Nachmittagssitzung.

[661] MR. DODD: Herr Präsident! Während des Vortrags des Falles Funk haben wir eine Reihe von Dokumenten nicht zum Beweis vorgelegt. Ich habe damals den Gerichtshof gebeten, dies später tun zu dürfen. Wenn der Gerichtshof es gestattet, könnte ich es jetzt tun.

VORSITZENDER: Ja, ich glaube, es wäre jetzt passend.


MR. DODD: Sehr gut, Herr Präsident.

Zuerst möchte ich klarstellen, um welches Dokument es sich handelt. Es ist Dokument 2828-PS. Es wurde bereits als Beweisstück US-654 vorgelegt. Aber der Auszug, der verlesen wurde, befindet sich auf Seite 105 des Dokuments. Wir haben irrtümlicherweise eine andere Seite angegeben. Der Hinweis auf dieses Dokument US-654 findet sich im Sitzungsprotokoll vom 6. Mai 1946, (Band XIII, Seite 158).

Wir haben auch unser Dokument EC-440 eingereicht, das eine Erklärung des Angeklagten Funk darstellt, und wir haben einen Satz von Seite 4 dieses Dokuments zitiert. Ich möchte dieses Dokument als US-874 vorlegen.

Das nächste Dokument, 3952-PS, war ein Verhör mit dem Angeklagten Funk vom 19. Oktober 1945. Wir wollen dieses als Beweisstück US-875 vorlegen.

Ich darf den Gerichtshof daran erinnern, daß der aus diesem Verhör zitierte Auszug mit der Erklärung Funks zusammenhing, daß der Angeklagte Heß ihm von dem bevorstehenden Angriff auf die Sowjetunion Mitteilung gemacht hätte. Dieser Auszug ist in die vier Sprachen übersetzt worden und wird dem Gerichtshof zur Verfügung stehen.

Dann haben wir ein weiteres Verhör vom 22. Oktober 1945. Wir lasen von den Seiten 15 und 16, wie dies im Sitzungsprotokoll vom 7. Mai 1946 (Band XIII, Seite 240) erscheint. Das Dokument ist 3953-PS. Wir legen es als Beweisstück US-876 ein.

Als nächstes bezogen wir uns auf Dokument 3894-PS, ein Verhör mit einem gewissen Hans Posse. Wir haben es seinerzeit als Beweisstück US-843 vorgelegt, wie dies im Sitzungsprotokoll vom 6. Mai 1946 (Band XIII, Seite 177) zu finden ist. Damals habe ich dem Gerichtshof erklärt, daß wir das ganze Verhör in französischer, russischer, deutscher und englischer Sprache einreichen werden. Wir sind nunmehr in der Lage, dies zu tun, und tun es.

Dann haben wir Dokument 3954 PS. Es ist dies ein Affidavit eines gewissen Franz B. Wolf, eines der Herausgeber der »Frankfurter Zeitung«. Eine Bezugnahme darauf findet sich im Sitzungsprotokoll vom 6. Mai 1946 (Band XIII, Seite 168), wo wir erklärten,[661] daß wir noch mehr zu sagen haben werden über die Gründe für die Beibehaltung des Herausgeberpersonals der »Frankfurter Zeitung«. Dieses Dokument, 3954-PS steht dem Gerichtshof nun in französischer, russischer, englischer und deutscher Sprache zur Verfügung, wir legen es als Beweisstück US-877 vor.

Sodann, Herr Präsident, wurde während des Kreuzverhörs des Angeklagten Funk ein Film gezeigt. Der Gerichtshof hat uns damals gefragt, ob wir in der Lage wären, Affidavits über die Herkunft dieses Films vorzulegen. Wir sind nunmehr in der Lage, dies zu tun. Wir bieten zuerst ein Affidavit des Hauptmanns Sam Harris an, der die Aufnahme des Filmes veranlaßte, der nun die Bezeichnung US-878 erhält. Das zweite Affidavit stammt von dem Photographen, der die Aufnahmen gemacht hat. Wir bieten es als Beweisstück US-879 an.

Schließlich möchte ich noch eine andere Sache aufklären: Am 25. März während des Kreuzverhörs mit dem Zeugen Bohle, einem Zeugen für den Angeklagten Heß, hat Oberst Amen aus einem Verhör mit von Strempel verlesen, wie dies im Sitzungsprotokoll vom 25. März 1946 (Band X, Seite 50) erscheint. Wir ließen die in Rede stehenden Stellen in die vor diesem Gerichtshof gebrauchten Sprachen übersetzen, und wir bitten, dieses Verhör, das unsere Dokumentennummer 3800-PS trägt, als Beweisstück US-880 zu zulassen.

Ich glaube, Herr Präsident, daß ich jetzt die Dokumente, die wir bisher formell noch nicht eingereicht hatten, völlig klargestellt habe.


VORSITZENDER: Ich erteile nunmehr dem Verteidiger des Angeklagten Sauckel das Wort.


DR. SERVATIUS: Mit Genehmigung des Gerichtshofs rufe ich den Angeklagten Sauckel in den Zeugenstand.


VORSITZENDER: Sicherlich.


[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]


Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?

FRITZ SAUCKEL: Ernst Friedrich Christoph Sauckel.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir die Eidesformel nachsprechen.

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Schildern Sie dem Gericht Ihren Werdegang.


[662] SAUCKEL: Ich wurde geboren als das einzige Kind des Postboten Friedrich Sauckel in Haßfurt am Main, in der Nähe von Bamberg. Ich besuchte die Volksschule in Schweinfurt und das Gymnasium.


DR. SERVATIUS: Wie lange waren Sie auf dem Gymnasium?


SAUCKEL: Ich war fünf Jahre auf dem Gymnasium. Den Besuch dieser Schule ermöglichte, da mein Vater in sehr bescheidener Stellung war, meine Mutter, die eine Näherin war. Als sie sehr herzkrank wurde, sah ich ein, daß ein Studium für mich für meine Eltern nicht möglich sei, und ich erwirkte die Erlaubnis, zur See zu gehen, um dort mein Leben weiterzugestalten und vorwärtszukommen.


DR. SERVATIUS: Sie kamen zur Handelsmarine oder wo sind Sie hingegangen?


SAUCKEL: Ich kam zunächst zur norwegischen und schwedischen Handelsmarine, um dort nach der alten Seemannsausbildung auf den großen Segelschiffen und Klippern das Seemannsleben und die Seemannsarbeit von Grund auf kennenzulernen.

DR. SERVATIUS: Wie alt waren Sie damals?


SAUCKEL: Ich war fünfzehneinhalb Jahre.


DR. SERVATIUS: Und was verdienten Sie?


SAUCKEL: Ich verdiente als Schiffsjunge auf einem norwegischen Segelschiff damals bei freier Kost und Verpflegung fünf Kronen.


DR. SERVATIUS: Wo sind Sie nun hingekommen im Laufe Ihrer seemännischen Tätigkeit?


SAUCKEL: Ich bin im Laufe meiner seemännischen Tätigkeit und Ausbildung, die dann auf deutschen Segelschiffen weiterging, auf allen Meeren und in allen Erdteilen gewesen.


DR. SERVATIUS: Kamen Sie in Berührung mit ausländischen Familien?


SAUCKEL: Ich kam durch den Christlichen Verein Junger Männer hauptsächlich in Australien und in Nordamerika, ebenso in Südamerika, mit Familien dieser Staaten in Berührung.


DR. SERVATIUS: Wo waren Sie gewesen, als der Weltkrieg ausbrach?


SAUCKEL: Ich geriet auf einem deutschen Segelschiff auf der Reise nach Australien unversehens, da das Schiff gekapert wurde, auf hoher See in französische Gefangenschaft.


DR. SERVATIUS: Wie lange sind Sie da geblieben?


SAUCKEL: Fünf Jahre, bis zum November 1919.


[663] DR. SERVATIUS: Sind Sie dann nach Hause zurückgekehrt?


SAUCKEL: Ich bin damals nach Hause zurückgekehrt.


DR. SERVATIUS: Und was haben Sie nun begonnen?


SAUCKEL: Ich hatte meine Ausbildung und die seemännischen Studien, die ich zu machen hatte, zwar beendet, konnte aber, da die Ersparnisse meiner Seefahrtszeit ja im Laufe der deutschen Inflation gegenstandslos geworden waren, nicht mehr zur See fahren und konnte meine Prüfungen nicht ablegen. Es gab auch wenig deutsche Schiffe und sehr viele arbeitslose deutsche Seeleute, so daß ich mich entschloß, in einer Fabrik meiner Heimatstadt Schweinfurt Arbeiter zu werden.


DR. SERVATIUS: Sind Sie nun in Ihrer Heimatstadt geblieben?


SAUCKEL: Ich bin zunächst in meiner Heimatstadt geblieben, lernte zugleich in der Kugellagerfabrik Fischer als Dreher und Maschinenbauer, um mir das Geld zu ersparen, um späterhin eine technische Schule, eine Ingenieurschule, besuchen zu können.


DR. SERVATIUS: Sind Sie damals schon politisch tätig geworden?


SAUCKEL: Ich bin, nachdem ich als Seemann es verachtet hatte, politisch orientiert zu sein – denn ich liebte meinen Seemannsberuf und liebe ihn auch heute noch –, so wurde ich durch die Verhältnisse gezwungen, zu den politischen Problemen Stellung zu nehmen, denn es konnte keiner, der damals in Deutschland war – ich hatte vor vielen Jahren ein schönes Land und ein reiches Volk verlassen, und bin in dieses Land nach sechs Jahren zurückgekehrt, um es von Grund auf verändert und aufgewühlt und in großer seelischer und materieller Not vorzufinden.


DR. SERVATIUS: Haben Sie sich einer Partei angeschlossen?


SAUCKEL: Nein, ich arbeitete in einer Fabrik, die man in meiner Heimatstadt als ultrarot bezeichnete. Ich arbeitete in der Werkzeugmacherei und rechts und links von mir arbeiteten – darunter auch mein jetziger Schwiegervater – Sozialdemokraten, Kommunisten, SPD-Leute, Anarchisten, und während der ganzen Zeit der Arbeitspausen gingen ja die Diskussionen, so daß man, ob man wollte oder nicht, in die sozialen Fragen jener Zeit hineingestellt wurde.


DR. SERVATIUS: Sie sprechen von Ihrem Schwiegervater. Haben Sie damals geheiratet?


SAUCKEL: Ich habe im Jahre 1923 geheiratet die Tochter eines deutschen Arbeiters, die ich damals kennenlernte und mit der ich heute noch glücklich verheiratet bin und zehn Kinder habe.


DR. SERVATIUS: Wann haben Sie sich der Partei angeschlossen?


[664] SAUCKEL: Ich habe mich endgültig der Partei angeschlossen im Jahre 1923, nachdem ich vorher schon lose mit ihr sympathisiert hatte.


DR. SERVATIUS: Was veranlaßte Sie dazu?


SAUCKEL: Ich hörte in jenen Tagen eine Rede Hitlers. In dieser Rede brachte er zum Ausdruck, der deutsche Fabrikarbeiter, der deutsche Handarbeiter, müßte sich mit dem geistigen deutschen Arbeiter zusammenfinden. Die Gegensätze proletarischer und bürgerlicher Natur müßten durch dieses Kennen- und Verstehenlernen ausgeglichen und überbrückt werden. Daraus würde sich ein neues Volk der Gemeinschaft entwickeln, und nur eine solche Gemeinschaft, überbürgerlich und überproletarisch, könnte die Nöte jener Zeit, die Zerrissenheit des deutschen Volkes in Parteien und Konfessionen überbrücken. Diese Darstellung hat mich so erfaßt, mich so bezwungen, daß ich dieser Idee eines Ausgleiches scheinbar unüberbrückbarer Gegensätze mein Leben geweiht habe. Ich habe das um so mehr getan, wenn ich das sagen darf, als mir bewußt war, daß deutsche Menschen und überhaupt deutsches Wesen zu Extremen neigten. Ich habe mich ja sehr auseinandersetzen müssen, persönlich den richtigen Weg zu finden. Ich hatte mich, wie ich schon sagte, kaum mit Politik befaßt. Ich bin von meinen braven Eltern, die heute nicht mehr leben, sehr streng christlich, aber auch sehr vaterländisch erzogen worden. Mein Leben aber, als ich zur See ging, ging weiter im Matrosenlogis. Ich habe in Chile Salpeter geladen und in Kanada, in Quebeck in schwerem Holz gearbeitet. Ich habe unter dem Äquator Kohlen getrimmt und bin des öfteren um das Kap Horn gefahren – alles schwere Arbeit. Ich bitte...


DR. SERVATIUS: Kommen Sie allmählich zu der Parteifrage zurück.


SAUCKEL: Ja, ich bin bei der Parteifrage, denn wir müssen ja alle irgendwie begründen, wie wir dahin gekommen sind. Ich habe aus der...


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Ich habe bei Beginn des Falles des Angeklagten gesagt, daß wir diese Darstellung schon vom Angeklagten Göring gehört haben und nicht im Sinne haben, es von den anderen 20 Angeklagten nochmals zu hören. Es scheint mir, daß wir dieselbe Geschichte von fast jedem Angeklagten anhören müssen.


DR. SERVATIUS: Ich glaube, Herr Präsident, es geht wohl doch darum, einen gewissen Eindruck von dem Angeklagten selbst zu bekommen. Die Tatsachen sehen ja von verschiedenen Gesichtspunkten anders aus. Ich werde jetzt kurz...


VORSITZENDER: Das ist ganz richtig, Dr. Servatius, aber wir hören dies nun fast seit einer halben Stunde.


[665] DR. SERVATIUS: Ich werde es jetzt beschränken.

Die Partei wurde 1923 aufgelöst und neu gegründet 1925. Sie sind wieder beigetreten?


SAUCKEL: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Sind Sie nun aktiv tätig gewesen in der Partei, oder waren Sie lediglich Mitglied?


SAUCKEL: Ich bin seit 1925 aktiv in der Partei tätig gewesen.


DR. SERVATIUS: Und was für eine Stellung hatten Sie?


SAUCKEL: Ich wurde damals Gaugeschäftsführer in Thüringen.


DR. SERVATIUS: Wurden Sie dies, um Arbeit zu bekommen, um in Verdienst zu kommen oder aus welchem Grunde?


SAUCKEL: Ich habe als Gaugeschäftsführer in Thüringen 150 Mark verdient. Ich hätte in jedem anderen Beruf unterkommen und mehr verdienen können.


DR. SERVATIUS: Wann lernten Sie Hitler kennen?


SAUCKEL: Ich lernte Hitler persönlich kennen, flüchtig, im Jahre 1925.


DR. SERVATIUS: Wann sind Sie Gauleiter geworden?


SAUCKEL: Ich bin Gauleiter geworden im Jahre 1927.


DR. SERVATIUS: Wie erfolgte Ihre Ernennung?


SAUCKEL: Meine Ernennung erfolgte brieflich.


DR. SERVATIUS: Haben Sie besondere Instruktionen bekommen, die sich auf geheime Absichten der Partei bezogen?


SAUCKEL: Wir wurden damals auf das strengste dahin erzogen, daß sich das Parteileben unter keinen Umständen in geheimen Kapiteln oder irgendwelchen Geheimnissen abspielen dürfe, sondern nur im öffentlichen Leben.


DR. SERVATIUS: Wer war Ihr Vorgänger?


SAUCKEL: Mein Vorgänger war Dr. Dinter.


DR. SERVATIUS: Warum wurde er abberufen?


SAUCKEL: Dr. Dinter wurde abberufen, weil er eine neue religiöse Bewegung innerhalb der Partei bilden wollte.


DR. SERVATIUS: Sie wurden 1929 Mitglied des Thüringischen Landtages.


SAUCKEL: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Wurden Sie dazu gewählt?


SAUCKEL: Ich wurde wie bei jeder parlamentarischen Wahl parlamentarisch in den Landtag gewählt.


[666] DR. SERVATIUS: Wurde damals bereits diktatorisch regiert?


SAUCKEL: Das war ja gar nicht möglich; es wurde nach der Thüringischen Landesverfassung regiert.


DR. SERVATIUS: Wie lange sind Sie Mitglied des Landtages gewesen?


SAUCKEL: Ich bin Mitglied des Landtages gewesen, solange er bestanden hat, bis zum Mai 1933.


DR. SERVATIUS: Wie wurde er aufgelöst?


SAUCKEL: Der Landtag wurde aufgelöst durch Gesetz der Reichsregierung.


DR. SERVATIUS: Nun waren Sie 1932 Mitglied der Landesregierung in Thüringen. Wie sind Sie zu dieser Stellung gekommen?


SAUCKEL: Es fanden im Jahre 1932 im Juni Neuwahlen zum Thüringer Landtag statt. Dort erhielt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei von 60 Sitzen 26 Sitze.


DR. SERVATIUS: Wurde damals bereits von einer Diktatur gesprochen, die anzustreben war?


SAUCKEL: Nein, es wurde auf parlamentarischer Grundlage eine Regierung gewählt.


DR. SERVATIUS: Nun hatten Sie doch die Mehrheit in der Thüringischen Regierung und konnten Ihren Einfluß geltend machen?


SAUCKEL: Es wurde mit den bürgerlichen Parteien mit absoluter Mehrheit eine nationalsozialistische Regierung gewählt.


DR. SERVATIUS: Was geschah mit den alten Beamten, wurden die entlassen?


SAUCKEL: Ich selbst wurde Vorsitzender und Innenminister der Regierung damals. Die alten Beamten wurden ausnahmslos in ihren Ämtern belassen.


DR. SERVATIUS: Womit befaßte sich nun die erste nationalsozialistische Regierung auf dem innenpolitischen Gebiet?


SAUCKEL: Es gab damals auf dem innenpolitischen Gebiet nur eine Frage, die Beseitigung einer unvorstellbaren, nur heute übertroffenen Not.


DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich darf hier im Zusammenhang zwei Regierungsberichte übergeben. Ich verweise kurz auf zwei Stellen. Die eine, der Bericht, Dokument 96, aus dem sich die Tätigkeit der Regierung ergibt: Bekämpfung der sozialen Nöte. Vor allem ist wesentlich, wenn man das Schriftstück überfliegt, das, was nicht darin steht, es ist nämlich keine Rede von Kriegsfragen und sonstigen Dingen, sondern immer wieder von der Beseitigung [667] der Not. Wesentlich sind ferner die Arbeiten, die ausgeführt wurden. Das ist im Dokument 97. In dem Buche hier auf Seite 45 sind die Arbeiten angegeben, mit denen sich die Regierung befaßte: Brückenbau, Straßenbau und sonstige Dinge, jedenfalls in keiner Weise irgendwie auf kriegerische Dinge gerichtet.

Dann überreiche ich aus der gleichen Zeit das Dokument 95, Das ist ein Buch, Kampfreden Sauckels; auch dieses Buch ist bemerkenswert durch das, was nicht darin steht. Nichts von kriegerischen Vorbereitungen, sondern Betonung der Not, die abgestellt werden soll. Es handelt sich um Reden, die über eine Reihe von Jahren gehalten worden sind und die gleichmäßig zeigen, um was der Angeklagte Sauckel sich gekümmert hat. Es fängt an 1932 mit einer Ansprache, die von Elend spricht, und endet mit Reden, in denen ebenfalls die Sorge um die Beseitigung der sozialen Not und um die Erhaltung des Friedens immer wiederkehrt. Das Gericht wird diese Artikel nachlesen können im Dokumentenbuch.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie sind 1933 nun auch Reichsstatthalter von Thüringen geworden. Wie kamen Sie zu diesem Amt?

SAUCKEL: Ich wurde von dem damaligen Reichspräsidenten, Feldmarschall von Hindenburg, zum Reichsstatthalter von Thüringen bestellt.

DR. SERVATIUS: Welche Anweisungen haben Sie damals bekommen bei Übernahme des Amtes?


SAUCKEL: Ich habe bei Übernahme des Amtes als Reichsstatthalter die Weisung bekommen, eine neue Thüringische Regierung zu bilden, da der Reichsstatthalter aus den Geschäften der Verwaltung eines deutschen Landes sich heraushalten sollte...


DR. SERVATIUS: Sie brauchen nicht diese technischen Einzelheiten zu erzählen, sondern ich meine, welchen politischen Auftrag haben Sie erhalten?


SAUCKEL: Ich habe den politischen Auftrag erhalten als Reichsstatthalter, Thüringen im Rahmen der Reichsgesetze und der geltenden Reichsverfassung zu betreuen und die Einheit des Reiches zu gewährleisten.


DR. SERVATIUS: War unter den Worten »Einheit des Reiches zu gewährleisten« eine Art Vergewaltigung anderer zu verstehen, insbesondere der Behörden Thüringens?


SAUCKEL: Nein, die Behörden haben ja weiter bestanden.


DR. SERVATIUS: Nun war in Ihrer Hand das Amt des Gauleiters und das des Reichsstatthalters vereinigt. Was hatte das für ein Ziel?


[668] SAUCKEL: Beide Ämter waren in ihren Apparaturen streng getrennt. Auf der Reichsstatthalterseite amtierten Beamte, und auf der Gauleiterseite waren Angestellte der Partei. Beide Ämter wurden streng getrennt voneinander geführt, wie es in jedem anderen Staat der Fall ist, wo Männer von Parteien zugleich Parteiämter innehaben oder Führer sind und diese Ämter auch gleichzeitig ausüben.


DR. SERVATIUS: Also einen Auftrag, das eine Amt durch das andere aufzusaugen, hatten Sie nicht bekommen?


SAUCKEL: Habe ich nicht bekommen. Die Aufgaben waren vollständig verschieden.


DR. SERVATIUS: Waren Sie SA-Mann?


SAUCKEL: Ich war niemals SA-Mann...


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie sprechen zu schnell für die Dolmetscher.


DR. SERVATIUS: Waren Sie SA-Mann?


SAUCKEL: Ich war selbst niemals SA-Mann. Ich war SA-Ehren-Obergruppenführer.


DR. SERVATIUS: Wie bekamen Sie dieses Amt?


SAUCKEL: Das kann ich nicht sagen, ich bekam es ehrenhalber.


DR. SERVATIUS: Sind Sie von Himmler zum SS-Obergruppenführer ernannt worden?


SAUCKEL: Nein, ich bin vom Führer ehrenhalber zum SS-Obergruppenführer ohne jeden Verdienst und ohne jede Funktion geworden.


DR. SERVATIUS: Waren Sie Mitglied des Reichstages?


SAUCKEL: Jawohl, von 1933 ab.


DR. SERVATIUS: Haben Sie als Reichstagsmitglied etwas über den Kriegsbeginn vorher erfahren; sind Sie unterrichtet worden?


SAUCKEL: Ich bin über den Kriegsbeginn, über außenpolitische Entwicklungen vorher niemals unterrichtet worden. Ich erinnere mich lediglich, daß wir plötzlich – es mag in den Tagen zwischen dem 24. August und Ende August gewesen sein – zu einer Reichstagssitzung nach Berlin berufen wurden. Diese Reichstagssitzung wurde damals abgesagt, und wir wurden danach zum Führer bestellt, Gauleiter und Reichsleiter. Es war aber eine Anzahl wohl schon abgereist, so daß der Kreis nicht vollständig war. Die Unterredung oder die Ansprache Hitlers hat nur kurze Zeit gedauert Er sagte etwa, die Reichstagssitzung könne nicht stattfinden, da die Dinge noch in der Entwicklung seien. Er sei überzeugt, daß es zu keinem Kriege käme. Er hoffe auf die kleine Lösung und verstand, [669] so wie ich ihn verstehen mußte, darunter eine Lösung ohne die 1921 verlorenen Teile von Oberschlesien. Er sagte, dessen erinnere ich mich genau, Danzig würde deutsch werden, und außerdem würde Deutschland eine mehrgleisige Eisenbahnlinie sowie eine reichsautobahnähnliche Straße mit Geländestreifen rechts und links bekommen. Wir sollten nach Hause fahren und den Reichsparteitag vorbereiten, auf dem er uns wiedersehen wolle.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie enge Beziehungen zum Führer?


SAUCKEL: Ich habe persönlich, soweit ich den Führer kannte, ihn sehr verehrt. Ich habe aber keine näheren persönlichen Beziehungen zu ihm gehabt, die man als persönlich bezeichnen kann. Ich hatte mit ihm eine Anzahl Unterredungen, die sich auf die Führung meines Gaues, insbesondere auf die Förderung der thüringischen Kulturstätten in Weimar, Eisenach und in Meiningen bezogen, die er förderte, und später häufigere Zusammenkünfte wegen meines Amtes als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz.


DR. SERVATIUS: Darauf können wir später kommen. Was waren Ihre Verbindungen zu den Reichsleitern?


SAUCKEL: Die Verbindungen zu den Reichsleitern, die waren nicht anders als wie zum Führer, dienstliche, parteilicher Art. Persönlich nähergestanden... ich kann nicht sagen, daß ich irgendeinen persönlichen Verkehr gepflogen habe.


DR. SERVATIUS: Ihre Verbindung mit den Reichsministern, wie stand es damit?


SAUCKEL: Meine Verbindung zu den Reichsministern war rein dienstlicher Natur und sehr selten.


DR. SERVATIUS: Zur Wehrmacht?


SAUCKEL: Ich habe nicht die Ehre gehabt, deutscher Soldat sein zu können infolge meiner Gefangenschaft im ersten Weltkrieg. Und in diesem Weltkrieg hat es mir der Führer verweigert, meine Pflicht als Soldat tun zu können.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben nun eine Reihe von Stellungen und Ämtern gehabt. Sie kennen die Reichsminister und Reichsleiter. Erklären Sie doch einmal, warum Sie nun damals in das U-Boot gestiegen sind.


SAUCKEL: Ich hatte den Führer verschiedentlich schriftlich gebeten, mich bei der Wehrmacht melden zu dürfen, um einmal in einen Dienstgrad als einfacher Soldat eintreten zu können. Er hat mir dies verweigert. Ich habe dann heimlich meine Vertretung geregelt und bin auf das U-Boot des Kapitäns Salmann, mit dessem Einverständnis. Denn ich wollte als ehemaliger Seemann und nun in hoher Stellung befindlicher Politiker diesen braven U-Bootmännern einen Beweis meiner Kameradschaft und meines [670] Verständnisses und meiner Pflicht geben. Außerdem hatte ich zehn Kinder, für die ich als Vater ja auch mich einzusetzen hatte.


DR. SERVATIUS: Ich möchte nun in einer Reihe von Fragen zu Ihren Tätigkeiten sprechen. Haben Sie einer Gewerkschaft angehört?


SAUCKEL: Nein.


DR. SERVATIUS: Kennen Sie die Ziele der deutschen Gewerkschaften?


SAUCKEL: Jawohl, die kenne ich.


DR. SERVATIUS: Waren das wirtschaftliche oder politische?


SAUCKEL: Die Ziele der deutschen Gewerkschaften waren, so wie ich sie als Arbeiter kennengelernt habe, politische Ziele. Und es gab eine Reihe verschiedener Gewerkschaften, die verschieden politisch orientiert waren. Und das habe ich als ein großes Unglück angesehen. Ich habe erlebt in der Werkstatt als Arbeiter die Auseinandersetzung unter den Gewerkschaften zwischen den christlich-sozialen Gewerkschaften und den roten Gewerkschaften, zwischen den syndikalistischen, anarchistischen Gewerkschaften und den kommunistischen Gewerkschaften.


DR. SERVATIUS: Nun sind in Ihrem Gau die Gewerkschaften aufgelöst worden. Sind die Gewerkschaftsführer damals verhaftet worden?


SAUCKEL: Nein.


DR. SERVATIUS: Haben Sie die Auflösung der Gewerkschaften gebilligt?


SAUCKEL: Die Auflösung der Gewerkschaften damals lag in der Luft, Diese Frage ist auch in der Partei eine lange Zeit diskutiert worden, und man war sich über die Stellung und über die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Art der Gewerkschaften durchaus nicht einig. Aber es mußte eine Lösung gefunden werden deshalb, weil ja die Gewerkschaften, die wir auflösten oder die der Führer oder Dr. Ley auflöste, politisch verschieden orientiert waren. Es gab aber von da ab ja nur noch eine Partei in Deutschland, und es war notwendig, die nun eigentlichen Aufgaben der Gewerkschaften, ihre notwendigen Aufgaben, die für jeden Beruf und für jedes Arbeitertum unentbehrlich notwendig sind – als solche erkenne ich sie voll an –, einer eindeutigen Lösung zuzuführen.


DR. SERVATIUS: War der Zweck der Auflösung der Gewerkschaften nicht, die Widersacher zu beseitigen, die sich einem Angriffskrieg entgegenstellen wollten?


SAUCKEL: Ich kann aus vollstem Gewissen sagen, daß sich in jenen Jahren niemand von uns irgendwie mit dem Gedanken eines [671] Krieges befaßt hat. Wir hatten so große Nöte zu beseitigen, daß wir nur glücklich sein konnten, wenn im Frieden ein deutsches Wirtschaftsleben wieder in Gang gebracht werden konnte und der deutsche Arbeiter, der ja der Leidtragende in dieser furchtbaren Depression im höchsten Maße war, wieder zu Arbeit und Brot kam.


DR. SERVATIUS: Haben die Mitglieder der Gewerkschaften durch die Auflösung wirtschaftlichen Schaden erlitten?


SAUCKEL: In keiner Weise. Mein eigener Schwiegervater, der ja Gewerkschaftler war, es heute noch ist, bei dem ich mich immer wieder erkundigt habe, den ich nie überredet habe, in die Partei einzutreten – er war Sozialdemokrat – er ist auch nicht in die Partei eingetreten, aber er hat mir bestätigt, auch als er alt wurde und nicht mehr arbeitsfähig war, daß die Deutsche Arbeitsfront auf der einen Seite alle Verpflichtungen, die ihm als alten Gewerkschaftler auf Grund seiner langjährigen Gewerkschaftszugehörigkeit zustanden, nicht vorenthalten, sondern in vollem Maße zugute kommen ließ. Auf der anderen Seite hat der deutsche Staat, da ja in Deutschland die Alters-, Invalidenversicherung, Unfallversicherung und so weiter vom Staat getragen wurden und organisiert sind, der nationalsozialistische Staat ihm diese Rechte voll garantiert und ausbezahlt.


DR. SERVATIUS: In Ihrem Gau sind doch alle Kommunisten festgenommen worden, nachdem die Partei die Macht erlangt hatte?


SAUCKEL: Nein, in meinem Gau sind meines Wissens nur die Kommunisten festgenommen worden, die aktiv gegen den Staat gearbeitet haben.


DR. SERVATIUS: Und was geschah mit diesen?


SAUCKEL: Sie wurden von der Staatspolizei verhaftet, verhört und je nach Befund festgehalten.


DR. SERVATIUS: Haben Sie in Ihrem Gau Kreisleiter gehabt, die einer früheren gegnerischen Partei angehört haben?


SAUCKEL: Die Tätigkeit der Partei war eine werbende. Unsere intensivste Werbung war ja die Werbung politischer Gegner. Ich bin sehr stolz, daß in meinem Gau sehr viele Arbeiter, zahlreiche ehemalige Kommunisten und Sozialdemokraten Ortsgruppenführer und Parteifunktionäre geworden sind und gewonnen werden konnten.


DR. SERVATIUS: Aber sind nicht zwei Kreisleiter von der extremen Linken von Ihnen eingesetzt worden?


SAUCKEL: Es ist ein Kreisleiter von der extremen Linken eingesetzt worden. Ebenso war, neben einer ganzen Anzahl anderer Führer, der Gaubetriebsobmann der DAF ein langjähriger Angehöriger äußerst linksstehender Richtungen.


[672] DR. SERVATIUS: Wie sind Sie nun persönlich mit Ihren politischen Gegnern verfahren?


SAUCKEL: Die politischen Gegner, die nicht gegen den Staat gearbeitet haben, sind in meinem Gau weder behelligt noch beeinträchtigt worden.


DR. SERVATIUS: Kennen Sie den sozialistischen Abgeordneten Fröhlich?


SAUCKEL: Der sozialistische Abgeordnete August Fröhlich war mein stärkster und konsequentester Gegner. Er war Führer der thüringischen Sozialdemokraten und langjähriger sozialdemokratischer Ministerpräsident des Landes Thüringen. Ich habe ihn als Gegner sehr geachtet. Er war ehrenhaft und bieder. Ich habe ihn am 20. Juli 1944 durch meine persönliche Initiative aus seiner Haft entlassen lassen, weil er auf der Liste der Verschwörer des 20. Juli gestanden hat, ich achtete ihn aber persönlich so, daß ich trotzdem um seine Freilassung gebeten habe und dieselbe auch erreichte.


DR. SERVATIUS: Sind Sie mit anderen Gegnern in gleicher Weise verfahren?


SAUCKEL: Ich habe einen mir bekannten Zentrumspolitiker meiner Heimatstadt Schweinfurt ebenso aus der Haft entlassen lassen.


DR. SERVATIUS: In Ihrem Gaubereich lag das Konzentrationslager Buchenwald. War das von Ihnen angelegt worden?


SAUCKEL: Dieses Lager Buchenwald ist auf folgende Weise entstanden: Der Führer, der des Weimarer Theaters wegen des öfteren nach Weimar gekommen war, hatte angeregt, ein Bataillon der Leibstandarte nach Weimar legen zu lassen. Da die Leibstandarte ja als ein Eliteregiment angesehen wurde, war ich damit nicht nur einverstanden, sondern erfreut, denn in einer solchen Stadt wie Weimar freut man sich, wenn man eine Garnison bekommt. Es wurde dann vom Lande Thüringen, von der Thüringischen Regierung, auf Bitte des Führers ein Gelände in dem Ettersburger Wald nördlich der Abhänge, abgelegen von der Stadt, bereitgestellt.

Nach einiger Zeit ließ mich allerdings Himmler wissen, daß er nicht ein Bataillon der Leibstandarte nach Weimar bringen könne, da er dieses Regiment nicht teilen könne, sondern einen neuaufgestellten Totenkopfverband, und Himmler sagte, das sei dasselbe. Erst wieder eine Weile später erklärte Himmler, als das Gelände schon dem Reich eingeräumt war, er müsse nun in diesem sehr geeigneten Gelände eine Art Konzentrationslager mit diesen Totenkopfverbänden zusammen unterbringen. Ich widersprach dem zunächst, weil ich überhaupt ein Konzentrationslager für die Stadt Weimar [673] und ihre Tradition nicht für gegeben hielt. Er hat aber, ich meine Himmler, jede Diskussion auf Berufung seiner Stellung abgelehnt, und so ist dort weder zur Freude von mir noch der Weimarer Bevölkerung dieses Lager entstanden.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie nun später mit der Verwaltung des Lagers etwas zu tun?


SAUCKEL: Ich habe mit der Verwaltung dieses Lagers nie etwas zu tun gehabt. Die Thüringische Regierung versuchte damals, auf die baulichen Pläne einen Einfluß zu gewinnen in der Weise, daß die thüringische Baupolizei die hygienischen Anlagen dieses Lagers vorschreiben wollte. Das ist von Himmler unter seiner Berufung, daß er ein eigenes Bauamt hätte und dieses Gelände nun Reichsgelände sei, abgelehnt worden.


DR. SERVATIUS: Haben Sie das Lager einmal besucht?

SAUCKEL: Ich habe dieses Lager ein einziges Mal, nach meiner Erinnerung Ende 1937 oder Anfang 1938, mit einer italienischen Kommission besucht und besichtigt.


DR. SERVATIUS: Haben Sie dort Mißstände festgestellt?


SAUCKEL: Ich habe dort keine Mißstände festgestellt. Ich habe die Unterkünfte angesehen. Ich bin selbst ja fünf Jahre in Gefangenschaft gewesen und war deshalb interessiert. Ich muß gestehen, daß zur damaligen Zeit zu Anständen an sich kein Grund vorlag. Es waren die Unterkunftsräume in Tages- und Nachträume geteilt. Die Betten hatten blauweiß überzogene Wäsche. Die Küchen, Waschanlagen, Abortanlagen waren einwandfrei, so daß der italienische Offizier oder die Offiziere, die es mit besichtigten, sagten, daß sie in Italien ihre eigenen Soldaten nicht besser unterbringen könnten.


DR. SERVATIUS: Haben Sie nun später von den Vorgängen in diesem Lager erfahren, die hier vorgebracht worden sind?


SAUCKEL: Ich habe von diesen Vorgängen, wie sie hier vorgetragen worden sind, nichts erfahren.


DR. SERVATIUS: Haben Sie etwas mit der Räumung des Lagers am Ende des Krieges zu tun gehabt, bevor die amerikanische Armee einrückte?


SAUCKEL: Ich habe, als mir der Oberbürgermeister von Weimar mitteilte, daß beabsichtigt sei, die Evakuierung des Lagers. Buchenwald durchzuführen, und die Wachen dieses Lagers zum Kampf gegen die amerikanischen Truppen mit einzusetzen, das auf das schärfste abgelehnt. Da ich keinerlei Befehlsgewalt über dieses Lager hatte, mit Himmler aus verschiedenen Gründen meines anderen Amtes erhebliche Differenzen hatte und mit ihm nicht reden wollte, habe ich in Berlin die Führerwohnung angerufen und [674] darum gebeten, daß unter allen Umständen eine Evakuierung oder ein Rückmarsch von Gefangenen in das Gebiet östlich der Saale unmöglich, Unsinn, verpflegungsmäßig nicht durchführbar sei und habe verlangt, daß dieses Lager ordnungsgemäß den amerikanischen Besatzungstruppen übergeben werden müsse. Ich habe die Antwort erhalten, daß der Führer Himmler anweisen würde, diesem meinem Wunsch zu entsprechen. Ich habe dann kurz einigen meiner Mitarbeiter und dem Oberbürgermeister dies mitgeteilt und habe dann Weimar verlassen.


DR. SERVATIUS: Der Zeuge Dr. Blaha hat ausgesagt, Sie wären auch in dem Konzentrationslager Dachau gewesen, gelegentlich einer Besichtigung.


SAUCKEL: Nein, ich bin nicht im Konzentrationslager Dachau gewesen. Ich habe auch, nach meiner Erinnerung, nicht an dem Gauleiterbesuch 1935 in Dachau teilgenommen. Ich habe unter keinen Umständen an einer Besichtigung in Dachau teilgenommen, wie sie Dr. Blaha hier geschildert hat und habe infolgedessen vor allem keine Werkstätten oder sonst dergleichen besichtigt.


DR. SERVATIUS: Bekamen Sie als Gauleiter dann keine dienstlichen Meldungen über die Vorgänge in den Konzentrationslagern, das heißt die Befehle über die Gauleitung, die nach oben gingen und umgekehrt, die von oben kamen und an das Lager gingen?


SAUCKEL: Nein, ich bekam über und für das Lager Buchenwald weder eine Anweisungsberechtigung noch Berichte. Das war nicht nur meine persönliche Einstellung, sondern die Einstellung erfahrener, alter Gauleiter, daß es das größte Unglück verwaltungsmäßig bedeuten mußte, als Himmler schon im Jahre 1934/1935 dazu überging, die Exekutive von der allgemeinen, inneren Verwaltung zu trennen. Es haben hierüber ständige Beschwerden vieler Gauleiter und deutscher Länderverwaltungen stattgefunden. Sie waren erfolglos; denn zuletzt hat ja Himmler sogar die Gemeindefeuerwehren dem Reichsinstanzenzug seiner Polizei eingegliedert.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie nun in Weimar persönliche Beziehungen zur Polizei und zur SS?


SAUCKEL: Ich hatte persönliche Beziehungen zur SS und zur Polizei in keiner Weise. Ich hatte dienstliche Beziehungen insoweit, als Gewerbepolizei und die Gemeindepolizei der kleinen Gemeinden noch in der Verwaltung, der inneren Verwaltung, des Landes Thüringen geblieben waren.


DR. SERVATIUS: Hatte denn die Polizei nicht ihren Hauptsitz in Weimar in Ihrer Nähe?


SAUCKEL: Nein, das war ja das unsinnige der damaligen Entwicklung, daß wir, wie ich es dem Führer gegenüber einmal [675] ausgeführt habe, von einem Parteien- und von einem Länder-Staat in einen Ressort-Staat übergewechselt waren. Die Reichsministerien hatten sich sehr stark entwickelt, ihre Ressortgrenzen ziemlich voneinander abgeschnitten, und die einzelnen, gebietlichen Ressorts der verschiedenen Verwaltungen stimmten nicht überein. Bis 1934 hat Thüringen in seinem Innenministerium eine eigene, selbständige Polizeiverwaltung gehabt. Ab dieser Zeit ging der Sitz des Höheren SS- und Polizeiführers nach Kassel über, so daß auch Himmler, im Gegensatz zur übrigen staatlichen Organisation und zur übrigen Parteiorganisation, neue Gebiete für seine Polizei schuf, indem er das in Mitteldeutschland dadurch zum Ausdruck brachte, daß beispielsweise der Höhere SS- und Polizeiführer für Weimar und für das Land Thüringen in Kassel saß, für den preußischen Teil des Gaues Thüringen, also für die Stadt Erfurt, die 20 Kilometer von Weimar weg liegt, daß der Höhere SS- und Polizeiführer und die Provinzialverwaltung in Magdeburg saß. Daß wir mit einer solchen Entwicklung als Gauinstanzen in keiner Weise einverstanden waren und daß hieraus bei erfahrenen Verwaltungsleuten großer Unwille herrschte, ist auf der Hand liegend.


DR. SERVATIUS: Die Frage ist die, ob Sie mit diesen Stellen nun zusammengearbeitet haben, und ob Sie mit den zuständigen Beamten in regem Freundschaftsverkehr standen und infolgedessen wissen mußten, was in Buchenwald vor sich ging.


SAUCKEL: Im Gegenteil, es war ein ständiger Kampf. Es war eine gegenseitige Abschließung der einzelnen Organisationen, in einer solchen Zeit einer Weltentwicklung höchst unglücklich und für ein Volk unvorteilhaft und für eine Verwaltung unmöglich.


DR. SERVATIUS: Haben in Ihrem Gau Judenverfolgungen stattgefunden?


SAUCKEL: Nein.


DR. SERVATIUS: Wie ist es denn mit den Judengesetzen gewesen und mit ihrer Durchführung?


SAUCKEL: Die Judengesetze wurden in Nürnberg verkündet. An sich gab es in Thüringen sehr wenig Juden.


DR. SERVATIUS: Sind keine Übergriffe vorgekommen im Zusammenhang mit den bekannten Vorfällen, die hier wiederholt zum Gegenstand der Debatte geworden sind, im Anschluß an die Ermordung des Botschaftsrats vom Rath in Paris?


SAUCKEL: Die Vorkommnisse in Thüringen sind mir im einzelnen nicht in Erinnerung. Ich sagte schon, es hat in Thüringen nur wenig Juden gegeben. Die Gauleiter waren damals in München und hatten auf diese Entwicklung ja gar keinen Einnuß, denn das geschah ja in der Nacht, als die Gauleiter alle in München waren.


[676] DR. SERVATIUS: Die Frage ist die, was ist bei Ihnen im Gau Thüringen geschehen, und was haben Sie darauf veranlaßt?


SAUCKEL: In Thüringen mag in einigen Orten eine Fensterscheibe oder sonst dergleichen eingeworfen worden sein. Ich kann das im einzelnen nicht sagen, ich kann Ihnen nicht einmal sagen, wo und ob es in Thüringen Synagogen gegeben hat.


DR. SERVATIUS: Zu Ihren Vermögensverhältnissen eine Frage. Sie haben vom Führer zu Ihrem 50. Geburtstag eine Dotation bekommen. In welcher Höhe?


SAUCKEL: Ich habe zu meinem 50. Geburtstag, im Oktober 1944, überraschenderweise durch einen Adjutanten des Führers einen Brief des Führers bekommen. In diesem Brief lag ein Scheck in Höhe von 250000 Reichsmark. Ich habe dem Adjutanten gesagt, daß ich dies unmöglich annehmen könnte, weil ich sehr überrascht sei, und der Adjutant des Führers – es war der kleine Bormann, der alte Bormann, also nicht der Reichsleiter Bormann – sagte mir, der Führer wüßte genau, daß ich weder ein Vermögen noch irgendwelchen Grundbesitz hätte, und es wäre dies ein Rückhalt für meine Kinder; ich möchte den Führer nicht kränken. Ich habe, als dieser Adjutant sehr schnell weg war, einen meiner Mitarbeiter und Freunde, den thüringischen Staatsbankpräsidenten Demme, zu mir gebeten Er ist leider als Zeuge als unerheblich abgelehnt worden...


VORSITZENDER: Ich glaube, es genügt zu wissen, ob er das Geld schließlich angenommen hat oder nicht.


DR. SERVATIUS: Lassen wir diese Frage. Wo ist das Geld geblieben?


SAUCKEL: Ich habe dieses Geld durch diesen Staatsbankpräsidenten auf ein Sperrkonto in der Thüringer Staatsbank gebracht.


DR. SERVATIUS: Was hatten Sie sonst für Einnahmen aus Ihren Ämtern?


SAUCKEL: Ich hatte aus meinen Ämtern nur die Einnahme des Gehaltes eines Reichsstatthalters.


DR. SERVATIUS: Wie hoch ist das?


SAUCKEL: Das Gehalt eines Reichsministers, ich kann es Ihnen nicht genau sagen, ich habe mich darum nicht gekümmert, war ungefähr 30000 Mark.


DR. SERVATIUS: Und welches Vermögen besitzen Sie heute außer dieser Dotation auf diesem Sperrkonto?


SAUCKEL: Ich habe keinerlei Vermögen gespart und keinerlei Vermögen besessen.


[677] DR. SERVATIUS: Damit wäre ich am Ende dieser allgemeinen Fragen und würde jetzt zu den Fragen über den Arbeitseinsatz kommen.


VORSITZENDER: Wir werden jetzt die Sitzung unterbrechen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. SERVATIUS: Ich habe zur Hilfe des Gerichts einen Plan angefertigt über die Lenkung des Arbeitseinsatzes, der helfen soll zu verstehen, wie die einzelnen Behörden miteinander arbeiteten und wie der Einsatz in Bewegung geraten ist.

Ich werde mich hauptsächlich mit der Frage der Deckung der Anforderung befassen, also mit der Frage, wie die Arbeitskräfte beschafft wurden. Mit der Frage der Verwendung und mit dem Bedarf der Industrie werde ich mich nur wenig befassen. Dies ist mehr Sache der Verteidigung Speers, die nicht ganz mit meinen Darstellungen einverstanden ist. Es sind aber Kleinigkeiten, die mir irrtümlich unterlaufen sind, weil ich diesen Vorgang zur Zeit, wie der Plan hergestellt wurde, nicht so genau verfolgt habe. Aber im Grunde bestehen keine Differenzen.

Wenn ich den Plan kurz erläutern kann:

Oben der Führer in rot gezeichnet, darunter der Vierjahresplan und unter ihm als Teil des Vierjahresplanes die Dienststelle Sauckels, des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, als unmittelbar unterstellt dem Vierjahresplan. Er bekommt seine Anordnungen und Befehle vom Führer über den Vierjahresplan oder nach der Art des Führers auch unmittelbar.

Sauckels Dienststelle ist das Reichsarbeitsministerium. Es ist links unterhalb des braun gezeichneten Büros von Sauckel, dieser gelb umrandete große Komplex. Es ist so, daß Sauckel dort nur eingeschachtelt worden ist in das Reichsarbeitsministerium, in dem ihm einige Stellen zur Verfügung gestellt wurden. Der Reichsarbeitsminister blieb bestehen und überhaupt das ganze Arbeitsministerium.

Im Laufe der Zeit ist die Stellung Sauckels etwas stärker geworden. Indem ihm einzelne Abteilungen zwangsläufig noch angegliedert wurden, bekam er auch zum Teil personelle Befugnisse. Aber das Reichsarbeitsministerium ist bis zum Schluß bestehen geblieben.

Ich möchte jetzt erklären, wie der Arbeitseinsatz in Betrieb kam. Durch den Einsatz in Rußland und die großen Verluste im Winter entstand ein Bedarf von zwei Millionen Soldaten. Die grün eingezeichnete Wehrmacht, oben neben dem Führer eingezeichnet, OKW, verlangt Soldaten aus den Betrieben; es ist hier eingezeichnet in den grünen Feldern, die unter dem OKW nach unten laufen. Die Linie führt dann links unten zu den Betrieben, die mit dreißig [678] Millionen Arbeitern eingezeichnet sind. Die Wehrmacht zieht zwei Millionen Arbeiter heraus, kann das aber erst, nachdem neue Kräfte dort sind. Das war der Moment, wo Sauckel eingeschaltet wurde, um diese Kräfte zu beschaffen.

Die Höhe des Bedarfs wurde festgestellt in den oberen Instanzen durch die sogenannten Bedarfsträ ger, die oben wieder in gelb gezeichnet sind, das sind die höchsten Stellen, Rüstungs- und Munitionsministerium, Luftfahrt, Landwirtschaft, Seeschiffahrt, Verkehr und so weiter. Diese melden nun ihre Forderungen an den Führer, und er bestimmt, was nun benötigt wird.

Der Auftrag Sauckels wird folgendermaßen ausgeführt: Wir gehen zurück zu dem braunen Kasten. Er wendet sich kraft des Weisungsrechts des Vierjahresplanes an das Feld nach rechts, wo die blau umrandeten Kasten sind. Es sind die höchsten Gebietsstellen in den besetzten Gebieten, Reichsministerium für die Ostgebiete, also Rosenberg, dann kommen die militärischen Dienststellen, und da es in jedem Land etwas anders gehandhabt worden ist, sind hier die verschiedenen Länder, Belgien, Nordfrankreich, Holland und so fort gelb eingezeichnet. Diese Stellen erhalten den Befehl, Arbeitskräfte bereitzustellen, geben ihn in ihrem eigenen Apparat weiter nach unten bis zur letzten Stelle, den örtlichen Arbeitsämtern, die den jeweiligen Gebietsführern unterstehen und hier fließen nun die Arbeitskräfte in die Betriebe. Das ist das Ausländerreservoir. Daneben stehen noch zwei Arbeitsquellen zur Verfügung, das ist das Hauptreservoir an deutschen Arbeitskräften, das blau eingezeichnet ist links unten und das Reservoir der Kriegsgefangenen.

Mit diesen drei Stellen hat Sauckel sich zu befassen. Ich werde nun die entsprechenden Fragen an den Zeugen richten. Es ist bloß zur Auffrischung des Gedächtnisses und zur Kontrolle des Vortrags.

Die anderen Karten werde ich später vorbringen; es handelt sich um, eine Aufstellung der Zeugen bei der Dienststelle, damit man weiß, wo man die einzelnen hinzutun hat, und dann um eine weitere Karte über die Inspektionen und Kontrollen, die eingesetzt waren.


VORSITZENDER: Dr. Servatius! Sie werden ohne Zweifel den Zeugen fragen, ob er die Karte kennt und ob sie richtig ist?


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie haben diese Karte gesehen. Ist sie in Ordnung, und erkennen Sie sie an?


SAUCKEL: Sie ist nach meiner Überzeugung und nach meiner Erinnerung in Ordnung, und ich erkenne sie an.


DR. SERVATIUS: Sie wurden am 21. März 1942 zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt. Warum wurden Sie für dieses Amt ausgewählt?


[679] SAUCKEL: Der Grund, weshalb ich für dieses Amt ausgewählt wurde, war mir nie bekannt und ist mir auch nicht bekannt. Ich habe lediglich auf Grund meiner Ingenieurstudien und meiner Tätigkeit mich mit Fragen von Arbeitssystemen befaßt; aber ob das der Grund gewesen ist, weiß ich nicht.


DR. SERVATIUS: Ist Ihre Ernennung nicht auf Vorschlag von Speer erfolgt?


SAUCKEL: Das hat der Reichsleiter Bormann in seinem Bekanntmachungserlaß als Präambel veröffentlicht. Die Zusammenhänge selbst kenne ich nicht.


DR. SERVATIUS: Ich verweise da auf Dokument Sauckel Nummer 7. Es ist im Dokumentenbuch I, Seite 5.


SAUCKEL: Ich möchte noch sagen, daß dieser Auftrag für mich völlig überraschend gekommen ist, daß ich mich nicht darum irgendwie beworben habe, mich überhaupt um keines meiner Ämter jemals irgendwie beworben habe.


VORSITZENDER: Welche Nummer geben Sie dem Dokument?


DR. SERVATIUS: Dokument Nummer 7, im Dokumentenbuch...


VORSITZENDER: Ich meine die Karte. Welche Nummer wollen Sie der Karte geben?


DR. SERVATIUS: Dokument 1.


VORSITZENDER: Ja, ich verstehe. Und Dokument Nummer 7, Seite 5.


DR. SERVATIUS: Jawohl. Dieses Dokument ist die Präambel zu dem Erlaß, die von dem Reichsleiter Bormann hinzugesetzt worden ist und aus der es sich ergibt, daß Speer es war, der Sauckel zu diesem Amt vorgeschlagen hat.

War das ein völlig neues Amt, das Sie dort antraten?


SAUCKEL: Nein, der Arbeitseinsatz ist schon vor meiner Berufung im Vierjahresplan gesteuert worden. Es war damals ein Ministerialdirektor, Dr. Mansfeld, der in diesem Amt tätig war. Daß schon vor mir dieses Amt als das eines Generalbevollmächtigten gekennzeichnet war, ist mir erst hier bekanntgeworden in der Verhandlung selbst.


DR. SERVATIUS: Haben Sie bei Dienstantritt mit Dr. Mansfeld, also mit Ihrem sogenannten Vorgänger, gesprochen?


SAUCKEL: Ich habe Dr. Mansfeld nicht gesehen und nicht gesprochen, auch von ihm keinerlei Unterlagen überwiesen bekommen.


DR. SERVATIUS: Inwiefern war Ihre Dienststellung anders als die des bisherigen Generalbevollmächtigten?


[680] SAUCKEL: Meine Dienststellung war insofern anders, als die Abteilung im Vierjahresplan aufgelöst und von mir nicht mehr verwendet wurde. Ich habe Abteilungen des Reichsarbeitsministeriums, weil dort sehr hervorragende Fachleute saßen, näher und enger in diese Arbeit hineingezogen.


DR. SERVATIUS: Was war die Veranlassung zu dieser Neugestaltung dieses Amtes?


SAUCKEL: Die Veranlassung zu der Neugestaltung dieses Amtes waren die vielen Interessengegensätze, die sich bis zum dritten Kriegsjahr sehr ausgeprägt hatten, in dem politische, staatliche, innerverwaltungsmäßige Instanzen, Parteiinstanzen und wirtschaftliche Instanzen, dem nunmehr brennend werdenden überbezirklichen Ausgleich des Arbeitspotentials aus ihren gebietlichen Bücksichten Widerstand entgegensetzen.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wenn Sie sich bemühen wollen, etwas kürzere Sätze zu bilden, ich glaube, die Dolmetscher wären Ihnen dankbar.

Was für Aufgaben hatten Sie nun, was für ein Arbeitsgebiet?


SAUCKEL: Ich hatte als Hauptarbeitsgebiet die Lenkung und Steuerung der deutschen Arbeitskräfte.


DR. SERVATIUS: Welchen Auftrag erhielten Sie nun?


SAUCKEL: Ich erhielt den Auftrag, die Arbeitskräfte, die durch Einberufungen zur deutschen Wehrmacht, das heißt zu den Wehrmachtsteilen, aus der Wirtschaft freigegeben werden mußten, geeignet fachlich und so weiter zu ersetzen. Weiter war damit verbunden die Erfassung neuer Arbeitskräfte für neu zusammengesetzte kriegswirtschaftliche Industrien auf dem Gebiet der Nahrungsmittelindustrie, ebenso wie selbstverständlich der Rüstung und Waffenfertigung.


DR. SERVATIUS: War Ihr Auftrag fest umrissen?


SAUCKEL: Der Auftrag war zunächst in keiner Weise fest umrissen. Es waren damals zu steuern etwa 23 bis 24 Millionen im Reich zunächst vorhandener, auf die Kriegswirtschaft aber noch nicht vollkommen ausgerichteter Arbeitskräfte.


DR. SERVATIUS: Wie faßten Sie Ihren Auftrag auf, als einen Dauerauftrag?


SAUCKEL: Nein. Ich konnte diesen Auftrag ja nicht als einen Dauerauftrag auffassen.


DR. SERVATIUS: Warum nicht?


SAUCKEL: Es war ja außer mir im Amt und an der Spitze der Reichsarbeitsminister mit seinen Staatssekretären und das gesamte Arbeitsministerium, das ja ein Ganzes gewesen ist.


[681] DR. SERVATIUS: Welche Quellen standen Ihnen nun zur Verfügung, um diese Arbeitskräfte zu beschaffen?


SAUCKEL: Zunächst standen mir zur Verfügung die im Reich vorhandenen Arbeitskräfte aus den verschiedensten Berufen, die, wie ich schon andeutete, noch nicht kriegswirtschaftlich ausgerichtet waren, noch nicht vollkommen in der für die Kriegführung notwendigen Weise eingegliedert waren. Dann weiter die Arbeitskräfte, soweit sie von den Heeresstellen für Kriegsgefangene zur Verfügung gestellt wurden für den Einsatz.


DR. SERVATIUS: Also zunächst, wenn ich Sie richtig verstanden habe, eine richtige Verteilung, eine sparsame Bewirtschaftung der deutschen Arbeitskräfte?


SAUCKEL: Ich habe, als ich meinen Auftrag...


VORSITZENDER: Angeklagter! Ich verstehe die deutsche Sprache nicht, aber ich glaube, daß Ihre Sätze kürzer wären, wenn Sie nicht nach jedem Wort eine Pause machen würden. Am Ende des Satzes sollten Sie dann eine Pause machen. Es wäre leichter für die Dolmetscher. Ich weiß nicht, ob ich recht habe, aber es scheint mir so. Sie machen nach jedem Wort eine Pause, und das macht es, denke ich, sehr schwer, den Sinn des Satzes zu verstehen.


SAUCKEL: Ich bitte sehr um Entschuldigung, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Servatius.


DR. SERVATIUS: Was veranlaßte Sie nun zur Erfüllung Ihres Auftrages?


SAUCKEL: Ich darf wiederholen. Ich faßte zunächst, da ich keine Direktiven besonderer Art bekommen hatte, meine Aufgabe dahingehend auf, durch rationellsten, wirtschaftlich-ökonomisch richtigen und sinnvollen Einsatz die fehlenden Lücken und Mängel auszugleichen.


DR. SERVATIUS: Was war Ihr Auftrag? Wie viele Leute sollten Sie bringen?


SAUCKEL: Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten, denn ich habe die entsprechenden Aufträge erst im Laufe der Kriegsentwicklung bekommen. Arbeit und Wirtschaft sind etwas Fließendes, zunächst nicht Faßbares. Ich habe aber dann den Auftrag bekommen, bei längerer Dauer des Krieges, im deutschen Arbeitssektor etwa die deutsche Wehrmacht, deren Soldaten ja das Potential einer Friedenswirtschaft waren, zu ersetzen.

DR. SERVATIUS: Sie haben doch ein Programm aufgestellt? Was war in Ihrem Programm vorgesehen?


SAUCKEL: Ich habe zwei Programme aufgestellt, Herr Doktor. Ich habe zunächst, als ich mein Amt angetreten hatte, ein Programm [682] aufgestellt, das sich befaßte mit einer, wie man es nennen kann, levée en masse deutscher Frauen und deutscher Jugendlicher und einer, wie ich schon sagte, ökonomisch-arbeitstechnischen richtigen Ausnützung der Arbeitskräfte.


DR. SERVATIUS: Wurde dieses Programm angenommen?


SAUCKEL: Dieses Programm wurde, als ich es dem Führer und, wie es meine Pflicht war, den am Arbeitseinsatz interessierten Reichsstellen und Institutionen der Wirtschaft vorgelegt hatte, vom Führer abgelehnt.


DR. SERVATIUS: Warum?


SAUCKEL: Der Führer ließ mich damals zu sich kommen und erläuterte mir in längeren Ausführungen den Stand der deutschen Kriegsproduktion sowie die Wirtschaftslage. Er sagte, an sich hätte er gegen mein Programm nichts einzuwenden, wenn er Zeit hätte; er könne aber nicht, angesichts der Lage, auf die Ausbildung und Eingewöhnung solcher deutscher Frauen warten – es waren ja damals schon zehn Millionen deutscher Frauen in Arbeit gekommen, die noch nie mals industrielle, mechanische Arbeiten gemacht hatten. Ferner könne er nicht die Erfolge, die als solche einer Rationalisierung der Arbeitsvorgänge, wie ich sie vorgeschlagen hatte, etwa eine sinnvolle Mischung Ford'scher und Taylor'scher Arbeitsmethoden...


DR. SERVATIUS: Einen Augenblick, Herr Zeuge, es ist dem Dolmetscher nicht möglich, Ihre langen Sätze ordnungsmäßig zu übersetzen. Sie müssen kurze Sätze bilden und die Perioden aufteilen, sonst kann Sie niemand verstehen, und Ihre Verteidigung leidet sehr darunter. Wollen Sie bitte darauf achten.


SAUCKEL: Der Führer sagte zu meinem Vorschlag, eine Rationalisierung der Arbeitsvorgänge etwa nach dem Taylor'schen und dem Ford'schen System vorzunehmen, nicht abwarten zu können.


DR. SERVATIUS: Und was hat er angeregt?


SAUCKEL: Ich bitte, diese entscheidende Motivierung des Führers vortragen zu dürfen. Er schilderte die Lage damals nach Abschluß des Winters 1941/1942. Viele Hunderte deutsche Lokomotiven, fast der gesamte mechanische Waffeneinsatz, Tanks, Flugzeuge, mechanische Waffen, waren durch diese anormal harte Winterkatastrophe unbrauchbar geworden.

Hunderttausende deutscher Soldaten hatten unter der Kälte schwerstens gelitten, viele Divisionen ihre Bewaffnung und Bevorratung eingebüßt. Der Führer erläuterte mir, daß, wenn jetzt nicht der Wettlauf mit dem Gegner in der Neubewaffnung, Neumunitionierung und Neuaufstellung gewonnen würde, würden die Sowjets nächsten Winter am Kanal stehen. Er erteilte mir unter Berufung [683] auf mein Pflichtgefühl und den Einsatz meines ganzen Könnens den Auftrag, neue ausländische Arbeiter zum Einsatz in der deutschen Kriegswirtschaft zu bringen.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie keine Bedenken, daß dies gegen das Völkerrecht verstieß?


SAUCKEL: Der Führer hat zu dieser Frage mir gegenüber so ausführliche Darlegungen gemacht, die Notwendigkeit als so selbstverständlich geschildert, daß, nachdem er einen Vorschlag, den er selbst machte, zurückstellte, an diesem Einsatz ausländischer Arbeiter keinerlei völkerrechtliches Bedenken bei mir entstehen konnte.


DR. SERVATIUS: Sie haben ja nun auch mit anderen Dienststellen verhandelt, und es waren ja auch schon Arbeiter im Reich. Was wurde Ihnen denn da gesagt?


SAUCKEL: Es wurde von keiner hohen Dienststelle militärischer oder ziviler Art irgendein Bedenken aus gesprochen. Ich darf vielleicht noch einige Hinweise, die mir der Führer verbindlich gegeben hat, hinzufügen. Der Führer hat mich im großen und ganzen immer sehr liebenswürdig behandelt. Bei dieser Frage ist er sehr streng und apodiktisch geworden und sagte, er habe ja im Westen die eine Hälfte der französischen Armee auf freiem Fuß und in die Heimat gelassen, den größten Teil der belgischen Armee und vollkommen die holländische Armee aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Er erklärte mir, daß er unter Umständen ja aus militärischen Gründen diese Kriegsgefangenen wieder einziehen und einberufen müßte, daß aber im Interesse von Gesamteuropa und des Abendlandes, wie er sich ausdrückte, ja nur ein einheitliches, auch arbeitsmäßig gesteuertes Europa diesen Kampf gegen den Bolschewismus bestehen könnte.


DR. SERVATIUS: Kannten Sie die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung?


SAUCKEL: Ich bin selbst während des ersten Weltkriegs gefangener Seemann gewesen, und ich kannte die Notwendigkeiten und Bestimmungen hinsichtlich der Behandlung, Unterbringung von Kriegsgefangenen, von Gefangenen überhaupt.


DR. SERVATIUS: Ist Ihnen nun von ausländischen Dienststellen – ich denke an die Franzosen – einmal entgegengehalten worden, daß dies ja gegen die Haager Landkriegsordnung verstoße, was Sie mit Ihrem Arbeitseinsatz vorhatten?


SAUCKEL: Nein. Ich habe ja in Frankreich über Fragen des Arbeitseinsatzes nur mit der Französischen Regierung verhandelt, und zwar unter Vermittlung des Militärbefehlshabers und unter dem Vorsitz des Deutschen Botschafters in Paris. Ich war der [684] Überzeugung, soweit der Arbeitseinsatz in Frankreich in Frage kam, mit einer ordentlichen Französischen Staatsregierung Verträge abzuschließen; ähnlich wurde auch verhandelt mit dem Generalsekretär in Belgien.


DR. SERVATIUS: Nun war ein großer Teil, ein Drittel etwa, der ausländischen Arbeiter sogenannte Ostarbeiter. Was ist Ihnen dazu gesagt worden?


SAUCKEL: Zu dem Einsatz der Ostarbeiter ist mir gesagt worden, daß Rußland selbst der Genfer Konvention nicht beigetreten sei, also Deutschland auch seinerseits daran nicht gebunden sei. Es wurde mir ferner erklärt, daß auch Sowjetrußland in den Baltischen Ländern und in anderen Gebieten Arbeiter oder Bevölkerung in Anspruch genommen habe und daß außerdem etwa drei Millionen Chinesen in Sowjetrußland arbeiteten.


DR. SERVATIUS: Und wie war es bezüglich Polen?

SAUCKEL: Ja, wegen Polen hatte man mir erklärt, ebenso wie zu den anderen Ländern, daß hier eine totale Kapitulation vorläge und daß Deutschland auf Grund dieser Kapitulation zur Einführung deutscher Verordnungen berechtigt sei.


DR. SERVATIUS: Hielten Sie nun die Erfassung der ausländischen Arbeiter aus allgemeinen Gesichtspunkten für vertretbar?


SAUCKEL: Ich hielt den Einsatz ausländischer Arbeiter nach den Prinzipien, wie ich sie durchgesetzt und vertreten und auf meinem Arbeitsgebiet auch eingehalten habe, aus den gegebenen Notwendigkeiten – denn ich war ja ein Deutscher, ich konnte ja nur als Deutscher empfinden – für vertretbar.


DR. SERVATIUS: Herr Sauckel! Sie müssen andere Sätze bilden, die Dolmetscher können es nicht übersetzen. Sie dürfen nicht die Sätze auch noch schachteln.

Sie hielten es also für vertretbar mit Rücksicht auf die Grundsätze, die Sie anwenden wollten und wie Sie sagten, auch durchgeführt haben auf Ihrem Gebiet?


SAUCKEL: Jawohl.


DR. SERVATIUS: Haben Sie auch an die schweren Belastungen gedacht, die die Arbeiter und ihre Familien durch diesen Einsatz traten?

SAUCKEL: Ich weiß aus meinem eigenen Leben, daß, selbst wenn man sich freiwillig in fremde Länder begibt, eine Trennung etwas sehr Schweres, ans Herz Greifendes ist, daß es für Familienangehörige sehr schwer ist, ebenfalls sich von einem Familienangehörigen getrennt zu sehen. Ich dachte aber auch an die deutschen Familien, an die deutschen Soldaten und an viele Hunderttausende deutsche Arbeiter, die ebenfalls nach außen gehen mußten.


[685] DR. SERVATIUS: Nun ist der Vorschlag gemacht worden, man hätte ja die Arbeit im besetzten Gebiet durchführen lassen können, man hätte also die Arbeiter nicht fortzuholen brauchen. Warum ist das nicht durchgeführt worden?


SAUCKEL: Dies ist im ersten Augenblick ein bestrickender Vorschlag. Wenn es mir möglich gewesen wäre, hätte ich diesen Vorschlag, der von Herrn Funk und von anderen Stellen, später sogar von Herrn Speer, gemacht worden ist, gern befolgt. Es hätte mein Leben und meine Mühe sehr vereinfacht. Auf der anderen Seite gab es ja aber auch große Abteilungen in diesen Institutionen, die die Wirtschaftszweige der deutschen Wirtschaft zu versehen und zu versorgen und sie mit Aufträgen zu erfüllen hatten. Ich konnte von mir aus als GBA deutsche Felder, deutsche Landwirtschaft, deutsche Serienfabrikationen mit modernsten Maschinen nicht in die fremden Gebiete verlagern – dafür war ich nicht zuständig –, und dieselben Stellen forderten ja von mir Stürmisch den Ersatz jener Landarbeiter und jener Industriearbeiter, jener Handwerker, deren Plätze in der deutschen Landwirtschaft oder Industrie freigeworden waren, weil die Männer zu den Fahnen einberufen wurden.


DR. SERVATIUS: Sie sagten vorhin, daß die Art, wie Sie den Einsatz der Arbeiter vorgesehen hatten, so gewesen sei, daß man ihn habe vertreten können. Was sind dann die Leitgedanken Ihres Arbeitseinsatzes gewesen bei der Durchführung?


SAUCKEL: Als ich vom Führer in jener drastischen Darstellung der Lage den Auftrag bekam, ausländische Arbeiter nach Deutschland zu bringen, habe ich die Schwierigkeit dieser Aufgabe klar erkannt und ihn gebeten, die einzige Art, unter der ich es für möglich hielt, anzuerkennen, denn ich war ja den Weg eines Arbeiters gegangen.


DR. SERVATIUS: War nicht für Sie der Grundsatz maßgebend einer Wirtschaftsausbeutung dieser ausländischen Arbeitskräfte?


SAUCKEL: Der Arbeitseinsatz hat gar nichts mit Ausbeutung zu tun. Der Arbeitseinsatz ist ein wirtschaftlicher Vorgang und stellt die Vermittlung von Arbeitskräften dar.


DR. SERVATIUS: Nun haben Sie wiederholt in Ihren Reden und bei sonstiger Gelegenheit bemerkt, daß es auf die beste wirtschaftliche Ausnutzung dieser Arbeitskräfte ankomme. Sie reden von einer Maschine, die richtig behandelt werden muß. Wollen Sie damit dem Gedanken der wirtschaftlichen Ausbeutung Ausdruck geben?


SAUCKEL: Zu aller Zeit kann ein Regime, wie immer es geartet sein mag, in der Gütererzeugung nur zu Erfolgen kommen, wenn es die Arbeitskraft wirtschaftlich, ökonomisch einsetzt, nicht zu [686] viel und nicht zu wenig. Das allein halte ich für wirtschaftlich vertretbar.


DR. SERVATIUS: Nun ist hier in einem Dokument, das vorgelegt worden ist, das ist das französische Dokument RF-22, ein Regierungsbericht, gesagt worden, daß die Absicht der demographischen Verschlechterung bestanden habe, und auch in anderen Regierungsberichten ist davon die Rede, daß eines der Ziele gewesen sei, die biologische Vernichtung der anderen Völker herbeizuführen. Was können Sie dazu erklären?


SAUCKEL: Ich kann dazu auf das bestimmteste erklären, daß von einer biologischen Vernichtung nie mals zu mir gesprochen worden ist, denn ich war ja der glücklichste Mensch, wenn ich Arbeiter hatte. Ich ahnte, daß der Krieg länger dauern wurde als vorgesehen und daß die Anforderungen an meine Dienststelle so stürmisch und so groß waren, daß ich froh war, wenn Menschen lebten, nicht, wenn sie vernichtet wurden.


DR. SERVATIUS: Wie war nun die allgemeine Einstellung zur Frage der ausländischen Arbeiter, bevor Sie Ihr Amt antraten? Was fanden Sie vor, wie Sie kamen?


SAUCKEL: Es waren – bei meinem Amtsantritt wurde darüber gestritten – etwa zwei Millionen Fremdarbeiter aus neutralen und verbündeten Staaten, aus besetzten Gebieten des Ostens und Westens vorhanden. Sie waren in ungeregelter Weise ins Reich gekommen. Viele Betriebe vermieden die Einschaltung der Arbeitsbehörden oder fanden sie lästig und bürokratisch. Der Interessenwiderstreit, wie ich schon sagte, war sehr groß, vorherrschend zunächst waren, glaube ich, polizeiliche Gesichtspunkte.


DR. SERVATIUS: Und die Propaganda, wie stand die Propaganda bezüglich der Ostarbeiter zum Beispiel?


SAUCKEL: Die Propaganda war abgestellt auf den Krieg im Osten. Ich darf hier bemerken, als Sie mich vorhin bei dem Führerauftrag unterbrochen haben, daß ich vom Führer ausdrücklich geradezu verlangt habe, daß man Arbeiter, die in Deutschland arbeiten, nicht mehr als Feinde behandeln dürfe, und ich versuchte, Einfluß auf die Propaganda in diesem Sinne zu gewinnen.


DR. SERVATIUS: Was haben Sie sonst unternommen bezüglich dieser vorgefundenen Lage?


SAUCKEL: Ich habe schließlich vom Führer die Zustimmung zu meinem zweiten Programm erhalten. Dieses Programm liegt hier als Dokument vor, und ich muß und will dieses Programm verantworten.


DR. SERVATIUS: Es ist bereits vorgelegt worden als Dokument 016-PS, Es ist das Programm für den Arbeitseinsatz vom 20. April 1942, Exhibit US-168.

[687] In diesem Programm haben Sie grundsätzliche Ausführungen gemacht. Ich überreiche es Ihnen, und ich bitte Sie, nur zu den allgemeinen Fragen Stellung zu nehmen, nicht zu den einzelnen Punkten. Dem letzten Teil ist ein Abschnitt angehängt: »Kriegsgefangene und fremdländische Arbeiter.« Haben Sie den Absatz gefunden, »Kriegsgefangene und fremdländische Arbeiter«?


SAUCKEL: Jawohl.

DR. SERVATIUS: Wenn Sie da einmal im dritten Absatz nachsehen, da werden Sie wohl das finden, was Sie erklären wollen.


SAUCKEL: Ich darf bemerken, ich habe dieses Programm selbständig aufgestellt und erarbeitet, und zwar im Jahre 1942 nach diesem schweren Führerauftrag. Es war mir absolut klar, unter welchen Bedingungen überhaupt nur fremde Arbeiter in Deutschland eingesetzt werden können. Ich schrieb damals jene Sätze nieder, und dieses Programm ging an alle deutschen Dienststellen, die sich damit zu befassen hatten. Ich zitiere:

»Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, daß sie bei denkbar sparsamstem Einsatz«

– hier meine ich das ökonomische nach Taylor und nach Ford, die ich sehr genau studiert habe –

»die größtmöglichste Leistung hervorbringen. Es ist für uns Deutsche von jeher selbstverständlich, daß wir gegenüber dem besiegten Feind, selbst wenn er unser grausamster und unversöhnlichster Gegner gewesen ist, uns jeder Grausamkeit und jeder kleinlichen Schikane enthalten, ihn korrekt und menschlich behandeln, auch dann, wenn wir eine nützliche Leistung von ihm erwarten.«

Das Wörtchen »auch« müßte heißen »wenn«.

DR. SERVATIUS: Wollen Sie das Dokument jetzt beiseite legen. Welche Befugnisse hatten Sie nun zur Durchführung Ihres Auftrages?

SAUCKEL: Ich hatte zur Durchführung meines Auftrages die Weisungsrechte aus dem Vierjahresplan. Ich hatte zur Verfügung nicht unterstellt, sondern zur Verfügung gestellt die Abteilungen 3 und 5 des Reichsarbeitsministeriums.


DR. SERVATIUS: Was hatten die für ein Ressort?


SAUCKEL: Diese hatten die Ressorts »Arbeitseinsatz« und »Löhne«.


DR. SERVATIUS: Konnten Sie Direktiven und Anordnungen geben?


SAUCKEL: Ich konnte Direktiven und Anordnungen an diese Dienststellen fachlicher Art geben.


[688] DR. SERVATIUS: Verhandlungen mit dem Auslande konnten Sie selbständig führen?


SAUCKEL: Ich konnte Verhandlungen mit dem Auslande nur über das Auswärtige Amt beziehungsweise nach Genehmigung mit den entsprechenden Botschaftern oder Gesandten führen unter deren Leitung.


DR. SERVATIUS: Konnten Sie Ihre Anordnungen selbständig geben, oder war die Zustimmung erforderlich und eine Fühlungnahme?

SAUCKEL: Mein Aufgabengebiet, wie jeder große Verwaltungszweig, machte es unbedingt erforderlich, mit den Nachbarressorts die Fragen abzustimmen und zu besprechen. Ich war deshalb weisungsgemäß dazu verpflichtet.


DR. SERVATIUS: Mit wem mußten Sie abstimmen, abgesehen von dem Vierjahresplan, dem Sie unterstanden?


SAUCKEL: Ich hatte abzustimmen erstens mit den Ressorts, von denen ich die Aufträge selbst bekam, außerdem mit der Parteikanzlei, mit der Kanzlei des Herrn Reichsministers Lammers – mit der Reichskanzlei, mit der Reichsbahn, mit dem Reichsnährstand und dem Reichswehrministerium.


DR. SERVATIUS: Ging das glatt, oder hatten Sie Schwierigkeiten?


SAUCKEL: Es waren stets sehr große Schwierigkeiten.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie auch mit Himmler zu tun?


SAUCKEL: Ich hatte mit Himmler nur insofern zu tun, als er Anweisungen gab, denn er war Reichsminister und für die Sicherheit verantwortlich, wie er sagte.

DR. SERVATIUS: War das nicht eine Frage, die für Sie sehr wichtig war bezüglich der Behandlung der Arbeiter?


SAUCKEL: Ich wurde in den ersten Monaten oder in den ersten Wochen, glaube ich, meines Auftrages einmal zu Herrn Heydrich bestellt. Herr Heydrich eröffnete mir in sehr präziser Weise, daß er mein Programm, wie ich es beim Führer bewilligt bekommen hätte, für eine Art Phantasie hielte, daß ich mir darüber klar sein müßte, daß ich das Reich... nachdem ich gefordert hatte, daß Stacheldraht und ähnliche Umzäunungen um Arbeiterlager nicht herum sein sollten und dürften und niedergelegt werden sollten, daß ich ihm seine Arbeit sehr schwer machte. Er sagte dann kurz, ich müßte darüber klar sein, wenn ich den Arbeitseinsatz hätte, dann wäre er verantwortlich für die Sicherheit. Das war, was er mir sagte.


[689] DR. SERVATIUS: Haben Sie sich damit zufrieden gegeben, daß diese strengen polizeilichen Maßnahmen nun da waren?


SAUCKEL: Ich habe durch fortdauernde Bemühungen diese Polizeimaßnahmen ständig zum Abbau gebracht, soweit es die Arbeiter betroffen hat, die durch meine Dienststelle und durch mein Amt in Arbeit gesetzt wurden in Deutschland.


DR. SERVATIUS: Was war der Inhalt Ihres Weisungsrechtes? Konnten Sie Befehle geben, oder mußten Sie verhandeln, und wie wurde das praktisch durchgeführt?


SAUCKEL: Das Weisungsrecht, das ich hatte, war von Anfang an deshalb fragwürdig, weil es mir ja verboten war durch die Notwendigkeiten des Krieges, Menschenmangel und so weiter, irgendein eigenes oder neues Amt oder eine Organisation aufzuziehen. Ich konnte Weisungen nur nach Verhandlung mit den obersten Reichsbehörden und eingehender Abstimmung weitergeben. Sie waren natürlich rein fachlicher Art, denn in geschlossene Verwaltungen konnte ich mich ja nicht einmischen.


DR. SERVATIUS: Wie war das Weisungsrecht gegenüber den hohen Stellen in den besetzten Gebieten?


SAUCKEL: In den hohen Stellen der besetzten Gebiete war das Weisungsrecht genau so lediglich fachlicher Art, praktisch die Übermittlung der Führeraufträge, die dort in dem eigenen Apparat der geschlossenen Verwaltungen auszuführen waren.


DR. SERVATIUS: Konnten Sie eine unbedingt zu befolgende Weisung geben an die militärischen Dienststellen, also an die Wirtschaftsinspektionen Ost zum Beispiel?

SAUCKEL: Nein, es bestand eine strenge Anordnung des Führers, daß in den Heeresgebieten, in den Operationsgebieten, der Oberbefehlshaber, diese ausschließlich nach Prüfung der militärischen Verhältnisse und der Lage allein zuständig seien und alles nach den Notwendigkeiten dieser hohen militärischen Befehlsstellen geregelt werden müsse.


DR. SERVATIUS: Galt das auch für Frankreich für den Militärbefehlshaber, oder konnten Sie dort unmittelbar durchgreifen?


SAUCKEL: Ich konnte selbstverständlich in Frankreich nur in genau derselben Weise verfahren, indem ich dem Militärbefehlshaber die Weisungen, die ich selbst bekommen habe, mitteilte und er dann die Besprechungen mit der Deutschen Botschaft und für die Französische Regierung vorbereitete, so daß unter Vorsitz des Botschafters und der maßgeblichen Beteiligung des Militärbefehlshabers die Absprachen mit der Französischen Regierung erfolgten.


DR. SERVATIUS: Und wie war es mit dem Ministerium für die besetzten Ostgebiete?


[690] SAUCKEL: Mit dem Ministerium für die besetzten Ostgebiete war es so, daß ich meine Aufträge dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete zu übergeben hatte und mit ihm zu besprechen hatte. Es ist auch stets gelungen, mit dem Reichsminister Rosenberg Angelegenheiten so zu regeln unter uns, wie wir sie für richtig hielten. Es war aber dort, besonders in der Ukraine, im Osten der Reichskommissar, der selbst sehr enge Beziehungen zum Hauptquartier hatte und der, wie allgemein bekannt, sehr selbständig war und handelte und diese Selbständigkeit auch für sich beanspruchte.


DR. SERVATIUS: Wie wurde nun der Beginn Ihrer Tätigkeit von diesen Stellen in den besetzten Gebieten aufgenommen?


SAUCKEL: Der Beginn meiner Tätigkeit wurde in den besetzten Gebieten natürlich sehr widerstreitend aufgenommen, denn ich brachte in diesen Gebieten ja neue Aufträge, neue Notwendigkeiten, und es war nicht immer leicht, die gegenseitigen Interessen abstimmen zu können.


DR. SERVATIUS: Befürchtete man, daß Sie in die Gebiete hineinregieren würden?


SAUCKEL: Ich habe mich einer solchen Hineinregierung aus persönlicher Einsicht vollkommen enthalten und das auch immer betont, diese Bedenken zu zerstreuen, da ich ja dort nicht selbst regierte, aber es waren dort sehr viele eigenwillige Interessen vorhanden.

DR. SERVATIUS: Da kommen wir bei Gelegenheit auch darauf zu sprechen. Zunächst möchte ich Sie fragen: Sie haben Beauftragte für den Arbeitseinsatz gehabt? Wann bekamen Sie diese?


SAUCKEL: Ich bekam diese Beauftragten für die besetzten Gebiete durch einen persönlichen Erlaß des Führers, nach meiner Erinnerung vom 30. September 1942.


DR. SERVATIUS: Was war die Veranlassung?


SAUCKEL: Die Veranlassung dieser Beauftragten war eben, um die Schwierigkeiten und die zum Teil vorherrschenden Direktionslosigkeiten in diesen Gebieten auf diesem Bereich besser zu beseitigen.


DR. SERVATIUS: Ich beziehe mich hiezu auf Dokument Nummer 12: Erlaß des Führers zur Durchführung des Erlasses über einen Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, nein, es ist Dokument 13: Erlaß... über die Stellung der Beauftragten, im englischen Dokumentenbuch Seite 13, sowie das Dokument Nummer 12, das bereits vorgelegt wurde als 1903-PS, Beweisstück US-206.

[691] Haben Sie nicht zwei verschiedene Sorten von Beauftragten gehabt, das heißt, bestanden schon Beauftragte, die vorher da waren?


SAUCKEL: Es bestanden schon vorher Beauftragte des Reichsarbeitsministeriums, die in den verbündeten oder neutralen Ländern den Deutschen Botschaften beigeordnet waren. Sie sind zu unterscheiden von diesen Beauftragten, die sich bei den Chefs der deutschen Militär- oder Zivilverwaltungen in den besetzten Gebieten befunden haben.


DR. SERVATIUS: Welche Stellung hatten denn die Beauftragten in den besetzten Gebieten?


SAUCKEL: In den besetzten Gebieten hatten die Beauftragten eine Doppelstellung. Sie waren die Leiter der Abteilungen »Arbeit« in den dortigen Gebietsregierungen, eine erhebliche Erschwernis für mich, und sie waren gleichzeitig Beauftragte von mir, um die Prinzipien des Arbeitseinsatzes, so wie ich sie festgelegt habe, einheitlich zu steuern oder durchzusetzen.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie eine eigene Organisation, deren Kopf der Beauftragte war, oder war das eine Organisation der Gebietsregierung?


SAUCKEL: Ich hatte keine eigene Organisation, die Gebietsregierungen waren selbständig in sich geschlossene Verwaltungen mit einem Verwaltungschef an der Spitze, denen die einzelnen Ressorts unterstanden haben.


DR. SERVATIUS: Wie viele solcher Beauftragten gab es in einem Gebiet?

SAUCKEL: Ich hatte in den verschiedenen Ländern bei den obersten Stellen je einen Beauftragten.


DR. SERVATIUS: Und was war die Aufgabe des Beauftragten?


SAUCKEL: Die Aufgabe des Beauftragten war, wie ich schon sagte, die Gesetzmäßigkeit der Durchführung deutscher Verordnungen zu garantieren und auf ihrem Arbeitsgebiet als Angehörige der Gebietsverwaltungen die Arbeitsfragen, die dort vorkamen, zu steuern.


DR. SERVATIUS: Und welche Aufgabe hatten Sie bezüglich der Interessen des Reiches, Verteilung der Arbeitskräfte im örtlichen Einsatz und im Reichseinsatz?


SAUCKEL: Diesen Einsatz in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen unter Berücksichtigung der gebietlichen Gegebenheiten, ausdrücklich vermerkt; ebenso hatten sie die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß meine Grundsätze über Behandlung, Ernährung und so [692] weiter der Arbeiter aus den besetzten Gebieten beobachtet würden. Das liegt auch fest als Anweisung.


DR. SERVATIUS: Hatten Sie nun nicht eigene Werbekommissionen?


SAUCKEL: Es gab keine Werbekommissionen in dem Sinn wie es hier oft, auch in eigenen Dokumenten, zum Ausdruck kommt, sondern es handelt sich hier um Verstärkungen von Fachleuten, die von den Gebietsregierungen angefordert wurden, um in den betreffenden Ländern die Aufgaben durchzuführen.


DR. SERVATIUS: Welche Instruktionen hatten dann diese Werbekommissionen?


SAUCKEL: Diese Kommissionen hatten die Instruktionen, die eindeutig und vielfach in meinen Anordnungen vorliegen und die ich deshalb, da sie ja fest sind, nicht zu erwähnen brauche.


DR. SERVATIUS: Ich nehme hier Bezug auf das Dokument Nummer 15, das bereits vorgelegt worden ist unter 3044-PS. Beweisstück US-206 und nochmals USSR-384.

Das ist die maßgebende Anordnung Nummer 4 vom 7. Mai 1942. Dort sind grundsätzlich alle einschlägigen Fragen geregelt und auch bezüglich der Beauftragten die nötigen Richtlinien bezüglich der Anwerbung gegeben.

Sind diese von Ihnen herausgegebenen Richtlinien nun immer eingehalten worden?


SAUCKEL: Die von mir gegebenen Richtlinien sind nicht immer eingehalten worden in der strikten Weise, wie ich es verlangt habe. Ich habe aber alles darangesetzt, um durch andauernde Anweisungen, Belehrungen und Bestrafungen, die ich aber nicht verhängen konnte, sie durchzusetzen.


DR. SERVATIUS: Waren diese Anordnungen auch ernstlich gemeint? Es ist hier von der Französischen Anklage im Regierungsbericht vorgetragen worden eine Ihrer Reden, die Sie damals gehalten haben in Posen. Das wäre eine Entschuldigungsrede gewesen. Ich frage Sie: Sind diese Grundsätze nun ernstlich gemeint gewesen oder nur zum Schein, da Sie selbst glaubten, das kann man gar nicht durchführen, wie es dort steht.


SAUCKEL: Ich kann nur betonen, daß ich in meinem Leben so viel selbst unter so schwierigen Bedingungen gearbeitet habe, daß diese Anweisungen meine volle Überzeugung von der Notwendigkeit derselben darstellten. Ich bitte, darüber Zeugen zu hören, wie ich darüber geurteilt und was ich veranlaßt habe, um sie durchzusetzen.


DR. SERVATIUS: Hat sich gegen Ihre Grundsätze Widerspruch bemerkbar gemacht?


[693] SAUCKEL: Ich habe schon angedeutet, daß meine Grundsätze zum Teil als beschwerlich, als leichtsinnig in Bezug auf die deutsche Sicherheit von manchen Stellen beurteilt wurden.

Ich habe aus gegebenem Anlaß, da ich deswegen angegriffen wurde, neben einer Anzahl von Anweisungen an die deutschen Gauleiter, an alle in Frage kommenden höchsten deutschen Regierungsstellen ein Manifest erlassen.


DR. SERVATIUS: Darf ich hierzu bemerken, das ist das Dokument Sauckel 84, Dokumentenbuch Band III, Seite 215.

Ich übergebe das Dokument noch einmal in deutsch wegen der Form, in der es drucktechnisch abgefaßt ist. Es ist in einer eindringlich mahnenden Form hervorgehoben und ist an alle Dienststellen versandt worden.


VORSITZENDER: Handelt es sich um Dokument Nummer 84?


DR. SERVATIUS: Jawohl.

Herr Zeuge! Nun haben Sie in einer Sitzung der Zentralen Planung...


SAUCKEL: Ich bitte, Herr Doktor, zu diesem Manifest noch ein Wort sagen zu dürfen.


DR. SERVATIUS: Ja.


SAUCKEL: Als ich dieses Manifest herausgegeben habe, begegnete ich hauptsächlich von Dr. Goebbels dem Einwand, daß ein Manifest ja eigentlich nur vom Führer herausgegeben werden dürfe und nicht von einer untergeordneten Dienststelle, wie ich sie sei. Ich habe dann festgestellt, daß mir beim Druck dieses Manifestes Schwierigkeiten gemacht wurden. Ich habe es dann selbst, nachdem ich schon einmal 150000 für alle deutschen Wirtschaftsstellen, für alle Betriebsführer, für alle interessierten Dienststellen habe drucken lassen, noch einmal in dieser demonstrativen Form drucken lassen und es mit entsprechendem Begleitschreiben an alle diese Dienststellen noch einmal persönlich verschickt.

In diesem Manifest habe ich mich trotz der Schwierigkeiten, die ich hatte, besonders auch dafür eingesetzt, daß in den besetzten Gebieten selbst die Arbeiter nach meinen Grundsätzen und nach meinen Richtlinien und Verordnungen behandelt werden sollten.

Ich bitte, mir vom Gericht mit Respekt die Genehmigung erwirken zu wollen, einige Sätze hieraus vorlesen zu dürfen:

»Ich ordne daher an, daß für alle besetzten Gebiete für die Behandlung, Ernährung, Unterbringung und Entlohnung der ausländischen Arbeitskräfte angemessene Vorschriften und [694] auch im Reich gelten. Sie sollen den jeweils örtlichen Verhältnissen angepaßt und sinngemäß angewandt werden.

In einer Anzahl der Ostgebiete sind einheimische Zivilarbeiter und -arbeiterinnen, die für die deutsche Kriegsrüstung oder für deutsche Wehr machtsteile arbeiten, unterernährt. Es liegt im dringenden Interesse der deutschen Kriegswirtschaft, in diesen Gebieten diesem leistungshemmenden und gefährlichen Zustand abzuhelfen. Eine zusätzliche Ernährung dieser Arbeiter und ihrer Familienangehörigen muß daher mit allen Mitteln angestrebt werden. Diese zusätzliche Ernährung muß ausschließlich nach dem Leistungsprinzip erfolgen.

Nur durch die pflegliche Behandlung und Erhaltung der gesamten vorhandenen europäischen Arbeitskapazität einerseits und durch deren straffste Zusammenfassung« – hier meine ich organisatorisch –, »Führung und Lenkung andererseits kann die Fluktuation der Arbeitskräfte im Reich und in den besetzten Gebieten auf ein Minimum eingeschränkt und eine stabile dauernde und zuverlässige Arbeitsleistung überall erzielt werden.«

Ich darf noch einen weiteren Satz verlesen:

»Dabei müssen die ausländischen Arbeiter, die im Reich arbeiten und die Bevölkerung in den besetzten Gebieten, die für deutsche Kriegsleistungen in Anspruch genommen werden, das Gefühl gewinnen, daß es in ihrem ureigensten Interesse liegt, loyal für Deutschland zu arbeiten, ja, daß sie allein hierin ihre einzige wahre Lebensversicherung sehen und tatsächlich auch finden.«

Ich darf im nächsten Absatz noch einen Satz lesen:

»Sie müssen ein absolutes Vertrauen in die Gerechtigkeit der deutschen Dienststellen und ihrer deutschen Arbeitgeber bekommen.«

VORSITZENDER: Ich glaube, daß wir auf dieses Dokument nicht weiter einzugehen haben. Können Sie uns ungefähr sagen, wie lange Sie diesen Angeklagten noch befragen werden.

DR. SERVATIUS: Ich werde morgen den Tag wohl noch nötig haben.


VORSITZENDER: Herr Dodd! Wäre es Ihnen angenehm, gelegentlich die Dokumente der übrigen Angeklagten zu besprechen?


MR. DODD: Ja, Herr Präsident, zu jeder Zeit, die Sie dafür bestimmen wollen.


VORSITZENDER: Gut. Sie wissen ja, wie weit die Verhandlungen und Vereinbarungen hinsichtlich der Dokumente gediehen sind.


[695] MR. DODD: Ich weiß es von einigen, aber nicht von allen. Ich kann heute abend oder vor der morgigen Sitzung die Tatsachen überprüfen und Ihnen darüber berichten.


VORSITZENDER: Ja, Sie werden uns auch morgen mitteilen, welchen Zeitpunkt Sie für passend halten.


MR. DODD: Ja, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nunmehr vertagen.

[Das Gericht vertagt sich bis

29. Mai 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 15.
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