Vormittagssitzung.

[214] VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich heute nachmittag um 4.00 Uhr vertagen.

Bitte, Herr Dr. Marx.


DR. MARX: Herr Präsident! Mit Erlaubnis des Hohen Gerichts fahre ich nunmehr in dem Plädoyer des Angeklagten Streicher fort. Ich bin gestern bei dem Punkte stehengeblieben, wo die einzelnen Anklagepunkte gegen Streicher zusammengefaßt waren, und zwar habe ich mir auszuführen erlaubt, daß diese Anklagepunkte sich in drei verschiedene Absätze gliedern lassen: Einmal Unterstützung der Machtergreifung und Festigung der Macht der Partei nach deren Eintritt in die Regierung, dann ferner Vorbereitung von Angriffskriegen durch Propagierung der Judenverfolgung, und schließlich geistige und seelische Vorbereitung und Erziehung des deutschen Volkes, der deutschen Jugend und der aktiven Vernichter des Judentums zum Haß gegen das Judentum.

Was den Anklagepunkt I anbelangt, so stellt der Angeklagte nicht in Abrede, daß er die spätere Machtergreifung der Partei von deren frühesten Anfängen an mit all seinen Kräften unterstützt und gefördert hat. Diese Unterstützung erstreckte sich darauf, daß er eine von ihm selbst in Franken aufgezogene Bewegung der in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg denkbar kleinen und lediglich auf Südbayern beschränkten Partei Hitlers zur Verfügung stellte, und daß er weiter nach Hitlers Entlassung aus der Festung Landsberg sofort wieder zu diesem stieß und in der Folgezeit dessen Ideen und Ziele auf das entschiedenste vertrat.

Bis zum Jahre 1933 erschöpfte sich die Tätigkeit des Angeklagten in Propaganda für die Partei und deren Ziele, namentlich auf dem Gebiete der Judenfrage.

In diesem Verhalten des Angeklagten kann aber für sich allein ein Verbrechen nicht gesehen werden. Die Teilnahme an einer Partei innerhalb eines Staates, der eine solche Oppositionspartei gestattet, kann nur dann als verbrecherisch angesehen werden, wenn einmal die Ziele einer solchen Partei objektiv verbrecherisch sind und wenn subjektiv ein Angehöriger einer solchen Bewegung diese verbrecherischen Ziele kennt, billigt und damit auch unterstützt.

Die Grundlage der gesamten Anklagen gegen alle Angeklagten liegt ja nun auch darin, daß der Partei von deren Anfang an [214] verbrecherische Ziele vorgeworfen werden. Nach der Behauptung der Anklagevertre tung sollen die Angehörigen dieser Partei bereits vom ersten Anfang an den Plan gehabt haben, die Welt zu unterjochen, fremde Rassen zu vernichten und die Herrenrasse der Deutschen über die ganze Welt zu setzen. Sie werden beschuldigt, daß sie von Anfang an diese Ziele und Pläne durch Angriffskriege, durch Mord und Gewalt hätten durchsetzen wollen.

Wenn also dem Angeklagten Streicher bereits seine Teilnahme an der Partei und deren Unterstützung als Verbrechen zugerechnet werden soll, so muß erwiesen werden, daß diese Partei derartige Pläne hatte und daß der Angeklagte diese kannte und wollte.

Meine Herren Vorredner haben bereits hinreichend dargelegt, daß eine derartige Verschwörung mit derartigen Zielen nicht bestanden hat. Ich kann mir deshalb hierzu weitere Ausführungen sparen und auf das Bezug nehmen, was von den übrigen Herren Verteidigern bereits vorgetragen worden ist. Ich habe mich lediglich mit dem Punkt zu beschäftigen, daß der Angeklagte Streicher jedenfalls an einer derartigen Verschwörung, wenn sie vom Hohen Gericht als erwiesen angesehen werden sollte, nicht beteiligt gewesen ist.

Das offizielle Parteiprogramm strebte die Erlangung der Macht auf legalem Wege an. Die darin propagierten Ziele können nicht als verbrecherisch angesehen werden. Bestanden also solche Ziele tatsächlich, so konnten sie, wie dies im Charakter einer Verschwörung überhaupt liegt, nur im engen Kreis bekannt sein.

Das Parteiprogramm wurde nicht geheimgehalten, sondern in einer öffentlichen Versammlung in München verkündet, so daß nicht nur die gesamte Öffentlichkeit in Deutschland, sondern auch die Weltöffentlichkeit über die Ziele der Partei unterrichtet sein konnte.

Es fehlt demnach das Moment der geheimen Verabredung zu einem gemeinsamen Ziel, wie es das charakteristische Merkmal einer Verschwörung zu sein pflegt.

Die Beweisaufnahme hat auch nichts dafür ergeben, daß schon damals irgendeine geheime Planung eines Revanche- oder eines Angriffskrieges, verbunden mit der vorgängigen oder gleichzeitigen Vernichtung des Judentums vorhanden gewesen sei. Sollte gleichwohl eine Verschwörung bestanden haben, so hätte sich diese lediglich auf den engen Kreis beschränken können, der sich ausschließlich um die Person Hitlers konzentrierte. Zu diesem Kreis gehörte der Angeklagte Streicher jedoch nicht. Keines der von ihm innegehabten Ämter ergibt dafür den geringsten Anhaltspunkt. Als alter Parteigenosse war er lediglich einer unter vielen Tausenden. Als ehrenamtlicher Gauleiter, als ehrenamtlicher SA-Obergruppenführer ebenfalls nur ein Gleicher unter Gleichen. In seinen Ämtern also kann eine Bindung und Verflechtung mit dem innersten [215] Parteikreis nicht gefunden werden. Ebensowenig aber sind seit Ende 1938 persönliche Beziehungen zu den führenden Männern der Bewegung, sei es nun zu Hitler selbst, sei es zu dem Angeklagten Göring, sei es zu Goebbels, Himmler oder Bormann zu erkennen.

Die Anklage hat in dieser Richtung weder Beweis angeboten, noch hat das Verfahren einen Beweis in dieser Richtung erbracht. Nichts von alldem, was in dem monatelangen Verfahren vorgebracht wurde, kann auch nur als Schatten eines Beweises dafür gewertet werden, daß der Angeklagte Streicher so eng mit der höchsten Parteiinstanz verbunden gewesen wäre, daß er deren letzte Ziele hätte kennen können oder gar hätte kennen müssen.

Auch in der Judenfrage waren die Endziele der Partei, deren Auswirkungen sich in den Konzentrationslagern gezeigt haben, vor der Machtergreifung und noch lange Jahre nach ihr nicht so formuliert und fixiert, wie sie sich schließlich gezeigt haben. Das Parteiprogramm selbst sah vor, das Judentum unter Fremdenrecht zu stellen; die im Dritten Reich erlassenen Gesetze ergingen dann auch in dieser Richtung. Erst später hat sich das Programm – das darf hier gesagt werden –, wie auch in vielen anderen Punkten so auch hier, verschärft und sich unter dem Einfluß des Krieges schließlich überschlagen. Gegenüber dem Angeklagten Streicher ist aber ein Nachweis, daß er Ziele anderer Art als solche des offiziellen Parteiprogramms nicht gekannt hat, nicht erbracht.

Demnach ist nicht erwiesen, daß der Angeklagte die Machtergreifung der Partei in Kenntnis bestehender verbrecherischer Ziele unterstützt hatte, und nur hieraus könnte ihm ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden.

Daß der Angeklagte weiter als Gauleiter bemüht war, nach der Machtergreifung die Macht der Partei zu mehren und zu erhalten, wird von ihm ebenfalls nicht bestritten. Aber auch hierin kann ein strafwürdiges Verhalten nur gesehen werden, wenn der Angeklagte in diesem Zeitpunkt verwerfliche Ziele der Partei kannte.

Hierbei ist rein tatsächlich zu sagen, daß der Angeklagte Streicher im Gegensatz zu nahezu sämtlichen übrigen Angeklagten nicht bis in die letzte Zeit, ja nicht einmal bis zum Kriege, in seiner Stellung verblieb. Amtlich wurde er seiner Stellung als Gauleiter im Jahre 1940 enthoben, aber bereits seit mehr als einem Jahr vorher war er tatsächlich und praktisch einflußlos und kaltgestellt. Solange er aber noch in dem an sich bescheidenen Rahmen, der ihm als Gauleiter zu Gebote stand, wirken konnte, waren irgendwelche verbrecherische Pläne der NSDAP nicht er kennbar. Jedenfalls nicht für einen, der wie der Angeklagte Streicher außerhalb des engsten Kreises Adolf Hitlers stand.

Der gegen den Angeklagten Streicher erhobene Anklagepunkt II, nämlich die Judenverfolgung als Vorbereitung zum [216] Angriffskrieg, kann hier mit einbezogen werden. Bis zum Jahre 1937 war das Bestehen einer Planung für einen Angriffskrieg keinesfalls erkennbar. Jedenfalls hat Hitler, wenn er sich mit einer dahingehenden Absicht getragen haben sollte, dies nach außenhin nicht erkennen lassen. Wenn aber überhaupt, so wurden von ihm zu jener Zeit nur die leitenden Männer in Politik und Wehrmacht ins Vertrauen gezogen, die zu dem engsten Kreis um ihn gehörten. Zu diesen zählte der Angeklagte Streicher aber keinesfalls. Bezeichnend ist dabei insbesondere, daß Streicher bei Ausbruch des Krieges nicht einmal zum Wehrkreiskommissar seines Gaues bestellt wurde. Die einzelnen Besprechungen, aus denen die Anklage den Beweis für die Planung der später eingetretenen Kriege herleitet, sahen jedenfalls den Angeklagten Streicher nicht als Teilnehmer. Sein Name erscheint nirgends, weder in einer schriftlich niedergelegten Verfügung noch in einem Protokoll. Ein Beweis, daß Streicher von einer derartigen angeblich bestehenden Kriegsplanung etwas wußte, ist daher ebenfalls nicht erbracht worden. Damit aber entfällt der Vorwurf, daß er Haß gegen die Juden gepredigt habe, um durch deren Ausschaltung die für eine spätere Zeit geplante Kriegführung zu erleichtern.

Hierzu ist ergänzend zu bemerken:

Ein Hauptprogrammpunkt der NSDAP war der Ruf: »Los von Versailles«. Diesen Programmpunkt hat sich der Angeklagte zu eigen gemacht. Damit ist aber nicht gesagt, daß er sich die Aufhebung dieses Vertrags in Form eines Krieges vorstellte.

Auch die früheren deutschen demokratischen Regierungen haben bei den Verhandlungen mit ihren früheren Gegnern aus dem Weltkrieg stets darauf hingewiesen, daß der Versailler Vertrag keine geeignete Grundlage für eine dauernde Befriedung der Welt und hauptsächlich für eine wirtschaftliche Befriedung darstelle. Nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten übrigen Welt standen die wirtschaftlich klardenkenden Kreise dem Vertrag von Versailles ablehnend gegenüber. Hierbei darf besonders auf das Beispiel der Vereinigten Staaten von Nordamerika hingewiesen werden.

Über die Tatsache, daß der Versailler Vertrag abänderungsbedürftig sei, waren sich nahezu sämtliche politischen deutschen Parteien, ohne Unterschied ihrer sonstigen Zielsetzung, einig. Daß diese Abänderung nur auf vertraglicher Basis möglich war, darüber bestand gleichfalls kein Streit. Jede andere Lösungs möglichkeit auch nur zu erwägen, wäre mangels jeglicher militärischer Macht des Deutschen Reiches als Utopie erschienen. Auch die NSDAP strebte, jedenfalls soweit dies äußerlich erkennbar war, die Lösung der Probleme auf diesem Wege an. Die Unterstützung einer derartigen Zielsetzung aber kann nicht als ein Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen angesehen und deshalb dem Angeklagten [217] auch nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dafür aber, daß er an kriegerische Verwicklungen gedacht und diese gewollt habe, ist keinerlei Beweis erbracht.

Ich komme nun zur Haltung des Angeklagten in der Judenfrage. Hier wird ihm vorgeworfen, daß er jahrzehntelang zur Verfolgung und schließlich Vernichtung des Judentums aufgereizt und aufgehetzt habe und daß er für die schließliche Ausrottung des europäischen Judentums die Verantwortung trage.

Es ist klar, daß dieser Vorwurf den entscheidenden Punkt der Anklage gegen Julius Streicher und vielleicht den entscheidenden Vorwurf der Gesamtanklage überhaupt darstellt; denn in diesem Zusammenhang muß auch die Stellung des deutschen Volkes zu dieser Frage geprüft und entschieden werden.

Die Anklagebehörde steht auf dem Standpunkt, daß an einer Verantwortlichkeit des Angeklagten ebensowenig zu zweifeln sei wie an der schuldhaften Verstrickung des deutschen Volkes.

Als Beweismittel hat sie hierzu vorgebracht:

  • a) die Reden Streichers vor und nach der Machtergreifung, namentlich eine Rede im April 1925, in der er von der Vernichtung der Juden spricht. Hierin soll nach der Auffassung des Herrn Anklagevertreters der überhaupt erste Beweis für die von der Partei geplante endgültige Lösung der Judenfrage, nämlich die Ausrottung des gesamten Judentums, zu erblicken sein.

  • b) Aktiver Einsatz der Persönlichkeit und der Autorität des Angeklagten, namentlich beim Boykott-Tag am 1. April 1933.

  • c) Zahlreiche Artikel aus der Wochenschrift »Der Stürmer«, darunter besonders solche, die sich mit der Frage des Ritualmordes und mit Zitaten aus dem Talmud befassen. Er habe damit bewußt und gewollt das Judentum als eine verbrecherische und minderwertige Rasse dargestellt und Haß und Vernichtungswillen gegen dieses Volk erzeugt und erzeugen wollen.

Die Einlassung des Angeklagten zu diesen Punkten ist folgende:

Er gibt an, daß er lediglich als privater Schriftsteller gearbeitet habe. Sein Ziel sei gewesen, das deutsche Volk über die Judenfrage, so wie er sie sah, aufzuklären. Seine Schilderung des Judentums habe nur bezweckt, dieses als andersartig und fremdrassisch darzustellen und klarzustellen, daß es nach dem deutschen Empfinden fremden Gesetzen lebe. Hetze oder Aufreizung seines Zuhörer- oder Leserkreises habe ihm ferngelegen. Im übrigen aber habe er stets nur den Gedanken propagiert, daß das Judentum eben wegen seiner Fremdartigkeit aus dem deutschen Volks- und Wirtschaftsleben herausgenommen und aus der engen Verbindung mit dem deutschen Volkskörper entfernt werden solle.

[218] Er habe weiter stets eine internationale Lösung der Judenfrage im Auge gehabt, von einer deutschen oder auch nur europäischen Teillösung habe er nichts gehalten und eine solche abgelehnt. In dieser Linie sei es auch gelegen, daß er in einem Leitartikel des »Stürmer« aus dem Jahre 1941 die französische Insel Madagaskar als Siedlungsgebiet für die Juden in Aussicht genommen wissen wollte.

Demzufolge habe er die Endlösung der Judenfrage nicht in der physischen Vernichtung des Judentums, sondern in dessen Aussiedlung gesehen.

Es kann nicht Ziel der Verteidigung sein, sich mit der schriftstellerischen und rednerischen Tätigkeit des Angeklagten, namentlich mit seinem »Stürmer« und mit seiner Einlassung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen näher auseinanderzusetzen. Seine Weltanschauung und Gesinnung soll ebensowenig erklärt, entschuldigt oder verteidigt werden wie seine Schreib-und Redeweise. Hier zu prüfen und zu entscheiden obliegt allein dem Gericht.

Nur so viel kann gesagt werden, daß zwischen den tatsächlichen Handlungen des Angeklagten und den häufig von ihm gebrauchten Ausdrücken ein nicht zu überbrückender Gegensatz klafft. Es kann behauptet werden, daß der Angeklagte jedenfalls dann, wenn er mit der Leitung eines judenfeindlichen Unternehmens beauftragt war, es zu keinerlei Gewaltmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung kommen ließ, wie es eigentlich zwangsläufig zu erwarten gewesen wäre, wenn die von der Anklage erhobenen Vorwürfe zutreffend wären.

Ich sehe meine Aufgabe als Verteidiger darin, zu untersuchen und darzulegen, ob der Angeklagte Streicher mit seinen Reden, seinen Handlungen und mit seinen Veröffentlichungen den von der Anklage behaupteten Erfolg nicht nur angestrebt, sondern tatsächlich erreicht hat.

Im folgenden ist daher zu prüfen, ob Streicher in der Tat das deutsche Volk in einem Grade zum Antisemitismus erzog, der es der Führung des deutschen Volkes erst möglich machte, Verbrechen, wie die tatsächlich begangenen, zu begehen. Weiter ist zu untersuchen, ob der Angeklagte die deutsche Jugend in einem derartigen Umfange mit Haß gegen das Judentum erfüllt hat, wie es ihm vorgeworfen wird.

Schließlich ist zu prüfen, ob Streicher tatsächlich der Mann gewesen ist, der die ausführenden Organe der Judenverfolgung zu ihren Taten seelisch und moralisch vorbereitet hat.

Eingangs dieser Darlegung erscheint es wichtig, darauf hinzuweisen, daß ein erheblicher Teil der »Stürmer«-Artikel, aus denen die Anklage die Aufforderung zur Ausrottung und Vernichtung der Juden herleiten will, nicht von Streicher selbst verfaßt [219] sind, sondern aus der Feder von Mitarbeitern, insbesondere aus der des als äußerst radikal bekannten stellvertretenden Gauleiters Karl Holz, stammen.

Wenn auch der Angeklagte Streicher für diese Artikel formell die Verantwortung trägt und diese vor Gericht ausdrücklich übernommen hat, so erscheint dieser Gesichtspunkt für das Ausmaß seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit doch sehr erheblich.

Weiter darf in diesem Zusammenhang erwähnt werden, daß nach der unwiderlegten Behauptung des Angeklagten gerade die schärfstens formulierten Artikel als Erwiderung auf Artikel und Schriftwerke in der ausländischen Presse geschrieben worden sind, die ebenfalls aus der Kriegspsychose heraus besonders radikale Vernichtungsvorschläge gegen das deutsche Volk enthielten.

Der Angeklagte Streicher hat, das kann nicht bestritten und soll nicht verteidigt werden, im »Stürmer« fortlaufend Artikel geschrieben und auch öffentlich Reden gehalten, die stark judenfeindlich waren und die zum mindesten auf eine Ausschaltung des Judentums in Deutschland hinzielten.

In den ersten Jahren fand Streicher für seine judengegnerischen Tendenzen auch einen verhältnismäßig günstigen Nährboden vor. Der erste Weltkrieg hatte mit einer Niederlage Deutschlands geendet, weite Kreise aber wollten die Tatsache eines militärischen Sieges der damaligen Gegner Deutschlands nicht gelten lassen. Sie schrieben dessen Unterliegen ausschließlich der von innen heraus erfolgten Zersetzung des Wehr- und Widerstandswillens des deutschen Volkes zu und bezeichneten das Judentum als Hauptschuldigen an dieser inneren Aushöhlung. Geflissentlich wurde dabei übersehen, welche innen- und außenpolitischen Fehler vor und während des Krieges von der damaligen Regierung gemacht worden waren, ebenso auch die Fehler auf strategischem Gebiet.

Ein Sündenbock für den verlorenen Krieg wurde gesucht und diesen glaubte man, im Judentum gefunden zu haben. Neid, Mißgunst und auch Außerachtlassen eigener Unzulänglichkeit taten das übrige, um die Stimmung gegen die jüdische Bevölkerung ungünstig zu beeinflussen.

Dazu trat dann die Inflation und in den folgenden Jahren die Wirtschaftskrise mit ihrer ständig steigen den Not, die erfahrungsgemäß jedes Volk für Radikalismus jeder Art reif macht.

Auf diesem Boden und aus diesem Milieu heraus entstand der »Stürmer«. Er fand aus diesen Gründen anfänglich ein gewisses Interesse und einen nicht unbeträchtlichen Leserkreis. Einfluß im großen aber hatte er selbst in den letzten Jahren vor der Machtübernahme nicht. Seine Verbreitung ging über Nürnberg und dessen engere Umgebung kaum hinaus. Durch Angriffe auf Persönlichkeiten, die in Nürnberg und auch in anderen Orten lokal bekannt [220] waren, verstand er es, in diesen Orten jeweils ein gewisses Interesse zu erwecken und dadurch seinen Leserkreis zu erweitern. Gewisse Teile der Bevölkerung nahmen an der Verbreitung solcher Skandalgeschichten Interesse und legten sich aus diesem Grunde den »Stürmer« zu.

Eine verbrecherische Handlungsweise aber kann hierin – und das ist wohl auch die Auffassung der Anklage – nur erblickt werden, wenn diese Art literarischer und rednerischer Tätigkeit zu einem verbrecherischen Erfolg geführt hat. Wurde nun das deutsche Volk tatsächlich in dem von der Anklage behaupteten Sinne und Ausmaße durch den »Stürmer« und durch die Reden Streichers mit Judenhaß erfüllt?

Die Anklage hat die Beweisführung zu diesem Punkt sehr kurz gestaltet. Sie zieht Schlußfolgerungen, aber tatsächliche Beweise hat sie nicht erbracht. Sie behauptet zwar den Eintritt eines Erfolges, aber sie kann für ihre Annahme keine Beweistatsachen vorbringen.

Der Herr Anklagevertreter hat behauptet, daß ohne die jahrelange Hetze Streichers das deutsche Volk die Judenverfolgung nicht gebilligt und daß Himmler für die Durchführung der Judenvernichtungsmaßnahmen aus dem deutschen Volke keine Organe gefunden hätte.

Soll aber der Angeklagte Streicher hierfür rechtlich verantwortlich gemacht werden, so muß nicht nur die tatsächlich durchgeführte Aufreizung als solche und ein in dieser Richtung liegender Erfolg bewiesen werden, sondern – und das ist das Entscheidende – es muß der schlüssige Nachweis geführt werden, daß die ausgeführten Taten auf die verübte Aufreizung zurückzuführen sind. Nicht die Frage des eingetretenen Erfolges ist in erster Linie mit aller Sicherheit zu erweisen, sondern die Kausalität zwischen Aufreizung und Erfolg.

Wie ist nun der Einfluß des »Stürmer« auf das deutsche Volk zu bewerten, und welches Bild entwickelt sich in der Behandlung der Judenfrage im Laufe der Jahre von 1920 bis 1944?

Hier lassen sich unschwer drei Stufen der Entwicklung erkennen.

Der erste Zeitraum umfaßt die Zeitspanne im Wirken des Angeklagten von 1923 bis 1933, der zweite die von 1933 bis zum 1. September 1939 beziehungsweise Februar 1940, der dritte die Zeit von 1940 bis zum Zusammenbruch.

Was den ersten Zeitraum anbelangt, so würde es eine erhebliche Verkennung der in Deutschland schon seit längerer Zeit bestehenden Strömungen und damit eine völlig grundlose Überschätzung der Einwirkung Streichers bedeuten, wenn der Hinweis darauf unterbliebe, daß es schon lange vor Streicher in Deutschland einen gewissen Antisemitismus gegeben hat. So hat ein Theodor Fritsch [221] in seiner Zeitschrift »Der Hammer« längst vor Streicher die jüdische Frage angeschnitten und insbesondere auf die angeblich aus dem Osten drohende Überflutung und Überfremdung durch die Einwanderung jüdischer Elemente hingewiesen.

Gleich nach Ende des ersten Weltkrieges trat der sogenannte »Deutsch-Völkische Schutz- und Trutzbund« auf den Plan, der im Gegensatz zum »Stürmer« und der von Streicher ins Leben gerufenen Bewegung über ganz Deutschland verbreitet war und sich die Zurückdrängung des jüdischen Einflusses zum Ziel gesetzt hatte. Im Süden wie im Norden bestanden längst vor Streicher antisemitische Gruppen.

Diesen weitverbreiteten Bestrebungen gegenüber konnte der »Stürmer«, lediglich regional gebundene Bedeutung haben. Schon aus diesem Grunde ist es erklärlich, daß sein Einfluß niemals und nirgends entscheidend ins Gewicht fiel.

Maßgebend bleibt aber, daß sich das deutsche Volk in seiner Gesamtheit weder im geschäftlichen Verkehr noch in seiner Einstellung zum Judentum durch all diese Gruppen beeinflussen ließ und daß sich auch in den letzten Jahren vor der Machtergreifung durch die NSDAP nirgends Gewaltaktionen aus dem Volke heraus gegen das Judentum ereigneten.

Wenn gleichwohl gegen das Ende des zweiten Jahrzehntes nach dem ersten Weltkrieg ein starkes Anschwellen der NSDAP erkennbar wurde, so waren dafür nicht antisemitische Gründe verantwortlich, sondern nur der Umstand, daß der bestehende Parteienwirrwarr nicht in der Lage war, einen Ausweg aus der immer stärker werdenden wirtschaftlichen Not zu zeigen. Der Ruf nach dem starken Mann wurde immer dringender. Die Überzeugung, daß nur eine von wechselnden Mehrheiten unabhängige Persönlichkeit die Lage meistern könnte, wurde in weiten Volkskreisen immer zwingender.

Die NSDAP verstand es, diese allgemeine Stimmung für sich auszunützen und durch die Häufung von Versprechungen in jeder Richtung das in Verzweiflung versinkende Volk für sich zu gewinnen. Niemals aber dachte die Masse, die damals die NSDAP wählte, daran, daß sich aus deren Programm eine derartige Entwicklung anbahnen würde, wie wir sie erlebt haben.

Mit der Machtübernahme durch die NSDAP im Jahre 1933 wurde die zweite Epoche eingeleitet. Die Macht im Staate befand sich ausschließlich in den Händen der Partei, und niemand hätte Gewaltanwendung gegen die jüdische Bevölkerung verhindern können.

Jetzt wäre also der Zeitpunkt gewesen, in der sich die von der Anklage behauptete Hetze des Angeklagten Streicher hätte auswirken müssen. Wären damals weite Kreise des Volkes, zum [222] mindesten aber die alten Angehörigen der Partei, tatsächlich zu so radikalen Gegnern erzogen gewesen, wie die Anklage es darstellt, so hätten sich zwangsläufig aus dieser angestauten Haßstimmung heraus Gewalttaten größeren Umfangs gegen die jüdische Bevölkerung ergeben müssen. Pogrome größten Ausmaßes wären die naturnotwendige Folge einer wirklich antisemitischen Einstellung des Volkes gewesen. Aber nichts von alledem geschah. Abgesehen von einigen kleineren Vorkommnissen, die ohne weiteres als örtlich und persönlich bedingt erscheinen, kam es nirgends zu Angriffen gegen Juden oder deren Eigentum.

Eine Haßstimmung gegen das jüdische Volk war, das ergibt sich hieraus mit aller Deutlichkeit, bis zum Jahre 1933 jedenfalls nirgends vorhanden, und damit entfällt der dem Angeklagten gemachte Vorwurf, er habe bereits in den ersten Jahren seines Kampfes erfolgreich das deutsche Volk zum Haß gegen den Juden erzogen.

Das Jahr der Machtergreifung durch die NSDAP stellte aber auch den »Stürmer« vor die entscheidende Probe. Wäre der »Stürmer« von den breiten Massen des deutschen Volkes als der für sie maßgebliche Vorkämpfer gegen das Judentum empfunden und demgemäß für diesen Kampf notwendig gehalten worden, so hätte eine außerordentlich starke Steigerung der Auflage eintreten müssen. Ein solches Interesse zeigte sich aber keineswegs. Im Gegenteil wurde häufig, selbst in Parteikreisen verlangt, daß der »Stürmer« sein Erscheinen einstellen solle oder zum mindesten, daß seine Bildgebung, seine Schreibweise und seine Tonart sich ändern sollte. Es zeigte sich immer mehr und mehr, daß das ohnehin geringe Interesse für Streichers Judenpolitik eine ständig sinkende Tendenz aufwies.

Es kam hinzu, daß mit dem Machtantritt der Partei der gesamte deutsche Presseapparat unter die Kontrolle der Partei geriet, welche dazu überging, die Presse gleichzuschalten, das heißt von einer Zentralstelle aus im Sinne der nationalsozialistischen Politik und Weltanschauung zu lenken. Dies geschah auf dem Wege über den Propagandaminister und Reichspressechef durch die parteiamtliche »Nationalsozialistische Korrespondenz«. Insbesondere der Propagandaminister Dr. Goebbels, der von verschiedenen Zeugen, wie von Göring, Schirach, Neurath und anderen, als der schärfste Vertreter der antisemitischen Richtung in der Regierung bezeichnet wurde, ließ es sich angelegen sein, jede Woche mehrere Male judengegnerisch ausgerichtete Leitartikel über die gesamte deutsche Presse zu geben, wovon mehr als 3000 Tageszeitungen und illustrierte Zeitungen erfaßt wurden. Nimmt man noch hinzu, daß Dr. Goebbels auch über den Rundfunk in judengegnerischem Sinne wirkte, so bedarf es keiner weiteren Ausführungen, daß hierdurch[223] zwangsläufig das Interesse an einem einseitig ausgerichteten Antisemitenblatt schwinden mußte, und dieser Umstand ist auch tatsächlich eingetreten. Besonders bezeichnend ist, daß in jener Zeit wiederholt erwogen wurde, den »Stürmer« überhaupt zu verbieten. Es ergibt sich dies insbesondere aus der Zeugenaussage Fritzsches vom 27. Juni 1946, der auch weiter bekundet hat, daß weder Streicher noch der »Stürmer« irgendwelchen Einfluß im Propagandaministerium hatte, daß er gewissermaßen als nicht vorhanden betrachtet wurde.

Auf der gleichen Linie mag es auch gelegen sein, daß der »Stürmer« nicht einmal zu einem Presseorgan der NSDAP erklärt wurde, er war nicht einmal berechtigt, das Hoheitszeichen zu führen, er war sonach, vom Standpunkt der Partei- und Staatsführung aus gesehen, im Gegensatz zu allen Blättern, die als irgendwie bedeutend angesehen wurden, die Privatzeitung eines einfachen Privatschriftstellers.

Der Verlag des »Stürmer«, der damals einem gewissen Härdel gehörte, war aber nicht geneigt, die Tatsache des Schwindens seines Leserkreises einfach hinzunehmen, denn nun war ihm ja der Umstand zu Hilfe gekommen, daß Streicher der oberste Politische Leiter in Franken war, und er hat es verstanden, diesen Umstand weidlich auszunützen. Schon zu jener Zeit wurde daher auf viele Kreise der Bevölkerung ein Druck dahin ausgeübt, ihre einwandfreie politische Haltung und Zuverlässigkeit durch ein Abonnement des »Stürmer« unter Beweis zu stellen. Auch der Zeuge Fritzsche hat auf diesen Umstand hingewiesen und dabei dargelegt, daß viele Deutsche sich nur aus dem Gesichtspunkt zu einem Bezug des »Stürmer« entschlossen, weil sie meinten, sich dadurch für den beabsichtigten Eintritt in die Partei den Weg zu ebnen.

Um nicht eine falsche Meinung über die Auflageziffern des »Stürmer« in den Jahren 1923 bis 1933 aufkommen zu lassen, seien im nachfolgenden die Entwicklungsstadien des »Stürmer« aufgeführt:

In den Jahren 1923 bis 1933 vermochte der »Stürmer« von einer Auflage von etwa 3000 bis auf etwa 10000 Exemplaren aufzusteigen, die sich kurz vor der Machtergreifung auf etwa 20000 erhöhte. Im Durchschnitt betrug aber die Auflage von 1923 bis 1931 nur etwa 6000 Stück.

Mit der Machtübernahme stieg sie bis Ende 1934 auf durchschnittlich 28000 Stück an. Erst im Jahre 1935 ging dann der Verlag des »Stürmer« in das Eigentum des Angeklagten Streicher über, der nach seinen Angaben diesen der Witwe des bisherigen Verlegers um – sage und schreibe – 40.000 Reichsmark, also einen nicht sehr beträchtlichen Betrag abkaufte.

[224] Von 1935 ab übernahm die Leitung des Verlages ein Fachmann, der es verstand, durch geschickte werbetechnische Tätigkeit die Auflageziffer zunächst auf über 200000 und dann in weiter steigendem Maße auch auf über das Doppelte zu erhöhen. Die bis Anfang 1935 verhältnismäßig niedrige Auflageziffer des »Stürmer« zeigt, daß trotz der Machtübernahme durch die Partei ein aus dem Volke kommendes Interesse an dem »Stürmer« nur in geringem Umfang vorhanden war. Das von Anfang 1935 an einsetzende außerordentlich starke Ansteigen der Auflageziffern ist auf die erwähnten geschickten Werbemethoden des neuen Verlagsleiters Fink zurückzuführen. Der Einsatz der Arbeitsfront, zu erklären aus dem Aufruf Dr. Leys in Nummer 36 des »Stürmer« vom Jahre 1935 – ich habe mir erlaubt, Herr Präsident, diese als Exhibit zu übergeben – und damit die Gewinnung von vielen Tausenden von Zwangsbeziehern, ist zurückzuführen auf Ausnutzung persönlicher Beziehungen des Verlagsleiters Fink zu Dr. Ley.

Ich verweise in diesem Zusammenhang weiter auf ein Zitat aus dem »Pariser Tageblatt« vom 29. März 1935, das sich in der »Stürmer«-Nummer vom Mai 1935 befindet. Auch hierin kommt zum Ausdruck, daß die Auflagesteigerung des »Stürmer« nicht auf das Begehren des deutschen Volkes nach solcher geistigen Nahrung zurückzuführen ist. Es ist weder anzunehmen noch irgendwie wahrscheinlich, daß diese auf solche Art den Mitgliedern der Arbeitsfront aufgezwungene Abnahmepflicht des »Stürmer« die Bezieher auch zu Lesern des »Stürmer« und Anhängern der von ihm vertretenen Gedankengänge gemacht haben sollte. Im Gegenteil ist bekannt, daß die jeweiligen »Stürmer«-Nummern in den Originalbündeln in Kellern und Dachböden abgelegt wurden und daß man sie erst hervorholte, als der Papiermangel immer fühlbarer wurde.

Wenn daher der Angeklagte Streicher in seiner Zeitung aus dem Jahre 1935 – Dokument Nummer GB-169 – schrieb, daß die fünfzehnjährige Aufklärungsarbeit des »Stürmer« dem Nationalsozialismus bereits ein Millionenheer von Wissenden zugeführt habe, so hat er sich damit einen Erfolg zugerechnet, für den keinerlei Grundlage vorhanden war.

Die Männer und Frauen, die nach 1933 in die Partei eintraten, hatten nicht zufolge der sogenannten Aufklärungsarbeit des »Stürmer« Anschluß an die Partei gesucht, sondern entweder weil sie den Versprechungen der Partei glaubten und sich von ihr einen Vorteil erhofften, oder weil sie sich durch die Zugehörigkeit zur Partei, wie der Zeuge Severing es ausdrückte, gegen politische Verfolgung immunisieren wollten.

Die Sympathien für die Partei und deren Führung nahmen bald im stärksten Umfange ab. So verlor auch der Angeklagte Streicher [225] mindestens vom Jahre 1937 ab selbst in seinem Gau Franken in immer steigendem Maße an Autorität und Einfluß. Die Gründe hierfür sind hinreichend bekannt.

Gegen Ende des Jahres 1938 sah er sich bereits fast jedes politischen Einflusses selbst in seinem Gau entkleidet. Der Streit zwischen ihm und Göring hatte mit dessen Sieg geendet. Hitler hatte auf Drängen des Angeklagten Göring hin Streicher völlig fallen gelassen, da der Oberbefehlshaber der Luftwaffe zu jener Zeit selbstverständlich wichtiger und weitaus einflußreicher war als der Gauleiter Streicher. Der Angeklagte mußte es sich sogar gefallen lassen, daß die im Gau Franken durchgeführten Arisierungen durch eine von Göring entsandte Sonderkommission auf ihre Korrektheit nachgeprüft wurden. Im Laufe des Jahres 1939 wurde Streicher völlig kaltgestellt. Er wurde sogar mit einem Redeverbot belegt. Bei Ausbruch des Krieges aber wurde er im Gegensatz zu sämtlichen anderen Gauleitern nicht einmal zum Wehrkreiskommissar seines Gaues ernannt.

In der letzten Phase in den Kriegsjahren hatte der Angeklagte Streicher überhaupt keinen politischen Einfluß mehr. Er war ab Februar 1940 seiner Stellung als Gauleiter enthoben und saß, abgeschnitten von jeglicher Verbindung, auf seinem Gut in Pleikershof. Selbst den Parteigenossen waren Besuche bei ihm verboten. Seit Ausgang des Jahres 1938 war er auch ohne jede Verbindung mit Hitler, der ihn seit dieser Zeit vollkommen links liegen ließ.

Wie stand es nun mit dem Einfluß, den der »Stürmer« während der Kriegszeit ausübte?

Es kann gesagt werden, daß der »Stürmer« während des Krieges überhaupt keine nennenswerte Beachtung mehr fand. Der Ernst der Zeit, die Sorge um die im Felde stehenden Angehörigen, die Kämpfe an der Front und schließlich die schweren Fliegerangriffe lenkten das deutsche Volk völlig von den im »Stürmer« behandelten Fragen ab. Das Volk hatte es satt, die ständigen Wiederholungen der gleichen Behauptungen entgegenzunehmen. Der beste Beweis, wie wenig der »Stürmer« als Lesestoff begehrt wurde, ist wohl darin zu finden, daß in Gaststätten und Cafés der »Stürmer« stets am Zeitungshalter zu sehen war, während andere Zeitungen und Zeitschriften ständig vergriffen waren.

Die Auflageziffern gingen auch in diesen Jahren ständig und unaufhaltsam zurück. Ein Einfluß des »Stürmer« nach der politischen Richtung war keinesfalls mehr gegeben.

In den eben erwähnten Zeitspannen wurde der »Stürmer« in weiten Kreisen der Bevölkerung von vornherein abgelehnt. Seine derbe Schreibweise, seine oft anstößig empfundene Bildgebung und seine Einseitigkeit erregten vielfach geradezu Mißfallen; von einer [226] Einwirkung auf das deutsche Volk oder sogar auf die Partei kann nicht die Rede sein.

Obwohl das deutsche Volk schon jahrelang mit Nazi-Propaganda geradezu überschüttet worden war oder vielleicht gerade deshalb, konnte eine Zeitung wie der »Stürmer« auf seine innere Haltung keinen Einfluß gewinnen.

Wäre das deutsche Volk, wie die Anklage behauptet, tatsächlich mit dem Geiste fanatischen Rassenhasses erfüllt gewesen, so wären bestimmt andere Einflüsse hierfür weitaus maßgebender gewesen als gerade der »Stürmer« und hätten wesentlich entscheidender zu einer feindlichen Einstellung gegen die Juden beigetragen.

Aber nichts von alledem ist festzustellen. Die Gesamteinstellung des deutschen Volkes war nicht judenfeindlich, jedenfalls nicht in einem solchen Sinn und Ausmaß, daß es die physische Vernichtung des Judentums gewollt oder gebilligt hätte. Auch die parteiamtliche Propaganda in der Judenfrage hatte auf die Masse des deutschen Volkes keinerlei Einfluß ausgeübt und sie nicht in der von der Staatsführung gewollten Richtung erzogen. Dies ergibt sich schon daraus, daß eine Reihe von gesetzlichen Vorschriften erlassen werden mußten, um die deutschen von den jüdischen Bevölkerungskreisen zu trennen. Das erste Beispiel hierfür sind die sogenannten Rassenschutzgesetze vom September 1935, die jegliche blutsmäßige Verbindung des deutschen Volkes mit jüdischen Bevölkerungsteilen sogar unter Todesstrafe stellten. Wäre das deutsche Volk antijüdisch eingestellt gewesen, so hätte es der Erlassung derartiger Gesetze überhaupt nicht bedurft, denn dann hätte sich das Volk ohnehin aus sich heraus vom Judentum abgesondert.

Auf der gleichen Linie liegen die im November 1938 erlassenen Gesetze zur Ausschließung der jüdischen Bevölkerung aus dem deutschen Wirtschaftsleben. In einem judengegnerischen Volke wäre zwangsläufig jeder Wirtschaftsverkehr mit den jüdischen Kreisen unterblieben und deren Geschäfte wären von selbst zum Erliegen gekommen. So aber bedurfte es staatlichen Eingreifens, um das Judentum aus der Wirtschaft auszuschalten.

Der gleiche Schluß ergibt sich aus der Reaktion des weitaus überwiegenden Teiles der deutschen Bevölkerung auf die in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 durchgeführten Demonstrationen gegen die Juden.

Es ist erwiesen, daß diese Gewalttätigkeiten nicht spontan aus dem deutschen Volk heraus entstanden sind, daß sie vielmehr auf Anweisung Dr. Goebbels in Berlin organisiert und unter Zuhilfenahme des Staats- und Parteiapparates zur Durchführung gelangt sind.

Der Erfolg und die Auswirkung dieser staatlich gelenkten Demonstrationen, die dem Ausland gegenüber in zynischer Weise [227] als Ausbruch der Empörung des deutschen Volkes über die Ermordung des Botschaftssekretärs vom Rath in Paris hingestellt wurden, war aber eine ganz andere, als es sich die Urheber dieser Demonstrationen vorgestellt hatten.

Diese auf die niedrigsten Instinkte abgestellten Gewalthandlungen und Übergriffe fanden einhellige Ablehnung, selbst in den Kreisen der Partei und ihrer Führerschaft selbst. Anstatt Feindschaft gegen die jüdische Bevölkerung hervorzurufen, erregten sie Mitgefühl und Anteilnahme an deren Schicksal. Kaum irgendeine andere Maßnahme der Partei wurde derart allgemein abgelehnt. Die Wirkung auf die Öffentlichkeit war so einschneidend, daß es der Angeklagte Streicher in seiner Eigenschaft als Gauleiter für notwendig hielt, in einer Ansprache in Nürnberg vor allzugroßem Mitgefühl mit den Juden zu warnen. Seiner Angabe nachtat er dies nicht aus dem Grunde, weil er diese Maßnahmen gebilligt hätte, sondern nur, um das schwer angeschlagene Prestige der Partei durch seinen Einfluß zu heben.

Vorher hatte er, wie aus der Aussage des hier vernommenen Zeugen Fritz Herrwerth hervorgeht, gegenüber dem SA-Obergruppenführer von Obernitz für sich persönlich eine Teilnahme an den geplanten Demonstrationen abgelehnt und diese als zwecklos und schädlich bezeichnet. Diesen Standpunkt hat er auch später öffentlich in einer Versammlung des Juristenbundes in Nürnberg zum Ausdruck gebracht. Er nahm es dabei in Kauf, sich zur offiziellen Staatspolitik in offenen Gegensatz zu setzen.

Alle diese Tatsachen zeigen, daß im Volke selbst trotz der von Staats wegen betriebenen Propaganda gegen das Judentum eine tatsächliche Feindschaft gegen die jüdische Bevölkerung nicht bestanden hat. Und damit ist auch bereits nachgewiesen, daß die Veröffentlichungen Streichers im »Stürmer« wie auch seine Reden ebensowenig eine aufreizende Wirkung auf das deutsche Volk in dem von der Anklage behaupteten Sinne gehabt haben.

Aus dem allgemeinen Verhalten des deutschen Volkes kann also der Nachweis für eine von dem Angeklagten Streicher mit Erfolg betriebene und zu einem verbrecherischen Erfolg führende Aufreizung zum Judenhaß nicht erbracht werden. Die Anklagebehörde hat aber ihren dahingehenden Vorwurf weiter durch die spezielle Behauptung unterbaut, daß nur ein von Männern wie dem Angeklagten zu absolutem Judenhaß erzogenes Volk derartige Maßnahmen, wie sie die Massenvernichtung der Juden darstellten, billigen konnte. Damit wird der Gesamtheit aller Deutschen der Vorwurf gemacht, daß sie von der Ausmordung des Judentums gewußt und diese gebilligt hätte. Ein Vorwurf also, dessen Schwere und dessen Auswirkungen auf die gesamte Zukunft des deutschen [228] Volkes überhaupt nicht abzuschätzen sind. Hat nun aber tatsächlich das deutsche Volk diese Maßnahmen gebilligt?

Gebilligt werden kann nur ein Vorgang, der bekannt ist. Sollte also diese Behauptung der Anklagebehörde als bewiesen angesehen werden, so müßte logischerweise als gleichfalls erwiesen angesehen werden können, daß das deutsche Volk von diesen Vorgängen tatsächlich Kenntnis hatte.

Die Beweisaufnahme hat in dieser Richtung aber ergeben, daß der von Hitler mit der Durchführung der Massenmorde beauftragte Reichsführer-SS Himmler und seine unmittelbaren Mitarbeiter diese ganzen Geschehnisse mit dem Schleier tiefsten Geheimnisses umgeben hatten. Durch Androhung schärfster Strafen für jeden Bruch des auferlegten absoluten Schweigeverbotes verstand er es, vor den Ereignissen im Osten in den Vernichtungslagern einen eisernen Vorhang niederzulassen, der diese Taten hermetisch von der Öffentlichkeit abschloß.

Selbst dem obersten Führerkorps der Partei und des Staates wurde durch Hitler und Himmler jeder Einblick und jede Kenntnisnahme unmöglich gemacht. Hitler scheute nicht davor zurück, selbst seine engsten Mitarbeiter, wie den hier als Zeugen vernommenen Reichsminister Dr. Lammers, mit unwahren Angaben zu bedienen und ihn glauben zu machen, daß der Abtransport des europäischen Judentums nach dem Osten dessen Ansiedlung im Ostraum, aber keinesfalls dessen Vernichtung bedeute. Soweit auch die Angaben der Angeklagten in manchen Punkten voneinander abweichen, in diesem Zusammenhang stimmen sie so völlig in sich selbst und mit den Angaben anderer Zeugen überein, daß an der Wahrheit ihrer Bekundungen schlechterdings nicht gezweifelt werden kann. Wenn es dem Angeklagten Dr. Frank nicht ein mal in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur von Polen möglich war, bis nach Auschwitz vorzudringen, weil selbst ihm ohne Spezialgenehmigung Hitlers der Eintritt versagt wurde, so spricht diese Tatsache für sich selbst.

Waren aber schon die führenden Persönlichkeiten des Dritten Reiches bis auf einen ganz engen Kreis nicht unterrichtet und hatten selbst sie zum mindesten nur sehr vage Kenntnisse, wie hätte dann die große Öffentlichkeit Kenntnis haben können? Die Möglichkeiten, unter diesen Umständen über die Vorgänge in den Lagern unterrichtet zu werden, waren denkbar gering.

Ausländische Nachrichten schieden für den Großteil des Volkes als Erkenntnisquelle aus. Das Abhören ausländischer Sender stand unter schärfsten Strafandrohungen und unterblieb deshalb. Soweit sie gleichwohl abgehört wurden, waren die von ausländischen Rundfunksendern verbreiteten Nachrichten, die Meldungen über die [229] Vorgänge im Osten brachten, obwohl und gerade weil sie den Tatsachen entsprachen, so kraß, so über jedes menschliche Begreifen hinaus entsetzlich, daß sie jedem normalen Menschen als Zweckpropaganda erscheinen mußten und auch tatsächlich erschienen sind.

Kenntnis der Vernichtungsmaßnahmen gegen das Judentum konnte also Deutschland im wesentlichen nur von Leuten erlangen, die entweder selbst in den Lagern tätig waren, mit diesen selbst oder mit Häftlingen in Berührung kamen und letztlich von ehemaligen KZ-Häftlingen selbst.

Daß Angehörige des Lagerpersonals, die mit den Vorgängen zu tun hatten, schwiegen, nicht nur weil sie unter schärfstem Schweigezwang standen, sondern auch in ihrem eigenen Interesse, braucht wohl nicht weiter ausgeführt zu werden. Es ist aber weiter bekannt, daß Himmler die Todesstrafe auf jede Mitteilung aus den Lagern und auf die Verbreitung von Nachrichten über die Lager gesetzt hatte und daß diese Strafe nicht nur dem unmittelbaren Täter, sondern auch seinen Familienangehörigen angedroht war. Schließlich ist bekannt, daß die eigentlichen Vernichtungslager selbst so hermetisch von jeder Berührung mit der Welt abgeschnitten waren, daß nichts über die sich in ihnen abspielenden Vorgänge an die Öffentlichkeit dringen konnte.

Die in den Lagern befindlichen Häftlinge, die mit Arbeitskollegen bei ihrem Arbeitseinsatz in Berührung kamen, schwiegen, weil sie schweigen mußten. Leute, die in die Lager kamen, standen gleichfalls unter dieser Strafandrohung, soweit sie überhaupt irgendwelche Einblicke gewinnen konnten, was bei den Vernichtungslagern nahezu unmöglich war.

Aus diesen Quellen also konnte eine Kenntnis des deutschen Volkes nicht fließen.

Das absolute Schweigegebot band aber in noch verstärktem Maße jeden KZ-Insassen, der zur Entlassung gekommen war. Aus den eigentlichen Mordlagern kam ohnehin kaum jemand mehr ins Leben zurück.

Wurde aber doch einmal ein Mann oder eine Frau entlassen, so schwebte über ihnen zusätzlich zu den übrigen Strafandrohungen die ihnen beim Bruch des Schweigegebotes angedrohte Wiedereinschaffung ins Lager. Und diese Wiedereinschaffung hätte grauenvollen Tod bedeutet.

Es war demnach nahezu unmöglich, von entlassenen KZ-Häftlingen Positives über die Vorgänge in den Lagern zu erfahren. Galt dies schon für die im Reich befindlichen normalen Konzentrationslager, so galt es im verstärkten Maße für die Vernichtungslager.

Jeder Anwalt, der gleich mir Leute vor ihrer Einschaffung ins Konzentrationslager verteidigt hatte, und der von ihnen nach ihrer Entlassung wieder aufgesucht wurde, wird bestätigen können, daß [230] es selbst in dieser Vertrauensstellung und unter dem Schutz der anwaltlichen Schweigepflicht nicht möglich war, ehemalige KZ-Häftlinge zum Reden zu veranlassen.

Wenn weiter selbst Männern, wie dem hier vernommenen Zeugen Severing, einem alten Sozialdemokraten, der das Vertrauen seiner Parteigenossen in hohem Maße genoß und der mit vielen ehemaligen KZ-Häftlingen aus diesem Grunde Fühlung hatte, die wahren Vorgänge bei der Judenvernichtung erst sehr spät und erst nach dem Kriege bekanntgeworden sind und auch dann nur in einem sehr beschränkten Umfange, so mußte dies erst recht für jeden normalen Deutschen gelten.

Aus diesen Tatsachen aber ergibt sich jedenfalls mit absoluter Gewißheit, daß die Staatsführung, daß Hitler und Himmler die Ausmordung des Judentums unter allen Umständen geheimgehalten wissen wollten, und hieraus fließt ein weiteres, meines Erachtens zwingendes Argument gegen die von der Anklage behauptete Judenfeindschaft des deutschen Volkes.

Wäre das deutsche Volk tatsächlich von einem derartigen Haß gegen das Judentum erfüllt gewesen, wie die Anklage behauptet, so hätte es derart scharfer Geheimhaltungsmethoden nicht bedurft, im Gegenteil.

Hätte Hitler die Überzeugung gehabt, daß das deutsche Volk im Judentum seinen Hauptfeind erblicke, daß es die Vernichtung des Judentums billige und wolle, so hätte er zwangsläufig die geplante und ebenso die durchgeführte Vernichtung eben dieses Feindes bekanntgeben müssen. Im Zeichen des von Hitler und Goebbels ständig propagierten totalen Krieges hätte es doch wohl kein besseres Mittel gegeben, die Siegeszuversicht und den Kampfwillen des Volkes zu stärken, als die Mitteilung, daß Deutschlands angeblicher Hauptfeind, eben das Judentum, bereits vernichtet sei. Ein so skrupelloser Propagandist wie Goebbels hätte sich ein derart schlagendes Argument bestimmt nicht entgehen lassen, wenn er die hierfür notwendige Voraussetzung, nämlich den absoluten Vernichtungswillen des deutschen Volkes gegen das Judentum, hätte zugrunde legen können.

So aber mußte selbst vor dem seit Jahren unter schärfstem Druck der Gestapo stehenden deutschen Volk die Endlösung der Judenfrage mit allen Mitteln verheimlicht werden. Selbst führenden Männern des Staates und der Partei durfte davon nichts mitgeteilt werden.

Hitler und Himmler waren sich offenbar selbst darüber klar, daß sogar im totalen Krieg und nach jahrzehntelanger Erziehung und Knebelung durch den Nationalsozialismus, das deutsche Volk und namentlich seine Wehrmacht in schärfster Weise auf die Bekanntgabe einer derartigen Judenpolitik reagiert hätte.

[231] Mit Rücksichtnahme auf das feindliche Ausland läßt sich die hier geübte Tarnpolitik nicht erklären. In den Jahren 1942 und 1943 stand bereits die ganze Welt im erbitterten Kampf gegen das Deutschland des Nationalsozialismus. Eine Verschärfung dieses Kampfes erschien kaum möglich, jedenfalls nicht durch die Bekanntgabe von Tatsachen, die dem Ausland bereits längst nicht mehr verborgen geblieben waren. Abgesehen davon konnte aber die Rücksichtnahme auf eine Stimmungsverschlechterung bei den gegnerischen Mächten Männer wie Hitler, Goebbels und Himmler nicht beeinflussen. Hätten sie sich von der Bekanntgabe der Ausmordung des Judentums beim deutschen Volke auch nur die geringste positive Wirkung versprochen, so hätten sie Veröffentlichungen in dieser Richtung bestimmt nicht unterlassen, im Gegenteil, sie hätten mit allen Mitteln angestrebt, die Siegeszuversicht des deutschen Volkes hierdurch zu stärken. Daß sie das unterlassen haben, ist der beste Beweis dafür, daß das deutsche Volk auch von ihnen nicht als radikal judenfeindlich angesehen worden ist und ist weiter der beste Beweis dafür, daß von einer derartigen Judenfeindschaft im deutschen Volk nicht die Rede sein kann.

Zusammenfassend ist daher zu sagen, daß die gesamten vorgetragenen Momente die Behauptung der Anklage, das deutsche Volk sei von dem Angeklagten Streicher zu einem Judenhaß erzogen worden, der es die Vernichtung des Judentums billigen ließ, widerlegen.

Selbst wenn der Angeklagte also ein derartiges Ziel mit seinen Veröffentlichungen verfolgt haben sollte, erreicht hat er diesen Erfolg nicht.

In diesem Zusammenhang ist auch die Rolle zu beleuchten, die die Anklagebehörde dem Angeklagten Streicher nach der Richtung beimißt, daß er die deutsche Jugend in judengegnerischem Geiste erzogen und das Gift des Judenhasses so tief in die Herzen der Jugend eingesenkt habe, daß sich diese verderbliche Wirkung noch lange über sein – Streichers – tatsächliches Leben hinaus geltend machen würde.

Der Kernpunkt der dem Angeklagten in dieser Richtung gemachten Vorwürfe wird darin zu erblicken sein, daß sich junge Menschen auf Grund der Erziehung Streichers zum Judenhaß zur Begehung von Verbrechen gegen die Juden hätten bereitfinden lassen, die sie sonst nicht begangen hätten, und daß von einer derart erzogenen Jugend auch für die Zukunft die Ausführung solcher Verbrechen zu erwarten sei.

Die Anklage stützt sich hier im wesentlichen auf die im Verlag des »Stürmer« erschienenen Jugendbücher und einige an die Jugend gerichteten Veröffentlichungen in dieser Zeitschrift.

[232] Es liegt mir ferne, diese Erzeugnisse zu beschönigen oder zu verteidigen. Ihre Würdigung kann und muß ich dem Gericht überlassen. Hier wird nach der Grundlinie der Verteidiger nur zu erörtern sein, ob der Angeklagte auf diesem oder einem anderen Wege die Erziehung der Jugend zu verbrecherischem Judenhaß beeinflußt hat oder nicht.

Was die erwähnten Bücher anbelangt, ist zu sagen, daß sie in der deutschen Jugend im wesentlichen Umfang überhaupt nicht bekannt waren, geschweige denn, daß sie gelesen worden wären. Für die gegenteilige Annahme der Anklagebehörde ist keinerlei Beweis erbracht worden.

Der gesunde Sinn der deutschen Jugend lehnte derartige Machwerke ab. Die deutschen Jungens und Mädels bevorzugten anderen Lesestoff. Hierbei darf betont werden, daß weder Inhalt noch Bildausstattung dieser Bücher auf junge Menschen irgendwie anziehend wirken konnten. Sie mußten vielmehr zwangsläufig Ablehnung finden.

Von besonderer Wichtigkeit ist zu diesem Punkte, daß der für die Erziehung der gesamten deutschen Jugend verantwortliche Mann, der Angeklagte Baldur von Schirach, als Zeuge unter Eid erklärt hat, daß die erwähnten Jugendbücher des Verlages weder von der HJ-Führung propagiert worden sind, noch daß sie von sich aus einen Leserkreis in der HJ gefunden hätten.

Die gleichen Angaben machte dieser Zeuge über den »Stürmer« selbst. Dazu hat einer seiner engsten Mitarbeiter, der Zeuge Lauterbacher, bekundet, daß der »Stürmer« durch den Angeklagten von Schirach für den Bereich der HJ überhaupt verboten worden sei.

Es ist klar, daß schon allein die Schreibweise des »Stürmer« und seine Bildausstattung nicht geeignet war, auf einen jungen Menschen anziehend zu wirken oder ihm eine ethische Stütze zu bieten. Die Maßnahme der Reichsjugendführung ist daher ohne weiteres begreiflich.

Wenn aus einigen der von der Anklage vorgelegten »Stürmer«-Artikeln hervorzugehen scheint, daß der »Stürmer« in Jugendkreisen gelesen wurde und dort eine gewisse Wirkung ausübte, so ist hierzu zu sagen, daß es sich um typisch bestellte, und zwar zu Propagandazwecken bestellte Arbeiten gehandelt hat. Für die Behauptung der Anklage, daß die deutsche Jugend einen verbrecherischen Judenhaß in sich getragen habe, ist keinerlei Beweis erbracht. Demnach kann weder das deutsche Volk noch seine Jugend als verbrecherisch...

VORSITZENDER: Dr. Marx! Vielleicht wäre jetzt ein passender Zeitpunkt, abzubrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


[233] DR. MARX: Man könnte nun versucht sein anzunehmen, daß der »Stürmer« auf die Gliederungen der Partei, die SA und SS einen besonders starken Einfluß ausgeübt habe; aber auch dies war nicht der Fall.

Die SA, die größte Massenorganisation der Partei, lehnte für sich den »Stürmer« ebenso ab, wie es die Massen des Volkes taten. Ihre Zeitschriften waren »Der SA-Führer« und »Die SA«. Aus ihnen entnahm die Masse der SA die Grundlagen für ihre Weltanschauung. Diese Zeitschriften enthalten aber auch nicht einen einzigen Artikel, der aus der Feder des Angeklagten Streicher stammt. Wäre dieser tatsächlich der Mann gewesen, als den ihn die Anklage sieht, der maßgebende und einflußreichste Propagandist des Antisemitismus, so wäre er zur Mitarbeit an diesen Zeitschriften zur Schulung der SA in der Judenfrage zwangsläufig herangezogen worden. Auf die Mitarbeit eines solchen Mannes hätte eine auf weltanschauliche Schulung ausgerichtete Zeitschrift keinesfalls verzichten können.

Der Umstand aber, daß Julius Streicher in diesen Blättern auch nicht einmal zu Wort kam, beweist auf das deutlichste, daß das von ihm durch die Anklagebehörde entworfene Bild den tatsächlichen Gegebenheiten in keiner Weise entspricht. Durch seine Zeitschrift konnte der Angeklagte Streicher auf die SA keinen Einfluß gewinnen; die Spalten der Zeitschriften »Der SA-Führer« und »Die SA« waren ihm verschlossen. Aber auch die Oberste SA-Führung lehnte es ab, seine Gedankengänge zu vertreten. In dieser Richtung hat der als Zeuge vernommene stellvertretende Stabschef der SA, SA-Obergruppenführer Jüttner, am 21. Mai 1946 vor der Kommission folgendes ausgesagt:

»Der frühere Stabschef der SA, Lutze, brachte auf einer Führerbesprechung zum Ausdruck, daß er Propaganda für den ›Stürmer‹ in der SA nicht wünsche. In einzelnen Gruppen sei der ›Stürmer‹ überhaupt verboten gewesen. Der Inhalt des ›Stürmer‹ habe die meisten SA-Männer angewidert und abgestoßen. Die Politik der SA in der Judenfrage sei auch keineswegs auf die Vernichtung der Juden abgestellt gewesen, der Kampf sei nur dahin gegangen, eine Einwanderung der Juden aus dem Osten in größerem Umfange zu verhindern.«

Die Ideologie des »Stürmer« wurde demnach vom einzelnen SA-Mann sowohl wie von der SA-Führung grundsätzlich abgelehnt; von einem Einfluß Streichers auf die SA kann daher keine Rede sein.

Ebensowenig wie der Angeklagte Streicher zur Mitarbeit an den Zeitschriften der SA herangezogen wurde, ebensowenig erschienen Artikel von ihm in anderen Zeitungen und Zeitschriften. Weder im »Völkischen Beobachter« noch in anderen führenden [234] Organen der deutschen Presse kam er je zu Wort, obwohl die Aufklärung in der Judenfrage nach dem Willen des Propagandaministeriums zu den vornehmlichsten Aufgaben der deutschen Presse gehören sollte.

Auch sonst wurde dem Angeklagten Streicher weder von der Staatsführung noch vom Propaganda ministerium Gelegenheit gegeben, seine Gedanken auf einen größeren Kreis wirken zu lassen. Der Angeklagte Fritzsche, der mitentscheidende Mann des Propagandaministeriums, hat als Zeuge erklärt, daß Streicher auf die Propaganda niemals einen Einfluß ausgeübt hat, daß man ihn vollkommen links liegen ließ. So wurde er insbesondere nicht mit der Abhaltung von Rundfunkvorträgen betraut, obwohl doch gerade ein Vortrag im Rundfunk eine ganz andere Massenwirkung hätte ausüben können als ein Artikel im »Stürmer«, der zwangsläufig nur auf einen begrenzten Kreis wirken konnte. Die Tatsache, daß selbst die offizielle Propaganda des Dritten Reiches den Angeklagten Streicher nicht zum Einsatz brachte, läßt erkennen, daß man sich von seiner Tätigkeit keinerlei Wirkung versprechen konnte, daß er tatsächlich keinerlei Einfluß ausgeübt hat. Die offizielle deutsche Staatsführung hatte Streicher als das erkannt, was er war: der unbedeutende Herausgeber einer herzlich unbedeutenden Wochenschrift.

Die Grundhaltung des deutschen Volkes, das muß hier noch einmal mit aller Deutlichkeit gesagt werden, war ebensowenig radikal-antisemitisch, wie die der deutschen Jugend und auch der Parteigliederungen. Eine erfolgreiche Aufhetzung und Aufreizung zum verbrecherischen Antisemitismus ist demnach nicht erwiesen.

Ich komme nun zu dem letzten und entscheidenden Punkt der Anklage, nämlich zu der Prüfung der Frage, wer die Hauptverantwortlichen für die Erteilung der Befehle zur Massenvernichtung des Judentums waren, wie es möglich war, daß sich Männer zu der Ausführung dieser Befehle bereitgefunden haben und ob ohne den Einfluß des Angeklagten Streicher weder solche Befehle erteilt, noch solche Befehle ausgeführt worden wären.

Der Hauptverantwortliche für die Endlösung der Judenfrage, die Austilgung des Judentums in Europa, ist ohne Zweifel Hitler selbst. Zwar haftet diesem größten aller Prozesse der Weltgeschichte der Mangel an, daß die Hauptschuldigen nicht auf der Anklagebank sitzen, weil sie entweder den Tod gefunden haben oder nicht auffindbar sind; die getroffenen Feststellungen haben aber doch zwingende Rückschlüsse auf die tatsächliche Verantwortlichkeit ergeben.

Es kann als eindeutig erwiesen angesehen werden, daß es sich bei Hitler um einen Mann von einmaliger, geradezu dämonischer Brutalität und Rücksichtslosigkeit gehandelt hat, wobei in den [235] letzten Jahren noch hinzukam, daß er jedes Maß und jede Selbstbeherrschung verloren hatte.

Daß rücksichtslose Brutalität der Grundzug seines Wesens war, zeigte sich erstmalig in seiner vollen Schärfe bei der Niederschlagung der sogenannten Röhm-Revolte im Juni 1934. Hier schreckte Hitler nicht davor zurück, seine ältesten Mitkämpfer ohne jedes Gerichtsverfahren erschießen zu lassen. Sein hemmungsloser Radikalismus zeigte sich weiter in der Führung des Krieges mit Polen. Nur weil er von den führenden Kreisen des polnischen Volkes eine ablehnende Haltung gegen Deutschland befürchtete, befahl er deren rücksichtslose Vernichtung. Noch schärfer waren seine Befehle bei Beginn des Rußlandfeldzuges. Schon damals ordnete er die Vernichtung des Judentums in Teilaktionen an.

Diese Beispiele zeigen einwandfrei, daß Rücksichtnahme auf irgendwelche Grundsätze der Menschlichkeit diesem Manne fremd waren. Weiter hat das Verfahren durch die Bekundungen aller Angeklagten zur Gewißheit erhärtet, daß Hitler bei grundsätzlichen Entscheidungen keinem anderen Einfluß zugänglich gewesen ist.

Die grundsätzliche Einstellung Hitlers zur Judenfrage ist bekannt. Er war bereits in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg in seiner Wiener Zeit zum Judengegner geworden. Es sind aber keine Anhaltspunkte vorhanden, daß Hitler von Anfang an eine derart radikale Lösung der Judenfrage im Auge hatte, wie sie schließlich in der Vernichtung des europäischen Judentums zur Auswirkung gekommen ist. Wenn die Staatsanwaltschaft behauptet, von dem Buch »Mein Kampf« führe ein direkter Weg zu den Brennöfen von Mauthausen und Auschwitz, so ist dies eben nur eine Annahme; eine Beweisgrundlage hierfür ist aber nicht gegeben. Vielmehr spricht das Beweisergebnis dafür, daß Hitler die Judenfrage in Deutschland ebenfalls im Wege der Auswanderung selbst gelöst wissen wollte.

Dieser Gedanke sowie die Stellung des jüdischen Bevölkerungsteiles unter Fremdenrecht war offiziell Staatspolitik des Dritten Reiches. Mit der Erlassung der Gesetze von 1935 betrachteten viele führende Antisemiten das Judenproblem als abgeschlossen. Auch der Angeklagte Streicher war dieser Auffassung.

Erst Ende 1938, anfangs 1939, ist eine schärfere Einstellung in der Judenfrage bei Hitler zu erkennen, insbesondere daß er für den Fall eines Krieges eine andere Lösung in Aussicht genommen hatte, weil er einen solchen als vom Judentum propagiert ansah. In der Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 sagte er die Vernichtung des Judentums voraus für den Fall, daß ein neuer Weltkrieg gegen Deutschland entfesselt würde. Die gleichen Gedankengänge brachte er in einer Rede zur zwanzigjährigen Wiederkehr des Parteigründungstages im Februar 1942 zum Ausdruck. Und schließlich [236] bestätigte auch sein Testament seine ausschließliche Verantwortung für die Hinmordung des europäischen Judentums in seiner Gesamtheit. Wenn auch von Beginn des Krieges an eine Verschärfung der Einstellung Hitlers gegen das Judentum bereits eingetreten war, so sind doch keine Anhaltspunkte gegeben, daß er schon im ersten Stadium des Krieges eine Vernichtung des Judentums ins Auge gefaßt hätte. Der dahingehende letzte Entschluß wurde ohne Zweifel ausgelöst durch die von Hitler vermutlich schon Anfang des Jahres 1942 erkannte Unmöglichkeit, den Krieg mit einem Siege Deutschlands zu beenden.

Es ist fast mit Sicherheit anzunehmen, daß der Vernichtungsentschluß, wie fast alle Planungen Hitlers, ausschließlich aus ihm selbst hervorgegangen ist.

Inwieweit Einflüsse gewisser ihm nahestehender Berater Platz gegriffen haben, ist mit Sicherheit nicht festzustellen.

Wenn schon solche Einflüsse gegeben waren, dann können hierfür nur Männer wie Himmler, Bormann und Goebbels in Frage kommen.

So viel steht jedenfalls einwandfrei fest, daß im entscheidenden Zeitraum zwischen September 1939 und Oktober 1942 eine Einflußnahme Streichers auf Hitler weder erfolgte, noch nach Lage der Sache überhaupt möglich war.

Streicher saß zu dieser Zeit, seiner sämtlichen Ämter entkleidet, völlig kaltgestellt auf seinem Gute in Pleikershof. Weder persönlich noch schriftlich hatte er irgendwelche Verbindung mit Hitler. Dies haben die Aussagen der Zeugen Fritz Herrwerth, Adele Streicher und die eidliche Aussage des Angeklagten selbst einwandfrei erwiesen. Daß aber Hitler durch die Lektüre des »Stürmer« etwa zu seinem Ausmordungsbefehl veranlaßt worden sei, kann doch wohl im Ernst nicht behauptet werden. So ist klargestellt, daß der Angeklagte Streicher auf den entscheidenden Mann und den entscheidenden Befehl zur Ausrottung des Judentums ohne jeden Einfluß geblieben ist. Im Oktober 1942 erging der Erlaß Bormanns, der die Ausrottung des Judentums befahl, Dokument 3244-PS. Dieser Befehl kam von Hitler – das steht einwandfrei fest – und ging an den Reichsführer-SS Heinrich Himmler, dem die aktive Durchführung der Judenvernichtung übertragen worden ist.

Dieser seinerseits übertrug die endgültige Durchführung an den Chef der Gestapo, Müller, und seinen Beauftragten für Judenfragen, Eichmann. Diese drei Männer sind also nach Hitler die Hauptverantwortlichen.

Daß Streicher auf sie irgendwelche Einflußmöglichkeiten hatte oder tatsächlich irgendeinen Einfluß ausgeübt hätte, ist durch nichts erwiesen. Er behauptet unwiderlegbar, daß ihm Eichmann und [237] Müller überhaupt nicht bekanntgewesen seien, während seine Verbindung zu Himmler nur lose und alles andere als freundschaftlich gewesen sei. Daß Himmler einer der radikalsten Antisemiten der Partei gewesen ist, braucht nur erwähnt zu werden.

Er hatte von jeher unerbittlichen Kampf gegen die Juden propagiert und war im übrigen nach allem, was wir von ihm wissen, nicht der Mann, der sich von einem anderen in grundsätzlichen Fragen hätte beeinflussen lassen. Aber abgesehen davon ergibt ein Vergleich der beiderseitigen Persönlichkeiten von vornherein, daß Himmler in jeder Beziehung der Stärkere und Überlegenere war, so daß schon aus diesem Grunde eine Einflußnahme des Angeklagten Streicher auf Himmler ausgeschieden werden kann. Zu diesem Punkt weitere Ausführungen zu machen, kann ich mir wohl ersparen.

Ich komme nun zu der Frage, ob die Tätigkeit des Angeklagten Streicher auf die ausführenden Organe der Exekutionen, die Angehörigen der Einsatzgruppen einerseits und die Exekutionskommandos in den Konzentrationslagern andererseits, von bestimmendem Einfluß gewesen ist, und ob es überhaupt einer geistigen und seelischen Vorbereitung dieser Männer bedurft hätte, um sie zur Durchführung solcher Maßnahmen bereit und willens zu machen.

Der Reichsführer-SS hat in seinen hier schon so oft erwähnten Reden in Nikolajew, Posen und Charkow eindeutig klargestellt, daß er nicht nur selbst neben Hitler verantwortlich für die Endlösung der Judenfrage war, sondern auch, daß die Durchführung der befohlenen Maßnahmen nur möglich gewesen sei durch den Einsatz besonders von ihm auserwählter Kräfte aus der SS.

Aus der Aussage Ohlendorfs wissen wir, daß die sogenannten Einsatzgruppen sich zusammensetzten aus Angehörigen der Gestapo und des SD, aus Kompanien der Waffen-SS, aus altgedienter Polizei und aus Landeseinwohnern.

Grundsätzlich ist hier festzustellen, daß der Angeklagte Streicher auf die weltanschauliche Haltung der SS niemals auch nur den geringsten Einfluß ausgeübt hat. In dem umfangreichen Beweismaterial dieses Verfahrens befindet sich auch nicht der Schatten eines Beweises dafür, daß Streicher zur SS in irgendwelcher Beziehung stand. Der angebliche Judenfeind Nummer 1, der große Propagandist der Judenverfolgung, wie ihn die Anklage darstellt, der Angeklagte Streicher, ist in der Zeitschrift der SS, »Das Schwarze Korps«, oder gar in den »SS-Leitheften« niemals zu Wort gekommen. Diese Zeitschriften aber als die amtlichen Organe des Reichsführer-SS bestimmten allein von der weltanschaulichen Seite her die Schutzstaffel. Diese Zeitschriften der SS bestimmten ihre Stellung zur Judenfrage. Der »Stürmer« wurde in diesen Kreisen [238] ebensowenig gelesen, er wurde abgelehnt, wie in allen anderen Kreisen auch.

Himmler selbst hat Streicher ironisch als Ideologen abgelehnt.

Weltanschaulich konnte der Angeklagte Streicher daher die in den Einsatzgruppen stehenden SS-Angehörigen nicht beeinflußt haben, noch weniger die alten Polizeisoldaten und am wenigsten die fremdländischen Einheiten. Auch die Exekutionskommandos in den Konzentrationslagern konnten von ihm weltanschaulich nicht bestimmt sein. Deren Männer stammten größtenteils aus den Reihen der Totenkopfverbände, also der alten Wachverbände, für die das oben Gesagte in erhöhtem Maße zutrifft. Dazu kommt, daß die altgedienten Polizeisoldaten sowohl wie die altgedienten SS-Männer zu absolutem Gehorsam gegenüber ihren Führern erzogen waren. Absoluter Gehorsam gegenüber einem Führerbefehl war für beide selbstverständlich.

Trotzdem aber konnten selbst altgediente und an absoluten Gehorsam gewöhnte Polizeimänner, konnte selbst die altgediente SS nicht so, wie sie war, von Himmler mit der Durchführung der Judenexekutionen betraut werden. Himmler mußte vielmehr Leute persönlichen Vertrauens als Führer dieser Exekutionskommandos bestimmen und sie höchstpersönlich auf ihre Aufgaben verpflichten mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß er alle Verantwortung übernehme und daß er selbst nur einen grundsätzlichen Befehl Hitlers weitergebe.

So wenig also waren sogar diese Männer, die nach der Behauptung der Anklage die Elite des Nazismus gewesen waren, zu Judengegnern in dem von der Anklage behaupteten Sinne geworden, daß die ganze Autorität des Staatsoberhauptes und Führers und seines brutalsten Gefolgsmannes Himmler notwendig war, um den verantwortlichen Männern der Vollstreckungskommandos die Überzeugung aufzuzwingen, daß ihr Auftrag auf dem Willen des autoritären Staatsoberhauptes beruhe; auf einem Befehl also, der nach ihrer Überzeugung die Kraft eines Staatsgrundgesetzes besaß, also jeder Kritik entzogen war.

Nicht weltanschauliche Gründe, nicht die von der Anklage behauptete Aufhetzung der mit der Durchführung der Vernichtung Beauftragten durch Streicher war es also, die diese Männer zur Erfüllung der Befehle brachte, sondern ausschließlich und allein ihr Gehorsam gegenüber einem ihnen durch Himmler übermittelten Befehl Hitlers und das Bewußtsein, daß die Nichtbefolgung eines Führerbefehls den Tod für sie bedeuten würde.

Also auch nach dieser Richtung ist ein Einfluß Streichers nicht erwiesen.

Damit sind die gegen den Angeklagten von der Anklage erhobenen Vorwürfe erschöpft.

[239] Um aber zu einem Ergebnis zu kommen, zu einer Beurteilung des Angeklagten, die den tatsächlich gemachten Feststellungen in vollem Umfange gerecht wird, erscheint es erforderlich, seine Persönlichkeit und seinen Einsatz unter der Hitler-Regierung noch einmal kurz zusammenfassend zu beleuchten:

Die Anklage sieht in ihm den führenden Antisemiten und den führenden Vertreter des schärfsten Vernichtungswillens gegenüber dem Judentum.

Diese Auffassung wird aber der Rolle des Angeklagten und seinem tatsächlichen Einfluß ebensowenig gerecht wie seiner Persönlichkeit. Bereits aus der Art, wie der Angeklagte im Dritten Reich eingesetzt und zur Propagierung der Judenfrage und deren endlichen Lösung herangezogen worden ist, ergibt sich die Unrichtigkeit der in der Anklage vertretenen Auffassung. Das einzige Mal, daß der Angeklagte aktiv im Kampf gegen das Judentum eingesetzt war, war seine Verwendung als Vorsitzender des Aktionskomitees für den antijüdischen Boykott-Tag am 1. April 1933. An diesem Tag aber hat er eine Haltung gezeigt, die zu den scharfen Äußerungen im »Stürmer« im geraden Gegensatz steht. Sie läßt erkennen, daß es sich bei den angegriffenen Äußerungen in seinem Blatt um reine Tendenzmache handelt. Er hat, obwohl er an diesem Tage die gesamte Macht des Staates und der Partei gegen das Judentum hätte einsetzen können, lediglich eine Kennzeichnung und eine Bewachung der jüdischen Geschäfte befohlen. Dazu aber hat er ausdrücklich angeordnet, daß jede Belästigung und jede Gewalttätigkeit gegen die Juden, sowie jede Beschädigung jüdischen Eigentums verboten und strafbar sein solle.

Zu einem weiteren Einsatz des Angeklagten kam es in der Folgezeit überhaupt nicht mehr. Nicht einmal zur weltanschaulichen Fundierung der Auseinandersetzung mit dem Judentum wurde auf ihn zurückgegriffen. Weder in der Presse noch im Rundfunk konnte er seine Ideen vertreten. Weder die Partei in ihren Schulungsbriefen noch die Gliederungen in ihren Zeitschriften bedienten sich seiner Feder zur Aufklärung über die Judenfrage.

Nicht ihm, sondern dem Angeklagten Rosenberg übertrug Hitler die weltanschauliche Schulung des deutschen Volkes. Dieser war verantwortlich für das Institut zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt, nicht der Angeklagte Streicher; ja dieser war nicht einmal zu einer Mitwirkung an diesem Institut in Aussicht genommen.

Der Angeklagte Rosenberg erhielt den Auftrag für die Durchführung eines antijüdischen Weltkongresses im Jahre 1944. Diese Versammlung ist allerdings nie zustande gekommen; aber bezeichnend ist dabei, daß die Teilnahme des Angeklagten Streicher nicht einmal vorgesehen war.

[240] Sämtliche antijüdischen Gesetze und Verordnungen des Dritten Reiches entstanden ohne seine Mitwirkung. Nicht einmal zur Vorbereitung der Rassengesetze, die am Parteitag in Nürnberg 1935 verkündet wurden, war er herangezogen worden. An keiner Beratung über eine auch nur einigermaßen wichtige Frage im Frieden und im Kriege hat der Angeklagte Streicher teilgenommen. Sein Name findet sich in keiner Teilnehmerliste, in keinem Protokoll. Ja nicht einmal in den Besprechungen selbst wird sein Name auch nur einmal genannt.

Der Kampf gegen das Judentum im Dritten Reich verschärfte sich von Jahr zu Jahr, besonders nach Ausbruch und während der Dauer des Krieges. Im Gegensatz dazu aber ging der Einfluß des Angeklagten Streicher von Jahr zu Jahr zurück. Schon im Laute des Jahres 1939 war er fast kaltgestellt, ohne jede Beziehung zu Hitler oder sonstigen führenden Männern des Staates und der Partei. Seit 1940 war er seines Amtes als Gauleiter enthoben und von da ab politisch ein toter Mann.

Wäre der Angeklagte Streicher tatsächlich der Mann gewesen, für den ihn die Anklage hält, so hätte sein Einfluß und seine Tätigkeit automatisch mit der Verschärfung des antijüdischen Kampfes wachsen müssen. Am Ende hätte nicht, wie es tatsächlich der Fall war, politische Einflußlosigkeit und Verbannung stehen müssen, sondern Beauftragung mit der Durchführung der Vernichtung des Judentums.

Durch seine jahrelange schriftstellerische Tätigkeit, die bis zum Überdruß das gleiche Thema in manchmal plumper, derber und scharfer Form behandelte, hat sich der Angeklagte Streicher, das soll nicht geleugnet werden, die Feindschaft der Weltöffentlichkeit zugezogen. Er hat hierdurch eine Stimmung gegen sich erzeugt, aus der heraus seine Bedeutung und sein Einfluß weit über das wirkliche Maß hinaus überschätzt wurde und die jetzt für ihn die Gefahr bedeutet, daß auch seine Verantwortlichkeit in gleicher Weise verkannt wird.

Der Verteidiger, der in diesem Falle vor einer undankbaren und schweren Aufgabe stand, mußte sich darauf beschränken, die Gesichtspunkte und Tatsachen aufzuzeigen, welche die Bedeutung dieses Mannes und die Rolle, die er in der Tragödie des Nationalsozialismus gespielt hat, in ihrem wahren Umfang erkennen lassen. Es kann aber nicht Aufgabe der Verteidigung sein, unleugbare Tatsachen abzustreiten und Handlungen in Schutz zu nehmen, die eben einfach keine Entschuldigung finden können.

So bleibt bestehen, daß dieser Angeklagte bei der Abtragung der Hauptsynagoge in Nürnberg mitgewirkt und damit zugelassen hat, daß die Kultstätte einer Religionsgemeinschaft der Zerstörung anheim fiel. Der Angeklagte führt zu seiner Entlastung an, daß es [241] ihm hierbei nicht um die Abtragung eines zum Gottesdienst bestimmten Bauwerkes zu tun gewesen sei, sondern um die Beseitigung eines Bauwerkes, das in der Nürnberger Altstadt stilwidrig und störend wirkte und daß diese seine Ansicht auch von Kunstsachverständigen geteilt worden sei. Daß dem so sei, ergäbe sich daraus, daß er das zweite jüdische Gotteshaus in Nürnberg unangetastet habe stehen lassen, bis dieses schließlich in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 ohne sein Zutun in Flammen aufgegangen sei. Wie dem auch sei, der Angeklagte hat jedenfalls hier die gleiche Bedenkenlosigkeit an den Tag gelegt, die auch seinen übrigen Handlungen anhaftet. Seine Handlungsweise hat er hier allein zu vertreten, die Verteidigung kann sich insoweit nicht schützend vor ihn stellen. Aber auch hierbei ist hervorzuheben, daß die Bevölkerung Nürnbergs diesen Vorgang klar und unverkennbar abgelehnt hat. Für jeden unbefangenen Beobachter war es klar, daß das Volk solchen Aktionen mit eisiger Kühle gegenüberstand und nur durch Knebelung und Zwang dazu veranlaßt werden konnte, solche Maßnahmen über sich ergehen zu lassen und Zeuge solcher Sinnlosigkeiten zu sein.

Ebensowenig kann die Verteidigung zur Wiederaufrollung der Ritualmordmythe Stellung nehmen. Diese Artikel fanden zwar keinerlei Interesse, ihre Tendenz ist aber klar ersichtlich. Das einzige Moment, das dem Angeklagten neben dem ihm zuzubilligenden guten Glauben zur Seite stehen kann, ist das, daß nicht er es war, auf den diese Artikel zurückgingen, sondern Holz; er muß sich aber entgegenhalten lassen, daß er es geschehen ließ.

Unverständlich muß erscheinen, daß sich der Angeklagte noch immer an der Herausgabe des »Stürmer« beteiligte, auch als er schon längst politisch lahmgelegt und in die Verbannung geschickt worden war. Nichts zeigt besser seine geistige Einbahnigkeit als gerade diese Tatsache. Wenn die Anklagebehörde dem Angeklagten zum Vorwurf macht, er habe die physische Vernichtung des Judentums angestrebt und er habe mit seinen Veröffentlichungen diesen späteren Erfolg vorbereitet, so ist demgegenüber auf die Darlegungen des Angeklagten in seiner eidlichen Vernehmung als Zeuge zu verweisen, auf welche ich im vollen Umfang hieher Bezug nehme.

Der Angeklagte nimmt für sich in Anspruch, daß in der langen Reihe der Artikel im »Stürmer« seit dessen Erscheinen nie ein solcher enthalten gewesen sei, in welchem zu tatsächlichen Gewalttätigkeiten gegen das Judentum aufgefordert worden wäre. Und weiter, daß in den mehr als 1000 Nummern nur etwa 15 gefunden werden könnten, welche Ausdrücke enthielten, die im Sinne der Anklage gegen ihn geltend gemacht werden könnten.

[242] Der Angeklagte führte in seiner Verteidigung im Gegenteil aus, daß seine Artikel und Reden jeweils unverkennbar die Tendenz aufwiesen, eine Gesamtlösung der Judenfrage über die ganze Welt gleichzeitig herbeizuführen, da eine Teillösung irgendwelcher Art keinerlei Zweck haben könne und den Kern des Problems gar nicht erfasse. Schon aus diesem Gesichtspunkt heraus hätte er sich von jeher gegen Gewaltmaßnahmen jeglicher Art gegen das Judentum unzweideutig ausgesprochen und eine Aktion, wie sie schließlich Hitler in solch grausiger Art durchführen ließ, niemals gutgeheißen. Ob dem Angeklagten sonach nachgewiesen erscheint, daß er die erfolgten Massenmorde am Judentum je gebilligt hat, muß stark in Zweifel gezogen werden, und ich überlasse die Entscheidung hierüber dem Gerichtshof. Er selbst beruft sich jedenfalls darauf, daß er von diesen Massenmorden erst im Jahre 1944 einigermaßen sichere Kenntnis erhalten habe, welche Angaben durch die Zeugen Adele Streicher und Hiemer gestützt werden.

Die Veröffentlichungen im »Israelitischen Wochenblatt« habe er für Zweckpropaganda erachtet und deshalb nicht geglaubt. Für ihn spricht nach dieser Richtung, daß er bis zum Herbst 1943 in keinem Artikel einer Befriedigung über das Schicksal des Judentums im Osten Ausdruck verliehen hat. Wenn er damals über das Verschwinden des jüdischen Reservoirs im Osten schrieb, so ist auch hier nicht zu erkennen, daß ihm irgendeine authentische Bestätigung zur Verfügung stand. Er konnte also sehr wohl der Auffassung sein, daß dieses Verschwinden nicht mit einer physischen Vernichtung des Judentums identisch sei, sondern daß möglicherweise eine Überstellung der aufgesammelten jüdischen Bevölkerung nach dem neutralen Ausland oder in das Gebiet der Sowjetunion in Frage käme.

Da keinerlei Beweis dafür erbracht ist, daß der Angeklagte von irgendeiner Seite von der beabsichtigten Ausrottung des Judentums irgendwelche Andeutung erhalten hätte, so konnte er ein derart satanisches Geschehen überhaupt nicht in seine Vorstellung aufgenommen haben, da ein solches außerhalb jeglicher Vorstellungsmöglichkeit des menschlichen Geistes überhaupt gelegen erscheint. Bestimmt kann auch nicht angenommen werden, daß die geistige Kapazität des Angeklagten diesen etwa in die Lage gesetzt haben sollte, vorschauend eine solche Lösung der Judenfrage, die nur dem Gehirn eines nicht mehr im Besitz seiner geistigen Kräfte befindlichen Menschen entsprungen sein kann, zu erahnen. Der Angeklagte bezeichnet sich selbst als Wahrheitsfanatiker und Wahrheitssucher. Er will nichts geschrieben und nichts in seinen Reden zum Ausdruck gebracht haben, was er nicht aus irgendwelchen authentischen Quellen entnommen und entsprechend belegt habe.

[243] Daß er ein Fanatiker war, steht außer Zweifel. Der Fanatiker aber ist ein Mensch, der von einer Idee oder einer Einbildung so besessen und durchdrungen ist, daß er jeder anderen Erwägung nicht zugänglich und nur einseitig von der Richtigkeit seiner Auffassung durchdrungen ist. Für den Psychiater mag es sich dabei vielleicht um eine Art geistiger Verkrampfung handeln. Jede Art von Fanatismus ist nicht weit von manischen Vorstellungen. Hand in Hand damit geht in der Regel eine erhebliche Selbstüberschätzung und eine Überwertung der eigenen Persönlichkeit und des von ihr ausgehenden Einflusses auf die Umwelt.

Bei keinem der hier zur Beurteilung stehenden Angeklagten geht Schein und Sein aber soweit auseinander wie bei dem Angeklagten Streicher. Als was er der Außenwelt erschien, hat die Anklage vorgetragen. Was er tatsächlich war und ist, hat das Verfahren aufgezeigt.

Nur tatsächliche Feststellungen aber können Grundlage des Urteils sein.

Legen Sie, meine Herren Richter, Ihrem Urteil auch zugrunde, daß der Angeklagte in seiner Stellung als Gauleiter in Franken auch viele menschliche Züge an den Tag gelegt hat, daß er die Entlassung einer großen Anzahl politischer Häftlinge aus den Konzentra tionslagern herbeiführte, was sogar die Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn zur Folge hatte. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß er auch die auf seinem Hofe beschäftigten Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter in jeder Hinsicht gut behandelt hat.

Mag das Urteil gegen den Angeklagten Streicher aber lauten wie es will, es handelt sich dabei immer nur um das Schicksal eines einzelnen. Festgestellt aber erscheint, daß das deutsche Volk und dieser Angeklagte in dieser hier maßgeblichen Frage niemals eine Einheit gebildet haben. Das deutsche Volk hat sich von den Bestrebungen des Angeklagten, wie er sie in seinen Veröffentlichungen zum Ausdruck brachte, stets distanziert und sich seine eigene Meinung und Einstellung gegenüber dem Judentum bewahrt. Damit ist aber die Annahme der Anklage, daß die tendenziösen Artikel im »Stürmer« irgendeine Resonanz oder eine Aufnahmebereitschaft im deutschen Volke gefunden oder in demselben gar eine zu verbrecherischen Maßnahmen bereite Gesinnung vorbereitet hätten, voll widerlegt. Das deutsche Volk in seiner weitaus überwiegenden Mehrheit hat sich den gesunden Sinn bewahrt und sich allen Gewalttätigkeiten abhold gezeigt. Es kann daher auch Anspruch darauf erheben, daß es vor dem Forum der Weltöffentlichkeit von jeder moralischen Mitschuld und Mitverantwortung an jenen Verbrechen frei erklärt wird, um seinen Platz in der Reihe der Nationen einst wieder einnehmen zu können.

[244] Die Entscheidung über Schuld oder Nichtschuld dieses Angeklagten aber lege ich in die Hände des Hohen Gerichts.

VORSITZENDER: Ich rufe Herrn Dr. Sauter für den Angeklagten Funk auf.

DR. FRITZ SAUTER, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN FUNK UND VON SCHIRACH: Meine Herren Richter! Ich habe die Aufgabe, den Fall des Angeklagten Dr. Walter Funk zu untersuchen, also ein Thema zu behandeln, das leider besonders trocken und wenig interessant ist.

Ich darf vielleicht eine Bemerkung vorausschicken: Ich werde grundsätzlich keine allgemeinen Ausführungen bringen, weder in juristischer noch in politischer, weder in historischer noch in physiologischer Hinsicht, obwohl solche allgemeine Ausführungen gerade im Rahmen dieses Prozesses besonders verlockend wären. Solche allgemeine Ausführungen sind bereits von anderen Verteidigern in größerem Umfange gebracht worden und werden wohl von einigen weiteren Verteidigern noch ergänzt werden. Ich will mich also darauf beschränken, vom Standpunkt der Verteidigung aus zu untersuchen und Ihnen vorzutragen, welches Bild die Beweisaufnahme dieses Prozesses geliefert hat von der Persönlichkeit des Angeklagten Funk, von den Handlungen, die er vorgenommen hat, von den Motiven, die ihn dabei geleitet haben. Meine Herren Richter! Der gesamte Verlauf dieses Prozesses und die besondere Beweiserhebung in seinem eigenen Fall haben ergeben, daß der Angeklagte Funk zu keiner Zeit der nationalsozialistischen Staatsführung und in keinem der hier zur Anklage stehenden Fälle eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Funks Entscheidungsbefugnisse waren immer durch übergeordnete Vollmachten anderer Personen erheblich eingeschränkt. Die Bemerkung des Angeklagten bei seiner persönlichen Vernehmung, daß er immer nur bis zur Türe kam und niemals eintreten durfte, ist durch die Beweiserhebung als durchaus richtig bewiesen worden.

In der Partei – im Gegensatz zum Staat – wurden dem Angeklagten Funk lediglich im letzten Jahre vor der Machtergreifung, also im Jahre 1932, einige Aufgaben übertragen. Diese erlangten jedoch keine praktische Bedeutung, weil sie nur von ganz kurzer Dauer waren.

Seit der Machtübernahme hat Funk niemals ein Parteiamt innegehabt. Er gehörte auch keiner Parteiorganisation an, weder der SS noch der SA, auch nicht dem Korps der Politischen Leiter. Ein Reichstagsmandat hatte Funk nur etwa über ein halbes Jahr lang kurz vor der Machtübernahme. Er gehörte also dem Reichstag nicht an zu der Zeit, als die grundlegenden Gesetze zur Festigung der nationalsozialistischen Macht beschlossen wurden. Diese auch [245] dem Angeklagten Funk zur Last gelegten Gesetze aus jener Zeit, insbesondere das Ermächtigungsgesetz, wurden vielmehr zu einer Zeit vom Reichskabinett angenommen, als Funk noch nicht Mitglied des Reichskabinetts war. Er wurde dies bekanntlich erst mit seiner Ernennung zum Reichswirtschaftsminister zu Ende des Jahres 1937, also zu einer Zeit, als keine Kabinettssitzungen mehr stattfanden. Als Pressechef der Reichsregierung endlich hatte Funk weder Sitz noch Stimme im Kabinett, und er konnte als Pressechef auch keinen Einfluß auf den Inhalt der Gesetzentwürfe nehmen. Ich verweise auf die Aussagen des Zeugen Dr. Lammers zu diesem Punkte. Das gleiche trifft zu hinsichtlich der Rassegesetze, der sogenannten Nürnberger Gesetze.

Engere Beziehungen zu Hitler hatte Funk nur in den eineinhalb Jahren, in denen er in seiner Eigenschaft als Pressechef der Reichsregierung bei Hitler regelmäßig Pressevorträge zu halten hatte, also vom Februar 1933 bis August 1934, nämlich bis zum Tode des Reichspräsidenten von Hindenburg. Später ist Funk nur noch sehr selten zu Hitler gekommen. Der Zeuge Dr. Lammers bekundet hierüber folgen des – ich zitiere wörtlich:

»Später, als Reichswirtschaftsminister, ist Funk außerordentlich selten zu Hitler gekommen. Er ist zu vielen Besprechungen nicht zugezogen worden, und zwar auch nicht zu Besprechungen, zu denen er eigentlich hätte hinzugezogen werden müssen. Er hat sich bei mir häufig darüber beschwert. Der Führer hat vielfach Einwendungen gemacht. Es wären verschiedene Gründe gegen Funk vorhanden. Er stünde Funk skeptisch gegenüber und wolle ihn nicht haben.«

So wörtlich die Zeugenaussage Dr. Lammers vom 8. April 1946. Und auf die Frage an diesen Zeugen, ob Funk ihm öfter sein Leid geklagt habe über die unbefriedigende Stellung, die er als Reichswirtschaftsminister habe, und über die Sorgen, die ihn wegen der allgemeinen Zustände bedrückten, erklärte Dr. Lammers:

»Ich weiß, daß Funk schwere Sorgen hatte, und er wollte gern, daß auch er einmal Gelegenheit fände, diese an den Führer selbst heranzubringen. Er hatte den innigsten Wunsch, dem Führer einen Vortrag zu halten, um überhaupt etwas über die Kriegslage zu hören.«

Das war in den Jahren 1943 und 1944. Und Lammers fährt fort:

»Funk ist es mit bestem Willen nicht gelungen, zum Führer zu kommen, und mir ist es nicht gelungen, ihn zum Führer zu bringen.«

Meine Herren! Die auffallende Tatsache, daß Funk während der ganzen Zeit seiner Ministertätigkeit nur insgesamt vier- oder fünfmal zu Besprechungen mit Hitler hinzugezogen wurde, erklärt Funk damit, daß Hitler ihn nicht brauchte. Hitler habe seine [246] Anweisungen für die wirtschaftlichen Angelegenheiten bis 1942 an Göring als den für die gesamte Wirtschaftsführung verantwortlichen Beauftragten für den Vierjahresplan gegeben und seit Anfang 1942 an Speer, der ab 1942 als Rüstungsminister auf Grund besonderer Vollmachten für alle Produktionszweige Weisungen erteilen konnte und der ab 1943 die gesamte Produktion selbst lenkte.

Funk hatte also in der Wirtschaftsführung des nationalsozialistischen Reiches niemals die Hauptrolle, sondern immer nur eine Nebenrolle. Das hat auch der Mitangeklagte Göring ausdrücklich in seiner Aussage am 16. März bestätigt:

»Selbstverständlich«, so sagte Göring, »hatte Funk nach den Generalvollmachten, die mir« – also Göring – »gegeben waren, meinen wirtschaftlichen Weisungen auf dem Gebiete des Wirtschaftsministeriums und der Reichsbank zu folgen gehabt. Die Anweisungen und die Wirtschaftspolitik, die der Reichswirtschaftsminister Funk und der Reichsbankpräsident Funk ausführte, treffen voll und ganz verantwortlich ausschließlich mich«.

Und ebenso, meine Herren, hat der Angeklagte Speer hier in der Sitzung vom 20. Juni als Zeuge erklärt, daß er als Rüstungsminister von vornherein die Entscheidungsbefugnisse auf den wichtigsten Wirtschaftsgebieten, wie insbesondere Kohle, Eisen und Stahl, Metalle, Aluminium, Maschinenbau und so weiter für sich in Anspruch nahm. Die gesamte Energiewirtschaft und das ganze Bauwesen unterstanden schon vor Speers Beauftragung – zu Beginn des Jahres 1942 – seinem Vorgänger, dem Rüstungsminister Todt.

Das Beweismaterial, das die Anklagebehörde zum Falle des Angeklagten Funk vorgebracht hat, bezieht sich zum weitaus größten Teil nicht auf persönliche Handlungen Funks oder auf Anordnungen, die er erlassen hat, sondern auf die verschiedenen und sehr verschiedenartigen Stellungen, die er innehatte. Und schon auf Seite 29 des Trialbriefes hat seinerzeit der Ankläger erklärt, daß die Beweisführung gegen Funk als eine abgeleitete bezeichnet werden müsse. Die Anklage unterstellt, daß Funk von den verschiedenen Vorgängen, die den Gegenstand der Anklage bilden, Kenntnis gehabt haben müsse, weil man das auf Grund seiner Stellungen annehmen müsse, die er innehatte. Auf Anordnungen, die Funk selbst erlassen hat, oder auf Weisungen, die er persönlich gab, bezieht sich die Anklage im wesentlichen überhaupt nur bei den Durchführungsverordnungen, die Funk zu den Erlassen des Vierjahresplanes zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben im November 1938 herausgegeben hat. Aber dieses Kapitel werde ich später gesondert behandeln. Zu politischen und militärischen Besprechungen endlich wurde Funk nicht hinzugezogen. [247] Seine Stellung war also die etwa eines Fachministers mit weitgehend eingeschränkten Entscheidungsbefugnissen.

Als Reichswirtschaftsminister war er dem Vierjahresplan, also Göring, unterstellt. Später hatte der Rüstungsminister übergeordnete Vollmachten. Und schließlich wurde das Reichswirtschaftsministerium, wie durch die Zeugenaussagen Görings, Lammers und Haylers erwiesen ist, ein reines Handelsministerium, das sich im wesentlichen mit der Verteilung der Verbrauchsgüterproduktion und mit der technischen Durchführung des Außenhandels zu beschäftigen hatte.

Bei der Reichsbank bestimmte in ähnlicher Weise der Vierjahresplan über den Einsatz von Gold und Devisen. Hinsichtlich der inneren Kriegsfinanzierung wurde – sogleich beim Amtsantritt Funks als Reichsbankpräsident – der Reichsbank die Entscheidung über die Höhe der dem Reich zu gewährenden Kredite genommen. Damit schied Funk aus der Verantwortung für jegliche Kriegsfinanzierung überhaupt aus. Die entscheidende Stelle für diese war stets nur der Reichsfinanzminister, also nicht Funk. Und schließlich, meine Herren, als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft hat Funk lediglich im August 1939 die zivilen Wirtschaftsressorts für die Maßnahmen koordiniert, die einen reibungslosen Übergang von der Friedens- in eine etwaige Kriegswirtschaft gewährleisten sollten. Das Ergebnis dieser Beratungen sind dann die Vorschläge geworden, die Funk am 25. August 1939 Hitler in einem Brief unterbreitet hat, der als Nummer 699-PS hier mehrfach zitiert wurde. Funk hat in seiner Vernehmung erklärt, daß dieser Brief die Dinge nicht ganz korrekt darstelle, da es eben ein rein privater Brief, ein Dankbrief für Hitlers Geburtstagswünsche war. Weil die Anklage die Stellung Funks als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft besonders hervorgehoben hat, muß ich auch auf diesen Punkt später noch eigens zurückkommen. Die Beweiserhebung zeigt nun, daß gerade die Stellung als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft die am meisten umstrittene, aber andererseits auch die schwächste Position Funks gewesen ist.

Hinsichtlich der besetzten Gebiete hatte Funk überhaupt keine Entscheidungsbefugnisse. Das haben sämtliche zu dieser Frage vernommenen Zeugen übereinstimmend bekundet. Ebenso haben aber auch alle Zeugen bestätigt, daß Funk sich stets gegen die Ausplünderung der besetzten Gebiete gewandt hat. Er hat die Aufkäufe von deutscher Seite auf schwarzen Märkten scharf bekämpft. Er war gegen die Aufhebung der Devisengrenze mit Holland, eine Maßnahme, die die deutschen Aufkäufe in Holland erleichtern sollte. Er hat nach Griechenland, wie wir von dem Zeugen Neubacher gehört haben, eine Wareneinfuhr aus Deutschland und aus den osteuropäischen Staaten organisiert und sogar Gold nach [248] Griechenland gegeben. Er trat auch wiederholt gegen die finanziellen Überbelastungen der besetzten Gebiete auf, insbesondere 1942 und 1944, ebenso gegen die Erhöhung der französischen Besatzungskosten. Er schützte die Währungen der besetzten Länder vor den immer wieder auftretenden Abwertungsversuchen. Im Falle Dänemark setzte er sogar allen Widerständen zum Trotz eine Aufwertung der Währung durch. Funk bekämpfte ferner willkürliche Kursfestsetzungen bei den Währungsregelungen mit den besetzten Ländern. Die Clearingschulden Deutschlands hat Funk stets als echte Warenschulden anerkannt, und zwar auch hinsichtlich der besetzten Länder. Das geht insbesondere aus seinem hier erörterten Vorschlag hervor, diese Clearingschuld Deutschlands durch eine von Deutschland in allen europäischen Staaten aufzulegende Anleihe zu kommerzialisieren. Funk war auch ein Gegner der allzustarken und insbesondere der zwangsweisen Beschäftigung ausländischer Arbeiter in Deutsch land. Das hat auch der Angeklagte Sauckel hier in seiner Zeugenaussage bereits bestätigt. Alle diese für die besetzten Länder sich günstig auswirkenden Tatsachen und Handlungen Funks wurden von den Zeugen Hayler, Landfried, Puhl, Neubacher und dem Mitangeklagten Seyß-Inquart bekundet.

Nach diesen Aussagen war Funk stets bemüht, in den besetzten Gebieten die Wirtschaft und das soziale Leben in Ordnung zu halten und vor Erschütterungen möglichst zu bewahren. Radikalen und willkürlichen Maßnahmen gegenüber war er stets abgeneigt und ablehnend. Er war vielmehr immer auf Verständigung und Ausgleich bedacht. Funk dachte eben auch im Kriege schon stets an den Frieden. Das haben die Zeugen Landfried und Hayler bekundet und ausdrücklich hinzugefügt, daß dem Angeklagten Funk diese seine Einstellung von führenden Staats- und Parteistellen wiederholt zum Vorwurf gemacht worden ist. Auch der Mitangeklagte Speer hat bei seiner Vernehmung erklärt, daß Funk im Kriege eher zuviel Arbeiter in der Verbrauchsgüterwirtschaft beschäftigen ließ und daß gerade das mit ein Grund dafür war, daß Funk 1943 die Lenkung der Verbrauchsgüterproduktion abgeben mußte.

Daß sich Funk – ebenso wie Speer – gegen die furchtbare Parole der »verbrannten Erde« gewandt hat, hat außer Speer selbst auch der Zeuge Hayler am 7. Mai dem Gericht gegenüber eidlich bekundet. Dieser Zeuge erklärte, daß er Funk kaum jemals so erregt gesehen hat als in dem Augenblick, wo Funk diesen Zerstörungsbefehl zur Kenntnis erhielt. Funk erließ, wie Hayler bezeugt hat, Anweisungen sowohl als Reichswirtschaftsminister wie als Reichsbankpräsident, die vorhandenen Warenlager vor der befohlenen Zerstörung zu schützen, um die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung mit Verbrauchsgütern, ebenso wie den Geldverkehr in den aufgegebenen deutschen Gebieten sicherzustellen.

[249] Funks wirtschaftspolitische Ziele, ja man kann sagen, der Inhalt seines Lebenswerkes, war eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft auf der Grundlage eines gerechten und natürlichen Interessenausgleichs souveräner Länder. Unaufhörlich hat sich Funk auch im Kriege bemüht, dieses Ziel anzustreben, obwohl naturgemäß die elementaren Kriegsnotwendigkeiten und die kriegsbedingte Entwicklung allenthalben diese Bestrebungen hemmten. Das wirtschaftliche Europa, wie Funk es sah und wie er es erstrebte, hat er in mehreren großen wirtschaftspolitischen Reden eindrucksvoll dargestellt. Auszüge aus einigen dieser, vielfach auch im neutralen und feindlichen Ausland beachteten Reden sind im Dokumentenbuch vorgelegt worden.

Bei der Beurteilung der Handlungen des Angeklagten Funk spielte naturgemäß seine ganze Persönlichkeit eine gewisse Rolle, wenn die Motive ermittelt werden sollen, aus denen heraus dieser Angeklagte gehandelt hat. Funk wurde im deutschen Volke, soweit man ihn überhaupt kannte, niemals als ein Parteimensch betrachtet, den man für fähig gehalten hätte, sich an rohen Exzessen zu beteiligen, Gewalt und Terror auszuüben oder sich auf fremde Kosten zu bereichern. Er teilte vielmehr zum Beispiel mit seinem Freund Schirach die Neigung für Kunst und Literatur. Ursprünglich hatte er, wie Sie gehört haben, Musiker werden wollen und sah in der Folgezeit in seinem Hause Dichter und Künstler weit lieber als die Männer aus Partei und Staat. In Fachkreisen war er bekannt und geschätzt als Wirtschaftspolitiker, als ein Mann mit umfassenden theoretischen und historischen Kenntnissen, der aus dem Journalismus hervorgegangen und ein glänzender Stilist gewesen war. Als Chefredakteur an der angesehenen »Berliner Börsenzeitung« hatte er eine wirtschaftlich gut gesicherte Position, so daß er sich finanziell sogar verschlechterte, als er anfangs 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, das ihm angebotene Amt eines Pressechefs der Reichsregierung annahm. Er gehörte also nicht zu den Desperados, die froh sein mußten, durch Hitler einen gutbezahlten Posten zu bekommen. Im Gegenteil, er brachte ein finanzielles Opfer, als er das ihm angebotene Staatsamt übernahm, und es erscheint daher durchaus glaubhaft, daß er dies aus Patriotismus, aus Pflichtgefühl gegenüber seinem Volke tat, um sich in schwerer Notzeit in den Dienst des Vaterlandes zu stellen.

Für die Beurteilung der Persönlichkeit und der Haltung des Angeklagten Funk erscheint es weiterhin von einer gewissen Bedeutung, daß er niemals irgendeinen Rang in der Partei hatte oder anstrebte. Andere Leute, die hohe Staatsstellen im Dritten Reich einnahmen, wurden zum Beispiel mit dem Titel eines SS-Obergruppenführers bedacht oder erhielten den Rang eines SA-Obergruppenführers. Funk dagegen war von 1931 bis zum Ende des Dritten Reiches immer nur einfacher Parteigenosse, der sich wohl [250] um die gewissenhafte Führung seiner Staatsämter bemühte, aber keinerlei Ehrungen innerhalb der Partei anstrebte.

Das einzige, was dem Angeklagten Funk in dieser Beziehung von der Anklage vorgeworfen wurde, war die Tatsache, daß er im Jahre 1940 zu seinem 50. Geburtstag eine Dotation angenommen hat. Das war an sich natürlich keine strafbare Handlung, wurde aber von der Anklage offenbar als moralische Belastung des Angeklagten gewertet. Deshalb sei dazu kurz Stellung genommen. Es ist uns in Erinnerung, wie es zu dieser Dotation kam: Der Präsident und das Präsidium der Reichswirtschaftskammer, also die oberste Standesvertretung der deutschen Wirtschaft, haben ihm zu seinem 50. Geburtstag einen Bauernhof in Oberbayern mit 55 Hektar Grund geschenkt. Dieser Bauernhof stand allerdings zunächst nur auf dem Papier der Schenkungsurkunde und sollte erst gebaut werden. Diese Schenkung war vom Staatsoberhaupt, nämlich von Adolf Hitler, ausdrücklich genehmigt, also nicht etwa heimlich dem Reichswirtschaftsminister gemacht worden, sondern in aller offizieller Form, ohne daß etwas verschwiegen oder vertuscht worden wäre. Das Geschenk erwies sich dann aber in der Folgezeit für Funk als ein ausgesprochenes Danaer-Geschenk, weil der Bau des Gebäudes viel teuerer kam, als man erwartete und weil Funk eine sehr hohe Schenkungssteuer zu bezahlen hatte. Funk, der bis dahin nie Schulden gehabt und stets in geordneten Verhältnissen gelebt hatte, geriet nun gerade durch diese »Schenkung« eines Bauernhofes in Schulden. Göring hörte davon; er half Funk mit einer größeren Summe aus. Als Hitler von diesen finanziellen Schwierigkeiten Funks durch den Minister Lammers Kenntnis erhielt, ließ er ihm den zur Ordnung seiner wirtschaftlichen Lage erforderlichen Betrag als Dotation überweisen. Damit konnte dann Funk die Steuern und seine Schulden bezahlen. Den Rest verwendete Funk, um zwei gemeinnützige Stiftungen zu machen, die eine für die Hinterbliebenen der im Kriege gefallenen Beamten der Reichsbank, die andere für das Personal des Wirtschaftsministeriums zum gleichen Zweck. Auch der Hof sollte einmal eine Stiftung werden. Funk hat mit dieser Sachbehandlung bewiesen, daß er auch in diesem Punkt das richtige Gefühl hatte. Denn wenn auch juristisch solche Dotationen nicht anfechtbar waren, so sagte ihm doch sein natürliches Empfinden, daß es richtiger sei, sich von derartigen Dotationen zu distanzieren und sie lieber gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, wenn man schon nicht die Möglichkeit hatte, sie gegenüber dem Staatsoberhaupt vollständig abzulehnen.

Herr Präsident! Ich komme dann zu einem neuen Kapitel; ich würde vorschlagen, Pause zu machen.

VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 18, S. 214-252.
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