Nachmittagssitzung.

[540] DR. THOMA: Ich möchte dem Gericht zunächst als Exhibit Ro-11, 194-PS, die geheime Order Rosenbergs an Koch über würdige Behandlung von Zivilisten aus der Ukraine vom 14. Dezember 1942 übergeben.

Herr Zeuge! Ich möchte Sie bitten, zu dieser allgemeinen Instruktion im Zusammenhang mit Ihren Richtlinien 1056-PS Stellung zu nehmen.


ROSENBERG: Das Dokument 1056-PS stellt nicht nur unmittelbar eine Instruktion des Ostministeriums dar, sondern war ein Ergebnis der Rücksprache mit verschiedenen am Osten dienstlich interessierten zentralen Reichsbehörden. Es sind hierin enthalten Richtlinien des Ostministeriums selbst, dann Absprachen mit den verschiedenen technischen Behörden, wie dem Verkehrsministerium, Postministerium und auch der Polizei, um wenigstens im Osten eine gewisse einheitliche Zivilverwaltung zu dokumentieren. Das ist aus Gründen, die ich anfangs gesagt habe, nicht... weiter nicht möglich gewesen, und was die anderen Fragen der Unterstellung der SS- und Polizeiführer anbetrifft, auf die ich die Anklage auf Grund dieses Dokuments verwiesen habe, so darf ich wohl darauf verweisen, was ich am Anfang bei dem Vermerk der Besetzung der Verwaltung der Ostgebiete vom 17. Juli 1941 mir gestattet habe auszuführen.

Ich darf aber aus dem Dokument 1056-PS nur darauf verweisen, daß unter den sieben Punkten, die hier als besonders vordringlich angegeben sind, als dritter Punkt »Versorgung der Bevölkerung« ganz ausdrücklich erwähnt wird. Es ist dann im weiteren des Dokuments dann noch einmal ausgeführt, daß diese Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und so weiter noch besonders zu beachten ist, daß mit Medikamenten und veterinärer Hilfe besonders auf diese Probleme Rücksicht zu nehmen ist, unter Anrufung, wenn nötig auch der Militärbehörden. Ich möchte auf dieses Dokument sonst nicht näher eingehen.

Das Dokument 194-PS ist leider die einzige Instruktion des Ostministers an die Reichskommissare, die aufgefunden werden konnte. Es ist eine Instruktion vom 14. Dezember 1942, in der noch einmal die menschliche und politische Haltung vorgeschrieben wird. Es wird hier anfangs betont – ich gestatte mir einige kurze Hinweise –, daß nicht durch das deutsche Verhalten der Eindruck aufkommen konnte, als ob die Ukraine etwa keine Hoffnungen für die Zukunft hätte, daß Anordnungen deutscher Dienststellen durchgeführt, aber wohlüberlegt sein müssen; und dann heißt es weiter:

»In Deutschland erblicken die Völker des Ostens von jeher den Träger einer gesetzlichen Ordnung, die, wenn auch mit [540] Härte verbunden, nicht Ausdruck der Willkür ist. Wenn man den Völkern des Ostens durch zweckmäßige gesetzliche Maßnahmen verständlich zu machen vermag, daß zwar der Krieg furchtbare Härten hat, daß aber Vergehen gerecht geprüft und beurteilt werden, so wird man diese Völker leichter führen, als wenn man den Eindruck einer Willkürherrschaft ähnlich der ihrigen erweckt.«

Es wird dann fortgefahren:

»Die Volksschule in ihrer vierjährigen Form soll durchweg erhalten werden, worauf eine dem praktischen Leben entsprechende fachliche Schulung einsetzen muß. Für das Veterinärwesen, das Verkehrswesen, die Landwirtschaft und geologische Forschung usw. braucht die deutsche Verwaltung Kräfte, die das deutsche Volk zu stellen nicht in der Lage ist. Auf diesem Gebiet kann der ukrainischen Jugend, von der Straße weggeschafft, das Bewußtsein vermittelt werden, an dem Wiederaufbau ihres Landes mitzuarbeiten. Es wäre hierbei unzulässig, daß deutsche Dienststellen in verächtlichen Redensarten der Bevölkerung gegenübertreten. Eine derartige Haltung ist des Deutschen nicht würdig.«

Dann weiter:

»Herr ist man durch entsprechende Haltung und Handlung, nicht aber durch aufdringliches äußeres Gebaren. Nicht durch protzige Redensarten führt man Völker und nicht durch zur Schau gestellte Verachtung der anderen gewinnt man Autorität.«

Es wird dann in dieser Verordnung noch manche Frage behandelt; aber ich möchte das Gericht nicht zu sehr mit diesen Einzelheiten beschäftigen. Es kam mir darauf an, zu zeigen, in welchem Sinne ich die Haltung der Zivilverwaltung aufrichten wollte; und damit diese Instruktion nicht in den Büros liegen bleibt, hatte ich angeordnet, daß sie in allen Dienststellen zu verlesen sei.

DR. THOMA: Herr Präsident! Ich möchte mich jetzt mit der Spezialanklage der Sowjetischen Anklagebehörde befassen und insbesondere die diesbezüglichen Dokumente, die sich auf den Einsatzstab Rosenberg im Osten beziehen und auf die angeblichen Zerstörungen hinweisen. Ich übergebe deshalb dem Angeklagten die Dokumente USSR-376, 161-PS; 076-PS, USSR-375; USSR-7, USSR-39, USSR-41, USSR-49, USSR-51 und USSR-81.

VORSITZENDER: Befinden sich irgendwelche dieser Dokumente in Ihrem Dokumentenbuch?


DR. THOMA: Ich habe die zuletzt erwähnten USSR-Dokumente in einem besonderen Dokumentenbuch nicht aufgeführt, sondern habe angenommen und habe mich heute früh noch vergewissert, [541] ob diese Dokumente dem Tribunal vorgelegt worden sind, USSR-39, 41, 251, 89, 49 und 353.

VORSITZENDER: Ich habe nur gefragt, warum Sie jetzt darauf Bezug nehmen. Natürlich haben wir nicht alle Bücher hier. Sind sie nicht in Ihren Büchern?


DR. THOMA: 161 ist im Dokumentenbuch 3, Seite 34. Sonst ist im Dokumentenbuch nichts weiter erwähnt.


VORSITZENDER: Danke.


ROSENBERG: Das Dokument 161-PS behandelt einen Auftrag auf Rückführung bestimmter Archive aus Estland und Lettland. Die Sowjet-Anklage hat daraus eine Plünderung der Kulturschätze in diesen Ländern gefolgert. Ich darf erwähnen, daß die Instruktionen, die ich aus dem Dokument 1015-PS verlesen hatte, eindeutig die Beibehaltung aller dieser Kulturgüter im Lande forderten. Das ist auch geschehen. Ich gestatte mir, auf das Datum dieses Dokuments hinzuweisen, nämlich den 23. August 1944, als die Kampfhandlungen dieses Gebiet überzogen und diese Kulturgüter und Archive gesichert werden sollten vor Kampfhandlungen. Es handelt sich hierbei darum, daß die angegebenen Archive auf estländischen Landgütern untergebracht werden sollten, also zunächst im Lande selbst auch inmitten der Kampfhandlungen noch verbleiben sollten. Soviel ich weiß, sind später einige dieser Archive noch nach Deutschland gebracht worden, und, ich glaube, in Schloß Höchstadt in Bayern verwahrt worden.

Das Dokument 076-PS ist von der Anklage als Beweis für eine Plünderung der Bibliotheksschätze in Minsk angeführt worden. Es handelt sich hier um einen Bericht, den ein Beauftragter des Befehlshabers des rückwärtigen Heeresgebietes erstellt hat, und der dem Ostministerium zugeleitet worden ist. Aus diesem Bericht ergibt sich tatsächlich, daß eine Anzahl von Zerstörungen in manchen Bibliotheken vorgekommen sind, daß das eine Folge der Belegung mit Soldaten, Mannschaften war, weil die Stadt Minsk zerstört und die Unterkunftsmöglichkeiten erschwert worden waren.

Es wird aber dann unter I und noch unter anderen Punkten ausdrücklich vermerkt, daß nunmehr Schilder überall angebracht worden seien, daß diese Bestände beschlagnahmt seien und nicht mehr berührt werden dürften. Es wird hinzugefügt, daß jede weitere Entnahme als Plünderung angesehen werden müßte.

Unter II darf ich allerdings darauf hinweisen, daß hier die Feststellung getroffen wird, daß der wertvollste Teil dieser Bibliothek der Akademie der Wissenschaften aus der Bibliothek des polnischen Fürsten Georg Radziwill stammt, die von den Sowjetbehörden aus den besetzten polnischen Gebieten nach Minsk überführt und der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften einverleibt worden war, lange bevor ein anderer Staat oder eine deutsche Dienststelle [542] aktiv wurde. Es gibt eine Anzahl anderer Urkunden, nämlich 035-PS und noch einige andere, die dem Gericht vorgelegt worden sind, welche über Rückführung von Kulturgütern auch aus der Ukraine Angaben machen. Auch das Datum dieser Urkunden, nämlich das Jahr 1943, zeigt, daß diese Kulturgüter bis dahin weisungsgemäß im Lande geblieben sind, und daß somit erst bei Kampfhandlungen eine Zurückführung durchgeführt wurde. Das Dokument 035-PS sagt auf Seite 3, Punkt 5, wörtlich:

»Die ›entsprechende‹ Infanteriedivision legt großen Wert auf weitere Räumung wertvoller Einrichtungen, da diese Kampfzone von der Wehrmacht keineswegs genügend geschützt werden könne, auch demnächst mit eintretendem Artilleriebeschuß zu rechnen ist.«

DR. THOMA: Ich möchte dieses Dokument unter Ro-37 dem Gericht vorlegen; es ist noch nicht vorgelegt.

ROSENBERG: Es heißt dann:

»Wehrmachtseinrichtungen, Transportmittel usw. sollen nach Möglichkeit von der... Infanteriedivision beschafft werden.«

DR. THOMA: Darf ich das Dokument auch einmal haben? Ich möchte es dem Gericht vorlegen.

ROSENBERG: Die Räumung ist also dann faktisch unter Artilleriebeschuß erfolgt, und dadurch sind die Kulturgüter, die aus Charkow und anderen Städten auch während der Kampfzeit zurückgeführt wurden, erst in das Deutsche Reich überführt worden.

Ich darf jetzt jene Unterlagen behandeln, die von der Sowjetvertretung in ausführlicher Darstellung der Außerordentlichen staatlichen Kommissionen über Estland, Lettland und Litauen vorgelegt worden sind.

Ich möchte hierbei nur wenige konkrete Einzelheiten behandeln.

Auf Seite 1 des Dokuments USSR-39 heißt es wörtlich:

»Vom Beginn ihrer Besetzung der Estländischen Sowjet-Sozialistischen Republik anschafften die Deutschen und ihre Mitschuldigen die staatliche Unabhängigkeit des estländischen Volkes ab und gingen daran, eine ›Neue Ordnung‹ einzuführen, Kultur, Kunst und Wissenschaft zu zerstören, die Zivilbevölkerung auszurotten oder nach Deutschland zur Sklavenarbeit zu deportieren und Städte, Dörfer und Bauernhöfe zu verwüsten und zu plündern.«

Ich bemerke dazu erstens: Die zwanzigjährige staatliche Unabhängigkeit nach dem Sowjetangriff von 1919 wurde 1940 durch den Einmarsch der Roten Armee abgeschafft, ein Standpunkt, der von den anderen Signatarmächten in keiner Weise wahrgenommen...

[543] GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Ich glaube, daß das Dokument, mit dem sich der Angeklagte Rosenberg jetzt beschäftigt, ihm selbstverständlich eine Grundlage zwecks Beantwortung der an ihn gerichteten konkreten Beschuldigungen über seine verbrecherische Tätigkeit in der Zeit, da er Minister der Ostgebiete war, gibt. Jedoch bin ich der Meinung, daß das, was Rosenberg jetzt gesagt hat, reinste faschistische Propaganda ist und mit der Sache selbstverständlich nichts zu tun hat.

DR. THOMA: Hohes Gericht! Wenn der Angeklagte Rosenberg zu seinen Ausführungen zu dem Dokument, aus dem er Zitate bringen will, einige einleitende Bemerkungen macht, so bitte ich ihn deswegen nicht gleich zu unterbrechen. Es werden einige sachliche, aus dem Dokument genommene Ausführungen kommen.


ROSENBERG: Zu Punkt 2 darf ich bemerken...


VORSITZENDER: Hat er das Dokument, das er bespricht, selbst geschrieben, oder hatte er damit etwas zu tun? Ich habe das Dokument nicht vor mir.


DR. THOMA: Das Dokument ist von der USSR eingereicht worden und enthält Anklagen gegen Rosenberg... die Anklagen, daß Rosenberg in diesen Ländern Zerstörungen und Enteignungen vorgenommen hat; und er ist berechtigt, dazu entsprechend Stellung zu nehmen.


VORSITZENDER: Wenn Sie »Stellungnehmen« sagen, kann er dann nicht angeben, was er im Zusammenhang mit dem Dokument tat, oder wovon das Dokument handelt? Ihr Ausdruck »Stellungnehmen« ist ein sehr weiter Begriff, er kann alles mögliche bedeuten. Wenn Sie ihn fragen, was er im Zusammenhang mit dem Inhalt des Dokuments tat, so ist das etwas anderes, es ist handgreiflicher und schärfer umrissen.


DR. THOMA: Was haben Sie entgegen der Behauptung der Sowjetischen Anklage in diesen besetzten Gegenden gemacht?


ROSENBERG: Entgegen der Behauptung, Kultur und Kunst und Wissenschaft in Estland zerstört zu haben, muß ich feststellen, daß eine der ersten Anordnungen des Ostministeriums war, in diesen drei Ländern landeseigene Verwaltungen einzurichten und die deutsche Verwaltung im Prinzip zu einer Aufsichtsverwaltung zu machen. Die Einschränkungen kriegsbedingter Art waren naturgemäß im Kriege gegeben, sie waren auf kriegswirtschaftlichem Gebiete und rüstungswirtschaftlichem Gebiete gegeben, auf dem Gebiet der polizeilichen Sicherung gegeben, und naturgemäß in der allgemeinen politischen Haltung.

Eine volle kulturelle Autonomie hatten sowohl Estland, Lettland, wie Litauen; ihre Kunst und ihre Theater waren die ganzen Jahre über in Tätigkeit, die Universität in Dorpat hat in vielen [544] Fakultäten gearbeitet, wie auch einige Fakultäten in Riga. Die Justizhoheit dieser Länder unterlag der landeseigenen Verwaltung, sogenannten Landesdirektorien mit allen Ressorts, einer für die Verwaltung notwendigen Behördeneinteilung; die ganze Schule ist unangetastet geblieben. Ich bin zweimal in diesen Gebieten gewesen und kann nur sagen, daß hier auch die eingesetzten Generalkommissare sich bemüht haben, diesem Willen der landeseigenen Verwaltung, der sich oft in Kritiken gegenüber der deutschen Verwaltung aussprach, möglichst entgegenzukommen, wenn wir auch, offen ausgesprochen, eine volle Anerkennung der politischen Staatssouveränität mitten im Kriege nicht ganz eingehen konnten.

Auf Seite 2 dieses Dokuments wird unter »Züchtigungsstrafe für Büroangestellte« erklärt, daß die Eindringlinge die Züchtigungsstrafe für estländische Arbeiter laut Verfügung der Eisenbahnverwaltung vom 20. Februar 1942 ausgesprochen hätten für Unterlassung der Arbeit, oder wenn die Angestellten betrunken zur Arbeit kämen Diese Anordnung des Direktors der Eisenbahnverwaltung entspricht den Tatsachen. Aber als diese Anordnung bekannt wurde, hat sie selbstverständlich Empörung bei der deutschen Zivilverwaltung hervorgerufen. Der Reichskommissar Lohse hat sie sofort aufgehoben, und wir haben den Reichsverkehrsminister gebeten, diesen unmöglichen Beamten abzuberufen. Das ist sofort geschehen, er wurde disqualifiziert und abberufen, und diese Tatsache der Abberufung sollte in der Presse mitgeteilt werden. Ich vermag allerdings nicht zu sagen, ob das in der Presse erschienen ist.

Auf Seite 5 dieser Urkunde wird im Absatz 2 erklärt, die Deutschen hätten historische Bauwerke zerstört, sie hätten die Universität von Tartu, das heißt von Dorpat durchstöbert und zerstört, die eine glorreiche Vergangenheit von mehr als 300 Jahren hätte und eine der ältesten Stätten für Hochschulbildung sei.

Nun darf ich bemerken, daß diese Häuser aus dem 17. und anderen Jahrhunderten ausschließlich von Deutschen gebaut worden sind, und daß eine deutsche Truppe wohl kein Interesse hat, die Häuser ihres eigenen Volkstums willkürlich zu zerstören. Zum zweiten ist diese dreihundertjährige Universität Dorpat eine dreihundertjährige deutsche Universität gewesen, die tatsächlich das Russische Reich und das Deutsche Reich mit Wissenschaftlern von europäischem Range versorgte.


VORSITZENDER: Das ist ganz unerheblich, ganz unerheblich. Die Frage ist, ob sie zerstört wurde.

ROSENBERG: Ich bin 1942 einmal in Dorpat gewesen; da war ein großer Teil der Stadt durch Kampfhandlungen zerstört, die Universitätsgebäude standen aber noch. Ich hatte dabei die Möglichkeit, daß der Einsatzstab Rosenberg in der Ukraine 10000 bis 12000[545] Bände der Universität beschlagnahmen konnte und diese Bände wieder der Eigentümerin zurückstellte.

Ich halte es für ausgeschlossen, daß eine willkürliche Zerstörung dieser alten, deutschen Universität durch deutsche Truppen herbeigeführt wurde, und kann mir nur vorstellen, daß es die Folge von Kampfhandlungen gewesen ist, falls wirklich eine Zerstörung vorliegt.

Zu den übrigen Einzelheiten des Dokuments kann ich nicht Stellung nehmen. Es behandelt viele Erschießungen polizeilicher Natur, von Dingen, die offenbar mit Kampfhandlungen in Beziehung stehen; ich vermag mich dazu nicht zu äußern, weil es offenbar auf die Zeit des Rückzuges zurückgeht.

Das Dokument USSR-41 behandelt den Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Dinge in Lettland.

Ich möchte hier nur berichtigen, daß das Stammquartier des Außenministers nicht in Riga war, sondern daß er seinen ständigen Sitz ausschließlich in Berlin hatte.

Im Absatz 4 heißt es wörtlich:

»Die Deutschen beschlagnahmten das Land der lettischen Bauern für ihre Barone und Grundbesitzer und rotteten die zivile Bevölkerung – Männer, Frauen und Kinder – erbarmungslos aus.«

Ich möchte dazu feststellen, daß kein einziges Bauerngut im Laufe der Zivilverwaltung den deutschen Baronen von früher übergeben worden ist, daß aber die deutsche Landesverwaltung etwas getan hat, was nach meinem Dafürhalten eine einzigartige, fördernde Gesetzgebung bedeutet. Denn dieses einmal von der jungen Estnischen und Lettischen Republik im wesentlichen fast durch keine Entschädigung enteignete Land von 700 Jahren hätte man ja leicht wieder den Deutschen zurückgeben können. Es ist aber durch ein von mir unterzeichnetes Gesetz vom März – ich weiß nicht 1942 oder 1943 – das sogenannte Reprivatisierungs-Gesetz – den estnischen und lettischen Bauern, die damals das deutsche Gut bekamen, gesetzlich garantiert und mit feierlichen Urkunden übergeben worden. Bei der Besetzung durch die Sowjetunion ist eine Kollektivierung dieses bäuerlichen Privatbesitzes eingeleitet worden, und darum handelt es sich, daß diese eingeleitete Kollektivierung rückgängig gemacht und die alten Eigentümer von 1919 wieder in den Besitz ihres Eigentums kamen. Das darf ich zur Erläuterung dieser Erklärung sagen. Auf Seite 2 wird erklärt:

»Durch mehr als drei Jahre hindurchsetzten die Deutschen es sich zur Aufgabe, Fabriken, öffentli che Betriebe, Bibliotheken, Museen und Wohnhäuser in lettischen Städten zu zerstören.«

[546] Ich bin selbst im lettischen Kunstmuseum gewesen, habe mir eine große lettische Kunstausstellung angesehen, ich bin im lettischen Staatstheater gewesen, das durchgehend in lettischer Sprache seine Aufführungen hatte und nur eine Anzahl deutscher Gastdirigenten und -sänger hatte.

Die Fabriken wurden im Laufe dieser drei Jahre Verwaltung nicht zerstört, sondern durch zahlreiche deutsche Maschinen in ihrer Kapazität vergrößert. Das hatte allerdings manche Proteste der Landeseigentümer zur Folge, weil dadurch eine Unsicherheit ihrer Eigenbeteiligung mitspielte; aber auf jeden Fall war es keine Zerstörung, sondern eine Verstärkung dieser Kapazität, und schließlich, was die Archive und Bibliotheken anbetrifft, so habe ich zum Dokument 35-PS schon das Notwendige gesagt.

Was die Ausrottung von 170000 Zivilpersonen anbetrifft, so kann ich nicht Stellung nehmen dazu, was in den Lagern der Polizei auf Grund der polizeilichen Sicherungen geschehen ist. Ich darf aber darauf hinweisen, daß nach Feststellungen, nach amtlichen Feststellungen der landeseigenen Verwaltung, zunächst über 40000 Esten aus Estland und über 40000 Letten aus Lettland nach dem Einmarsch der Roten Armee ins Innere der Sowjetunion deportiert worden waren, daß eine große Zahl von Esten und Letten sich freiwillig in die Legionen zum Kampf gegen die Rote Armee meldeten, daß beim Rückzuge Hunderttausende von Esten und Letten darum baten, ins Reich genommen zu werden und auch wirklich zahlreiche hinkamen. Die Gesamtbevölkerung von Lettland betrug etwa zwei Millionen Menschen. Daß hier seitens der deutschen Behörde 170000 Letten erschossen worden sein sollen, ist unwahrscheinlich im höchsten Maße.

Im übrigen vermag ich zu den sonstigen Zerstörungen, die hier behauptet werden während der Kampfhandlungen, keine Stellung einzunehmen.

Das dritte Dokument ist USSR-7 und behandelt die Berichte der Außerordentlichen Kommission über Litauen. Hier wird auf Seite 1, Absatz 2 erklärt, daß der Reichsminister Rosenberg versucht hätte, das litauische Volk zu germanisieren und die nationale Kultur auszurotten. Litauen wurde zu einem Teile der deutschen Provinz Ostland proklamiert.

Es ist in Litauen die Bauernfrage genau so behandelt worden wie in Estland und Lettland; allerdings hat sich hier ein Unterschied ergeben, daß Litauen eine größere Anzahl deutscher Kleinbauernbetriebe hatte, die Ende 1939 ins Deutsche Reich überführt wurden und beim Einmarsch in Litauen wieder in ihre ursprünglichen bäuerlichen Betriebe unter möglichster Konzentration auf bestimmte Siedlungsgebiete eingesetzt wurden. Das entspricht also den Tatsachen; dem Übrigen vermag ich nicht zuzustimmen, und [547] die nationale Kultur auszurotten, das ist mir ebenfalls als eine nicht richtige Darstellung erschienen. Ich weiß vielmehr, daß Mitarbeiter meiner Dienststelle sehr eifrig mit den Vertretern der litauischen Volkskundeforschung unterhandelten, und daß verschiedene Aufsätze über diese vorbildliche Volkskundearbeit in Litauen und Lettland durchgeführt wurden, und daß ich mir nicht vorstellen kann, daß hier irgendeine willkürliche Zerstörung vorgekommen ist. Ich kann mich nur entsinnen, daß aus der Hauptstadt Kauen oder Kaunas Verwaltungsbeamte beim Rückzug bei mir waren und erklärten, daß sie fünf Tage lang in Kauen noch gearbeitet hatten, als diese Stadt schon unter Artilleriebeschuß der Sowjetarmee stand; daß dabei auch viele Gebäude zerstört wurden bei eventuellen Kampfhandlungen, auch darüber vermag ich aus eigener Kenntnis nichts auszusagen.

Ich darf jetzt Dokument USSR-51 behandeln. In der Note des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten vom 6. Januar 1942 wird einleitend ebenfalls von der Vernichtung der Kulturwerte auch von Litauen, Lettland und Estland gesprochen. Ich verweise auf das, was ich anläßlich der soeben vorgelegten Dokumente gesagt habe. Auf Seite 2, Spalte 1, wird ebenfalls erklärt, daß die Deutschen die Bauernbevölkerung hemmungslos ausgeplündert und gemordet hätten. Ich darf auch hier auf die eben gemachten Erklärungen verweisen. Auf Seite 6, Spalte 1 oben wird gesagt, daß die Deutschen in ihrer Wut auch gegen Lettland, Litauen und Estland die anderen nationalen Kulturen, nationalen Denkmäler und Schulen und ihre Literatur vernichtet hätten. Das entspricht, wie ich soeben darlegte, nicht den Tatsachen. Die Note des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten vom 27. April 1942, die mehrfach ausführlich hier vorgelesen worden ist, hat auf Seite 1, Spalte 1 die gleiche Behauptung, daß hier der Raub des Grund und Bodens des Sowjetstaates vollzogen wurde. Ich verweise auf meine soeben gemachten Erklärungen.

Auf Seite 7 wird erklärt, die Deutschen hätten das Ziel gehabt und in der Praxis durchgeführt den Raub des Grund und Bodens, des von der Sowjetregierung den Kolchosenwirtschaften zur ewigen und unentgeltlichen Nutznießung übergebenen Bodens. Ich möchte zu dieser Sonderfrage hier keine Ausführungen machen; über das Gesetz der neuen Agrarordnung, wie sie zur Stärkung der bäuerlichen Betriebe für Weiß-Ruthenien und die Ukraine erlassen wurde, wird der fachkundige Staatssekretär Riecken, den das Gericht als Zeugen genehmigt hat, seine entsprechenden Aussagen machen. Nachdem die Sowjetanklage den Vorwurf gegen mich, ich sei ein ehemaliger zaristischer Spion gewesen, zurückgenommen hat, brauche ich darauf nicht einzugehen. Ich kann die verschiedenen Zitate, die hier vorgelegt sind, im einzelnen natürlich nicht prüfen. Es ist mir aber in einem Falle möglich, Aufklärung zu geben.

[548] Es handelt sich um Seite 9, Spalte 1 oben, wo vom Außenkommissar die sogenannten zwölf Gebote des Verhaltens der Deutschen im Osten erwähnt werden.

Es folgt hier ein Zitat, aus dem nur gefolgert werden kann, daß es ein zusammenhängendes Zitat aus einer deutschen Anordnung darstellt. Diese zwölf Gebote hat die Sowjetanklage dem Gericht unter USSR-89 übergeben.

Es handelt sich, wie festgestellt wurde, um eine Anordnung des Staatssekretärs Backe von Anfang Juli 1941, die mir hier erst bekannt wurde. Dieses scheinbar zusammenhängende Zitat des Außenkommissars erweist sich als eine Zusammenfügung von Bruchstücken von Sätzen, die in eineinhalb Seiten zerstreut im Dokument vorliegen; und auch diese Bruchstücke sind nicht in der Reihenfolge angeführt, sondern in anderer Reihenfolge, als sie hier vorliegen. Ich darf aber auf einige Wortänderungen hinweisen. Es heißt in Punkt 6 der Gebote:

»Ihr müßt daher«

– das ist an die Landwirtschaftsführer gerichtet –

»Ihr müßt daher auch die härtesten und rücksichtslosesten Maßnahmen, die aus Staatsnotwendigkeiten gefordert werden, mit Würde durchführen. Charaktermängel des einzelnen werden grundsätzlich zu seiner Abberufung führen. Wer aus solchen Gründen abberufen wird, kann auch im Reich nicht mehr an entscheidender Stelle stehen.«

In dem Zitat der amtlichen Note heißt es wörtlich:

»Darum müßt Ihr selbst die grausamsten und rücksichtslosesten Maßnahmen, die von den deutschen Interessen diktiert werden, mit Würde durchführen. Andernfalls könnt Ihr in der Heimat keine verantwortlichen Stellungen bekleiden.«

Also an Stelle des Wortes »hart« steht das Wort »grausam«. An Stelle von »Staatsnotwendigkeiten« steht das allgemeine »deutsche Interessen« und an Stelle des Hinweises auf einen »Charaktermangel« wird ganz allgemein erklärt, daß, wenn man also die grausamsten Maßnahmen nicht durchführt, kann man keine verantwortlichen Stellen bekleiden.

Ich möchte mich mit diesen zwölf Geboten sonst in keiner Weise identifizieren, darf aber doch darauf hinweisen, daß auf Seite 3 zum Punkt 7 erklärt wird:

»... aber seid gerecht und persönlich anständig und immer Vorbild.«

Und in Teil 9:

»Haltet Euch frei vor Kommunistenriecherei. Die russische Jugend ist seit zwei Jahrzehnten kommunistisch erzogen. Sie [549] kennt keine andere Erziehung. Es ist daher sinnlos, Vergangenes zu ahnden.«

Ich glaube, daß auch da doch der Herr Backe, der sonst sich schärfer ausgedrückt hat,... daß das keine Verfügung zur Ausrottung bedeutet.

Ich gehe über zu der Anklage der Polnischen Regierung. Sie betrifft mich nur in einem einzigen Punkte. Auf Seite 20 wird unter Punkt 5 erklärt, daß die Erbeutung, Plünderung und Wegräumung von Kunstgegenständen und so weiter aus Museen und Sammlungen jeder Art im Amt Rosenberg in Berlin zentralisiert sei. Das ist unrichtig; wie aus dem Bericht des Staatssekretärs Mühlmann, der hier mehrfach verlesen worden ist, sich ergibt, ist dafür eine ganz andere Stelle eingesetzt worden, um diese Kunstwerke zu betreuen.

Zweitens habe ich heute schon einen Erlaß von Dr. Lammers verlesen, ich glaube vom 5. Juli 1942, wo das Generalgouvernement ausdrücklich ausgenommen wurde.

Ich muß allerdings zugeben, daß in einem Falle am Anfang der Einsatzstab eine deutsche Sammlung eines Musikforschers beschlagnahmt hatte und zu Forschungszwecken ins Reich überführte. Das war nicht richtig, und aus einem Briefwechsel mit dem damaligen Generalgouverneur Frank, der auch hier unter meinen Akten sich befinden muß, ergibt sich, daß ausgemacht war, daß selbstverständlich diese Sammlung nach einer wissenschaftlichen Forschung, um die ich allerdings bat, dem Generalgouverneur wieder zurückgestellt werden mußte.

Die Unrichtigkeit dieser Anklage ergibt sich auch daraus, daß hier behauptet wird, ich hätte im Einsatzstab Rosenberg unter verschiedenen Ämtern auch ein Amt »Osten« für Polen gehabt. Die Unrichtigkeit dieser Aussage ergibt sich dadurch, daß die sogenannten Sonderstäbe, die für Musik- und Bildende Kunst und Vorgeschichte im Osten eingerichtet waren, Fachsonderstäbe waren und daß neben ihnen die sogenannten Arbeitsgruppen regionale Aufgaben hatten; daß ich also ein Amt »Osten« für Polen nicht haben konnte; und im übrigen ist niemals im dienstlichen Verkehr der Begriff Polen gebraucht worden, sondern der Begriff Generalgouvernement. Ich glaube, daß ich mich damit begnügen kann. Es sind neben diesen noch eine Anzahl anderer genereller Urkunden vorgelegt worden aus Smolensk und aus anderen Städten, die auf viele Zerstörungen hinweisen und auf Polizeimaßnahmen. Ich kann darüber hier keine Aussagen machen. Ich darf nur als letztes auf die Urkunde 073-PS verweisen, die vor einigen Tagen dem Zeugen Dr. Lammers vorgelegt wurde. Es handelt sich hier um die Weiterleitung eines Schreibens des Auswärtigen Amtes, in dem etwas [550] mißverständlich, nachdem man gesagt hat, daß die Kriegsgefangenen Ausländer seien, mitgeteilt wurde, daß die Sowjetgefangenen dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete unterstellt seien.

Aus der Einleitung ergibt sich, daß es sich hier ausschließlich um eine Betreuung und Propagandaarbeit handelt, die der Minister Goebbels für sich, entgegen dem Auswärtigen Amte, beanspruchte. Das Auswärtige Amt erklärte, daß es für alle Kriegsgefangenen hier federführend zuständig sei mit Ausnahme dieser geistigen und propagandistischen Betreuung der Sowjetgefangenen, die in dieser Hinsicht von dem Ostminister betreut wurden, da sie, wie es hier heißt, nicht der Genfer Konvention unterstünden. Diese Erklärung, daß sie nicht der Genfer Konvention unterstünden, war das Rechtsgutachten für die Einführung der Verwaltung in den besetzten Ostgebieten, die vom Führerhauptquartier erstellt wurde.

DR. THOMA: Herr Zeuge! Ihnen ist im Laufe dieses Verfahrens mindestens viermal die Sache mit den Goldplomben in dem Gerichtsgefängnis in Minsk vorgehalten worden. Ferner wurde ein Dokument vorgelegt, betreffend der Behandlung der Judenfrage, und ein weiteres Dokument betrifft eine Brandstiftung und eine Judenaktion, ebenfalls im Generalbezirk Minsk. Wollen Sie dazu Stellung nehmen?

ROSENBERG: Ich darf vielleicht generell zu den vielen Akten und Berichten meiner Dienststelle folgendes sagen; Es sind im Laufe von zwölf Jahren meiner Parteidienststelle und von drei Jahren Ostministerium viele Berichte, Aktennotizen, Durchschläge von Schreiben aus allerhand Abteilungen in meinem Büro abgelegt worden, die ich zum Teil kenne, die zum anderen Teil mir mündlich vorgetragen wurden, um dann ausführlicher niedergelegt zu den Akten gebracht zu werden, und es sind doch eine große Anzahl wichtigere und gänzlich unwichtige Dinge, die ich in diesen Jahren gar nicht zur Kenntnis nehmen konnte.

Was nun diese Dokumente betrifft, so muß ich zum Dokument 212-PS erklären, daß das offenbar eine Hinterlegung in meinem Büro darstellt, die ohne Anschrift, ohne Unterzeichnung und ohne sonstige nähere Angabe vorliegt, die ich nicht zur Hand erhalten gehabt habe, von der ich aber annehme, daß sie wahrscheinlich aus Polizeikreisen in meiner Dienststelle abgegeben worden sind. Ich kann also zu diesem Inhalt mit bestem Willen keine Stellung nehmen.

Zum Dokument 1104-PS, welches die furchtbaren Vorgänge in der Stadt Sluzk behandelt – es ist ein Bericht vom Oktober 1941 –, muß ich sagen, daß dieser Bericht mir vorgelegen hat. Dieser Bericht hat im Ostministerium Empörung hervorgerufen, und wie sich hier auch ergibt, hat mein ständiger Vertreter, der Gauleiter Meyer, eine Abschrift dieser Beschwerde der Zivilverwaltung mit allen Kritiken seitens dieser Zivilverwaltung an die Polizei, den Chef [551] der Sicherheitspolizei, damals Heydrich, mit dem Ersuchen um Prüfung zugeleitet. Ich muß bemerken, daß die Polizei ihre eigene Gerichtsbarkeit hatte, in die das Ostministerium nicht eingreifen konnte. Ich vermag aber hier nicht zu sagen, welche Maßnahmen Heydrich getroffen hat. Ich konnte aber, und das ergibt sich daraus, ja nicht annehmen, daß ein Befehl, der gestern hier von dem Zeugen bestätigt wurde, Heydrich oder Himmler vom Führer erteilt worden ist. Ich habe diese Meldung und manche anderen Mitteilungen, die mir am Anfang zu Ohren kamen, über Erschießungen von Saboteuren, Erschießungen auch von Juden, von Pogromen an Juden durch die einheimischen Bevölkerungen im Baltikum, in der Ukraine als Erscheinungen dieses Krieges hingenommen. Ich habe gehört, daß in Kiew eine größere Anzahl von Juden erschossen worden sei, daß aber der größte Teil der Juden Kiew verlassen hätte, und die Summe dieser Meldungen hatte zwar die Einsicht der furchtbaren Härten namentlich aus manchen Berichten aus Gefangenenlagern bei mir zur Folge, aber, daß hier ein Befehl zur persönlichen Vernichtung des gesamten Judentums vorlag, konnte ich nicht annehmen, und wenn in unserer Polemik auch von der »Ausrottung« des Judentums die Rede gewesen ist, so muß ich doch sagen, daß dieses Wort allerdings unter den heute vorliegenden Bezeugungen einen furchtbaren Eindruck machen muß, unter den damaligen Voraussetzungen aber nicht als eine persönliche Ausrottung, persönliche Vernichtung von Millionen von Juden aufgefaßt wurde. Ich darf auch darauf hinweisen, daß selbst der britische Premierminister in einer amtlichen Rede am 23. oder 26. September 1943 im Unterhaus von der Ausrottung mit Stumpf und Stiel des Preußentums und vom Nationalsozialismus gesprochen hat.

Diese Worte aus dieser Rede habe ich zufällig gelesen. Ich habe auch nicht angenommen, daß er damit die Erschießung aller preußischen Offiziere und Nationalsozialisten versteht.

Das Dokument Ro-135, dazu muß ich folgendes sagen. Es ist datiert vom 18. Juni 1943. Ich bin am 22. Juni von einer Dienstreise aus der Ukraine zurückgekommen. Ich fand nach dieser Dienstreise eine Menge von Vormerkungen über Besprechungen vor. Ich fand viele Briefe vor, ich fand vor allen Dingen den mir mündlich schon durchgegebenen Führererlaß von Mitte Juni 1943 vor, in dem der Führer mich anwies, mich überhaupt nur auf das Grundsätzliche in der Gesetzgebung zu beschränken und mich damit nicht zu sehr in die Einzelheiten der Verwaltung der Ostgebiete hineinzubegeben. Ich bin mißmutig von dieser Reise zurückgekommen, und ich habe dieses Dokument nicht gelesen. Ich kann aber ebenfalls nicht annehmen, daß dieses Dokument nicht etwa von meinem Büro vorgetragen worden ist. Nach der Gewissenhaftigkeit meines Büros kann ich nur annehmen, daß im Laufe des Vortrags über viele Dokumente mir mitgeteilt wurde, daß wieder eine schwere,... eine[552] große Beschwerde zwischen Polizei- und Zivilverwaltung vorliege, wie es schon manche Beschwerde gegeben hat, und ich höchstens gesagt haben kann: Geben Sie das bitte dem Gauleiter Meyer, oder: Geben Sie das dem Polizeioffizier als Verbindungsmann, um diese Dinge zu prüfen! Diese furchtbaren Einzelheiten wären mir sonst im Gedächtnis geblieben. Ich vermag zu dieser Sache nicht mehr zu sagen, als ich bei der Befragung, als sie mir vorgelegt wurde, auszusagen vermochte.


DR. THOMA: Ich übergebe dem Gericht das Exhibit Ro-13, ein Memorandum Kochs an Rosenberg, das die Beschwerde über die Kritik Rosenbergs und Rechtfertigung seiner Politik in der Ukraine vom 16. März 1943, Ro-13, und ein Schreiben Rosenbergs an den Reichsminister Lammers enthält, sein Abschiedsgesuch an den Führer vom 12. Oktober 1944.

Hohes Gericht! Das Dokument Ro-13, Memorandum Kochs an Rosenberg, möchte ich dem Gericht...


VORSITZENDER: Welche Nummer?


DR. THOMA: Ro-13, 192-PS, Dokumentenbuch 2, Seite 14. Ich möchte das dem Gericht selbst vortragen und folgende Bemerkung vorausschicken.

VORSITZENDER: Es ist sehr lang, Dr. Thoma, Sie brauchen doch sicherlich nicht alles zu verlesen?


DR. THOMA: Ich werde Ihnen nicht alles vorlesen, aber, meine Herren, ich habe leider nur Gelegenheit, den Staatssekretär Riecke als einen Beamten des Ostministeriums dem Gericht vorzuführen. Das Gericht wird aber schon von diesem Zeugen, der vor Gericht erscheint, entnehmen können, daß geradezu das Beste, was das Deutsche Reich an Beamten gehabt hat, im Ostministerium eingesetzt worden ist und gewissenhaft jeder einzelnen Beschwerde nachgegangen ist. Es ist nicht an dem, daß neben dem, was wir heute gehört haben, noch eine Unzahl anderer Verbrechen verübt worden ist, die nicht zur Kenntnis des Gerichts gekommen ist, sondern ich glaube, daß alles erschöpfend dargetan ist, was während dieser vier oder fünf Jahre im Osten an gewiß Schrecklichem passiert ist, und es ist nun die Frage, wie der Gauleiter Koch darauf reagiert hat.


VORSITZENDER: Das Gericht will nur, daß Sie nicht das ganze Dokument vorlesen, das viele Seiten lang ist. Das heißt, Sie können fortfahren und die wesentlichen Teile daraus verlesen.


DR. THOMA: Ich möchte also die Behauptung aufstellen, daß jeder einzelnen Beschwerde, die an das Ostministerium gekommen ist, nachgegangen worden ist. Der Gauleiter Koch schreibt:

»Verschiedene Erlasse des Herrn Reichsministers für die besetzten Ostgebiete aus der jüngsten Zeit, in welchen in ungewöhnlich scharfer und mich verletzender Form meine [553] Arbeit bemängelt wurde und aus welchem sich Unklarheiten sowohl über die politische Linie als auch über meine rechtliche Stellung ergeben mußten, habe ich zum Anlaß genommen, um Ihnen, Herr Reichsminister, diesen Bericht in denkschriftähnlicher Form vorzulegen«,

und dann kommen nun Bemerkungen, aus denen hervorgeht, daß das Ostministerium den Beschwerden nachgegangen ist. Er beschwert sich darüber:

»So wird mir zum Beispiel vom Ministerium vom 12. Januar 1943... mitgeteilt, daß eine Ostarbeiterin Anna Prichno aus Smygalowka geklagt hat, daß ihre in der Ukraine zurückgebliebenen Eltern die Steuern nicht bezahlen könnten. Es wird mir nicht nur aufgegeben, diese Steuern zu streichen oder auf die Hälfte zu ermäßigen, sondern auch ›über das Veranlaßte zu berichten‹.«

Seite 13:

»In neuerer Zeit werden mir zahlreiche Einzelbeschwerden von Ostarbeitern, die im Altreich tätig sind, zugeleitet, und zwar werde ich in jedem Einzelfall zum Bericht aufgefordert, meistens mit so kurzer Berichtsfrist, daß diese schon unmöglich einzuhalten ist.«

Auf Seite 15 und 16:

»Es wirkt daher befremdend«, schreibt der Gauleiter Koch, »wenn in dem Erlaß I/41 vom 22. 11. 1941 das ukrainische Volk als stark mit germanischem Blut durchsetzt bezeichnet wird, woraus sich seine beachtenswerten kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen erklären sollen. Wenn aber gar in einem Geheimerlaß vom Juli 1942, auf den ich am Schluß dieses Abschnitts noch näher zu sprechen komme, festgestellt wird, daß es sehr viel Berührungspunkte zwischen dem deutschen und ukrainischen Volke gibt, so muß das Befremden einem gewissen Erstaunen Platz machen. Dieser Erlaßentwurf verlangte nicht nur korrekte, sondern liebenswürdige Umgangsformen den Ukrainern gegenüber...

Auch nachstehend möchte ich noch einige Beispiele für die mangelnde Zurückhaltung den Ukrainern gegenüber angeben. So wird mir zum Beispiel mit Erlaß vom 18. 6. 1942... mitgeteilt, daß von Ihnen für insgesamt 2,3 Millionen Reichsmark ukrainische Schulbücher zu Lasten meines Haushalts beschafft werden würden, ohne mit mir überhaupt vorher Verbindung aufzunehmen.«


VORSITZENDER: Halten Sie es für nötig, all das vorzulesen? Ich bin nicht ganz sicher, wie weit Sie sind, weil ich weitergelesen habe.

[554] DR. THOMA: Herr Präsident! Darf ich dazu etwas sagen? Ich habe nämlich schon reichlich ausgewählt. Dieses Memorandum ist ein ganz dickes Heft; aber ich will mich noch mehr beschränken und möchte nur betonen, in diesem Memorandum befindet sich auf jeder Seite eine Beschwerde über die Gewissenhaftigkeit, mit der Rosenberg allen Einzelbeschwerden nachgegangen ist. Aber ich werde mich ganz kurz fassen:

»Es ist nicht notwendig, daß durch mehrfache Erlasse Ihres Ministeriums und durch fernmündliche Vorstellungen immer wieder darauf hingewiesen wird, daß jeder Zwang bei der Arbeiterwerbung zu unterbleiben hat.«

Und dann noch eine ganz kurze Bemerkung:

»Wenn ich hier mehr Erlasse gegen das Prügeln herausbringe als tatsächlich geprügelt wird, mache ich mich lächerlich.«

Das ist einige Male vorgekommen, und jeder einzelne Fall wurde notorisch gerügt.

Und nun kommt etwas sehr Wichtiges, Hohes Gericht, nämlich nun droht der Gauleiter Koch mit Vorstellungen beim Führer und sagt:

»Es hat von mir, als altem Gauleiter, noch niemand verlangt, daß ich ihm die Artikel, die ich schreibe, vorzulegen habe, denn von der politischen Verantwortung, die ich für einen mit meinem vollen Namen gezeichneten Artikel trage, kann mich ja wohl außer dem Führer niemand entbinden...

Abschließend möchte ich zu diesen Ausführungen über meine Zuständigkeit noch das Verhältnis der Reichskommissare zum Führer berühren. Ich bin es als alter Gauleiter gewohnt, mit meinen Sorgen und Wünschen zu meinem Führer zu gehen, und dieses Recht ist mir in meinem Amt als Oberpräsident auch durch meinen vorgesetzten Minister nie bestritten worden...

Mit Erlaß I 6 b 4702/42 wird mir befohlen, Berufungen auf den Willen des Führers in Berichten an Sie zu unterlassen, da die Übermittlung dieses Willens ausschließlich Ihre Angelegenheit wäre. Ich muß hierzu bemerken, daß der Führer mir als altem Gauleiter durchaus seine politischen Weisungen wiederholt mitgeteilt hat...

Wenn man den Reichskommissaren noch ihre Stellung zum Führer nimmt oder beschneidet, so bleibt wenig übrig, was die Stellung eines Reichskommissars mit Inhalt zu füllen imstande ist.«

Und dann sagt er noch auf Seite 50:

[555] »Ich muß ausdrücklich erklären, daß ich unter den gegebenen Umständen die Verantwortung für den Erfolg der Arbeiterwerbung und der Frühjahrsbestellung ablehnen muß.«

Rosenberg hat ihm empfohlen, im Wege der Arbeiterwerbung weiter zu fahnden.

Am Schluß sagt er:

»Meine Stellung ist von Ihnen in den letzten 3 Wochen so oft beeinträchtigt worden, daß sie ohnehin nur noch durch den Führer wieder hergestellt werden könnte.«

Daraufhin erfolgte eine Auseinandersetzung bei Hitler persönlich in der Reichskanzlei zwischen Rosenberg, Bormann und Koch, und das Ergebnis war, daß Bormann und wesentlich Koch recht bekommen hat und dem Angeklagten Rosenberg mitgeteilt wurde, er solle sich auf das Grundsätzliche beschränken. Daraufhin hat nun der Angeklagte sein Abschiedsgesuch eingereicht.

Ich möchte nun den Angeklagten bitten, das selbst noch näher zu begründen. Es ist im Dokumentenbuch 2, Seite 27.

ROSENBERG: Ich möchte bemerken, daß ich...

VORSITZENDER: Dr. Thoma! Wir wollen jetzt eine Pause von zehn Minuten einschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. THOMA: Herr Zeuge! Es ist vor einigen Tagen das Dokument erwähnt worden, aus dem hervorgeht, daß der Waldbezirk Zuman die Leibjagd des Reichskommissars werden sollte, und daß deswegen Hunderte von Menschen abgeschossen wurden, weil die Umsiedlung zu umfangreich und zu lange Zeit in Anspruch genommen hätte. Wollen Sie sich dazu äußern?

ROSENBERG: Ich habe im Laufe der Zeit manche Mitteilungen über einzelne Gewalttätigkeiten im Osten erhalten. Bei Nachforschungen hat sich sehr oft ergeben, daß diese Meldungen den Tatsachen nicht entsprachen. In diesem Falle schien mir diese Mitteilung so glaubhaft, daß ich sie zum Anlaß nahm, meinen Konflikt mit dem Gauleiter Koch dem Führer unmittelbar zum Vortrag zu bringen.

Ich hatte neben anderen, neben der Frage der Schule in der Ukraine, neben der Errichtung von Fachhochschulen und neben bestimmten persönlichen Äußerungen von Koch, die ich zur Beschwerde einreichte, auch diesen Bericht unterbreitet.

Bei dem Vortrag beim Führer legte der Reichskommissar Koch ein Gutachten der Oberforstverwaltung der Ukraine vor. Daraus ergab sich, daß diese Waldgebiete für Holzeinschlag zur Lieferung [556] entweder von Eisenbahnschwellen oder sonstigem notwendigen Bedarf herangezogen werden mußten, daß in diesen Waldgebieten aber auch sich schon verschiedene Banden und Partisanen gebildet hatten, und daß eine solche Arbeit bei der unübersichtlichen Lage außerordentlich gefährlich sei; und es wurde festgestellt, daß Koch nicht aus früher tatsächlich vorgesehenen Jagdinteressen, sondern aus diesem Grunde eine Säuberung dieses Gebietes anbefohlen hätte, und daß bei dieser Säuberung eine ganze Anzahl von Partisanen oder Banden vorhanden gewesen seien, die erschossen wurden. Der andere Teil aus den Waldgebieten sei umgesiedelt worden, und, wie Koch neben diesem Forstgutachten noch hinzufügte, persönlich beim Führer, hatten verschiedene dieser Umgesiedelten noch den Dank ausgesprochen, daß sie ein besseres Land bekommen hätten, als sie es in den Waldgebieten gehabt hätten. Nach diesen Darstellungen von Koch zuckte der Führer mit den Achseln und sagte: Also, es ist schwer, hier zu entscheiden; falls also dieses Gutachten der Forstverwaltung der Ukraine in diesem Sinne hier vorliegt, muß ich die Sache auf sich beruhen lassen, und die übrigen Entscheidungen zur ukrainischen Politik werden Sie erhalten. Und das ist dann im Juli durch einen Erlaß geschehen, der sich auch bei meinen Akten befindet, aber leider nicht aufgefunden wurde, über den der Zeuge Lammers ausgesagt hatte, und der im wesentlichen feststellt, der Reichskommissar dürfe keine Obstruktion treiben, der Ostminister sollte sich auf das Grundsätzliche beschränken, seine Verordnungen dem Reichskommissar zur Stellungnahme vorlegen, und bei Konflikten müsse die Entscheidung des Führers eingeholt werden.

Ich habe nach diesem Erlaß des Führers mich dann noch einmal bemüht, das, was ich für richtig gehalten habe, weiter zu vertreten, aber ich will natürlich nicht bestreiten, daß ich manches Mal durch einen Druck aus dem Führerhauptquartier durch Bormann etwas mürbe wurde und bei dem Hinweis, dem deutlichen Hinweis, daß ich mich für die Ostvölker scheinbar mehr interessiere, als für das Wohlergehen der deutschen Nation, auch einige beruhigend Erklärungen abgegeben habe; aber meine Erlasse und meine Weiterführung der Anordnungen sind in der alten Weise weitergegangen, und ich habe dem Führer, wie ich es nachträglich und mit Überlegung feststellen kann, achtmal in dieser Angelegenheit persönlich Vortrag gehalten und schriftliche Gesuche eingereicht und meine Erlasse in dieser Richtung gerichtet.

Als nun im Jahre 1944 sich auch der Reichsführer-SS nicht nur mit der Polizei, sondern auch mit der Politik der Ostgebiete befaßte, und ich seit Mitte November 1943 zu einem Vortrage im Führerhauptquartier nicht mehr ankommen konnte, da habe ich es schließlich zum letztenmal versucht, dem Führer noch einmal einen Vorschlag einer großzügigen Ostpolitik zu machen und zu gleicher [557] Zeit ihn bei einer Ablehnung sehr deutlich gebeten, von meiner weiteren Beschäftigung Abstand zu nehmen. Diese Urkunde ist ein Schreiben an Dr. Lammers zunächst vom 12. Oktober 1944, in dem es anfangs heißt:

»Angesichts der laufenden Entwicklung in der Ostproblematik bitte ich Sie, beiliegendes Schreiben dem Führer persönlich vorzulegen. Ich halte die Art und Weise, wie die Dinge der deutschen Ostpolitik heute behandelt werden, als so unglück lich, zugleich bin ich an diesen Unterhandlungen nicht beteiligt worden, und doch wird mir die Verantwortung dafür zugeschoben, so daß ich Sie bitte, dem Führer mein Schreiben möglichst bald zur Entscheidung vorzulegen.«

Dr. Lammers hat dieses Schreiben dann sofort an den Sekretär des Führers, Bormann, weitergeleitet. In dem unmittelbaren Schreiben an den Führer heißt es auf Seite 2:

»Zur Beobachtung und Steuerung dieser Entwicklung habe ich bei dem Ostministerium Leitstellen für alle Völker des Ostens eingerichtet, die nach manchen Erprobungen jetzt als den Umständen entsprechend als gut besetzt betrachtet werden können und auch Vertreter der entsprechenden Regionen und Rassen enthalten. Wenn es der deutschen Politik zweckmäßig erscheint, können diese Vertreter als besonderes nationales Komitee anerkannt werden.«

Diese hier erwähnten Zentralstellen hatten die Aufgabe, daß die Vertreter aller Völker des Ostens die Beschwerden ihrer Volksangehörigen im deutschen Hoheitsgebiet persönlich entgegennahmen und dem Ostministerium gegenüber vertraten, daß diese Beschwerden dann mit der zuständigen deutschen Arbeitsfront, mit der Polizei oder dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz durchgearbeitet wurden.

Auf Seite 5 heißt es dann:

»Was das Ostministerium in letzter Zeit auf dem Gebiete der politischen Führung getan hat, habe ich dem Reichsminister und Chef der Reichskanzlei in einem Schreiben vom 28. 9. 1944 mitgeteilt, und ich bitte Sie, mein Führer, sich den Inhalt vortragen zu lassen.«

Das ist ein Hinweis auf eine weitere Eingabe.

Auf Seite 6 heißt es:

»Ich bitte Sie, mein Führer, mir zu sagen, ob Sie meine Tätigkeit in dieser Richtung noch wünschen; da es mir nicht möglich gewesen ist, Ihnen mündlich Vortrag zu halten, die Probleme des Ostens aber an Sie von verschiedenen Seiten herangetragen und besprochen werden, so muß ich angesichts dieser Entwicklung der Annahme Raum geben, daß Sie diese meine Tätigkeit vielleicht nicht mehr als notwendig erachten. [558] Hinzu kommt noch, daß aus mir nicht bekannten Quellen die Gerüchte von der Auflösung des Ostministeriums ausgestreut werden, ja, daß diese Gerüchte in dienstlichen Schreiben an oberste Reichsbehörden auf Grund verschiedener erhobener Forderungen angegeben werden. Unter solchen Umständen ist eine zweckentsprechende Arbeit, mein Führer, nicht möglich, und ich bitte Sie, mir Ihre Weisungen zukommen zu lassen, wie ich mich angesichts der entstandenen Lage der Dinge zu verhalten habe.«

In der Mitte des nächsten Absatzes weise ich dann noch auf folgendes hin, von Konzeptionen, die ich am ersten Tage in meiner Rede vom 20. Juni in meinem Protest auf der Sitzung vom 16. Juni ausgesprochen habe. Und es heißt hier wörtlich:

»Diese Konzeption sah vor, alle nationalen Kräfte der Ostvölker zu mobilisieren, ihnen von vornherein und freiwillig eine bestimmte Autonomie und kulturelle Entwicklungsmöglichkeit zuzusprechen, mit dem Ziel, sie gegen den bolschewistischen Gegner zu führen. Diese, wie ich anfangs annehmen durfte, von ihnen gebilligte Konzeption ist nicht durchgeführt worden, weil die Völker politisch gegenteilig behandelt wurden.

Einzig und allein mit der von Ihnen gebilligten Agrarordnung von 1942 ist die Arbeitswilligkeit bis zum Schluß durch Pflege einer bestimmten Eigentumshoffnung erhalten geblieben...«

Und als Anlage zu diesem Brief an den Führer ist ein »Vorschlag für die Regelung der Ostpolitik« noch einmal, zum letzten Male, gemacht worden. Und er lautet folgendermaßen, bitte von Absatz 2 auf Seite 2:

»Die genannten Leiter der Leit- und Betreuungsstellen für die Völker des Ostens beim Reichsminister Ost werden von diesem im Namen der Reichsregierung zu einem vom Führer festzulegenden Zeitpunkt als National-Komitees anerkannt. Unter dem Begriff National-Komitee ist zu verstehen, daß diese als von der deutschen Reichsregierung berechtigte Sprecher ihrer Völker auftreten könnten.«

Auf Seite 2 in der Mitte heißt es:

»Bei der Führung der Völker des Ostens...«

VORSITZENDER: Ist der Gerichtshof an allen diesen Einzelheiten interessiert? Das Wesentliche davon wurde doch vom Zeugen gesagt, nicht wahr? Er faßte den Brief kurz zusammen, bevor er daraus vorzulesen begann. Da ist nichts Neues bis jetzt.

DR. THOMA: Herr Präsident! Der Angeklagte wollte noch einmal kurz zusammenfassen, was seine Konzeptionen waren bezüglich [559] der Ukraine, nämlich Autonomie, freie kulturelle Entwicklung, und das war der Kern des Gegensatzes zu Koch, daß Koch im wesentlichen den Gedanken der Ausbeutung zu sehr betont hat; und deswegen wollte der Angeklagte noch einmal sagen, was der ganze Plan seiner Konzeptionen gegenüber der Sowjetunion gewesen ist. Aber es kann jetzt dieses Gebiet verlassen werden. Ich möchte, bevor ich zu der Frage der Aufbauwilligkeit der Ukraine Stellung nehme, den Angeklagten auch veranlassen, zu der Frage der Behandlung der Kriegsgefangenen Stellung zu nehmen. Dokument 081.


VORSITZENDER: Befindet es sich irgendwo in Ihren Büchern? Ist es 081-PS?


ROSENBERG: Es ist Beweisstück USSR-353. Die Klagen über die Kriegsgefangenen kamen aus verschiedenen Quellen. Ziemlich am Anfang ist bereits das Ostministerium damit befaßt worden, und dann später, besonders im Winter von 1941/42, sind Klagen durch reisende Offiziere oder Soldaten mitgebracht und mir von meiner politischen Abteilung vorgetragen worden. Wir haben diese Beschwerden dann an die zuständigen militärischen Dienststellen mit der Bitte weitergeleitet, sie doch zu berücksichtigen aus verständlichen Gründen. Diese Beschwerden sind häufig eingereicht worden, und meine Mitarbeiter haben mir im Laufe der Zeit erklärt, daß sie mit diesen Wünschen auf großes Verständnis gestoßen sind, namentlich auf den von uns ausgesprochenen Wunsch, aus dieser großen Zahl von Sowjetgefangenenlagern die Gefangenen nach Völkerschaften auszuwählen und sie in kleine Umgrenzungen zu bringen, weil durch diese Volkszugehörigkeit die politische und menschliche Behandlung am besten gesichert wäre. Angesichts der vielen Klagen über das Sterben vieler Tausender von Sowjetgefangenen ist mir mehr als einmal die Mitteilung zugekommen, daß in den Kesselschlachten die Verbände der Roten Armee sich so zäh verteidigt hätten und nicht ergaben und sogar – vor Hunger vollkommen erschöpft – schließlich in deutsche Gefangenschaft gerieten, und daß in zahlreichen Fällen sogar Kannibalismus festgestellt wurde, immer noch aus der Zähigkeit, sich auf keinen Falle ergeben zu wollen.

Die dritte Klage, die ich hörte, war, daß die politischen Kommissare erschossen würden. Auch diese Beschwerde haben wir weitergeleitet. Daß hier ein Befehl vorlag, war mir unbekannt. Wir haben aus anderen Berichten die Schlußfolgerung gezogen, daß, da wir hörten, daß viele deutsche Gefangene, die später befreit wurden, zum großen Teil tot und verstümmelt wiedergefunden wurden, hier offenbar eine politische oder polizeiliche Vergeltung geübt wurde. In späterer Zeit habe ich die Mitteilung bekommen, daß ein solches Erschießen verboten sei; und hier haben wir angenommen, daß die politischen Kommissare ebenso zur regulären Roten Armee gehörten. Nun liegt hier das Dokument 081-PS vor. Es ist von der Anklage [560] erklärt worden, daß es ein Schreiben des Ostministers an den Chef des OKW sei. Dieses Dokument ist auch in meinen Akten gefunden worden, ist aber nicht ein Schreiben von mir an den Chef des OKW Keitel, sondern es ist offenbar von dem Absender in meinem Büro hinterlegt worden. Auf dem Kopf links oben auf Seite 1 ist ersichtlich, daß hier eine Zahl »I« steht. Das bedeutet Abteilung eins. Bei Schreiben von mir fehlt immer eine solche Kennzeichnung, weil es sich bei mir ja nicht um eine Abteilung gehandelt hat. Ferner werden Schreiben von mir an den Chef des OKW immer persönlich entweder mit dem Namen des Adressaten eingeleitet oder aber mit einer persönlichen Anrede, Chef OKW ist die Dienststelle. Genau so, wie eine gewöhnliche Adresse: »Reichsminister für die besetzten Ostgebiete« nicht ein Brief an mich persönlich ist, sondern an die Behörde. Ich gehe auf diese einzelnen Dinge nicht ein aber gestatte mir nur einen Schlußabsatz zu verlesen, von dem ich auch erklären darf, daß er dem Geiste entspricht, wie ich mich bemüht habe, meine Mitarbeiter zu erziehen und umgekehrt, sie glaubten gerade in diesem Sinne von sich aus ähnlich zu handeln und sich ausdrücken zu müssen.

Auf Seite 5 heißt es dann wörtlich:

»An die Spitze der Forderungen ist zu stellen...«

VORSITZENDER: Welches Datum?

ROSENBERG: Der Brief hat das Datum vom 28. Februar 1942, also im Winter während dieser furchtbaren Kälteperiode. Auf Seite 6 heißt es dann wörtlich:

»An die Spitze der Forderungen ist zu stellen, daß die Behandlung der Kriegsgefangenen nach den Gesetzen der Menschlichkeit und entsprechend der Würde des Deutschen Reiches zu erfolgen hat. Es ist verständlich, daß die vielfach festgestellte unmenschliche Behandlung deutscher Kriegsgefangener durch Angehörige der Roten Armee die deutschen Truppen so verbittert, daß sie Gleiches mit Gleichem zu vergelten trachten. Solche Vergeltungsmaßnahmen bessern aber die Lage der deutschen Kriegsgefangenen keineswegs, sondern sie müssen in ihren letzten Konsequenzen dazu führen, daß schließlich beide Seiten keine Gefangenen mehr machen.«

Ich wollte dieses Schreiben nur zitieren, weil ich andere Unterlagen über die Tätigkeit meiner politischen Abteilung nicht zur Verfügung habe, und das nur ein Beispiel von der Tätigkeit ist, das, wie ich glaube, diese Fragen behandelt.

DR. THOMA: Herr Präsident! Ich wollte das Ostministerium im wesentlichen damit zum Abschluß bringen, daß ich jetzt dem Gericht die eidesstattliche Versicherung des Professors Dr. Dencker vorlege über den Einsatz an landwirtschaftlichen Maschinen in der Ukraine; [561] Dokument Ro-35 ist mir vom Gericht bereits genehmigt worden. Es handelt sich bei dieser eidesstattlichen Versicherung um folgendes:

VORSITZENDER: Sind Sie jetzt mit Ihrem Verhör fertig?


DR. THOMA: Mit dem Ostministerium bin ich fertig. Ich habe nur noch einige kurze Fragen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat diese eidesstattliche Versicherung erst kürzlich gesehen, es ist also nicht nötig, sie zu verlesen. Können Sie uns die Beweisstücknummer angeben?


DR. THOMA: Ro-35, Ro-35.

Es handelt sich also um die Maschinen, die in einem Wert von 180 Millionen in die Ukraine geliefert wurden, landwirtschaftliche Maschinen.

Herr Zeuge! Gehörten Sie der SA oder der SS an?


ROSENBERG: Nein, ich habe weder der SA noch der SS angehört.


DR. THOMA: Sie haben also nie eine SS-Uniform auch getragen?


ROSENBERG: Nein.


DR. THOMA: Wissen Sie etwas über Konzentrationslager?


ROSENBERG: Ja, diese Frage ist selbstverständlich allen gestellt worden, und von der Tatsache der Konzentrationslager habe ich 1933 gehört. Ich muß aber, trotzdem es wie eine Wiederholung erscheint, erklären, daß mir nur zwei Konzentrationslager namentlich bekannt waren, und zwar Oranienburg und Dachau. Bei der Erklärung dieser Institution wurde mir unter anderem mitgeteilt, daß sich in einem Konzentrationslager 800 kommunistische Funktionäre befinden, deren Vorstrafen im Durchschnitt vier Jahre Gefängnis, zum Teil auch Zuchthausstrafen betrugen. Ich habe auch angesichts der Tatsache, daß es sich hier ja, wenn auch um eine mit legalen Formen vollzogene Umwälzung, doch um eine Revolution handelt, auch verständlich empfunden, daß für einige Zeit dieser neue Staat eine Schutzhaft über diese Gegner verhängt. Ich habe aber zu gleicher Zeit ja auch gesehen und gehört, wie unsere härtesten Gegner, denen sonst nichts Kriminelles oder so vorgeworfen wurde, in großzügigster Weise behandelt wurden, daß zum Beispiel unser härtester Gegner, der preußische Minister Severing, mit voller Ministerpension in den Ruhestand trat, und gerade diese Haltung, die habe ich als nationalsozialistisch empfunden, und darum mußte ich annehmen, daß diese Einrichtungen politisch und staatspolitisch notwendig seien, und habe diese Überzeugung durchaus gehabt.


DR. THOMA: Waren Sie an der Evakuierung der Juden aus Deutschland beteiligt?


[562] ROSENBERG: Ich darf vielleicht eines noch hinzufügen: Ich habe kein ernstliches Konzentrationslager besucht, weder Dachau noch ein anderes. Ich habe einmal Himmler, es war im Jahre 1938, auf die Konzentrationslager angesprochen und ihm gesagt, man höre aus der ausländischen Presse allerhand abträgliche Greuelmeldungen, wie es damit stünde. Himmler sagte mir: Kommen Sie doch einmal nach Dachau und sehen Sie sich die Dinge an. Wir haben hier ein Schwimmbecken, wir haben die sanitären Anlagen, tadellos, es ist nichts dagegen einzuwenden. Ich habe dieses Lager nicht besucht, weil, wenn wirklich etwas nicht in Ordnung sein sollte, Himmler mir dann wahrscheinlich nach einer solchen Frage das nicht zeigen würde. Zum anderen habe ich, aus Geschmacksrücksichten, ihrer Freiheit beraubte Menschen nicht einfach beobachten zu wollen, davon Abstand genommen. Ich dachte aber, daß ein solches Anreden Himmlers ihn darauf aufmerksam machen würde, daß solche Gerüchte bekanntgeworden sind.

Ein zweites Mal, das war später, ich vermag aber nicht zu sagen, ob es vor oder nach Ausbruch des Krieges war, hat Himmler selbst mich angesprochen in der Angelegenheit der sogenannten Ernsten Bibelforscher, das heißt in einer Angelegenheit, die auch von der Anklage als eine religiöse Verfolgung vorgelegt wurde. Himmler erklärte mir nur, es sei ja unmöglich, daß man in diesem Zustand des Reiches eine Kriegsdienstverweigerung hinnehme, das müßte ja unabsehbare Folgen haben, und er erzählte weiter, daß er mit diesen Häftlingen oft persönlich gesprochen habe, um sie zu verstehen und eventuell sie zu überzeugen. Das sei aber unmöglich gewesen, da sie auf alle Fragen mit auswendig gelernten Zitaten, Bibelzitaten, antworten, so daß nichts anzufangen sei. Aus dieser Erklärung von Himmler habe ich entnommen, daß er unmöglich, weil er mir so etwas erzählte, eine Erschießungsaktion dieser Ernsten Bibelforscher präparieren oder gar durchführen wolle. Aus dem mir liebenswürdigerweise vom amerikanischen Kaplan in meiner Zelle übergebenen Kirchenblatt aus Columbus habe ich entnommen, daß auch die Vereinigten Staaten während des Krieges die Zeugen Jehovas festgehalten hatten, und daß 11000 noch bis zum Dezember 1945 in diesem Lager gehalten wurden. Ich nehme an, daß hier bei solchen Zuständen jeder Staat irgendwie eine solche Ablehnung eines Kriegsdienstes in irgendeiner Form beantworten muß; und das war auch meine Haltung, und ich konnte Himmler in diesem Punkte nicht unrecht geben.


DR. THOMA: Konnten Sie in der Sache, im Fall des Pastors Niemöller einmal intervenieren?


ROSENBERG: Ja, als der Fall des Pastors Niemöller vor Gericht in Deutschland behandelt wurde, da habe ich einen Mitarbeiter meiner Dienststelle zu diesem Prozeß hingeschickt, weil mich das [563] dienstlich und menschlich interessierte. Dieser Mitarbeiter namens Dr. Ziegler gab mir dann einen Bericht, aus dem ich entnahm, daß diese Anklage zum Teil auf Mißverständnissen der Behörde beruhe, und zum anderen, daß es doch nicht so schwerwiegend sei, wie ich auch annehmen mußte. Ich habe diesen Bericht dann dem Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, vorgelegt und ihm gesagt, ob er nicht auch diesen Fall überlegen könnte, und nach längerer Zeit, als ich einmal beim Führer war, habe ich das Gespräch auf diese Angelegenheit gebracht und erklärte, daß ich diesen ganzen Prozeß für höchst unglücklich halte und die Handhabung, wie es später erfolgt war. Der Führer sagte mir: Ich habe von Pastor Niemöller nur eine bindende Erklärung gefordert, daß er als Pfarrer nicht gegen den Staat Kampferklärungen abgibt. Das hat er abgelehnt, und ich kann ihn eben nicht freilassen. Im übrigen habe ich befohlen, daß er auf das anständigste behandelt wird, daß er als starker Raucher die besten Zigarren bekommt, und daß er alle wissenschaftlichen Forschungsmöglichkeiten erhält, falls er das wollte.

Ich weiß nicht, auf welchen Mitteilungen die Ausführung des Führers beruhte, aber sie war für mich so eindeutig, daß ich in dieser Sache keine weitere Intervention zu machen in der Lage war.


DR. THOMA: Und nun kommt die vorletzte Frage: Ist es richtig, daß nach der Machtübernahme von Ihrer Seite eine gewisse Überprüfung Ihrer Haltung zu den Juden erfolgt ist, und daß in der ganzen Behandlung der Juden unmittelbar nach der Machtübernahme eine gewisse Besinnung eingetreten ist, und daß man ursprünglich gemeint hat, die Judenfrage ganz anders zu lösen?


ROSENBERG: Ich will nicht bestreiten, daß in dieser Kampfzeit bis 1933 auch meinerseits eine sehr scharfe Polemik publizistischer Art geführt worden ist, und daß in dieser Polemik auch manche harte Worte und Vorschläge ausgesprochen worden sind. Nach der Machtübernahme dachte ich, und ich glaubte hier begründet, daß auch der Führer so dachte, daß nunmehr ein Abstand davon genommen werden könne, und daß eine bestimmte Parität und eine ritterliche Behandlung dieser Frage Platz greifen solle. Unter Parität verstand ich, und ich habe das in einer öffentlichen Rede vom 28. Juli 1933 und dann auf dem Parteitag im September 1933 öffentlich über den ganzen Rundfunk ausgesprochen, folgendes: Es sei zum Beispiel nicht möglich, daß die Berliner städtischen Krankenanstalten 80 % jüdische Ärzte hätten, und daß 30 % hierauf ihre Parität sei. Ich habe ferner auf dem Parteitag ausgesprochen, daß wir Zustände gehört hätten, daß die Reichsregierung bei all diesen paritätischen Maßnahmen und darüber hinaus Ausnahmen für alle Angehörigen des jüdischen Volkes machte, die einen Verwandten im Kriege, Vater oder Sohn, verloren hatten, und ich habe den Ausdruck gebraucht, daß wir uns jetzt bemühen müßten, diese Frage [564] in ritterlicher Form zu lösen. Daß es dann anders gekommen ist, ist ein tragisches Schicksal, und ich muß sagen, daß dann die kommende Tätigkeit in der Emigration und die Unterstützung dieser Emigration in vielen Staaten des Auslandes die Verschärfung der Haltung wieder zur Folge gehabt hat, und daß dann Dinge eingetreten sind, die bedauerlich sind, und mir innerlich, muß ich sagen, die Kraft raubten, weiterhin in dieser von mir geforderten Art öffentlich beim Führer vorzugehen. Wie gesagt, das was hier in der kürzlich genannten und bekanntgegebenen Polizeigeheimsprache ausgesprochen wurde und hier neulich bezeugt wurde, habe ich einfach für menschenunmöglich gehalten und hätte es nicht geglaubt, selbst wenn mir Heinrich Himmler es einmal gelegentlich selbst erzählt hätte. Es gibt Dinge, die auch für mich über das menschlich Mögliche hinausgehen; und das ist hier geschehen.


DR. THOMA: Ich habe noch eine letzte Frage. Zu dieser Frage möchte ich das Dokument Ro-15, 3761-PS übergeben. Es ist im Dokumentenbuch enthalten, aber bis jetzt noch nicht als Exhibit dem Gericht übergeben worden. Es enthält einen Brief Rosenbergs an Hitler mit dem Ersuchen, ihn nicht als Reichstagskandidaten zu benennen, vom Jahre 1924.

Herr Zeuge! Sie haben alle Phasen der Entwicklung des Nationalsozialismus von seinem Anfang bis zu seinem furchtbaren Ende mitgemacht. Sie haben den meteorhaften Aufstieg miterlebt und den furchtbaren Niedergang, und Sie sind sich darüber einig, daß alles gegipfelt hat in dieser einen Person. Wollen Sie dem Gericht noch mitteilen, was Sie auf Ihrer Seite getan haben und wieweit Sie dahin gewirkt haben, daß nicht alle Macht auf diese einzige Person zusammengefaßt wird, und was Sie getan haben, daß die Wirkungen in jeder Form abgeschwächt werden konnten. Ich lenke Sie zunächst auf das Ihnen übergebene Dokument, und dann auf das Dokument 047, das dem Gericht bereits unter US-725 vorgelegt worden ist.


ROSENBERG: Ich habe tatsächlich der nationalsozialistischen Bewegung von ihren ersten Tagen abgedient und bin in voller Loyalität zu einem Menschen gestanden, den ich in diesen langen Kampfjahren verehrte, weil ich sah, mit welcher persönlichen Hingabe und Leidenschaft dieser frühere deutsche Frontsoldat für sein Volk eingetreten ist. Was mich persönlich betrifft, so bezieht sich dieser Brief auf eine Epoche...


VORSITZENDER: Herr Dr. Thoma! Was fragen Sie den Zeugen eigentlich? Wir wollen nicht, daß er eine Rede hält. Wir wollen nur wissen, was Sie ihn eigentlich fragten.


DR. THOMA: Welche Vorschläge haben Sie gemacht, und haben Sie diese Vorschläge öffentlich vertreten, daß die Macht des Führers eingeschränkt wird?


[565] ROSENBERG: Ich habe dazu zu erklären, daß ich damals, und hier in vollem Übereinstimmen mit Adolf Hitler und in meinem persönlichen Werk »Der Mythus des 20. Jahrhunderts« den Vorschlag vertreten habe, daß das Führerprinzip ja nicht aus einem Kopf besteht, sondern daß Führer und Gefolgschaft einer gegenseitigen Pflichtgemeinschaft bedürfen. Ferner, daß unter diesen Begriff »Führerprinzip« die Einrichtung eines Senats fällt oder, wie ich mich ausgedrückt habe, eines Ordensrates, der eine korrigierende und beratende Funktion innehaben soll. Der Führer hat diesen Standpunkt selber dadurch unterstrichen, daß er im »Braunen Haus« in München einen Senatssaal mit 61 Sitzen einbaute, weil er selber das für notwendig hielt.

Ich bin für diesen Gedanken dann noch einmal in einer Rede 1934 eingetreten, aber...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß das keine Antwort auf die Frage ist, was er tat, um die Macht des Führers einzuschränken. Wir wollen wissen, was er tat, wenn er überhaupt etwas tat, um die Macht des Führers einzuschränken.


DR. THOMA: Er hat in einer öffentlichen Versammlung, ich verweise auf Dokumentenbuch I, Teil II, Seite 118 darauf hingewiesen, daß...


VORSITZENDER: Dr. Thoma! Ich wollte nicht, daß Sie es mir darlegen, ich wünsche, daß es der Zeuge dem Gerichtshof sagt.


DR. THOMA: Dann bitte ich Sie, sich zu konzentrieren auf diese beiden Reden, die Sie damals gehalten haben.


ROSENBERG: Ich kann die Reden zitieren, aber sie sind auch nicht eine direkte Antwort auf die Frage. Sie bedeuten, daß ich erklärt habe, daß der nationalsozialistische Staat nicht eine Kaste sein darf, die über die deutsche Nation herrscht, und daß der Führer einer Nation kein Tyrann sein darf; aber ich habe in Adolf Hitler keinen Tyrannen gesehen, sondern habe, wie viele Millionen Nationalsozialisten, ihm persönlich vertraut auf Grund der Erfahrungen eines vierzehnjährigen Kampfes. Seine persönlichen Vollmachten habe ich nicht beschränken wollen, in dem Bewußtsein jedoch, daß das eine persönliche Ausnahme für Adolf Hitler bedeutet, daß das aber nicht eine nationalsozialistische Staatsauffassung sei. Das war auch nicht das Führerprinzip, wie wir es auffaßten, und eine neue Ordnung des Reiches beinhaltete.

Adolf Hitler habe ich mit Loyalität gedient, und was von der Partei geschehen ist in diesen Jahren, das wurde von mir auch unterstützt. Was sich negativ auswirkte, gerade in einem falschen Herrentum, habe ich mitten im Kriege in Reden vor politischen Leitern gebrandmarkt und habe erklärt, daß diese Konzentration von Macht, wie sie augenblicklich im Kriege sich darstellte, nur [566] eine kriegsbedingte Erscheinung sein dürfe und nicht eine nationalsozialistische Staatsanschauung. Es könne für manche bequem sein, für 200000 Menschen bequem sein, es aber später zu behalten, würde den Persönlichkeitstod von 70 Millionen bedeuten. Ich habe das in Gegenwart der hohen SS-Führer und anderer Gliederungsführer oder Gauleiter ausgesprochen. Ich habe mit der Führung der Hitler-Jugend Fühlung genommen, mit meinen Mitarbeitern, im vollen Bewußtsein, daß nach dem Kriege hier in der Partei eine Reform einsetzen müsse, um die alten Forderungen der Bewegung, für die ich auch gekämpft habe, wieder zur Geltung zu bringen. Das ist nicht mehr möglich gewesen; das Schicksal hat die Bewegung beendet und ist einen anderen Weg gegangen.


DR. THOMA: Herr Zeuge! Können Sie eine konkrete Tatsache angeben, aus der hervorgeht, daß die Partei von Anfang an nicht den Gedanken gehabt hat, allein an die Macht zu kommen, sondern auch im Zusammenwirken mit anderen Parteien?


ROSENBERG: Das ist natürlich eine vierzehnjährige geschichtliche Entwicklung, und wenn ich diesen Brief hier auswerten kann, so möchte ich sagen, daß ich Ende 1923, nach dem Zusammenbruch des sogenannten Hitler-Putsches, als die damaligen Vertreter der Partei entweder gefangen waren oder nach Österreich emigrierten und ich mit wenigen in München geblieben war, den Standpunkt vertrat, daß hier eine andere Entwicklung Platz greifen müsse und die Partei sich in einem parlamentarischen Wettstreit zu bewähren hätte.

Der Führer, der damals in Landsberg in Haft saß, lehnte diesen Vorschlag ab. Ich habe ihn mit meinen Mitarbeitern aber doch befürwortet, worauf der Führer mir einen handschriftlichen, langen Brief, der sich auch in den Akten befindet, zustellte, in dem er seine Gründe entwickelte, warum er auf meinen Vorschlag nicht eingehen wollte. Später jedoch hat er zugestimmt.

Und hier in diesem Brief habe ich ihn, nachdem er später doch zugestimmt hat, gebeten, mich nicht als Reichstagskandidaten aufzustellen, und zwar aus dem Grunde, weil ich nicht durch Befürwortung einer Reichstagswahl die Vorteile eines Reichstagsabgeordneten haben sollte, und aus dem zweiten Grund, weil ich mich noch zu jung in Deutschland fühlte, um nach wenigen Jahren meiner Wirksamkeit mich schon derartig zu exponieren.


DR. THOMA: Ich habe keine Fragen mehr.


VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Im September und Oktober 1942 sind Ihnen verschiedene Berichte zugegangen über unhaltbare Zustände bei der Werbung von Arbeitern in den besetzten Ostgebieten. [567] Haben Sie nachgeprüft, ob die Angaben in diesen Berichten der Wahrheit entsprachen?


ROSENBERG: Diese Angaben, die im Ostministerium einliefen, sind von meiner Hauptabteilung »Arbeit und Sozialpolitik« dauernd in den Jahren überprüft worden, und ich hatte das Gericht gebeten, den dauernden Bearbeiter dieser Fragen, Dr. Beil, hier als Zeugen zu hören. Das ist auch vom Gericht bewilligt worden. Ich höre nun, daß Dr. Beil erkrankt sei und nur durch eine schriftliche Zeugenaussage seine Erfahrungen hier mitteilen kann. Aus meiner Kenntnis kann ich folgendes sagen: Die Dinge sind mir von Dr. Beil und von der sogenannten Zentralabteilung für die Angehörigen der Ostvölker mehrfach mitgeteilt worden. Ich habe sie in einem schon genannten Brief an Sauckel weitergeleitet. Sie sind dann dauernd an den Reichskommissar Ukraine oder an andere Verwaltungsvertreter mit Stellungnahme und Untersuchung geschickt worden. Ein Teil hat sich als richtig erwiesen, ein anderer Teil wurde als nicht richtig, als übertrieben, festgestellt, und, soviel ich weiß, hat auch der Generalbevollmächtigte Sauckel dann die von mir übergebenen Beschwerden zum Anlaß seines eigenen Eingreifens genommen, dann aber auch die Deutsche Arbeitsfront, der ja die Betreuung der gesamten fremdländischen Arbeiter im Deutschen Reiche übertragen war. Mit dem Inspekteur dieser Arbeitsfront ist ständig unterhandelt worden, und das Ostministerium hat hier ständig Wünsche geäußert, bis schließlich Ende 1944 mir Dr. Ley als Chef dieser Betreuungsstätte glaubte mitteilen zu können, daß nach vielen Schwierigkeiten nun wirklich haltbare und gute Zustände herbeigeführt worden seien. Ich habe ihm damals noch geantwortet, daß ich darüber meine Freude ausdrücken kann, daß ich aber immer noch Meldungen erhalte, daß hier und da die Dinge nicht stimmen. In der aktiven Durchführung haben die Vertreter meines Ministeriums zusammen mit der Inspektion der Deutschen Arbeitsfront eine Reihe von Arbeitslagern besichtigt, um die Beschwerden zu prüfen, und dann durch die Arbeitsfront diese abstellen zu lassen.


DR. SERVATIUS: Sie sprechen hier in der Hauptsache von den Verhältnissen in Deutschland, die ja Ihrer Zuständigkeit nicht unterlagen. Was haben Sie gegenüber Koch unternommen? Ist das Memorandum vom 16. März 1943, von dem hier schon die Rede war, eine Antwort auf diese Beschwerden? In diesem Memorandum schreiben Sie ihm, daß er nur gesetzliche Mittel anzuwenden habe und daß er die Schuldigen zur Verantwortung ziehen müsse. War das eine Gegenwirkung auf diese Meldungen?

ROSENBERG: Ja, das ist eine Gegenwirkung gewesen, weil bis zum Dezember 1942 schon eine ganze Reihe von Klagen eingelaufen waren.


DR. SERVATIUS: Was hat Koch hierauf geantwortet?


[568] ROSENBERG: Koch hat mir geantwortet, daß er seinerseits auch gesetzliche Mittel anwenden wolle und würde, aber in der heute verlesenen Urkunde, in seinem Bericht vom 16. März 1943 hat er sich mehrfach darüber beschwert, daß ich diesen Versicherungen nicht immer Glauben schenkte, sondern daß das Ostministerium in jedem Falle nicht nur bei ihm intervenierte, sondern von ihm auch Bericht über die Durchführung dieser Anweisungen forderte.


DR. SERVATIUS: Er hat also erhebliche Mißstände bestritten?


ROSENBERG: Er hat erhebliche Mißstände bestritten, er hat im Dokument auf einen besonders aggravierenden Fall hingewiesen, nämlich, daß in Wolhynien einzelne Häuser niedergebrannt worden seien, weil die dort zur Arbeit Aufgerufenen sich gewaltmäßig, wie er sagte, der Einberufung widersetzten, und er sagte, er habe das nicht anders tun können. Er fügte hinzu, daß gerade dieser Fall die neuen Vorhaltungen seitens des Ostministeriums zur Folge gehabt hätte.

DR. SERVATIUS: War er Ihrer Ansicht nach zu solchen Maßnahmen berechtigt?


ROSENBERG: Dem Reichskommissar Koch unterstand in der Durchführung aller Weisungen der dazu berechtigten obersten Reichsbehörden die Durchführung aller der Maßnahmen und die Verantwortung für die Durchführung dieser Maßnahmen im Rahmen der Instruktionen. Er hatte nun, und das glaube ich, den Rahmen dieser Instruktionen vielfach eben nicht eingehalten, sondern er hat nach seinem Ermessen im Dienste, wie er glaubte, ausschließlich kriegswirtschaftliche Maßnahmen getroffen, von denen ich manchesmal erfuhr, und andere, von denen ich manchesmal nicht erfuhr, wie aus dem Dokument hervorgeht.


VORSITZENDER: Die Frage, die an Sie gestellt war, war, ob er Ihrer Meinung nach Häuser niederbrennen durfte, weil sich Leute weigerten, zu arbeiten, und Sie gaben eine lange Antwort, die gar keine Antwort auf die Frage war.


ROSENBERG: Nein, das Recht zur Niederbrennung von Häusern hat er meines Erachtens nicht gehabt, deshalb habe ich interveniert, und er hat versucht, sich zu rechtfertigen.


DR. SERVATIUS: Zur Durchführung der Arbeiterwerbungen sollten Rekrutierungen erfolgen, die ja auch mit verwaltungsmäßigem Zwang durchgeführt werden mußten. Wieweit war der Zwang zulässig; gibt es einen gesetzlichen und einen ungesetzlichen Zwang, wie beurteilen Sie die Maßnahmen, die praktisch durchgeführt worden sind?


ROSENBERG: Ich habe ja selbst bis in das Jahr 1943 auf einer freiwilligen Werbung bestanden. Ich konnte aber diese Haltung [569] angesichts der dringenden Weisungen des Führers nicht mehr aufrechterhalten und habe deshalb zugestimmt, daß hier, um eine wenigstens gesetzmäßige Form zu haben, bestimmte Jahrgänge aufgerufen würden. Aus diesen Jahrgängen sollten alle wegbleiben, die in den besetzten Ostgebieten notwendig und tätig waren. Die anderen sollten aber mit Hilfe der eigenen ständigen Verwaltungen in den Gebietskommissariaten, das heißt, der kleinen Bürgermeister in den besetzten Ortsgebieten, zusammengeholt werden, und es besteht hier allerdings kein Zweifel, daß zum Nachdruck dieser Forderungen der Verwaltung als Exekutive auch Gendarmerie zur Verfügung stand.


DR. SERVATIUS: Wenn dort Mißbräuche vorkamen, konnte Koch diese abstellen? Hatten Sie darauf keinen Einfluß?


ROSENBERG: Es war die Pflicht des Reichskommissars, dem ja die regionale Regierung der Ukraine unterstand, hier nachzuprüfen und einzugreifen entsprechend den Instruktionen, die er von mir erhalten hatte.


DR. SERVATIUS: Warum haben Sie sich nun auch noch an Sauckel gewandt? War Sauckel auch verpflichtet, dies abzustellen?


ROSENBERG: Sauckel hatte als Vertreter des Beauftragten für den Vierjahresplan die Weisungsrechte an mich, als Ostminister, und darüber hinaus auch das Recht, auch an mir vorbei den Reichskommissaren Weisungen zu erteilen, und er hat ja auch von diesem Rechte durch Vorträge in den Generalbezirken Ukraine und des Ostlandes einige Male Gebrauch gemacht.


DR. SERVATIUS: War Sauckel für die Verhältnisse in der Ukraine verantwortlich?


ROSENBERG: Sauckel war für die Durchführung dieser Forderung nicht verantwortlich, aber er hat natürlich auf Grund der Vollmachten des Führers die Forderungen derartig hart und präzise gestellt, daß die verantwortliche regionale Regierung der Generalkommissare sich innerlich und äußerlich verpflichtet fühlte, den Aufrufen zum Arbeitseinsatz auch durch Exekutive Nachdruck zu geben, wie aus dem Bericht, zum Beispiel 265-PS des Generalkommissars in Schitomir und, ich glaube, aus dem Bericht, ich kann die Nummer nicht genau sagen, des Gebietskommissars in Kaunas ebenfalls ersichtlich ist.


DR. SERVATIUS: Hatte Sauckel eine eigene Organisation?


ROSENBERG: Ja, er hatte einen Stab gehabt; über die Größe kann ich keine Aussagen machen; er hat nur Sorge dafür getragen, daß in die Zivilverwaltung Arbeitsämter eingefügt wurden, und die Forderungen von ihm in der Zivilverwaltung des Ostens sind ja[570] dann den Verwaltungsdienststellen zur Bearbeitung dieser Arbeitsämter übergeben worden. Eine große Organisation hat er meines Wissens nicht gehabt.


DR. SERVATIUS: Bestand nicht bereits vor dem Dienstantritt Sauckels in Ihrem Ministerium eine Abteilung »Arbeit«, die entsprechende Unterabteilungen, Arbeitsämter in den mittleren und unteren Instanzen hatte?


ROSENBERG: Ich kann Ihnen präzise darauf keine Antwort geben; ich glaube allerdings, daß eine Abteilung »Arbeit und Sozialpolitik« ziemlich am Anfang des Ministeriums noch eingerichtet wurde, aber ich vermag jetzt nicht den genauen Zeitpunkt eben zu sagen. Vielleicht ist aus den Aussagen von Dr. Beil einiges zu entnehmen.


DR. SERVATIUS: Sie sind also über die Organisation der Arbeitererfassung nicht im Bilde?


ROSENBERG: Nein, ich bin soweit im Bilde, als ich eben dargestellt habe; ich vermag nur nicht über den Zeitpunkt der Gründung dieser Hauptabteilungen »Arbeit und Sozialpolitik« im Ostministerium genaue Angaben zu machen.


DR. SERVATIUS: Bestanden Arbeitsämter mit einer Spitze in Ihrem Ministerium für die besetzten Ostgebiete?


ROSENBERG: Die Arbeit... jawohl, insofern, als die Hauptabteilung »Arbeit und Sozialpolitik« naturgemäß mit der Zivilverwaltung zusammenarbeitete, das heißt die beiden Reichskommissare hatten dauernd Kontakt und führten Korrespondenz mit der entsprechenden Abteilung, nämlich dem Arbeitsamt beim Reichskommissar. Eine Korrespondenz nach unten hin, zu den Generalbezirken, ist natürlich nicht geführt worden, aber mit der entsprechenden Abteilung beim Reichskommissar bestand dauernde Fühlung.


DR. SERVATIUS: Sie sprechen in Ihrem Schreiben von Sauckel-Dienststellen. Welche Dienststellen meinen Sie damit?


ROSENBERG: Ja, ich meine vor allen Dingen seinen unmittelbaren Beauftragten Peuckert, der später, um eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit zu sichern, formell die Leitung dieser Hauptabteilung »Sozialpolitik« übernahm. Er war nur sehr selten im Ostministerium, weil er dienstlich für Sauckel besonders eingesetzt wurde, und außerdem hatte Sauckel einige weitere Herren, mit denen meine Hauptabteilung über die Herabsetzung der Kontingente dauernd zu sprechen hatte.


VORSITZENDER: Der Zeuge Sauckel wird sicher alle diese Auskünfte geben. Was nützt es, Zeit damit zu verschwenden, die Fragen an Rosenberg zu stellen?


[571] DR. SERVATIUS: Es ist von Bedeutung, um die Verantwortung festzustellen, denn später kann ich den Zeugen Rosenberg nicht mehr rufen, es wird eine Reihe von Fragen auftauchen, zu denen ich...


VORSITZENDER: Das verstehe ich natürlich, aber das sind alles Einzelheiten aus der Verwaltung Sauckels, die Sauckel selber wissen muß.


DR. SERVATIUS: Ja, aber ich habe später keine Gelegenheit, den Zeugen Rosenberg zu fragen über die nötigen Konsequenzen, die sich aus der Organisation ergeben, nämlich: Wer trägt die Verantwortung, wer hat ein Aufsichtsrecht, wer hat die Pflicht einzugreifen? Warum werden an den einzelnen Briefe gerichtet? Warum muß er darauf reagieren? Man versteht das nicht, wenn man nicht den Zeugen... wenn man ihn nicht zunächst vorträgt. Ich würde vorschlagen, später den Zeugen Rosenberg im Zusammenhang mit dem Komplex Sauckel noch einmal zu verhören, nachdem Sauckel gesprochen hat. Das würde abkürzen.


VORSITZENDER: Darüber besteht keine Meinungsverschiedenheit mit der Anklagevertretung. Wenn es mit der Anklagevertretung keine Meinungsverschiedenheit gibt, dann wird Sauckels Aussage darüber vollkommen genügen.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Der Zeuge Rosenberg spricht in seinem Schreiben an Sauckel davon, daß seine Dienststellen diese beanstandeten Methoden ausüben. Da meiner Ansicht nach solche Dienststellen nicht bestehen, so daß sich Rosenberg an den Falschen wendet, muß ich ja feststellen können, welche Dienststellen überhaupt vorhanden sind. Es ist eine Klage, die Rosenberg anstimmt über die Verhältnisse, die ihn bedrücken, und er wendet sich anstatt an Koch an Sauckel.


VORSITZENDER: Stellen Sie ihm doch eine direkte Frage, wollen Sie?


DR. SERVATIUS: Was hat Sauckel veranlaßt auf das Schreiben, das Sie an ihn gerichtet haben?


ROSENBERG: Einen Brief als Antwort habe ich darauf nicht erhalten; aber ich habe gehört, daß Sauckel dann auf einer Tagung seiner Arbeitsämter in Weimar auf diese Beschwerden eingegangen ist und sich bemüht hat, das Seinige zu tun, um die Grundlagen dieser Beschwerden zu beseitigen.


DR. SERVATIUS: Hat diese Tagung nicht vierzehn Tage später, nämlich am 6. Januar 1943, stattgefunden, und waren nicht auch Sie bei der Tagung?


ROSENBERG: Mag sein, ich habe auf einer Tagung in Weimar gesprochen; ob es gerade diese gewesen ist, vermag ich nicht zu sagen.


[572] DR. SERVATIUS: Haben Sie die Rede Sauckels mit angehört auf dieser Tagung?


ROSENBERG: Meiner Erinnerung nach nicht.


DR. SERVATIUS: Ist Ihnen die Rede nachher schriftlich zugeleitet worden?


ROSENBERG: Kann ich mich auch nicht entsinnen.


DR. SERVATIUS: Ich will die Rede später als Dokument bei der Sache Sauckel vorlegen. Ich habe noch eine Reihe von Fragen.

Befaßten sich noch andere Stellen im besetzten Gebiet mit der Erfassung von Arbeitern?


ROSENBERG: Ja. Ich habe ja einige Mitteilungen bekommen, daß auch die sogenannte Organisation Todt ihrerseits für die Durchführung ihrer technischen Aufgaben Arbeiter eingesetzt hat, und daß, glaube ich, auch in der Reichseisenbahn-Verwaltung und sonstigen Dienststellen im Osten Bemühungen vorhanden waren, für sich einen Arbeiternachwuchs zu schaffen.


DR. SERVATIUS: Ist es nicht richtig, daß die Wehrmacht Kräfte verlangte, daß Kräfte für den Straßenbau beansprucht wurden, daß Kräfte für die Industrie verlangt wurden, für die einheimische Industrie, und daß ein allgemeines Bestreben war, die Kräfte im Lande zu halten und nicht nach Deutschland gehen zu lassen?


ROSENBERG: Es ist richtig, und das ist an sich verständlich, daß die Wehrmacht, die Organisation Todt und andere Dienststellen für die dort anlaufenden Arbeiten möglichst viele Arbeiter im Lande halten wollten und daß sie wahrscheinlich auch nicht so gerne ihre Arbeiter hergaben. Das ist menschlich verständlich.


DR. SERVATIUS: Sauckel hat wiederholt darauf hingewiesen, daß unter allen Umständen die Arbeitskräfte aufgebracht und daß alle Widerstände beseitigt werden müßten. Bezog sich das auf den Widerstand der örtlichen Stellen, die die Kräfte nicht herausgeben wollten?


ROSENBERG: Es bezog sich sicher auf diese örtlichen Kräfte, und in einer Unterredung, die ich mit Sauckel im Jahre 1943 hatte, und die auch hier als Dokument vorliegt, aber heute nicht vorgetragen wurde, ist darauf Bezug genommen worden. Sauckel erklärte, er müsse auf Befehl des Führers eine große Anzahl neuer Arbeiter aus dem Osten gewinnen, und in diesem Zusammenhang denke ich vor allen Dingen auch an die Wehrmacht, die Arbeiter, wie er sich ausdrückte, gehörtet hätte, und die auch in Deutschland tätig sein könnten.


DR. SERVATIUS: Hatte Sauckel etwas zu tun mit der Erfassung von Arbeitskräften, die im Zusammenhang mit der Germanisation des Ostens erfolgte?


[573] ROSENBERG: Ich kann diese Frage nicht ganz verstehen. Was verstehen Sie in diesem Fall unter Germanisation?


DR. SERVATIUS: Die SS hat die Umsiedlung im Osten vorgenommen; dabei sind Kräfte verschoben worden. Sind diese Kräfte Sauckel auf seine Veranlassung zugewiesen worden?

ROSENBERG: Zunächst ist mir nicht ganz genau bekannt, welche Umsiedlung Sie meinen.


DR. SERVATIUS: Es ist mir ein Bericht vorgelegt worden; es handelt sich um Juden, die in das polnische Gebiet hereingeschickt wurden. Ich nehme an, daß Sie auch in Ihren Bereich gekommen sind. Ist Ihnen das nicht bekannt?


ROSENBERG: Ich kann aus meiner Kenntnis nur sagen, daß diese Konzentration der jüdischen Bevölkerung aus Ostdeutschland nach bestimmten Städten und Lagern im Osten unter der Verantwortung des Chefs der Deutschen Polizei durchgeführt wurde, der diesen Auftrag auch für die besetzten Ostgebiete hatte. Im Zusammenhang mit der Umsiedlung in Lager und der Konzentration in bestimmte Stadtviertel ist wahrscheinlich auch Arbeitsmangel oder dergleichen eingetreten. Ich weiß bloß nicht, was das mit der Germanisation zu tun hat.


DR. SERVATIUS: Ich habe keine Frage mehr.


VORSITZENDER: Bevor wir uns vertagen, möchte ich gern wissen, wie es um die Dokumente des Angeklagten Frank steht. Weiß jemand etwas darüber?


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich möchte sagen, soweit es uns betrifft, haben wir uns sowohl mit Dr. Seidl für den Angeklagten Frank als auch mit den Vertretern der Sowjetischen Anklagebehörde beraten. Wir können zu jeder Zeit, die dem Gerichtshof angenehm ist, Erklärungen über die Dokumente abgeben.


VORSITZENDER: Ja. Dann, Dr. Thoma, wieviel weitere Zeugen haben Sie, und wie lange – glauben Sie – werden Sie noch mit dem Fall Rosenberg zu tun haben?


DR. THOMA: Ich habe nur einen Zeugen, meine Herren, den Zeugen Riecke. Ich glaube, daß er von mir aus in längstens einer Stunde gehört werden kann; ich glaube nicht, daß es so lange dauert. Das übrige hängt ab von dem Kreuzverhör.


VORSITZENDER: Gut; dann könnten Sie morgen mit dem Fall Rosenberg fertig werden?


DR. THOMA: Das hängt vom Kreuzverhör ab.


VORSITZENDER: Ja, selbstverständlich. Dr. Seidl, können Sie sofort mit dem Fall Frank beginnen? Angenommen, wir sind morgen [574] mit Rosenberg fertig – morgen ist Mittwoch – könnten Sie dann Donnerstag mit dem Fall Frank anfangen?


DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich kann sofort mit dem Fall Frank beginnen, wenn der Fall Rosenberg beendet ist. Was die Dokumente anlangt, so hat sich nur wegen eines Dokuments eine Schwierigkeit ergeben, und ich habe auf die Vorlage dieses einen Dokuments verzichtet.

Im übrigen handelt es sich nur um Dokumente, die bereits zum größten Teil von der Gegenseite vorgelegt worden sind.


VORSITZENDER: Wenn es sich nur um ein Dokument handelt, können wir Sie gleich jetzt anhören. So wie ich Sie verstehe, haben Sie nun ein Dokument, worüber eine Meinungsverschiedenheit besteht.


DR. SEIDL: Schon erledigt; weil ich auf die Vorlage dieses Dokuments verzichtet habe.


VORSITZENDER: Gut. Sonst liegt keine Meinungsverschiedenheit vor?


DR. SEIDL: Nein, keine Meinungsverschiedenheit mehr.


VORSITZENDER: Gut, dann sind Sie jederzeit bereit, anzufangen?


DR. SEIDL: Ja.


VORSITZENDER: Sind die Dokumente schon übersetzt?


DR. SEIDL: Soviel ich weiß, auch schon übersetzt.


VORSITZENDER: Sehr gut, ich danke Ihnen.


[Das Gericht vertagt sich bis

17. April 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 11, S. 540-576.
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