelle Entwicklungsmöglichkeiten der Zukunft. Sie sind recht phantastisch und hatten keine praktische Bedeutung.

DR. SIEMERS: Ist in der Seekriegsleitung über diese Studie oder diese Niederschrift überhaupt in größerem Kreise gesprochen und beraten worden?


WAGNER: Nein, meines Erachtens haben nur die Operitionsreferenten von dieser Niederschrift Kenntnis bekommen, die schon in ihrer ganzen Form beweist, daß dies keine ausgearbeitete Studie im Auftrag des Großadmirals ist, sondern eine ad hoc-Niederschrift von Augenblicksgedanken des Admirals Fricke.


DR. SIEMERS: Wurde diese Studie oder diese Schrift überhaupt nach außen hin irgendwo weitergegeben?


WAGNER: Ich glaube mich zu erinnern, daß diese Schrift an keine Stelle nach außen weitergegeben wurde, sondern lediglich innerhalb der Operationsab teilung blieb. Auch der Großadmiral hat meines Erachtens keine Kenntnis bekommen, zumal auch aus diesem Schreiben hervorgeht, daß er es nicht abgezeichnet hat.


DR. SIEMERS: Haben Sie eine Photokopie dieses Schreibens?


WAGNER: Ja.


DR. SIEMERS: Sind denn sonst andere Zeichen darauf, aus denen sich ergeben könne, daß es Großadmiral Raeder vorgelegt ist? Wie wurde so etwas überhaupt im allgemeinen von der Seekriegsleitung gehandhabt?


WAGNER: Jedes Schreiben, das dem Großadmiral vorgelegt werden sollte, hatte auf der ersten Seite auf dem linken Rande den Vermerk: v. A. v. – »vor Abgang vorzulegen« – oder n.E.v. – »nach Eingang vorzulegen« – oder b.L.v. »beim Lagevortrag vorzutragen«. An dieser Stelle zeichnete der Großadmiral mit Grünstift ab oder die Offiziere seines persönlichen Stabes machten einen Vermerk, aus dem zu erkennen war, daß es ihm vorgelegt wurde.


DR. SIEMERS: Derartige Vermerke sind auf dieser Schrift nicht?


WAGNER: Nein – nein.

DR. SIEMERS: Ich möchte Ihnen jetzt das Dokument C-38 vorlegen, ein Dokument der Anklagebehörde, das die Nummer GB-223 trägt. Es findet sich im Dokumentenbuch Raeder der Anklage auf Seite 11.

Der Krieg zwischen Deutschland und Rußland begann am 22. Juni 1941. Nach der vorletzten Seite der Urkunde, die Sie vor sich haben, hat das OKW bereits am 15. Juni, also eine Woche vor [528] Kriegsausbruch, den Waffeneinsatz gegen feindliche U-Boote südlich der Linie Memel-Südspitze Öland freigegeben, und zwar auf Antrag der Seekriegsleitung.

Die Anklage erhebt daraus den Vorwurf, und zwar wiederum in Richtung eines Angriffskrieges. Leider hat die Anklagebehörde nur diese letzte Seite des Dokuments vorgelegt. Sie hat nicht die erste und zweite Seite des Dokuments gebracht. Hätte sie diese gebracht, wäre der Vorwurf wahrscheinlich fallen gelassen worden.

Ich darf Ihnen, Herr Zeuge, eben vorhalten, was dort steht. Ich zitiere:

»Am 12. 6. 20.00 Uhr meldete eines der vorsorglich beiderseits Bornholm aufgestellten VP.-Boote um 20.00 Uhr in der Nähe von Adlergrund (20 sm südwestlich Bornholm) ein unbekanntes U-Boot in aufgetauchtem Zustande mit Westkurs, welches ES-Anruf nach längerer Zeit mit einem Buchstabensignal ohne besondere Bedeutung beantwortete.«

Das Zitat ist zunächst zu Ende.

Ich darf Sie bitten, eben zu erklären, was es bedeutet, wenn dieses U-Boot den ES-Anruf nicht beantwortete?

WAGNER: Es gibt im Kriege unter Kriegsschiffen der eigenen Flotte die Einrichtung der Erkennungssignale, das heißt das Erkennungssignal hat einen Anruf und eine Antwort, aus der sich ohne weiteres die Identität des Fahrzeuges für die Zugehörigkeit zur eigenen Marine ergibt. Wenn ein ES-Anruf falsch beantwortet wird, dann wird damit bewiesen, daß es sich um ein fremdes Fahrzeug handeln muß.

DR. SIEMERS: Wurden sonst noch irgendwelche Feststellungen, so wie Sie sich erinnern, in dieser Richtung gemacht, die zeigten, daß sich Boote in der Ostsee zeigten, die als feindlich erkannt wurden?


WAGNER: Ja, ich erinnere mich daran, daß noch in einzelnen Fällen unbekannte U-Boote vor den deutschen Ostseehäfen beobachtet wurden. Die nachträgliche Feststellung im Vergleich mit den Standorten der eigenen U-Boote ergab, daß es sich um fremde U-Boote handeln mußte.


DR. SIEMERS: Waren diese Tatsachen also die Veranlassung für die Seekriegsleitung, darum zu bitten, den Waffeneinsatz schon jetzt freizugeben?

WAGNER: Ja, ausschließlich.


DR. SIEMERS: Ein ähnlicher Fall wird vorgeworfen bezüglich Griechenland. Es ist hier am Gericht festgestellt, und zwar durch das Kriegstagebuch, daß am 30. Dezember 1939 die Seekriegsleitung einen Antrag stellte, daß griechische Schiffe in der amerikanischen[529] Sperrzone um England als feindlich behandelt werden können. Da Griechenland seinerzeit neutral war, wird der Vorwurf des Neutralitätsbruchs gegenüber Raeder erhoben.

Ich darf Sie bitten zu sagen, welches der Grund für die Skl und für deren Chef Raeder war, diesen Antrag beim OKW zu stellen.


WAGNER: Wir hatten die Nachricht erhalten, daß Griechenland den größten Teil seiner Handelsflotte England zur Verfügung gestellt hatte und daß diese griechischen Schiffe unter englischer Steuerung fuhren.


DR. SIEMERS: Und es ist doch richtig, daß nicht etwa die griechischen Schiffe nun grundsätzlich als feindlich behandelt wurden, sondern nur in der amerikanischen Sperrzone um England?


WAGNER: Jawohl.


DR. SIEMERS: Der nächste Fall, der auf einer ähnlichen Linie liegt, ist der Fall im Juni 1942, wo die Seekriegsleitung beim Oberkommando beantragte, brasilianische Schiffe angreifen zu dürfen, obwohl damals Brasilien noch neutral war. Der Krieg mit Brasilien begann etwa zwei Monate später, am 22. August. Welche Gründe lagen hierfür vor?


WAGNER: Wir bekamen Meldungen von Unterseebooten aus den Seegewässern um Südamerika, daß sie von Fahrzeugen angegriffen worden seien, die nur von brasilianischen Stützpunkten aus gestartet sein konnten. Diese Fragen wurden zunächst durch Rückfragen eingehend geklärt und bestätigten sich. Darüber hinaus glaube ich mich persönlich zu erinnern, daß damals bereits allgemein bekannt war, daß Brasilien den mit uns im Krieg befindlichen USA See- und Luftstützpunkte zur Benützung zur Verfügung gestellt hatte.


DR. SIEMERS: Es beruhte also auf einem Neutralitätsbruch seitens Brasiliens?


WAGNER: Ja.


DR. SIEMERS: Ich möchte Ihnen dann die Urkunden C-176 und D-658 vorlegen. Die Urkunde C-176 hat die Nummer GB-228. Diesen beiden Urkunden liegt der Kommandobefehl zugrunde, also der Befehl, Sabotagetrupps zu vernichten.

Die Anklagebehörde hat Raeder einen Fall vorgeworfen, der sich im Dezember 1942 in der Gironde-Mündung in Bordeaux ereignete. In dieser Urkunde C-176, und zwar auf der letzten Seite, steht, was ich wörtlich zitieren möchte, folgendes:

»Erschießung der zwei gefangenen Engländer durch ein Kommando vom Hfkdt. Bordeaux in Stärke von 1/16 Mann im Beisein eines Offiziers des SD auf Befehl des Führers durchgeführt.«

[530] Aus den vorhergehenden Eintragungen, die ich nicht einzeln erst zitieren möchte, da sie das gleiche Bild geben, ergibt sich, daß sich der SD direkt eingeschaltet hatte und direkt mit dem Führerhauptquartier in Verbindung getreten war.

Ich frage Sie nun, ob die Seekriegsleitung vor der Erschießung dieser beiden Gefangenen überhaupt etwas von der Angelegenheit gehört hat beziehungsweise von dem hier erwähnten direkten Befehl Hitlers.

WAGNER: Mit einem direkten Befehl Hitlers zur Erschießung von Leuten in Bordeaux ist die Seekriegsleitung nicht befaßt worden; sie kannte den taktischen Ablauf dieser Sabotageunternehmung in Bordeaux, und darüber hinaus hat sie zu diesem Zeitpunkt nichts gewußt.

DR. SIEMERS: Bei der Seekriegsleitung beziehungsweise bei Großadmiral Raeder ist demnach dieser Fall nicht vorher besprochen und unterbreitet worden?


WAGNER: Ja, ich bin sicher, daß das nicht der Fall gewesen ist.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich darf das Tribunal bitten, darauf zu achten, daß dieses Kriegstagebuch nicht etwa das Kriegstagebuch ist, von dem sonst immer die Rede ist, nämlich das Kriegstagebuch der Seekriegsleitung, sondern das Kriegstagebuch des Marinebefehlshabers West, das also der Seekriegsleitung nicht bekannt war. Darauf beruht es, daß die Seekriegsleitung den Fall nicht kannte.


VORSITZENDER: Sie beziehen sich jetzt auf Dokument C-176?


DR. SIEMERS: Ja, und ebenso auf D-658. Dabei handelt es sich um das Kriegstagebuch der Seekriegsleitung.


VORSITZENDER: Worauf bezieht sich das?


DR. SIEMERS: Das ist D-658, woraus sich folgendes ergibt:

Nach dem Wehrmachtsbericht sind die beiden Soldaten inzwischen erschossen, die Maßnahme würde dem besonderen Befehl des Führers entsprechen. Das hatte die Anklage vorgelegt, und es zeigt, worauf ich später noch zurückkommen werde, daß die Seekriegsleitung nichts von der ganzen Sache wußte, denn hier findet sich schon eine Eintragung vom 9. Dezember, während in Wirklichkeit sich alles erst am 11, abspielte.


VORSITZENDER: Es wäre jetzt vielleicht ein geeigneter Zeitpunkt für eine Pause.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. SIEMERS: Herr Admiral! Ich lege Ihnen jetzt die Urkunde C-124 vor.

[531] Herr Präsident! C-124 ist gleich USSR-130. Es handelt sich hierbei um ein Schreiben der Seekriegsleitung vom 29. September 1941 an die Gruppe Nord. Betreff: Zukunft der Stadt Petersburg. In dieser Mitteilung an die Gruppe Nord steht drin, daß der Führer sich entschlossen habe, die Stadt Petersburg vom Erdboden verschwinden zu lassen. Mit dieser Mitteilung hat die Marine an sich gar nichts zu tun, trotzdem wurde sie aber an die Gruppe Nord geschickt.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich komme darauf gleich noch zurück, Herr Zeuge. Ich möchte Sie vorher nur fragen – Sie haben die Photokopie des Originals dort – und bitte Sie mir zu sagen, ob Raeder dieses Schreiben überhaupt vor seinem Abgang gesehen haben kann?

WAGNER: Entsprechend meinen vorherigen Ausführungen hat der Großadmiral Raeder dieses Schreiben nicht gesehen, da es keinerlei entsprechenden Vermerk und keinerlei entsprechende Abzeichnung enthält.

DR. SIEMERS: Und nun die wichtigere Frage hierzu: Angesichts der ungeheuerlichen Mitteilung, die von Hitler in der Ziffer 2 erwähnt ist, warum hat die Seekriegsleitung diese Mitteilung überhaupt weitergegeben, obwohl die Marine an sich nichts damit zu tun hatte?


WAGNER: Die Seekriegsleitung hatte beantragt, daß bei einer Beschießung von Leningrad, bei der Besetzung oder beim Angriff auf diese Stadt die Hafenanlagen, die Werftanlagen und alle besonderen Marineanlagen geschont werden möchten, damit man sie später als Stützpunkte benutzen konnte. Dieser Antrag wurde durch die Äußerung Hitlers, wie in diesem Schreiben niedergelegt wird, abgelehnt, wie aus Ziffer 3 des Schreibens hervorgeht.

Wir mußten diese Tatsache dem Admiral Carls mitteilen, damit er sich darauf einstellt, daß er auch im Falle einer späteren Besetzung von Leningrad mit diesem Hafen als Stützpunkt nicht rechnen konnte.


DR. SIEMERS: Ich darf wegen der Bedeutung dieser Aussage dem Gericht eben zitieren den entscheiden den Punkt, auf den der Zeuge hingewiesen hat, das ist III vom USSR-113. Ich zitiere:

»Die ursprünglichen Forderungen der Marine auf Schonung der Werft, Hafen und sonstigen marinewichtigen Anlagen sind dem Oberkommando der Wehrmacht bekannt. Ihre Erfüllung jedoch angesichts der Grundlinie des Vorgehens gegen Petersburg nicht möglich.«

Das war also der entscheidende Punkt, den die Seekriegsleitung Generaladmiral Carls als Oberbefehlshaber Gruppe Nord mitteilte.

[532] WAGNER: Das war der ausschließliche Grund für dieses Schreiben!

DR. SIEMERS: Wissen Sie, ob Generaladmiral Carls irgendwas mit diesem Schriftstück unternommen hat? Ist das irgendwie weitergegeben von ihm, oder ist Ihnen darüber nichts bekannt?


WAGNER: Soweit ich informiert bin, ist dieses Schreiben nicht weitergegeben worden, und es lag auch keineswegs eine Absicht vor, daß es weitergegeben werden sollte, denn es war ausschließlich für die Gruppe Nord bestimmt. Auf Grund dieses Schreibens hat Generaladmiral Carls die Vorbereitungen, die für eine spätere Inbetriebnahme der Leningrader Marine-Angelegenheiten bereits getroffen waren und für diesen Zweck bereitgestellt waren, aufgehoben und das Personal für andere Zwecke zur Verfügung gestellt. Das ist die einzige Maßnahme, die von seiten der Kriegsmarine auf Grund dieses Schreibens getroffen wurde und getroffen werden konnte.


DR. SIEMERS: Ich darf dem Hohen Tribunal mitteilen, daß ich dementsprechend in meinem Dokumentenbuch Raeder unter Nummer 111 ein Affidavit überreichen werde, das diese Tatsache bestätigt, an die auch der Zeuge erinnert, nämlich, daß von der Gruppe Nord aus nichts weitergegeben ist, so daß die führenden Seeoffiziere niemals etwas von diesem Schriftstück erfahren haben. Es handelt sich dabei um ein Affidavit von Admiral Bütow, der seinerzeit Befehlshaber in Finnland war. Ich komme darauf zurück, wenn ich meinen Fall Großadmiral Raeder vortrage.

Ich habe dann keine weiteren Fragen an den Zeugen.


VORSITZENDER: Wünscht irgend ein anderer Verteidiger Fragen an den Zeugen zu stellen?


[Keine Antwort.]


Die Anklagevertretung kann mit dem Kreuzverhör beginnen.

OBERST H. J. PHILLIMORE, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof! Bezüglich der Fragen, die von Dr. Siemers gestellt wurden, werde ich bis zum Kreuzverhör des Angeklagten Raeder warten, um eine Wiederholung zu vermeiden.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wie ich der Aussage des Angeklagten Dönitz und Ihrer Aussage entnehme, wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß sich die deutsche Marine bezüglich der Behandlung von neutralen Handelsschiffen nichts vorzuwerfen hat. Stimmt das?

WAGNER: Ja.

[533] OBERST PHILLIMORE: Und der Angeklagte hat auch gesagt, daß die deutsche Marine gewissenhaft die Befehle über die Haltung gegenüber der neutralen Schiffahrt befolgt hat und daß die Neutralen vorher gewarnt worden sind, was sie zu tun und zu lassen hatten. Ist das richtig?


WAGNER: Ja.


OBERST PHILLIMORE: Weiterhin sagte Admiral Dönitz, eine Täuschung neutraler Regierungen wäre gar nicht in Frage gekommen. Diese wären regelrecht verwarnt worden, und es wurde ihnen gesagt, was ihre Schiffe nicht tun dürften. Das stimmt doch?

WAGNER: Ja.


OBERST PHILLIMORE: Ich will Sie nur an die Schritte erinnern, die bezüglich der Neutralen unternommen wurden, wie man sie aus den Dokumenten der Verteidigung ersehen kann.

Zuerst wurden einmal am 3. September Befehle erlassen, alle allgemein anerkannten Neutralitätsvorschriften und alle völkerrechtlichen Abkommen wären strengstens einzuhalten.

Euer Lordschaft! Das ist D-55 auf Seite 139.


VORSITZENDER: Im britischen Dokumentenbuch?


OBERST PHILLIMORE: Nein, in dem Verteidigungs-Dokumentenbuch Dönitz 55.


[Zum Zeugen gewandt:]


Und dann erhielten die neutralen Staaten am 28. September eine Warnung, jede verdächtige Bewegung wie Kursänderung, Zickzack und so weiter zu vermeiden. Das ist Dönitz 61, Seite 150.

Am 19. Oktober wurde diese Warnung wiederholt, und es wurde den neutralen Staaten nahegelegt, Geleitschutz abzulehnen. Das ist Dönitz 62, auf Seite 153. Am 22. Oktober ist diese Warnung wiederholt worden. Das ist Dönitz 62 auf Seite 162. Und am 24. November wurde den neutralen Staaten mitgeteilt, daß die Sicherheit ihrer Schiffe in den Gewässern um die britischen Inseln und in der Nähe der französischen Küste nicht mehr gewährleistet werden kann. Das ist in Dönitz 73 auf Seite 206. Und dann vom 6. Januar an hat man gewisse Zonen zu Gefahrenzonen erklärt. Das stimmt doch, nicht wahr?

WAGNER: Nein. Man hat am 24, November eine allgemeine Warnung erlassen, daß die gesamte USA.-Kampfzone als gefährdet anzusehen sei. Die Einzelgebiete, die vom Januar ab als Operationsgebiete ausgenutzt wurden, sind nicht der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden, da sie im Rahmen dieser ersten Warnung sich hielten. Und sie dienten nur dem internen Gebrauch innerhalb der Kriegsmarine.

[534] OBERST PHILLIMORE: Das ist eben das, was ich klarstellen wollte. Die Zonen, die vom 6. Januar an als gefährdet erklärt wurden, waren nicht veröffentlicht. Das stimmt, nicht wahr?


WAGNER: Jawohl. Die Neutralen sind am 24. November gewarnt worden, daß alle diese Gebiete, die ab Januar einzeln als Operationsgebiete erklärt wurden, für die Schiffahrt gefährlich seien.


OBERST PHILLIMORE: Aber, als Sie vom 6. Januar an bestimmte Zonen festlegten, wurden keine weiteren Warnungen mehr gegeben. Nicht wahr?

WAGNER: Das ist richtig, wir haben nach der allgemeinen Warnung keine Einzelwarnungen von Teilen dieses Gebietes mehr erlassen.


OBERST PHILLIMORE: Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß diese Warnungen und die Tatsache, daß Sie eine riesige Gefahrenzone erklärt hatten, Sie zum Versenken von neutralen Schiffen ohne Warnung berechtigten?


WAGNER: Jawohl! Ich bin der Auffassung, daß in diesem Gebiet, das sowohl von uns, als vorher von den Vereinigten Staaten von Nordamerika, als für die Schiffahrt gefährlich angesehen wurde, eine Rücksicht auf Neutrale nicht mehr erforderlich war.


OBERST PHILLIMORE: Wollen Sie damit sagen, daß alle neutralen Regierungen vom 24. November an verwarnt wurden, daß ihre Schiffe ohne Warnung versenkt würden, wenn sie irgendwie in diese Zone hineinkämen?


WAGNER: Ich will sagen, daß am 24. November sämtlichen neutralen Regierungen offiziell mitgeteilt worden ist, daß die gesamte USA-Zone als gefährdet anzusehen sei und daß das Deutsche Reich keinerlei Verantwortung für Verluste bei Kampfhandlungen in diesem Gebiet übernehmen könne.


OBERST PHILLIMORE: Das ist eine ganz andere Sache. Wir wollen hier keine Irrtümer unterlaufen lassen. Behaupten Sie, daß Sie nach dieser Warnung überall in jener Zone neutrale Schiffe versenken konnten, versenken ohne Warnung?


WAGNER: Ich habe die letzten Worte nicht ganz verstanden.


OBERST PHILLIMORE: Wollen Sie damit sagen, daß Sie neutrale Schiffe überall in dieser Zone vom 24. November ab ohne Warnung versenken konnten?


WAGNER: Ich bin der Auffassung, daß wir berechtigt waren, von diesem Zeitpunkt ab auf die neutrale Schiffahrt keine Rücksicht nehmen zu brauchen. Jede Ausnahme, die wir unseren U-Booten befohlen hätten, würde bedeutet haben, daß sie auch feindliche Schiffe nicht ohne weiteres versenken konnten.


[535] OBERST PHILLIMORE: Es handelt sich hier nicht um irgendwelche besondere Rücksichtnahme. Sagen Sie, daß Sie berechtigt waren, irgendein neutrales Schiff zu versenken, es absichtlich zu versenken, ganz gleich, ob Sie es als neutral erkannten oder nicht?


VORSITZENDER: Das können Sie doch mit Ja oder Nein beantworten.


WAGNER: Ja, ich bin der Auffassung.


OBERST PHILLIMORE: Wollen Sie mir sagen, wie sich das mit den Regeln der U-Bootkriegführung deckt?


WAGNER: Zu einer rechtlichen Auseinandersetzung für die Frage fühle ich mich nicht zuständig, weil das Sache der Völkerrechtler ist.


OBERST PHILLIMORE: Das haben Sie aber doch tatsächlich getan, nicht? Sie haben neutrale Schiffe auf Sicht ohne jedwede Warnung irgendwo in dieser Zone versenkt?


WAGNER: Jawohl, nicht irgendwo in dieser Zone, sondern in den von uns festgesetzten Operationsgebieten haben wir neutrale Schiffe...


OBERST PHILLIMORE: Aber wo Sie nur konnten, wo Sie nur konnten, nicht wahr?


WAGNER: In den von uns festgesetzten Operationsgebieten haben wir neutrale Schiffe warnungslos versenkt, weil wir der Auffassung sind, daß es sich hier um gesicherte Seeräume unter der feindlichen Küste handelt, die als freie See nicht mehr angesprochen werden können.


OBERST PHILLIMORE: Und Sie beschlossen gleich am Anfang des Krieges, so vorzugehen? Stimmt das nicht? Das beschlossen Sie doch?


WAGNER: Von Anfang des Krieges an waren wir entschlossen, uns strikt an das Londoner Protokoll zu halten.


OBERST PHILLIMORE: Wollen Sie sich die Urkunde ansehen, die gestern vorgelegt wurde?

Euer Lordschaft! Das ist D-851, es wurde eingereicht als GB-451. Es ist ein Memorandum vom 3. September.


VORSITZENDER: Wo ist es?


OBERST PHILLIMORE: Euer Lordschaft! Es ist das einzige neue Dokument, das von Sir David Maxwell-Fyfe beim Kreuzverhör vorgelegt wurde.


[536] [Zum Zeugen gewandt:]


Wollen Sie sich den dritten Absatz ansehen:

»Die Kriegsmarine kommt zum Ergebnis, daß das mit den vorhandenen Kräften erreichbare größte Maß an Schädigung Englands nur zu erzielen ist, wenn den U-Booten der uneingeschränkte warnungslose Waffeneinsatz in einem auf der beiliegenden Karte bezeichneten Sperrgebiet gegen feindliche und neutrale Schiffe freigegeben wird.«

Sagen Sie immer noch, daß Sie nicht von Beginn des Krieges an die Absicht hatten, neutrale Schiffe warnungslos zu versenken, sobald Sie Hitlers Zustimmung dazu erhielten? Sagen Sie das noch immer?

WAGNER: Jawohl, durchaus. In diesem Schreiben steht im ersten Absatz drin: »In den anliegenden, vom OKW der Kriegsmarine übersandten Unterlagen wird die Frage des uneingeschränkten U-Bootkrieges gegen England erörtert.« Ich kann diese Unterlagen nicht beurteilen, wenn ich sie nicht zur Kenntnis bekomme.

OBERST PHILLIMORE: Sie waren damals im Generalstab. Sie waren der Leiter der Abteilung Ia. Diese Ansicht wurde doch von Ihrer Abteilung vertreten. Nicht wahr?


WAGNER: Jawohl. Ich sagte ja schon, wir waren entschlossen, nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt uns so lange strikt an das Londoner Protokoll zu halten, bis wir Beweise in der Hand haben, daß die englische Handelsschiffahrt militärisch gesteuert und militärisch eingesetzt sei. Hier handelt es sich augenscheinlich lediglich um eine Unterrichtung und einen Meinungsaustausch mit dem Auswärtigen Amt...


OBERST PHILLIMORE: Ich habe Sie nicht nach Ihrer allgemeinen Ansicht über dieses Dokument gefragt, das können wir selbst lesen. Ihr Ziel war, die kleinen neutralen Staaten zu terrorisieren und sie davon abzuschrecken, auf rechtmäßige Fahrt zu gehen. Stimmt das?


WAGNER: Nein.

OBERST PHILLIMORE: Ist das nicht der Grund, warum in dem Befehl, den Sie im Januar 1940 herausgegeben haben, die größeren Länder von diesem Risiko, warnungslos versenkt zu werden, ausgenommen sind? Schauen Sie sich das Dokument C-21 an. Das ist GB-194, auf Seite 30 im englischen Dokumentenbuch der Anklagebehörde; Seite 59-60 im deutschen Dokumentenbuch. Schauen Sie sich einmal den zweiten Eintrag auf Seite 5 an, vom 2. Januar 1940. »Bericht von Ia.« Das sind doch Sie, nicht wahr? Das waren Sie, stimmt das nicht?


[537] WAGNER: Ja, ich kann aber das nicht finden, was Sie da zitieren.


OBERST PHILLIMORE: Auf Seite 5 des Originals unter dem Datum 2. Januar 1940. Bericht von Ia über die Weisung der Wehrmacht – des Oberkommandos –, datiert den 30 Dezember, bezüglich verschärfter Maßnahmen im See- und Luftkrieg im Zusammenhang mit dem Fall »Gelb«.

»Die Kriegsmarine wird mit dieser Weisung bei Beginn der allgemeinen Verschärfung des Krieges die warnungslose Versenkung aller Schiffe durch U-Boote in den Seegebieten vor den feindlichen Küsten freigeben, in denen die Verwendung von Minen möglich ist. Nach außen hin ist in diesem Falle der Einsatz von Minen vorzutäuschen. Verhalten und Waffenverwendung der U-Boote soll dem Rechnung tragen.«

Das hat nichts mit der Bewaffnung englischer Handelsschiffe zu tun. Das ist nicht der angeführte Grund, nicht wahr? Der Grund ist, daß es in Ihre Operationen für Fall »Gelb« paßte.

WAGNER: Ich habe den letzten Satz nicht verstanden.

OBERST PHILLIMORE: Sie geben nicht als Ihren Grund an, daß die Engländer ihre Handelsschiffe bewaffneten. Der Grund, den Sie anführen, ist, daß es notwendig war im Zusammenhang mit den verschärften Maßnahmen für Fall »Gelb«. Warum?


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Die deutsche Übersetzung ist so schlecht, daß es kaum möglich ist, die Fragen zu verstehen.


OBERST PHILLIMORE: Ich stelle Ihnen die Frage noch einmal.

Der Vorwand für diese Weisung ist, daß die Verschärfung der Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Fall »Gelb« stehen. Sie sehen doch, nicht wahr, daß nichts von der Bewaffnung englischer Handelsschiffe, um diesen Schritt zu begründen, hier steht. Das ist doch richtig?


WAGNER: Ich erbitte mir, erst die Papiere in Ruhe durchlesen zu dürfen.

OBERST PHILLIMORE: Natürlich. Das haben Sie doch selbst geschrieben.


WAGNER: Nein, das ist nicht von mir geschrieben worden. Ja, diese Maßnahme hielt sich ja tatsächlich innerhalb der Warnungen, die wir den Neutralen am 24. November 1939 haben zukommen lassen.


OBERST PHILLIMORE: Es steht nichts über die Warnung vom 24. November darin. Wenn Sie diese dazu berechtigte, wie Sie [538] sagten, neutrale Schiffe zu versenken, dann brauchten Sie doch diese Sonderweisung nicht. Stimmt das nicht?


WAGNER: Nein.


OBERST PHILLIMORE: Nein. Also werden wir...


WAGNER: Wir haben hier aus militärischen und politischen Gründen befohlen, daß Minentreffer vorgeschützt werden sollen, das ist eine besondere Note dieses Befehls.


OBERST PHILLIMORE: Bevor wir dieses Dokument als erledigt betrachten, sehen Sie sich die Eintragung vom 18. Januar an. Haben Sie es gefunden, 18. Januar?


WAGNER: Ja.


OBERST PHILLIMORE: Das ist der wirkliche Befehl zur warnungslosen Versenkung. Sie sehen im letzten Satz: »Ausgenommen von diesen Angriffen bleiben die Schiffe USA, Italien, Japan und Rußland.« Und dann wird noch Spanien hinzugefügt, in Bleistift.

Ist es nicht richtig, daß Sie darauf aus waren, die kleinen neutralen Staaten zu terrorisieren und einzuschüchtern? Aber Sie wollten kein Risiko mit den großen neutralen Staaten eingehen.


WAGNER: So ist es nicht. Es ist aber so zu erklären selbstverständlich, daß man militärische Nachteile in Kauf nimmt, wenn man dafür politische Vorteile einhandeln kann.


OBERST PHILLIMORE: O ja. Es war also einfach eine Frage, wie es sich politisch am besten für Sie bezahlt machte. Das war alles, nicht wahr?


WAGNER: Selbstverständlich waren alle Kriegshandlungen von dem politischen Interesse des eigenen Landes stark beherrscht.


OBERST PHILLIMORE: Und weil die Dänen und Schweden nicht in der Lage waren, irgendwelche ernsten Proteste zu erheben, haben Sie deren Schiffe ohne Warnung versenkt? Das stimmt, nicht wahr?


WAGNER: Die Begründung dieses Vorgehens ist keineswegs richtig.

OBERST PHILLIMORE: Was ist der Unterschied?


WAGNER: Wir haben die Schiffe aller Neutralen in diesen Gebieten versenkt, mit Ausnahme derjenigen, bei denen ein bestimmtes politisches Interesse vorlag.


OBERST PHILLIMORE: Ja, aber Sie hatten zu der Zeit kein politisches Interesse an Norwegen, Schweden und Dänemark, und Sie haben deshalb deren Schiffe ohne Warnung versenkt. Richtig, nicht wahr?


[539] WAGNER: Wir haben sie versenkt, weil sie sich trotz Warnung in diese Gebiete begaben.


OBERST PHILLIMORE: Ja, aber wenn ein russisches Schiff oder japanisches Schiff in diese Gewässer gekommen wäre, hätten Sie es nicht versenkt?


WAGNER: Nein, zu diesem Zeitpunkt nicht.


OBERST PHILLIMORE: Ich will Ihnen nur zeigen, was Sie wirklich taten. Sehen Sie sich Dokument D-846 und 847 an.

Euer Lordschaft! Es sind zwei neue Dokumente D-846 und 847. Sie werden als GB-452 und 453 eingereicht werden.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sehen Sie sich bitte das erste Dokument D-846 an. Es ist ein Telegramm von Ihrem Botschafter in Kopenhagen, datiert den 26. September 1939. Das ist vor Ihrer ersten Warnung und bevor jene Zonen als Gefahrenzonen bezeichnet wurden.

Der zweite Satz:

»Versenkung schwedischer und finnischer Schiffe durch unsere Unterseeboote haben hier lebhafte Besorgnisse wegen der dänischen Lebensmitteltransporte nach England hervorgerufen.«

Also, Sie begannen mit der Versenkung von Schiffen kleiner neutraler Länder schon in den ersten drei Wochen des Krieges, nicht wahr?

WAGNER: In Einzelfällen, ja, aber dann hat es immer seinen ganz besonderen Grund gehabt, und mir ist bekannt, daß verschiedene Fälle gerade mit dänischen und schwedischen Schiffen vorgekommen sind, wo Schiffe sich gegen die U-Boote gewendet haben und die U-Boote gezwungen waren, wegen dieses Widerstandes diese Schiffe anzugreifen.

OBERST PHILLIMORE: Sie glauben doch nicht etwa, daß dies geschah, weil man die Minen dafür verantwortlich machen konnte?


WAGNER: Zu diesem Zeitpunkt keineswegs.


OBERST PHILLIMORE: Sehen Sie sich bitte das zweite Telegramm an vom 26. März 1940. Es ist wieder vom deutschen Gesandten in Kopenhagen. Ich lese den ersten Absatz:

»König von Dänemark ließ mich heute zu sich bitten, um mir zu sagen, welchen tiefen Eindruck die anscheinend warnungslose Versenkung sechs dänischer Schiffe in voriger Woche auf ihn und das ganze Land gemacht habe.«

[540] Ich übergehe zwei Sätze:

»Ich erwiderte, daß die Ursachen des Untergangs noch nicht geklärt seien. Auf jeden Fall hielten sich unsere Streitkräfte immer streng an Prisenordnung, aber Schiffe, die sich im feindlichen Geleit oder in dessen Nähe auf Fahrt begeben, nähmen alle Gefahren des Krieges auf sich; soweit etwaige Versenkungen warnungslos erfolgt seien, schienen sie nach den bisherigen deutschen Verlautbarungen hierauf zurückzuführen. Zugleich betonte ich Gefährlichkeit Gewässer vor englischer Küste, wo neutrale Schiffahrt durch englische Maßnahmen zwangsläufig in kompromittierende Situation gebracht würde. König versicherte mit Nachdruck, daß keines der dänischen Schiffe im Konvoi gefahren sei, aber Vorgänge, die zu Untergang geführt hätten, würden sich wohl niemals nachträglich einwandfrei aufklären lassen.«

Hegen Sie irgendwelche Zweifel, daß diese sechs Schiffe vorsätzlich versenkt wurden, und zwar auf Grund Ihrer Politik der warnungslosen Versenkung?

WAGNER: Ich kann ohne Nachprüfung der einzelnen Fälle diese Frage nicht beantworten. Jedoch bin ich der Auffassung, daß sie möglicherweise versenkt sind in dem Seegebiet vor den englischen Küsten, wo durch eine starke militärische Sicherung von einem freien Meer nicht mehr die Rede sein konnte.

OBERST PHILLIMORE: Sehr schön. Wir werden zu einem Fall kommen, wo ich glaube, Ihnen die Einzelheiten schildern zu können. Wollen Sie sich bitte Dokument D-807 ansehen?

Euer Lordschaft! Es ist ein neues Dokument, es wird als GB-454 eingereicht.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sehen Sie, dieses Dokument ist vom 31. Januar 1940 datiert, und es bezieht sich auf die Versenkung dreier neutraler Schiffe: »Deptford«, »Thomas Walton« und »Garoufalia«.

Das Dokument besteht aus drei Teilen. Der erste Teil führt die Tatsachen auf, wie sie Ihnen bekannt waren. Der zweite Teil enthält eine Note an das Auswärtige Amt, und der dritte Teil ist der Entwurf für eine Antwort, die Ihr Auswärtiges Amt den neutralen Regierungen übermitteln sollte, und wenn Sie sich das Ende des Dokuments ansehen wollen, dann sehen Sie »Ia«; das stammt also aus Ihrer Abteilung.

»Es wird vorgeschlagen, bei Beantwortung der norwegischen Noten nur die Versenkung des Dampfers ›Deptford‹ durch ein deutsches U-Boot zuzugeben, die Versenkung der beiden anderen Dampfer dagegen abzuleugnen.«

Wollen Sie bitte folgen?

[541] »Nach den von der Norwegischen Regierung den Noten beigegebenen Unterlagen scheinen zwar die Verdachtsgründe dafür, daß die Ursache des Unterganges ein Torpedo war, in allen drei Fällen dieselbe Stärke zu haben. Nach der Rede des norwegischen Außenministers vom 19. 1. scheint jedoch in Norwegen der Verdacht der Torpedierung durch ein deutsches U-Boot beim Dampfer ›Deptford‹ am stärksten zu sein, während in den anderen Fällen mindestens vorgegeben wird, daß mit der Möglichkeit von Minentreffern gerechnet wird, bei dem Dampfer ›Deptford‹ aber schon deshalb für unwahrscheinlich gehalten, weil dieselbe Stelle von anderen Fahrzeugen passiert worden war.

Beim Dampfer ›Thomas Walton‹ läßt sich die Vermutung eines Minentreffers aufrechterhalten, da die Torpedierung gegen Abend erfolgte und nichts gesehen wurde und da ferner in derselben Gegend infolge von Fehlschüssen mehrere Detonationen erfolgten.

Beim Dampfer ›Garoufalia‹ scheint eine Ableugnung schon deshalb zweckmäßig, weil es sich um einen neutralen Dampfer handelte, der warnungslos angegriffen wurde. Da er mit Eto angegriffen wurde, konnte eine Torpedo-Laufbahn nicht gesehen werden.«

Wollen Sie angesichts dieser Einzelheiten noch behaupten, daß Sie die neutralen Staaten nicht getäuscht haben? Das ist doch der Vorschlag, den Sie dem Angeklagten Raeder als sein Stabsoffizier machten, nicht wahr?

WAGNER: Dieses Schreiben stammt nicht von mir, sondern stammt aus Iia.

OBERST PHILLIMORE: Woher stammt es?


WAGNER: Das ist der Hilfsarbeiter des Völkerrechtsreferenten.


OBERST PHILLIMORE: Sie hätten es also nicht gesehen?


WAGNER: Mir ist dieses Schreiben nicht erinnerlich.


OBERST PHILLIMORE: Warum sagen Sie, daß es aus Iia stammt? Es hat doch Ia am Ende.


WAGNER: Wenn das Schreiben ausgegangen ist, dann habe ich es auch gesehen...


OBERST PHILLIMORE: Ich werde einmal den nächsten Teil der Note verlesen, damit Sie sich erinnern. »Die folgenden Tatsachen wurden festgestellt«: – Das schreiben Sie an das Auswärtige Amt – »Der Dampfer ›Deptford‹ ist am 13. Dezember von einem deutschen U-Boot versenkt worden...«

Entschuldigen Sie, ich hätte früher anfangen sollen.

[542] »Es wird angeregt, die norwegischen Noten wegen des Unterganges der Dampfer ›Deptford‹, ›Thomas Walton‹ und ›Garoufalia‹ etwa in folgendem Sinn zu beantworten:

Auf Grund der Mitteilung der Norwegischen Regierung ist die Angelegenheit des Untergangs der Dampfer ›Deptford‹, ›Thomas Walton‹ und ›Garoufalia‹ genau untersucht worden. Dabei sind folgende Feststellungen getroffen worden:

Der Dampfer ›Deptford‹ ist am 13. Dezember von einem deutschen U-Boot versenkt worden, da er als bewaffnetes feindliches Schiff erkannt wurde. Nach Meldung des U-Bootkommandanten ist die Versenkung nicht innerhalb der Hoheitsgewässer, sondern unmittelbar außerhalb erfolgt. Die deutschen Streitkräfte haben strenge Anweisung, innerhalb neutraler Hoheitsgewässer keinerlei Kriegshandlungen vorzunehmen. Sollte sich der U-Bootkommandant in der Position geirrt haben, wie dies nach den Feststellungen der norwegischen Behörden der Fall zu sein scheint, und infolgedessen die norwegischen Hoheitsgewässer verletzt haben, so wird dies von der Deutschen Regierung auf das aufrichtigste bedauert. Die deutschen Seestreitkräfte wurden auf Grund des Vorfalles nochmals zur unbedingten Achtung der neutralen Hoheitsgewässer angehalten. Daher wird eine weitere Verletzung norwegischer Territorialgewässer, falls eine solche vorgekommen sein sollte, nicht mehr stattfinden.

Was den Untergang der Dampfer ›Thomas Walton‹ und ›Garoufalia‹ betrifft, so kann dieser auf Maßnahmen deutscher U-Boote nicht zurückgeführt werden, da solche zur Zeit des Unterganges sich nicht in dem angegebenen Seegebiet befanden.«

Und dann ist noch der Entwurf für eine Antwort da. Aber die besagt ungefähr dasselbe.

Und Sie behaupten angesichts dieses Dokuments, daß die deutsche Kriegsmarine niemals die neutralen Staaten irregeführt hat?

WAGNER: Die Neutralen waren unterrichtet, daß in diesen Seegebieten mit Gefahren des Krieges zu rechnen war. Wir sind der Auffassung, daß wir nicht verpflichtet sind, ihnen mitzuteilen, durch welche Kriegsmaßnahmen diese Gebiete gefährdet waren und durch welche Kriegsmaßnahmen ihre Schiffe verlorengingen.

OBERST PHILLIMORE: Ist das wirklich Ihre Antwort auf dieses Dokument? Hier steht doch eine glatte Lüge, nicht wahr? Sie geben zu, daß ein Schiff versenkt wurde, weil Sie nicht anders können. Und Sie leugnen die anderen ab. Sie leugnen ab, daß ein deutsches U-Boot irgendwo in der Nähe war, und Sie erzählen diesem Gerichtshof, daß das gerechtfertigt war, um die Waffen, die Sie [543] eingesetzt hatten, geheimzuhalten. Können Sie keine bessere Antwort finden?


WAGNER: Jawohl, sicher. Wir hatten ja keinerlei Interesse daran, daß der Gegner erfuhr, mit welchen Mitteln wir in diesem Gebiet Krieg führten.


OBERST PHILLIMORE: Sie geben zu, daß eins der Schiffe von einem U-Boot versenkt wurde. Warum geben Sie nicht auch die beiden anderen zu? Warum sagen Sie nicht einfach, es war dasselbe U-Boot?


WAGNER: Ich nehme an, daß es sich um andere Seegebiete handelte, wo die Situation anders lag.


OBERST PHILLIMORE: Was war der Unterschied? Warum haben Sie nicht gesagt: »Eines unserer U-Boote hat einen Fehler begangen oder Befehle nicht befolgt und ist verantwortlich für alle drei Versenkungen?« Oder Sie hätten auch sagen können: »Wir haben Sie gewarnt, daß wir alle Schiffe in dieser Zone warnungslos versenken. Worüber beklagen Sie sich?«


WAGNER: Das habe ich augenscheinlich nicht für zweckmäßig gehalten.


OBERST PHILLIMORE: Es wurde für zweckmäßig gehalten, neutrale Länder zu täuschen, und Sie, ein Admiral der deutschen Kriegsmarine, haben mir gerade vor zehn Minuten gesagt, daß Sie das nicht getan haben. In der Tat wurden diese drei Schiffe von dem gleichen U-Boot versenkt. Nicht wahr?


WAGNER: Das ist mir im Moment nicht bekannt.


OBERST PHILLIMORE: Ich sage Ihnen, sie wurden alle von U-38 versenkt und die Daten der Versenkung sind: 13. Dezember »Deptford«; »Garoufalia« am 11. Dezember und »Thomas Walton« am 7. Dezember. Bestreiten Sie das?


WAGNER: Ich habe den letzten Satz nicht verstanden.


OBERST PHILLIMORE: Bestreiten Sie diese Einzelheiten oder erinnern Sie sich nicht mehr?


WAGNER: Ich erinnere mich nicht daran, ich halte es für unmöglich sogar.


OBERST PHILLIMORE: Ich werde Ihnen einen anderen Zwischenfall zeigen, wo Sie neutrale Länder getäuscht haben, dieses Mal Ihre Freunde, die Spanier. Schauen Sie sich C-105 an.

Euer Lordschaft! Es ist ein neues Dokument und wird als GB-455 vorgelegt. Es ist ein Auszug des Skl-Kriegstagebuches vom 19. Dezember 1940.


[544] [Zum Zeugen gewandt:]


Zu der Zeit haben Sie doch das Kriegstagebuch der Skl selbst geführt, nicht wahr?

WAGNER: Nein, nicht geführt, aber ich habe es unterschrieben.

OBERST PHILLIMORE: Sie haben es unterschrieben. Haben Sie es gelesen, bevor Sie es unterschrieben haben?


WAGNER: Die wesentlichsten Punkte, ja.


OBERST PHILLIMORE: Sie sehen, es heißt: »Nachrichten von Neutralen«. Und die Überschrift ist: »Spanien«.

»Nach Meldung Mar. Att. wurde zwischen Las Palmas – Kap Juby spanischer Fischdampfer durch Unterseeboot unbekannter Nationalität versenkt. Besatzung in Rettungsbooten mit Maschinengewehr beschossen. Drei Mann schwer verwundet. 18. Dezember in Las Palmas gelandet. Vermutet werden Italiener. (Möglichkeit auch U-37.)«

Und dann am 20. Dezember, am nächsten Tag:

»BdU. wird über span. Meldung betreff Versenkung span. Fischdampfers durch U-Boot unbek. Nationalität 16. 12. zwischen Las Palmas und Kap Juby unterrichtet und zur Nachprüfung aufgefordert.

Dem Marineattaché Madrid gegenüber wird unter Übernahme der Verantwortung durch die Skl bestätigt, daß ein deutsches U-Boot für Versenkung nicht in Frage kommt.«

Als Sie das berichtet haben, hielten Sie es für möglich, nicht wahr, daß es U-37 gewesen sein mag. Stimmt das?

WAGNER: Es scheint mir zwischendurch bekanntgeworden zu sein, daß es U-37 nicht war.

OBERST PHILLIMORE: Ich werde weiterlesen. Am 21. Dezember:

»U-37 meldet: ein Torpedo auf einen Tanker Typ ›Kopbard‹ (7329) wurde Kreisläufer, traf wahrscheinlich Amphitrite-U-Boot in der Staffel des Tankers. Tanker ist ausgebrannt. Spanischen Dampfer ›St. Carlos‹ (300) ohne Abzeichen durch Feuerüberfall. Noch neun Torpedos.

Demnach hat U-37 sowohl den franz. Tanker ›Rhone‹ und das U-Boot ›Sfax‹ torpediert, wie den spanischen Fischtanker versenkt.«

Und dann sehen Sie im nächsten Vermerk:

»Nach außen hin wird weiter aufrechterhalten, daß ein deutsches oder italienisches U-Boot im fraglichen Seegebiet für die Versenkungen nicht in Frage kommt.«

Wollen Sie noch immer behaupten, daß Sie die neutralen Staaten nicht getäuscht haben?

[545] WAGNER: Dieser Fall ist zweifellos eine Täuschung. Ich kann mich aber nicht mehr entsinnen, auf Grund welcher einzelnen Gründe eine solche Täuschung durchgeführt worden ist.

OBERST PHILLIMORE: Es ist doch ziemlich anrüchig, nicht wahr? Sehen Sie das als lobwürdig für die deutsche Marine an?

WAGNER: Nein, dieses...


OBERST PHILLIMORE: Hat der Angeklagte Raeder das Kriegstagebuch unterzeichnet?


WAGNER: Jawohl.


OBERST PHILLIMORE: Haben Sie dem Angeklagten Dönitz mitgeteilt, was für eine Antwort Sie den Spaniern und Norwegern gaben?


WAGNER: Das ist mir nicht mehr erinnerlich.


OBERST PHILLIMORE: Er hätte doch eine Abschrift bekommen, nicht wahr?


WAGNER: Ich habe Sie nicht verstanden.


OBERST PHILLIMORE: Sie würden ihm doch eine Abschrift Ihrer Note an das Auswärtige Amt schicken, nicht wahr?


WAGNER: Das ist, möglich.


VORSITZENDER: Oberst Phillimore! Steht die Unterschrift des Angeklagten Raeder auf diesem Dokument C-105?


OBERST PHILLIMORE: Euer Lordschaft! Ich bedaure, ich habe das nicht geprüft, aber der Zeuge hat ja gesagt, daß er gewöhnlich das Kriegstagebuch unterschrieben hat und daß auch der Oberbefehlshaber es dann und wann unterzeichnet hat.


[Zum Zeugen gewandt:]


Stimmt das, Zeuge?

WAGNER: Ja. Auf der nächsten Seite am 21. Dezember befindet sich sowohl meine Abzeichnung als auch die von Admiral Fricke und Admiral Schniewind und Großadmiral Raeder.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich wäre der Anklagebehörde sehr dankbar, wenn ich Urkunden, die den Angeklagten Raeder betreffen, auch bekommen könnte, da es verhältnismäßig schwer ist, die Sache zu übersehen. Ich habe keine von diesen Urkunden bekommen.


OBERST PHILLIMORE: Es tut mir äußerst leid, Euer Lordschaft, es ist meine Schuld. Ich werde sehen, daß Dr. Siemers noch heute abend Abschriften erhält.


VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt bis morgen vormittag vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

14. Mai 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 13, S. 516-547.
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