Vormittagssitzung.

[345] VORSITZENDER: Bitte, Dr. Marx!

DR. MARX: Herr Präsident, Hoher Gerichtshof! Bevor ich in der Fragestellung an den Angeklagten Streicher fortfahre, bitte ich, mir zu gestatten, eine Erklärung abzugeben. Herr Streicher hat am Freitag nachmittag einen Fall angezogen, und zwar jene Presseangelegenheit, welche sich mit meiner Person und mit meinem, beruflichen Verhalten befaßte. Ich habe daraufhin Veranlassung genommen, diesen Fall in meiner Erklärung ebenfalls zu behandeln und habe darauf hingewiesen, daß ich damals den Schutz des Gerichtes gegen eine herabsetzende Kritik meiner Tätigkeit in Anspruch nehmen mußte, der mir auch in dankenswerter Weise zuteil geworden ist. Bei dieser Gelegenheit und bei dieser ex tempore gegebenen Erklärung meinerseits habe ich den Ausdruck »Zeitungsschreiber« gebraucht, und zwar ausschließlich in Bezug auf denjenigen Journalisten, der den fraglichen Artikel in dieser Berliner Zeitung über meine Person und über meine Tätigkeit als Anwalt brachte.

Keinesfalls war damit zum Ausdruck gebracht oder sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß ich die Presse im allgemeinen in Bezug nahm. Es lag mir durchaus fern, irgendwie die Presse, die Gruppe der Pressefachleute oder insbesondere die hier tätigen Herren der Weltpresse irgendwie zu attackieren oder sie in ihrer Berufsehre kränken zu wollen.

Die Veranlassung zu dieser meiner Erklärung ist nämlich eine Rundfunkerklärung, in welcher es hieß, daß ich, der Rechtsanwalt Marx, die Presse im allgemeinen angegriffen und herabgesetzt hätte. Ich bin mir selbstverständlich klar, was die Bedeutung der Presse ist. Ich weiß genau, was die Presse zu leisten hat, und ich bin der letzte, der die außerordentlich schwere Arbeit, die verantwortungsvolle Tätigkeit der Presse nicht voll anerkennen würde. Ich bitte daher hier vor dem Hohen Gerichtshof in aller Öffentlichkeit diese Erklärung entgegennehmen zu wollen, und bitte weiter auch die Herren von der Presse, meine Erklärung als das hinzunehmen, was es sein soll, nämlich, daß es sich nur um eine Spezialäußerung gegenüber jenem Herrn gehandelt hat, niemals aber gegen die Presse gesagt war. Das ist das, was ich sagen wollte.


VORSITZENDER: Dr. Marx! Der Gerichtshof hat Ihre Äußerung neulich in dem Sinne verstanden, wie Sie sie jetzt erklärt haben.


[345] DR. MARX: Jawohl.

Mit der Erlaubnis des Gerichts fahre ich nunmehr in meiner Fragestellung fort.


[Zum Zeugen gewandt:]


Herr Zeuge! Welchen Zweck verfolgten Sie mit Ihren Reden und Ihren Aufsätzen im »Stürmer«?

STREICHER: Meine Rede und meine Artikel, die ich schrieb, sollten die Öffentlichkeit über eine Frage aufklären, die mir als eine der wichtigsten Fragen erschienen war. Nicht aufhetzen und nicht aufreizen wollte ich, sondern aufklären.

DR. MARX: Gab es außer Ihrem Wochenblatt, insbesondere seit dem Machtantritt der Partei, noch andere Presseerzeugnisse in Deutschland, welche die Judenfrage in judengegnerischem Sinne behandelten?


STREICHER: Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir zum Beispiel ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde. In dem Buch »Die Juden und ihre Lügen« schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht, man solle ihre Synagogen niederbrennen, man soll sie vernichten...


DR. MARX: Herr Streicher! Das ist nicht meine Frage, ich ersuche Sie, meine Frage so zu beantworten, wie ich sie gestellt habe. Antworten Sie zunächst mit Ja oder Nein, ob es außer...


JUSTICE JACKSON: Ich möchte gegen diese Methode, auf Fragen durch Reden zu erwidern, ohne sie zu beantworten, Einspruch erheben. Wir sind völlig außerstande, in diesem Verfahren Einsprüche zu erheben, wenn die Erwiderungen keine Antworten auf die gestellten Fragen darstellen. In diesem Falle haben wir bereits durch Streichers eigenwillige Reden einen Angriff auf die Vereinigten Staaten zu hören bekommen, dessen Beantwortung, falls wir überhaupt darauf antworten wollten, eine Menge Beweismaterial benötigen würde. Es scheint mir absolut ungehörig, daß ein Zeuge etwas anderes tut, als die ihm gestellten Fragen zu beantworten; denn wir müssen verhindern, daß in diesem Verfahren Fragen erörtert werden, die mit dem Fall gar nichts zu tun haben. Um die Frage der Schuld oder Unschuld Streichers zu entscheiden, wird es dem Gerichtshof nichts nützen, sich mit Streitfragen zu befassen, die Streicher hier gegen uns erhoben hat – Dinge, die denkbar leicht zu erklären sind, wenn wir uns die Zeit dazu nähmen.

Es scheint mir angebracht, dem Zeugen eine Verwarnung zu erteilen, und zwar so, daß er vielleicht begreifen lernt, daß er [346] Fragen zu beantworten und dann einzuhalten hat, so daß wir gegen Reden über unerhebliche Dinge rechtzeitig Einspruch erheben können.


VORSITZENDER: Dr. Marx! Wenn Sie Fragen an den Zeugen richten, wollen Sie versuchen, ihn zurückzuhalten, wenn er nicht die an ihn gestellte Frage beantwortet?


DR. MARX: Jawohl, Herr Präsident, ich war ja gerade im Begriff...


VORSITZENDER: Angeklagter Streicher! Sie haben gehört, was gesagt wurde und Sie werden verstehen, daß der Gerichtshof Ihre langen Reden, die keine Antworten auf die Ihnen gestellten Fragen sind, nicht zulassen kann.


DR. MARX: Ich stelle jetzt noch einmal die Frage und ersuche, zunächst die Frage mit Ja oder Nein zu beantworten und dann eine kurze Erklärung zu dem Inhalt der Frage zu geben:

Gab es außer Ihrem Wochenblatt, insbesondere seit dem Machtantritt der Partei, in Deutschland noch andere Presseerzeugnisse, welche die Judenfrage in judengegnerischem Sinne behandelten?


STREICHER: Ja, es gab schon vor dem Machtantritt in jedem Gau antisemitische Wochenblätter und eine Tageszeitung »Völkischer Beobachter« in München. Es gab auch außerdem noch eine Anzahl von Zeitschriften, die nicht unmittelbar für die Partei tätig waren. Es gab auch ein antisemitisches Schrifttum. Nach der Machtübernahme wurde die Tagespresse gleichgeschaltet und es standen nun der Partei etwa 3000 Tageszeitungen zur Verfügung, viele Wochenblätter, alle möglichen Zeitschriften, und es war vom Führer die Anordnung ergangen, daß jede Zeitung aufklärende Artikel über die Judenfrage zu bringen hätte. Die antisemitische Aufklärung wurde also nach der Machtübernahme in großem Ausmaße besorgt von der Tagespresse und noch von Wochenblättern, Zeitschriften und Büchern. Der »Stürmer« also stand mit seiner aufklärenden Tätigkeit nicht alleine da. Ich erkläre aber ganz offen, daß ich in Anspruch nehme, am volkstümlichsten aufgeklärt zu haben.


DR. MARX: Wurden die hierfür erforderlichen Richtlinien von einer Zentralstelle ausgegeben, etwa von der Nationalsozialistischen Korrespondenz?


STREICHER: Ja. In Berlin wurde vom Propagandaministerium eine Nationalsozialistische Pressekorrespondenz herausgegeben. In dieser Korrespondenz befanden sich in jeder Nummer mehrere über die Judenfrage aufklärende Artikel. Während des Krieges hat der Führer persönlich noch den Befehl erteilt, daß die Presse viel mehr als bisher aufklärende Artikel über die Judenfrage zu bringen hätte.


DR. MARX: Die Anklage macht Ihnen zum Vorwurf, Sie hätten durch Aufreizung mittelbar zu den Massentötungen beigetragen, [347] und laut Protokoll vom 10. Januar 1946 wird Ihnen folgendes zum Vorwurf gemacht:

Keine Regierung in der Welt hätte eine Politik der Massenvernichtung in der geschehenen Weise vornehmen können, ohne daß hinter ihr ein Volk stand, das damit einverstanden war; und das sollen Sie herbeigeführt haben. Was haben Sie dazu zu sagen?


STREICHER: Dazu habe ich folgendes zu sagen:

Aufreizen heißt, einen Menschen in den Zustand der Erregung versetzen, aus dem heraus er eine unverantwortliche Tat begeht. Hat der Inhalt des »Stürmer« aufgereizt, ist die Frage. Ganz kurz gesagt, das heißt, hier muß die Frage beantwortet werden: Was hat der »Stürmer« geschrieben? Hier liegen einige Bände des »Stürmer«, aber man müßte aus den zwanzig Jahren alle Nummern hernehmen, um die Frage erschöpfend beantworten zu können. Ich habe in den zwanzig Jahren aufklärende Artikel gebracht über die Rasse, über das, was die Juden selbst schreiben im Alten Testament, in ihrer Geschichte; was die Juden im Talmud schreiben. Ich habe Auszüge aus jüdischen Geschichtswerken gebracht, so von einem Professor Dr. Grätz, von einem jüdischen Gelehrten Gutnot.

Es ist im »Stürmer« kein Leitartikel erschienen von mir oder von einem meiner Hauptmitarbeiter, in dem ich nicht Zitate gebracht hätte aus der alten Geschichte der Juden, aus dem Alten Testament und aus jüdischen Geschichtswerken aus der neuesten Zeit. Es ist das wichtig, ich muß das betonen:

In allen Artikeln weise ich darauf hin, daß prominente Juden, führende Schriftsteller das selbst bekannt haben, was ich in der zwanzig Jahren als Schriftsteller und als Redner öffentlich Vertreter habe. Also gestatten Sie, daß ich weiterfahre:

Es ist meine Überzeugung, daß der Inhalt des »Stürmer« an sich nicht aufreizend war. Ich habe selbst in den zwanzig Jahren nie im Zusammenhang geschrieben: Brennt die Häuser der Juden niederschlagt sie tot; nicht einmal ist solch eine aufreizende Aufforderung im »Stürmer« gestanden.

Nun kommt die Frage: Ist der Beweis zu erbringen, daß irgendeine Tat geschah, seit der »Stürmer« erscheint, eine Tat, von der man sagen kann, sie ist das Ergebnis einer Aufreizung? Als Tat die durch eine Aufreizung geschieht, betrachte ich ein Pogrom. Das ist eine spontane Tat, wenn sich Volksteile plötzlich erregt erheben und andere Menschen totschlagen. In den zwanzig Jahren ist in Deutschland kein Pogrom geschehen, in den zwanzig Jahren ist, soweit es mir bekannt wurde, kein Jude getötet worden, es ist kein Mord geschehen, von dem man hätte sagen können: Das ist die Folge einer Aufreizung, die durch antisemitische Schriftsteller oder Redner hervorgerufen wurde.

[348] Meine Hohen Herren! Wir sind in Nürnberg. Es hieß in der Vergangenheit: Nirgends waren die Juden in Deutschland so sicher gewesen und so unbelästigt wie in Nürnberg.


VORSITZENDER: Dr. Marx! Wird das nicht schon wieder eine ziemlich lange Rede?


DR. MARX: Streicher! Sie haben doch diese Sache jetzt genügend ausgeführt, so daß man sich also ein Bild davon machen kann. Sie wollen sagen: Ich habe nicht aufgereizt, so daß nicht eine spontane Handlungsweise von irgendeiner Gruppe von Menschen oder aus einer Volksmenge heraus gegen die Juden vorgekommen ist.


STREICHER: Darf ich dazu eine Bemerkung machen:

Hier handelt es sich um den schwersten, um den entscheidendsten Vorwurf, den die Anklagevertretung gegen mich macht, und hier möchte ich das Hohe Gericht bitten, daß ich mich sachlich verteidigen darf. Ist es nicht von ungeheurer Bedeutung, wenn ich feststellen kann, daß ausgerechnet in Nürnberg kein Mord geschah, kein einzelner und auch kein Pogrom? Es ist eine Tatsache.


VORSITZENDER: Sie haben es doch schon gesagt. Ich habe es gerade niedergeschrieben, bevor ich Sie unterbrochen habe, daß Sie sagten, daß weder in Nürnberg noch anderswo Juden als Ergebnis Ihrer Tätigkeit getötet wurden.


DR. MARX: Herr Zeuge! Wir kommen ja dann noch auf diese Demonstrationen vom 9. und 10. November 1938 zu sprechen.


STREICHER: Jawohl. Darf ich aber weiterfahren:

Mir wird der Vorwurf gemacht von der Anklage, daß durch Aufreizung ich indirekt zu Massentötungen beigetragen hätte, und dazu bitte ich mich äußern zu dürfen:

Es steht heute etwas fest, was ich selbst nicht gewußt hatte. Ich habe hier Kenntnis vom Testament bekommen, das der Führer hinterließ, und ich nehme an, daß der Führer wenige Augenblicke vor seinem Tode der Welt die Wahrheit bekannt hat. In diesem Testament erklärt er:

Die Massentötungen seien auf seinen Befehl erfolgt, die Massentötungen seien seine Vergeltung gewesen.

Damit steht fest, daß ich selbst nicht beteiligt sein kann an dem, was hier an Unbegreiflichem geschah.


DR. MARX: Fertig?


STREICHER: Jawohl. Sie haben gesagt, daß die Anklage mir vorwirft, die Massentötungen hätten nie erfolgen können, wenn hinter der Regierung oder der Staatsführung nicht ein wissendes Volk gestanden wäre.

[349] Meine Hohen Herren, zunächst die Frage:

Hat das deutsche Volk wirklich gewußt, was sich in den Jahren während des Krieges zutrug? Wir wissen heute...


VORSITZENDER: Angeklagter! Das ist eine strittige Frage und keine solche, über die Sie Zeugnis ablegen können. Sie können uns erzählen, was Sie wußten.


STREICHER: Ich war ein Teil dieses Volkes während des Krieges. Ich lebte während des Krieges einsam auf dem Lande, ich habe den Hof fünf Jahre lang nicht verlassen. Ich wurde bewacht von der Gestapo. Ich hatte vom Führer seit dem Jahre 1939 ein Redeverbot.


DR. MARX: Herr Streicher! Das werden wir ja später behandeln, ich habe Sie ja zu dieser Frage einvernommen und fahre dann in meinen Fragen fort. Das andere kommt dann später.


STREICHER: Ich stelle fest, ich hatte keine Gelegenheit, von dem zu erfahren, was sich in Wirklichkeit zugetragen hat; darum habe ich es gesagt.

Ich habe von den Massenermordungen und Massentötungen erst erfahren in Mondorf in der Gefangenschaft. Ich erkläre aber hier: Würde man mir gesagt haben, daß zwei oder drei Millionen getötet worden seien, dann hätte ich das nicht geglaubt. Ich hätte nicht geglaubt, daß es technisch möglich sei, so viele Menschen zu töten und auf Grund der ganzen seelischen Einstellung, so wie ich auch den Führer kennengelernt hatte, hätte ich es nicht geglaubt, daß Massentötungen in dem Ausmaß, wie sie stattgefunden haben, stattfinden hätten können. Fertig.


DR. MARX: Die Anklagebehörde legt Ihnen weiter zur Last, es sei Aufgabe der Erzieher der Bevölkerung gewesen, Mörder zu erziehen und sie mit Haß zu vergiften. Diese Aufgaben hätten vornehmlich Sie sich gestellt. Was wollen Sie auf diesen Vorwurf erwidern?


STREICHER: Das ist eine Behauptung. Wir haben keine Mörder erzogen. Der Inhalt der Artikel, die ich geschrieben habe, konnte keine Mörder erziehen. Es sind keine Morde geschehen, das ist ein Beweis dafür, daß wir keine Mörder erzogen haben. Das, was während des Krieges geschah – ich habe nicht den Führer erzogen, der Führer hat den Befehl aus sich selbst heraus erteilt.


DR. MARX: Ich fahre nun fort. Die Anklagebehörde stellt weiter dahin ab, es hätten die Himmler-Kaltenbrunner-Gruppen und andere SS-Führer niemand gehabt, der ihre Befehle zu töten ausgeführt hätte, wenn Sie nicht diese Propaganda gemacht und die Erziehung des deutschen Volkes in diesem Sinne geführt hätten. Äußern Sie sich dazu!


[350] STREICHER: Ich glaube nicht, daß die genannten Nationalsozialisten jede Woche den »Stürmer« gelesen haben. Ich glaube nicht, daß die, die vom Führer den Befehl erhalten haben, Tötungen auszuführen oder den Befehl zu Tötungen weiterzugeben, daß die durch mein Wochenblatt dazu gebracht worden sind. Es gab Hitlers Buch »Mein Kampf«, und der Inhalt dieses Buches war die Autorität, die geistige Autorität, aber ich glaube auch nicht, daß die genannten Herren dieses Buch nun gelesen haben und daraufhin den Befehl ausführten. Ich habe auf Grund der Kenntnis dessen, was in der Bewegung vorging, die Überzeugung, daß, wenn der Führer befahl, jeder gehandelt hat; und ich erkläre hier ganz offen, – vielleicht hat es das Schicksal gut mit mir gemeint – wenn der Führer es mir befohlen hätte, ich hätte nicht vermocht, Tötungen vorzunehmen. Aber vielleicht stünde ich heute unter irgendeiner Anklage, die gegen mich nicht möglich geworden ist, vielleicht weil es das Schicksal selbst so gewollt hat. Aber die Verhältnisse waren so: Suggestiv wirkte der Führer, das ganze Volk glaubte an ihn, sein Weg war so ungewöhnlich, daß man... wenn man das weiß, dann kann man begreifen, daß jeder, der einen Befehl erhielt, handelte. Und so möchte ich hiermit also das zurückweisen als unwahr und unrichtig, was man hier glaubte, gegen mich behaupten zu sollen.


DR. MARX: Was ist Ihnen über die allgemeine Einstellung Adolf Hitlers zur Judenfrage bekannt, und wann ist Hitler überhaupt Judengegner geworden, nach Ihrer Kenntnis?


STREICHER: Ich habe schon, bevor Adolf Hitler überhaupt in der Öffentlichkeit bekannt wurde, mich schriftstellerisch antisemitisch betätigt. Ich habe aber erst auf Grund seines Buches »Mein Kampf« die geschichtlichen Zusammenhänge in der Judenfrage kennengelernt. Adolf Hitler schrieb sein Buch im Gefängnis in Landsberg. Wer dieses Buch kennt, der weiß, daß Hitler schon viele Jahre zuvor, sei es durch Studium antisemitischer Lektüre, – oder durch sonstige Erfahrungen mußte er in sich dieses Wissen geschaffen haben, um dann dieses Buch im Gefängnis in so kurzer Zeit schreiben zu können. Also, Adolf Hitler hat in seinem Buch vor der Weltöffentlichkeit erklärt, daß er Antisemit sei und daß er die Judenfrage durch und durch kenne. Er selbst hat sich persönlich mit mir...


VORSITZENDER: Dr. Marx! Das Buch »Mein Kampf« ist als Beweismittel vorgelegt und spricht für sich selbst.


STREICHER: Ich beantworte jetzt Ihre Frage, nicht in Bezug auf das Buch. Sie frugen mich, ob Adolf Hitler über die Judenfrage mit mir gesprochen hätte. Jawohl, Adolf Hitler hat über die Judenfrage immer im Zusammenhang mit dem Bolschewismus gesprochen. Das ist vielleicht von Bedeutung zur Beantwortung der Frage: Wollte Adolf Hitler einmal einen Krieg mit Rußland, hat er das [351] schon lange voraus gewußt, daß einmal ein Krieg kommen würde oder nicht? Adolf Hitler sprach, wenn er mit uns zusammensaß, darüber, daß Stalin ein Mann sei, den er verehre als einen Tatmenschen, daß er aber in Wirklichkeit umgeben sei von jüdischem Führertum, und daß der Bolschewismus...


DR. MARX: Herr Streicher! Das geht wieder zu weit; die Frage, die ich gestellt habe, war ganz präzise, und ich bitte Sie, sich nicht soweit zu verbreiten. Sie haben gehört, daß das Gericht das beanstandet und auch im Interesse der Nichtverzögerung des Verfahrens dürfen Sie sich nicht so weit auslassen. Sie dürfen keine Reden halten.


GENERAL RUDENKO: Ich glaube, Herr Vorsitzender, daß Justice Jackson vorhin ganz richtig gesagt hat, daß der Angeklagte Streicher sich an seinen Reden so berauscht, daß er nicht auf die ihm vorgelegten Fragen und die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen antwortet. Darum lenke ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf diese Tatsache und schlage vor, der Angeklagte soll sich der Reden enthalten und nur kurze Antworten auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe geben.


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte fortsetzen, Dr. Marx, und versuchen, den Zeugen anzuhalten, daß er die Fragen, die Sie ohne Zweifel vorbereitet haben, beantwortet.


DR. MARX: Sehr wohl, Herr Präsident.


STREICHER: Darf ich bitten, als Angeklagter ein paar Worte dazu sagen zu dürfen. Die Frage lautete...


VORSITZENDER: Nein, Sie dürfen es nicht. Sie werden bitte die Fragen beantworten.


DR. MARX: Nächste Frage: Ist Grund zu der Annahme vorhanden, daß Hitler bei seinem Entschluß, die Juden in Europa massenweise töten zu lassen, irgendeiner Beeinflussung folgte, oder worin ist der Beweggrund für diesen furchtbaren Entschluß zu suchen?


STREICHER: Der Führer war unbeeinflußbar. Wenn zu ihm jemand gekommen wäre und hätte gesagt, es sollen Juden getötet werden, dann hätte er ihn zurückgewiesen, und wenn jemand während des Krieges, so wie ich den Führer kenne, gekommen wäre und gesagt hätte, ich habe erfahren, Sie geben den Befehl, daß Massentötungen durchgeführt werden sollen, dann hätte er auch diesen Mann zurückgewiesen. Ich beantworte also Ihre Frage damit: Der Führer war unbeeinflußbar.


DR. MARX: Sie wollen also sagen, daß er den Entschluß dazu ganz aus eigenem gefaßt hat?


STREICHER: Ich habe bereits gesagt, daß das aus seinem Testament hervorgeht.


[352] DR. MARX: Im August 1938 wurde die Hauptsynagoge in Nürnberg abgetragen. Geschah dies auf Ihre Anordnung?


STREICHER: Ja. Es gab in meinem Gau schätzungsweise 15 Synagogen, in Nürnberg eine Hauptsynagoge und eine etwas kleinere und, ich glaube, noch einige Betsäle. Die Hauptsynagoge stand im Weichbild der mittelalterlichen Reichsstadt. Ich habe schon vor dem Jahre 1933, der sogenannten Kampfzeit, als wir noch eine andere Regierung hatten, in aller Öffentlichkeit in einer Versammlung erklärt, daß es eine Schande sei, daß man in die alte Stadt hinein so einen orientalischen, ungeheuer wuchtig großen Bau gestellt habe. Nach der Machtübernahme habe ich zum Oberbürgermeister gesagt, er solle die Synagoge abbrechen lassen und gleichzeitig das Planetarium. Ich darf darauf hinweisen, daß nach dem Weltkrieg inmitten des Ringes der Anlagen, die für die Bürger zur Erholung bereitstanden, ein Planetarium errichtet worden war, ein häßlicher Ziegelbau. Ich gab den Befehl, diesen Bau abzubrechen und sagte, es solle auch die Hauptsynagoge abgebrochen werden. Hätte ich die Absicht gehabt, dabei die Synagoge als Gotteshaus nun den Juden zu nehmen, oder hätte ich ein Fanal geben wollen, dann hätte ich den Befehl erteilt, nach der Machtübernahme in meinem Gau sämtliche Synagogen abbrechen zu lassen. Dann hätte ich in Nürnberg ebenfalls sämtliche Synagogen abbrechen lassen. Es steht fest, es wurde im Frühjahr 1938 nur die Hauptsynagoge abgebrochen; die Synagoge in der Essenweinstraße, in der Neustadt, blieb unberührt. Daß im November jenes Jahres dann der Befehl gegeben wurde, die Synagogen anzuzünden, dafür kann ich nicht.


DR. MARX: Sie wollen also sagen, daß Sie das Abbrechen dieser Kultstätte nicht aus antisemitischen Gründen, sondern deswegen anordneten, weil sie nicht in den Baustil paßte?

STREICHER: Aus städtebaulichen Gründen. Ich wollte dem Gericht ein Bild darüber vorlegen, aber ich habe keines mehr bekommen.


DR. MARX: Ja, wir haben ein Bild da.


STREICHER: Da sieht man aber die Synagoge nicht. Ich weiß nicht, ob das Gericht das Bild sehen will. Das Bild selbst zeigt nur die alten Häuser, aber die Front der Synagoge, wie sie auf den Hans-Sachs-Platz herüberschaut, die sieht man nicht. Ich weiß nicht, ob ich dem Gericht das Bild übergeben darf.


VORSITZENDER: Sicher, die Photographie kann vorgelegt werden. Lassen Sie uns das Bild sehen.


DR. MARX: Ich lasse also dem Gericht das Bild als Beweismittel in Vorlage bringen und bitte, es in diesem Sinne annehmen zu wollen.


[353] VORSITZENDER: Welche Nummer wird es als Beweisstück tragen?


DR. MARX: Ich kann es jetzt nicht sagen, Herr Präsident. Ich werde mir erlauben, die Nummer noch anzugeben und beschränke mich zunächst darauf, es zu übergeben. Ich konnte die Vorlage nicht früher machen, weil ich nicht in den Besitz dieses Bildes gekommen war. Es war erst in den letzten...


VORSITZENDER: Ja, setzen Sie fort.

DR. MARX: Haben Sie sich bei Ihrem Vorhaben hinsichtlich der Hauptsynagoge auf irgendwelche Äußerungen von Kunstsachverständigen gestützt?


STREICHER: Ich hatte oft Gelegenheit, mit Architekten darüber zu sprechen. Jeder Architekt erklärte: Daß sich ein Stadtrat fand, der ohne jedes städtebauliche Gefühl war, das könne man nicht begreifen.

Die Äußerungen richteten sich nicht gegen die Synagoge als jüdisches Gotteshaus, sondern gegen den Bau in diesem Stadtteil. Auch Fremde, die ich führte, – jeden Reichsparteitag begleitete ich Engländer, auch Amerikaner über den Hans-Sachs-Platz, und ich entsinne mich nur in einem Fall, wo ich frug: »Fällt Ihnen nichts auf?« – denen ist nichts aufgefallen; aber alle anderen Gäste blieben stehen und sagten: »Wie kommt der Bau da herein unter diese mittelalterlichen Häuser?« Ich hätte auch die Möglichkeit, aus dem Jahre 1877 ein Buch vorzulegen, das in der Gefängnisbibliothek sich befindet, wo ein Professor Berneis, der berühmt war, der schrieb damals an den Schriftsteller Uhde in der Schweiz, er hätte jetzt den Sachsplatz gesehen...


DR. MARX: Herr Streicher! Das genügt schon. Also Sie haben zu erkennen gegeben, daß Sie sich auch auf die Urteile Ihnen maßgeblich erscheinender Architekten und so weiter berufen zu können glaubten?

STREICHER: Jawohl.


DR. MARX: Haben Sie nun damals, als die Synagoge abgebrochen wurde, eine Ansprache gehalten?


STREICHER: Jawohl. Ich mache aber darauf aufmerksam, die Anklagevertretung legte einen Artikel, einen Bericht aus der »Tageszeitung« vor, der wurde geschrieben von einem einfachen jungen Mann. Ich erkläre, daß dieser Artikel nicht die wirklichen Ausführungen enthält, die ich gemacht habe.


DR. MARX: Ich komme nun zu den Demonstrationen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Was können Sie über diese Demonstrationen sagen, und welche Rolle spielten Sie dabei? [354] Handelte es sich dabei um Demonstrationen, die aus der Bevölkerung heraus entstanden waren?


STREICHER: Alljährlich kamen die Gauleiter, SA-und SS-Führer in München mit dem Führer zusammen anläßlich des historischen Tages des 9. Novembers. Wir befanden uns am 9. November beim Abendessen im alten Rathaussaal, und da war es üblich, daß nach dem Essen der Führer eine kurze Ansprache hielt. Am 9. November 1938 war ich nicht ganz wohl gewesen. Ich nahm am Essen teil und entfernte mich, ich fuhr nach Nürnberg zurück und legte mich zu Bett. Gegen Mitternacht wurde ich geweckt, mein Chauffeur sagte mir, der SA-Führer von Obernitz möchte den Gauleiter sprechen. Ich empfing ihn und er sagte folgendes: »Gauleiter, Sie waren schon weg, da nahm der Propagandaminister Dr. Goebbels das Wort und sagte – ich kann es jetzt nur so ungefähr wiederholen: Der Gesandtschaftsrat vom Rath ist in Paris ermordet worden. Das ist jetzt bereits der zweite Mord, der im Ausland an einem prominenten Nationalsozialisten geschah. Dieser Mord ist nicht der Mord des Juden Grünspan, sondern hier handelt es sich um die Ausführung einer Tat, die vom Gesamtjudentum gewollt sei. Es müsse nun etwas geschehen.« Ich weiß nun nicht, ob Goebbels gesagt hat, der Führer hätte es befohlen, ich erinnere mich nur, daß von Obernitz zu mir sagte, Goebbels hätte erklärt, es müßten die Synagogen angezündet werden; und da kann ich mich nicht mehr genau erinnern, aber ich glaube, er sagte mir, es müßten auch an jüdischen Geschäftshäusern die Fensterscheiben eingeschlagen werden und die Häuser demoliert werden. Ich sagte daraufhin zu Obernitz – ich war nämlich überrascht – und sagte: »Obernitz, ich halte es für falsch, Synagogen anzuzünden, und ich halte es in diesem Augenblick für falsch, jüdische Geschäftshäuser zu demolieren, ich halte diese Demonstrationen für falsch. Wenn in der Nacht die Leute losgelassen werden, dann können Taten geschehen, die nicht zu verantworten sind.« Ich sagte zu Obernitz, ich halte insbesondere das Anzünden von Synagogen deshalb für falsch, weil im Ausland, aber auch im deutschen Volke die Meinung entstehen könnte, der Nationalsozialismus hätte jetzt den Kampf gegen die Religion aufgenommen. Obernitz gab zur Antwort: »Ich habe den Befehl.« Dann sagte ich: »Obernitz, ich übernehme hier keine Verantwortung.« Obernitz ging, die Tat geschah. Das, was ich hier unter Eid erklärt habe, habe ich bei mehreren Vernehmungen bereits gesagt und wird bestätigt werden von meinem Chauffeur, der von diesem nächtlichen Gespräch Zeuge war, und der kurz darauf beim Schlafengehen seiner Frau sagte, was er bei mir oben gehört habe.


DR. MARX: Sind Sie fertig?


STREICHER: Ja, Sie haben dann weiter gefragt...


[355] DR. MARX: Jawohl, ob es sich um eine spontane, aus dem Volk heraus angewandte Gewalttat handelte.


STREICHER: Jawohl, in der nationalsozialistischen Presse erschien nach dieser Aktion ein gleichlautender Artikel, in dem hieß es, daß eine spontane Erhebung des Volkes den Mord an Herrn vom Rath gerächt hätte. Es war von Berlin aus also bewußt angeordnet, öffentlich zu erklären, die Demonstration von 1938 sei eine spontane Handlung gewesen. Daß das nicht der Fall war, das habe ich auch in Nürnberg erleben können, und es ist bemerkenswert, daß der Unwille gegen das, was in der Demonstration geschehen war, sich selbst hier in Nürnberg geäußert hat, hinein bis in die Parteigenossenschaft.

Die Anklagevertretung legte einen Artikel vor, einen Bericht über eine Rede, die ich am 10. November gehalten habe; und das ist ein bemerkenswerter Beweis dafür, daß das Volk gegen diese Aktion war. Ich war gezwungen, auf Grund der Stimmung, die in Nürnberg herrschte, in öffentlicher Rede zu sagen, man solle doch nicht soviel Mitleid haben mit den Juden. So war die Sache vom November 1938.

Vielleicht wäre es auch wichtig, mich zu befragen, wie ausgerechnet ich dazu kam, diese Demonstration abzulehnen.


DR. MARX: Ich dachte, das hätten Sie bereits ausgeführt. Gut. Wer hat denn nun die noch bestehende Synagoge in der Essenweinstraße anzünden lassen?


STREICHER: Wer den Befehl erteilt hat, weiß ich nicht; ich glaube, SA-Führer von Obernitz; die Einzelheiten kenne ich nicht.


DR. MARX: Eine weitere Frage: Brachten Sie selbst Ihre Ablehnung gegenüber diesen Brutalitäten auch öffentlich zum Ausdruck?


STREICHER: Jawohl. Ich habe in kleinem Kreis von führenden Parteigenossen das gesagt, was ich immer gesagt habe, was ich öffentlich immer gesagt habe; ich habe erklärt, das sei falsch. Ich habe vor Rechtsanwälten gesprochen in einer Versammlung – ich weiß nicht, ob mein Verteidiger selbst anwesend war –, ich habe, ich glaube noch im November 1938, vor den Nürnberger Rechtswahrern in einer Versammlung erklärt, was hier geschah in dieser Aktion, ist falsch, dem Volk gegenüber und dem Ausland gegenüber. Wer die Judenfrage so kennt, wie ich sie kenne, so sagte ich damals, der begreift mich, warum ich diese Demonstration für unrichtig, für falsch halte. Ich weiß nicht, ob das dem Führer damals gemeldet wurde, aber ich bin seit dem November 1938 nie mehr gerufen worden, wenn der Führer nach Nürnberg kam in das Hotel »Deutscher Hof«. Ob das der Grund war, ich weiß es nicht, aber ich habe nun diese Demonstration öffentlich kritisiert.


[356] DR. MARX: Die Anklage nimmt an, daß im Jahre 1938 eine schärfere Behandlungsweise den Juden gegenüber anfing. Trifft dies zu und woraus ist dies zu erklären?


STREICHER: Ja, daß im Jahre 1938 die Judenfrage in ein neues Stadium trat, das ist ja durch die Demonstration bewiesen. Ich selbst kann dazu nur sagen, daß vorher keine Besprechungen darüber stattgefunden haben. Ich nehme an, daß der Führer impulsiv, wie er war, aus dem Augenblick heraus, vielleicht erst am 9. November, dazu kam, dem Dr. Goebbels zu sagen: Erklären Sie den Organisationen, die Synagogen müssen niedergebrannt werden. Ich selbst, wie gesagt, habe keiner Besprechung beigewohnt und weiß nicht, was vorgegangen war, um die Beschleunigung herbeizuführen.


DR. MARX: Am 12. November 1938 wurde die Verordnung erlassen, nach der die Juden aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltet werden sollten. Bestand zwischen der Anordnung der Demonstrationen vom 9. November und jener weiteren Verordnung vom 12. November 1938 ein Zusammenhang, und war diese auf die gleiche Ursache zurückzuführen?


STREICHER: Ja, hier kann ich nur sagen, es ist meine Überzeugung, daß das im Zusammenhang steht. Der Befehl, vielmehr die Verordnungen, die so tief in das Wirtschaftsleben eingreifen sollten, kamen von Berlin. Wir hatten keine Besprechung. Ich erinnere mich nicht, daß Gauleitertagungen waren, auf denen darüber gesprochen worden wäre; ich weiß das nicht. Das ist gekommen, so wie alles gekommen ist; wir sind vorher nicht unterrichtet gewesen.


DR. MARX: Wie kam es, daß nicht Sie, sondern der Mitangeklagte Rosenberg mit der Betreuung dieser Frage beauftragt wurde?


STREICHER: Rosenberg war der geistige Betreuer der Bewegung, war aber mit dieser Sache nicht beauftragt, weder mit der Demonstration noch mit wirtschaftlichen Dingen.


DR. MARX: Nein, wir reden da aneinander vorbei. Ich meine, Rosenberg war doch derjenige, der von der Staatsführung mit der sogenannten Betreuung, mit der rassenpolitischen und sonstigen Aufklärungsarbeit beauftragt war und Sie selbst doch nicht. Wie ist das zu erklären, daß man da nicht auf Ihre Person gegriffen hat?


STREICHER: Rosenberg kam, wie er ja selbst sagte, schon sehr früh zum Führer und war jedenfalls geistig und auf Grund seines Wissens dazu geeignet, diese Betreuung zu übernehmen. Ich habe mich mehr der volkstümlichen Aufklärung zugewandt.


VORSITZENDER: Dr. Marx! Er hat uns erzählt, daß er mit der Aufgabe nicht betraut wurde. Wenn er nicht mit Rosenberg in irgendeiner Verbindung stand, kann er uns nicht mehr darüber sagen, als daß ihm der Auftrag nicht erteilt worden ist. Alles andere sind nur Erläuterungen und Erörterungen.


[357] DR. MARX: Ich frage nun weiter: Wurde im Laufe des Jahres 1939 gegen Sie ein Redeverbot erlassen?


STREICHER: Jawohl. Im Herbst 1939 hatten meine Feinde es soweit gebracht, daß der Führer, ohne daß ich zuvor gefragt worden war, über den Parteigenossen Heß hinweg mir ein schriftliches Redeverbot hatte zukommen lassen, mit der Androhung sofortiger Verhaftung, wenn ich das Verbot übertreten würde.


DR. MARX: Ist es weiter zutreffend, daß im Jahre 1938 sich von Regierungskreisen aus das Bestreben zeigte, den »Stürmer« am weiteren Erscheinen zu verhindern?


STREICHER: Solche Absichten haben öfter bestanden und auch zu jener Zeit. Vielleicht darf ich in dem Zusammenhang gleich noch zwei Dokumente erwähnen, dann kann man Zeit sparen. Die Anklagevertretung hat Kopien vorgelegt, einen Brief von Himmler und von Baldur von Schirach. Da kann ich gleich eine harmlose Aufklärung geben. Damals, im Jahre 1939, haben Bestrebungen bestanden, den »Stürmer« zu verbieten. Bormann hatte sogar einen ähnlichen Befehl hinausgegeben. Da schrieb der Chefredakteur des »Stürmer« an prominente Parteigenossen, sie möchten ihre Meinung über den »Stürmer« sagen. Und daraufhin liefen auch Briefe ein von Himmler und von Schirach.

Es sind etwa 15 Briefe von Prominenten der Bewegung eingelaufen, sie sollten lediglich ein Entgegenkommen auf eine Anfrage sein.


DR. MARX: Das genügt.

Ist es richtig, daß Sie bei Ausbruch des Krieges nicht zum Wehrkreis-Kommissar Ihres eigenen Gaues ernannt wurden?


STREICHER: Jawohl.


DR. MARX: Wie ist das zu erklären?


STREICHER: Ja, vielleicht ist das nicht so wichtig; das sind die damaligen Verhältnisse gewesen, gewisse persönliche Stimmungen und so weiter, es ist ohne Bedeutung. Ich bin eben also nicht Wehrkreis-Kommissar geworden.


DR. MARX: Die Anklage führt aus, daß nach dem 1. September 1939 sich die Verfolgung der Juden immer mehr verschärfte. Worauf ist das zurückzuführen?


STREICHER: Die Frage könnte nur der Führer beantworten, ich nicht.


DR. MARX: Glauben Sie nicht, daß dies mit dem Kriegsausbruch an sich zusammenhängt?


STREICHER: Das hat ja der Führer dann immer wieder öffentlich erklärt, jawohl.


[358] DR. MARX: Gegen Sie fand vor dem Obersten Parteigericht ein Verfahren statt. Wie kam es dazu, was ergab sich dabei und wie war der Ausgang dieses Verfahrens?


STREICHER: Ich bin dankbar, daß ich Gelegenheit habe, hier vor dem Internationalen Gerichtshof ganz kurz etwas sagen zu dürfen, worüber ich bis heute schweigen mußte auf Grund eines Führerbefehls. Ich selbst hatte vor dem Obersten Parteigericht gegen mich ein Verfahren eingeleitet, um mich meiner Denunzianten zu erwehren. Es wurde mir der Vorwurf gemacht, warum ich nicht...


VORSITZENDER: Spricht der Angeklagte über einen Befehl Hitlers, durch den ihm ein Redeverbot auferlegt wurde, oder spricht er von etwas anderem?

Sie erinnern sich daran, Dr. Marx, daß bestimmte Behauptungen aus dem Protokoll gestrichen wurden. Sollte er darüber sprechen, dann glaube ich, haben wir nichts damit zu tun. Erinnere ich mich recht, daß etwas aus dem Protokoll gestrichen wurde?


DR. MARX: Ja, es wurde, Herr Präsident, nur aus dem Göring-Bericht auf verschiedenes verzichtet. Es wurde nur der eine Passus aus dem Göring-Bericht weggelassen, der sich auf jene Affäre mit den drei Jugendlichen bezog; alles andere aber hat die Anklage aufrechterhalten. Es muß die Verteidigung daher zu diesen Punkten Stellung nehmen können, wenn die Anklagebehörde nicht erklärt, daß sie eben auf den Göring-Bericht überhaupt verzichtet, und da spielt auch das Verfahren vor dem Obersten Parteigericht eine Rolle. Er kann sich ja kurz dazu äußern.


VORSITZENDER: Gut.


DR. MARX: Zeuge! Fassen Sie sich kurz.


STREICHER: Jawohl. Wichtig ist also, ich habe gegen mich selbst ein Verfahren eingeleitet; es handelte sich um etwa 10 Punkte, die gegen mich vorgebracht wurden, darunter auch eine Aktien-Angelegenheit vom Göring-Bericht. Es liegt eine eidesstattliche Erklärung vor, in der heißt es, ich sei verurteilt worden. Ich darf hier feststellen, der Prozeß wurde gar nicht zu Ende geführt, es wurde kein Urteil gefällt. Das ist die Beantwortung der Frage, die Sie an mich gestellt haben.


DR. MARX: Hatte da diese Aktien-Angelegenheit mit den Aktien der Mars-Werke etwas zu tun gehabt?


STREICHER: Darauf werden wir dann zu sprechen kommen. Das war nicht der Hauptteil.


DR. MARX: Sie wurden dann dauernd auf den Pleikershof verwiesen und konnten diesen nicht verlassen. Standen Sie dort unter [359] Bewachung der Gestapo, und fand auch eine Kontrolle der Besucher statt?

STREICHER: Das ist nicht richtig, daß ich verwiesen wurde auf den Pleikershof. Richtig ist, daß ich mich freiwillig zurückgezogen habe mit der Absicht, nie mehr in der Bewegung tätig zu sein. Richtig ist, daß die Gestapo mich bewachte, jeden Besucher anhielt, auf die Polizei lud und sie ausfrug, welche Unterhaltungen stattgefunden hätten. Das ist eine Tatsache.


DR. MARX: Unterhielten Sie während Ihres Aufenthalts auf dem Pleikershof irgendwelche Beziehungen, auch schriftlicher Art, mit irgendwelchen führenden Persönlichkeiten der Partei oder des Staates?


STREICHER: Nein. Ich habe überhaupt mit prominenten Persönlichkeiten der Bewegung und des Staates keine schriftlichen Beziehungen gehabt, und darum hat auch die Anklagevertretung kaum Briefe finden können. Ich nahm nie brieflich Stellung, weder zur Judenfrage noch zu sonstigen Dingen. Ich habe also, um Ihre Frage genau zu beantworten, zu erklären: Ich habe mit prominenten Persönlichkeiten von Partei und Staat keine Korrespondenz unterhalten.


DR. MARX: Wurden Sie nach Ausbruch des Krieges irgendwie oder von irgendwelchen beabsichtigten Maßnahmen gegen die Juden verständigt oder nach dieser Richtung zu Rate gezogen?


STREICHER: Nein.

DR. MARX: Wie waren Ihre Beziehungen zu Himmler? Kannten Sie diesen überhaupt näher? Haben Sie mit diesem wegen Maßnahmen gegen die Juden sich je besprochen, oder sprach dieser von beabsichtigten Massenhinrichtungen derselben?


STREICHER: Ich kannte Himmler, wie ich die SA-Führer kannte oder andere SS-Führer. Ich kannte ihn aus den gemeinsamen Tagungen, Gauleitertagungen und so weiter. Ich habe aber mit Himmler nicht ein einziges politisches Gespräch gehabt, es sei denn, daß einmal die Frage auf dies oder jenes im Beisein von anderen kam, in Gesellschaft. Ich habe das letztemal Himmler in Nürnberg gesehen, als er vor Offizieren im Kasino sprach. Das war, ich kann es nicht mehr genau sagen, aber ich glaube, einige Zeit vor dem Kriege. Eine Unterhaltung über die Judenfrage hat nie mit ihm stattgefunden. Er selbst war ja aufgeklärt. Er hat sein eigenes Organ gehabt, das »Schwarze Korps«. Und wie er zu mir innerlich stand, das habe ich erst während meines Aufenthaltes auf dem Hof erfahren müssen. Ich wurde denunziert bei ihm; es hieß, ich behandle die französischen Gefangenen zu human. Daraufhin bekam ich einen Brief, in dem er mir Vorhalt machte, ernstlichen Vorhalt machte. Ich gab ihm darauf keine Antwort. Ohne bei mir vorher angefragt[360] zu, haben, ob die Beschuldigung wahr ist, machte er mir einen ernstlichen Vorhalt, und ich erkläre offen, ich hatte damals das Gefühl, daß es möglich sein könnte, daß sogar ich der Freiheit durch eine Verhaftung entzogen würde.

Das war das Verhältnis zu Himmler.


DR. MARX: Das genügt.

Sie haben im Laufe dieser Verhandlungen die Namen einer ganzen Anzahl höherer Polizei- und SS-Führer nennen hören, welche bei den Judenverfolgungen eine maßgebliche Rolle spielten, wie zum Beispiel Heydrich, Eichmann, Ohlendorf und so weiter. Bestanden irgendwelche Beziehungen zwischen Ihnen und einem dieser Höheren Polizei- und SS-Führer?


STREICHER: Ich habe die Namen, die Sie jetzt nannten, erst hier gehört bei einer Vernehmung. Ich kannte die Herren nicht, und sie werden mich wohl gesehen haben, aber zwischen mir und Höheren SS-Führern oder SA-Führern hat nie eine Besprechung stattgefunden. Ich war auch nie in Berlin auf einer Stelle des Herrn Himmler, in einem Ministerium. Es hatte also nie eine Besprechung stattgefunden.


DR. MARX: Die Anklagebehörde zieht aus mehreren Artikeln im »Stürmer« den Schluß, daß Sie bereits im Jahre 1942, im Jahre 1943 Kenntnis von den erfolgten Massenhinrichtungen von Juden gehabt haben müssen.

Was erklären Sie hierzu, und wann und auf welche Weise erlangten Sie Kenntnis von den erfolgten Massenhinrichtungen im Osten?


STREICHER: Ich war Abonnent des »Israelitischen Wochenblattes«, das in der Schweiz erscheint. In diesem Wochenblatt kamen manchmal Andeutungen, daß irgend etwas nicht ganz in Ordnung sei; und, ich glaube es war Ende 1943 oder 1944 – ich glaube 1944 – da erschien ein Artikel im »Israelitischen Wochenblatt«, da hieß es, daß im Osten, ich glaube, es hieß in Polen, die Juden massenweise verschwinden würden. Ich habe dann in einem Artikel, der ja vielleicht später noch mir vorgehalten wird, darauf Bezug genommen. Ich erkläre aber offen, daß mir das »Israelitische Wochenblatt« in der Schweiz keine Autorität gewesen wäre, alles zu glauben. Es wurde dort nicht von Zahlen gesprochen, nicht von Massentötungen, sondern nur vom Verschwinden.


DR. MARX: Sind Sie fertig?


STREICHER: Jawohl.


DR. MARX: Haben Sie im »Stürmer« Vorschläge zur Lösung der jüdischen Frage gemacht, und zwar auch noch während des Krieges?


STREICHER: Jawohl.


[361] DR. MARX: Und in welchem Sinne?


STREICHER: Ich vertrat, wie ich schon gestern sagte, den Standpunkt, daß die Judenfrage nur international zu lösen sei, weil ja die Juden in allen Völkern sich befinden, und deshalb brachten wir Artikel in meinem Wochenblatt, die sich beziehen auf die zionistische Forderung, einen Judenstaat zu schaffen, so wie er auch in der Balfour-Deklaration vorgesehen war oder angedeutet war. Also zwei Lösungsmöglichkeiten, eine Vorlösung innerhalb der Völker durch entsprechende Gesetze, und dann durch Schaffung eines Judenstaates.

Während des Krieges, es war, glaube ich, im Jahre 1941 oder 1942, hatten wir wieder einen Artikel geschrieben – wir unterstanden der Berliner Zensur – und den eingesandten Bürstenabzug wies die Zensurstelle zurück mit dem Bemerken, der Artikel dürfe nicht gebracht werden, in dem wir Madagaskar für die Errichtung eines Judenstaates gefordert hatten. Mit Rücksicht auf die politischen Beziehungen zu Frankreich durfte dieser Artikel nicht gebracht werden.


DR. MARX: Wenn Sie also eine Lösung dieser Frage durch Massentötungen erwartet hätten, hätten Sie dann diesen Artikel auch geschrieben?


STREICHER: Damals jedenfalls wäre es ja unsinnig gewesen, ihn noch zu bringen.

DR. MARX: Machten Sie sich keine Gedanken darüber, daß Sie die Judenfrage einseitig behandelten? Daß Sie die Eigenschaften des jüdischen Volkes, welche als groß bezeichnet werden können, überhaupt außer acht ließen?


STREICHER: Ich habe diese Frage nicht recht verstanden, vielleicht auch nicht recht gehört.


DR. MARX: Es kann Ihnen zum Vorwurf gemacht werden, daß Sie ganz einseitig nur Ihnen nachteilig erscheinende Eigenschaften des jüdischen Volkes behandelten, während Sie andere Eigenschaften des jüdischen Volkes nicht in das Blickfeld rückten. Wie erklärt sich das?


STREICHER: Ich glaube, diese Frage, die wird sich hier eigentlich erübrigen. Das ist eine ganz natürliche Angelegenheit, daß ich als Antisemit, so wie ich die Judenfrage kennengelernt habe, kein Interesse daran hatte. Vielleicht sah ich die Vorzüge, die Sie oder andere beim Judentum sehen, nicht. Das mag sein. Ich hatte jedenfalls kein Interesse daran nachzuforschen, welche besonderen Vorzüge hier festzustellen wären.


DR. MARX: Danke.


[362] VORSITZENDER: Das scheint ein geeigneter Augenblick, zu unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. MARX: Haben Sie Konzentrationslager besucht?

STREICHER: Jawohl. Ich habe das Konzentrationslager Dachau besucht.


DR. MARX: Wann ist dies gewesen?


STREICHER: Ich glaube, das erstemal, als sämtliche Gauleiter zusammengerufen wurden, ich glaube, 1935 oder, ich weiß es nicht mehr, 1934 oder 1935, ich weiß es nicht.


DR. MARX: In welchen Zwischenräumen haben Sie dann dieses Lager besucht? Es wird behauptet, Sie seien alle vier Wochen in Dachau gewesen.

Herr Streicher, machen Sie immer eine kurze Pause nach meiner Frage und fangen Sie dann erst mit der Beantwortung an.


STREICHER: Also wiederholen Sie bitte.


DR. MARX: Es wird behauptet, Sie seien alle vier Wochen in Dachau gewesen. In welchen Zwischenräumen waren Sie dort?


STREICHER: Ich bin im ganzen viermal in Dachau gewesen.

DR. MARX: Es wird behauptet, daß nach jedem Ihrer Besuche in Dachau dort ein Jude verschwunden sein soll?


STREICHER: Das weiß ich nicht, ob Juden verschwunden sind.


DR. MARX: Was gab Ihnen Veranlassung, das Lager Dachau wiederholt zu besuchen?


STREICHER: Ich bin in das Lager Dachau, um dort gefangengesetzte sozialdemokratische und kommunistische Funktionäre aus meinem Gau zu besuchen, sie mir vorstellen zu lassen. Ich habe, ich weiß nicht mehr, wieviel Hunderte es waren, aber aus der Gesamtzahl jedesmal, wenn ich in Dachau war, habe ich eine Anzahl, etwa 10 oder 20 ausgesucht, von denen polizeilich festgestellt worden war, daß sie nicht kriminelle Vorstrafen hatten; ich habe sie ausgesucht aus der Masse und habe sie dann Weihnachten jeden Jahres durch Autobusse nach Nürnberg bringen lassen ins Hotel »Deutscher Hof«, wo ich sie dann mit ihren Frauen und Kindern zusammenbrachte, und wo ich dann am gemeinsamen Essen teilnahm.

Ich möchte das Gericht bitten, vielleicht für die Nürnberger Öffentlichkeit, eine ganz kurze Erklärung mir geben zu lassen, warum ich diese Kommunisten herausgeholt habe. Ich wurde in ein Parteiverfahren genommen, weil ich das getan habe. Es gingen dann Gerüchte, die nicht stimmten. Dürfte ich eine ganz kurze Erklärung dazu geben, warum ich das tat?


[363] DR. MARX: Ja, ich bitte, das vielleicht zu genehmigen, Herr Präsident, damit die Beweggründe, die den Angeklagten dabei geleitet haben, festgestellt werden.


VORSITZENDER: Ja, wenn es kurzgefaßt ist.


DR. MARX: Fassen Sie sich also kurz.


STREICHER: Wenn ich durch die Straßen von Nürnberg ging, dann kamen Kinder auf mich zu und sagten: »Mein Vater ist in Dachau.« Es kamen Frauen und baten um ihre Männer. Ich kannte nun viele von diesen Funktionären aus der Zeit, wo ich in den Revolutionsversammlungen in der Diskussion aufgetreten war, und ich konnte für diese Leute die Garantie übernehmen. Ich kenne nur einen Fall, in dem ich mit der Auswahl von den Herausgeholten danebenlangte. Alle anderen haben sich tadellos verhalten. Sie haben das Wort, das sie mir gaben, gehalten. Also, vielleicht wissen jetzt meine Parteigenossen, die auf der Anklagebank sitzen, daß ich nicht das Vaterland schädigen wollte, sondern daß ich menschlich Gutes tun wollte und getan habe.


DR. MARX: Ich komme nun zu den Bilderbüchern, die im Stürmer-Verlag erschienen sind. Sie wissen, daß zwei Bilderbücher herauskamen, und zwar eines mit dem Titel »Trau keinem Fuchs auf grüner Heid'«, und das andere mit der Überschrift »Der Giftpilz«. Übernehmen Sie für diese Bilderbücher die Verantwortung?


STREICHER: Jawohl. Ich darf vielleicht zusammenfassend sagen, daß ich für alles, was meine Mitarbeiter geschrieben haben, oder was von außen her eingegangen ist an meinen Verlag, für alles übernehme ich die Verantwortung.


DR. MARX: Wer hat diese Bilderbücher verfaßt?


STREICHER: Das Bilderbuch »Trau keinem Fuchs auf grüner Heid' und keinem Jud bei seinem Eid« wurde von einer jungen Künstlerin verfaßt, gezeichnet, und sie hat auch den Text dazu gegeben. Der Titel, der auf dem Bilderbuch steht, stammt von Dr. Martin Luther.

Das zweite Bilderbuch, das wurde verfaßt vom Chefredakteur des »Stürmer«, der früher Pädagoge, Lehrer war. Veranlaßt zu diesen beiden Bilderbüchern wurde ich durch zwei Kriminalfälle, die sich zugetragen haben in Nürnberg und die hier in diesem Saale, soviel ich weiß, verhandelt wurden. Hier war ein Fabrikant, Louis Schloß, ein Jude, der hatte Nürnberger junge Mädchen, noch unberührt zum Teil...


DR. MARX: Herr Streicher! Das wollen wir jetzt nicht hören, denn meine Frage ging dahin, wer diese Bilderbücher verfaßt hat, und ob Sie die Verantwortung für beide übernehmen?


[364] STREICHER: Es ist für das Gericht wichtig, doch richtig zu wissen, wie ich jetzt dazu komme, daß nun plötzlich in meinem Verlag zwei Bilderbücher für die Jugend erscheinen. Ich gebe diese Erklärung absolut sachlich. Ich spreche hier von gerichtlichen Fällen. Hier sitzen Herren, die sind Zeugen, die waren hier im Justizpalast und haben die Verhandlungen miterlebt. Nur so versteht man, warum die Bilderbücher herausgekommen sind. Sie waren die Antwort auf Taten, die geschehen sind.


DR. MARX: Ja, es handelt sich ja hier nur darum, es wird Ihnen zum Vorwurf gemacht, daß Sie dadurch auf die Seelen noch jugendlicher Menschen bereits eine Einwirkung ausgeübt hätten, die nicht erforderlich war und die geeignet erscheinen konnte, vergiftend zu wirken.


STREICHER: Ich will ja durch meine Erklärung beweisen, daß wir die Jugend schützen wollten, weil eben Taten geschehen waren.


DR. MARX: Aber die Jugend konnte doch kaum den Fall »Schloß« begreifen, oder irgend so einen Fall, nicht?

STREICHER: Es war öffentliches Gespräch in Nürnberg und darüber hinaus in ganz Deutschland.


DR. MARX: Also für mich ist diese Frage beantwortet, Herr Präsident.


STREICHER: Für mich als Angeklagten nicht.


VORSITZENDER: Sie haben uns gesagt, daß diese Bücher herausgegeben wurden als Erwiderung auf Dinge, die hier geschehen sind, das genügt.


DR. MARX: Herr Zeuge! Ein weiterer, gegen Sie erhobener schwerer Vorwurf der Anklage ist jene Ritualmord-Nummer, welche im Stürmer-Verlag herausgebracht worden ist und im Zuge des Stürmers erschienen ist. Wie ist es zu dieser Nummer gekommen, und was war der Beweggrund dazu? Haben Sie diese Nummer selbst verfaßt?


STREICHER: Nein.


DR. MARX: Wer war der Verfasser?


STREICHER: Mein Mitarbeiter und damaliger Chefredakteur, der nun verstorbene Karl Holz. Ich übernehme aber die Verantwortung.


DR. MARX: Ist es nicht so, daß Sie bereits in den zwanziger Jahren im »Stürmer« ebenfalls sich mit dieser Frage befaßt haben?

STREICHER: Jawohl, und in öffentlicher Rede.


DR. MARX: Jawohl, in öffentlicher Rede. Warum haben Sie nun diese zweifellos sehr schwerwiegend wirkende Angelegenheit im Jahre 1935 wieder aufgerührt?


[365] STREICHER: Ich möchte meinen Verteidiger bitten, keine Werturteile über das, was ich geschrieben habe, zu fällen; mich zu befragen, aber keine Werturteile. Das macht die Anklagevertretung.

Sie haben mich gefragt, wie es zu dieser Nummer kam. Ich will ganz kurz erklären...


DR. MARX: Verzeihung, Herr Präsident! Ich muß dagegen Stellung nehmen, daß der Herr Streicher hier im Zuge seiner Vernehmung durch mich Kritik an der Art meiner Fragestellung üben zu können glaubt. Ich bitte das Gericht, dazu Stellung zu nehmen, da ich sonst ja gar nicht mehr in der Lage bin, die Fragen zu stellen.


VORSITZENDER: Dr. Marx! Sie haben Ihre Stellung bereits festgelegt und der Gerichtshof unterstützt Sie darin absolut. Wollen Sie bitte fortfahren.

Und Ihnen, Angeklagter, lassen Sie mich folgendes sagen: Wenn Sie Ihrem Verteidiger oder dem Gerichtshof gegenüber frech sind, wird der Gerichtshof die Anhörung Ihres Falles jetzt nicht fortsetzen können. Sie wollen Ihren Verteidiger und den Gerichtshof mit der erforderlichen Höflichkeit behandeln.


STREICHER: Darf ich bitten, dazu etwas zu sagen?


VORSITZENDER: Nein, bitte beantworten Sie die Fragen.


DR. MARX: Ich setze jetzt meine Fragen fort.

Es wird Ihnen von der Anklage bei dieser Ritualmord-Angelegenheit zum Vorwurf gemacht, daß Sie ohne Unterlagen die Sache behandelt hätten, unter Rückgriff auf eine mittelalterliche Sache. Was war, kurz gesagt, Ihre Quelle?


STREICHER: In dieser Nummer sind die Quellen angegeben. Es wurde nichts geschrieben, wenn nicht zugleich die Quelle angegeben worden war. Es wurde hingewiesen auf ein Buch, das ein ehemaliger Rabbiner, der zum Christentum übergetreten war, veröffentlichte in griechischer Sprache. Es wurde hingewiesen auf eine Veröffentlichung eines hohen Mailänder Geistlichen, auf ein Buch, das in Deutschland seit 50 Jahren erscheint. Das Judentum hat gegen dieses Buch auch unter der demokratischen Regierung keine Klage erhoben. Diese Ritualmord-Nummer nimmt Bezug auf Gerichtsakten, die sich in Rom befinden, es nimmt Bezug auf Akten, die sich bei Gericht befinden. Es sind Bilder beigegeben, die zeigen in 23 Fällen, daß die Kirche selbst sich mit dieser Frage befaßte. Die Kirche hat 23 durch Ritualmord geendete Nichtjuden heiliggesprochen. Es sind die Bilder zum Teil gebracht, Skulpturen, also Steinmale, überall ist auf die Quelle hingewiesen, sogar ein Fall in England wurde hier angeführt und in Kiew aus Rußland. Ich möchte aber in dem Zusammenhang sagen, so wie ich auch einem jüdischen Offizier hier sagte, wir wollten nie behaupten, daß das gesamte Judentum nun dazu bereit wäre, Ritualmorde zu begehen. Aber es [366] ist eine Tatsache, daß innerhalb des Judentums eine Sekte besteht, die sich mit diesen Morden befaßte und bis in die neue Zeit hinein befaßt hat. Ich habe meinen Verteidiger gebeten, er möge dem Gericht einen Akt aus Pisek vorlegen, aus der Tschechoslowakei, aus der neuesten Zeit. Ein Revisionsgericht hat einen Ritualmordfall bestätigt. Also zusammenfassend muß ich sagen...


JUSTICE JACKSON: Herr Vorsitzender! Ich erhebe gegen diese Erklärung Einspruch. Nachdem sein Verteidiger sich geweigert hat, dieses Dokument vorzulegen, besteht der Zeuge darauf, hier den Inhalt des Gerichtsprotokolls zu zitieren. Das ist nicht der richtige Weg, Beschuldigungen gegen das jüdische Volk zu erheben. Streicher sagt, daß er seinen Verteidiger um Vorlage ersucht hat. Sein Verteidiger hat sich anscheinend geweigert, woraufhin er hier Beweismittel zu bringen beginnt, von denen er weiß, daß sie die Zusammenfassung einer Angelegenheit sind, welche einzureichen sein Verteidiger sich geweigert hat. Meines Erachtens hat er nach Bestellung eines Verteidigers zur Führung seines Falles wiederholt gezeigt, daß er nicht gewillt ist, seinen Fall auf anständige Art zu führen. Er sollte daher in seine Zelle zurückgebracht werden und alle weiteren Erklärungen, die er vor diesem Gerichtshof zu machen wünscht, können durch seinen Verteidiger schriftlich eingebracht werden. Sein Verhalten ist absolut unfair und stellt eine Nichtachtung des Gerichtshofs dar.


VORSITZENDER: Dr. Marx! Ich glaube, Sie sollten besser fortfahren.


DR. MARX: Ich möchte bemerken, daß die Angelegenheit damit erledigt ist. Es ist ja nur das Wesentliche, ob man sagen kann, daß er ohne Unterlagen diesen Fall behandelt hat. Die Verteidigung interessiert sich für die Angelegenheit überhaupt nicht und ich habe nach meiner Erinnerung einem der Herren der Anklagebehörde auch den Vorschlag gemacht, diese Angelegenheit vielleicht ganz wegzulassen; denn es ist ja wirklich so, daß diese Angelegenheit so abscheulich ist und einem so contre cour geht, daß man sie besser gar nicht behandelt. Aber der Angeklagte wollte ja nur sagen, daß er nur unter Zugrundelegung dieser verschiedenen Unterlagen den Fall behandelt hat und ich meine, das genügt, damit sollte die Sache erledigt sein.

Also, Herr Streicher, Sie verfallen immer wieder in den Fehler, daß Sie viel zu weit ausholen und daß Sie hier Sachen besprechen, die Ihnen als Propaganda ausgelegt werden können. Ich möchte Sie jetzt zum letzten Male bitten, sich an meine Fragen zu halten und alles Weitere wegzulassen. Es liegt in Ihrem eigenen Interesse.

Es wird Ihnen zum Vorwurf gemacht, daß Sie in Ihrem Gau verschiedentlich Handlungen begangen haben, die gegen die [367] Humanität verstießen, daß Sie sich Mißhandlungen von Gaueingesessenen zuschulden haben kommen lassen. So wird Ihnen zum Vorwurf gemacht, daß Sie einen politischen Gefangenen, einen gewissen Steinruck, in seiner Zelle aufgesucht und dort geschlagen haben. Ist das richtig?


STREICHER: Jawohl.


DR. MARX: War Steinruck ein Jude?


STREICHER: Nein.


DR. MARX: Aus welchem Beweggrund haben Sie das gemacht?


STREICHER: Steinruck hatte sich in einem öffentlichen Lokal vor vielen Zeugen in abfälliger Weise über den Führer ausgesprochen, in verleumderischer Weise. Er befand sich auf der Polizei. Ich hatte mit dem Polizeipräsidenten darüber gesprochen und sagte ihm, daß ich mir diesen Steinruck einmal anschauen möchte. Ich ging mit meinem Adjutanten – in dem Göring-Bericht heißt es, es sei noch Parteigenosse Holz dabei gewesen, das ist aber nicht richtig –, ich ging also mit meinem Adjutanten zur Polizei. Der gleiche Polizeipräsident, der mich dann später bei Reichsmarschall Göring denunzierte, führte mich zur Zelle des Steinruck. Wir begaben uns in die Zelle. Ich erklärte hier, ich ging mit der Absicht hin, um mit ihm zu sprechen, vernünftig zu sprechen. Wir sprachen mit ihm. Nun hat er sich so feige benommen, daß sich das nun aus dem Augenblick heraus ergeben hatte, er wurde gezüchtigt. Ich stehe nicht an, hier zu erklären, daß ich diesen Fall bedauere, daß ich es als eine Entgleisung empfinde.


DR. MARX: Es wird dann weiter behauptet, Sie hätten im August 1938 einen Schriftleiter Burger verprügelt. Ist das richtig?


STREICHER: Nein, das ist nicht richtig. Wenn ich ihn verprügelt hätte, dann würde ich es hier sagen. Ich glaube aber, daß mein Adjutant und noch jemand mit dem eine Auseinandersetzung hatten.


DR. MARX: Was war das mit dem Vorfall im Künstlerhaus in München?


STREICHER: Ich kam nach München in das Gasthaus »Künstlerstätte«, oder wie es heißt. Ich wurde empfangen vom Geschäftsführer. Da trat ein junger Mann auf mich zu, betrunken, und lallte und schrie auf mich ein. Der Geschäftsführer verbat sich dies, wies ihn vom Platze weg, der betrunkene junge Mann kam immer wieder herzu und da nahm mein Chauffeur diesen Betrunkenen und mein Sohn half ihm dabei. Sie gingen mit ihm in ein Zimmer hinein und züchtigten ihn, und dann bedankte sich der Besitzer der Gaststätte, daß er nun selbst vor dem Betrunkenen Ruhe hätte.

Aber nun hätte ich an das Gericht die Bitte, daß ich ganz kurz zu dem einen Fall, den, glaube ich, auch die Anklagevertretung [368] fallen ließ, Stellung nehmen darf, wo ich bezichtigt wurde, mich würde gewissermaßen ein sadistischer Trieb dazu geführt haben...


VORSITZENDER: Angeklagter! Sie wissen ganz genau, daß dieser Zwischenfall aus dem Protokoll gestrichen wurde und daher nicht mehr gegen Sie vorgebracht wird. Es ist aus diesem Grunde absolut unnötig, darauf einzugehen. Der Gerichtshof kann Sie dazu nicht hören.


DR. MARX: Zeuge! Ich halte Ihnen nun aus dem sogenannten Göring-Bericht einige zum Gegenstand der Anklage gemachte Punkte vor:

Sie wissen, daß nach der Aktion vom November 1938 im Gau Franken Arisierungen jüdischen Besitzes in erheblichstem Umfang vorgenommen wurden. Wollen Sie dazu eine Erklärung abgeben?


STREICHER: Hier im Göring-Bericht befindet sich ein Hinweis auf eine Erklärung des verstorbenen Parteigenossen Holz. In dieser Erklärung wird gesagt, daß Holz nach jener Aktion zu mir gekommen sei, einen Vortrag gehalten hätte über die Aktion, sie ebenfalls für falsch erklärt hätte; er hat dann weiter gesagt, nun ist das geschehen, nun hält er es für notwendig, daß man nun weitergeht und den Besitz arisiert. Im Göring-Bericht heißt es, ich hätte dann dem Holz erklärt, das ginge nicht und hätte mich dem widersetzt. Dann heißt es weiter, Holz hätte dann mir gesagt, er hält es doch für gut, wenn man es tun würde. Man könne dann auch Mittel für die Errichtung einer Gauschule erhalten. Holz erklärt weiter, ich hätte dem Sinne nach erklärt: »Holz, wenn Sie glauben, es machen zu können, dann machen Sie es.«

Ich erkläre hier, es ist wahr, was hier der Parteigenosse Holz bekannt hat. Ich habe zuerst mich widersetzt und habe dann aus einer Stimmung heraus, die mir heute unklar ist, erklärt: »Wenn Sie es machen können, gut, dann machen Sie es«. Ich erkläre hier, daß ich damals, als ich das sagte, gar nicht dran glaubte, daß es nun geschehen sollte oder geschehen würde, aber es ist geschehen. Der Reichsmarschall hat als Beauftragter des Vierjahresplanes dann in Berlin dazu Stellung genommen, und zwar in scharfer Ablehnung. Ich habe damals erst erfahren, wie Holz diese Arisierung machte, hatte mit ihm eine Aussprache, kam in schweren Gegensatz, damals zerbrach dann unser Freundschaftsverhältnis. Holz meldete sich freiwillig zur Panzertruppe, ging ins Feld, trat als Stellvertreter zurück. Ich kam von Berlin nach Nürnberg zurück, und dann erschien in Nürnberg, vom Reichsmarschall als Beauftragten des Vierjahresplanes gesandt, ein Krimmalkommissar. Er meldete sich bei mir und frug mich, ob ich damit einverstanden sei, daß die Sache untersucht würde, und ich erklärte ihm, daß mir die Untersuchung willkommen sei. Es fand dann die Untersuchung statt. Die Arisierung [369] wurde rückgängig gemacht, es wurde festgestellt, daß Holz persönlich sich nicht bereichert hatte, es wurde dann die Arisierung vom Staat übernommen, rückgängig gemacht und übernommen.

Ich erkläre also offen, ich habe mich hier zumindest einer Fahrlässigkeit schuldig gemacht.


DR. MARX: War Ihnen bekannt, daß die bei Arisierung von Häusern und Grundstücken gezahlten Erlöse nur etwa 20 Prozent des tatsächlichen Wertes darstellten oder noch weniger?

STREICHER: Holz war wochenlang nicht mehr zu mir gekommen. Er hatte die Arisierung im Hause der Arbeitsfront mit dem dortigen Sachwalter vorgenommen. Ich hatte erst in Berlin in der Sitzung, die der Reichsmarschall abhielt, die wirkliche Sachlage erfahren und deshalb kam es zwischen mir und Holz nun zur Aussprache und zum Bruch, weil ich die Art, wie die Arisierung besorgt worden war, ablehnen mußte.


DR. MARX: Es wird Ihnen weiter zum Vorwurf gemacht, daß Sie zum Zwecke Ihrer persönlichen Bereicherung Aktien der Mars-Werke in Nürnberg zu einem außerordentlich niedrigen Preise hätten erwerben lassen, und daß bei diesem Erwerb ein unzulässiger Zwang auf den Besitzer der Aktien ausgeübt worden sei?


STREICHER: In dem Göring-Bericht heißt es wörtlich, ich hätte einen Auftrag gegeben, an anderer Stelle, ich hätte den Befehl gegeben, für mich die Mars-Aktien zu erwerben. Ich erkläre hier, ich habe weder einen Auftrag noch einen Befehl gegeben, die Mars-Aktien zu erwerben. Die Sache war so: Mein Verlagsleiter hatte eine Generalvollmacht, weil ich persönlich mich nie in all den Jahren her um Finanzangelegenheiten, Geschäftsangelegenheiten gekümmert hatte. Er hatte also seine Generalvollmacht und konnte tun was er wollte. Eines Tages kam er mit meinem Adjutanten zu mir. Ich weiß jetzt nicht mehr, war der Adjutant der erste Sprecher oder der Verlagsleiter. Es wurde mir folgendes gesagt: Ein Rechtsanwalt habe angerufen und hätte gesagt, die Mars-Aktien würden vorteilhaft zum Kaufe angeboten. Ob ich damit einverstanden sei, frug mich nun mein Verlagsleiter. Ich erklärte, daß ich noch nie in meinem Leben eine Aktie in Besitz hatte, daß ich mich nie um Finanzsachen in meinem Verlag gekümmert habe. Wenn er glaube, die Aktien erwerben zu sollen, dann könne er es tun. Die Aktien wurden erworben. Es war der schwerste Vertrauensbruch, der je von einem Parteigenossen oder Angestellten an mir begangen worden war. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, das heißt, erfuhr ich, wie die Aktien erworben wurden. Ich erfuhr, daß der Besitzer bedroht worden war. Als ich erfahren hatte, unter welchen Bedingungen dieser Aktienkauf geschah, erteilte ich sofort den Befehl, die Aktien wieder zurückzugeben. Im Göring-Bericht ist vermerkt, daß diese Rückgabe geschah. Bei den beschlagnahmter[370] Akten meines Verlages befindet sich eine amtliche Erklärung über diese Angelegenheit, das heißt, daß diese Aktien wieder zurückerstattet wurden.

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht gestattet, daß ich bemerke, mein Verlag befand sich bis zum Kriegsende in einem Miethaus. Zur Zeit der Arisie rungen war man an mich herangetreten, man möchte doch für meinen Verlag ein arisiertes Haus erwerben. Ich lehnte dies ab. Ich erkläre hier zusammenfassend: Ich besitze nichts aus jüdischem Besitz.

Und als jene Demonstration geschehen war im Jahre 1938, da waren Schmuckgegenstände abgegeben worden auf dem Gauhaus. Diese Schmuckgegenstände wurden der Polizei übergeben. Ein Ehrenzeichenträger wurde zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er einen Ring und noch einen Schmuckgegenstand, der aus jener Zeit stammte, seiner Geliebten geschenkt hatte. Aber eines darf ich sagen: Die Schuld, daß dieser Ehrenzeichenträger soweit kam, liegt doch vielleicht bei denen, die den Befehl erteilt hatten: »Jetzt geht in die Judenhäuser!« Der Mann, soweit ich ihn kannte, war persönlich immer anständig gewesen. Hier kam er auf Grund dieses Befehls in eine Lage, daß er ein Verbrechen beging. Ich bin damit fertig.


DR. MARX: War es nicht so, daß die Angaben des Verlagsleiters Fink vor dem Parteigericht und auch schon vorher bei einer polizeilichen Vernehmung in wesentlichen Punkten von Ihren jetzigen Darlegungen abweichen?


STREICHER: Die Sache war so: Der Verlagsleiter Fink wurde auf die Polizei gerufen und einem Verhör unterzogen. Ein Interesse an dem Verhör hatte der Polizeipräsident, der jahrelang in meinem Hause als Freund verkehrt hatte. Fink kam von dem Verhör völlig verstört. Er ging vor mir auf und ab und schrie laut vor sich hin: »Ich wurde bedroht, ich habe Aussagen gemacht, die sind nicht wahr, ich bin ein Lump, ich bin ein Verbrecher.« Zeuge dieses Vorfalles war mein Chauffeur. Ich beruhigte ihn und sagte zu ihm: Ich war auch schon bei einem Verhör und war sogar schon im Gefängnis. Ich gebe Ihnen Gelegenheit...


VORSITZENDER: Sind alle diese Einzelheiten in diesem Falle wirklich notwendig?


DR. MARX: Ja, Verzeihung, Herr Vorsitzender. Das wäre vielleicht doch erforderlich, weil gerade in dem Bericht ja auf das Zeugnis Finks Bezug genommen wird und damit der Beweis zu erbringen versucht wird, daß die Darstellung des Angeklagten Streicher falsch sei, daß er nämlich den Auftrag zum Ankauf dieser Aktien, und zwar möglicherweise unter Zwang angeordnet und gebilligt hätte, während er sich dahin äußert, daß er weder wußte, [371] daß diese Aktien zu diesem geringen Preis erworben werden sollten, noch daß ein erpresserischer Zwang dabei zur Anwendung kommen sollte.

Wenn letzteres unterstellt wird, ist die Angelegenheit selbstverständlich erledigt.

VORSITZENDER: Das hat er schon gesagt. Er hat das ganz deutlich gesagt, nicht wahr? Ich wollte nur darauf hinweisen, daß es nicht nötig ist, solche Einzelheiten zu dieser Frage zu erörtern.


DR. MARX: Herr Zeuge! Es wird vielleicht von Wichtigkeit sein, festzustellen, wie die Auflagebewegung des »Stürmer« seit dem Jahre 1933 sich gestaltete. Geben Sie eine kurze Darstellung über die Auflagehöhe des »Stürmer«, und dann werde ich noch eine weitere Frage an Sie stellen.


STREICHER: Der »Stürmer« erschien im Jahre 1923 in Oktavformat und hatte am Anfang eine Auflage von 2000 bis 3000 Stück. Im Laufe der Zeit stieg die Auflage auf 10000. Der »Stürmer« war damals eigentlich bis 1933 nur in Nürnberg, in meinem Gau, vielleicht auch noch in Südbayern etwas verbreitet. Der Verleger war ein Buchhändler und machte die Arbeit zunächst mit einem Mann und dann mit zwei Männern. Das ist ein Beweis dafür, daß die Auflage wirklich klein war.

Im Jahre 1933 wird die Auflage – ich sage das aber mit Vorbehalt, es könnte ja sein, daß der Verleger mir nicht immer genau die Auflagezahl sagte, ich hatte mit ihm keinen schriftlichen Vertrag, ich sage es mit Vorbehalt – ich glaube im Jahre 1933 war die Auflagehöhe 25000.

Im Jahre 1935 starb der Verleger, und da war die Auflage, ich glaube, 40000 gewesen. Dann übernahm den Verlag ein Fachmann, und er organisierte nun die Sache über ganz Deutschland hinweg. Da stieg nun die Auflage auf 100000, stieg hinauf bis auf 600000, schwankte, ging wieder zurück und fiel dann im Krieg – ich kann es nicht genau sagen, aber mit Vorbehalt – auf ungefähr 150000 oder 200000.


DR. MARX: Sie sagen, jener neue Mann organisierte die Auflage über ganz Deutschland hinweg. Wurde dabei der Parteiapparat eingeschaltet und wurden nicht Betriebe und sonstige Stellen, wie zum Beispiel auch die DAF, eingespannt, um die Auflage zwangsläufig zu erhöhen?


STREICHER: Ja, die Parteieinstellung, die offenbarte sich in einem Schreiben, das an alle Gaue hinausging, gezeichnet von Bormann. Da wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der »Stürmer« kein Parteiblatt sei und mit der Partei nichts zu tun hätte. Daraufhin sahen sich einige Gauleiter veranlaßt, anzuordnen, den »Stürmer« in ihrem Gau nicht mehr in Erscheinung treten zu lassen. Daß es [372] nun innerhalb der Organisationen Parteigenossen gab, die aus Idealismus oder aus anderen Gründen sich für die Verbreitung eingesetzt haben, das ist klar. Ich selbst habe weder schriftlich noch mündlich irgendwohin einen Befehl an Parteiorganisationen zur Hilfe ergehen lassen.


DR. MARX: Herr Streicher! Sie sind bereits vor dem Jahre 1933 verschiedentlich mit den Gerichten in Berührung gekommen, ebenfalls wegen Ihrer Artikel und wegen Ihrer Haltung, die im »Stürmer« zutage trat. Geben Sie kurz eine Darstellung, wie oft dies der Fall war und welche Folgen das für Sie nach sich zog.


STREICHER: Wie oft, das kann ich heute nicht genau beantworten, aber es war oft. Ich bin wiederholt vor Gericht gestanden und Sie fragen mich, welche Folgen das hatte. Ich war wiederholt im Gefängnis, aber ich darf mit Stolz darauf hinweisen, in den Urteilen heißt es wiederholt »unbestechlicher Wahrheitsfanatiker«. Das waren die Folgen meiner rednerischen und schriftstellerischen Tätigkeit; aber vielleicht ist es wichtig, folgendes noch festzustellen: Ich kam nie vor Gericht wegen krimineller Dinge, sondern nur wegen meiner antisemitischen Tätigkeit, und da wurde geklagt von dem Verein der Staatsbürger jüdischen Glaubens. Der Vorsitzende hat wiederholt geklagt, wenn wir im Ausdruck uns vergaßen und damit die Möglichkeit gegeben haben, auf Grund der damaligen Paragraphen und Gesetze uns vor Gericht zu bringen. Vielleicht darf ich aber auch hier darauf hinweisen, daß der jüdische Justizrat Dr. Süßheim, der mir als Gegner gegenüberstand, vor Gericht erklärte, hier in diesem Saal: »Meine Herren Richter, er ist unser unerbittlicher Feind, aber er ist ein Wahrheitsfanatiker. Er ist überzeugt von dem, was er tut, er ist ehrlich.«


VORSITZENDER: Sie waren des öfteren im Gefängnis. In welchen Jahren war dies?


STREICHER: Das war natürlich vor 1933. Das erstemal kam ich nach Landsberg ins Gefängnis, weil ich den Hitler-Putsch mitgemacht habe, dann bekam ich dreieinhalb Monate Gefängnis hier in Nürnberg, wo ich nun bin. Dann bekam ich drei Monate Gefängnis...


VORSITZENDER: Sie brauchen uns hier keine Einzelheiten vorbringen.


STREICHER: Ich war also vor 1933 wiederholt mit Gefängnis- oder Geldstrafen belegt worden.


DR. MARX: Herr Vorsitzender! In dem Göring-Bericht ist dann noch die Rede davon, daß der Angeklagte Streicher persönlich sich für verschiedene jüdische Betriebe interessiert habe, um sich angeblich eine Kapitalanlage zu verschaffen.. Ich bin aber der Meinung, daß ein Eingehen auf diese Punkte nicht erforderlich ist, [373] ebensowenig wie darauf, daß das Haus am Bodensee verkauft worden ist und an wen. Ich weiß nicht, ob der Angeklagte sich hierzu noch äußern soll. Von meiner Seite besteht keine Veranlassung, eine dahingehende Frage an ihn zu richten.


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie können das weglassen und abwarten, ob es im Kreuzverhör aufgebracht wird; wenn das der Fall ist, können Sie ihn dann rückverhören.


DR. MARX: Ja, selbstverständlich.

Herr Präsident! Ich bin dann am Ende meiner Fragen an den Angeklagten.


VORSITZENDER: Wünscht sonst noch ein Verteidiger Fragen an den Angeklagten zu stellen?


[Keine Antwort.]


Die Anklagebehörde?

OBERSTLEUTNANT J. M. G. GRIFFITH-JONES, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof!


[Zum Zeugen gewandt:]


Als Sie Ihre Partei im Jahre 1922 Hitler übergaben, kannten Sie damals seine Politik und wußten Sie, was später die Politik der Nazi-Partei werden sollte?

STREICHER: Die Politik – ich möchte zunächst sagen, nein. Damals konnte nicht von Dingen gesprochen werden, die einfach nicht einmal in Gedanken möglich waren. Die Politik bestand damals darin, dem deutschen Volk einen neuen Glauben zu schaffen, und zwar einen Glauben, der das Chaos, die Unordnung verneint und zur Ordnung zurückkehrt.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Kann ich annehmen, daß Sie nach kurzer Zeit die Politik kennenlernten, die Politik nach dem Parteiprogramm und »Mein Kampf«?


STREICHER: Ich brauchte kein Parteiprogramm. Ich gestehe Ihnen offen, ich habe es nie ganz gelesen. Damals ging es nicht um Programme, sondern um Massenversammlungen...


VORSITZENDER: Das ist keine Antwort auf die Frage. Die Frage lautete, ob Sie kurz nach 1922 die Politik, wie sie im Parteiprogramm und »Mein Kampf« dargelegt ist, kennengelernt haben.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie wußten also, daß der Anschluß Österreichs Teil dieser Politik war? Können Sie das mit Ja oder Nein beantworten?


STREICHER: Nein. Von Österreich war nie die Rede gewesen. Ich entsinne mich nicht, daß der Führer darüber sprach, daß Österreich eingegliedert werden sollte.


[374] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich will von Ihnen nur eine Antwort auf meine Frage hören. Meine Frage war: Wußten Sie, daß der Führer mit seiner Politik den Anschluß Österreichs an Deutschland vorhatte? Ich verstehe Sie dahin, daß Sie das verneinten. Ist das richtig?


STREICHER: Daß er es vorhatte? Nein, das wußte ich nicht.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wußten Sie, daß er die Absicht hatte, die Tschechoslowakei anzugliedern oder wenigstens das Sudetenland?


STREICHER: Nein.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wußten Sie, daß in »Mein Kampf« der Lebensraum von Anfang an sein Endziel war?


STREICHER: Das, was ich im Buch »Mein Kampf« gelesen habe, das ist rot angestrichen. Das Buch ist beschlagnahmt. Ich habe nur das gelesen, was über die Judenfrage dort gesagt ist; die anderen Dinge habe ich nicht gelesen. Aber daß wir das Ziel hatten, einmal Lebensraum für unser Volk zu erhalten, das ist selbstverständlich. Auch ich persönlich hatte das Ziel mir gesetzt mitzuhelfen, auf irgendeinem Wege den überschüssigen Kindern eine Zukunft geben zu können.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sehr gut. Darf ich annehmen, daß Sie während der Jahre 1922 und 1923 als Herausgeber und Besitzer des »Stürmer« und seit dem Jahre 1925 als Gauleiter alles taten, was in Ihrer Macht stand, um der Nazi-Partei zur Macht zu verhelfen?


STREICHER: Ja, das ist selbstverständlich.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Und haben Sie seit dem Jahre 1933 ununterbrochen Propaganda für die Politik der Nazi-Partei selbst gemacht und sie unterstützt?


STREICHER: Jawohl.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nicht nur in der Frage der Juden, sondern auch in der Auslandspolitik?


STREICHER: Nein, das stimmt nicht. Im »Stürmer« befindet sich nicht ein Artikel, der sich mit dieser Auslandspolitik befaßte. Ich habe mich ausschließlich...


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Das ist vollkommen genug. Ich will mit dieser Angelegenheit keine Zeit verlieren. Ich bitte Sie nun, sich Dokument D-802 anzusehen.

Herr Vorsitzender! Es ist ein neues Beweisstück.


VORSITZENDER: Welche Nummer wird es haben?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: GB-327. Euer Lordschaft! Ich bitte um Entschuldigung, aber das Dokument scheint im [375] Augenblick zu fehlen; vielleicht darf ich einen Auszug daraus verlesen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich will Ihnen nur einen Auszug aus einem Artikel vorlesen, den Sie im »Stürmer« im März 1938 geschrieben haben, und zwar sofort nach dem Anschluß von Österreich. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, ob Sie für die Nazi-Politik gegenüber Österreich eintraten oder nicht.

»Unser Herrgott sorgt dafür, daß die Macht des Juden nicht bis zum Himmel wachse. Was noch vor wenigen Tagen nur ein Traum war, ist Wirklichkeit geworden; Das Brudervolk Österreichs ist heimgekehrt zum Reich.«

Und dann einige Zeilen weiter unten:

»Wir gehen herrlichen Zeiten entgegen, einem Großdeutschland ohne Juden.«

Behaupten Sie, daß Sie damit keine Propaganda für die Nazi-Politik machten?

STREICHER: Ich habe keine Propagandapolitik gemacht, denn Österreich war ja schon einverleibt. Ich habe das willkommen geheißen. Da brauchte ich ja keine Propaganda mehr zu machen.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut. Vielleicht sagen Sie mir, was Sie unter »Großdeutschland« verstehen, das Sie anstrebten. Was für ein Großdeutschland haben Sie im März 1938 angestrebt? Ein größeres Deutschland, als es nach dem Anschluß mit Österreich war?


STREICHER: Ein Großdeutschland, ein Lebensraum, in dem alle Deutschen, Deutschsprechenden, Deutschblütigen zusammenleben können.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Verstehe ich Sie richtig? Sie traten für einen »Lebensraum«, einen größeren Raum, der Deutschland damals noch nicht gehörte, ein?


STREICHER: Das zunächst nicht, nein. Zunächst handelt es sich um Österreich und Deutschland. Die Österreicher sind Deutsche und gehören damit in ein Großdeutschland hinein.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich will mit Ihnen nicht streiten. Ich will Sie nur noch einmal fragen, was Sie unter Großdeutschland verstehen, das Sie im März 1938 anstrebten?

STREICHER: Ich habe bereits gesagt, ein Deutschland, in der alle zusammen leben und arbeiten können, die deutsch sprechen und deutsches Blut haben.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie sich D-818 ansehen, das jetzt GB-328 wird. Vielleicht kann ich weitergehen. [376] Haben Sie persönlich im November 1938, nach München, ein Telegramm an Konrad Henlein, den Führer der Sudetendeutschen Partei, gesandt?


STREICHER: Wenn es hier steht, dann wird es so sein. Ich weiß das nicht mehr.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Lassen Sie mich Ihrem Gedächtnis nachhelfen, über das, was Sie sagten:

»Ohne Ihre mutige Vorarbeit wäre das große Werk nicht gelungen.«

Sind Sie damit nicht für die Propaganda zur Unterstützung der Politik der Nazi-Regierung eingetreten?

STREICHER: Ich muß Sie nochmals fragen. Bitte Ihre Frage noch einmal.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich frage Sie, stellt nicht das Telegramm, das Sie an Konrad Henlein gesandt haben und das Sie in Ihrer Zeitschrift unter einem Bild dieses Mannes abdrucken ließen, eine Propaganda zur Unterstützung der Nazi-Politik, und zwar der Nazi-Außenpolitik, dar?


STREICHER: Da muß ich das gleiche sagen, was ich vorhin gesagt habe, das ist ein Begrüßungs-, ein Danktelegramm. Propaganda brauchte ich nicht mehr zu machen, weil ja das Münchener Abkommen vollzogen war.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich behaupte es und bleibe dabei: Ich behaupte, daß Sie vom Jahre 1933 an bis 1944 oder 1945 tatsächlich alles getan haben, was Sie zur Unterstützung der Regierungspolitik, und zwar sowohl der Innen- als auch der Außenpolitik tun konnten.


STREICHER: Soweit es in meinem Bereich möglich war, ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich will nun zur Judenfrage übergehen. Darf ich Sie an die Rede erinnern, die Sie am 1. April 1933, also am Boykott-Tage, gehalten haben?

Euer Lordschaft! Dieses Dokument findet sich im Original-Dokumentenbuch; es ist M-33. Es wurde noch nicht vorgelegt und wird nun GB-329. Es befindet sich auf Seite 15 im Dokumentenbuch, und zwar im Original-Dokumentenbuch, das der Gerichtshof hat.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich gebe Ihnen jetzt das Dokumentenbuch. Wenn Sie das Original sehen wollen, so können Sie es in jedem einzelnen Falle sehen.

»14 Jahre lang haben wir es hineingeschrien in die deutschen Lande: Deutsches Volk, erkenne deinen wahren Feind! Und vor 14 Jahren horchte der deutsche Spießbürger auf und erklärte, wir predigten den Religionshaß. Heute ist [377] das deutsche Volk aufgewacht, ja, in der ganzen Welt wird heute das Wort vom ewigen Juden ausgesprochen.

Noch nie, solange es Menschen gibt und die Welt besteht, gab es ein Volk, das es wagte, sich einem Volk zum Kampfe zu stellen, das seit Jahrtausenden als Blutsauger und Erpresser über die Erde zieht.«

Und sodann die letzte Zeile im letzten Abschnitt:

»Unserer Bewegung blieb es vorbehalten, den ewigen Juden als Massenmörder aufzuzeigen.«

Ist es richtig, daß Sie 14 Jahre lang in die deutschen Lande hineingeschrien haben: »Deutsches Volk, erkenne deinen wahren Feind«?

STREICHER: Zunächst stelle ich fest, daß das, was Sie mir übergeben, nichts damit zu tun hat. Sie haben einen Artikel hergelegt...

VORSITZENDER: Es wurde Ihnen eine Frage vorgelegt. Sie wurden gefragt, ob es wahr ist, daß Sie 14 Jahre lang in die deutschen Lande hineingeschrien haben: »Erkenne deinen wahren Feind.« Ist das wahr?


STREICHER: Jawohl.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Und haben Sie damit nicht Religionshaß gepredigt?


STREICHER: Nein.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie sich ansehen...


STREICHER: Ich bitte, dazu eine Bemerkung machen zu dürfen zu dieser Antwort. Ich habe in meinem Wochenblatt »Der Stürmer« wiederholt erklärt, für mich sind die Juden keine Religionsgemeinschaft, sondern eine Rasse, ein Volk.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Und wenn Sie sie »Blutsauger«, »ein Volk von Blutsaugern und Erpressern« nennen, glauben Sie nicht, daß dies Haß predigen bedeutet?


STREICHER: Ich muß, bitte ich... Sagen Sie mir, ich habe Sie nicht verstanden.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie können sie jetzt Rasse oder Volk nennen, wie Sie wünschen. Aber am 1. April 1933 sagten Sie, daß sie »ein Volk von Blutsaugern und Erpressern« wären. Nennen Sie das nicht Haß predigen?


STREICHER: Das ist eine Feststellung, der Ausdruck einer Überzeugung, die beweisbar ist auf Grund geschichtlicher Tatsachen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Verstehen Sie mich doch. Ich habe Sie nicht gefragt, ob es eine Tatsache ist oder nicht. [378] Ich habe Sie gefragt, ob Sie das Haß predigen nennen. Ihre Antwort ist ja oder nein.


STREICHER: Nein, das ist keine Haßpredigt, das ist eine Feststellung.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie zwei Seiten weiter eine Stelle in diesem letzten Dokument M-33 ansehen? Sehen Sie den vierten Abschnitt des Auszuges von unten? Es ist Seite 17 im Dokumentenbuch.

»Solange ich an der Spitze des Kampfes stehe, wird dieser Kampf so grundehrlich geführt, daß der ewige Jude keine Freude daran haben wird.«


STREICHER: Das habe ich geschrieben, das war richtig.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Und Sie waren dann einer von denen, die an der Spitze dieses Kampfes standen und dort verblieben, nicht wahr?


STREICHER: Ob ich an der Spitze stand? Da bin ich viel zu bescheiden. Aber ich nehme für mich in Anspruch, daß ich klar und deutlich mich über meine Überzeugung, über mein Wissen ausgesprochen habe.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Warum sagten Sie denn, daß, solange Sie an der Spitze stehen, der Jude keine Freude daran haben werde?


STREICHER: Weil ich mich als einen Mann betrachtete, den das Schicksal so geführt hat, daß er in der Lage ist, über die Judenfrage richtig aufzuklären.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: »Aufklärung«, ist das ein anderes Wort für Verfolgung? Meinen Sie mit »Aufklärung« Verfolgung?


STREICHER: Ich habe das nicht verstanden.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Meinen Sie mit »Aufklärung« das Wort »Verfolgung«? Sollte der Jude deshalb keine Freude an Ihrer »Aufklärung« haben?


STREICHER: Ich bitte, mir noch einmal diese Frage zu wiederholen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich kann es Ihnen zeigen und wir werden die Frage so laut, wie Sie es nur wünschen, wiederholen. Meinen Sie mit »Aufklärung« das Wort »Verfolgung«? Können Sie mich verstehen?


STREICHER: Aufklärung, Erzeugung verstehe ich. Unter Aufklärung verstehe ich, einem anderen Menschen etwas sagen, was er noch nicht weiß.


[379] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wir kommen so nicht weiter. Sie wissen doch, daß die Juden gleich nach dem Boykott, den Sie ja im Jahre 1933 angeführt haben, im Laufe der nachfolgenden Jahre ihr Wahlrecht verloren. Sie durften kein öffentliches Amt mehr bekleiden, wurden aus ihren Berufen entfernt. Im Jahre 1938 wurden Demonstrationen gegen sie veranstaltet, sie wurden mit einer Geldstrafe von 1 Milliarde Reichsmark belegt, wurden gezwungen, einen gelben Stern zu tragen. Sie hatten ihre eigenen Bänke, auf denen sie sitzen mußten und Häuser und Geschäfte wurden ihnen weggenommen. Nennen Sie das Aufklärung?


STREICHER: Das hat mit dem, was ich geschrieben habe, nichts zu tun. Ich habe ja die Befehle nicht erteilt. Ich habe ja die Gesetze nicht gemacht. Ich bin ja nicht gefragt worden, als Gesetze vorbereitet wurden. Ich habe mit diesen Gesetzen und Befehlen nichts zu tun.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Aber Sie haben Beifall geklatscht, als diese Gesetze und Befehle erlassen wurden; Sie haben weiterhin die Juden beschimpft und haben den Erlaß weiterer Gesetze gefordert. Ist das nicht eine Tatsache?


STREICHER: Ich bitte, mir vorzuhalten, zu welchem Gesetz ich Beifall geklatscht habe.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun, Sie haben doch dem Gerichtshof gestern gesagt, daß Sie Ihrer Meinung nach für die Nürnberger Gesetze verantwortlich waren, für die Sie jahrelang eintraten, ehe sie in Kraft traten. Ist das nicht eine Tatsache?


STREICHER: Die Nürnberger Gesetze? Die habe ich nicht gemacht. Ich bin zuvor nicht gefragt worden, und ich habe sie ja auch nicht unterschrieben. Aber ich erkläre hier, diese Gesetze sind das was das jüdische Volk für sich als Gesetz besitzt. Das ist die größte bedeutungsvollste Gesetzgebung, die je ein moderner Staat zu seinen Schutz gemacht hatte.


VORSITZENDER: Ich glaube, es ist jetzt Zeit, zu unterbrechen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 12, S. 345-381.
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