[317] VORSITZENDER: Sir David! Sie wollten sich mit den Anträgen beschäftigen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Herr Vorsitzender.
Darf ich vielleicht für den Augenblick den ersten Antrag auslassen, weil sich mein Freund, General Rudenko, mit ihm beschäftigen wird, und mich gleich den anderen zuwenden?
VORSITZENDER: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der zweite Antrag ist für den Angeklagten Kaltenbrunner. Es ist ein Antrag, drei Zeugen im Kreuzverhör zu vernehmen, deren Affidavits von der Anklagebehörde verwendet wurden. Der erste Zeuge ist Tiefenbacher, der sich mit den Verhältnissen in Mauthausen beschäftigt hat. Der zweite, Kandruth, hat sich mit dem gleichen Gegenstand beschäftigt. Der dritte, Stroop, sagt über Befehle aus, die er als SS- und Polizeiführer in Warschau von dem Angeklagten Kaltenbrunner erhielt. Die Anklagebehörde ist der Ansicht, daß in diesen Fällen ein Kreuzverhör durch Fragebogen genügt. Sodann, weiß ich nicht...
VORSITZENDER: Es sind doch sicherlich für alle drei Fälle nur Fragebogen beantragt worden?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir erheben keine Einwendungen gegen Fragebogen, solange diese Zeugen nicht hierher gebracht werden.
Herr Vorsitzender! Der nächste Antrag ist für den Angeklagten von Neurath gestellt worden, nämlich Herrn François-Poncet als Zeugen zu laden. Die Anklagebehörde wäre dankbar, wenn diese Entscheidung noch um ein bis zwei Tage verschoben würde, da meine französischen Kollegen augenblicklich Anweisungen von Paris erwarten und noch keine Antwort erhalten haben. Ich glaube nicht, daß dies dem Fall des Angeklagten von Neurath einen Abbruch tun würde.
Sodann, Herr Vorsitzender, habe ich als nächsten Antrag den für den Angeklagten von Schirach. Ich glaube, es wird jetzt nur gewünscht, ein Affidavit von Dr. Otto Wilhelm von Vacano einführen zu dürfen. Das Affidavit ist zwölf Seiten lang und enthält rein akademische Ausführungen über die pädagogischen Anschauungen, die den Adolf-Hitler-Schulen zugrunde lagen. Die Anklagebehörde ist der Ansicht, daß dieser Gegenstand vom Angeklagten von Schirach selbst, sowie von seinen Zeugen Höpken und Lauterbacher ausführlich behandelt worden ist und findet, daß dieses Affidavit kumulativ und wiederholend ist. Es ist natürlich nur ein Affidavit, es handelt sich nicht um eine Zeugenvernehmung. Wenn also der Gerichtshof der Ansicht ist, daß es benötigt wird, so will die Anklagebehörde nicht allzu sehr auf ihrem Einwand bestehen.
[317] VORSITZENDER: Ist das Affidavit bereits übersetzt worden?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, gewiß, ich habe es auf englisch. Ich habe die englische Übersetzung gelesen und nehme daher an, daß es auch in die anderen Sprachen übersetzt worden ist.
Sodann habe ich, Herr Vorsitzender, die Anträge der Angeklagten Heß und Frank, an General Donovan einen Fragebogen zu senden. Ich kann meine Einwendung kurz fassen. Es ist das dieselbe Frage wie damals bei dem Antrag vom 2. Mai 1946 bezüglich des Herrn Patterson vom amerikanischen Kriegsministerium. Die Einwendung der Anklagebehörde ist die gleiche wie die, die ich bei jener Gelegenheit erhoben habe, nämlich: wenn man einen Zeugen hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit verhört, so ist man durch seine Antwort gebunden und darf nach Ansicht der Anklagebehörde kein Beweismaterial einführen, das das Gegenteil dieser Aussage dartun soll. Es dreht sich also um den gleichen Punkt, um die Beziehungen zwischen dem Zeugen Gisevius und dem Office of Strategic Services der Vereinigten Staaten.
Der nächste Antrag ist der des Angeklagten Speer auf Genehmigung gewisser Dokumente, die sich in seinem Besitz befinden. Die Anklagebehörde erhebt gegen diesen Antrag keinen Einspruch. Sie behält sich jedoch das Recht vor, jeden erheblichen Einspruch geltend zu machen, wenn die Dokumente im Prozeß vorgelegt werden.
Herr Vorsitzender! Sodann ein rein formeller Antrag für den Angeklagten Jodl, dessen Fall soeben im Gerichtshof behandelt wird, ein Affidavit von Dr. Lehmann benutzen zu dürfen. Wir erheben dagegen keinen Einspruch.
Sodann ein Antrag für den Angeklagten Heß...
VORSITZENDER: Sir David! Wir haben diesen Antrag bereits gehört. Wir haben darüber alle Argumente ausführlich gehört, und der Gerichtshof wird sie prüfen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie Euer Lordschaft wünschen.
Dann bleibt nur noch ein Antrag des Angeklagten Keitel übrig, eine Verordnung Hitlers vom 20. Juli 1944 einführen zu dürfen. Die Anklagebehörde erhebt dagegen keinen Einspruch.
Herr Vorsitzender! Ich glaube, ich habe über alle Anträge gesprochen mit Ausnahme des ersten, des Antrages des Angeklagten Göring, mit dem sich mein Freund, General Rudenko, befassen wird.
GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Hoher Gerichtshof! Die Sowjetische Anklagebehörde hat sich bereits mehrere Male zu den Anträgen der Verteidiger geäußert, Zeugen über die Erschießung polnischer Kriegsgefangener durch die faschistischen Verbrecher in den Wäldern von Katyn vorladen zu lassen.
[318] Wir stehen auf dem Standpunkt, daß dieser Ausschnitt aus der verbrecherischen Tätigkeit der Nationalsozialisten durch das von der Sowjetischen Anklagebehörde vorgelegte Beweismaterial voll erwiesen ist. Es war dies ein Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission, die die Umstände untersuchte, unter denen die Massenerschießung der polnischen kriegsgefangenen Offiziere durch die nationalsozialistischen Angreifer in den Wäldern von Katyn erfolgte. Dieses Dokument wurde von der Sowjetischen Anklagebehörde als USSR-54 am 14. Februar 1946 vorgelegt, vom Gerichtshof als Beweisstück angenommen und kann gemäß Paragraph 21 des Statuts nicht angefochten werden.
Der Verteidiger hat nun wieder einen Antrag eingereicht, drei zusätzliche Zeugen, nämlich den Psychiater Stockert, einen früheren Adjutanten des Pionierkorps Böhmert und den Stabsreferenten der Armee gruppe Mitte Eichborn zuzulassen.
Wir erheben gegen die Ladung dieser drei Zeugen aus folgenden Gründen Einspruch:
Die Ladung des Psychiaters Stockert als Zeugen ist vollkommen unnötig, da der Gerichtshof kein Interesse daran haben kann, zu wissen, auf welche Weise die Schlußfolgerungen einer Kommission zustande kamen, die in einem nationalsozialistischen Weißbuch veröffentlicht wurden. Wie auch immer diese Folgerungen gezogen wurden, die Massenerschießung von Polen durch Deutsche in den Wäldern von Katyn ist eine Tatsache, die durch die Außerordentliche staatliche Kommission eindeutig erwiesen worden ist.
Stockert selbst ist kein Gerichtsmediziner, sondern Facharzt für Geisteskrankheiten. Er wurde seinerzeit der nationalsozialistischen Kommission nicht auf Grund seiner medizinischen Fachkenntnisse zugeteilt, sondern als Vertreter der nationalsozialistischen Wehrmacht.
Der frühere Adjutant, Hauptmann Böhmert, ist selbst Teilnehmer an den Verbrechen in den Wäldern von Katyn. Er war ein Mitglied der Pioniereinheit, die die Hinrichtungen durchführte. Da er persönlich an der Sache interessiert ist, kann er keine objektive Aussage über diesen Gegenstand machen.
Auch der dritte Zeuge, Eichborn, Stabsreferent der Armeegruppe Mitte, kann nicht als Zeuge zugelassen werden, weil er überhaupt nichts über das Lager der polnischen Kriegsgefangenen wußte. Eichborn kann von all den Tatsachen, die sich auf diese Sache beziehen, überhaupt nichts wissen. Die gleichen Erwägungen gelten auch für seine voraussichtlichen Aussagen über die Tatsache, daß die Deutschen niemals Massenerschießungen von Polen in der Gegend von Katyn durchgeführt hätten. Außerdem kann Eichborn nicht als unparteiischer Zeuge angesehen werden.
[319] Abgesehen von diesen Einsprüchen, die die Ansicht aller Anklagebehörden darstellen, möchte die Sowjetische Anklagebehörde noch besonders auf die Tatsache hinweisen, daß die bestialischen Verbrechen der Deutschen in Katyn von einer besonderen, kompetenten staatlichen Untersuchungskommission mit der größten Sorgfalt untersucht worden sind. Als Ergebnis dieser Untersuchung ist die Tatsache festgestellt worden, daß das Verbrechen in den Wäldern von Katyn von Deutschen verübt wurde und nur ein Glied darstellt in der Kette vieler bestialischer Verbrechen, die von den Nationalsozialisten begangen wurden und über welche dem Gerichtshof bereits zahlreiche Beweise vorgelegt worden sind.
Aus den von mir dargelegten Gründen besteht die Sowjetische Anklagebehörde unbedingt auf Ablehnung des Antrages des Verteidigers.
VORSITZENDER: Herr Verteidiger für den Angeklagten Kaltenbrunner! Stimmt es, daß Sie, wie Sir David gesagt hat, nur um Rückfragebogen ersucht haben, gegen welche die Anklagebehörde weiter nichts einzuwenden hat?
DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Herr Präsident! Ich habe keine Einwendung gegen Fragebogen; aber ich würde dann bitten, daß diese Zeugen in meiner Gegenwart außerhalb dieses Gerichtssaales gehört würden, und dann auf Grund dieser Vernehmung später dem Gericht Fragebogen ausgehändigt und vorgelegt werden können.
VORSITZENDER: Sind denn die Zeugen hier?
DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Das weiß ich nicht.
VORSITZENDER: Wir haben Fragebogen bewilligt. Jetzt ersuchen Sie um Rückfragebogen; das ist alles, was Sie verlangen, und dadurch erübrigt sich die Vorladung dieser Zeugen. Die Rückfragebogen werden ihnen zugesandt, und sie werden sie beantworten. Wenn Sie nach Beantwortung der Rückfragebogen aus irgendeinem Grunde noch weitere Anträge stellen wollen, können Sie das tun.
DR. KAUFFMANN: Die bisherige Regel des Gerichts war doch, meiner Auffassung nach, daß mir das Recht des Kreuzverhörs in diesem Saale zusteht, wenn die Anklage eidesstattliche Versicherungen dieser Zeugen hier vorlegt; so war doch wohl die bisherige Regel des Gerichts.
VORSITZENDER: Ich glaube, es hängt von dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung ab. Wenn es eine Sache von Wichtigkeit ist, so werden wir zweifellos... Wir haben noch nie eine allgemeine Regel aufgestellt, aber im allgemeinen sind wir damit einverstanden, Zeugen zum Kreuzverhör vorzuladen, wenn die Sache von Wichtigkeit ist. Bei weniger wichtigen Sachen jedoch [320] haben wir schon sehr oft angeordnet, daß Rückfragebogen verwendet werden sollen.
DR. KAUFFMANN: Darf ich gerade an den letzten Satz anknüpfen? Ich halte diese Aussagen für außerordentlich wichtig. Das Gericht wird wahrscheinlich den Inhalt kennen.
VORSITZENDER: Sie sagen in Ihrem Antrag, daß die Anklagebehörde drei Aussagen vorgelegt habe und daß Einverständnis darüber bestehe, daß die Zeugen einer Rückvernehmung durch Fragebogen unterzogen werden würden. Sie meinen, glaube ich, Rückfragebogen. Es steht nämlich nicht da »Kreuzverhör« (cross-examination), sondern »Rückvernehmung durch Fragebogen« (cross-interrogation). Oder heißt das, daß Sie die Zeugen für ein Kreuzverhör hierher bringen lassen wollen?
DR. KAUFFMANN: So habe ich es mir gedacht, es sei denn, daß mein erster Vorschlag akzeptiert wird. Mein erster Vorschlag ist meines Erachtens einfacher und erspart Zeit. Er geht dahin, daß ich bei der Vernehmung der Zeugen außerhalb dieses Saales anwesend sein darf.
VORSITZENDER: Wir verstehen Ihren Standpunkt, Herr Dr. Kauffmann, und wir werden ihn in Erwägung ziehen.
DR. KAUFFMANN: Danke.
DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Bitte, darf ich ganz kurz zu dem Antrag des Generals Rudenko Stellung nehmen?
General Rudenko will meinen Beweisantrag ausschalten unter Berufung auf Artikel 21, glaube ich, des Statuts. Ich glaube nicht, daß diese Bestimmung meinem Antrage entgegensteht. Es ist zwar richtig, daß Regierungsberichte Beweismittel sind...
VORSITZENDER: Herr Dr. Stahmer! Ich glaube, daß der Gerichtshof schon entschieden hat, daß dieser Artikel die Vorladung von Zeugen nicht hindert; aber General Rudenko hat noch außer dem Argument, das sich auf Artikel 21 stützt, besondere Gründe angegeben, warum gerade diese Zeugen nicht vorgeladen werden sollten. Er hat erklärt, daß einer von ihnen ein Psychiater sei, und der andere könne keine Aussagen machen, die irgendwelchen Wert hätten. Nun möchten wir auch hören, was Sie dazu zu sagen haben.
DR. STAHMER: In dem Protokoll, das von der Sowjetunion vorgelegt ist, ist die Beschuldigung erhoben, daß Mitglieder des Pionierstabes, der dort in der Nähe von Katyn gelegen hat, die Tötung dieser polnischen Offiziere ausgeführt haben. Sie sind namentlich benannt worden, und ich bringe nun den Gegenbeweis – und zwar durch Mitglieder des gleichen Stabes – dafür, daß in der ganzen Zeit, in der der Stab dort gelegen hat, irgendwelche [321] Tötungen von polnischen Offizieren nicht vorgekommen sind. Ich glaube, das ist eine schlüssige Behauptung und auch eine schlüssige Beweisantretung. Man kann nicht einen Zeugen damit ausschalten, daß man behauptet, er sei Täter gewesen. Bezüglich dieser Leute steht das ja noch gar nicht fest, ist auch im Protokoll gar nicht erwähnt. Diese Leute, die ich jetzt benannt habe, sind auch in dem russischen Protokoll als Täter gar nicht angegeben; abgesehen davon halte ich es auch für ausgeschlossen, einen Zeugen dadurch zu eliminieren, daß man sagt, er habe die Tat begangen. Das soll ja doch erst durch die Beweisaufnahme festgestellt wer den.
VORSITZENDER: War dieser Psychiater ein Mitglied der deutschen Kommission?
DR. STAHMER: Ja.
VORSITZENDER: Gehörte er ihr als Mitglied an?
DR. STAHMER: Ja. Er ist damals bei der Ausladung zugegen gewesen und hat aus dem Befund der Leichen festgestellt, daß die Erschießungen ausgeführt worden sind zu einer Zeit vor der Besetzung durch die deutsche Armee.
VORSITZENDER: Aber in dem Antrag sagt er nicht ausdrücklich, daß er Mitglied war. Er sagt, er wäre bei dem Besuch der Militärkommission zugegen gewesen und wisse, wie die Schlußfolgerung der Kommission zustande gekommen sei.
DR. STAHMER: Ich glaube nicht, daß er ein ernanntes Mitglied war, sondern er hat an dieser Besichtigung und an deren Aufgaben teilgenommen. Soviel ich weiß, war er Regimentsarzt in irgendeinem Regiment, das in der Nähe lag. Er war Regimentsarzt eines Regimentsstabes in der Nähe.
VORSITZENDER: Sehr gut, wir werden Ihre Argumente berücksichtigen.
Ist der Verteidiger für von Neurath damit einverstanden, daß diese Angelegenheit aufgeschoben wird? Ist der Vertreter für von Neurath hier? Er ist nicht hier? Dann werden wir das entsprechend prüfen.
Will der Verteidiger des Angeklagten von Schirach in Beantwortung dessen, was Sir David ausgeführt hat, noch etwas sagen?
DR. NELTE: Mein Kollege Dr. Sauter hat mich gebeten, wenn erforderlich, die Interessen des Angeklagten von Schirach wahrzunehmen.
Ich habe zu den Ausführungen Sir Davids nur zu sagen, daß nach Ansicht des Angeklagten von Schirach der Zeuge von Vacano, der dieses Affidavit ausgestellt und unterzeichnet hat, über eine Reihe von Punkten Bekundungen macht, über die Herr von Schirach bei seiner Zeugenvernehmung nicht gesprochen hat. Ich bitte daher das Gericht, [322] das vorliegende Affidavit daraufhin zu prüfen, ob es nicht einzelne, für die Anklage von Schirach wesentliche Punkte enthält und demgemäß über die Zulassung zu entscheiden.
VORSITZENDER: Hat der Verteidiger für die Angeklagten Heß und Frank noch etwas in dem Antrag für den Fragebogen an General Donovan zu sagen? Herr Dr. Seidl, wir haben schon die Argumentation dazu gehört.
DR. ALFRED SEIDL, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN HESS UND FRANK: Ich habe den Argumenten, die ich bereits bei dem Antrag, eine amtliche Auskunft des Kriegsministeriums einzuholen, vorgetragen habe, nichts hinzuzufügen; ich bin aber auch jetzt davon abgegangen, daß über meinen ersten Antrag entschieden werde, nämlich eine Auskunft des Kriegsministeriums einzuholen. Bis jetzt ist aber noch nicht entschieden worden, ob dem Kriegsminister Patterson ein Fragebogen vorzulegen ist.
VORSITZENDER: Sehr gut, wir werden die Sache prüfen. Gegen die anderen drei Anträge ist kein Einwand erhoben worden; daher ist es nicht nötig, Argumente darüber zu hören. Der Gerichtshof wird all diese Sachen entsprechend prüfen.
Nun, Herr Dr. Exner, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie, wenn es Ihnen persönlich nichts ausmacht, etwas schneller durchs Mikrophon sprechen können.
PROF. DR. EXNER: Wir haben vor der Pause gehört, was Sie zu Ihren Offizieren gesagt hatten, als Adolf Hitler zur Regierung kam. Jetzt würde ich aber noch gerne hören, wie Sie zur Ernennung Hitlers zum Staatsoberhaupt gestanden sind, im Jahre 1934?
JODL: Die Vereinigung der beiden Ämter in einer Person hat mir große Sorge bereitet. In Hindenburg verloren wir den in der Wehrmacht und im ganzen deutschen Volke geliebten Feldmarschall. Was wir mit Hitler bekamen, das wußten wir nicht. Nun war allerdings das Ergebnis der Volksabstimmung über dieses Gesetz ein derart überwältigendes, daß man sagen konnte, ein höheres Gesetz als diesen Volkswillen konnte es gar nicht geben. Wir Soldaten hatten also mit vollem Recht unseren Eid auf Adolf Hitler geleistet.
PROF. DR. EXNER: Die Anklage spricht von Ihren engen Beziehungen zu Hitler. Wann haben Sie Adolf Hitler überhaupt persönlich kennengelernt?
JODL: Ich bin dem Führer durch den Feldmarschall Keitel vorgestellt worden im Befehlszug, in dem wir am 3. September 1939 an die polnische Ostfront fuhren. Jedenfalls habe ich an diesem Tage das erste Wort mit ihm gesprochen.
PROF. DR. EXNER: Also zwei Tage nach Kriegsausbruch, nicht wahr?
JODL: Zwei Tage nach Kriegsbeginn.
[323] PROF. DR. EXNER: Faßte der Führer Vertrauen zu Ihnen?
JODL: Das ging sehr langsam. Der Führer hatte ein gewisses Mißtrauen gegen alle Generalstabsoffiziere, besonders des Heeres, wie er ja überhaupt in diesen Jahren der Wehrmacht noch sehr skeptisch gegenüberstand. Ich darf vielleicht den Ausspruch zitieren, den man oft von ihm hörte: »Ich habe ein reaktionäres Heer, eine christliche« – manchmal sagte er auch – »eine kaiserliche Marine und eine nationalsozialistische Luftwaffe.«
Nun war das Verhältnis von ihm zu mir außerordentlich wechselnd. Zu Beginn bestand – etwa bis Ende des Westfeldzuges – eine starke Zurückhaltung. Dann faßte er mehr und mehr Vertrauen zu mir, bis zum August 1942; dann kam diese ungeheure Krise, wo sein Verhältnis zu mir von einer beißenden Schärfe und Ablehnung war. Das dauerte bis zum 30. Januar 1943. Dann besserte sich das Verhältnis und war besonders gut, vertrauensvoll nach der Parierung des italienischen Verrats im Jahre 1943. Das ganze letzte Jahr ist gekennzeichnet durch zahlreiche scharfe Auseinandersetzungen.
PROF. DR. EXNER: Inwieweit hat Sie der Führer in seine politischen Absichten eingeweiht?
JODL: Nur insoweit, als wir sie für unsere militärischen Arbeiten brauchten. Natürlich sind ja die politischen Absichten für den Chef des Wehrmachtführungsstabes etwas notwendiger als für einen Bataillonskommandeur; denn die Politik ist ja ein Teil der Strategie.
PROF. DR. EXNER: Hat er eine Diskussion über politische Fragen zwischen Ihnen und ihm zugelassen?
JODL: Eine Diskussion über politische Fragen gab es im allgemeinen für uns Soldaten nicht. Ein Beispiel ist besonders charakteristisch. Als ich dem Führer meldete im September 1943, daß der Faschismus in Italien tot sei, denn die Straßen lägen voller Parteiabzeichen in Rom, da sagte er wörtlich: »Einen solchen Unsinn kann auch nur ein Offizier melden. Man sieht wieder, daß die Generale von Politik nichts verstehen.« Daß nach solchen Bemerkungen die Lust zu politischen Erörterungen eine geringe war, ist wohl verständlich.
PROF. DR. EXNER: Also sind die politischen und militärischen Fragen scharf voneinander geschieden worden?
JODL: Sie sind scharf getrennt worden.
PROF. DR. EXNER: War Ihnen eine Beratung in militärischer Hinsicht möglich oder nicht?
JODL: Eine Beratung in militärischen Fragen hing ganz von den Augenblickszuständen ab. In dem Augenblick, wo er sich selbst mit Zweifeln abquälte, diskutierte er oft wochen- und monatelang mit einem über militärische Probleme. Wenn er sich aber innerlich [324] klar war, oder wenn er spontan einen Entschluß gefaßt hatte, dann war jede Diskussion zu Ende.
PROF. DR. EXNER: Das Geheimhaltungssystem war öfters hier Gegenstand der Betrachtungen. Wurden Sie auch einbezogen in diese Geheimhaltung?
JODL: Ja, und zwar in einem Ausmaß, das mir eigentlich erst in diesem Prozeß klargeworden ist. Der Führer hat die ganzen Ereignisse und Vorkommnisse bei Kriegsbeginn, also die Bemühungen des Auslandes, diesen Krieg zu verhindern, ihn auch wieder rückgängig zu machen, als er schon begonnen hatte, uns nur so weit mitgeteilt, als es in der Presse stand. Er sprach zu den Politikern, zur Partei ganz anders als zur Wehrmacht. Zur SS wieder anders wie zur Wehrmacht und zu den Politikern.
Die Geheimhaltung über die Vernichtung der Juden, über die Ereignisse in den Konzentrationslagern, war ein Meisterstück der Geheimhaltung und ein Meisterstück der Täuschung durch Himmler, der uns Soldaten gerade über diese Dinge irreführende Photographien vorlegte, Erzählungen über seine Gartenanlagen und Gartenkulturen in Dachau und über das Ghetto in Warschau und Theresienstadt brachte, die in uns Soldaten den Eindruck erweckten, als ob es sich um hochhumane Einrichtungen handeln würde.
PROF. DR. EXNER: Nun, sind aber nicht von außen her in das Führerhauptquartier Nachrichten gedrungen?
JODL: Das Führerhauptquartier war eine Mischung zwischen einem Kloster und einem Konzentrationslager. Es war von zahlreichen Drahtzäunen und Stacheldrähten umgeben, durch weit abgesetzte Außenposten an den Zufahrtstraßen abgesichert. In der Mitte lag der sogenannte Sperrkreis 1.
Dauerausweise, um diesen Sperrkreis zu betreten, hatte nicht einmal mein Stab, sondern nur der General Warlimont. Jeder Posten mußte jeden Offizier kontrollieren, den er nicht kannte. In dieses Allerheiligste drang von der Außenwelt, außer den Lageberichten, nur sehr wenig.
PROF. DR. EXNER: Wie ist es aber etwa mit ausländischen Zeitungen gewesen, mit Rundfunkberichten?
JODL: An ausländischen Zeitungen wurden sehr genau studiert die illustrierten amerikanischen und englischen Zeitungen. Sie gaben nämlich einen recht guten Aufschluß über neue Waffen. Die Auslandsnachrichten selbst wurden von der zivilen Pressestelle des Hauptquartiers aufgenommen und zensiert. Ich bekam lediglich das, was militärisch von Interesse war. Innenpolitische, Polizei- oder Lageberichte waren verboten.
PROF. DR. EXNER: Wie vollzog sich denn Ihre Zusammenarbeit mit dem Führer?
[325] JODL: Die vollzog sich dadurch, daß ich täglich mindestens zwei Vorträge über die Lage hielt. Es ist vor einiger Zeit mal entrüstet festgestellt worden, daß ich an 119 Besprechungen teilgenommen hätte. Ich habe an weit über 5000 Besprechungen teilgenommen. Diese Lagebesprechung, der Vortrag über die militärische Lage, war gleichzeitig die Befehlsausgabe. Der Führer entschied auf Grund des Vortrages über die Ereignisse sofort, was für die nächsten Tage zu befehlen war.
Ich arbeitete nun so, daß, wenn ich mit meinem Vortrag zu Ende war, ich in einen Nebenraum ging; dort entwarf ich sofort die Fernschreiben und Befehle für die nächsten Tage und las sie noch im Entwurf und noch während des Lagevortrages dem Führer vor, um seine Genehmigung einzuholen. Warlimont nahm sie dann mit zu meinem Stab, wo sie abgesetzt wurden.
PROF. DR. EXNER: Waren Sie auch bei Besprechungen politischer Art anwesend?
JODL: Ich darf noch ergänzend dazu erklären, daß ich viele Dinge, die bei diesen Lagevorträgen erörtert wurden, nicht gehört habe. Das gleiche gilt für den Feldmarschall Keitel, der ähnlich arbeitete.
PROF. DR. EXNER: Waren politische Angelegenheiten Gegenstand der Lagebesprechung, und wie weit waren Sie überhaupt bei Besprechungen politischer Art anwesend?
JODL: Wie ich eingangs schon sagte, politische Probleme wurden erörtert, soweit sie für unsere militärischen Maßnahmen notwendig waren. Es wurde auch gelegentlich, wenn Politiker und Kriegführung zusammenkamen, wenn der Reichsaußenminister anwesend war, Probleme erörtert, die an der Grenze von Politik und Kriegführung lagen. An den ausschließlich politischen Besprechungen mit fremden Politikern neutraler und verbündeter Staaten oder dem Reichsaußenminister nahm ich nicht teil. Ich nahm nicht einmal teil an den Besprechungen über Organisation, über Rüstung, über Verwaltung der besetzten Gebiete; denn die rein militärischen Lagebesprechungen, an denen ich ja teilnehmen mußte, dauerten manchmal oder beanspruchten am Tage manchmal sechs bis acht Stunden. Was mir dann an Zeit noch blieb, brauchte ich wahrhaftig zu meiner Arbeit.
PROF. DR. EXNER: Es ist hier öfters ausgeführt worden, daß es unmöglich war, dem Führer zu widersprechen. Hatten Sie mit Gegenvorstellungen Erfolg?
JODL: Man kann nicht sagen, daß es grundsätzlich unmöglich war, dem Führer zu widersprechen. Ich habe viele, viele Male und in der schärfsten Form widersprochen; aber es gab Momente, wo [326] man tatsächlich keinen Ton erwidern konnte. Ich habe ebenfalls den Führer von vielen Dingen durch Widerspruch abgebracht.
PROF. DR. EXNER: Können Sie ein Beispiel sagen?
JODL: Es waren eine Menge operativer Fragen, die das Gericht nicht interessieren; aber auf dem Gebiet, das das Gericht mehr interessiert, war es zum Beispiel die Absicht Hitlers, die Genfer Konvention zu kündigen. Das habe ich verhindert, und zwar durch Widerspruch.
PROF. DR. EXNER: Gab es sonstige Möglichkeiten der Einflußnahme auf Hitler?
JODL: Wenn es durch offenen Widerspruch nicht möglich war, etwas zu verhindern, was ich meiner innersten Überzeugung nach verhindern mußte, dann gab es noch den Weg, den ich sehr vielfach beschritten habe, den Weg einer Verzögerungstaktik, also eine Art passiver Resistenz. Ich zögerte die Bearbeitung hinaus und wartete auf einen psychologisch günstigen Moment, um mit der Angelegenheit wieder hervorzutreten.
Auch dieses Verfahren hatte manchmal Erfolg, zum Beispiel bei der Absicht, bestimmte Tiefflieger der Lynchjustiz preiszugeben. Es hatte keinen Erfolg bei dem Kommandobefehl.
PROF. DR. EXNER: Wir werden darüber noch sprechen; den machte der Führer dann selbst.
Sagen Sie: Der Zeuge Gisevius hat auf Befragen der Anklagebehörde ausgesagt, daß Jodl eine Riegelstellung bei Hitler hatte.
Kannten Sie diesen Zeugen vom Sehen oder Hörensagen oder sonstwie?
JODL: Diese Ehre ist mir nicht zuteil geworden. Ich habe den Namen dieses Zeugen zum erstenmal hier gehört und habe ihn hier im Gericht zum ersten Male gesehen.
PROF. DR. EXNER: Nun, wovon konnten Sie überhaupt Hitler abbringen?
JODL: Es ist klar, daß ich dem Führer von den Ereignissen immer nur einen Extrakt vortragen konnte. Bei seiner Neigung zu Affektentscheidungen habe ich natürlich besonders zurückgehalten mit dem Vortrag von unüberprüften Agentenmeldungen. Wenn der Zeuge das mit seinem allgemeinen Ausdruck Riegelstellung gemeint hat, dann hat er diesmal nicht geirrt. Wenn er aber gemeint haben sollte, daß ich dem Führer Schandtaten der eigenen Wehrmacht oder Schandtaten der SS vorenthalten hätte, dann ist das grundfalsch. Woher sollte dieser Zeuge das auch wissen.
Im Gegenteil, ich habe jede derartige Nachricht unverzüglich dem Führer vorgetragen, und kein Mensch hätte mich davon abhalten können. Ich erwähne einige Beispiele: Es ist hier ein Affidavit [327] vorgelesen worden von dem Rittmeister Scheidt. Er sagt darin aus, Obergruppenführer Fegelein hat dem Generalstabschef Oberst Guderian und dem Generaloberst Jodl über Schandtaten der SS-Brigade »Keminski« in Warschau berichtet. Vollständig richtig. Zehn Minuten später habe ich diese Tatsache dem Führer vorgetragen, und er hat sofort die Auflösung dieser Brigade befohlen. Als ich durch den amerikanischen Rundfunk durch den Pressechef von der Erschießung von 120 amerikanischen Gefangenen bei Malmedy erfuhr, habe ich sofort aus eigener Initiative durch den Oberbefehlshaber West eine Untersuchung anstellen lassen, um das Ergebnis dann dem Führer zu melden. Als mir unvorstellbare Greuel einer Ustaschakompanie in Kroatien zur Kenntnis kamen, habe ich auch das dem Führer sofort gemeldet.
PROF. DR. EXNER: Ich möchte Sie einen Augenblick unterbrechen. Im Kriegstagebuch des Wehrmachtführungsstabes – 1807-PS – schreiben Sie am 12. Juni 1942 – Dokumentenbuch Seite 119 – zweites Dokumentenbuch:
»Deutsche Feldgendarmerie hat eine Ustaschakompanie wegen Greueltaten an der Zivilbevölkerung in Ostbosnien entwaffnet und festgenommen.«
Es ist das insofern – ich muß das hinzusetzen – bemerkenswert, als diese Ustascha so etwas war wie eine SS-Truppe für die Kroaten und auf der deutschen Seite gekämpft hat. Wegen der Greueltaten hat also die deutsche Feldgendarmerie die Ustaschakompanie festgenommen.
»Der Führer hat diese auf Befehl des Kommandeurs der 708. Division erfolgten Maßnahmen nicht gebilligt, weil sie die Autorität der Ustascha untergraben, auf der der ganze kroatische Staat beruhe. Dies müsse sich auf die Ruhe und Ordnung in Kroatien schädlich auswirken, schädlicher als die durch Greueltaten erhöhte Unruhe in der Bevölkerung.«
Das ist der Vorfall, an den Sie gerade gedacht haben?
JODL: Ja.
PROF. DR. EXNER: Und jetzt haben Sie vielleicht noch ein Beispiel.
JODL: Ich habe dann dem Führer nach Erlaß des Kommandobefehls Völkerrechtsverletzungen der Gegenseite nur mehr dann vorgetragen, wenn er sie unbedingt auch auf anderem Wege erfahren mußte. Ich habe auch Fälle von Kommandounternehmen, von Gefangennahme von Kommandos, nur dann vorgetragen, wenn ich mit Sicherheit annehmen mußte, daß er sie auf einem anderen Wege erfährt. In dieser Hinsicht habe ich allerdings einen Riegel vorzuschieben versucht gegen neue spontane Affektentscheidungen.
[328] PROF. DR. EXNER: War es überhaupt möglich, Hitler abzuriegeln?
JODL: Da kann ich nur sagen, leider nicht.
PROF. DR. EXNER: Ich verstehe nicht.
JODL: Leider nicht, muß ich sagen. Es gab unendliche Wege, auf denen der Führer auch über die militärischen Dinge orientiert wurde. Jeder und jede Dienststelle konnte unmittelbare Berichte der Adjutantur einreichen. Der Photograph, der vom Führer entsandt wurde, um Aufnahmen an der Front zu machen, fand es für zweckmäßig, bei dieser Gelegenheit auch über militärische Dinge dem Führer zu berichten. Als ich dagegen beim Führer Einspruch erhob, bekam ich die Antwort: »Es ist mir ganz gleichgültig, von wem ich die Wahrheit erfahre; die Hauptsache ist, daß ich sie erfahre.« Diese Meldungen waren aber nun nicht Meldungen über Schandtaten, sondern es war genau das Umgekehrte. Es liefen auf vielen – leider Gottes – wehrmachtsfeindlichen Wegen aufputschende Meldungen gegen die korrekte, gegen die ritterliche Einstellung der Wehrmacht zum Führer und diese Meldungen waren es, die dann diese Entscheidungen zu einem brutalen Vorgehen brachten. Es wäre ungeheuer viel Unheil vermieden worden, wenn wir Soldaten in der Lage gewesen wären, den Führer abzuriegeln.
PROF. DR. EXNER: Nun, welche Rolle spielte denn da Canaris?
JODL: Canaris war dutzendmal beim Führer. Canaris konnte ihm melden, was er wollte und was er wußte, und mir scheint, daß er erheblich mehr gewußt hat als ich, der ich ausschließlich mit der operativen Kriegführung befaßt war; aber er hat niemals einen Ton gesagt. Er hat niemals auch nur ein Wort zu mir gesagt, und es ist auch ganz klar, warum; dieser Zeuge hatte das allerbeste Einvernehmen... dieser Tote hatte das allerbeste Einvernehmen zu Himmler und zu Heydrich. Das brauchte er nämlich, damit die nicht mißtrauisch wurden gegen dieses Verschwörernest.
PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, der Zeuge Gisevius hat viel von Putschen und Putschabsichten erzählt? Haben Sie persönlich jemals von solchen Absichten erfahren?
JODL: Ich habe nie ein Wort oder auch nur eine Andeutung von einem entstehenden Putsch oder von Putschabsichten gehört.
PROF. DR. EXNER: Und hätten Sie zu irgendeiner Zeit vor oder während des Krieges einen Putsch für möglich und aussichtsreich gehalten?
JODL: Der Zeuge hat von Putschen gesprochen wie vom Händewaschen. Das beweist mir schon, daß er sich niemals einen ernsteren Gedanken darüber gemacht hat. Die Ergebnisse des Kapp-Putsches im Jahre 1921, des Hitler-Putsches vom Jahre 1923 sind ja bekannt. [329] Wenn es noch eines weiteren Beweises bedarf, dann ist es das Ergebnis des 20. Juli 1944. In dieser Zeit hoffte doch kein Mensch mehr auf den Sieg im wahren Sinne des Wortes. Trotzdem hat sich bei diesem Putsch, bei diesem Attentat, nicht ein Soldat, nicht eine Waffe, nicht ein Arbeiter erhoben. Die ganzen Attentäter und Putschisten waren allein. Um dieses System zu stürzen, hätte es einer Revolution bedurft, mächtiger und gewaltiger als es die nationalsozialistische gewesen ist. Hinter dieser Revolution mußte die Masse der Arbeiterschaft stehen, und es mußte hinter ihr stehen im wesentlichen die ganze Wehrmacht und nicht nur vielleicht der Kommandeur der Garnison Potsdam, von dem der Zeuge sprach. Wie man aber einen Krieg nach außen um Sein oder Nichtsein führen sollte und gleichzeitig eine Revolution machen, um dabei etwas Positives für das deutsche Volk herauszuholen, das weiß ich nicht. Das können nur Genies beurteilen, die in der Schweiz lebten. Die Deutsche Wehrmacht und der deutsche Offizier ist nicht zur Revolution erzogen. Einmal haben die preußischen Offiziere mit dem Säbel auf den Boden gestoßen. Das war die einzige revolutionäre Tat der Deutschen Wehrmacht, die ich kenne. Es war im Jahre 1848. Wenn nun heute Leute, die aktiv mitarbeiteten, um Hitler an die Macht zu bringen, die an den Gesetzen beteiligt waren, die uns Soldaten mit unserem Treueid an Adolf Hitler banden, wenn diese Leute nun von der Wehrmacht Revolution und Meuterei forderten, als ihnen der Mann nicht mehr gefiel oder als Mißerfolge eintraten, dann kann ich das nur als unmoralisch bezeichnen.
PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, kam es zu Spannungen und Krisen in Ihrem Verhältnis zu Hitler? Eine Andeutung in der Richtung haben Sie ja schon früher gemacht.
JODL: Darüber könnte ich leichter ein Buch schreiben, als das in Kürze beantworten. Ich möchte nur soviel sagen, daß, von vielen erhebenden Momenten abgesehen, unser Leben im Führerhauptquartier für uns Soldaten letzten Endes doch ein Martyrium war; denn es war kein militärisches Hauptquartier, es war ein ziviles, und wir Soldaten waren dort zu Gaste, und es ist nicht leicht, irgendwo fünfeinhalb Jahre zu Gast zu sein. Aber das eine möchte ich noch hinzusetzen, unter den wenigen Offizieren, die es gewagt haben, dem Führer Auge in Auge entgegenzutreten, und zwar in einem Ton und in einer Form, daß die Zuschauer auch den Atem anhielten, weil sie eine Katastrophe befürchteten, zu diesen wenigen Offizieren gehörte ich.
PROF. DR. EXNER: Erzählen Sie uns einmal ein Beispiel, wie sich so eine Krise in Ihrem Verhältnis zu Hitler auswirkte?
JODL: Die schlimmste Krise war die im August 1942 in Winniza, als ich mich gegen unberechtigte Vorwürfe gegen den Generaloberst Halder zur Wehr setzte, und das war auch ein [330] operatives Problem, das hier im einzelnen für das Gericht nicht von Interesse ist. Ich habe nie in meinem Leben einen solchen Wutausbruch eines Menschen erlebt. Er kam von diesem Tage an nie mehr zum Essen.
PROF. DR. EXNER: Zu Ihrem gemeinsamen Essen?
JODL: Zu dem gemeinsamen Essen nie mehr bis zum Ende des Krieges. Der Lagevortrag, das ist der Vortrag über die Lage, fand nicht mehr in meinem Kartenzimmer statt, sondern in der Unterkunft des Führers. An jedem Vortrag über die Lage nahm von diesem Tage an ein Offizier der SS teil. Es wurden acht Stenographen gestellt, die von diesem Tage an jedes Wort mitschrieben. Der Führer gab mir überhaupt nicht mehr die Hand. Er grüßte mich nicht mehr oder kaum mehr, und dieser Zustand dauerte bis zum 30. Januar 1943. Er ließ mir durch den Feldmarschall Keitel sagen, er könne mit mir nicht mehr arbeiten, und ich würde durch den General Paulus ersetzt, sobald Paulus Stalingrad genommen habe.
PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, haben Sie nicht selber in dieser Zeit versucht, vom OKW loszukommen?
JODL: Ich habe in dieser ganzen Zeit jeden dritten Tag den General Schmundt gebeten, er möge doch dafür sorgen, daß ich endlich eine Frontstelle bei der Gebirgsarmee in Finnland bekomme. Dort wollte ich hin. Aber es geschah nichts.
PROF. DR. EXNER: Die Anklage hat behauptet, daß Sie an der Gnade des Führers sich wärmten und sonnten und daß der Führer seine Gunst an Sie verschwendete. Sagen Sie, was ist daran richtig?
JODL: Darüber brauche ich nicht viel Worte zu verschwenden. Das, was ich gesagt habe, das ist die tatsächliche Wahrheit. Das, was die Anklage darüber vorgebracht hat, ist, ich muß es leider sagen, Phantasie.
PROF. DR. EXNER: Es wurde auch gesagt, Sie seien ein Karrieresoldat. Wie steht's denn damit?
JODL: Wenn die Anklagevertretung meint, daß ich als sogenannter politischer Soldat besonders schnell befördert worden sei, so irrt sie. Ich bin im 50. Lebensjahr General geworden. Das ist ganz normal. Ich habe dann allerdings im Juli 1940 bei der Beförderung zum General der Artillerie den Dienstgrad des Generalleutnants übersprungen; aber auch das war nur ein Zufall. Es sollte nämlich der um sehr viel jüngere General der Flieger Jeschonnek, Chef des Generalstabes der Luftwaffe, zum General der Flieger befördert werden. Da sagte Schmundt dem Führer, das könne vielleicht auf mich doch kränkend wirken. Daraufhin beschloß der Führer kurz vor der Reichstagssitzung, auch mich zum General der Artillerie zu befördern.
[331] VORSITZENDER: Fahren Sie fort.
JODL: Dieser um vieles jüngere Jeschonnek wurde viel früher Generaloberst wie ich. Zeitzler, der früher mein Untergebener war, wurde gleichzeitig mit mir Generaloberst.
VORSITZENDER: Ich glaube, wir können jetzt unterbrechen.
Der Gerichtshof wird sich heute nachmittag um 4.30 Uhr vertagen.
[Pause von 10 Minuten.]
PROF. DR. EXNER: Wir sprachen davon, inwieweit Sie die Gunst des Führers genossen haben, also in Bezug auf...
Haben Sie nicht überdurchschnittliche Auszeichnungen von Hitler erhalten?
JODL: Ich bekam vom Führer überraschenderweise zur Beendigung der Krise von Winniza am 30. Januar 1943 das goldene Ehrenzeichen der Partei. Das war die einzige Auszeichnung, die ich vom Führer erhalten habe.
PROF. DR. EXNER: In diesen ganzen fünfeinhalb Kriegsjahren?
JODL: Ja.
PROF. DR. EXNER: Haben Sie ein Geschenk oder sonst etwas von Hitler oder der Partei erhalten?
JODL: Keinen Pfennig, keinen Hosenknopf. Um ja nichts zu verschweigen, muß ich erwähnen, daß wir vom Führer im Hauptquartier zu Weihnachten jedesmal ein Paket Kaffee bekamen.
PROF. DR. EXNER: Haben Sie irgendwelche Besitztümer aus den von uns besetzten Gebieten erworben und als Geschenk bekommen oder als Souvenir?
JODL: Nicht ein Stück. Wenn in der Anklageschrift summarisch der Satz steht: »Die Angeklagten bereicherten sich aus den besetzten Gebieten«, so kann ich das, was mich betrifft, mit einem Wort bezeichnen – ich muß es offen sagen – das ist die Verleumdung eines anständigen deutschen Offiziers.
PROF. DR. EXNER: Sie haben sich wohl in der Kriegszeit einiges von Ihrer Besoldung als Generaloberst erspart. Sagen Sie, wie haben Sie dieses Geld angelegt?
JODL: Ich habe sämtliche Ersparnisse dieses Krieges augenblicklich in Reichsschatzanweisungen...
VORSITZENDER: Er sagt, daß er nicht einen Pfennig ersparen konnte. Er ist darüber noch nicht ins Kreuzverhör genommen worden.
PROF. DR. EXNER: Sie waren während des ganzen Krieges mit Hitler zusammen und müssen ihn also eigentlich am besten kennen. [332] Ich wollte Sie deshalb über die Persönlichkeit des Führers genau betragen. Aber das Gericht liebt keine Wiederholungen. Sagen Sie also nun ganz kurz, was hat Sie denn besonders beeinflußt an Hitler in seinem Verhalten, was hat Ihnen besonders imponiert? Was hat Sie abgestoßen?
JODL: Hitler war eine Führerpersönlichkeit von ungewöhnlichem Ausmaß. Sein Wissen und sein Intellekt, seine Rhetorik und sein Wille triumphierten letzten Endes bei jeder geistigen Auseinandersetzung gegenüber jedermann. In einer seltenen Weise mischte sich bei ihm Logik und Nüchternheit im Denken, Skepsis mit einer ausschweifenden Phantasie, die sehr oft das Kommende erahnte, aber auch sehr oft irre ging. Geradezu bewundert habe ich ihn, als er im Winter 1941/1942 mit seinem Glauben und mit seiner Energie die wankende Ostfront zum Stehen brachte, da zu dieser Zeit eine Katastrophe drohte wie im Jahre 1812. Sein Leben im Führerhauptquartier war nichts als Pflicht und Arbeit. Die Bescheidenheit in seiner Lebensführung war imponierend. Es gab keinen Tag, den er in diesem Kriege nicht...
VORSITZENDER: Einen Augenblick. Dr. Exner, wie Sie bereits sagten, hat der Gerichtshof derartige Dinge immer wieder zu hören bekommen. Wir haben kein Interesse daran.
PROF. DR. EXNER: Vielleicht sagen Sie dem Gerichtshof noch etwas, das er weniger oft gehört hat, nämlich, was Sie abstoßend fanden an der Persönlichkeit Hitlers?
VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß es in dieser allgemeinen Weise den Gerichtshof interessieren würde, was ihn an Hitler abgestoßen hat. Könnte er nicht mit seinem eigenen Fall fortfahren?
PROF. DR. EXNER: Hatten Sie das Gefühl, daß Sie dem Führer persönlich nahe stehen?
JODL: Nein, in keiner Weise.
PROF. DR. EXNER: Alle Ihre Beziehungen waren im wesentlichen dienstlicher Art?
JODL: Rein dienstlicher Art. Ich gehörte nicht zu seinem privaten Kreis, und er wußte von mir nicht mehr, als daß ich Jodl heiße und vermutlich deswegen aus Bayern stamme.
PROF. DR. EXNER: Wer gehörte denn zu dem privaten Kreis?
JODL: Im wesentlichen die ganzen alten Kämpfer aus der Zeit, als die Partei noch im Anwachsen war, also Bormann in erster Linie, die alten Sekretärinnen, der Leibarzt, die politischen oder SS-Adjutanten.
PROF. DR. EXNER: Nun, Ihr Gauleitervortrag ist von der Anklagebehörde als Beweis dafür angeführt worden, daß Sie ein bedingungsloser Gefolgsmann des Führers sind, ein enthusiastischer [333] Anhänger desselben. Sagen Sie mal, wie ist es denn zu diesem Vortrag gekommen?
JODL: Diesen Vortrag hat Bormann beim Führer beantragt, und der Führer hat ihn befohlen, obwohl ich sehr ungern, vor allem aus Mangel an Zeit, an diesen Vortrag heranging; aber es war allgemein der Wunsch vorhanden, in dieser Zeit der Krisen...
PROF. DR. EXNER: Wann war der Vortrag?
JODL: Der Vortrag war im November 1943; es war also der italienische Abfall vorausgegangen. Es war die Zeit der schweren Luftangriffe. In dieser Zeit bestand das begreifliche Bedürfnis, politischen Führern der Heimat ein völlig ungeschminktes Bild über die gesamte militärische Lage zu geben, sie aber gleichzeitig auch mit einem gewissen Vertrauen in die oberste Führung zu erfüllen. Diesen Vortrag, der betitelt war: »Die strategische Lage Deutschlands zu Beginn des fünften Kriegsjahres«, konnte ja nun nicht ein Blockleiter halten, den konnte nur ein Offizier des Wehrmachtführungsstabes halten; und so ist es zu diesem Vortrag gekommen.
PROF. DR. EXNER: Und was war der Inhalt des Vortrags?
JODL: Der Inhalt war, wie ich schon sagte, ein Überblick über die strategische Lage. Hier vor dem Gericht wurde naturgemäß nur die Einleitung verlesen. Diese Einleitung gab einen Rückblick über das, was hinter uns lag; aber auch nicht vom politischen Standpunkt aus, sondern ebenfalls vom strategischen Standpunkt aus. Ich schilderte den operativen Zwang für alle Operationen der sogenannten Angriffskriege. Ich identifizierte mich keineswegs mit der Nationalsozialistischen Partei, wohl aber, wie es selbstverständlich ist für einen Generalstabsoffizier, mit seinem Obersten Befehlshaber; denn zu dieser Zeit drehte es sich nicht mehr um die Frage: Nationalsozialismus oder Demokratie; da drehte es sich um Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes. Und es gab auch in Deutschland Patrioten, nicht nur in seinen Nachbarländern, und ich rechne mich zu diesen Patrioten, so lange ich atme. Im übrigen ist es ja doch nicht maßgebend, vor wem man spricht, sondern es ist entscheidend, was man spricht, und über was man spricht. Im übrigen kann ich noch feststellen, daß ich diesen selben Vortrag auch vor den Wehrkreisbefehlshabern und den hohen Offizieren des Ersatzheeres gehalten habe.
PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, Anfang und Schluß der Rede enthalten unbestreitbar ein Loblied auf den Führer und die Partei. Warum haben Sie denn das aufgenommen in diese rein sachliche, militärische Rede?
JODL: Ich konnte unmöglich einen solchen Vortrag mit einer kritischen Polemik an der Partei oder an meinem Obersten Befehlshaber beginnen. Es war notwendig, das Vertrauen herzustellen [334] zwischen dem Offizier und dem Parteiführer; denn dieses Vertrauen war nicht nur die Voraussetzung, damit der Vortrag seinen Zweck erfüllte; dieses Vertrauen war ja auch die Voraussetzung für den Sieg. Im übrigen möchte ich aber doch noch etwas Entscheidendes sagen: das, was die Anklagebehörde als Dokument L-172 hier vorgelegt hat.
PROF. DR. EXNER: Das ist der Gauleitervortrag.
JODL: Das ist ja gar nicht der Gauleitervortrag; das ist ja gar nicht der Vortrag, den ich gehalten habe; das ist nichts anderes als der Papierkorb dieses Vortrags. Es ist nämlich ein erster Rohentwurf, der völlig umgearbeitet und abgeändert wurde, weil er viele Unwichtigkeiten enthielt, und das ganze Kernstück des Vortrags, nämlich der Abschnitt über die heutige Lage, der Abschnitt über den Feind und seine Machtmittel und seine Absicht, der fehlt. Das, was hier in diesem Dokument mit drinliegt, das sind Hunderte von Vortragsnotizen, die mir mein Stab geschickt hat, aus denen ich dann den Vortrag erst herausgezogen habe, und dieses ganze Zeug gab ich dann meinem Stab wieder zurück.
PROF. DR. EXNER: Das ist also nicht das Manuskript Ihres Vortrags?
JODL: Keineswegs das Manuskript, sondern dieses sieht gänzlich anders aus.
PROF. DR. EXNER: Nun etwas anderes. Welche Führer der Partei hatten Sie seit der Machtergreifung bis zum Krieg kennengelernt?
JODL: Einzig und allein, wenn ich von den Soldaten absehe, den Reichsminister Frick. Bei ihm war ich zweimal, als die Fragen der Reichsreform besprochen werden sollten.
PROF. DR. EXNER: Und welche von den hier Angeklagten haben Sie vor 1939 oder bis zum Kriegsbeginn gekannt?
JODL: Von den Angeklagten kannte ich ausschließlich den Reichsmarschall, Großadmiral Raeder, Feldmarschall Keitel und Minister Frick. Sonst niemand.
PROF. DR. EXNER: Hatten Sie sich inzwischen mit der Literatur des Nationalsozialismus befaßt?
JODL: Nein.
PROF. DR. EXNER: Haben Sie an Reichsparteitagen teilgenommen?
JODL: Ich habe im Jahre 1937 dienstlich an den drei letzten Tagen in Nürnberg teilgenommen bei den Vorführungen des Arbeitsdienstes, der SA und der Wehrmacht.
[335] PROF. DR. EXNER: Haben Sie teilgenommen an den Gedenkfeiern in München, also jeweils am 9. November?
JODL: Nein, da gehörte ich wahrhaftig nicht hin.
PROF. DR. EXNER: Sagen Sie, wie war Ihre Stellung zu den militärähnlichen Verbänden der Partei?
JODL: Diese halbmilitärischen Verbände, die schossen nach der Machtergreifung wie die Pilze aus dem Boden, aber nur die SA unter Röhm griff nach der ganzen Macht. Es ist hier von dem Zeugen Gisevius gesagt worden, daß es keinen Röhm-Putsch gegeben hat. Das ist richtig, aber er stand unmittelbar bevor. Wir waren damals im Reichskriegsministerium bis an die Zähne bewaffnet, und Röhm war ein wirklicher Revolutionär und kein Gehrockputschist. Als dann der Führer eingegriffen hatte im Juni 1934, von diesem Augenblick an gab es zwischen Wehrmacht und SA keinerlei Konflikte mehr. Um so mißtrauischer wurde die Wehrmacht gegen die Verbände der SS, die sich von diesem Augenblick an außerordentlich vermehrten. Das Heer, kann man ruhig sagen, hat sich niemals mit diesem Dualismus zweier bewaffneter Organisationen innerhalb des Volkes ausgesöhnt.
PROF. DR. EXNER: Ich möchte hier einige Stellen aus Ihrem Tagebuch, 1780-PS, vorlesen, und zwar Seite 2 des ersten Bandes des Dokumentenbuches, um zu zeigen, daß Jodl sich immer wieder mit diesem Eindringen der SS in die Armee beschäftigt hat:
Am 19. April, das ist also der zweite Absatz; oder schon am 22. März haben wir so eine Eintragung. Dann kommt wieder am 19. April:
»H. bei Chef Wehrmachtsamt trägt ihm seine Bedenken über die Entwicklung der SS vor.«
In der französischen Übersetzung ist dieses »H« durch Heydrich ersetzt. Das ist natürlich absolut sinnlos, denn Heydrich hat sicher keine Bedenken gegen die Entwicklung der SS gehabt, sondern das H heißt ganz offenbar Halder, der Oberquartiermeister gewesen ist. Ich weiß nicht, ob es im französischen Dokumentenbuch ausgebessert ist. Ich habe leider feststellen müssen, daß eine ganze Reihe von Übersetzungsfehlern im englischen und im französischen Dokumentenbuch sind und habe eine Eingabe an den Generalsekretär in dieser Richtung gemacht und um Korrektur gebeten. Ich muß allerdings sagen, diese große Zahl von Übersetzungsfehlern stimmt etwas bedenklich, besonders wenn sie derart sind, daß für ein H eingesetzt wird: Heydrich und der Chef des Wehrmachtsamtes in Zusammenhang gebracht wird mit einer der unerfreulichsten Figuren der SS. Ich sage, es stimmt mich deshalb bedenklich, das muß ich ausdrücklich hinzufügen, weil dem Gericht noch im Laufe der letzten Monate Hunderte von Dokumenten vorgelegt worden [336] sind, deren Übersetzungen wir nicht kontrollieren konnten. Wenn wir einmal kontrollierten, so stellten wir ziemlich viele Mängel fest, wie das schon Herr Dr. Siemers neulich getan hat.
VORSITZENDER: Dr. Exner! Man erwartet von Ihnen, daß Sie Fragen stellen, und nun geben Sie lange Erklärungen ab.
PROF. DR. EXNER: Ja, ich möchte an der vorletzten Stelle vom 3. Februar von der gleichen Seite...
VORSITZENDER: Professor Exner! Wir können es nicht zulassen, daß die Verteidigung lange Erklärungen abgibt, die nicht zum Beweisvortrag gehören. Sie können nicht derartige Erklärungen abgeben. Wenn Sie Übersetzungsfehler finden, können Sie uns darauf aufmerksam machen, aber nicht in der Weise, daß Sie allgemeine Erklärungen über die Übersetzung der Dokumente abgeben.
PROF. DR. EXNER: Herr Vorsitzender! Ich will jetzt keine Erklärungen mehr abgeben, sondern Stellen aus meinem Dokumentenbuch vorlesen, und zwar vom 3. Februar...
VORSITZENDER: Sie haben eine anscheinend falsche Übersetzung oder falsche Auslegung des Buchstaben H berichtigt. Sie können das wieder so machen, wenn Sie Fehler an anderen Stellen in der Übersetzung finden. Aber Sie können keine allgemeinen Erklärungen dazu abgeben.
PROF. DR. EXNER: Ich lese nur vor, das ist zulässig. Ich lese Stellen aus dem Dokumentenbuch vor ohne irgendeine Kritik. Ich habe nichts mehr dazu zu erklären.
VORSITZENDER: Jawohl, jawohl.
PROF. DR. EXNER: Da heißt es am 3. Februar:
»General Thomas teilt mit, Verbindungsoffizier zum Wirtschaftsministerium,... Oberstleutnant Drews erschien bei ihm im Auftrag von Schacht. Dieser habe den Eindruck, als ob von seiten der SS alle Mittel angewendet würden, um die Wehrmacht zu verdächtigen und sie jetzt im Zustand ihrer Schwäche an die Wand zu drücken.«
Dann heißt es wieder am 10. Februar:
»Himmler soll bedrückt sein, daß ihm von hohen Offizieren der Wehrmacht die unerhörtesten Vorwürfe gemacht werden.«
Dann vielleicht noch eine Stelle von der nächsten Urkunde, Seite 4 des Dokumentenbuches; wiederum dasselbe Tagebuch, 1809-PS, Eintragung vom 25. Mai 1940:
»Der grenzenlose Erweiterungsplan der SS stimmt allgemein bedenklich.«
Haben Sie sich denn schon damals Gedanken gemacht über die Gefahr dieses Dualismus, von dem Sie da gerade gesprochen haben?
[337] JODL: Ich habe mir sehr viele Gedanken darüber gemacht als ein sehr guter Kenner der Geschichte. Aber ich habe mir nicht nur Gedanken gemacht, sondern habe sie auch während des Krieges noch offen gegenüber Himmler und Bormann ausgesprochen.
PROF. DR. EXNER: Wie ist es denn dann gekommen, daß Himmler einen immer größeren Einfluß auf die militärischen Belange bekam?
JODL: Das erklärt sich daraus, daß der Führer das Gefühl hatte, das vielleicht auch im großen und ganzen richtig war, daß ein großer Teil des Offizierskorps seinen Ideen ablehnend gegenüberstand. Er sah darin nicht nur eine innere politische Gefahr, sondern er sah darin auch eine Gefahr für den Sieg, von dem er glaubte, daß er nur durch rücksichtslose Methoden zu erreichen sei.
PROF. DR. EXNER: Nun, und welche praktische Folgen hatte das?
JODL: Die praktischen Folgen waren, daß die SS-Verbände ungeheuer vermehrt wurden, daß die Polizei Befugnisse bekam, die bis in das Operationsgebiet des Heeres hineinreichten, daß später dann die Höheren SS- und Polizeiführer geschaffen wurden, daß der Nachrichtendienst an die SS überging, der übrigens von Kaltenbrunner viel besser organisiert wurde als er vorher war, daß das Ersatzheer Himmler überantwortet wurde und zum Schluß auch noch das ganze Gefangenenwesen.
PROF. DR. EXNER: In Ihrem Tagebuch äußern Sie sich glücklich über die Ernennung des Generals von Brauchitsch zum Oberbefehlshaber des Heeres durch den Führer. Es stand damals die Wahl zwischen ihm und dem General Reichenau. Warum waren Sie so glücklich, daß Brauchitsch kam?
JODL: Herr General von Reichenau galt als ein wirklich politischer General, und ich fürchtete, daß er vielleicht bereit sein könnte, die ganze gute alte Tradition des Heeres skrupellos dem neuen Regime zu opfern.
PROF. DR. EXNER: Ich verweise diesbezüglich wiederum auf das Tagebuch Jodls, 1780-PS, Seite 6, erster Band, und zwar ist es die Eintragung vom 2. Februar 1938, zweiter Absatz, und vom 3. Februar 1938. Da ist er auf Seite 7 besonders glücklich:
»Der Chef des Wehrmachtsamtes orientiert mich«, schreibt er: »Die Schlacht ist gewonnen. Der Führer hat sich für General von Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres entschieden.«
VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß Sie das verlesen müssen. Es besagt nur, daß er für Brauchitsch war.
[338] PROF. DR. EXNER: Sie haben auch an besondere Konsequenzen, was die Generale anlangt, gedacht für den Fall, daß Reichenau ernannt werde.
JODL: Ja, es war kein Zweifel, daß die älteren Generale, wie Rundstedt, Bock, Adam, List, Halder und so weiter sich niemals Reichenau unterstellt hätten.
PROF. DR. EXNER: Nun, nach dieser Einleitung wollen wir zu den Verbrechen gegen das Kriegsrecht und die Menschlichkeit übergehen, welche Ihnen vorgeworfen werden. Es ist nicht sehr viel Zeit.
Ich werde daher nur Ihre Beteiligung an dem Kommissarbefehl aufklären. Sie haben auf den Entwurf des Oberkommandos des Heeres über die Behandlung sowjetrussischer Kommissare, der Ihnen vorgelegt worden war, eine Randbemerkung geschrieben, und aus dieser wurde Ihnen von den Anklägern der Vorwurf gemacht...
VORSITZENDER: Welches ist die Nummer des Dokuments, bitte?
PROF. DR. EXNER: Die Nummer des Dokuments ist 884-PS, USSR-351, Seite 152 im zweiten Band meines Dokumentenbuches. Das Ganze ist eine Vortragsnotiz.
[Zum Zeugen gewandt:]
Und da sagen Sie uns vielleicht zuerst: Was hatten Sie denn überhaupt mit dieser Sache zu tun, mit der Behandlung von Kommissaren?
JODL: Ich habe an diesem Entwurf nicht mitgearbeitet. Ich hatte weder mit Kriegsgefangenen noch mit kriegsrechtlichen Fragen damals etwas zu tun. Aber der Entwurf gelangte an mich, bevor er an den Feldmarschall Keitel ging.
PROF. DR. EXNER: Ja, nun machten Sie da den Zusatz:
»Mit der Vergeltung gegen deutsche Flieger müssen wir rechnen. Man zieht daher die ganze Aktion am besten als Vergeltung auf.«
Was meinten Sie damit?
JODL: Diese Absicht des Führers, die in diesem Befehlsentwurf niedergelegt war, ist übereinstimmend von allen Soldaten abgelehnt worden. Es gab darüber sehr erregte Auseinandersetzungen auch mit dem Oberbefehlshaber des Heeres. Diese Widerstände endeten mit dem charakteristischen Satz des Führers: »Ich kann nicht verlangen, daß meine Generale meine Befehle verstehen; aber ich verlange, daß sie sie befolgen.« Ich wollte nun in diesem Falle durch meine Randbemerkung dem Feldmarschall Keitel noch einen neuen Weg zeigen, auf dem man vielleicht noch um diesen geforderten Befehl zunächst herumkommen könnte.
[339] PROF. DR. EXNER: Der Befehl wird, wie Sie sich vielleicht erinnern, von der Anklage deshalb so schwer dem deutschen Militär zum Vorwurf gemacht, weil er schon entworfen wurde, bevor der Krieg angefangen hat. Vom 12. Mai 1941 stammt diese Vortragsnotiz, und da sagen Sie: »Man zieht daher die ganze Aktion am besten als Vergeltung auf.« Was meinten Sie damit?
JODL: Es ist richtig, daß der Führer infolge seiner weltanschaulichen Einstellung gegen den Bolschewismus hier eine vielleicht zu erwartende Betätigung der Kommissare einfach als sicher vorweggenommen hat. Er war darin bestärkt und begründete es damit, daß er sagte: »Ich habe den Kampf gegen den Kommunismus 20 Jahre lang geführt. Ich kenne ihn; Sie kennen ihn nicht.« Allerdings muß ich hinzusetzen: Auch wir standen gewissermaßen unter dem Einfluß dessen, was eine Literatur der ganzen Welt seit 1917 über den Bolschewismus geschrieben hatte, und einige Erfahrungen hatten wir, wie zum Beispiel aus der Räterepublik in München, auch. Trotzdem war ich der Auffassung, man müsse zunächst in der Praxis abwarten, ob die Kommissare sich so verhalten, wie es der Führer von vornherein erwartete, und wenn sich das bestätigte, dann könne man mit Repressalien einschreiten. Das war der Sinn dieser Randbemerkung.
PROF. DR. EXNER: Sie wollten also bis zum Kriegsanfang warten, dann warten, bis Sie Erfahrungen in diesem Kriege machten, und dann wollten Sie Maßnahmen vorgeschlagen haben, welche eventuell, wenn es notwendig war, als Repressalie gegen die Kampfesweise der Feinde zu gelten hatten? So war Ihr Einwurf gedacht: »Man zieht die Sache am besten als Repressalie auf.« Was ist mit den Worten gemeint: »Man zieht auf«? Diese Worte hat die Anklagebehörde übersetzt mit...
MR. G. D. ROBERTS, ERSTER ANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Herr Vorsitzender! Schon seit ein paar Minuten stellt mein geschätzter Kollege Dr. Exner in seinem Verhör Suggestivfragen an den Angeklagten über die Bedeutung einer Stelle in diesem Schriftstück. Meiner Ansicht nach ist das keine Aussage des Zeugen, sondern eine Rede von Dr. Exner, und ich bitte ihn, nicht noch eine Rede zu halten.
PROF. DR. EXNER: Ich möchte doch glauben, es gehört zum Beweisverfahren, festzustellen, was sich der Angeklagte gedacht hat, als er das geschrieben hat.
VORSITZENDER: Schon bei verschiedenen Gelegenheiten habe ich gesagt, daß es für den Gerichtshof nur von ganz geringem Wert ist, wenn der Verteidiger dem Zeugen Suggestivfragen stellt, die ihm die Antwort bereits in den Mund legen. Es ist selbstverständlich, daß, wenn Sie den Zeugen gefragt hätten, was er mit seiner Bemerkung gemeint hat, er Ihnen darauf geantwortet hätte. Das [340] ist die korrekte Art, Fragen zu stellen, aber nicht, ihm die Antwort in den Mund zu legen.
PROF. DR. EXNER: Ich habe zuerst die Frage gestellt, und dann habe ich, wie ich glaube, das Wesentliche resumiert, was der Zeuge gesagt hat.
Ja, es ist hier auch eine Schwierigkeit mit der Übersetzung, über die ich hinwegkommen will, das heißt, ich weiß es nicht genau. »Es wird aufgezogen« oder »man zieht es am besten auf als Repressalie« wird im Englischen übersetzt mit »It is best therefore to brand« und im Französischen mit »stigmatiser«. Es kommt mir so vor, als ob dies nicht richtig wäre, also ob man sagen müßte: »It is best to handle it as a reprisal« und im Französischen »traiter«.
[Zum Zeugen gewandt:]
Nun, was ist denn geschehen?
JODL: Ich glaube, man müßte den Ausdruck »aufziehen« noch erklären. Das deutsche Wort »aufziehen« hat auch etwas Bedenkliches. Es ist gesagt worden, das sei für den Angeklagten Jodl eine typische Bemerkung für eine militärische Ausdrucksweise dieser Zeit; Das heißt nämlich nicht: »etwas vortäuschen«, wie die Anklagebehörde angenommen hat, sondern ich sagte genau so: »Wir müssen, glaube ich, diese Operation ganz anders aufziehen«, das heißt, anders anpacken. Wir sagten: »Ich würde diese Vorführung von neuen Waffen vor dem Führer ganz anders aufziehen«, das heißt zum Beispiel »in einer anderen Reihenfolge, auf eine andere Art«. Also unter uns Soldaten hieß »aufziehen« genau so viel wie »etwas anpacken«, »etwas arrangieren«, aber nicht »etwas vortäuschen«.
PROF. DR. EXNER: Das Wort »aufziehen« hat keinen irgendwie täuschenden Nebensinn, meinen Sie?
JODL: Nein.
VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt vertagen.
[Das Gericht vertagt sich bis
4. Juni 1946, 10.00 Uhr.]
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