Nachmittagssitzung.

[40] [Der Angeklagte Seyß-Inquart im Zeugenstand.]


M. DEBENEST: Angeklagter! Sie haben in den größeren Städten und in den Provinzen der Niederlande Agenten eingesetzt, die Ihnen direkt unterstellt waren und denen Sie Vollmacht gegeben haben. Waren diese Agenten nicht Mitglieder der NSDAP?

SEYSS-INQUART: Darf ich bitten, mir zu sagen, was Sie unter »Agenten« verstehen? Ich hatte in den Provinzen und in den größten Städten auch deutsche Vertreter. Meinen Sie die deutschen oder niederländischen?


M. DEBENEST: Nein, ich spreche von den Beauftragten.


SEYSS-INQUART: Das waren Deutsche, und ich nehme an, daß alle Mitglieder der NSDAP waren. Ich weiß es nicht bestimmt, aber es ist durchaus möglich; ich glaube sogar, es war der Fall.


M. DEBENEST: Gut. Um Ihr Gedächtnis etwas aufzufrischen, nehmen Sie bitte das Dokument 997-PS, das ich Ihnen heute morgen übergeben ließ. Es ist Seite 9 im deutschen und französischen Text.


[Zum Gerichtshof gewandt:]


Ich möchte dem Gerichtshof sagen, daß ich heute morgen eine unrichtige Angabe gemacht habe. Dieses Dokument wurde mit Nummer US-708 bezeichnet; es handelt sich in Wirklichkeit um RF-122.


[Zum Zeugen gewandt:]


Oben auf Seite 9 schreiben Sie:

»Für die Provinzen, die eine weitgehende Selbstverwaltung haben, wurden Beauftragte vorgesehen. Mit der Einrichtung dieser Stelle wurde gezögert, da erst die Verhältnisse geprüft werden mußten.

Nunmehr hat sich ergeben, daß es sich bei diesen Beauftragten nicht so sehr um Verwaltungsbeamte als um politisch erfahrene Männer handeln müsse. Es wurden daher über Reichsamtsleiter Schmidt beim Reichsleiter Bormann (Stab Heß) Männer angefordert, die, fast durchwegs aus der Partei kommend, nunmehr in Anreise sind und in wenigen Tagen in den Provinzen eingesetzt werden können.«

Das ist richtig, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Jawohl, und ich finde meine Festlegung bestätigt, daß sie nicht alle aus der Partei waren.

M. DEBENEST: Gut, aber ich stelle zu gleicher Zeit fest, daß sie besonders ausgewählt waren.

[40] SEYSS-INQUART: Ja, es waren politisch erfahrene Männer, das heißt, ich wollte keine verwaltungsmäßigen Bürokraten haben, sondern Männer, die sich im öffentlichen politischen, nicht parteipolitischen Leben auskennen und bewegen können.


M. DEBENEST: Auf welcher Grundlage haben Sie Gemeinderäte und Provinzräte eingerichtet?


VORSITZENDER: Herr Debenest! Es scheint dem Gericht – ich weiß nicht, ob wir recht haben –, daß es besser wäre, wenn Sie anstatt nach jedem Wort, nach jedem Satz eine Pause eintreten lassen würden.


M. DEBENEST: Jawohl.


SEYSS-INQUART: Darf ich bitten, mir zu sagen, was Sie unter »Gemeinde- und Provinzräte« verstehen? Nach unseren Begriffen verstehe ich unter »Räten« eine Körperschaft; aber ich habe keine Körperschaften eingesetzt, sondern einzelne Männer zur Führung der Verwaltung.


M. DEBENEST: In den Gemeinden der Niederlande bestanden Gemeindevertretungen, Sie können sie, wenn Sie wollen, »Gemeinderäte« nennen und in den Provinzen Provinzvertretungen, die Sie auch wieder Provinzräte nennen können.


SEYSS-INQUART: Ja, danke schön, ich verstehe. Die Provinz- und Gemeindevertretungen, die von früher vorhanden waren, habe ich im Jahre 1941 aufgelöst. In der von mir erlassenen Gemeinde-Ordnung habe ich solche Räte vorgesehen. Ich habe aber niemals einen solchen Rat wirklich eingesetzt, weil die niederländische Bevölkerung nicht mitgearbeitet hat und infolgedessen diese Gemeinderäte nur aufoktroyiert gewesen wären. Diese Bestimmung meiner Gemeindeordnung ist nicht in Kraft getreten.


M. DEBENEST: Aber auf welcher Grundlage sah diese Verordnung diese Reorganisation vor?


SEYSS-INQUART: Darf ich um Wiederholung der Frage bitten?


M. DEBENEST: Auf welcher Grundlage sah diese Verordnung die Reorganisation vor?


SEYSS-INQUART: Ich kann mich an eine bestimmte Grundlage nicht erinnern; ich nehme an, daß sie im Gesetz festgehalten ist, wenn sie überhaupt vorgesehen ist.


M. DEBENEST: Gut. Ich werde Ihnen die Frage anders stellen; vielleicht können Sie dann antworten. Haben Sie durch Ihre Anordnungen das Führerprinzip eingeführt?


SEYSS-INQUART: Jawohl. Ich habe es die »Einmann-Verantwortung« genannt, und ich bin der Meinung, daß in Krisenzeiten immer eine »Einmann-Verantwortung« das richtige ist.


[41] M. DEBENEST: Also handelt es sich um das in Deutschland angewandte System?


SEYSS-INQUART: Das ist richtig. Es wird vielleicht nicht genau so gewesen sein, aber ich habe das unter den gegebenen Umständen für richtig angesehen.

Ich wiederhole meine gestrige Feststellung: Hier haben wir einen Irrtum begangen; wir haben den Irrtum der Besatzungsmacht begangen, ihre Ordnung für besser zu halten als die, die man im besetzten Gebiet vorgefunden hat.


M. DEBENEST: Also die Einführung dieses Prinzips hatte eine ganz besondere Bedeutung, nicht wahr?


SEYSS-INQUART: Ich habe nur bestimmt etwas gedacht; vor allem mußte ich in diesen territorialen Bezirken einen Mann haben, der mir für die Verwaltung verantwortlich ist und nicht eine anonyme Mehrheit eines Vertretungskörpers.


M. DEBENEST: Ich übergebe Ihnen das Dokument F-861, das ich als RF-1524 vorlege. Aus dem letzten Absatz geht die Bedeutung hervor, die man dem Prinzip im Reiche beilegte. Es ist ein Schreiben des Reichsinnenministers vom 6. September 1941. Dort heißt es folgendermaßen:

»Eine besondere Bedeutung kommt der Durchführungsverordnung zu, weil sie die näheren Bestimmungen über die Einführung des Führerprinzips in der niederländischen Gemeindeverwaltung enthält.«


SEYSS-INQUART: Ja, der Innenminister hat sich dafür interessiert. Ich möchte nur der Ordnung halber bemerken, daß der Reichsinnenminister gar keinen Einfluß genommen hat und zweitens, daß diese größeren Vollmachten im Jahre 1941 damals zumindest 80 Prozent Bürgermeistern zugekommen sind, die aus den demokratischen Parteien stammten und daher meine Gegner waren, meine politischen.

VORSITZENDER: Herr Debenest! Haben Sie nicht schon durch die Fragen, die Sie diesem Angeklagten vorgelegt haben, festgestellt, daß er die Regierungsform in den Niederlanden beträchtlich abgeändert und dort eine andere Regierungsform eingeführt hat? Genügt das nicht für die Argumente, die Sie hier vorbringen wollen? Einzelheiten scheinen ziemlich überflüssig zu sein, glauben Sie nicht?


M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Ich wollte nur einfach zeigen, daß der Angeklagte im Gegensatz zu seinen Aussagen versucht hat, dem niederländischen Volk das nationalsozialistische System aufzuzwingen.


[42] VORSITZENDER: Ja, aber das hat er meiner Ansicht nach in erheblichem Maße zugegeben. Er hat eben erklärt, daß er die sogenannte »Einmann-Verantwortung« eingeführt, was nur ein anderer Ausdruck für das Führerprinzip ist, und daß er verschiedene Organisationen der niederländischen Verwaltung aufgelöst habe. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß es, nachdem Sie diese allgemeinen Zugeständnisse erhalten haben, nicht nötig ist, auf nähere Einzelheiten darüber einzugehen, in welchem Umfang die niederländische Verwaltung betroffen wurde oder auf welche Art sie ersetzt wurde. Ist das nicht alles bereits in dem Dokument enthalten, das der Angeklagte selbst aufgesetzt hat, nämlich in dem Dokument 997-PS, das Sie vorlegten?


M. DEBENEST: Mehr oder weniger, Herr Vorsitzender, aber nicht vollständig.


VORSITZENDER: Die einzige Frage ist, ob die Einzelheiten für den Gerichtshof wirklich sehr wichtig sind.


M. DEBENEST: Ich glaubte, daß diesen Einzelheiten eine gewisse Bedeutung zukomme, weil die leitenden Persönlichkeiten des Reiches selbst großen Wert darauf gelegt haben und daß alles in Wirklichkeit Teil eines festgesetzten Planes war.


VORSITZENDER: Das Gericht ist geneigt anzunehmen, daß Sie alles, was für das von Ihnen angedeutete Argument notwendig ist, bereits erhalten haben. Wenn Sie aber glauben, daß irgendwelche Einzelheiten für den Gerichtshof von Belang sind, dann können Sie solche natürlich noch vorbringen.


M. DEBENEST: Ja, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Zu welchem Zwecke haben Sie die Polizei in einem Polizeidirektorium zusammengefaßt?

SEYSS-INQUART: Ich wiederhole meine gestrigen Auslegungen. Die niederländische Polizei unterstand drei bis vier verschiedenen Instanzen, dem Innenministerium, dem Justizministerium, ich glaube dem Heeresministerium und so weiter. Ich habe es im Interesse einer übersichtlichen Polizeiverwaltung für notwendig gehalten, diese verschiedenen Polizeikörper in einen einzigen zusammenzulegen und dem Justizministerium zu unterstellen.

M. DEBENEST: Haben Sie nicht als Präsidenten die ser Polizei einen Nationalsozialisten berufen?


SEYSS-INQUART: Ja.


M. DEBENEST: Um es kurz zu machen, hatten Sie nicht letztlich im Sinn, die Niederlande in die Hände der NSDAP zu legen und auf diese Weise die innere Organisation Hollands an diejenige des [43] Reiches anzupassen, mit anderen Worten, etwas Ähnliches zu tun wie das, was Sie in Österreich getan haben?


SEYSS-INQUART: Ich glaube nicht, daß man das sagen kann. Vor allem war die Politik der NSB nicht die der NSDAP. Die NSB hat sich in manchem unterschieden. Zweitens, wenn ich das hätte machen wollen, hätte ich ja Herrn Mussert zum Ministerpräsidenten machen können, das wäre einfacher gewesen. Die einfache Erklärung ist, daß ich vielleicht etwas schematisch das mir zur Verfügung stehende Beispiel des Reiches verwendet hatte, um in den Niederlanden eine Verwaltung, zum Teil wenigstens, einzuführen, die mir die obliegende Aufgabe der Sicherheit und Sicherung der Ordnung ermöglicht hat. Ich habe gestern nur behauptet, daß ich keinen Niederländer gezwungen habe, Nationalsozialist zu werden. Ich habe nicht bestritten, daß eine gewisse Gleichschaltung vorgenommen wurde, aus den von mir wiederholt erklärten Irrtümern.


M. DEBENEST: Aber Sie haben doch NSB-Mitglieder in sämtlichen Verwaltungsbehörden eingesetzt, an den höheren Stellen?


SEYSS-INQUART: Nicht ausschließlich, aber ich habe es getan, denn ich konnte mich letzten Endes nur auf diese verlassen; alle anderen haben meine Anordnungen sabotiert.


M. DEBENEST: Gestern sprachen Sie vor dem Gerichtshof von der Absetzung der Magistratsbeamten des Gerichtshofs in Leeuwarden.

Wollen Sie uns bitte die genauen Gründe dieser Absetzung angeben?


SEYSS-INQUART: Es waren nicht Magistrats- sondern Gerichtsvorsteher.

Das Landesgericht von Leeuwarden hatte in einem öffentlichen Urteil erklärt, diejenigen Niederländer, die durch die niederländischen Gerichte verurteilt werden und in niederländische Gefängnisse kommen, würden in deutsche Konzentrationslager überführt werden, dort mißhandelt und hingerichtet werden. Infolgedessen sehe sich das Gericht nicht mehr in der Lage, einen Niederländer zu verurteilen. Diese Feststellung des Gerichts war meines Erachtens falsch. Meines Erachtens sind Niederländer aus niederländischen Gefängnissen nicht in deutsche Konzentrationslager gekommen, um dort hingerichtet zu werden. In zwischen habe ich den Sachverhalt auf Vorstellung der Amsterdamer Richter klargestellt und durch den Generalsekretär für Justiz das Gericht in Leeuwarden wieder auffordern lassen, wieder mit seiner Urteilsfällung fortzusetzen. Das hat das Gericht in Leeuwarden nicht getan, darauf habe ich den Gerichtshof entlassen.


[44] M. DEBENEST: Nun, ich habe hier das Dokument zur Hand, das »Urteil des Appellationsgerichts in Leeuwarden«, und darin ist keineswegs davon die Rede, daß holländische Häftlinge in Konzentrationslager geschickt werden, um gemartert oder erschlagen zu werden. Es steht lediglich darin, daß die Richter dieses Gerichts es nicht wollen, daß die Häftlinge nach Abbüßung ihrer Strafe in Konzentrationslager verbracht werden. Ich lasse Ihnen das Original dieses Dokuments vorlegen. Sie können es nachprüfen.

Dieses Dokument wurde dem Gerichtshof als RF-931 vorgelegt.


SEYSS-INQUART: Ich habe keine deutsche Übersetzung bekommen beziehungsweise nicht das deutsche Original.


M. DEBENEST: Ich werde Ihnen die Übersetzung des Urteils verlesen, Sie können es vergleichen.

»In Anbetracht dessen, daß der Gerichtshof der Tatsache Rechnung tragen will, daß seit einiger Zeit verschiedene Gefängnisstrafen, welche von den holländischen Richtern Leuten auferlegt wurden, mit der Absicht des Gesetzgebers nicht in Einklang stehen und daß diese richterlichen Strafen in einer derartig erschwerenden Weise vollzogen wurden, daß es beim Verhängen der Strafe dem Richter selbst unmöglich war, diese Tatsache vorauszusehen oder sich sogar nur annähernd ein Bild davon zu machen,...«


VORSITZENDER: Warum geben Sie dem Zeugen nicht eine Zusammenfassung des Dokuments? Sie können doch das Ergebnis des Urteils wiedergeben.

M. DEBENEST: Ja, gewiß, Herr Vorsitzender, gerne. Dieses Urteil zeigt deutlich, daß die Richter nur noch eine Strafe verhängen wollten, die keine Schutzhaft nach sich ziehen würde.


VORSITZENDER: Haben Sie jetzt die Frage gehört?


SEYSS-INQUART: Ja, Herr Präsident, aber warum wollen sie nicht urteilen? Ich habe die deutsche Übersetzung hier in meinen Händen gehabt, und meine Begründung hatte ich aus dieser Übersetzung genommen, denn ich hatte dieses Urteil nicht mehr in meiner Erinnerung. Ich habe es hier gelesen, und ich erinnere mich, daß dort ausgeführt ist, daß diese niederländischen Gefangenen in deutsche Konzentrationslager kommen, gequält und hingerichtet werden.

VORSITZENDER: Dieser Urteilsspruch scheint sich nicht damit zu befassen; in diesem Urteilsspruch steht nichts davon, nicht wahr?


M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Gerade der Angeklagte behauptet, daß die Richter keine solchen Urteile mehr aussprechen wollten, damit die Leute nicht in Konzentrationslager kommen, wo [45] sie gemartert oder hingerichtet worden wären. Davon steht überhaupt nichts in diesem Urteil. Es steht lediglich darin, daß das Gericht keine Strafen aussprechen will, die zur Folge hätten, daß die Verurteilten in Konzentrationslager gebracht würden, und ich kann in diesem Urteil keine persönliche Beleidigung gegen den Angeklagten entdecken.


SEYSS-INQUART: Ich habe nunmehr den deutschen Text. Da heißt es:

»Der Gerichtshof wünscht der Tatsache Rechnung zu tragen, daß seit einiger Zeit verschiedene Gefängnisstrafen von Richtern auferlegt wurden, und daß niederländische Verbrecher männlichen Geschlechts entgegen den gesetzlichen Vorschriften und entgegen der Absicht des Gesetzgebers und des Richters hingerichtet worden sind, und in den Lagern auf eine Art und Weise hingerichtet werden, die die Strafe...«

und so weiter.

Das sind die Konzentrationslager, die das Gericht gemeint hat. Das ist der Umstand, daß Häftlinge aus niederländischen Gefängnissen in deutsche Lager gebracht wurden.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Herr Debenest.

M. DEBENEST: Haben Sie nicht auch im Unterrichtswesen tiefgehende Änderungen vorgenommen?


SEYSS-INQUART: Ich habe eine Überwachung des Lehrplanes der Schulen eingeführt und einen Einfluß auf die Ernennung der Lehrer ausgeübt, besonders bei den sehr zahlreichen privaten Schulanstalten, die in den Niederlanden waren; zwei Drittel der niederländischen Schulanstalten waren privat. Ich sah mich dazu veranlaßt, weil in diesen Schulen eine ausgesprochen antideutsche Tendenz den Schülern beigebracht wurde. Die Aufsicht hatte das niederländische Unterrichtsministerium gehabt.


M. DEBENEST: Sie haben auf diese Weise verhindert, daß sich zahlreiche Geistliche innerhalb des öffentlichen Erziehungswesens betätigen konnten.


SEYSS-INQUART: Das glaube ich nicht; ich habe angeordnet beziehungsweise war damit einverstanden, daß angeordnet wurde, daß Geistliche nicht Schulleiter sind. Was die geistlichen Lehrer betrifft, war ich einverstanden, daß ihre Bezüge um ein Drittel gekürzt werden; sie haben daher mit zwei Drittel der Bezüge weiter unterrichten können, und von dem ersparten Geld habe ich 4000 stellenlose Junglehrer neu angestellt.


M. DEBENEST: Was die Lehrer anbetrifft, haben Sie nicht eine besondere Lehrerbildungsanstalt geschaffen?


[46] SEYSS-INQUART: Nein, ich glaube, Sie meinen Kurse, die im diejenigen, die sich freiwillig gemeldet haben, in Avigor durchgeführt wurden.


M. DEBENEST: Nein, ich denke dabei an die Lehrer, die gezwungen waren, einen mehrmonatigen Lehrgang in Deutschland mitzumachen, bevor sie zum Lehrer ernannt wurden.


SEYSS-INQUART: Der Fall ist mir nicht erinnerlich. Das kann sich vielleicht um Lehrer handeln, die den deutschen Unterricht in den niederländischen Schulen geben sollten. Da ist es möglich, daß ich verlangt habe, daß sie zuerst eine gewisse Zeit in Deutschland sind, um angestellt zu werden.


M. DEBENEST: Haben Sie übrigens das Studium der deutschen Sprache in gewissen Klassen zur Pflicht gemacht?


SEYSS-INQUART: In der siebenten und der von mir neu eingeführten achten Klasse. Ich habe aber gleich zeitig den Unterricht in der niederländischen Sprache ebenso verstärken lassen, um eben damit zu dokumentieren, daß ich die Niederländer nicht verdeutschen will, sondern ihnen nur die Möglichkeit des deutschen Sprachunterrichts geben will.


M. DEBENEST: Aber diese Möglichkeit hatten sie doch schon; sie hatten doch gleichzeitig deutschen, englischen und französischen Unterricht. Die deutsche Sprache haben Sie auf Kosten der beiden anderen Fremdsprachen aufgezwungen.


SEYSS-INQUART: Ich habe gesprochen von den Elementarschulen, in denen der deutsche Unterricht noch nicht eingeführt war. Es ist denkbar, daß in den Mittelschulen der deutsche Unterricht verstärkt wurde auf Kosten des englischen und französischen Sprachunterrichts.


M. DEBENEST: Haben Sie nicht die Schließung mehrerer Universitäten angeordnet? Weshalb?


SEYSS-INQUART: Ich erinnere mich nur an die Schließung der Universität Leyden. Als auf Grund meiner Verfügung jüdische Professoren dieses Lehrkörpers entlassen wurden, haben die Hochschüler der Universität Leyden längere Zeit gestreikt, und ich habe daraufhin den Unterricht geschlossen. Ich kann mich nicht erinnern, eine andere Universität geschlossen zu haben. Die katholische Universität in Nijmegen und die kalvinistische Universität in Amsterdam haben meiner Erinnerung nach den Betrieb selbst eingestellt.


M. DEBENEST: Und wie ist es mit der Polytechnischen Hochschule in Delft? Haben Sie nicht auch deren Schließung angeordnet?


SEYSS-INQUART: Jawohl, das war vorübergehend. Sie wurde wieder eröffnet, soweit ich mich erinnere.


[47] M. DEBENEST: Nun, und wie ist es mit der katholischen Handelshochschule in Tilburg?


SEYSS-INQUART: Die habe ich nicht in Erinnerung.


M. DEBENEST: Das war im Jahre 1943.


SEYSS-INQUART: Ich erinnere mich nicht, aber es ist durchaus denkbar, daß sie aus irgendeinem Grunde gesperrt wurde, der sicherlich darin gelegen ist, daß ihr Betrieb mir eine Gefährdung der Interessen der Besatzungsmacht erschien.


VORSITZENDER: Es ist doch nicht notwendig, diese Einzelheiten zu bringen, nicht wahr? Wenn der Angeklagte sagt, daß er eine Schule geschlossen hat, ohne genügende Gründe dafür anzugeben, so genügt das doch für Ihre Beweisführung, nicht wahr?

M. DEBENEST: Gewiß, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie haben später versucht, aus der Universität Leyden eine nationalsozialistische Hochschule zu machen, nicht wahr?

SEYSS-INQUART: Wenn Sie die Tatsache der Ernennung von zwei oder drei Professoren von etwa 100 Professoren als das bezeichnen wollen, müßte ich Ja sagen – oder 50 Professoren. An andere Maßnahmen kann ich mich nicht erinnern. Es ist einmal eine Idee mir vorgetragen worden, in Leyden eine Hochschule zu kreieren, an der deutsche und niederländische Hochschüler studieren können, wobei das Studium auch in Deutschland eine entsprechende Anerkennung finden soll. Dazu ist es nicht gekommen.

M. DEBENEST: Jedenfalls geben Sie zu, daß Sie die Absicht hatten, eine Schule dieser Art zu gründen?


SEYSS-INQUART: »Absicht« ist schon etwas zuviel gesagt, es wurden diese Ideen erörtert. Es war auch noch eine Idee: Wir hatten in den Niederlanden, und zwar in der deutschen Wehrmacht, eine Reihe von Hochschülern, die ihr Studium begreiflicherweise nicht fortsetzen konnten. Es war damals erwogen worden, für diese deutschen in der Wehrmacht befindlichen Hochschüler in Leyden Kurse abzuhalten, die eine Art Fortsetzung ihrer Studien bedeuten sollten.


M. DEBENEST: Gut, ich lasse Ihnen ein Dokument vorlegen, F-803, das ich unter Nummer RF-1525 dem Gerichtshof vorlege.

Wie Sie sehen, handelt es sich um einen Bericht des Unterrichtsministeriums der Niederlande; es ist auf Seite 23 des französischen, auf Seite 16 des deutschen Textes.

Ich werde Ihnen die betreffende Stelle verlesen.

»Es wurden Versuche unternommen, um durch Ernennung von nationalsozialistischen Professoren aus der Universität [48] Leyden eine nationalsozialistische Universität zu machen. Jedoch scheiterten diese Versuche infolge der selbstbewußten Haltung der Professoren und Studenten. Manche Professoren haben sogar...«


VORSITZENDER: Ist das auf Seite 15?

M. DEBENEST: Es ist auf Seite 23 des französischen Textes im letzten Absatz, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Was ist das?


M. DEBENEST: Es ist F-803.


VORSITZENDER: Ich habe nicht nach der Dokumentennummer gefragt. Ich fragte nach der Art des Dokuments.

M. DEBENEST: Ich habe dem Gerichtshof angegeben, daß es sich um einen Bericht des Unterrichtsministeriums der Niederlande handelt.


VORSITZENDER: Wurde er durch den Angeklagten ernannt, oder ist er schon vor dem Kriege ernannt worden?


M. DEBENEST: Er ist der jetzige Erziehungsminister. Ich möchte den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß ich mich weiter in Einzelheiten auslassen muß, denn als die Französische Anklage hier ihren Fall vortrug, hatten wir nicht alle diese Dokumente zur Verfügung, und die Regierung der Niederlande möchte, daß diese Tatsachen so ausführlich wie möglich vorgetragen werden. Ich darf hinzufügen, daß ich heute Dokumente vorbringe, die von der Holländischen Regierung stammen.


VORSITZENDER: Ist es Seite 23?


M. DEBENEST: Im französischen Text Seite 23, Zeile 6 vor dem Schluß des letzten Absatzes.


VORSITZENDER: Ja.


M. DEBENEST:

»Es wurden Versuche unternommen, um durch Ernennung von nationalsozialistischen Professoren aus der Universität Leyden eine nationalsozialistische Universität zu machen. Jedoch scheiterten diese Versuche infolge der selbstbewußten Haltung der Professoren und Studenten. Manche Professoren haben sogar im Mai 1942 um ihre Gesamtentlassung gebeten, und da keine Reaktion erfolgte, taten sie dies im September desselben Jahres zum zweiten Male.«


VORSITZENDER: Gewiß; der Angeklagte hat das bereits gesagt, nicht wahr? Sie sprechen von der Universität Leyden, nicht wahr?

M. DEBENEST: Jawohl, Herr Vorsitzender. Wenn ich richtig verstanden habe, hat der Angeklagte gesagt, daß die Gründung einer [49] nationalsozialistischen Hochschule in Leyden in Frage stand, aber nicht in die Tat umgesetzt wurde. Nun geht aus dem Schriftstück hervor, daß das nicht auf den Angeklagten zurückzuführen ist, sondern auf das Verhalten der Lehrkräfte. Auf das wollte ich hinweisen.


SEYSS-INQUART: Darf ich dazu eine Bemerkung machen.


M. DEBENEST: Gewiß.


SEYSS-INQUART: Daß es hier ein Versuch ist, Leyden zu einer nationalsozialistischen Universität zu machen, steht lediglich in diesem Dokument. Ich bleibe bei meiner Behauptung, daß ich zwei, höchstens drei Professoren ernannt habe, die Nationalsozialisten waren. Damit ist die Universität noch lange nicht nationalsozialistisch. Aber aus diesem Dokument ergibt sich deutlich, wie ich mich verhalten habe. Gegenüber der demonstrativen Niederlegung der Professoren habe ich überhaupt nichts gemacht. Die zweite Niederlegung blieb ebenso unbeantwortet. Daß dann Verhaftungen vorkamen, wird damit in Zusammenhang stehen, daß ein Teil der Professoren ansonsten für uns verdächtig war, und diese Professoren kamen nach Michelgestell. Das ist dieses Anhaltelager, in dem die Mitglieder Golf gespielt haben.


M. DEBENEST: Dann war das also Zufall?


SEYSS-INQUART: Das würde ich nicht einmal behaupten. Wir haben sicherlich nach dem zweiten Demonstrationsversuch die Herren ein bißchen überprüft.


M. DEBENEST: Haben Sie nicht Maßnahmen ergriffen, um die Studenten zum Arbeitseinsatz zu zwingen?


SEYSS-INQUART: Ich glaube, solange sie studiert haben, nicht. Denn ich hatte ausdrücklich Ausnahmebestimmungen für alle Studierenden getroffen. Ich weiß, daß Gewerbeschüler höheren Grades et cetera mit Freilassungsscheinen beteilt wurden. Auch die Hochschüler, die studierten und die die Bedingungen der Zulassung zum Studium erfüllt hatten, waren meines Erachtens auch nicht im Arbeitseinsatz.


M. DEBENEST: Nun, ich lese Ihnen kurz den zweiten Absatz Ihrer Verordnung vor.

Es handelt sich um die Verordnung vom 11. März 1943, Nummer 27:

»Jeder Studierende, der nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung in einem der im Paragraph 1 erwähnten Studienfächer die Abschlußprüfung oder eine ihr nach Anordnung des Generalsekretärs im Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Kulturverwaltung gleichzuachtende Prüfung mit Erfolg [50] abgelegt hat, ist verpflichtet, eine bestimmte Zeit im Rahmen des Arbeitseinsatzes zu arbeiten.«

Ist das Ihre Verordnung?

SEYSS-INQUART: Bitte, heißt das Arbeitsdienst?

M. DEBENEST: Ich habe den deutschen Text nicht vor mir. Es ist die Verordnung Nummer 27.


SEYSS-INQUART: Verordnung Nummer 27?

Darf ich um den Paragraphen bitten?


M. DEBENEST: Paragraph 2.


SEYSS-INQUART: Das ist richtig, da heißt es:

»Studierende, die die Abschlußprüfung gemacht haben.«

Das heißt, sie haben also nicht mehr studiert, sondern waren fertig. Ihre Alterskameraden sind inzwischen von mir, wie ich gestern erzählt habe, aufgerufen worden zum Arbeitseinsatz, und die von mir Begünstigten haben jetzt den Arbeitseinsatz nachzuholen gehabt. Aber das Studium von ihnen wurde nicht gestört oder unterbrochen.

M. DEBENEST: Die Studenten waren daher in der Lage, ihre Studien frei fortzusetzen?

SEYSS-INQUART: Ich erinnere mich an kein Hindernis.


M. DEBENEST: Nun, dann möchte ich Sie bitten, sich den folgenden Erlaß, Nummer 28, anzusehen. Es handelt sich um einen Erlaß des Generalsekretärs van Damm. Dieser Erlaß zwingt die Studenten zu einer Loyalitätserklärung.


SEYSS-INQUART: Ja, das ist richtig.


M. DEBENEST: Welches waren die Folgen?


SEYSS-INQUART: Die Folgen waren für mich nicht verständlich. Die Hochschulen waren damals der Sitz antideutscher Umtriebe. Ich habe von den Hochschülern die Erklärung verlangt, daß sie die in den besetzten niederländischen Gebieten geltenden Gesetze befolgen werden, sich jeder Handlung gegen das Deutsche Reich, die Wehrmacht oder die niederländischen Behörden enthalten werden und die öffentliche Ordnung auf den Universitäten nicht gefährden. Es ist mir unbegreiflich, warum ein Hochschüler eine solche Erklärung nicht abgeben konnte. Diejenigen, die sie abgegeben haben, konnten vollkommen unbehindert studieren. Aber niederländische Professoren haben ihnen sabotierend keinen Unterricht erteilt.


M. DEBENEST: Nun, was geschah mit denen, die diese Erklärung nicht abgegeben haben?


SEYSS-INQUART: Die sind nicht mehr Hochschüler gewesen, und wenn sie in die von mir zum Arbeitseinsatz aufgerufenen [51] Jahrgänge gehört haben, sind sie zum Arbeitseinsatz aufgerufen worden.


M. DEBENEST: Haben Sie nicht den Universitäten das Führerprinzip auferlegt?


SEYSS-INQUART: Ich glaube nicht so strikt wie in den Gemeindeverwaltungen, aber ich habe dem Rektor der Universität größere Vollmachten gegeben, weil ich von ihm eine größere Verantwortung verlangt habe.


M. DEBENEST: Nun gut. Wurde nicht auf den Universitäten eine gewisse nationalsozialistische Propaganda getrieben?


SEYSS-INQUART: Ich glaube, das wird sich nicht ganz verhindern haben lassen.


M. DEBENEST: Mußten nicht vor allem die Studenten in gewissen Gegenden Ausstellungen besuchen und an von der Partei oder sogar von Regierungsstellen veranstalteten Vorlesungen teilnehmen?


SEYSS-INQUART: Es ist mir nicht bekannt, aber es ist möglich.


M. DEBENEST: Sie haben sich also in das Verwaltungsgebiet, in das Gebiet des Unterrichts und ebenfalls in stets gleichem Sinne in das kulturelle Leben des holländischen Volkes eingemischt?


SEYSS-INQUART: Jawohl, in dem Maße, wie ich das gestern schon ausgeführt habe.


M. DEBENEST: Sie haben ebenfalls verschiedene Berufskammern eingerichtet? Ist das richtig?


SEYSS-INQUART: Ja, ja.


M. DEBENEST: Sie haben behauptet, daß die Aufnahme in diese Berufskammern nicht obligatorisch gewesen sei und daß Sie niemals die Zahlung der Mitgliedsbeiträge erzwungen haben.


SEYSS-INQUART: Das stimmt nicht. Die Zugehörigkeit zu den Berufskammern war obligatorisch. Ich bin auch überzeugt, daß die Kammervorsteher die Mitglieder aufgefordert haben, die Beiträge zu zahlen. Ich habe es abgelehnt, aus der Nichtzahlung des Mitgliedsbeitrages die Konsequenz zu ziehen, daß einer aus der Kammer und damit aus seinem Beruf ausgeschieden wird, oder die Zahlung der Beiträge im Wege gerichtlicher Exekution einzutreiben.


M. DEBENEST: Sie werden sich jedoch der Schwierigkeiten erinnern, die auf diese Weise in der Ärztekammer entstanden?


SEYSS-INQUART: Ich habe gerade an die Ärztekammer gedacht. Bei der Ärztekammer verlangten gewisse Kreise, daß die Mitglieder, die die Beiträge nicht zahlen, von der Berufsausübung ausgeschlossen werden sollen oder daß wenigstens die Beiträge durch gerichtlichen Zwang eingetrieben werden sollen. Ich habe [52] diesen Herren gesagt, wenn es ihnen nicht möglich ist, durch Überzeugung die Mitglieder zur Zahlung zu bringen, werde ich keinen Zwang ausüben.


M. DEBENEST: Welche Kreise waren das?


SEYSS-INQUART: Vielleicht sagen Sie mir das gleich, dann werden wir Zeit sparen.


M. DEBENEST: War das nicht der NSB zum Beispiel?


SEYSS-INQUART: In welchem Zusammenhang, bitte?


M. DEBENEST: Sagten Sie nicht selbst, daß gewisse Kreise die Zahlung der Beiträge verlangten? Ich habe Sie gefragt, um welche Kreise es sich dabei handelt.


SEYSS-INQUART: Meinen Sie, welche Freunde oder Mitarbeiter von mir in mich gedrungen sind, auf der Zahlung zu bestehen? Ich bin mir über den Sinn der Frage nicht ganz im klaren.


M. DEBENEST: Ich bitte Sie nur, genau zu erklären, welche Kreise Sie damit meinen. Sie gebrauchten selbst das Wort »gewisse Kreise«, vielleicht ist es schlecht übersetzt worden.


SEYSS-INQUART: Milieux? Milieux?


VORSITZENDER: Herr Debenest! Der Gerichtshof ist der Meinung, daß Sie mit diesen verschiedenen geringfügigen Fragen wirklich zuviel Zeit in Anspruch nehmen. Wir haben uns schon den ganzen Nachmittag mit den von dem Angeklagten in den Niederlanden eingeführten verschiedenen Maßnahmen befaßt. Es ist doch vollkommen klar, daß er nach seinem eigenen Zugeständnis die ganze Verwaltung Hollands abänderte.


M. DEBENEST: Haben Sie sich nicht auch an der Verfolgung der Kirchen beteiligt?

SEYSS-INQUART: Ich weiß nicht, ob man die Maßnahmen gerade als Verfolgung der Kirchen bezeichnen kann. Aber ich habe Maßnahmen getroffen, die sich mit den Kirchen befaßt haben.


M. DEBENEST: Welche Maßnahmen im besonderen?


SEYSS-INQUART: Ich glaube, daß in Ihren Augen als die schwerwiegendste die Einziehung verschiedener niederländischer Klöster in Frage kommen wird, wobei eines dieser Klöster in eine deutsche Schule verwandelt wurde und das Kirchengebäude dieses Klosters niedergerissen wurde.


M. DEBENEST: Gestern haben Sie behauptet, daß es Priestern oder mindestens einem Priester möglich war, Konzentrationslager zu besuchen. Ist das richtig?


SEYSS-INQUART: Nein, das habe ich nicht behauptet. Ich habe nur gesagt, daß in dem Judensammellager Westerborg katholische [53] und protestantische Juden waren, die sonntags durch einen Geistlichen von außerhalb besucht wurden. Ich glaube nicht, daß in den Konzentrationslagern unter der Führung der deutschen Polizei Geistliche Besuche machen konnten oder Geistliche Eintritt haben konnten.


M. DEBENEST: Nun eine Frage bezüglich der Presse. Hat die Presse während der Besatzungszeit eine gewisse Freiheit behalten? Ich sage bewußt eine »gewisse« Freiheit.


SEYSS-INQUART: Für meine Begriffe viel zu wenig. Die Presse ist unter einer ziemlich strengen Kontrolle des Propagandaministeriums gestanden. Die Redakteure wurden angestellt auf Grund einer Begutachtung des niederländischen Propagandaministeriums. Ich glaube, es ist für eine Besatzungsmacht selbstverständlich, daß man bei einem so wichtigen Instrument nur Leute nimmt, die eine gewisse positive Einstellung haben. Ich hätte gewünscht, daß man diesen Männern dann viel mehr Redefreiheit gibt, und ich glaube, sagen zu können, soweit ich den Einfluß ausgeübt habe, ist das auch geschehen. Aber auch der Reichskommissar in den Niederlanden war nicht allmächtig.


M. DEBENEST: Wurden nicht auch Vergeltungsmaßnahmen gegen gewisse Zeitungen durchgeführt?


SEYSS-INQUART: Ich weiß nicht...


VORSITZENDER: Wir könnten vielleicht etwas schneller weitergehen. Es treten sehr lange Pausen zwischen Fragen und Antworten ein.


SEYSS-INQUART: Ich muß mir natürlich erst den Gegenstand vergegenwärtigen. Wenn man mir unvermutet eine Frage vorlegt über ein Gebiet vor fünf Jahren, so erfordert das ein genaues Nachdenken, was sich wirklich in einzelnen Fällen ereignet hat. Ich kann zum Beispiel gleich nein sagen, bin aber sicher, daß die Antwort falsch ist.

Also zum Beispiel Repressalien: Ich weiß, daß einmal im Haag die Redaktion einer Zeitung in die Luft gesprengt wurde. Das war eine Maßnahme, die von der Sicherheitspolizei ausgegangen ist, und zwar war das der Sitz einer illegalen propagandistischen Gruppe.


M. DEBENEST: Gestern sprachen Sie von der Sterilisierung der Juden in Holland. Wer hat diese Maßnahme eingeführt?


SEYSS-INQUART: Wenn Sie »einführen« sagen, dann glaube ich, die Frage richtig beantworten zu können. Die Sicherheitspolizei teilte mir mit, daß eine Anzahl von Juden sich sterilisieren ließ durch jüdische Ärzte und daß sie daraufhin diese Juden von allen Beschränkungen und vom Tragen des Judensterns befreit hat. [54] Es handelt sich nicht um Juden, die sonst evakuiert, worden wären, sondern um solche, die unter Beschränkung in Holland hätten bleiben sollen. Ich habe den Leiter meiner Gesundheitsabteilung beauftragt, die Frage zu prüfen. Er teilte mir mit, daß dieser Eingriff bei Frauen eine schwere Operation wäre. Daraufhin habe ich den Höheren SS- und Poli zeiführer veranlaßt, jedenfalls einmal bei Frauen diese Aktion zu unterbinden. Dann haben die christlichen Kirchen sich an mich gewandt mit einem Protest. Ich habe den christlichen Kirchen geantwortet, ich nehme an, Sie haben das Schreiben im Akt, in dem ich den Sachverhalt geschildert und ausdrücklich darauf verwiesen habe, daß hier kein Zwang ausgeübt werden dürfe. In kurzer Folge war diese Aktion vorüber. Wie ich gehört habe, haben die christlichen Kirchen die Juden verständigt, und wie sie sicher waren, daß auf sie kein Zwang ausgeübt worden ist, haben sie sich dieser Operation nicht mehr unterzogen.

Ich selbst habe den hier in Frage kommenden Juden dann auch noch ihr Vermögen zurückgegeben. Damit war die Angelegenheit beendet, wenngleich ich heute sagen muß, je weiter man von diesem Zeitpunkt sich entfernt, um so weniger wird sie einem erklärlich.


M. DEBENEST: Aber sind Sie es gewesen, der diese Idee der Sterilisierung gehabt hatte?


SEYSS-INQUART: Nein, der Vorgang wurde mir von der Sicherheitspolizei gebracht.


M. DEBENEST: Gut. Ich werde Ihnen jetzt ein Dokument vorlegen, 3594-PS, das ich dem Gerichtshof als RF-1526 vorlege. Es handelt sich um eine eidesstattliche Erklärung von Hildegard Kunze, einer Agentin des Reichssicherheitshauptamtes. Ich verlese den dritten Absatz:

»Ich erinnere mich auch, daß er in diesem oder einem anderen Bericht in Vorschlag brachte« – er, das ist Seyß-Inquart – »daß alle jene Juden, die vorzugsweise in Holland verbleiben sollten, sterilisiert werden sollten.«

Es handelt sich also nicht um polizeiliche Dienststellen.

SEYSS-INQUART: Es handelt sich hier um die Richtigkeit des Gedächtnisses einer Stenotypistin, die außerdem in dem dritten Punkt gar nicht behauptet, daß diese Berichte des dritten Punktes jene sind, die sie im zweiten Punkt erwähnte und die sie mir zuschreibt. Es ist ausgeschlossen, daß sie einen Bericht von mir gesehen hat, wo ich eine solche Anregung gab, denn der Fall wurde mir als ein Faktum seitens der Sicherheitspolizei mitgeteilt; also eine bereits geschehene Sache, also eine im Zug befindliche Sache.

M. DEBENEST: Sie behaupten also, daß nicht Sie, sondern die Polizei es gewesen ist? Aber jedenfalls haben Sie es geduldet?


[55] SEYSS-INQUART: Ich habe den Vorgang bezüglich der männlichen Juden eine Zeitlang geduldet, das ist richtig; wobei mir klargelegt wurde, daß auf diese Juden kein direkter Zwang ausgeübt wurde durch Androhung eines Nachteils.

VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt für zehn Minuten vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


M. DEBENEST: Angeklagter! Behaupten Sie noch immer, daß Sie niemanden gezwungen haben, in Deutschland zu arbeiten?

SEYSS-INQUART: Im Gegenteil, ich glaube, ich habe etwa 250000 Niederländer verpflichtet, in Deutschland zu arbeiten. Ich habe das gestern ausgeführt.


M. DEBENEST: Sehr gut. Ich gehe darauf nicht weiter ein. Haben Sie nicht auch gewisse Gesetzesbestimmungen über die Staatsbürgerschaft eingeführt?


SEYSS-INQUART: Die Staatsbürgerschaft der Niederländer?


M. DEBENEST: Gewiß, natürlich.


SEYSS-INQUART: Jawohl.


M. DEBENEST: Haben Sie an der Verhaftung, Internierung und Deportierung holländischer Staatsbürger in deutsche Konzentrationslager teilgenommen und wie?


SEYSS-INQUART: Bitte, darf ich ganz kurz zu dieser Frage der Staatsbürgerschaft eine Erläuterung geben?


M. DEBENEST: Gewiß.


SEYSS-INQUART: Es haben sich ziemlich viele Niederländer zur Waffen-SS gemeldet, und der Führer beabsichtigte, ihnen die deutsche Reichsbürgerschaft zu geben: Damit wären sie der niederländischen Staatsbürgerschaft verlustig gegangen, was sie bestimmt nicht wollten. Infolgedessen habe ich eine Verordnung erlassen, daß bei Erwerbung der deutschen Reichsbürgerschaft die niederländische Staatsbürgerschaft nicht verloren geht innerhalb eines Jahres, in der sich der Betreffende dann entscheiden kann. Dies zur Erklärung des Motivs und des Zweckes dieser Verordnung.


M. DEBENEST: Ich stelle daher nochmals die Frage, die ich Ihnen vorher schon gestellt habe: Haben Sie an der Verhaftung, Internierung und Deportierung von holländischen Staatsbürgern in deutsche Konzentrationslager teilgenommen und unter welchen Umständen?


SEYSS-INQUART: Die Verbringung und überhaupt die Anhaltung irgendeiner Person in Konzentrationslagern ist ausschließlich Sache der Polizei gewesen. Ich erinnere mich nicht an einen Fall, [56] in dem ich bei der Polizei den Antrag gestellt hätte, einen Niederländer in ein deutsches Konzentrationslager zu bringen. Es kann vorgekommen sein, daß ich bei der deutschen Polizei den Auftrag gegeben habe, Niederländer nach Herzogenbusch oder Amersfort zu bringen. Besonders in der Zeit, in der die niederländischen Gerichte die Schwarzhändler und Schwarzschlächter sehr gering bestraft haben, habe ich deren Abgabe in ein Konzentrationslager auf zwei oder drei Monate verlangt. Aber wenn Sie bestimmte Fälle haben, so sagen Sie es mir nur bitte. Sie können sicher sein, ich werde alles genau so sagen, wie ich es in Erinnerung habe.


M. DEBENEST: Nein, nein, Ihre Antwort genügt mir.

Haben Sie an der Festnahme von Geiseln und an ihrer Hinrichtung teilgenommen?


SEYSS-INQUART: Ich habe gestern gesagt, daß ich nur einen einzigen wirklichen Geiselfall in Erinnerung habe aus dem Jahre 1942. Und da habe ich ja meine Beteiligung geschildert. Die sogenannten Geiselerschießungen ab Juli 1944 waren keine Geiselerschießungen, sondern Vollstreckungen, die der Polizei übertragen wurden auf Grund eines Führerbefehls. Ich selbst habe niemals den Befehl zu einer individuellen Erschießung gegeben. Aber ich wiederhole, wenn ich zum Beispiel die Polizei aufmerksam gemacht habe, in irgendeinem bestimmten Ort in den Niederlanden macht sich die illegale Widerstandsbewegung stark bemerkbar, und sie beauftragt habe, den Fall zu überprüfen, so war es mir klar, daß sie führende Widerstandskreise und Leute verhaften konnte, die sie dann auf Grund des Führerbefehls erschießen wird. Aber ich wiederhole: Ich mußte meiner Verantwortung nachkommen, selbst in der schwierigen Situation, daß die Schuldtragenden – rein rechtlich, nicht moralisch, moralisch hätte ich wahrscheinlich ebenso gehandelt wie sie –, daß die Schuldtragenden nicht vor ein Gericht gestellt werden.


M. DEBENEST: Was die von Ihnen gestern erwähnten Tatsachen betreffen, handelt es sich wohl um Geiseln, die anläßlich eines Attentats auf die Eisenbahn in Rotterdam erschossen wurden?


SEYSS-INQUART: Jawohl.


M. DEBENEST: Wer hat denn diese Geiseln ausgewählt?


SEYSS-INQUART: Die Geiseln wurden von der Sicherheitspolizei ausgewählt und der Höhere SS- und Polizeiführer hat mir die Liste vorgelegt. Ich habe, wie gestern bekundet, gefragt, warum er gerade solche Persönlichkeiten nimmt. Er hat mir die Erklärung gegeben, und ich habe dann bei der Durchsicht die Familienväter mit mehreren Kindern weggestrichen, habe sie dem Höheren SS- und Polizeiführer zurückgegeben und ihn ersucht, diese meine Stellungnahme bei der Durchführung zu berücksichtigen. Durch diese [57] meine mittelbare Handlung habe ich dazu beigetragen in dem Sinne, daß nicht Väter mehrerer Kinder erschossen werden.


M. DEBENEST: Wie viele Geiseln wurden dann auf diese Art ausgewählt?


SEYSS-INQUART: Das habe ich heute nicht mehr in Erinnerung, vielleicht waren es zwölf bis fünfzehn, davon sind fünf übriggeblieben; das war die Zahl, die man schließlich herabmindern konnte von der ursprünglichen Ziffer von 50 oder 25.


M. DEBENEST: Gut. Ich werde Ihnen jetzt ein Dokument über die Festnahme dieser Geiseln überreichen. Es ist, Dokument F-886, das RF-1527 wird. Es ist eine Erklärung des Generals Christiansen, vielmehr es ist eine Abschrift einer Erklärung des Generals Christiansen. Sie kommt von einem Affidavit des Leiters der holländischen Abordnung.

Wollen Sie bitte den vierten Absatz vor dem Schluß der ersten Aussage zur Hand nehmen?


VORSITZENDER: Haben Sie das Original?

M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Ich habe eben angegeben, daß es nur eine Abschrift einer Erklärung ist, die von einem Affidavit des Leiters der holländischen Abordnung stammt, aber wenn der Gerichtshof es wünscht, können wir das Original vorlegen, sobald wir es zur Hand haben.


VORSITZENDER: Herr Debenest! Die Abschrift ist in keiner Weise beglaubigt, nicht wahr?


M. DEBENEST: Ich glaubte, Herr Vorsitzender, daß ein Affidavit von dem Vertreter der Holländischen Regierung in Nürnberg vorliegt. Auf dem Original... Ich muß mich entschuldigen. Es wurde tatsächlich nicht vervielfältigt. Aber das Original enthält dieses Affidavit.


VORSITZENDER: Was wollen Sie mit diesem Affidavit beweisen? Etwas über die Geiseln?


M. DEBENEST: Jawohl, Herr Vorsitzender. Es wird darin erklärt, daß der Angeklagte selbst die Geiseln ausgewählt hat.


VORSITZENDER: In welchem Verfahren wurde diese eidesstattliche Erklärung abgegeben?


M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Im Verlaufe des Verfahrens, das in den Niederlanden gegen General Christiansen stattfand.

VORSITZENDER: Wie glauben Sie, daß es nach dem Statut zugelassen werden kann?


M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Ich glaube, wir haben dem Gerichtshof schon solche Dokumente vorgelegt, das heißt beglaubigte [58] Abschriften, die von einem Original stammen, das sich in dem Ursprungslande befindet.


VORSITZENDER: Wenn das Original, von dem die Abschrift hergestellt wurde, als Dokument nach dem Statut zugelassen werden dürfte, dann könnte es wahrscheinlich so gemacht werden, daß eine Beglaubigung vorgelegt wird, welche die Echtheit der Abschrift eines nach dem Statut zulässigen Dokuments bestätigt. Ist jedoch dieses Dokument nach dem Statut zulässig?


M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Ich glaube, es ist zulässig, es handelt sich doch um nichts weniger als um eine eidesstattliche Erklärung, die unter ganz normalen Verhältnissen in den Niederlanden abgegeben wurde.


VORSITZENDER: Haben Sie keine deutsche Ausfertigung davon?


M. DEBENEST: Doch, Herr Vorsitzender. Dieses Dokument ist ins Deutsche übersetzt worden, ich habe es ins Deutsche übersetzen lassen.

VORSITZENDER: Herr Debenest! Dies scheint ein Dokument in holländischer Sprache zu sein, und General Christiansen, der die Aussage machte, war doch Deutscher, nicht wahr?


M. DEBENEST: Nein, Herr Vorsitzender; das Original ist in holländischer Sprache.


VORSITZENDER: Das Original ist in holländischer Sprache?


M. DEBENEST: Das Original ist holländisch, wenigstens nach meinen Auskünften. Ja, das Original ist in holländischer Sprache.


VORSITZENDER: Und wie ist die eidesstattliche Erklärung abgegeben worden, in welchem Verfahren?


M. DEBENEST: In holländischer Sprache, mit Dolmetschern.


VORSITZENDER: Ich meine, in welchem Verfahren, vor welchem Gerichtshof?


M. DEBENEST: Ich glaube, es war vor einem holländischen Militärgericht, ja, vor einem Militärgericht in Holland.


M. CHARLES DUBOST, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Hoher Gerichtshof...

VORSITZENDER: Ja, Herr Dubost.


M. DUBOST: Dieses Dokument ist ein Auszug aus einem Strafe verfahren, das gegen General Christiansen auf Veranlassung der Regierung der Niederlande eingeleitet wurde. Der Justizminister der Niederlande hat uns einen Auszug des Protokolls zukommen lassen, das den Vorschriften gemäß im Verlauf dieses Verfahrens gegen General Christiansen in den Niederlanden aufgenommen wurde. Der Text wurde deshalb in holländischer Sprache abgefaßt.


[59] VORSITZENDER: Die Erklärung, dieses Affidavit, ist doch in holländischer Sprache. General Christiansen ist doch kein Holländer?


M. DUBOST: General Christiansen ist Deutscher.


VORSITZENDER: Wenn er Deutscher ist, warum gibt er seine Erklärungen in holländischer Sprache ab? Wenn er sie nicht auf holländisch abgab, warum ist die deutsche Abschrift nicht hier? Sehen Sie, wir haben hier eine Beglaubigung von einem Oberst, der die Regierung der Niederlande vertreten soll; nach dieser Beglaubigung ist dieses Dokument eine korrekte Abschrift von General Christiansens Aussage. Nun, das Dokument, das wir hier haben, ist in holländischer Sprache, und wenn General Christiansen seine Aussage in deutscher Sprache gemacht hat, dann kann das keine echte Abschrift sein; diese ist vielmehr von der Übersetzung ins Holländische abhängig. Was sagen Sie dazu?


M. DUBOST: Die Aussage des Generals Christiansen wurde über einen Dolmetscher angehört entsprechend dem holländischen Verfahren und auf holländisch niedergeschrieben. Es ist nicht möglich, von einem holländischen Gericht die Protokolle in fremder Sprache zu bekommen, sie werden in holländisch gemacht.


VORSITZENDER: Ich verstehe.


DR. STEINBAUER: Herr Vorsitzender! Darf ich einige Worte sagen. Mir ist bekannt, weil ich in Verbindung stehe mit dem Verteidiger des Generals Christiansen, daß gegen ihn ein kriegsgerichtliches Verfahren vor einem englischen Militärgericht vorlag. Ich habe Bedenken gegen das Dokument, weil es nicht beglaubigt ist, und weil nicht ersichtlich ist, ob der Dolmetscher, der aus dem Deutschen ins Holländische übertragen hat, auch ein geeigneter war. Mir wird dadurch auch die Möglichkeit genommen, als Verteidiger General Christiansen ins Kreuzverhör zu nehmen. Mir scheint, daß durch die bloße Vorläge des Affidavits die Rechte der Verteidigung wesentlich beeinträchtigt sind.


M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Man sagt mir eben, daß General Christiansen gegenwärtig in Arnhem von den holländischen Behörden festgehalten wird.


VORSITZENDER: Gut, Herr Debenest, der Gerichtshof wird das Dokument zulassen, wenn Sie eine Beglaubigung von dem Gerichtshof erhalten, das General Christiansen verurteilt hat. Das einzige Zeugnis, das Sie jetzt haben, daß dies eine echte Abschrift ist, kommt von einem Oberst van... ich kann den Namen nicht aussprechen. Nichts außer seiner eigenen Erklärung zeigt, daß er ein Beamter der Holländischen Regierung ist. Wir wissen nicht, wer er ist.


[60] M. DEBENEST: Gewiß, Herr Vorsitzender, wir werden später das Original von dem Gerichtshof anfordern.


VORSITZENDER: Gut, legen Sie uns das Original später vor.


M. DEBENEST: Van... ist der beglaubigte Vertreter der Holländischen Regierung bei der Französischen Delegation.


DR. STEINBAUER: Herr Vorsitzender! Ich habe nur eine französische Übersetzung vor mir, und ich lese davon folgendes:

»Christiansen ist hier nicht als Zeuge, sondern als Angeklagter vernommen worden. Er ist gar nicht verpflichtet zur Wahrheit, er kann erzählen, was er will. Er ist dafür nicht haftbar.«

Ich glaube schon, daß aus diesem Grunde das Dokument zurückzuweisen ist.

VORSITZENDER: Dr. Steinbauer! Der Grund, aus dem der Gerichtshof bereit ist, das Dokument zuzulassen, wenn es vorliegt, ist der, daß Artikel 21 vorsieht, daß Berichte einschließlich Akten und Dokumente der Ausschüsse, die in den verschiedenen alliierten Ländern zur Untersuchung der Kriegsverbrechen bestehen, sowie die Protokolle von Militär- und anderen Gerichten irgendeiner der vereinten Nationen amtlich zur Kenntnis genommen werden sollen. Aus diesem Grunde ist das Dokument nach der Meinung des Gerichtshofs zulässig, wenn das echte Dokument vorliegt.


[Zu Herrn Debenest gewandt:]


Nun, sehen Sie zu, daß Sie eine ordnungsgemäß beglaubigte Abschrift dieses Dokuments vorlegen können.

M. DEBENEST: Selbstverständlich, Herr Vorsitzender.

SEYSS-INQUART: Darf ich zu dem Dokument Stellung nehmen?


M. DEBENEST: Wollen Sie bitte warten, bis ich Ihnen selbst den Teil verlese, den ich Ihnen vorlegen will.

Es ist auf Seite 4 des französischen Textes, der vierte Absatz vor dem Schluß der ersten Erklärung, also der zweite Absatz auf der Seite.

»Seyß-Inquart sagte, glaube ich, damals schon, daß 5 Geiseln erschossen werden sollten. Ich kannte keinen dieser Geiseln; ich habe nicht fünf ausgesucht, und ich habe mit der Durchführung nichts zu tun gehabt. Es war eine rein politische Angelegenheit, wobei ich als Wehrmachtbefehlshaber einfach nach vorne geschoben wurde.«

Jetzt können Sie eine Erklärung dazu geben, wenn Sie wollen.

SEYSS-INQUART: Diese Darstellung des Herrn Generals Christiansen, die er als Beklagter, nicht als Zeuge gibt, deckt vollinhaltlich meine Darstellung. Am Eingang des Berichts sagt General [61] Christiansen, Feldmarschall Rundstedt und das OKW hat ihm über seinen Chef den Befehl gegeben, die Geiseln haftbar zu machen. Er sagt weiter, er habe durch seine juristische Abteilung eine Proklamation herausgegeben, daß die Geiseln mit ihrem Leben haften, wenn weitere Sabotagen vorkommen. Er sagt weiter, daß solche Sabotagen vorgekommen sind, und er habe sich an das Oberkommando West gewandt oder das OKW und die Antwort bekommen, daß die Geiseln in Anspruch zu nehmen sind. Er sagt dann, daß er mich von diesem Befehl unterrichtete, nämlich, daß die alte Geiselanordnung bleibt. Ich habe darauf gesagt, daß fünf hingerichtet werden sollen, das habe ich immer behauptet; denn ich sagte auch, daß 25 erschossen werden sollten, und ich habe um das Leben der anderen 20 gehandelt.

Der Bericht ist also im wesentlichen richtig und deckt vollkommen meine Darstellung.


M. DEBENEST: Aber in diesem Dokument ist ja nicht die Rede von 25 Geiseln, es wird nur davon gesprochen, daß Sie es waren, der die fünf Geiseln auswählte.

Nehmen Sie die Erklärung vom 5. März auf der nächsten Seite. Der General Christiansen erklärt:

»Es ist mir eingefallen, daß auch noch Oberstleutnant Kluter an dieser Konferenz teilgenommen hat. Es waren also sieben Herren da. Ich habe also dorthin den Befehl überbracht, daß Geiseln in Anspruch genommen werden sollten, und Seyß-Inquart sagte dann sofort, daß fünf Menschen ergriffen werden sollten. Sie fragen, ob das nun nur so mir nichts dir nichts ginge. Offenbar hatte Seyß-Inquart die Befugnis dazu.«

Also das sind wiederum Sie, der diese Geisern bezeichnet und ausgewählt hat.

SEYSS-INQUART: Die Wiederholung dieser Worte ändert gar nichts an der Tatsache, daß 25 Geiseln verlangt wurden, wie morgen Ihnen die Zeugen bestätigen werden, und daß ich interveniert habe, daß nur fünf verlangt werden, daß das Ganze aber eine Aktion der Wehrmacht und des Höheren SS- und Polizeiführers war; denn die Proklamationen sind im Namen beider gewesen. Ich habe mir als Reichskommissar das Recht genommen, die Geiselzahl möglichst herabzudrücken. Die endgültige Ziffer ist aber zwischen Wehrmachtbefehlshaber und dem Höheren SS- und Polizeiführer festgelegt worden.

VORSITZENDER: Herr Debenest! Haben Sie den letzten Absatz in der eidesstattlichen Erklärung vorgelesen, Seite 4 unten?


M. DEBENEST: Ganz richtig, Herr Vorsitzender, ich habe es nicht verlesen, ich verlese es jetzt:

[62] »Ich bitte Sie, auch noch aufzunehmen, daß bei dieser Konferenz bei Seyß-Inquart dieser sich das Recht, die Geiseln auszuwählen, ausdrücklich vorbehalten hat.«


SEYSS-INQUART: Ich kann dazu gar nichts sagen, als was ich Ihnen gesagt habe. Die Auswahl der Geiseln erfolgte wahrscheinlich durch den Höheren SS-und Polizeiführer nach den Richtlinien, die er von dem Wehrmachtbefehlshaber, besser gesagt, von sei nen vorgesetzten Stellen bekommen hat. Ich selbst habe vorbehalten oder gebeten, die Liste zu sehen, weil ich mich als Reichskommissar auch dafür interessiert habe, was für Männer ausgewählt werden. Und ich habe meinen Einfluß in der Weise geltend gemacht, wie bereits erwähnt, daß die Väter mit vielen Kindern herausgenommen werden. Im übrigen will ich der subjektiven Darstellung des Generals Christiansen nicht weiter Polemik entgegenhalten.

Wir haben recht und gut miteinander gearbeitet. Das Gericht wird entscheiden, ob ich falsch aussage, oder ob er sich irrt.


M. DEBENEST: Genau das habe ich auch gedacht.

Sie behaupten also, daß es der einzige Fall ist, wo Sie bei der Festnahme und Hinrichtung von Geiseln intervenierten?


SEYSS-INQUART: Ich glaube ja.


M. DEBENEST: Waren Sie über die Hinrichtung der Geisern als Folge des Attentats auf Rauter unterrichtet?


SEYSS-INQUART: Den Umfang meiner Information habe ich gestern dargelegt. Ich habe die Ziffer, die in Frage kommt, nicht gewußt. Es war mir bekannt, daß Erschießungen vorgenommen werden, und zwar jener Männer, die auf Grund ihres Verhaltens und nach der Weisung des Führers durch die Sicherheitspolizei zu erschießen waren. Die Ziffer selbst habe ich nachher erfahren.


M. DEBENEST: Infolgedessen haben Sie bei der Erschießung der Geiseln überhaupt nicht interveniert?


SEYSS-INQUART: Das kann ich nicht sagen, nein, denn ich habe mit dem Stellvertreter des Höheren SS-und Polizeiführers natürlich ernstlich erwogen, was man bei einem solchen Fall machen muß, denn es war ja ein sehr ernster Fall; und daß er diese Vollstreckungen vornimmt, da habe ich ja gestern gesagt, daß ich einverstanden war. Ich habe gesagt, ich konnte ihm nicht widersprechen, in diesem Augenblick die Vollzüge auch tatsächlich durchführen zu lassen.


M. DEBENEST: Wer war dieser Polizeichef?


SEYSS-INQUART: Dr. Schöngarth.


M. DEBENEST: Was denken Sie von Dr. Schöngarth?


[63] SEYSS-INQUART: Ich glaube, daß Dr. Schöngarth kein Mann war, der besonders hart war und der so mit großem Eifer bei dieser Sache war. Ihm war der Fall sicher sehr unangenehm.


M. DEBENEST: Aber war er ein Mann, zu dem man Vertrauen haben konnte?

SEYSS-INQUART: Ich habe während der Amtsführung zu ihm Vertrauen gehabt.


M. DEBENEST: Gut. In diesem Falle werde ich Ihnen jetzt ein Dokument zeigen lassen. Es ist Dokument F-879, das ich als RF-1528 vorlege.


[Zum Gerichtshof gewandt:]


Ich möchte dem Gerichtshof mitteilen, daß es sich auch hier um die Abschrift eines Protokolls handelt, das von der Kommission zur Untersuchung von Kriegsverbrechen in Amsterdam aufgenommen wurde. Sie ist von den vernommenen Personen unterzeichnet und von einem Affidavit begleitet wie im vorhergehenden Fall. Auch hier kann ich, wenn der Gerichtshof es wünscht, das Original später beschaffen.

VORSITZENDER: Jawohl. Sie werden uns das Original wie in dem anderen Fall vorlegen oder es sich von einem Regierungsmitglied beschaffen lassen.

M. DEBENEST: Jawohl, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Angeklagter! Wollen Sie bitte die Erklärung von Dr. Schöngarth betrachten, Seite 5 des französischen Dokuments. Es ist die dritte Erklärung, fünfter Absatz. Haben Sie es?

SEYSS-INQUART: Ja.

M. DEBENEST: Dr. Schöngarth sagt folgendes:

»Nach dieser Untersuchung ging ich persönlich zu Dr. Seyß-Inquart, dem Reichskommissar in den Niederlanden, mit dem ich den Fall besprochen habe. Seyß-Inquart gab mir den Befehl, die Vergeltungsmaßnahmen zu verschärfen durch Hinrichtung von 200 zum Tode verurteilten Gefangenen am Orte der Missetat. Diese Hinrichtung solle eine abschreckende Wirkung auf die Bevölkerung haben. Durch öffentlichen Aufruf wurde mitgeteilt, daß zahlreiche Personen wegen dieses Attentats hingerichtet werden würden.«


SEYSS-INQUART: Also jedenfalls ist bestätigt, daß es sich hier um Erschießungen handelt von Niederländern, die, wie er sich ausdrückt, zum Tode verurteilt waren, das heißt, die im Sinne des Befehls des Führers wegen irgendeiner Sabotage oder einer sonstigen Angelegenheit ohnehin hätten erschossen werden sollen. Das ist das Erste und Wichtigste. Die Frage ist, ob die Ziffer 200 genannt [64] wurde, und die Frage ist, ob ich es verlangt habe. Ich bleibe, bei dem, was ich zu den Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern bereits erklärt habe. Ich bleibe aber auch bei meiner Darstellung, ich hätte gar nicht die Möglichkeit gehabt, Dr. Schöngarth einen solchen Befehl zu geben. Er ist mir gar nicht unterstanden in solchen Dingen. Ich habe allerdings erklärt, wir müssen in diesen Dingen scharf zugreifen, das ist vollkommen richtig. Die Ziffer 200, ich glaube es waren sogar 230, habe ich erst nachher erfahren. Die Kundmachung, von der er hier spricht, ist von Dr. Schöngarth unterschrieben.

M. DEBENEST: Sie sagten nicht »strenge Maßnahmen«, Sie sagten »verschärfte Vergeltungsmaßnahmen«. Das ist nicht genau das gleiche.


SEYSS-INQUART: Ich habe jetzt die Frage nicht verstanden.


M. DEBENEST: Ich wiederhole. Sie sagten nicht »strenge Maßnahmen«, sondern »verschärfte Vergeltungsmaßnahmen«.


SEYSS-INQUART: Die strengen Maßnahmen, die zu treffen waren, sollten natürlich die Wirkung haben, abzuschrecken. Aber es handelt sich nicht um Repressalien, das heißt um die Erschießung von Leuten, die sonst gar nicht in Frage gekommen wären, erschossen zu werden.


M. DEBENEST: Ja, es scheint mir, daß dieses Dokument immerhin recht klar ist. Es handelt sich um Repressalien infolge des Attentats auf Rauter.


SEYSS-INQUART: Die in der Weise durchgerührt werden, daß Vollstreckungen vorgenommen werden, die sonst auf jeden Fall auch vorgenommen werden müssen, denn er bestätigt hier, daß es sich um zum Tode Verurteilte handelt.


M. DEBENEST: Ich bitte, noch einmal zu wiederholen, die Übersetzung ist nicht durchgekommen.


SEYSS-INQUART: Es handelt sich hier um die Erschießung von Männern, die auch sonst erschossen worden wären, denn es heißt ausdrücklich, daß sie bereits zum Tode verurteilt worden waren, und zwar wie im nächsten Absatz steht.


VORSITZENDER: Das haben Sie bereits gesagt, ich habe es vor fünf Minuten niedergeschrieben.

Er hat es schon gesagt. Das Dokument spricht doch für sich, Herr Debenest.


M. DEBENEST: Jawohl, Herr Präsident.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie sagten gestern auch, daß im Geisellager Michelgestell keine Geisel erschossen wurde.

[65] SEYSS-INQUART: Es ist mir nicht bekannt.

M. DEBENEST: Dennoch haben Sie es gestern er klärt.


[Keine Antwort.]


M. DEBENEST: Wollen Sie immer noch behaupten, daß niemand erschossen wurde?

VORSITZENDER: Der Angeklagte möge bitte antworten. Nicken Sie nicht nur mit dem Kopf. Das kann man übers Mikrophon nicht hören.


SEYSS-INQUART: Ich will nur sagen, daß mir kein Fall bekannt ist. Vielleicht ist auch einmal so ein Fall vorgekommen. Aber ich erinnere mich nicht.


M. DEBENEST: Aber Sie leugnen nicht ab, daß vielleicht einige erschossen wurden?


SEYSS-INQUART: Es könnten bestimmt Gründe gewesen sein, die einmal eine solche Erschießung verlangt haben. Aber ich habe keinen Fall in Erinnerung.


M. DEBENEST: Die Geiseln, die auf diese Art hingerichtet wurden, waren das alles Leute, die zum Tode verurteilt worden waren?


SEYSS-INQUART: Ich weiß es nicht, weil ich ja nicht weiß, ob jemand erschossen wurde.


M. DEBENEST: Wurde im Falle der Hinrichtung der Geiseln von Rotterdam nicht ein Geisel am Tag vor der Hinrichtung festgenommen und am nächsten Tag erschossen?


SEYSS-INQUART: Darüber bin ich nicht orientiert. Ich sehe in diesem Dokument, daß von Geiseln aus Michelgestell die Rede ist. Ich erinnere mich nicht, daß aus diesem Lager Geiseln genommen wurden. Aber in diesem Fall wäre es möglich, denn das war ja ein wirklicher Geiselfall.


M. DEBENEST: Nein, ich frage Sie ja nicht, ob Geiseln aus dem Lager Michelgestell genommen wurden. Ich frage Sie, ob man im Fall der Hinrichtung der Geiseln von Rotterdam nicht am Abend vor der Hinrichtung einen Geisel festgenommen und am nächsten Tag erschossen hat?


SEYSS-INQUART: Das weiß ich nicht.


M. DEBENEST: Ich werde Ihnen den Namen nennen, vielleicht hilft das Ihrem Gedächtnis nach: Baron Schimmelpfennig.


SEYSS-INQUART: Soviel ich weiß, war Baron Schimmelpfennig von Seeland; aber mehr weiß ich nicht.


M. DEBENEST: Können Sie uns nicht sagen, unter welchen Umständen er verhaftet wurde und weshalb?

[66] SEYSS-INQUART: Nein, ich weiß nur, daß ein Baron Schimmelpfennig unter den fünf Geiseln war, die erschossen worden sind.


M. DEBENEST: Sie geben also zu, daß viele Hinrichtungen stattgefunden haben im Verfolg der von Ihnen durchgeführten Errichtungen der Standgerichte in den Niederlanden?


SEYSS-INQUART: Nein, das ist bestimmt nicht der Fall; denn diese Erschießungen von Mitte 1944 an gingen nicht zurück auf die Anordnung und auf meine Standgerichte, sondern auf einen direkten Befehl des Führers.


M. DEBENEST: Sie wollen also behaupten, daß keine einzige Hinrichtung auf Grund Ihrer Verfügung vom 1. Mai 1943 erfolgte?


SEYSS-INQUART: Die Hinrichtungen erfolgten nicht auf Grund der Standgerichte, die ich in dieser Verordnung vorgesehen hatte, wegen Verstößen gegen diese Verordnung. Es ist möglich, daß der Höhere SS- und Polizeiführer die Tatbestände dieser Verordnung auch seinen Entschlüssen zugrunde gelegt hat.


M. DEBENEST: Aber Sie behaupten noch immer, daß Sie keine Macht über diesen Polizeichef hatten?


SEYSS-INQUART: Ich hatte keine Befehlsgewalt. Aber es ist sicher, daß wir in einem engen Einvernehmen miteinander gearbeitet haben.


M. DEBENEST: Er hat sich daher mit Ihnen über alle zu ergreifenden Vergeltungsmaßnahmen beraten?


SEYSS-INQUART: Nein, wieso?


M. DEBENEST: Wurden denn nicht alle Vergeltungsmaßnahmen, die beschlossen oder veröffentlicht wurden, mit Ihrem vollen Einverständnis ergriffen?


SEYSS-INQUART: Die Repressalienmaßnahmen und seine Verlautbarungen erfolgten alle in seinem Wirkungskreis. Ich habe diese Verlautbarungen selber gar nicht, meistens nachher erfahren. Von mir ist gar keine Anordnung zu diesen Maßnahmen gegeben worden. Ich kann nur immer wieder darauf verweisen, daß das eine Ausführung des Führerbefehls über Himmler an die Polizei war.


M. DEBENEST: Gut. Waren Sie für diese Vergeltungsmaßnahmen?


SEYSS-INQUART: Es war selbstverständlich für mich, daß man gegen Mitglieder der Widerstandsbewegung, Sabotage- und sonstige Handlungen einschreiten muß. Es war kein anderes Einschreiten möglich, als das Verhaften durch die Polizei, das Aburteilen durch den Höheren SS- und Polizeiführer und das Erschießen durch die Polizei. Ich konnte diesen Maßnahmen nicht entgegentreten. Sie können das meinetwegen auch als Einverständnis erklären. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Gerichte geurteilt hätten.


[67] M. DEBENEST: Gut. Ich werde Ihnen nun das Dokument F-860 zeigen lassen. Es ist ein Brief, den ach als RF-1529 dem Gerichtshof vorlege. Es handelt sich um einen am 30. November 1942 von Ihnen an Dr. Lammers gerichteten Brief. Ich werde den ersten Teil überspringen.

Ich bitte um Entschuldigung, ich habe vergessen, dem Gerichtshof mitzuteilen, daß die Originale nicht hier sind, sondern nur die Photokopien. Ich besitze jedoch eine eidesstattliche Erklärung, die ich dem Gerichtshof vorlegen werde.


VORSITZENDER: Gut, Herr Debenest. Sie brauchen uns keine eidesstattliche Erklärung zu geben. Wir besitzen die Photokopien.


M. DEBENEST: Ich überspringe die beiden ersten Seiten im französischen Text und gehe auf den zweiten Abschnitt über. Sie schreiben hier:

»Die Ausarbeitung des Polizeistandrechtes erfolgte im Sinne eines Schreibens des Reichsführer-SS. Ich glaube, daß ich allen darin enthaltenen Wünschen entsprochen habe. Nur möchte ich nicht den Höheren SS- und Polizeiführer ausdrücklich als Gerichtsherrn bestellen, denn diese Bezeichnung bedeutet den Niederländern gegenüber eine Autoritätseinschränkung des Reichskommissars, die deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil ja der Reichskommissar im Führererlaß als der Wahrer der Reichsinteressen bestellt wurde. Ich habe aber alle praktischen Vollmachten, die ein Gerichtsherr braucht, in der Verordnung selbst dem Höheren SS- und Polizeiführer übertragen. Ich glaube, daß dieses Polizeistandrecht ein brauchbares Instrument sein kann und gewissermaßen auch ein Vorbild für weitere Regelungen.«

Sie hatten also Befehlsgewalt über den Chef der Polizei?

SEYSS-INQUART: Ich habe hier Autorität gehabt über das Polizeistandgericht, nicht über den Höheren SS- und Polizeiführer. Der oberste Gerichtsherr, auch im Polizeistandgericht, im Ausnahmezustand, bin ich geblieben. Damit konnte ich der Polizei als Exekutive noch gar keine Befehle geben. Diese Polizeistandrechte in den Niederlanden sind höchstens 14 Tage in Kraft gewesen.

M. DEBENEST: Es ist doch aber sicher, daß es sich hier um Sondergerichte handelt, mit deren Führung Sie den Chef der Polizei betraut hatten?


SEYSS-INQUART: Ja, das ist richtig, aber nur im Maße der Polizeistandgerichte im Falle des Ausnahmezustandes. Denn was die Polizeistandgerichte damals gemacht haben, das verantworte ich. Das war anläßlich des Generalstreiks im Mai 1943.


M. DEBENEST: Einverstanden. Sie haben diese Standgerichte der Polizei übertragen.

[68] Ich möchte Ihnen nun das Dokument 3430-PS zeigen. Dieses Dokument ist eine Sammlung der Reden, die Sie während der Besetzung der Niederlande gehalten haben. Wollen Sie bitte...


VORSITZENDER: Herr Debenest! Weisen Sie nur auf die eine Stelle im Dokument 860 hin?


M. DEBENEST: Jawohl, Herr Vorsitzender. Ich beziehe mich nur auf den zweiten Teil. Der erste Teil betrifft die Polizei.


VORSITZENDER: Glauben Sie nicht, daß der Übersetzungsabteilung damit eine große Arbeit verursacht wird? Es handelt sich um 18 Seiten.


M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Ich stimme Ihnen bei. Ich wollte dieses Dokument ursprünglich im Zusammenhang mit der Polizeiorganisation verwenden, die sich im ersten Teil befindet. Ich habe aber darauf verrichtet, um die Verhandlungen abzukürzen.


VORSITZENDER: Ich bin lediglich der Ansicht, daß, falls Sie nur einen kleinen Teil des Dokuments verwenden wollen, es nicht notwendig scheint, der Übersetzungsabteilung, die ohnehin viel Arbeit hat, 18 Seiten übersetzen zu lassen. Hier ist ein weiteres Dokument, F-803, das weit mehr als 18 Seiten enthält. Von diesem Dokument ist sehr wenig Gebrauch gemacht worden. Aber fahren Sie fort.


M. DEBENEST: Ich weiß das, Herr Vorsitzender. Wenn ich das Dokument nicht weiter benutzt habe, so geschah das nur, weil der Gerichtshof diese Einzelheiten nicht für erforderlich hielt. Das ist der einzige Grund.


VORSITZENDER: Beziehen Sie sich auf Stellen auf allen 18 Seiten? Ich bin darüber sehr überrascht.


M. DEBENEST: Gewiß nicht, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort, bitte.


M. DEBENEST: Gut. Wir wollen nun auf einen anderen Gegenstand übergehen. Besaß Holland nicht bei Ihrer Ankunft bedeutende Vorräte an Nahrungsmitteln und Rohmaterialien?


SEYSS-INQUART: Es waren viele Vorräte vorhanden, außerordentlich viele.


M. DEBENEST: Wurden nicht während der ersten Besatzungsjahre bedeutende Requirierungen durchgeführt?


SEYSS-INQUART: Jawohl, es wurden nach einer Anordnung des Vierjahresplans sämtliche Vorräte requiriert und eine Lagerhaltung auf sechs Monate in den Niederlanden gelassen, mit der Verpflichtung des Reiches, den weiteren Bedarf jeweils nachzuschieben.


[69] M. DEBENEST: Wollen Sie behaupten, daß diese Vorräte für die holländische Bevölkerung bestimmt waren?


SEYSS-INQUART: Sicherlich.


M. DEBENEST: Sicherlich? Gut. Wollen Sie das Dokument 997-PS zur Hand nehmen, das ich Ihnen heute vormittag gezeigt habe? Seite 9 und 10.


SEYSS-INQUART: Darf ich um die Nummer des Dokuments bitten?


M. DEBENEST: 997-PS.


SEYSS-INQUART: Habe ich das Dokument?


M. DEBENEST: Seite 12 des französischen Textes und Seite 11 des deutschen Textes. Sie schreiben:

»Die Rohstoffvorräte wurden erfaßt und unter Zustimmung des Generalfeldmarschalls nach dem Plan verteilt, daß den Niederländern für die Aufrechterhaltung ihrer Wirtschaft Rohstoffe für ein halbes Jahr verbleiben, wobei sie die gleichen Zuteilungsquoten erhalten, wie dies im Reich der Fall ist. Derselbe Grundsatz der gleichen Behandlung wird bei der Versorgung mit Lebensmitteln usw. angewendet. Es konnten namhafte Rohstoffvorräte dem Reich sichergestellt werden, so z.B. 70000 Tonnen Industriefette, das soll ungefähr die Hälfte der dem Reich fehlenden Menge sein.«


SEYSS-INQUART: Das deckt sich mit meiner Darstellung, die ich eben gegeben habe.

M. DEBENEST: Aber ich glaubte, Sie sagten, daß die Vorräte zur Verfügung des holländischen Volkes, nicht der des Reiches, gestellt wurden.


SEYSS-INQUART: Nein, das ist dann eine irrtümliche Übertragung. Ich habe gesagt, daß die Vorräte beschlagnahmt wurden, nur für ein halbes Jahr die Vorräte zurückgelassen wurden und nur in Hinkunft der weitere Bedarf vom Reich nachgeschoben werden sollte in der gleichen Versorgungshöhe, wie das Reich versorgt wird. Aber primär waren die Vorräte beschlagnahmt für das Reich


M. DEBENEST: Gut, dann muß es an den Übersetzungen liegen. Erhielten Sie nicht zahlreiche Beschwerden wegen dieser Forderungen?


SEYSS-INQUART: Jawohl.


M. DEBENEST: Und welche Maßnahmen haben Sie ergriffen?


SEYSS-INQUART: Ich habe die Herren, die bei mir waren – es war bestimmt Generalsekretär Hirschfeld und die übrigen Generalsekretäre –, darauf aufmerksam gemacht, daß hier ein strikter Befehl des Vierjahresplans vorliegt. Ich kann vielleicht in [70] einem oder anderen Falle die Beschwerde an den Vierjahresplan weitergegeben haben, wenn mir der Abzug der Vorräte allzu drückend erschienen ist.


M. DEBENEST: Wurden denn nicht über diese Anforderungen hinaus noch Massenaufkäufe auf Rechnung des Reiches durchgeführt?


SEYSS-INQUART: Jawohl, jawohl.


VORSITZENDER: Herr Debenest! Sollen wir uns jetzt vertagen? Wie lange brauchen Sie noch?


M. DEBENEST: Herr Vorsitzender! Das hängt von der Länge der Antworten ab, die der Angeklagte geben wird. Aber ich glaube, daß ich in einer halben bis dreiviertel Stunde zu Ende kommen kann.


VORSITZENDER: Gut, dann vertagen wir uns jetzt.


[Das Gericht vertagt sich bis

12. Juni 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 16, S. 40-72.
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