Vormittagssitzung.

[285] GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Die Angeklagten Heß und Raeder sind abwesend.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird nun die Zeugenanträge für die verschiedenen Organisationen hören; wir nehmen zuerst die SS.


MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft! Bezüglich der SS-Organisationen hat der Verteidiger sieben Zeugen beantragt. Fünf von diesen – von Eberstein, Hinderfeld, Haußer, Riedel und Reinecke – sind unter den 29 SS-Zeugen, die bereits kommissarisch verhört worden sind. Die Anklagebehörde hat keinen Einwand gegen diese Zeugen, doch da die Aussagen von Eberstein und Hinderfeld sich in gewissen Punkten überschneiden, wird vorgeschlagen, dies dadurch zu vermeiden, daß diese beiden Zeugen von Dr. Pelckmann vernommen werden.

Was die anderen beantragten Zeugen betrifft, so wird der Gerichtshof bei Rode aus dem Antrag der Verteidigung ersehen, daß die Anklagevertretung ein Affidavit dieses Zeugen als Beweisstück US-562 vor gelegt hat. Dr. Pelckmann hat mich davon unterrichtet, daß er nicht beabsichtige oder wünsche, Rode zu laden, um ihn vor dem Gerichtshof selbst aussagen zu lassen, sondern daß er sich damit zufrieden gebe, Rode vor der Kommission ins Kreuzverhör zu nehmen.

Wenn daher der Gerichtshof meint, daß im Interesse der Gerechtigkeit für diesen besonderen Fall ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme vor der Kommission erforderlich erscheint, hat die Anklagebehörde gegen diesen Vorschlag Dr. Pelckmanns nichts einzuwenden. Vielleicht, um Dr. Pelckmann gegenüber fair zu sein, sollte ich hinzufügen, daß, wie ich höre, Rode erst vor einigen Tagen hier in Nürnberg eingetroffen ist.

Der letzte Zeuge, der beantragt ist, ist Hermann Rauschning, der frühere Senatspräsident der früheren Freien Stadt Danzig und Verfasser des Buches »Die Stimme der Vernichtung«, von dem die Anklagebehörde Auszüge unter der Nummer USSR-378 als Teil des Belastungsmaterials vorgelegt hat. Von der Anklage wurde noch nie ein Affidavit von Rauschning verwandt. Soviel ich gehört habe, ist Rauschning jetzt in den Vereinigten Staaten.

[285] Die Anklagebehörde erhebt Einspruch gegen seine Vorladung als Zeuge, und zwar aus folgenden Gründen:

Wenn sich der Gerichtshof den Antrag der Verteidigung ansehen will, wird er finden, daß darin drei Punkte enthalten sind, die Rauschning aufklären soll.

Soweit diese Punkte erheblich oder von Beweiswert sein sollten, könnten diese Tatsachen dem Buche Rauschnings »Die Stimme der Vernichtung« entnommen werden, und unter solchen Umständen wäre es ganz unnötig, Rauschning persönlich als Zeugen hierher kommen zu lassen. Die Anklagebehörde würde natürlich keinen Einwand dagegen erheben, wenn die Verteidigung weitere Auszüge aus diesem Buche als Teil des Beweismaterials für die SS-Organisationen vorlegen würde.


VORSITZENDER: Hätte die Anklage Einwände gegen die Vorlage von Fragebogen an Rauschning?


MAJOR ELWYN JONES: Nein, Euer Lordschaft, dagegen haben wir keinen Einwand.

In den zwei ersten Absätzen des Antrags der Verteidigung für Rauschning sind Tatsachen aufgeführt. Ich behaupte, daß die erste, eine kassandraartige Behauptung von Rauschning, daß bis 1939 seinen Warnungen kein Gehör geschenkt worden sei, keine irgendwie geartete Beweiskraft hat. Bezüglich des zweiten Abschnitts, in dem behauptet wird, Rauschning habe gewußt, daß Hitler in den Jahren 1936 und 1937 noch nicht die Absicht gehabt habe, die Juden auszurotten, ist es überhaupt nicht klar, wie Rauschning überhaupt Kenntnis von den Absichten Adolf Hitlers haben konnte – selbst der Teufel sieht nicht in des Menschen Herz.

Ich behaupte nicht, daß eine solche Aussage Rauschnings vollkommen unerheblich sei. Aber, ungeachtet meiner Feststellungen, die Anklage hätte gegen weitere Auszüge aus dem Buche Rauschnings oder gegen die Vorlage von Fragebogen an ihn keinen Einwand.


VORSITZENDER: Ja, Dr. Pelckmann?


RA. PELCKMANN: Hohes Gericht! Mit den Ausführungen des Mr. Elwyn Jones, soweit sie die übrigen Zeugen betreffen, gehe ich durchaus einig. Hinsichtlich der Ausführungen zu dem Zeugen Rauschning möchte ich folgendes zur Begründung sagen: Der Beschluß vom 13. März sagt in Ziffer 6 a, Absatz 3, daß der Beweis erheblich ist, ob die etwaigen verbrecherischen Ziele und Tätigkeiten der SS ganz offenbar gewesen oder der Masse der Mitglieder bekannt gewesen sind.

Ich habe versucht, vor der Kommission den Nachweis zu führen, daß die Ziele und Tätigkeiten nicht verbrecherisch waren, daß es nur Einzelheiten waren oder Taten bestimmter Gruppen und daß sie der Masse nicht bekannt waren, und zwar habe ich das versucht durch – angesichts der Mitgliederzahl – relativ sehr [286] wenige Zeugen, 29, wie der Herr Anklagevertreter sagte, und Tausende von Affidavits. Diese werden ja noch dem Hohen Tribunal vorgetragen werden. Aber das alles betrifft das sogenannte rechtliche Gehör der Mitgliedschaft.

Die Anklage hingegen hat ihre Beweismittel für die Anklagebehauptung gerade gegen die SS wie gegen die anderen Organisationen vor das Tribunal direkt gebracht durch direkte Zeugenaussagen in wochenlanger Verhandlung und durch Urkundenbeweis. Für die weitere Behauptung, die gerade für Ziffer 3 des Beschlusses vom 13. März erheblich ist, daß nämlich die Masse der SS-Mitglieder verbrecherische...


[Der Vorsitzende unterbricht für einige Augenblicke die Ausführungen des Verteidigers.]


VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

RA. PELCKMANN: Für die weitere Behauptung, daß nämlich die Masse der SS-Mitglieder von derartigen verbrecherischen Zielen der SS gewußt habe und auch verbrecherische Taten einzelner Mitglieder oder bestimmter Gruppen der Masse der SS bekannt waren, hat sie keinen Beweis geführt, sondern sie hat nur behauptet, das ergebe sich aus den Umständen, das sei selbstverständlich. Ich halte es nur für gerecht, fair und billig, wenn zusätzlich zu den Erklärungen der SS-Mitglieder, die ich in großer Masse in Affidavits vorlegen werde, durch indirekten Beweis -und deren Beweiswert von der Anklagebehörde bestritten werden könnte, weil es sich ja um die Betroffenen selbst, um SS-Mitglieder handelt – ich halte es, wie gesagt, nur für gerecht und billig, wenn vor das Tribunal außerdem der Zeuge Rauschning kommt, der einzige meiner Zeugen, der sich nicht in automatischem Arrest befindet und der zudem das Hohe Gericht direkt informieren soll, abgesehen von diesen wenigen fünf Zeugen der SS, die hier erscheinen werden, die einen verhältnismäßig hohen Rang in der SS bekleiden und deshalb ein allgemeines Wissen haben, denen aber auch entgegengehalten werden könnte, ihre Bekundungen seien ja nicht recht glaubwürdig.

Ich muß zu der Person und Erheblichkeit der Aussage Rauschnings noch kurz etwas sagen: Er war, wie schon vorgetragen, Senatspräsident von Danzig und SS-Standartenführer. Er hatte Hitlers volles Vertrauen bis 1936. Dann kam der Bruch mit Hitler. Er emigrierte und betätigte sich im Ausland in außergewöhnlich starker Weise publizistisch. Er warnte dauernd durch seine in der Welt bekanntgewordenen Bücher vor Hitler und seinen Plänen. Er hat auch heute noch in der Welt den Ruf, das Hitler-System und seine schuldigen Mitglieder nicht zu verteidigen und zu [287] schützen. In seinen zahlreichen Gesprächen mit Hitler hatte er erfahren – und damit komme ich zum Kern meines Beweisantrages:

Erstens: Daß Hitler wenigstens in den Jahren 1936/1937 nicht beabsichtigte, die jüdische Bevölkerung auszurotten, und er hat dafür eine eingehende Begründung gegeben. Der Einwand des Herrn Anklagevertreters, daß es nicht möglich sei, die Absichten Hitlers kennenzulernen, wird wohl nicht ganz ziehen, denn das muß ja gerade die Aufgabe des Gerichts sein, die Absichten Hitlers zu erkennen in den springenden Punkten der Anklage; und wenn die Absichten Hitlers erkannt worden sind, dann kann man darauf vielleicht auf das Wissen der Masse der Mitglieder der Organisationen schließen. Und wir kennen natürlich nur Indizien und müssen, wenn es möglich ist, direkte Beweise für solche Absichten Hitlers erhalten und werten. Und die hat Rauschning in Gesprächen mit ihm erhalten können. Einen besseren Zeugen für die Absichten kann man, glaube ich, nicht bitten.

Zweitens hat er erfahren, daß – der weitere Punkt meines Beweisantrages – daß Hitler...


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Warum glauben Sie, daß Rauschning in der Lage wäre, solche Aussagen zu machen?


RA. PELCKMANN: Weil ich seine Bücher kenne.


VORSITZENDER: Ja, wenn dies aber in seinen Büchern steht, was soll es dann aber nützen, ihn das, was darin steht, noch einmal sagen zu lassen?


RA. PELCKMANN: Seine Bücherstellen natürlich nur einen ganz kleinen Extrakt seines Gesamtwissens dar, und seine Bücher hat er ja nicht geschrieben im Hinblick auf den Prozeß. Die Kernfragen, wie sie von der Anklage herausgestellt sind, kann der Zeuge jetzt ganz anders beantworten, als wenn sie aus Zitaten aus seinem Buch aus dem Zusammenhang gerissen werden.


VORSITZENDER: Wenn ich Sie recht verstehe, sagen Sie doch, der einzige Grund, warum Sie glauben, er könne die Fragen beantworten, sei das, was Sie aus seinen Büchern kennen. Sie wissen aber doch darum noch nicht, ob er mehr aussagen kann, als in seinen Büchern steht.


RA. PELCKMANN: Natürlich weiß ich das nicht, aber es spricht eine Vermutung dafür, und meine Annahme, daß er es wohl tun könnte, beruht hier auf Erfahrungen. Ich glaube nicht, daß ich etwas Außerordentliches verlange. Von einem Mann, der sich so intensiv von 1933 bis 1936 mit Hitler und dem Nazismus beschäftigt hat, und der sich dann darüber in späteren Jahren Gedanken gemacht hat, und der dann mit ausländischen Persönlichkeiten über dieses System diskutierte, nehme ich an, daß er viel mehr weiß, als in [288] diesen Büchern steht, und andererseits habe ich noch folgende Gründe für meinen Antrag:

Die Anklagebehörde hat für ihre Belastungen Zitate aus den Büchern Rauschnings gebraucht. Diese Zitate kommen Affidavits gleich. Die Anklagebehörde wäre ebensogut in der Lage gewesen, über die betreffenden Stellen aus Rauschnings Buch sich Affidavits beschaffen zu können, die seine Behauptungen vielleicht noch etwas mehr detailliert hätten.

Nach der Prozeßordnung, die sich das Hohe Gericht gab, bin ich berechtigt, Zeugen, die Affidavits für die Anklagebehörde abgegeben haben, hier für das Kreuzverhör zu laden. Ich glaube, daß, wenn...


VORSITZENDER: Ich bin mir nicht bewußt, daß eine derartige Regel für Zeugen in den Vereinigten Staaten besteht. Soweit überhaupt eine Regel bestand, war die einzige die, daß Leute, die hier in Deutschland waren und die Affidavits abgegeben haben, zum Kreuzverhör hierher gebracht werden könnten. Diese Regel wurde nie auf Leute in den Vereinigten Staaten oder in einem anderen Land außerhalb Deutschlands angewandt. Der Fall des Herrn Messersmith ist ein Beispiel dafür, und es gibt keinen einzigen Fall, daß jemand hierher gebracht wurde, außer vielleicht der Zeuge Dahlerus.


RA. PELCKMANN: Angesichts der Bedeutung, die dieser Spruch und die Anklage gegen die Masse der SS-Mitglieder hat und im Hinblick auf die Tatsache, daß ich vielleicht im Gegensatz zu den Einzelangeklagten nur Mitglieder der Organisationen als Zeugen vorladen kann – und das ist nur eine ganz beschränkte Art –, glaube ich, das Hohe Gericht bitten zu dürfen, diesen Zeugen als einzigen Zeugen, der über den Dingen steht und der hier dem Gericht etwas über die Zustände dieser Zeit und seine Auffassung darüber sagen kann, daß das Hohe Gericht diesen einzigen Zeugen hierherbringen könnte, denn technische Schwierigkeiten dürften wohl in diesem Prozeß von Weltbedeutung – ich sage dies in voller Überzeugung – keine Rolle spielen.

Der Zeuge soll weiter sagen, daß es Hitlers bewußte Politik war, die deutsche Masse wie das Ausland über seine eigentlichen Pläne und Absichten zu täuschen, zum Beispiel über die Kriegsabsichten. In ganz intimen Gesprächen mit Rauschning hat sich Hitler darüber geäußert und beinahe lustig gemacht, wie es ihm gelänge, die Leute, nicht nur das Ausland, sondern gerade seine Landsleute, an der Nase herumzuführen.

Diese Fragen sind erheblich im Sinne des Beweisbeschlusses.

Hinsichtlich der Judenfrage verweise ich auf die Behauptung der Anklage, daß ein konsequenter Weg vom Parteiprogramm zu dem Vernichtungslager in Auschwitz führt. Das Parteiprogramm sah nach Auffassung der Masse der Mitglieder nur eine Regelung der [289] Judenfrage nach dem Minoritätenstatut vor, noch etwas verschärft durch die Nürnberger Gesetze von 1935. Aber was darüber auch diskutiert wird, wäre wohl noch kein Menschlichkeitsverbrechen. Wenn nachgewiesen würde, daß in dieser Zeit Hitler tatsächlich nicht die Absicht hatte, über dieses Programm hinauszugehen, dann ließe sich die Behauptung der Anklage nicht mehr halten. Wenn Hitlers Haltung von damals bewiesen wird, dann kann auch die SS und der einfache SS-Mann, der diesem Programm beitrat, auch kein anderes Programm haben.

Zum zweiten Punkt: Irreführung des deutschen Volkes. Hier ergibt sich erstens: Heute, nachdem wir wissen, was los war – aus den verschiedensten Dokumenten –, wir brauchen nur die Reichstagsrede über den Friedenswillen Hitlers zu lesen oder die Begründung für den Mord am 30. Juni 1934. Aber es wäre doch schlagend, wenn ein Zeuge sagt, Hitler habe ihm anvertraut, es sei sein Prinzip, die Deutschen über seine wahren Absichten zu täuschen. Demgegenüber müßte die Staatsanwaltschaft beweisen, daß gerade die SS sich nicht täuschen ließ, daß die SS im Einvernehmen mit Hitler wußte, was er wirklich wollte.


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Der Gerichtshof wollte von Ihnen keine grundsätzliche Argumentation über den ganzen Fall hören. Es handelt sich ja nur um die Frage, ob dieser Herr Rauschning von den Vereinigten Staaten hierher gebracht werden soll.


RA. PELCKMANN: Wenn die Erheblichkeit seiner Aussagen nicht bestritten wird, dann verstehe ich sehr wohl...


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Wir haben Ihren schriftlichen Antrag vor uns, aber Sie gehen auf viele Punkte ein, die im Antrag gar nicht erwähnt werden.


RA. PELCKMANN: Natürlich kann ich in den Antrag nicht alles schreiben, was ich möchte. Dieser Antrag enthält natürlich nur meine hauptsächlichsten Punkte, erstens Judenfrage, zweitens Täuschender Deutschen und drittens der SS-Leute.


VORSITZENDER: Wir haben Ihnen die Ansicht des Gerichtshofs zu verstehen gegeben, daß wir der Meinung sind, daß Sie sich mit dem Antrag genügend beschäftigt haben, aber wir wollen keine grundsätzliche Argumentation darüber hören.


RA. PELCKMANN: Ich habe nur versucht, die Erheblichkeit meiner drei Beweispunkte darzulegen. Wenn die Erheblichkeit also unterstellt werden kann, dann glaube ich, nur so viel sagen zu können: Ein einziger Zeuge, der außerhalb der SS steht, der allerdings früher einmal wie das wahrheitsgemäß...


VORSITZENDER: Sie haben das schon gesagt, Dr. Pelckmann; der Gerichtshof hat Sie völlig verstanden.


[290] RA. PELCKMANN: Herr Vorsitzender! Möchten Sie keine Antwort auf die Frage, warum von der Regel, einen Zeugen von Amerika zu bringen, abgewichen werden soll? Möchten Sie darauf keine Antwort?


VORSITZENDER: Sie haben die Argumente hierzu bereits vorgebracht.

Wir werden jetzt den SD behandeln.


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Der Verteidiger des SD hat nur um zwei Zeugen gebeten, und die Anklage hat keine Einwände dagegen. Es erscheint uns als eine angemessene Anzahl.

Da ich schon hier stehe, darf ich mich wohl mit den Anträgen für die Reichsregierung und das OKW beschäftigen?


VORSITZENDER: Die Reichsregierung sollte doch, wie wir annahmen, heute gar nicht behandelt werden.


MR. DODD: Wir haben heute vormittag einen Antrag für einen Zeugen erhalten.

VORSITZENDER: Ach ja, richtig. Also nehmen Sie Stellung zu diesem Zeugen!


MR. DODD: Bezüglich des OKW hat die Verteidigung der angeklagten Organisation sechs Zeugen beantragt, und unser Standpunkt ist, daß dies mindestens zweimal so viel sind wie nötig. Ungefähr drei Zeugen hier vorzuführen, wäre viel angemessener. Wir wollen keinen besonders vorziehen und haben gegen keinen der drei einen Einwand. Ich höre aber, daß von Rundstedt, von Brauchitsch und von Manstein von der Verteidigung vorgezogen werden, und wir haben gegen diese Auswahl keinen Einwand, aber wir sind gegen sechs Zeugen, weil das zu viele sind und weil alle schon vor der Kommission vernommen worden sind.

Was den Antrag für die Gestapo betrifft, so wurden nur zwei Zeugen beantragt, Best und Hoffmann, und wir haben gegen das Erscheinen dieser beiden Zeugen keinerlei Einwand.


VORSITZENDER: Die Namen Karl und Heinz sind doch wohl Vornamen?


MR. DODD: Ja, soviel ich weiß, Herr Vorsitzender.

Ich bin mir aber nicht klar darüber, Herr Vorsitzender, ob Sie wollen, daß ich mich jetzt mit der Reichsregierung beschäftige. Soll ich unsere Stellungnahme zu dem einen Zeugen angeben?

VORSITZENDER: Ich glaube, ja. Sie können sich jetzt damit beschäftigen, wenn Sie bereit sind. Dr. Kubuschok...


MR. DODD: Jedenfalls hat er nur einen Zeugen beantragt, und wir haben gegen ihn keinen Einwand. Es ist der Zeuge Schlegelberger.


[291] VORSITZENDER: Danke, gut, Herr Dodd.

Wenn die Verteidiger des SD, der Gestapo und der Reichsregierung nichts sagen wollen, hält es der Gerichtshof nicht für nötig, sie zu hören.

Dann wollen wir den Verteidiger für das OKW, Dr. Laternser, hören.

Bitte, Dr. Laternser!


DR. LATERNSER: Ich bin bei der Bedeutung der gegen die militärische Führung erhobenen Anklage überzeugt, daß die gestellten Anträge auf Vernehmung von sechs Zeugen gerechtfertigt sind. Um die Frage, ob die militärische Führung verbrecherisch war oder nicht, überhaupt entscheiden zu können, muß das Gericht als erkennende und entscheidende Instanz sich vorher ein persönliches Bild und einen persönlichen Eindruck einiger dieser militärischen Führer verschaffen. Kann man annehmen, daß das Gericht bei Anhörung von nur wenigen der unter den angeklagten Personenkreis, 129, fallenden Personen das richtige Bild erhalten hat? Ich möchte das unbedingt verneinen.


VORSITZENDER: Können Sie mir sagen, wieviel der 129 Personen wir hier vor dem Gerichtshof schon vernommen haben?


DR. LATERNSER: Vor diesem Gericht, Herr Vorsitzender? Vor der Kommission sind sieben Mitglieder gehört worden. Es stehen noch zwei weitere aus.


VORSITZENDER: Ich sagte nicht vor der Kommission, ich sagte hier vor dem Gerichtshof.


DR. LATERNSER: Ich habe bei Gelegenheit des Auftretens verschiedener Personen, die unter die Gruppe fallen, Fragen gestellt, und ich nehme an, daß es sich um fünf bis sechs Personen gehandelt haben wird.

Bei der Bemessung der Anzahl der zu hörenden Personen bitte ich weiter berücksichtigen zu wollen: Die Verteidigung der Organisationen ist hinsichtlich der Benennung reiner Zeugen, die den Gegenbeweis zu vielen einseitig dargestellten Beschuldigungen der Anklage liefern könnten, durch den Beschluß des Gerichts besonders stark beschränkt; denn nach diesem Beschluß können Zeugen nur nach vorheriger Anhörung vor der Kommission vor diesem Gericht vernommen werden, obwohl in jedem anderen Strafverfahren über viele Punkte umfangreiche Zeugenvernehmungen stattfinden würden. Hierdurch ist der Kreis der Zeugen von vornherein bestimmt und abhängig von dem Tätigkeitsumfang der Kommission.

Herr Präsident! Damit ich in die Lage versetzt werde, dem Gericht das von der Verteidigung für erforderlich gehaltene persönliche Bild des angeklagten Personenkreises zu vermitteln, möchte ich folgenden praktisch sicher gangbaren Vorschlag unterbreiten: Das Gericht möge für den von mir vertretenen Personenkreis – [292] und zwar nur für diesen, weil ich nicht berechtigt bin, entsprechende Anträge für andere Organisationen zu stellen – eine Zeitdauer festlegen, innerhalb deren ich vor diesem Gericht das rechtliche Gehör von Zeugen durchführen kann. Die Einteilung der zugebilligten Zeit müßte dann der Verteidigung überlassen bleiben, die innerhalb der vom Gericht festgesetzten Zeitdauer nach ihrem Ermessen die beantragten sechs Zeugen über gewisse Punkte vernehmen könnte. Ich würde sogar bei der vom Gericht festzusetzenden Zeitdauer nur zwei Drittel der Zeit in Anspruch nehmen, um ein Drittel der Anklagebehörde für die Durchführung des Kreuzverhörs zur Verfügung zu stellen. Ich möchte damit, Herr Präsident, nur erreichen, den nach meiner Meinung wichtigsten Punkt beweisen zu können, nämlich den persönlichen Eindruck der unter die Anklage fallenden Personen. Ich nehme an, daß das Gericht hiergegen keine Bedenken tragen wird.

Als weitere Anregung für das Organisationsverfahren gebe ich noch folgende Punkte der Erwägung des Gerichts anheim...


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Ich möchte mich vergewissern, daß ich Sie richtig verstehe. Sie schlagen vor, daß der Gerichtshof eine gewisse Zeit für die Zeugen des OKW festsetzen soll und daß Sie dann als Verteidiger zum Verhör dieser Zeugen zwei Drittel der Zeit und die Anklagebehörde das restliche Drittel für ihr Kreuzverhör verwenden sollten. Stimmt das?


DR. LATERNSER: Jawohl. Ich bin damit einverstanden, daß ich in dieser Zeit dann soviel Zeugen der beantragten Zahl vernehmen kann, wie in meinem Belieben steht.


VORSITZENDER: Wieviel Zeit schlagen Sie vor, Dr. Laternser?


DR. LATERNSER: Diese Frage ist sehr schwer für mich zu beantworten.


VORSITZENDER: Es ist doch Ihr Vorschlag. Der Gerichtshof möchte von Ihnen wissen, wieviel Zeit Sie vorschlagen.


DR. LATERNSER: Anderthalb bis zwei Tage im ganzen.

Ich möchte noch zwei weitere Anregungen dem Gericht geben, die in diesem Zusammenhang auch einige Bedeutung haben werden: Sämtliche vor Gericht erscheinenden Zeugen sind bereits vor der Kommission vernommen; die Protokolle liegen dem Gericht vor, die Stellung gleicher Fragen wäre diesmal sicher kumulativ. Wie soll die Vernehmung dieser Zeugen dann vorgenommen werden können, um Unterbrechungen zu vermeiden? Aus dieser Sachlage heraus gewinnt mein eben vorgebrachter Vorschlag an Bedeutung und scheint auch die eben aufgezeigten Schwierigkeiten zu beheben. Wenn man das hinzunimmt, müßte meines Erachtens das Gericht meinem Vorschlag folgen können. Zum Schluß möchte ich noch anregen, daß auch das Gericht eine Bestimmung treffen wird und [293] muß über die Handhabung des letzten Wortes für die angeklagten Organisationen. Das ist alles.


VORSITZENDER: Herr Dodd! Der Gerichtshof würde Sie gerne zu den Vorschlägen von Dr. Laternser hören.


MR. DODD: Jawohl, Herr Vorsitzender. Wir haben unseres Wissens eine Liste der Leute aufgestellt, die als Mitglieder der Organisationen oder der Gruppen vor der Kommission erschienen sind, sowie derjenigen, die vor dem Gerichtshof selbst erschienen sind. Ich habe eben gesagt, daß alle die, die noch nicht erschienen sind, zum Beispiel von Brauchitsch – der ja erscheinen sollte, und ob er gestern erschienen ist, weiß ich nicht –, jedenfalls in ein oder zwei Tagen hier sein werden.

Bei dem Vorschlag von Dr. Laternser, daß er eine gewisse Zeit zugewiesen erhalten soll und in dieser Zeit soviel Zeugen rufen lassen kann, wie er möchte, sehen wir zwei Schwierigkeiten. Vor allem scheint es uns, daß es von ihm nicht allzu großzügig ist, uns ein Drittel der Zeit zuzuweisen. Möglicherweise brauchen wir für so eine große Zahl von Zeugen mehr Zeit. Jedenfalls möchten wir nicht in der Weise beschränkt werden, daß wir nur ein Drittel seiner Zeit zur Verfügung bekommen. Wenn wir Zeugen innerhalb einer bestimmten Zeit vernehmen sollen, ist anzunehmen, daß ein großer Teil dieser Zeit vor dem Gerichtshof mit Sachen in Anspruch genommen werden wird, die bereits vor der Kommission ausführlich behandelt worden sind. Alle diese Zeugen wurden ja vor der Kommission schon vernommen, und Dr. Laternser hatte voll und ganz die Möglichkeit, sie vor der Kommission zu verhören und kreuzzuverhören, und es erscheint ganz unnötig, den Gerichtshof mit so einer großen Anzahl von Zeugen zu belasten.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte wissen, ob es einen Unterschied machen würde, wenn die Anklagebehörde genau so viel Zeit zugewiesen erhalten würde wie Dr. Laternser?


MR. DODD: Nun, etwas Unterschied würde es schon machen; offen gesagt, habe ich diesen Punkt nicht für so wichtig gehalten.


VORSITZENDER: Vielleicht gibt es noch einen anderen Punkt, der hierbei von Belang ist. Der Gerichtshof möchte wissen, wie man Ihrer Meinung nach der Schwierigkeit begegnen könnte, daß es unnötig erscheint, die geladenen Zeugen ihre ganze vor der Kommission gemachte Aussage hier nochmals machen zu lassen oder nur die Themata, auf die schon vor der Kommission eingegangen wurde, zu berühren; der Gerichtshof möchte wissen, wie diese Schwierigkeit behoben werden soll.


MR. DODD: Wir haben über dasselbe Problem bereits nachgedacht, und wir haben angenommen, daß die Zeugen, die vor der Kommission erschienen und vernommen worden sind, dieselben [294] Sachen nicht nochmal vor dem Gerichtshof behandeln sollen. Sonst würden ja die Verhandlungen vor der Kommission fast sinnlos sein, und wir könnten ebensogut daran gehen, die Protokolle der Kommissionsverhandlungen hier vorzulesen. Wir hatten das so verstanden, daß die Zeugen etwas Neues zu ihren Aussagen vor der Kommission hinzuzufügen hätten. So haben wir es aufgefaßt.


VORSITZENDER: Natürlich, ich glaube, Dr. Laternser hat mehrmals gesagt, daß er der tatsächlichen Anwesenheit der Zeugen große Wichtigkeit beimißt, damit der Gerichtshof sie sehen und sich ein eigenes Urteil über ihre Glaubwürdigkeit bilden kann.


MR. DODD: Ja, wie ich es verstand, war dies einer der Gründe, aber drei Mitglieder...


VORSITZENDER: Außer der Tatsache, daß man die Zeugen persönlich sehen würde und sich seine Meinung über ihre Glaubwürdigkeit bilden könnte, könnte er auch die Aussagen zusammenfassen.


MR. DODD: Ja, das denke ich auch. Natürlich, über vier Mitglieder der Gruppen sind wir noch im Ungewissen und auch über zwei Mitglieder des OKM und über von Brauchitsch und Milch – und auch über eine Menge anderer.


VORSITZENDER: Danke sehr.


MR. DODD: Bezüglich des zur Zeiteinteilung gemachten Vorschlags, den ich gemacht habe, möchte ich wiederholen, daß ich ihn nicht für sehr wichtig halte. Ich weiß, daß wir uns im Kreuzverhör auf wichtige Dinge beschränken können, aber ich denke trotzdem daß wir, wie der Gerichtshof gesehen hat, diese Zeiteinteilung selten eingehalten haben.


VORSITZENDER: Ich halte es nicht für nötig, weitere Argumente darüber zu hören. Wir werden Ihren Vorschlag erwägen und weitere Argumente, Dr. Laternser, sind unnötig, es sei denn, Sie möchten etwas ganz Neues vorbringen. Der Gerichtshof wird über Ihre Vorschläge beraten.

Wir werden jetzt die Politischen Leiter behandeln.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Die Gruppe »Politische Leiter« hat sieben Zeugen beantragt. Zwei von ihnen sind die Gauleiter Kaufmann und Wahl, ein Kreisleiter Meyer-Wendeborn, ein Ortsgruppenleiter Wegscheider; Blockleiter Hirth und zwei Fachleute vom Stab der Hoheitsträger, nämlich ein landwirtschaftlicher Fachmann, der ebenfalls Politischer Leiter war, und Hupfauer, der Politischer Leiter in der DAF war. Die Anklagebehörde hat keinen Einwand gegen diese Zeugen, aber sie glaubt, daß damit nicht alles vollständig erschöpft werden kann. Und vielleicht würde es für das Gericht von Nutzen sein, wenn ich die wichtigsten Zeugen und die, auf welche verzichtet werden kann, vorschlagen würde.


[295] VORSITZENDER: Wahrscheinlich möchten die Verteidiger ihre eigene Auswahl treffen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Euer Lordschaft. Das erkenne ich vollkommen an, ich wollte ja nur dem Gerichtshof behilflich sein.


VORSITZENDER: Ja, indem Sie angeben, welche Ihnen am wichtigsten erscheinen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ja.


VORSITZENDER: Ja, vielleicht könnten Sie das tun.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Der Blockleiter Hirth sollte bestimmt gehört werden. Er ist der einzige Vertreter der Blockleiter. Zeuge Hupfauer sollte gehört werden, weil er die Sachverständigen dieser Stäbe repräsentiert. Über diese bestehen hoch immer gewisse Streitfragen. Auch repräsentiert er eine Anzahl Politische Leiter, die in der Deutschen Arbeitsfront selbst Mitglieder waren. Von den Gauleitern haben Kaufmann und Wahl Erfahrung. Kaufmann kommt aus einer Industriegegend und Wahl aus einer Agrargegend, und soviel ich weiß, würde, wenn einer bevorzugt werden soll, Dr. Servatius Kaufmann vorziehen.

Außer Gauleiter Wahl vertreten noch der Ortsgruppenleiter Wegscheider und der Landwirt Mohr Agrargegenden, und, Euer Lordschaft, ich würde ergebenst vorschlagen, daß da bestimmt drei Zeugen überflüssig sind. Ihre Aussagen betreffen wirklich ziemlich das gleiche Thema; die Anklage würde, offen gesagt, den Zeugen Wahl vorziehen. Aber ich bringe das nur vor, um zu erklären, daß sie alle aus Agrargegenden kommen, und vielleicht würde einer, bestimmt aber zwei ausreichen.

Meyer-Wendeborn ist ein erfahrener Kreisleiter aus einer Industriegegend und behandelt weitgehend das gleiche Thema wie Gauleiter Kaufmann, und der Gerichtshof könnte vielleicht erwägen, nur einen davon zu hören, wenn er glaubt, die gegenwärtige Zahl sei zu groß.

Ich glaube nicht, daß ich dem Gerichtshof noch weiterhin irgendwie behilflich sein kann.


DR. SERVATIUS: Herr Vorsitzender! Ich habe zwei Gauleiter benannt; einen aus dem Industriegebiet, das ist der Zeuge Kaufmann, und Zeuge Wahl aus ländlichen Gebieten, in der Nähe von Augsburg. Ich glaube, es wäre wichtig, einen Eindruck von diesen beiden Typen von Gauleitern zu bekommen, von denen der eine 20 Jahre und der andere 17 Jahre in der Partei tätig war und beide Politische Leiter waren. Die Beurteilung ihrer Tätigkeit auf einer so großen Fläche und über eine so lange Zeit kann nur erlangt werden, wenn man aus der oberen Spitze zwei [296] Leute hört. Ich würde daher bitten, nach Möglichkeit beide mir zu bewilligen. Ich möchte den Zeugen...


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Ich möchte Sie hinsichtlich der Gauleiter Kaufmann und Wahl zweierlei fragen. Haben diese beiden, Kaufmann und Wahl, nicht genau das gleiche Thema schon vor der Kommission behandelt?


DR. SERVATIUS: Ja, ich möchte aber das Thema teilen und Kaufmann fragen über die Beziehungen nach oben zur Reichsregierung, und Wahl über die Verhältnisse nach unten zu Kreis- und Ortsgruppen. Ich kann das aber beschränken auf einen Zeugen; das Thema wird dann größer.


VORSITZENDER: Sie meinen, daß Sie sie vor der Kommission darüber nicht befragt haben?


DR. SERVATIUS: Ja, aber auch so, getrennt.


VORSITZENDER: Noch etwas: Wieviel Gauleiter haben wir vor dem Gerichtshof schon gehört?


DR. SERVATIUS: Ich nehme an drei oder vier, ich kann es nicht genau sagen. Sie sind aber nicht über dieses Thema befragt worden mit Rücksicht darauf, daß es hier den eigentlichen Gegenstand der Beweisaufnahme gestört hätte, wenn man auf solche Einzelheiten eingegangen wäre.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort und kommen Sie zu den anderen Punkten.


DR. SERVATIUS: Die nächsten Zeugen sind für Kreis, Ortsgruppe und Block, und ich glaube, man muß in jeder Ebene einen Zeugen haben, der über die dortigen Verhältnisse aussagen kann. Die Aussagen werden sich überschneiden, man wird sie dann kürzen können, so daß die Vernehmung unter Umständen kurz wird, so daß man nicht ins Breite zu gehen braucht. Aber es ist doch wichtig, aus jeder Schicht einen Zeugen zu haben.


VORSITZENDER: Könnten Sie dem Gerichtshof schätzungsweise angeben, wie lange das Verhör dieser sieben Zeugen dauern wird?


DR. SERVATIUS: Mit einem Tag werde ich bestimmt fertig sein. Es hängt davon ab, wie die Beweisaufnahme durchgeführt werden soll. Ich nehme an, daß es sich um eine kurze Zusammenfassung handelt und um eine grundsätzliche Aufklärung von nur wenigen Fragen.

Dann sind noch zwei Zeugen: Hupfauer und Mohr. Der eine ist aus der Deutschen Arbeitsfront aus der Industriegegend, der andere ist vom Reichsnährstand und kann über die ländlichen Agrarverhältnisse aussagen und im allgemeinen beide über die Stellung der Fachämter, die keine politischen Führungsämter waren, [297] um damit zu unterstreichen die Trennung der unpolitischen von den politischen Führern.

Das sind die Ausführungen, die ich zu machen habe.


VORSITZENDER: Danke schön. Der Gerichtshof wird sich nun vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof beschließt folgendes:

Für das Verfahren gegen die SS werden fünf Zeugen bewilligt, nämlich Brill, von Eberstein, Hinderfeld, Reinecke und Haußer.

Rode kann vor der Kommission im Kreuzverhör vernommen werden.

Fragebogen können Rauschning vorgelegt werden, aber sie müssen sofort vorgelegt werden, und sie werden nur in Betracht gezogen, wenn sie vor Schluß der Beweisaufnahme eintreffen. Weitere Auszüge aus Rauschnings hier erwähntem Buch können dem Gericht ebenfalls vorgelegt werden.

Für das Verfahren gegen den SD werden die beiden beantragten Zeugen Höppner und Rößner bewilligt.

Die beiden für die Gestapo beantragten Zeugen Best und Hoffmann werden bewilligt.

Was den Antrag für die Reichsregierung betrifft, muß der Zeuge vor der Kommission vernommen werden.

Für den Generalstab und das Oberkommando werden General von Manstein und zwei andere Zeugen bewilligt. Wenn gewünscht wird, daß General von Brauchitsch einer der beiden sein soll, so muß er vor die Kommission geladen werden; und es ist notwendig, daß in dieser Angelegenheit vom Verteidiger der angeklagten Organisation sofort eine Entscheidung getroffen wird.

Was die Politischen Leiter anbetrifft, müssen die Verteidiger fünf aus den beantragten Zeugen auswählen, und diese werden dann bewilligt werden.

Das ist alles.

Nun hat Dr. von Lüdinghausen das Wort.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Meine Herren Richter!

Ich hatte Ihnen gestern zu zeigen versucht, aus welchen schwerwiegenden und zwingenden Gründen heraus die deutsche Staatsführung sich zur Rücknahme der deutschen Wehrhoheit entschließen mußte.

Auch damit aber hatte Deutschland angesichts der von England mit dem sogenannten Londoner Kommuniqué vom 3. Februar 1935 noch einmal wieder in Fluß gebrachten Verhandlungen über eine allgemeine Verständigung in der Abrüstungsfrage, an denen sich[298] zu beteiligen die deutsche Außenpolitik getreu ihrer seit jeher bewiesenen Friedensbereitschaft sofort ihre Zustimmung erklärt hatte, gewartet und war auch weiter zu warten bereit, bis sich übersehen ließe, ob diese neuen Verhandlungen einen Erfolg versprächen oder nicht, als plötzlich, noch bevor diese Verhandlungen richtig eingesetzt hatten, die Französische Regierung am 1. März 1935 ein neues Wehrgesetz über die Verlängerung der Dienstzeit in der Armee vorlegte und fast gleichzeitig die Englische Regierung ihr bereits erwähntes Weißbuch veröffentlichte. Angesichts dieser beiden Dokumente konnte die deutsche Staatsführung nicht anders handeln, als die vorerwähnten Maßnahmen zu ergreifen, wollte sie nicht zum Verräter am eigenen Volk werden.

Die Wirkung dieser Maßnahmen Deutschlands auf die Westmächte war eine verschiedene. Zwar protestierten auch England und Italien sofort gegen diese als eine angeblich einseitige Aufhebung internationaler Verträge, aber sie zerrissen keineswegs die Fäden für weitere Verhandlungen. Die englische Protestnote enthielt die ausdrückliche Anfrage, ob die Deutsche Regierung bereit sei, weitere Verhandlungen in der Art und dem Umfange, wie sie in dem Londoner Kommuniqué vorgesehen sei, zu führen, eine Anfrage, die der Angeklagte von Neurath sofort mit dem deutschen Kommuniqué vom 18. März 1935 – Dokumentenbuch 3, Nummer 98 – in bejahendem Sinne beantwortete. Und der damalige englische Außenminister Eden reiste Ende März 1935 nach Berlin zu Besprechungen über die Möglichkeiten einer Verständigung in der Flottenfrage. Ich verweise in diesem Zusammenhange besonders auf die Aussage des hier vernommenen Zeugen, Botschafter Dr. Dieckhoff. Nur Frankreich sah sich in konsequenter Durchführung seiner Einstellung zum Völkerbund und dessen alleiniger Legitimation zur kollektiven Lösung des Abrüstungs- und damit des Friedensproblems veranlaßt, unter dem 20. März 1935 die Maßnahmen Deutschlands dem Völkerbund zu unterbreiten und diesen zu der Feststellung eines Verstoßes Deutschlands gegen die allen Völkern obliegende Pflicht zur Einhaltung eingegangener Verpflichtungen zu veranlassen. Daß die Deutsche Regierung die in dieser Resolution des Völkerbundes liegende erneute Diskriminierung mit ihrer Note vom 20. April 1935 zurückwies, war selbstverständlich. Doch die deutsche Außenpolitik ließ sich auch durch diese Resolution nicht abhalten, sich weiter sehr aktiv um eine Verständigung mit den Westmächten zu bemühen, und ebensowenig hielt die an 2. Mai 1935 erfolgte Unterzeichnung des vorerwähnten französisch-russischen Beistandspaktes und des diesen ergänzenden russisch-tschechoslowakischen Beistandspaktes sie hiervon ab.

Am 21. Mai 1935 verkündete Hitler vor dem Deutschen Reichstag ein neues Friedensprogramm, in dem er sich unter stärkster Betonung seines und des deutschen Volkes unabänderlichen [299] Friedenswillens erneut und in weitgehendstem Maße bereit erklärte, sich an jedem System, auch kollektiver Zusammenarbeit, zur Sicherung des europäischen Friedens zu beteiligen und unter der Voraussetzung der Anerkennung der Gleichberechtigung Deutschlands wieder in den Völkerbund einzutreten, sowie in der Waffenrüstung der deutschen Wehrmacht alle jene Begrenzungen vorzunehmen, die von den übrigen Staaten ebenfalls übernommen würden. Diese Rede Hitlers und die gleichzeitig eingeleiteten diplomatischen Besprechungen mit anderen Mächten hatten zur verheißungsvollen Folge, daß zwischen England und Deutschland das bekannte Flottenabkommen vom 18. Juni 1935 abgeschlossen wurde, in dem ein festes Verhältnis der Stärken der beiden Flotten zueinander vereinbart wurde.

Dieses deutsch-englische Abkommen ist in doppelter Hinsicht von größter Bedeutung. Denn auf der einen Seite, vom diplomatischen Standpunkt aus, bedeutet es nicht mehr und nicht weniger als die faktische Anerkennung der deutschen Wehrhoheit durch England, eine Negierung der Völkerbundsresolution und damit des französischen Standpunktes, und die Billigung und Sanktionierung der vom Völkerbund als Vertragsverletzung gebrandmarkten Tat Deutschlands durch England. Zum ersten Male war damit die Gleichberechtigung Deutschlands nicht nur de jure, sondern auch de facto von einer der Westmächte, und zwar einer der wichtigsten, anerkannt worden. Auf der anderen Seite beweist es vom Standpunkt dieses Prozesses aus unwiderleglich die Unrichtigkeit der Behauptung der Anklage, daß in der Wiederaufrüstung Deutschlands eine die späteren Angriffskriege Hitlers vorbereitende Handlung zu erblicken sei. Dieses Flottenabkommen beweist im Gegenteil klar und eindeutig, daß die deutsche Außenpolitik zur damaligen Zeit, als sie noch unter der Leitung meines Klienten stand, keinerlei kriegerische Absichten oder gar Pläne hatte, daß die Rücknahme der Wehrhoheit unter keinen Umständen kriegerischen Absichten entsprang, sondern einen ausgesprochen defensiven und nur diesen Charakter trug. Welcher Staatsmann, der in seinem Busen kriegerische Absichten oder Pläne trägt, so frage ich, würde sich freiwillig einer Beschränkung seiner Rüstung und damit einer erfolgreichen Durchführung seiner Absichten und Pläne unterwerfen, noch dazu in einem Ausmaß, wie sie das Flottenabkommen vorsieht? Auch der Böswilligste kann nicht im Ernst behaupten, daß die in diesem Abkommen Deutschland erlaubte Stärke seiner Flotte zu einem Angriffskrieg auch nur im entferntesten ausreichte; das hat die Beweisaufnahme dieses Prozesses einwandfrei festgestellt. Der Möglichkeit der Schaffung einer zu einem Angriffskrieg genügend starken Flotte aber hatte sich Hitler durch dieses Abkommen selbst beraubt. Denn jede irgendwie nennenswerte Überschreitung der [300] vereinbarten Verhältnisse der beiderseitigen Flotten zueinander, die nach Lage der Dinge unter keinen Umständen und auf keine Weise hätte geheimgehalten werden können, hätte unweigerlich sofort England entweder zu einer entsprechenden Vermehrung seiner eigenen Flotte oder aber zu einer jederzeit in seiner Macht liegenden zwangsweisen Verhinderung dieses deutschen Vorhabens veranlaßt. Von welchem Gesichtspunkt aus immer man auch dieses Flottenabkommen betrachten will, an der Tatsache, daß es ein durch nichts zu erschütternder Beweis für die absolute Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit der wiederholten Erklärungen des deutschen Friedenswillens, ein unumstößlicher Beweis gegen das Vorhandensein jedweder, auch der geheimsten kriegerischen Absichten oder Pläne der deutschen Außenpolitik und damit ihres Leiters, des Angeklagten von Neurath, war und ist, ist nicht zu rütteln!

In Frankreich löste dieses deutsch-englische Flottenabkommen allgemein Widerspruch aus. Man sah in ihm ein eigenmächtiges Vorgehen Englands, ein Abgehen von der noch in der Resolution des Völkerbundes zum Ausdruck gekommenen gemeinsamen Linie, das die französischen Pläne stören mußte. So verhielt sich denn Frankreich zu den von England parallel zu den Verhandlungen über das Flottenabkommen eingeleiteten Verhandlungen über den Abschluß eines allgemeinen Luftpaktes sehr zögernd und ablehnend. Zu diesen Verhandlungen hatte ebenfalls die Rede Hitlers vom 21. Mai 1935 die Veranlassung gegeben. Denn Hitler hatte in dieser, zurückgreifend auf das Londoner Kommuniqué, die Hand auch zu einem Abkommen über die Begrenzung der Luftrüstung geboten. Und die Deutsche Regierung legte, indem sie auf die englische Anregung einging, unter dem 29. Mai 1935 selbst ein Projekt für einen solchen Luftpakt vor. Es bedurfte aber fast drei Monate langer Verhandlungen zwischen der Englischen und Französischen Regierung, bis es England gelang, Frankreich überhaupt zu einer Zustimmung zur Teilnahme an diesen Verhandlungen zu bewegen. Doch diese Zustimmung war in Wirklichkeit gar keine Zustimmung, denn sie war unter anderem an die Bedingung geknüpft, daß die Verwirklichung dieses Luftpaktes nur im gleichen Schritt mit den Verhandlungen über den Ost-Pakt erfolgen dürfe. Da aber dieser, wie bereits erwähnt, von Deutschland aus Gründen seiner Sicherheit seinerzeit abgelehnt werden mußte, war es klar, daß die französische Bedingung in Wahrheit erfolgreichen Verhandlungen von Anfang an den Weg versperrten. Und als auf dem am 25. Juli 1935 in Moskau unter der Ägide der Sowjetunion beginnenden Kominternkongreß klar und eindeutig zutage trat, daß das Ziel der Komintern die Weltrevolution war, wurde die ablehnende Haltung Deutschlands verständlicherweise nur noch verstärkt.

Es konnte nicht überraschen, daß der Angeklagte von Neurath am 16. September 1935 dem Englischen Botschafter mitteilte, daß [301] die deutsche Außenpolitik eine Antwort auf das Memorandum der Britischen Regierung vom 5. August 1935, das eine Beantwortung einer Reihe von mit dem Luftpakt kaum zusammenhängenden Fragen Frankreichs verlangte, nicht für opportun halte. Überdies hatte der italienisch-abessinische Konflikt bereits seine Schatten vorausgeworfen, wodurch allein schon die weiteren Verhandlungen über den Luftpakt suspendiert wurden. Denn wie sollte, worauf auch die deutsche Außenpolitik mit Recht hinwies, ein politisches Abkommen zwischen den fünf Mächten des Locarno-Vertrags möglich sein, wenn die Zusammenarbeit dieser Mächte in der Auflösung begriffen war, ja einzelne von ihnen sich in militärischer Bereitschaft gegenüberstanden. Am 7. September 1935 hatte bekanntlich die englische Heimatflotte sich nach dem Mittelmeer in Bewegung gesetzt, und Verhandlungen zwischen England und Frankreich über die Anwendung von Sanktionen gegen Italien waren in vollem Gange. Am 3. Oktober 1935 brach der Krieg zwischen Italien und Abessinien aus.

Der deutschen Außenpolitik gelang es, sich von den nun folgenden Ereignissen in Afrika und den Bemühungen der Mächte um die Anwendung von Sanktionen gegen Italien fernzuhalten. Und doch waren die Ereignisse in der Folge auch für die deutsche Außenpolitik von Bedeutung. Denn durch sie und vor allem die Frage der Sanktionen bereitete sich eine neue Konstellation der Mächte vor, die einerseits zu einem engeren Anschluß Englands an Frankreich und dem von diesem vertretenen Standpunkt führten, andererseits eine natürliche Annäherung des durch die Resolution des Völkerbundes vom 17. April 1935 neuerdings diffamierten Deutschlands und des durch die gegen es eingeleiteten Sanktionen diffamierten Italiens zur Folge hatte. Diese Sanktionen hatten aber auch gleichzeitig logischerweise eine Auflösung des Locarno-Vertrags im Gefolge, denn unmöglich konnte ein Vertrag noch als zu Recht bestehend angesehen werden, dessen einzelne Mitglieder sich derart feindlich gegenüberstanden, daß die Gefahr kriegerischer Aktionen jeden Augenblick gegeben war.

Die bereits mit ihrer Note vom 10. September 1935 einsetzenden Bemühungen der Französischen Regierung, England ebenfalls in das Netz seiner Bündnisse und deren Verpflichtungen einzubeziehen und zu verflechten, ließen deutlich die Tendenz der französischen Politik erkennen und mußten notwendigerweise die Überzeugung der deutschen Staatsmänner bestärken, daß Frankreich konsequent nur seine, als Bedrohung Deutschlands empfundene Einkreisungspolitik fortsetzte. Noch immer aber zögerte die deutsche Führung und der Angeklagte von Neurath, die letzten Konsequenzen hieraus zu ziehen und den für die primitivste Sicherheit Deutschlands unumgänglich notwendigen Schritt zu tun. Noch immer hoffte die [302] deutsche Außenpolitik in unerschütterlichem Friedenswillen und Verhandlungsbereitschaft auf ein Entgegenkommen, auf ein Einlenken Frankreichs, auf eine wirklich ehrliche und aufrichtige Verständigung mit Frankreich. Doch diese Hoffnung sollte sich alsbald als trügerisch erweisen.

Am 16. Januar 1936 kündigte der französische Außenminister Laval an, daß er nach seiner Rückkehr aus Genf Anfang Februar den Beistandspakt mit Rußland der französischen Kammer zur Ratifizierung vorlegen werde. Und etwa um die gleiche Zeit erfuhr der Angeklagte von Neurath zuverlässig, daß der französische Generalstab einen militärischen Angriffsplan gegen Deutschland ausgearbeitet hatte, der den Vormarsch französischer Armeen vom Rheinland aus entlang der Mainlinie vorsah, um über die Tschechoslowakei den russischen Armeen die Hand zu reichen. Damit war der offensive Charakter des französisch-russischen Paktes auch für den Gutgläubigsten eindeutig erwiesen. Ein Zweifel konnte um so weniger bestehen, wenn man auch die der Ratifizierung des Paktes außerhalb und innerhalb der französischen Kammer vorausgegangenen Verhandlungen in Betracht zog.

Denn auch in Frankreich selbst war der Widerstand gegen diesen Pakt gerade seines offensiven Charakters wegen nicht gering. Die französischen Frontkämpfer gingen in der Bekämpfung des Paktes voran. Die Union Nationale des Combattants erklärte in einer Resolution vom 8. Februar 1936, dieser Pakt schließe mehr Gewißheiten des Krieges als Möglichkeiten des Friedens in sich. Und die Rede des Abgeordneten Montigny in der französischen Kammer am 13. Februar 1936 war ein einziger flammender Protest. Sie ist in meinem Dokumentenbuch 4, Nummer 107 enthalten. Der Pakt reiße, so erklärte Montigny, die Kluft zwischen Frankreich und Deutschland noch mehr auf, Deutschland müsse mehr denn je den Eindruck der Einkreisung haben, wenn eine von Moskau abhängige Partei wie die kommunistische die Politik Delcassés, die Politik der Revanche und des ehemaligen russisch-französischen Bündnisses betreibe. Die größte Kriegsgefahr sei, wenn Frankreich den Eindruck erwecke, daß es unter dem verborgenen Protektorat Moskaus stehe. Und auch die deutsche Staatsführung machte noch einen letzten Versuch, Frankreich von einer Ratifizierung des Paktes abzuhalten. In dem von ihm dem Korrespondenten der französischen Zeitung »Paris Midi«, Bertrand de Jouvenel, am 21. Februar 1936 gewährten Interview – Dokumentenbuch 4, Nummer 108 – streckte Hitler noch einmal dem französischen Volk die Hand zur Verständigung zu dauerndem Frieden und Freundschaft hin:

»Ich will« – so erklärte Hitler wörtlich – »meinem Volk beweisen, daß der Begriff der Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland ein Unsinn ist,«

[303] und Hitler tat in diesem Interview auch den damals schon ebenso wie heute hier in diesem Saal ständig wiederholten Hinweis auf sein Buch »Mein Kampf« ein für allemal mit der Feststellung ab:

»Als ich dieses Buch schrieb, war ich im Gefängnis. Es war die Zeit, als die französischen Truppen das Ruhrgebiet besetzten, es war ein Augenblick größter Spannung.... Ja, wir waren Feinde, und ich stand zu meinem Lande, wie es sich gehörte, genau wie ich zu meinem Lande gegen das Ihre viereinhalb Jahre lang in den Schützengräben gestanden habe! Ich würde mich selbst verachten, wenn ich nicht im Augenblick eines Konfliktes zunächst einmal Deutscher wäre. Aber heute gibt es keinen Grund mehr für einen Konflikt.

Sie wollen, daß ich mein Buch korrigiere wie Schriftsteller,... Ich bin aber kein Schriftsteller. Ich bin Politiker. Meine Korrekturen nehme ich in meiner Außenpolitik vor, die auf Verständigung mit Frankreich abgestellt ist! Wenn mir die deutsch-französische Verständigung gelingt, so wird das eine Korrektur darstellen, die würdig ist.«

Aber in dem gleichen Interview wies Hitler auch mit aller Deutlichkeit auf die unvermeidlichen Folgen des französisch-russischen Paktes hin:

»Meine persönlichen Bemühungen für eine solche Verständigung« – erklärte er – »werden immer bestehen bleiben. Indessen würde sachlich dieser mehr als bedauerliche Pakt eine neue Lage schaffen. Sind Sie sich denn in Frankreich bewußt, was Sie tun? Sie lassen sich in das diplomatische Spiel einer Macht hineinziehen, die nichts anderes will, als die großen europäischen Völker in ein Durcheinander zu bringen, aus dem diese Macht allein den Vorteil zieht. Man darf diese Tatsache nicht aus den Augen verlieren, daß Sowjetrußland ein politischer Faktor ist, dem eine explosive revolutionäre Idee und eine gigantische Rüstung zur Verfügung stehen.«

Und er schloß dieses Interview mit der nochmaligen Betonung, daß Frankreich, wenn es nur wollte, für immer jener angeblichen deutschen Gefahr ein Ende bereiten könne, weil das deutsche Volk vollstes Vertrauen zu ihm, seinem Führer, habe, und er, dieser Führer, die Freundschaft mit Frankreich wünsche. Daß diese Erklärungen Hitlers ehrlich und aufrichtig gemeint waren, hat die Beweisaufnahme ergeben.

Doch es war alles umsonst. Die Französische Regierung ließ sich nicht mehr zu einem Aufgeben ihrer starren Haltung bewegen, und die französische Kammer votierte am 27. Februar 1936 für die Ratifizierung des Paktes trotz aller Warnung.

[304] Die Würfel waren gefallen. Am 7. März 1936 rückten deutsche Truppen wieder in ihre alten Garnisonen der bisher entmilitarisierten Zone des Rheinlandes ein, das Deutsche Reich hatte seine volle Souveränität über das gesamte Reichsgebiet wieder gewonnen, die letzte der sie einschränkenden Bestimmungen des Versailler Vertrags war gefallen.

In dieser Wiederherstellung der vollen Souveränität des Reiches über das Rheinland lag aber ein Moment, das vom Standpunkt der Existenz des deutschen Staates und Volkes ihre politische und prestigemäßige Bedeutung weit überragte, und auch der alleinige und darum um so zwingendere Grund und Anlaß für den schwerwiegenden Entschluß der deutschen Staatsführung war. Das war das Moment der Sicherheit des Reiches. Solange das Rheinland entmilitarisiert war, lag eine der wertvollsten und wichtigsten Provinzen des Reiches nicht nur, sondern das Reich selbst und vor allem seine Kraftquelle, das Ruhrgebiet, schutzlos vor einem militärischen Angriff vom Westen her da. Der einzige Schutz Deutschlands gegen die in dieser Tatsache liegende latente furchtbare Gefahr bestand in dem von ihm im Jahre 1925 abgeschlossenen Locarno-Vertrag mit der in diesem verankerten Garantie Englands und Italiens, in dem sich Frankreich und Belgien einerseits und Deutschland andererseits verpflichteten, nicht gegeneinander zum Kriege zu schreiten. Es war also für das Deutsche Reich, wenn es weiterhin die Verwundbarkeit seiner Westgrenze in Form eines entmilitarisierten Rheinlandes hinnehmen wollte, eine Angelegenheit von Leben und Tod, daß der Schutz, den ihm dieser Vertrag gewährte, nicht verfälscht würde. Eine solche Verfälschung seines Sinnes und innersten Wesens des in ihm liegenden Schutzes Deutschlands trat aber in dem Augenblick ein, in dem sich die zur Zeit des Abschlusses des Vertrags vorhanden gewesenen politischen Verhältnisse und Konstellationen grundlegend veränderten.

Als der Locarno-Vertrag abgeschlossen wurde, wurden die politischen Verhältnisse Europas und damit auch Deutschlands allein von dem Zusammenspiel der vier Mächte: England, Frankreich, Italien und Deutschland beherrscht und bestimmt, und infolgedessen konnten die Männer, die den Locarno-Vertrag für Deutschland abschlossen, mit Recht auf die Vertragstreue Frankreichs und Belgiens als einen genügenden Schutz vertrauen. Diese Voraussetzung aber entfiel, und damit mußte sich der Sinn und das Wesen dieses Vertrags und des in ihm liegenden Schutzes Deutschlands ändern beziehungsweise verfälschen, als Frankreich durch den Abschluß seines Beistandspaktes mit Rußland dieses politische Verhältnis Europas grundlegend veränderte und dadurch eine Situation schuf, die den mit dem Locarno-Vertrag verfolgten Sinn und Zweck, den in ihm liegenden Schutz Deutschlands gegen die in [305] der Entmilitarisierung des Rheinlandes liegende ständige Gefahr illusorisch machte.

Die politische Konstellation Europas war durch diesen Pakt, durch den Einfluß der größten, zudem damals offen revolutionären Charakter tragenden Militärmacht der Welt in das politische Spiel eine völlig andere, ja entgegengesetzte geworden. Der Pakt eröffnete angesichts der ungeklärten, mit Konfliktstoff reichlich geladenen Lage im Osten ohne weiteres die Möglichkeit, daß Frankreich durch seine Verpflichtungen gegenüber Rußland in einen Krieg gegen das in einen östlichen Konflikt verwickelte Deutsche Reich hineingezogen und dieses angreifen würde. Es war, wie man ohne weiteres zugeben muß, keineswegs sicher, jedenfalls sehr problematisch, ob unter diesen Umständen die Garantiemächte England und Italien den Garantiefall für gegeben halten und ihrer seits Deutschland aktiv gegen den französischen Angriff Beistand leisten, es nicht vielmehr vorziehen würden, sich neutral zu verhalten. Daß diese Möglichkeit auch von der rechtlichen Seite des Paktes durchaus bestand, war bereits in der deutschen Note vom 25. Mai 1935 über den französisch-russischen Pakt-Dokumentenbuchs, Nummer 105- gezeigt worden und wurde in dem deutschen Memorandum an die Signatarmächte des Locarno-Vertrags vom 7. März 1936 – Dokumentenbuch 4, Nummer 109 – nochmals betont.

Diese Möglichkeit, diese Gefahr war durch die Ereignisse bis zur Ratifizierung des französisch-russischen Paktes durch die französische Kammer und durch diese selbst, wie ich Ihnen geschildert habe, nur noch größer und imminenter geworden. Es war daher ein Gebot, ein selbstverständlicher Akt der Notwehr und der Selbsterhaltung, wenn die deutsche Staatsführung in der Erkenntnis dieser ungeheueren Gefahr diejenigen Schritte tat, die das Mindestmaß dessen darstellten, was zur Begegnung dieser Gefahr erforderlich erschien, nämlich im Jahre 1935 die Wehrhoheit des Reiches wieder herzustellen und ein Jahr später die entmilitarisierte Zone, das gegebene Aufmarschgebiet französischer Armeen wieder zu besetzen und damit die Verteidigungslinie gegen einen Angriff vom Westen an die Grenze des Reiches vorzuverlegen.

Die oberste, über allem anderen stehende Pflicht jeder Staatsführung, jedes verantwortlichen Staatsmannes war, ist und wird immer bleiben bei aller Respektierung der Rechte und berechtigten Interessen anderer Völker die Erhaltung und Sicherung der Existenz und des Lebens des eigenen Staates und Volkes. Ein Staatsmann, der diese Pflicht verabsäumt, versündigt sich an seinem Volk. Die Rücknahme der Wehrhoheit, die Wiederaufrüstung und die Wiederbesetzung des Rheinlandes waren die selbstverständliche Reaktion, die pflichtgemäße Antwort der deutschen Staatsmänner und damit auch des Angeklagten von Neurath auf die Politik der Französischen [306] Regierung, in der sie nach allem Vorangegangenen eine Bedrohung Deutschlands erkennen mußten und erkannt hatten.

Nichts liegt mir ferner, das möchte ich aber hier mit allem Nachdruck feststellen, als durch meine vorstehenden Darlegungen etwa der französischen Staatsführung wegen der von ihr verfolgten Politik, wie ich sie hier geschildert habe, einen moralischen oder sonstigen Vorwurf machen zu wollen. Ich bin vielmehr mit dem Angeklagten von Neurath durchaus der Überzeugung, und erkenne dies restlos an, daß die französische Politik nur von den Interessen Frankreichs diktiert war und die französischen Staatsmänner sicherlich nur das von ihnen vom französischen Standpunkt aus als richtig Erkannte getan haben. Und wenn sie dabei von einer nach deutscher Überzeugung unrichtigen Prämisse ausgegangen sind, der Prämisse nämlich, daß ein wiedererstarktes Deutschland eine Gefahr und eine Bedrohung für Frankreich bedeute, das deutsche Volk von altersher dem französischen Volk in blindwütigem Haß und Feindschaft gegenüberstände und nur von Angriffswut und Rachegelüsten beseelt sei, so können mein Klient und ich das nur ehrlich bedauern, aber nicht verurteilen. Aber auf der anderen Seite muß auch ich für die deutschen Staatsmänner, für den Angeklagten von Neurath, das Recht in Anspruch nehmen, daß auch ihre Taten und Handlungen nach ihren Gründen, nach ihrer Zwangsläufigkeit und aus den gegebenen Verhältnissen der Zeit vom Standpunkt der deutschen Interessen aus beurteilt werden und ihnen nicht an sich schon mehr als unwahrscheinliche Motive untergeschoben werden, die ihnen absolut fern lagen.

Politik, Diplomatie ist lebendig gewordene Geschichte. Wie der gesamte Kosmos, wie alles was in ihm lebt und webt, so ist auch diese lebendige Geschichte einem unabänderlichen Grundgesetz unterworfen, dem Gesetz der Kausalität. Und ich glaube, Ihnen, meine Herren Richter, durch meine Darlegungen einwandfrei den Beweis erbracht zu haben, daß sich die beiden, dem Angeklagten von der Anklage vor allem als kriegsvorbereitende Vertragsbrüche zum Vorwurf gemachten Handlungen, die Rücknahme der Wehrhoheit des Reiches und die Remilitarisierung des Rheinlandes mit unentrinnbarer Logik und Folgerichtigkeit aus dem ganzen Geschehen, der ganzen politischen Entwicklung während der Jahre der Tätigkeit meines Klienten als Außenminister als Folge der Politik der Westmächte ergeben mußten, daß sie weder von ihm noch von Hitler bewußt, absichtlich und planmäßig herbeigeführt worden sind, sondern die unausbleibliche Folge der französischen Politik waren, Sie können daher als solche nicht nur nicht, wie die Anklage mit ihrer retrospektiven Betrachtung der Dinge behauptet, einen aggressiven oder gar kriegsvorbereitenden Charakter oder Tendenz haben, sondern tragen im Gegenteil, als nur der Verteidigung gegen einen möglichen Angriff dienend und nur zu dessen [307] Abwehr bestimmt, einen ausgesprochenen defensiven, also friedlichen Charakter. Daß daneben für ihre Beurteilung als Vorbereitung eines künftigen Angriffskrieges Deutschlands kein Raum ist, brauche ich wohl nicht erst zu betonen. Die Behauptung der Anklage beweist nur die völlige Ungeeignetheit, die ganze Absurdität einer retrospektiven Beurteilung und Schlußfolgerung einzelner, ohne jeden Zusammenhang herausgerissener und abrupt nebeneinandergestellter geschichtlicher Handlungen und Ereignisse. Mit der Erforschung der geschichtlichen Wahrheit, die doch die erste Voraussetzung und Pflicht dieses Hohen Gerichts für seine Urteilsbildung nicht nur, sondern auch für seine Aufgabe, einem neuen, von ethischen Grundsätzen beherrschten Völkerrecht die Bahnen zu weisen, hat eine solche Betrachtungsweise nicht das geringste zu tun.

Aber auch die Beurteilung der beiden dem Angeklagten zum Vorwurf gemachten Schritte als Bruch internationaler Verträge erweist sich bei näherer Betrachtung aus dem Zusammenhang nicht als stichhaltig. Denn sowohl der Versailler Vertrag wie auch der Locarno-Vertrag hatten nicht nur im Wandel der Zeiten und der Ereignisse ihren Sinn und damit ihre innere Berechtigung verloren, sie waren beide gerade durch die französische Politik längst gebrochen und damit de jure annulliert – der Versailler Vertrag durch die beharrliche Weigerung der Frankreich ebenso wie den übrigen Vertragsstaaten auferlegten Verpflichtungen zur Abrüstung als Gegenleistung für die Abrüstung Deutschlands; der Locarno-Vertrag durch den Abschluß des mit ihm unvereinbaren Paktes mit Rußland. Die Geschichte war wie so oft schon auch über sie hinweggegangen und hatte damit die Anwendung des Satzes »pacta servanda sunt« in dem starren von Frankreich Deutschland gegenüber vertretenen Sinne ad absurdum geführt. Daran vermag auch die von Frankreich beantragte und bei seiner Beherrschung des Völkerbundes nicht verwunderliche Resolution des letzteren vom 19. März 1936, in der dieser befindet, daß Deutschland sich durch die Wiederbesetzung des Rheinlandes eines Bruches des Artikels 43 des Versailler Vertrags schuldig gemacht habe, nichts zu ändern. Auch über diese ist die Geschichte hinweggegangen.

Auf diese Resolution und die ihr vorausgegangenen und nachfolgenden Erklärungen und Verhandlungen zwischen den beteiligten Staaten glaube ich nicht mehr eingehen zu müssen; denn diese sind allmählich im Laufe der Ereignisse im Sande verlaufen, Europa hat sich schließlich mit den vollendeten Tatsachen abgefunden.

Und selbst wenn man die Richtigkeit dieser Resolution unterstellen will: Nach dem Statut dieses Hohen Gerichts ist der Bruch eines internationalen Vertrags nur dann strafbar, wenn er der Vorbereitung eines Angriffskrieges dient. Und im Laufe der Verhandlungen hier hat einer der Herren amerikanischen Anklagevertreter ausdrücklich erklärt, daß es etwas durchaus Berechtigtes und [308] Legales sei, mit friedlichen Mitteln die Aufhebung oder Abänderung von Verträgen zu erreichen. Nichts anderes aber hat die deutsche Außenpolitik getan. Die ganze militärische Aktion der Wiederbesetzung des Rheinlandes war angesichts der geringen dazu verwendeten Truppenmenge von nur einer Division und ohne Einsatz der Luftwaffe in Wahrheit nur ein symbolischer Akt für die Wiederherstellung der Souveränität des Reiches, was schon dadurch bewiesen wird, daß die deutsche Staatsführung bereits am 12. März 1936 in der in meinem Dokumentenbuch 4, Nummer 113 enthaltenen Erklärung des Deutschen Botschafters in London den Vorschlag machte, im Falle der Gegenseitigkeit auf eine Vermehrung der Truppen und deren nähere Heranführung an die Grenze verzichten zu wollen. Der Vorschlag wurde von Frankreich abgelehnt. Die deutsche Politik hat durchaus und in jeder Hinsicht die von ihr seit langen Jahren konsequent vertretene Linie ihrer Friedenspolitik innegehalten und in Wirklichkeit nur dem Frieden und seiner Erhaltung in Europa dienen wollen und gedient. Beide Schritte, die Rücknahme der Wehrhoheit sowohl wie die Wiederbesetzung des Rheinlandes, waren, wie ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen möchte, nichts anderes als der sichtbare Ausdruck und Ausfluß der vollen und uneingeschränkten Souveränität des Reiches. Diese aber war ihrerseits bereits durch die Anerkennung der Gleichberechtigung Deutschlands durch das schon oft erwähnte Fünfmächte-Abkommen vom 11. Dezember 1932 von den Westmächten anerkannt worden. Es gibt wohl kaum einen schlagenderen Beweis für die Friedensliebe und die absolute Friedenspolitik des Angeklagten von Neurath als die Tatsache, daß er mit der Verwirklichung dieser Anerkennung im Interesse der Vermeidung von bei der französischen Politik auf Grund ihres früheren Verhaltens immerhin als möglich anzusehenden Verwicklungen, Jahre hindurch gewartet hatte, bis zu dem Augenblick, als diese infolge veränderter Machtverhältnisse ein unleugbares Gebot der Sicherheit des Reiches, ein Gebot der Notwehr war. Und die deutsche Außenpolitik hat diese ihre friedliche Tendenz unverändert auch nach und trotz dieser Resolution praktisch weiter verfolgt. In der deutschen Denkschrift vom 31. März 1936 – Dokumentenbuch 4, Nummer 116 – hat die deutsche Außenpolitik namens der Reichsregierung den Mächten nochmals einen neuen großen Friedensplan für ein Vierteljahrhundert Frieden in Europa vorgelegt, mit dem sie, wie es zum Schluß heißt, einen Beitrag zum Aufbau eines neuen Europas auf der Basis gegenseitiger Achtung geben wollte. Sie hat damit ihren unabänderlichen Friedenswillen erneut klar und eindeutig unter Beweis gestellt. Daß auch dieser deutsche Friedensplan, dessen vollkommene Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit durch die eidliche Bekundung des Angeklagten erhärtet ist, nicht zum Erfolg, nicht zum [309] Aufbau eines neuen befriedeten Europas geführt hat, war nicht Deutschlands Schuld.

Und diese gleichen friedlichen Tendenzen und Absichten beherrschten trotz aller bisherigen Enttäuschungen auch weiterhin die Politik des Angeklagten während der Jahre 1936 und 1937. Ihnen entsprach vor allem auch der am 11. Juli 1936 auf Grund der von dem Angeklagten von Papen seit längerem geführten Verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich zustande gekommene Vertrag. Wie nicht nur durch die eigene Aussage des Angeklagten, sondern auch durch die Aussagen der Zeugen Köpke und Dieckhoff einwandfrei bewiesen ist, war der von dem Angeklagten von Anfang an unverändert eingenommene und vertretene Standpunkt in der österreichischen Frage der, daß zwar ein engeres Zusammengehen zwischen den beiden Ländern sowohl auf politischem wie vor allem auch auf wirtschaftlichem Gebiet angestrebt werden, daß aber die Selbständigkeit Österreichs unbedingt respektiert und unangetastet bleiben müsse. Deshalb war der Angeklagte auch ein ausgesprochen scharfer Gegner jedweder Einmischungsversuche Deutschlands in die innere Politik Österreichs und der Versuche der Partei, die österreichischen Nationalsozialisten in ihrem Kampf gegen die österreichischen Regierungen Dollfuß und Schuschnigg zu unterstützen, und er hat gerade gegen solche immer wieder und nicht ohne Erfolg bei Hitler protestiert. Daß er, dieser christlich gesinnte, ehrenhafte Mann, die Ermordung Dollfuß in tiefster Seele verabscheute und verurteilte, brauche ich nicht erst zu betonen. Gerade von seinem Standpunkt aus begrüßte er daher den Vertrag vom 11. Juli 1936 – entsprach dieser doch durchaus seinen eigenen Ansichten. Schon das allein widerlegt die Behauptung der Anklage, daß dieser Vertrag in betrügerischer Absicht, das heißt in der Absicht geschlossen sei, die österreichische Regierung in Sicherheit zu wiegen und damit eine schon damals vorhanden gewesene Absicht, Österreich mit Gewalt dem Deutschen Reich einzugliedern, vorzubereiten und in der Zukunft zu erleichtern. Die absolute Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit des Angeklagten bei Abschluß dieses Vertrags wird auch durch die eidlichen Aussagen des damaligen österreichischen Außenministers Dr. Guido Schmidt bestätigt. Und daß der Angeklagte von Neurath auch keinerlei Anlaß hatte, an der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit Hitlers hinsichtlich dieses Vertrags zu zweifeln, ergibt sich unwiderleglich aus den von dem Zeugen Köpke bekundeten Erklärungen Hitlers gegenüber dem englischen Außenminister Simon bei dessen Besuch in Berlin im März 1935, in Verbindung mit der Tatsache, daß Hitler unmittelbar nach Abschluß des Vertrags den Führern der österreichischen Nationalsozialisten Rainer und Globocznik, wie aus der Aussage des Angeklagten hervorgeht, die strikte Innehaltung des Vertrags durch [310] die österreichischen Nazis zur Pflicht gemacht hat. Und so erblickte er daher von seinem Standpunkte aus in diesem Vertrage auch einen Schritt weiter auf dem Wege zu einer Befriedung Europas, indem durch die in ihm ausgesprochene Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs der in dem österreichischen Problem liegende europäische Gefahrenherd beseitigt wurde.

In gleicher Weise hat der Angeklagte an einer Verbesserung der Beziehungen Deutschlands zur Tschechoslowakischen Republik gearbeitet, denn nur diesem Ziele dienten seine vielfachen Hinweise gegenüber dem Tschechoslowakischen Gesandten Dr. Mastny, daß die Tschechoslowakische Regierung endlich den damals noch sehr gemäßigten Forderungen der Sudetendeutschen, die auf einem bereits in Versailles von der Tschechoslowakischen Regierung diesbezüglich gegebenen, aber von ihr nicht eingehaltenen Versprechen beruhten, entgegenkommen müsse.

Nichts aber lag dem Angeklagten in beiden Fragen, der österreichischen wie der tschechoslowakischen, ferner als der Gedanke an eine gewaltsame Lösung derselben, wie sie Hitler später nach seinem Abgang als Außenminister für richtig befunden hat.

Und ebensowenig dienten seine Bemühungen, die Beziehungen des Reiches zu den europäischen Südoststaaten zu verbessern und enger zu gestalten, irgendwelchen gewalttätigen Absichten oder gar Plänen, mit Hilfe dieser Staaten die Tschechoslowakei aufzuteilen. Wenn in dem Affidavit Messersmith behauptet wird, daß Deutschland zu diesem Zweck den Südoststaaten, ja sogar Polen Teile der Tschechoslowakei und selbst Österreichs versprochen habe, so sind dies absolute Hirngespinste, an denen kein wahres Wort ist. Was von diesen Behauptungen zu halten ist, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß von der Anklagebehörde nicht ein einziger ihre Richtigkeit bestätigender oder auch nur andeutender Bericht eines der in den betreffenden Staaten akkreditierten Diplomaten der Westmächte vorgelegt werden konnte. Sollte nur Herr Messersmith so tüchtig gewesen sein, von solchen Plänen zu erfahren? In Wirklichkeit dienten die Bemühungen des Angeklagten und seine Reise nach Budapest, Belgrad und Sofia ausschließlich friedlichen Zwecken, nämlich dem Austausch und der Vertiefung der Handelsbeziehungen Deutschlands zu diesen Staaten, ein Bestreben, das, wie aus der Aussage des Zeugen Köpke hervorgeht, dem Angeklagten besonders am Herzen gelegen und seine Politik mit beeinflußt hat.

Wie fern ihm jede Politik lag, die ihm auch nur im entferntesten nicht mit seiner Politik des Friedens und der Völkerversöhnung im Einklang zu stehen schien, wird wohl am deutlichsten durch die Tatsache bewiesen, daß er die von dem Angeklagten von Ribbentrop ohne sein Zutun und völlig unabhängig von ihm auf direkte [311] Weisungen Hitlers in London angeknüpften und geführten Verhandlungen mit Japan und den schließlich mit diesem geschlossenen Antikominternpakt ablehnte und dies damit zum deutlichen Ausdruck brachte, daß er sich weigerte, diesen Pakt zu unterschreiben. Dieser wurde bekanntlich, etwas ganz Ungewöhnliches, von Herrn von Ribbentrop als Botschafter unterschrieben. Schärfer konnte wohl kaum die Ablehnung des Angeklagten dieser Art Politik zum Ausdruck gebracht werden.

Dieser seiner konsequenten Friedenspolitik ist der Angeklagte von Neurath bis zum letzten Moment unwandelbar treu geblieben, trotz der sich in den letzten Jahren seiner Amtstätigkeit bemerkbar machenden Einflüsse anderer Kreise, vor allein aus der Partei, auf Hitler. Bis zum letzten Augenblick hoffte er, diesen Einflüssen erfolgreich gegenüberzutreten, sie auszuschalten und die Politik des Reiches weiterhin in friedlichen Bahnen halten zu können, getreu seinen eigenen Überzeugungen und seinem Hindenburg gegebenen Versprechen. Als er aber dann am 5. November 1937 aus der Ansprache Hitlers und seiner folgenden Unterredung über diese mit Hitler im Jahre 1938 erkennen zu müssen glaubte, daß sein Einfluß auf Hitler geschwunden war, daß Hitler auch vor gewalttätigen, kriegerischen Maßnahmen nicht mehr zurückscheuen würde, zog er sofort die Konsequenz und erbat und erhielt seinen Abschied. Seine ihm von Hindenburg übertragene Aufgabe war unerfüllbar geworden. Mit einer auch vor kriegerischen Maßnahmen nicht zurückschreckenden Politik wollte und konnte er nichts zu tun haben. Eine solche mit seinem Namen zu decken, war für ihn völlig ausgeschlossen, dies zu tun wäre die Negierung seines ganzen Lebenswerkes gewesen, er wäre vor sich selbst, vor seinem Volk zum Verräter geworden.

Aber dies schloß für den Angeklagten, dem das Wohl und Wehe seines Volkes über allem, auch über allen persönlichen Interessen und Wünschen stand, nicht aus, daß er sich, wenn es sein mußte, wieder zur Verfügung stellte, wenn er glaubte, Deutschland vor kriegerischen Verwicklungen bewahren zu können, deren Gefahr durch die nunmehr andere Bahnen wandelnde Politik Hitlers heraufbeschworen wurde. Und so ist es aus dieser seiner Einstellung nur allzu verständlich, daß er, als Hitler am 11. März 1938 ihn zu sich rief, um ihm den Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich mitzuteilen und ihn im Hinblick auf die Abwesenheit des Reichsaußenministers von Ribbentrop in London um seinen Rat und die Beantwortung des Protestschreibens der Englischen Botschaft bat, sich hierzu bereit erklärte. Wenn ihm nun aber von der Anklage vorgeworfen wird, daß der Inhalt dieses Antwortschreibens in tatsächlicher Hinsicht unrichtig gewesen sei, so muß demgegenüber auf folgendes hingewiesen werden: Der Angeklagte hat in[312] dieser Antwort lediglich das wiedergegeben, was Hitler ihm selbst über die Vorgänge erzählt hat. Dem Angeklagten selbst waren, da er seit seinem Abschied als Außenminister keinerlei politische Informationen mehr erhielt, die tatsächlichen Geschehnisse ebensowenig bekannt wie der ganzen übrigen Welt. Die Mitteilungen Hitlers über den Einmarsch der deutschen Truppen überraschten ihn ebensosehr wie alle anderen und wie der Befehl dazu selbst auch die obersten Führer der deutschen Wehrmacht überrascht hatte, wie dies Henderson in seinem bekannten Buch selbst zugibt mit dem Hinzufügen, daß der Entschluß Hitlers zum Einmarsch erst wenige Tage vorher gefaßt sein könne. Die Richtigkeit der ihm von Hitler gegebenen Schilderung der vorausgegangenen Ereignisse also anzuzweifeln, lag um so weniger Veranlassung vor, als sie in Gegenwart Görings und unwidersprochen von diesem gegeben wurde. Es kam ihm bei seinem wahrhaftigen und lauteren Charakter und angesichts seiner ganzen früheren amtlichen Tätigkeit unter sauberen und ehrlichen Regierungen gar nicht der Gedanke, daß der Staatschef Hitler ihn anlügen und ihm in einem so wichtigen Augenblick Informationen für die Beantwortung des britischen Protestes geben könnte, deren Unrichtigkeit sich binnen kürzester Frist unweigerlich ergeben müßte. Und bei wem hätte er sich denn auch erkundigen sollen? Wirklich Bescheid wußten doch außer Göring nur noch ganz wenige Männer, an die er sich schon deshalb nicht wenden konnte, weil sie gar nicht in Berlin waren. Göring hatte der Schilderung Hitlers nicht widersprochen. Er hat ja auch, worauf ich besonders hinweisen möchte, die auf Grund dieser Schilderung Hitlers von ihm veranlaßte Antwort, zu der er auch nicht Briefpapier des Außenministeriums verwendete, nicht im eigenen Namen, auch nicht als Vertreter des abwesenden Außenministers unterschrieben, sondern, wie der Wortlaut ergibt, die Schilderung der Vorgänge im Auftrage der Reichsregierung weitergegeben. Die Reichsregierung aber war Hitler beziehungsweise an diesem Tage Göring. Er brachte damit eindeutig zum Ausdruck, daß er nicht im eigenen Namen unter eigener Verantwortung schrieb, sondern lediglich, ähnlich wie ein Anwalt, nur die Mitteilungen eines Dritten, eben Hitlers, weitergab. Es kann ihm wirklich kein Vorwurf gemacht werden, daß er ihre tatsächliche Richtigkeit nicht in Zweifel zog und die amtliche Schilderung des Staatsoberhauptes, das Hitler ja nun einmal war, nicht nachprüfte, ganz abgesehen davon, daß er hierzu auch gar nicht in der Lage war.

Ebensowenig kann ihm aus der dem Tschechoslowakischen Gesandten Dr. Mastny gegenüber kurze Zeit später abgegebenen Erklärung ein Vorwurf gemacht werden. Ganz abgesehen davon, daß nach der eidlichen Aussage des Angeklagten sich diese Unterredung doch etwas anders abgespielt hat, wie sie der Gesandte [313] Dr. Mastny in seinem offenbar auf größeren Nachdruck und Wirkung abzielenden Bericht dargestellt hat, ergibt sich aus dem vorletzten Absatz dieses Berichts – Dokumentenbuch 5, Nummer 141 – eindeutig, daß auch Mastny die Erklärung des Angeklagten, Hitler beabsichtige nicht, die Tschechoslowakei anzugreifen und halte sich an den Schiedsvertrag mit dieser nach wie vor gebunden, nicht etwa als für alle Zukunft, sondern nur für die allernächste Zeit, nämlich für den Ablauf der Aktion gegen Österreich gemeint, angesehen und aufgefaßt hat. Und an der Richtigkeit dieser Erklärung, das heißt daran, daß sie tatsächlich dem damaligen Willen Hitlers entsprach, zu zweifeln, lag schon angesichts der hier von dem Angeklagten Jodl bestätigten mangelhaften Bereitschaft der deutschen Wehrmacht zu einem Kriege nicht die geringste Veranlassung vor, trotz des Hinweises der Anklage auf die Erklärungen Hitlers in seiner Ansprache vom 5. November 1937 bezüglich der Eroberung Österreichs und der Tschechoslowakei. Denn diese bezogen sich nur auf den Fall eines Krieges mit anderen Staaten und auf eine viel spätere Zeit. Auch hier gehen also die dem Angeklagten von der Anklage gemachten Vorwürfe fehl. Daß Hitler bereits wenige Monate nach seiner Ansprache vom 5. November 1937 sich entschloß, Österreich dem Deutschen Reich einzugliedern, kam allen, auch seinen engsten Mitarbeitern überraschend, war aber, abgesehen von der Entwicklung der Verhältnisse in Österreich, sehr wahrscheinlich nicht zum wenigsten durch die Unterredungen mit Lord Halifax, dem damaligen Lordpräsidenten des Rates, mit Hitler und dem Angeklagten noch im November, Dezember 1937 veranlaßt, in der, wie der Angeklagte eidlich bekundet hat, Lord Halifax erklärt hat, daß das englische Volk es nicht verstehen würde, warum es in einen Krieg gehen sollte, weil zwei deutsche Länder sich vereinigten.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 19, S. 285-315.
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