[194] VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich heute um 4.30 Uhr vertagen.
GENERAL RUDENKO: Herr Zeuge, ich will Ihnen ein Dokument vorlegen. Es handelt sich um einen an Sie gerichteten Brief des Ständigen Vertreters des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete, der sich mit den Problemen der besetzten Ostgebiete befaßt. Es ist Beweisstück USSR-174.
Ich möchte, daß Sie ihn durchlesen und sich daran erinnern, ob Sie diesen Brief jemals erhalten haben. Wie Sie sehen, beginnt dieses Dokument mit den Worten:
»Geehrter Herr Staatssekretär, lieber Parteikamerad Körner!«
Der Brief betrifft die Vereinheitlichung der Wirtschaftsführung.
KÖRNER: Ich habe Kenntnis genommen von diesem Dokument. Dies Schreiben habe ich sicher bekommen, selbstverständlich bekommen.
GENERAL RUDENKO: Ja, Sie haben es bekommen. Wie sich aus dem Dokument ergibt, handelt es sich um die Durchführung einer besonderen Besprechung unter Ihrem Vorsitz.
KÖRNER: Jawohl.
GENERAL RUDENKO: Daraus entnehme ich, daß Sie ein sehr naher Mitarbeiter des Angeklagten Göring bei der sogenannten Vereinheitlichung der Wirtschaftsführung waren?
KÖRNER: Jawohl, bei der angeführten Besprechung, die stattfinden sollte.
GENERAL RUDENKO: Und nun die letzte Frage. Geben Sie zu, daß dem Angeklagten Göring als dem Beauftragten für den Vierjahresplan sowohl die zivilen wie auch die militärischen deutschen Organisationen zur wirtschaftlichen Ausbeutung aller besetzten Gebiete unterstellt waren, und daß Sie, soweit es sich um diese wirtschaftlichen Maßnahmen handelte, sein nächster Mitarbeiter waren?
KÖRNER: Zu der in diesem angeführten Schreiben angesetzten Besprechung ist es niemals gekommen. Die erwähnte Vereinheitlichung der Wirtschaftsführung in den besetzter Gebieten war ein Problem, das auftauchte, aber zu dem es in Wirklichkeit nicht gekommen ist. Deswegen hat sich auch die angeführte Besprechung erübrigt.
GENERAL RUDENKO: Diese Frage wurde nicht gelöst, und zwar infolge von Umständen, die nicht von Ihnen abhängig waren; sie hing von dem Vorrücken der Roten Armee und der Alliierten Armeen ab; habe ich recht?
[194] KÖRNER: Ich habe die Frage nicht richtig verstanden, um sie beantworten zu können.
GENERAL RUDENKO: Sie sagten, daß dieses Problem nicht gelöst wurde. Ich frage Sie: Stimmt es nicht, daß es nicht gelöst wurde wegen Umständen, die nicht von Ihnen abhingen? Sie wurden durch die Rote Armee und die Alliierten Armeen daran gehindert?
KÖRNER: Ich glaube, daß zu dem Zeitpunkt, wo dieser Brief abgeschickt wurde, das noch keinen Einfluß haben konnte. Zu einer Vereinheitlichung der Wirtschaftsführung in den besetzten Gebieten ist es nicht gekommen, weil andere Umstände dagegen sprachen.
GENERAL RUDENKO: Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen diese Gründe jetzt zu erörtern. Sie haben mir aber auf die letzte Frage nicht geantwortet. Ich fragte Sie, ob Sie zugeben, daß Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan an der Spitze der zivilen und militärischen Organisationen zur wirtschaftlichen Ausbeutung aller besetzten Gebiete stand, und daß Sie sein nächster Mitarbeiter waren?
KÖRNER: An eine Ausbeutung der besetzten Gebiete ist gar nicht in dieser Form zu denken, die hier vorgebracht wird. Der Vierjahresplan hatte die Möglichkeit, Einfluß zu nehmen auf wirtschaftliche Dinge in den besetzten Gebieten, tat es aber nur dann, wenn es unumstößlich notwendig war. Im allgemeinen hielt er sich davon fern. Jene Stellen, die in den besetzten Gebieten die Wirtschaftsführung innehatten, waren die Militärbefehlshaber oder Chefs der Zivilverwaltung, und im Osten der Wirtschaftsstab Ost und das Reichsministerium Rosenberg. Nur wenn eine Einigung zwischen den einzelnen militärischen und zivilen Stellen beziehungsweise den deutschen Ressorts nicht herbeigeführt werden konnte, dann konnte der Vierjahresplan herangezogen werden; dann konnte der Reichsmarschall entsprechende Entscheidungen fällen. Das ist aber nur in ganz, ganz wenigen Fällen vorgekommen, wie zum Beispiel diese Sitzung, die Sie heute erwähnten, wo die besetzten Gebiete selbstverständlich mit teilnehmen mußten, um Nahrungsmittel für die Bevölkerung Europas mitzuliefern. Das Recht dazu hatten wir ja auch, da wir ja in den besetzten Gebieten, nicht nur im Osten sondern auch im Westen, ganz erhebliche Aufbauarbeiten auf landwirtschaftlichen Gebieten durchgeführt haben. Im Westen, erinnere ich mich...
GENERAL RUDENKO: Von welchem Recht sprechen Sie?
KÖRNER: Ich spreche von dem Recht, das Deutschland hatte, teilzunehmen an den landwirtschaftlichen Erzeugnissen dieser Länder, weil wir ja in diesen Ländern ganz außergewöhnliche Aufbauarbeiten durchgeführt haben. Ich erinnere zum Beispiel daran, daß im Osten besetzte Gebiete vollkommen verwüstet und ohne [195] jedes Material waren; wir haben sie ohne Samen, ohne Maschinen, ohne Ackergeräte vorgefunden und nur mit äußerster...
GENERAL RUDENKO: Wer gab Deutschland dieses Recht?
KÖRNER: Das Recht? Es ist selbstverständlich, wenn man ein Gebiet besetzt und dort gewaltige Aufbauarbeit leistet, daß man an dem Überschuß teilnimmt. Für ganz Europa mußten wir sorgen, und wir kannten die Sorgen und Probleme, für die wir in den besetzten Gebieten einzutreten hatten.
GENERAL RUDENKO: Ich habe Sie gefragt, wer hat Deutschland dieses Recht gegeben?
KÖRNER: Ich bin kein Jurist; deswegen kann ich die Frage nicht beantworten.
GENERAL RUDENKO: Aber Sie sprachen von einem Recht Deutschlands?
KÖRNER: Nur von dem natürlichen Recht, das vor handen war, wenn wir eine Aufbauarbeit leisten, daß wir dann auch an den Ergebnissen dieser Aufbauarbeit teilnehmen können.
GENERAL RUDENKO: Nachdem Sie diese Gebiete verwüstet hatten!
KÖRNER: Deutschland hat diese Länder nicht verwüstet, landwirtschaftlich schon überhaupt gar nicht. Im Gegenteil, in diesen Ländern haben wir eine gewaltige Aufbauarbeit geleistet. Im Westen erinnere ich nur daran, daß ein erheblicher Teil Frankreichs vollständig verwüstet war. Im Westen haben wir gewaltige Aufbauarbeit dadurch geleistet, daß wir bei der Lage, die wir in Frankreich vorfanden, durch deutsche Organisationen, wie »Das Reichsland«, Gebiete aufbauten beziehungsweise dort französische Bürger wieder auf das Land zurückbrachten und ihnen die Möglichkeit gegeben haben, wieder als Bauern zu wirken und an den Erzeugnissen der Landwirtschaft und an der Produktion des Landes teilzunehmen. Im Osten fanden wir Gebiete vor, die landwirtschaftlich durch die Kriegsereignisse erheblich in Mitleidenschaft gezogen waren. Sämtliche Maschinen existierten nicht mehr; alle Traktoren waren von den Russen fortgeführt worden, die landwirtschaftlichen Geräte ebenso, beziehungsweise waren sie zerstört worden. Wir mußten dort mit allerprimitivsten Mitteln über haupt erst wieder anfangen, Landwirtschaft zu treiben.
Das ist geschehen, und daß es überhaupt möglich war, in den Jahren unserer Besetzung im Osten wieder landwirtschaftlichen Aufbau zu treiben, ist nur der deutschen Initiative, dem Einsatz deutscher Maschinen zu verdanken.
GENERAL RUDENKO: Muß man zur deutschen Initiative der Wiederaufbaumaßnahmen auch die Einrichtungen der dichten Kette [196] von Konzentrationslagern, die Sie in den besetzten Gebieten errichtet haben, zählen?
KÖRNER: Damit hatte ich nichts zu tun gehabt, und darum kann ich darüber nicht sprechen.
GENERAL RUDENKO: Ich stelle Ihnen aber diese Frage.
KÖRNER: Und deswegen bin ich nicht ganz im Bilde.
GENERAL RUDENKO: Sie sind über Konzentrationslager nicht genügend unterrichtet, und doch scheinen Sie sehr gut über Wiederaufbauarbeiten in der Landwirtschaft Bescheid zu wissen.
KÖRNER: Selbstverständlich weiß ich darüber viel, über die Einrichtung der Wirtschaft in den besetzten Gebieten.
GENERAL RUDENKO: Und von Konzentrationslagern wissen Sie gar nichts?
KÖRNER: Damit habe ich nichts zu tun gehabt.
GENERAL RUDENKO: Sie wußten nichts darüber, daß Millionen von Menschen von deutschen Besatzungsbehörden vernichtet wurden?
KÖRNER: Nein, weiß ich nichts.
GENERAL RUDENKO: Sie wissen wirklich nichts davon?
KÖRNER: Das habe ich erst jetzt gehört.
GENERAL RUDENKO: Erst jetzt?
KÖRNER: Jawohl.
GENERAL RUDENKO: Ich habe keine Frage mehr.
RECHTSANWALT GEORG BOEHM, VERTEIDIGER DER SA: Herr Zeuge, ist Ihnen bekannt, daß Heines Polizeipräsident von Breslau war?
VORSITZENDER: Ich habe die Verteidiger am Schluß des Verhörs durch Dr. Stahmer gefragt, ob sie irgendwelche Fragen stellen wollten. Die Antwort darauf war: Nein. Infolgedessen sind Sie jetzt nicht an der Reihe, Fragen zu stellen.
RA. BOEHM: Herr Präsident! Es handelt sich darum, daß durch die Einvernahme seitens des Herrn Oberrichters Jackson ein Punkt einer Erklärung bedarf, den ich vorher noch nicht kannte. Es dreht sich um die Person des Polizeipräsidenten Heines, und ich würde bitten, an den Zeugen vielleicht zwei oder drei Fragen stellen zu dürfen, damit diese Frage geklärt wird, um die es hier geht.
VORSITZENDER: Gut. Wir hoffen, Sie werden nicht viel Zeit brauchen.
RA. BOEHM: Ich werde mich kurz fassen, Herr Präsident, ich danke Ihnen.
[197] [Zum Zeugen gewandt:]
Herr Zeuge, ist Ihnen bekannt, daß Heines Polizeipräsident von Breslau war?
KÖRNER: Jawohl.
RA. BOEHM: Ist Ihnen bekannt, daß ihm als solchem die Gefängnisse von Breslau unterstanden?
KÖRNER: Selbstverständlich, dem Polizeipräsidenten unterstehen die Polizeigefängnisse.
RA. BOEHM: Ist Ihnen bekannt, daß in der fraglichen Zeit, in der dieses Lager errichtet worden ist, die Polizeigefängnisse von Breslau überfüllt waren?
KÖRNER: Das weiß ich nicht mehr. Ich hatte diesen Fall Heines nur angeführt als eines der Lager, die ohne Genehmigung des Ministerpräsidenten beziehungsweise des Innenministers seinerzeit errichtet worden waren.
RA. BOEHM: Es ist Ihnen aber auch bekannt, daß Heines dieses Lager nur in seiner Eigenschaft als Polizeipräsident errichten konnte?
KÖRNER: Das kann wohl sein.
RA. BOEHM: Ich danke Ihnen.
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, haben Sie irgendwelche Fragen zu stellen?
DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen.
VORSITZENDER: Dann kann der Zeuge abtreten.
DR. STAHMER: Mit Erlaubnis des Gerichtshofs rufe ich als nächsten Zeugen den Generalfeldmarschall Kesselring.
[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Bitte, geben Sie Ihren Namen an.
ZEUGE ALBERT KESSELRING: Albert Kesselring.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach:
Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sage, nichts verschweige und nichts hinzusetzen werde.
[Der Zeuge wiederholt die Eidesformel.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie wollen.
DR. STAHMER: Herr Zeuge, seit wann gehören Sie der Luftwaffe an?
KESSELRING: Seit 1. Oktober 1933.
DR. STAHMER: Welchen Rang bekleideten Sie bei Ihrer Übernahme in die Luftwaffe?
[198] KESSELRING: Bis zu diesem Zeitpunkt war ich Oberst und Kommandeur der Artillerie in Dresden. Anschließend daran wurde ich verabschiedet, und zwar als Kommodore der Luftwaffe.
DR. STAHMER: Sie haben am Aufbau der Luftwaffe gearbeitet?
KESSELRING: Ich habe in den ersten drei Jahren als Chef des Verwaltungsamtes, anschließend als Chef des Generalstabs gearbeitet und dann im Gruppenkommando Verwendung gefunden.
DR. STAHMER: Erfolgte der Aufbau der Luftwaffe zum Zwecke der Verteidigung oder des Angriffs?
KESSELRING: Die deutsche Luftwaffe war eine reine Verteidigungswaffe. Ich muß zur Kennzeichnung jedoch anfügen, daß das Einzelflugzeug ebenso wie die gesamte Luftwaffe ihrem Wesen nach eine Offensivwaffe ist. Wird schon im Erdkampf die reine Verteidigung ohne Offensivbewegung als mehr oder weniger ergebnislos oder erfolglos angesprochen, so ist dies bei der Luftwaffe in ganz besonderem Maße der Fall. Die Luftwaffe hat ihre Ziele im tiefen Raum, gleichgültig, ob sie aus der Verteidigung heraus oder im Angriff angreift. Diese Erkenntnis war beim Reichsmarschall und bei seinen Generalen vorhanden.
Es ist klar, daß bei dem Aufbau einer Luftwaffe von vornherein nur die leichten Flugzeuge gebaut werden oder als erste Konstruktionen in die Truppe kommen. Dementsprechend hatten wir bis zum Jahre 1936/37 nur leichte Flugzeuge: Jagdflugzeuge, Sturzkampfflugzeuge, Aufklärungsflugzeuge und einige, wie wir uns ausdrückten, alte Schlitten, wie Ju 52, Do 11 und Do 13, also nicht kampffähige Bombenflugzeuge.
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, daß die Verteidigung mit diesen leichten Flugzeugen erfolgreich geführt werden kann; ich möchte aber nur das Gegenbeispiel hier anfügen und auf das Ende des Weltkrieges hinweisen, wo die deutsche Verteidigungs-Luftwaffe von der gegnerischen Angriffs-Luftwaffe zerschlagen worden ist.
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß der Zeuge sich zu sehr mit Einzelheiten beschäftigt.
KESSELRING: Ich fahre fort. Die Offensiv-Luftwaffe fehlte bis zum Jahre 1937/38, vor allem die Kampfflugzeuge. Und die Kampfflugzeuge, die später in die Luftwaffe eingeführt worden sind, hatten weder die Reichweite noch das Beladungsvermögen, um als Eroberungs- oder Offensivwaffe angesehen zu werden. Es fehlten die viermotorigen Kampfflugzeuge.
DR. STAHMER: Sie waren an dem Angriff auf Warschau beteiligt?
KESSELRING: Ich habe als Chef der Luftflotte 1 diesen Angriff geführt.
[199] DR. STAHMER: War dieser Angriff nach der damals gegebenen militärischen Lage gerechtfertigt, und in welcher Weise wurde er durchgeführt?
KESSELRING: Es wurden verschiedene Angriffe gegen Warschau geflogen. Warschau war nach deutschen Begriffen eine Festung und außerdem in hohem Maße luftverteidigt, erfüllte also alle die Voraussetzungen der Haager Landkriegsordnung, die an sich für den Luftkrieg eine entsprechende Handhabe bildet.
Die erste Phase des Angriffs gegen Warschau war, entsprechend dem operativen Grundsatz der Verwendung der Luftwaffe, die Bekämpfung oder Niederkämpfung der feindlichen Luftwaffe und der in der unmittelbaren Nähe der Flugplätze befindlichen Luftrüstungsbetriebe. Diese Angriffe sind meines Erachtens voll berechtigt und entsprechen den Bestimmungen.
Die zweite Phase umfaßt die Bekämpfung der operativen Verschiebungen der Polen. Ich füge an, daß Warschau der Knotenpunkt im nördlichen und mittleren Polen ist. Als unsere Fernaufklärung meldete, und die Endphase ließ dies erkennen, daß die Bahnhöfe stark mit Material belegt waren und der Zuzug nach Warschau in erhöhtem Maße stattfand, wurde der Luftangriff gegen diese Bewegungen angeordnet und ausgeführt.
Er richtete sich vor allem gegen Bahnhöfe, Abstellgleise und die Weichselbrücken. Ich füge an, daß von meiner Seite zur Durchführung der Angriffe die Stu kas und die Schlachtflugzeuge bestimmt worden sind, weil die Präzision dieser Waffe garantierte, daß in der Hauptsache die militärischen Ziele getroffen werden würden.
Die dritte Phase umfaßt die Zeit der Beschießung von Warschau. Ich möchte diese Beschießung als eine Sache des Heeres betrachten, wo schwache Teile einer Luftwaffe auf Anforderung des Heeres gegen militärische Ziele eingesetzt worden sind. Ich war selbst über Warschau und habe fast nach jedem Bombenangriff die Kommandeure über die Durchführung gesprochen; ich kann hier auf Grund eigener Einsichtnahme und Meldung versichern, daß das Menschenmögliche getan worden ist, um die militärischen Ziele zu treffen und die zivilen Ziele nach Möglichkeit zu schonen.
DR. STAHMER: Können Sie also abschließend bestätigen, daß sich diese Angriffe durchaus im Rahmen der militärischen Notwendigkeit hielten?
KESSELRING: Vollkommen.
DR. STAHMER: Waren Sie auch an dem Angriff auf Rotterdam beteiligt?
KESSELRING: Als Luftwaffenchef 2, der ich inzwischen geworden war. Ich habe Flüge gegen Holland, Belgien und Frankreich geführt und unter meinem Kommando war auch das Luftlandekorps [200] tätig. Das Luftlandekorps befehligte General Student, der auch die Unterstützung seiner Fallschirme durch einen Bombenangriff anforderte. General Student ist auch die einzige Persönlichkeit, die an Ort und Stelle die Erdlage mit einer derartigen Präzision übersah, daß er als verantwortlich für Vorbereitung und Durchführung angesprochen werden muß. Die fliegerische Unterstützung wurde verantwortlich dem 4. Fliegerkorps übertragen und die für diesen Zweck kleinste Truppeneinheit, eine Gruppe, angesetzt. Ansatz und Durchführung des Angriffs vollzog sich einzig und ausschließlich nach den taktischen Erfordernissen im Rahmen der gegebenen technischen Möglichkeiten. Die Anforderung des Generals Student kam sehr frühzeitig zu meinem Kommando. Die Vorbereitungen konnten dementsprechend in aller Ruhe planmäßig durchgeführt werden. Die Truppe war über die Lage, auch über die Veränderungsmöglichkeit innerhalb Rotterdams, insbesondere auf Eingreifen des Reichsmarschalls, unterrichtet, auch über das Heranrücken der Panzerdivisionen. Die Zielangabe des Generals Student war eindeutig und klar nach Breite, et cetera, et cetera, Schwerpunkte, Schlüsselpunkte, Besetzung. Die Zielauffassung konnte bei einem kampfgewohnten Verband keine Schwierigkeiten bieten. Die Verbindungen – es bestand Funklinie zwischen Befehlsstelle Student, meinem Stab –, die anderen Stäbe, ein schließlich Oberbefehlshaber der Luftwaffe hörten mit; wenn überhaupt, so kann diese Verbindung nur kurzfristig unterbrochen gewesen sein, da die Funkbefehle von mir, beziehungsweise vom Reichsmarschall, abgesetzt wurden. Mit dieser Funklinie bestand nach dem seinerzeitigen Stand der Technik die Möglichkeit und die Übung, den Verkehr zwischen der taktischen Bodenstelle über die Bodenstelle des fliegenden Verbandes zum fliegenden Verband durchzuführen. Die seinerzeit üblichen Boden- Bordverbindungen, wie Fliegertücher, Signalpatronen, Signaldienstbezeichnungen der vorderen Linie, waren reglementmäßig. Ihre Anwendung konnte keine Schwierigkeiten geben. Der Verband hatte entsprechend der Ausbildung und der Befehle einen Aufklärer voraus, der sich über Lage und Ziel unterrichtet hielt. Darüber hinaus folgte, auf Anordnung des Reichsmarschalls, ein Generalstabsoffizier meiner Luftflotte mit demselben Auftrag.
DR. STAHMER: Das war der Auftrag, daß die Lage und die Zielangabe...
KESSELRING: Ich habe nie persönlich einen Zweifel darüber gehabt, daß der Angriff durchgeführt werden sollte, nur darüber, ob er nicht unter Umständen wiederholt werden mußte, und der Klärung dieser Frage dienten die Funkanrufe. Meiner genauen Kenntnis der Persönlichkeit des Generals Student und – ich muß das besonders betonen – seiner Führungstechnik, seinen klaren Anforderungen zufolge war mit der Durchführung des Angriffes zu rechnen.
[201] Der Angriff wurde planmäßig und zeitgemäß durchgeführt. Die Erfolgsmeldung über richtige Lage der Bomben und Ziel kam unverhältnismäßig rasch; dabei auch die Mitteilung, daß weitere Angriffe nicht notwendig wären. Der Oberbefehlshaber der Luftwaffe wurde während der drei Kampftage in Holland laufend unterrichtet. Der Reichsmarschall hat besonders am dritten Tag, also an diesem Tag, von dem ich spreche, sich über das allgemein übliche Maß in seiner nicht mißzuverstehenden Weise in die Führung der Flotte eingemischt und meines Erachtens alles getan, was man von einer so hohen Führungsstelle überhaupt tun konnte. Ich habe keine Meldung in Erinnerung, daß der Bombenangriff nicht mehr dem Ablauf der taktischen Lage entsprochen hätte.
DR. STAHMER: Es soll ein Bombenabwurf erfolgt sein, als die Kapitulationsverhandlungen schon eingeleitet waren?
KESSELRING: Es ist, wie ich Ihnen gesagt habe, keine entsprechende Meldung an die Kommandostelle gekommen; auch der Verband über Rotterdam hat keine Bodenmitteilung aufgenommen. Es müßte denn sein, daß bei der Befehlsstelle in Rotterdam selbst irgendwelche Verwicklungen eingetreten sind, die ich nicht kenne; ich kenne auch nicht die Vereinbarungen, die zwischen General Student und dem Führer der holländischen Truppe in Rotterdam getroffen worden waren. Eine entsprechende Aussprache, die ich späterhin haben wollte, konnte ich nicht durchführen wegen der schweren Gehirnverletzung des Generals. Wenn tatsächlich gegen meine innere Überzeugung der Angriff nicht mehr der Lage entsprochen haben sollte, so ist das außerordentlich zu bedauern. Als 42jähriger Soldat, als Artillerist, als Flieger, als Generalstabsoffizier und als jahrelanger Führerstelle ich jedoch hier eindeutig fest, daß dieser Fall dann unter die Fälle zu rechnen ist, die zu den unabwägbaren Zufälligkeiten im Kriegsgeschehen gehören, und die leider, wie es die Außenwelt nicht weiß, bei allen Wehrmachtsteilen aller Länder häufiger vorkommen, als man erwarten sollte.
DR. STAHMER: Worauf ist es zurückzuführen, daß es noch zu großen Bränden in der Stadt Rotterdam kam?
KESSELRING: Ich war an sich auf Grund der Meldung der Truppe außerordentlich angenehm berührt, daß sich die Wirkung der Bomben auf das Zielgebiet begrenzte. Es ist eine Erfahrungstatsache dieses Krieges, daß die Hauptzerstörungen nicht durch Bomben angriffe schlechthin, sondern durch die Verbreiterung des Brandes eintreten. Leider hat hier eine Bombe eine Margarinefabrik oder sonstige Fabrik in Rotterdam getroffen, so daß dieses Öl ausgelaufen ist und den Brand weiterverbreitet hat. Nachdem nach dem Angriff zweifellos bereits ein Kapitulationszustand eingetreten war, hätte unter Umständen durch ein Eingreifen der [202] Feuerwehr und ein Heranziehen der Truppe diesem Ausbreiten des Feuers Einhalt getan werden können.
DR. STAHMER: Welche militärischen Folgen hatte dieser Angriff hervorgerufen?
KESSELRING: Die unmittelbare Folge war die Kapitulation der Rotterdamer Truppen. Wie mir General Wenninger, der seinerzeitige Luftattaché, der meiner Flotte später zugeteilt wurde, mitteilte, war die unmittelbare Folge dieses Luftangriffes die Kapitulation der holländischen Armee.
DR. STAHMER: Haben Sie im November 1940 den Angriff auf Coventry geleitet?
KESSELRING: Ich habe zweifellos als Chef der Luftflotte 2 diesen Angriff mitgemacht. Ich kann augenblicklich nicht sagen, ob auch die Luftflotte 3 beteiligt war, aber ich habe ihn mitgemacht.
DR. STAHMER: Welcher Zweck wurde mit diesem Angriff verfolgt?
KESSELRING: Coventry war nach der Zielkartei, die bei der Archivabteilung des Oberbefehlshabers der Luftwaffe geführt worden ist, ein englisches Rüstungszentrum; es wurde mit dem Truppennamen »Klein-Essen« bezeichnet. Diese Archive wurden auch von Fachleuten, Ingenieuren und Offizieren mit einer außerordentlichen Peinlichkeit aufgestellt und enthielten Karten, Pläne, Lichtbilder, Zielbeschreibungen, Schlüsselpunkte und so weiter mehr. Diese Einzelheiten waren auch mir und der Truppe genauestens bekannt. Ich habe außerdem den General Wenninger, von dem ich vorher gesprochen habe, und verschiedene Ingenieure des Oberbefehlshabers der Luftwaffe laufend bei der Truppe Vorträge über die Eigenart der Ziele halten lassen, so daß die Truppe über die Art der Ziele, ihre Angriffsfähigkeit und den Lufteffekt des Angriffes unterrichtet war. Die Vorbereitungen des Angriffes waren außerordentlich gewissenhaft. Ich habe mich selbst sehr oft bei diesen eingefunden. Der Reichsmarschall hat selbst hin und wieder diese Vorbereitungen überprüft. Im Falle Coventry lagen die Verhältnisse außerordentlich einfach, da diese Nächte günstige Wetterlage aufwiesen, also ohne Funknavigation Coventry anzufliegen war, die Zielverteilung in Coventry an sich sehr einfach war, fast mit Erdsicht geworfen werden konnte, so daß ein Nichttreffen des Zieles eigentlich ausgeschlossen war. Aber die Bombenwerferei unterliegt denselben Gesetzen, wie alles Werfen oder Schießen der übrigen Waffen; mit anderen Worten, im Krieg und im Kriegsflug wachsen die Streuungen außerordentlich. Dazu kommt noch das Eigenartige der Luftwaffe hinzu, daß bei starkem Ansatz das Einzelziel als solches nicht anvisiert werden kann, sondern der Zielraum als solcher als Abwurffläche dient und dadurch eine natürliche Ausweitung des [203] Zieles stattfindet. Sämtliche Würfe, sämtliche Angriffe wurden auf Befehl des Ob. d. L. und aus eigener Initiative des Aufklärers am nächsten Tag lichtbildnerisch überprüft. Die Bodenlage war gut; aber wie gesagt, was ich vorhin schon im Falle Rotterdam gesagt habe, ist es ja meistens nicht so, daß die Bomben das Ziel vernichten, sondern daß die Ausbreitung hauptsächlich durch die Brandwirkung erfolgt. Ich weiß nicht, ob ich vielleicht hier noch etwas anfügen soll. Die Haager Landkriegsordnung trug den Bedürfnissen des Luftkrieges in keiner Weise Rechnung. Es ist deshalb eine Selbstverständlichkeit, um eine Zielauswahl aus dem Handgelenk zu vermeiden, daß sich die oberste militärische Dienststelle mit dieser Frage befaßte und allgemeine Richtlinien herausgab, die auf Grund der Präambel zu der Haager Landkriegsordnung, der Literatur, die in der Zwischenzeit auch gelesen werden konnte, und letzten Endes der Eigenheiten und der Gegebenheiten und der Zulässigkeiten der Luftwaffe selbst entstanden. Das Ziel, das dementsprechend die Luftflotte oder der Verband zugewiesen erhalten hat, wurde von uns als völkerrechtlich zugelassen angesehen, was nicht ausschloß, daß von unserer Seite aus in Einzelfällen nachgeprüft, auch durch Unterhaltungen mit dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe ein Ausgleich und ein Zielwechsel herbeigeführt worden ist, und daß wir die Verantwortung übernommen haben...
VORSITZENDER: Sie sprechen zu schnell.
KESSELRING:... daß wir unseren Verband durch persönliche Besuche und sonst veranlaßt haben, die Vorbereitungen, das Bombenabwerfen, das Zielauffassen, die meteorologischen Voraussetzungen so genau zu studieren und anzuwenden, daß mit einem höchsten Treffergebnis gerechnet werden konnte und dieses unangenehme Ausreißen in das Nebengelände vermieden werden konnte. Es war im Falle Coventry noch außerordentlich glücklich, daß dieses Coventry gewählt wurde, und zwar deswegen, weil hier sich ein Ziel anbot, das nicht als Terrorangriff gemeint war, sondern daß ein militärisch wichtiges Ziel hier gegeben war.
DR. STAHMER: Ich habe keine Fragen mehr.
VORSITZENDER: Haben noch andere Verteidiger Fragen zu stellen?
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, seit wann waren Sie Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe?
KESSELRING: Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe war ich seit dem September 1943, nachdem ich vorher bereits im Rahmen des Comando Supremo als Oberbefehlshaber der deutschen Truppen eine gewisse Oberaufsicht der deutschen Truppen in den allgemeinen strategischen Fragen und in taktischer Beziehung hatte.
[204] DR. LATERNSER: Die Heeresgruppe also, die Sie führten, war in Italien eingesetzt?
KESSELRING: Die Heeresgruppe war im Mittelmeer eingesetzt.
DR. LATERNSER: Der Umfang der Gruppe Generalstab und OKW, wie sie von der Anklagebehörde zusammengefaßt worden ist, wird Ihnen bekannt sein?
KESSELRING: Jawohl.
DR. LATERNSER: Ich habe zunächst eine Vorfrage:
Was versteht man unter dem eigentlichen deutschen Generalstab, und zwar der einzelnen Wehrmachtteile?
KESSELRING: Der Generalstab der einzelnen Wehr machtteile stellt eine Zusammenfassung aller derjenigen Offiziere innerhalb des ganzen Wehrmachtteiles dar, die als Gehilfen der Führung oder über die allgemeine Verantwortung hinausgehende Verantwortung tragen.
DR. LATERNSER: Würden Sie bitte angeben, wie sich zum Beispiel diese Gruppe innerhalb der Luftwaffe zusammengefügt hat und welche Ämter sie umfaßte?
KESSELRING: Der Luftwaffen-Generalstab war eine Parallelorganisation des Heeres-Generalstabs und glich dem Heeres-Generalstab im allgemeinen wie ein Ei dem anderen. Der Generalstab setzt sich zusammen aus der Zentralstelle, bei der Luftwaffe genannt Führungsstab, Führungsamt, und zwar mit dem Chef des Generalstabes an der Spitze, den Führungsabteilungen, den Organisationsgruppen, den Abteilungsführern der Luftwaffe, dem Oberquartiermeisteramt und so weiter. Die einzelnen Kommandos, von der Luftflotte an herunter bis zur Division und bis auf die bodenorganisatorische Seite, bis zu den Luftgauen, hatten Generalstabsoffiziere als Gehilfen der Führung. Auch die früher übliche Mitverantwortung des Chefs des Generalstabes einer Kommandobehörde fiel, da sie mit dem Führerprinzip als unvereinbar erklärt worden ist. Diese Chefs der Generalstäbe von den Kommandobehörden an und der große Chef der Generalstabs-Zentralstelle hatten bezüglich der Ausbildung und der Ausrichtung Einfluß auf die gesamten Generalstabsoffiziere innerhalb der Wehrmacht, ohne damit die Verantwortlichkeit der unmittelbar vorgesetzten militärischen Dienststellenleiter irgendwie zu beeinträchtigen.
DR. LATERNSER: Wenn ich Ihre Antwort so zusammenfasse, daß man unter Generalstab der Luftwaffe den Generalstabschef der Luftwaffe und die Truppen-Generalstabsoffiziere versteht, dann würde ich den Generalstab der Luftwaffe wohl richtig dem Personenkreis nach erfaßt haben?
KESSELRING: Vollkommen.
[205] DR. LATERNSER: Wenn nun in diesem Verfahren der Personenkreis, der Ihnen ja bekannt ist, hier unter der Bezeichnung »Generalstab« zusammengefaßt worden ist, halten Sie dann diese Bezeichnung nach dem militärischen Sprachgebrauch für richtig, wenn man den Kreis dieser militärischen Führer als Generalstab bezeichnet?
KESSELRING: Ich habe vorhin bereits ausgeführt, daß der Generalstab eine Zusammenfassung von Führungsgehilfen im deutschen Sinne darstellte, daß also die Befehlshaber und Oberbefehlshaber aus diesem Rahmen von vornherein ausgeschieden waren. Sie paßten nach deutschen Begriffen auch nicht in diese Organisation herein, und zwar deswegen, weil die Führer und Oberbefehlshaber nicht alle diesen Entwicklungsweg der Generalstabsoffiziere gegangen waren. Die Oberbefehlshaber waren einzelne Persönlichkeiten, die vielleicht eine Zusammenfassung gefunden haben im Reichshaushalt und in der Besoldungsordnung unter dem Titel »General«.
DR. LATERNSER: Wenn man also die hohen militärischen Führer als Generalstab bezeichnet, dann würden Sie diese Bezeichnung für falsch halten?
KESSELRING: Es ist nach deutschen Begriffen mißstimmig.
DR. LATERNSER: Eine gleiche Zusammenfassung der hohen militärischen Stellen, wie sie innerhalb dieser Gruppe erfolgte, hat es jemals zuvor innerhalb der Wehrmacht nicht gegeben?
KESSELRING: In deutschen Verhältnissen war eine derartige Zusammenfassung nicht gegeben, auch aus den verschiedensten Gründen nicht zulässig. Die Oberbefehlshaber waren auch nicht in einer Art Kriegsrat oder einer ähnlichen Organisation zu bestimmten Zwecken zusammengefaßt. Sie gehörten nicht einmal, weder einzeln noch in der Gesamtheit, dem Reichsverteidigungsrat an, sondern sie waren ad hoc nur die Befehlshaber einer Front- oder einer gewissen Kommando-Dienststelle. Die Zusammenfassung der Oberbefehlshaber für irgendeinen Zweck war nach meiner Überzeugung deshalb nicht möglich, weil erstens die Unterstellung eine vollkommen verschiedene war. Einmal unterstanden sie dem Oberbefehlshaber des Heeres oder dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe, oder der Marine oder dem Oberkommando der Wehrmacht, dann unterstanden die Oberbefehlshaber hundertprozentig dem deutschen Oberbefehl, andere unterstanden hundertprozentig dem verbündeten Oberbefehl. Und dann kam noch eine gewisse Doppelunterstellung in Frage. Dann waren es selbständige Oberbefehlshaber, dann waren es wieder Armeeoberbefehlshaber, die im Rahmen einer Heeresgruppe unselbständig waren.
DR. LATERNSER: Sie sprechen zu schnell, Herr Zeuge.
[206] Waren die Oberbefehlshaber nur mit der Ausarbeitung militär-fachlicher Aufgaben betraut, die sie auf Grund der Befehle ausführten, oder haben sie selbst Pläne ausgearbeitet, um sie zur Durchführung Hitler vorzulegen?
KESSELRING: Oberbefehlshaber waren reine militärische Führungspersönlichkeiten und nur für den Rahmen verantwortlich, innerhalb dessen sie eingesetzt waren. Innerhalb dieses Rahmens konnten sie natürlich mit Anträgen oder Verbesserungsvorschlägen an das OKW oder das OKH herantreten, aber darüber hinaus hat keine derartige theoretische oder einkleidende Berichterstattung oder Mitarbeit stattgefunden.
DR. LATERNSER: Sie erwähnten eben Verbesserungen und Veränderungen. Handelte es sich dabei nur um militärisch-fachliche Korrekturen oder konnten sich solche Vorschläge auch auf das »ob« beziehen?
KESSELRING: Normalerweise handelte es sich um militärisch-fachliche Veränderungsvorschläge. Bei kleineren Sachen ist natürlich auch über das »ob« gesprochen worden. Wenn aber die entscheidende Stelle entschieden hatte, dann schwieg das Auditorium.
DR. LATERNSER: Auf diesen Punkt werden wir nachher noch zurückkommen. Ist die Gruppe »Generalstab«, wie sie hier bezeichnet wird, jemals geschlossen zusammengekommen?
KESSELRING: Nein.
DR. LATERNSER: Bestand überhaupt eine Organisationsbestimmung für diese Gruppe?
KESSELRING: Nein.
DR. LATERNSER: Sind von Mitgliedern dieser Gruppe jemals Anregungen ausgegangen, vom Völkerrecht abzuweichen?
KESSELRING: Ich glaube nicht, eher das Gegenteil.
DR. LATERNSER: Sind die Dienststellungen, die in dieser Gruppe zusammengefaßt sind, häufig gewechselt worden oder waren die Inhaber lange in diesen Stellungen?
KESSELRING: In den letzten Jahren ist ein ziemlicher Verschleiß an Oberbefehlshabern und Befehlshabern zu beobachten gewesen.
DR. LATERNSER: Was wissen Sie über den Verlauf von Besprechungen, die bei Hitler mit hohen militärischen Führern stattfanden?
KESSELRING: Hier muß ich zwei Arten unterscheiden. Eine große Ansprache, vor Beginn eines Feldzuges, an die an diesem Feldzug beteiligten höheren Führer. Diese bezweckte im allgemeinen, in Form einer Befehlsausgabe die eingeteilten Führer über die Lage zu unterrichten. Bei der rhetorischen Überzeugungskraft des [207] Führers ist es eine Selbstverständlichkeit gewesen, daß wir zu dieser Sache kaum Stellung nehmen konnten, vor allem da wir in verschiedenen Richtungen nicht unterrichtet waren. Diskussionen in dieser Ansprache fanden nicht statt, waren nicht zugelassen. Anschließend fanden zum Teil militärisch-tak tische Besprechungen statt, bei denen jeder eingeteilte Führer seine Erkenntnisse und seine Forderungen mit allem Nachdruck vertreten konnte. Wie schon erwähnt, über politische Fragen wurden wir nicht gehört. Wir wurden, wie hier bereits bekannt, vor ein Faktum gestellt, mit dem wir uns als Soldaten abzufinden hatten.
DR. LATERNSER: Sie waren Teilnehmer bei einer Besprechung bei Hitler am 22. August 1939, also kurz vor Beginn des Polenfeldzuges?
KESSELRING: Jawohl.
DR. LATERNSER: Ist nicht am Schluß dieser Besprechung eine Meldung bekanntgegeben worden, daß wir mit der Sowjetunion einen Vertrag abgeschlossen haben?
KESSELRING: Am Schluß, nach der Ansprache, wurden die Herren noch einmal zusammengerufen und mitgeteilt, daß eben die Meldung eingegangen wäre, daß Rußland eine wohlwollende Neutralität einnehme.
DR. LATERNSER: Welchen Eindruck hat nun diese Meldung auf Sie und die hohen militärischen Führer gemacht?
KESSELRING: Auf mich und auch auf die anderen einen ungeheuer entlastenden, entspannenden. Denn im anderen Falle war die Möglichkeit einer Ausweitung des Krieges nach Osten zum mindesten nicht von der Hand zu weisen. Wenn aber Rußland aus dem Unternehmen ausgeschieden war, so war – ich spreche als Heerführer – zumindest für die Luftwaffe ein einschneidendes Angleichgewicht gegeben, das einen raschen und durchschlagenden Erfolg sicherstellte, und wenn ich darüber hinaus urteilen darf, vielleicht überhaupt die Ausweitungen des ganzen Krieges unterband.
DR. LATERNSER: Sie haben jedenfalls diese Meldung damals als sehr erleichternd befunden?
KESSELRING: Außerordentlich.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, wissen Sie etwas darüber, ob Angehörige der Gruppe Generalstab und OKW mit hohen Parteileuten und Politikern zusammengekommen sind und Besprechungen abgehalten haben?
KESSELRING: Wenn ich von meiner Person sprechen darf, so war ich sowohl im Mittelmeer als auch im Westen tätig. Ich war im Mittelmeer auf die Zusammenarbeit mit den Gauleitern Rainer [208] und Hofer angewiesen und dann im Westen auf die Zusammenarbeit –
DR. LATERNSER: Die Frage zielte auf etwas anderes hinaus. Ich wollte wissen, ob die hohen militärischen Führer mit hohen Politikern zusammengekommen sind und dabei Besprechungen abgehalten haben über irgendwelche politischen Pläne?
KESSELRING: Nein, nein. Das kann ich sehr eindeutig sagen, daß dies nie der Fall war. Wir als Soldaten haben uns im allgemeinen um die Politik nicht gekümmert. Die Politik wurde von den Politikern gemacht und wir hatten sie auszuführen.
DR. LATERNSER: Diese unpolitische Erziehung des Soldaten sind die militärischen Führer auf Grund ihrer langjährigen Erfahrungen in der Wehrmacht gewohnt, in der dieser Grundsatz vertreten wird.
KESSELRING: Es ist das eine Entwicklung, die seit dem 18. Jahrhundert in der deutschen Armee Fuß gefaßt hat.
DR. LATERNSER: Was wissen Sie über Beziehungen höherer militärischer Führer zur »Fünften Kolonne«?
KESSELRING: Mit der »Fünften Kolonne« hat sich die militärische Führung nicht abgegeben. Das stand unter dem Niveau.
DR. LATERNSER: Welchen Eindruck nahmen Sie von der Besprechung mit, die Hitler vor Beginn des Ostfeldzuges mit den höheren militärischen Führern abgehalten hatte? Wurde Ihnen damals die Lage so dargestellt, daß der Krieg unvermeidlich sei?
KESSELRING: Ich hatte den bestimmten Eindruck, daß Zweck und Ziel dieser Ansprache an die eingeteilten Führer war, sie von der Notwendigkeit des Krieges als Präventivkrieg zu überzeugen, also des Durchschlagens, bevor die Mobilisierung und Aufrüstung der russischen Wehrmacht eine Gefahr für Deutschland werden konnte.
DR. LATERNSER: Können Sie irgendwelche Gründe angeben, aus denen Sie zu dieser Meinung gekommen sind?
KESSELRING: Wie ich früher sagte, war diese Ansprache zu dem Zwecke an uns gerichtet, uns in überzeugender Weise ein Bild von der allgemeinen Lage, von der militärischen Lage, von dem Zeitpunkt des Unternehmens zu geben, ein Bild, das auf uns überzeugend gewirkt hat. Ich möchte hier im Zusammenhang mit dem russischen Feldzug sagen, daß ich hier keinen Zweifel bis zum letzten Tage des Monats August...
VORSITZENDER: Herr Zeuge, Sie müssen bitte viel langsamer sprechen und auf die Dolmetscher Rücksicht nehmen.
[209] DR. LATERNSER: Würden Sie bitte die letzte Antwort noch einmal wiederholen?
KESSELRING: Ich konnte die Ausführungen um so weniger bezweifeln, als ich bis zum Schlußpunkt als Oberbefehlshaber der Luftflotte II gegen England eingesetzt war und weder Zeit noch Mittel hatte, mich über die gesamte russische Lage so zu unterrichten, wie es nötig gewesen wäre, um mir ein eigenes sachlich begründetes Urteil leisten zu können. Ich habe mich darauf beschränken müssen, mich innerhalb meines Rahmens...
DR. LATERNSER: In diesen Verhandlungen hat es sich gezeigt, daß die Oberbefehlshaber verantwortlich gemacht werden für Vorkommnisse, die in einem Krieg schwer verhindert werden können. Ich möchte Sie bitten, mir vor allen Dingen den Tagesverlauf eines Oberbefehlshabers einer Heeresgruppe, der Armee oder der Luftflotte zu schildern.
KESSELRING: Der Tagesverlauf war natürlich durch die Persönlichkeit des betreffenden Führers bestimmt. Wenn ich von mir sprechen darf, –
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, ich bitte Sie, sich sehr kurz zu halten.
VORSITZENDER: Herr Zeuge, – Dr. Laternser, das ist doch sicher eine Wiederholung dessen, was der Zeuge bereits gesagt hat und wird wahrscheinlich lange dauern. Über die Beschreibung des Tagesverlaufs eines Oberbefehlshabers hat der Zeuge ja schon gesagt, daß der Oberbefehlshaber nichts mit Politik und mit dem Generalstab zu tun hatte. Warum wollen wir uns damit aufhalten, wie der Tag eines Oberbefehlshabers verlaufen ist?
DR. LATERNSER: Herr Präsident, ich lege besonderen Wert auf die Beantwortung dieser Frage aus folgenden Gründen: Bei dem Umfang der Tätigkeit eines Oberbefehlshabers, insbesondere an der Front, muß ja nicht jede Meldung bezüglich irgendwelcher Vorkommnisse an ihn gelangen; denn selbst Meldungen aus seinem Abschnitt müssen durch dafür eingesetzte Stellen bearbeitet werden, so daß nur Meldungen an ihn gelangen können, die von besonderer Wichtigkeit sind, von besonderer Maßgeblichkeit sind und mit Entschlüssen der militärischen Führung zusammenhängen.
VORSITZENDER: Dann stellen Sie lieber die Frage in dieser Weise, als daß Sie den Zeugen einen vollen Tagesverlauf beschreiben lassen.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, konnte bei dem Umfang Ihrer Tätigkeit als Oberbefehlshaber jede Mel dung an Sie gelangen oder nur solche, die nach Überprüfung durch die dafür zuständigen Offiziere von derartiger Wichtigkeit waren, daß sie dem Oberbefehlshaber vorgetragen werden mußten?
[210] KESSELRING: Besonders in Kampfperioden war es ausgeschlossen, daß die gesamte Meldungserstattung an die Oberbefehlshaber persönlich gegangen wäre. Es war um so weniger möglich, wenn ich von mir sprechen darf, als ich 50 bis 70 Prozent meiner Zeit an der Front selbst verbrachte. Die Selbständigkeit des Stabes der Armeen, der Luftflotte und der Marineverbände mußte in einem ihnen zugewiesenen Rahmen erhalten bleiben.
DR. LATERNSER: Bei der intensiven Beschäftigung eines Oberbefehlshabers, konnten da alle Meldungen über Verstöße gegen das Völkerrecht, wenn sie geringerer Natur waren, an ihn gelangen?
KESSELRING: Angestrebt werden mußte es. Ob es im Einzelfall möglich war, ist zu bezweifeln aus den Gründen, die ich vorher angegeben habe.
DR. LATERNSER: In diesem Punkte mußte sich also der Oberbefehlshaber auf seine Mitarbeiter verlassen können?
KESSELRING: 100 Prozent.
DR. LATERNSER: Waren Sie von Juni 1941 bis November 1941 Oberbefehlshaber einer Luftflotte an der Ostfront?
KESSELRING: Jawohl.
DR. LATERNSER: Ist Ihnen etwas über die Ausrottung von Juden im Osten bekanntgeworden?
KESSELRING: Nein.
DR. LATERNSER: Haben Sie etwas über die Tätigkeit der Einsatzgruppen der SS erfahren?
KESSELRING: Nein, war mir unbekannt. Sogar der Name dieser Einheiten war mir unbekannt.
DR. LATERNSER: Ist Ihnen etwas über den bedauerlichen Befehl bekanntgeworden, nach dem russische Kommissare nach ihrer Gefangennahme erschossen werden sollten?
KESSELRING: Von diesem Befehl habe ich zu Ende des Krieges gehört. Die Luftflotte als solche, als Nicht-Erdkampfgruppe, war an dieser Frage eigentlich unbeteiligt. Ich glaube mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit sagen zu können, daß die Luftwaffe gar nichts darüber gewußt hat. Selbst bei meiner sehr häufigen persönlichen Verbindungsaufnahme mit Generalfeldmarschall von Bock, mit den Armeeführern und den Panzertruppen-Komman deuren habe ich über diesen Befehl von diesen Herren nichts gehört.
DR. LATERNSER: War Ihnen der Kommandobefehl bekannt?
KESSELRING: Der Kommandobefehl ist mir bekannt gewesen.
DR. LATERNSER: Und welche Auffassung haben Sie bezüglich dieses Befehls vertreten?
[211] KESSELRING: Ich betrachte derartige Befehle, die mich als Oberbefehlshaber im Mittelmeer erreichten, wo ich eine doppelte Stellung hatte, nicht als einen für mich verbindlichen Befehl, sondern als Rahmenbefehl, innerhalb dessen ich mich bewegen konnte. Ich habe in dieser Frage den Standpunkt eingenommen und vertreten, daß ich als Oberbefehlshaber das Recht habe, zu entscheiden, ob es sich um ein Kommando-Unternehmen auf völkerrechtswidrige Art handle oder um ein taktisch begründetes Unternehmen. Die Auffassung, die sich allmählich bei der Heeresgruppe durchsetzte und von mir diktiert wurde, war, daß Uniformträger, die mit einem bestimmten taktischen Auftrag eine Aufgabe zu erfüllen hatten, nach den Voraussetzungen der Haager Landkriegsordnung als Soldaten anzusehen und zu behandeln waren.
DR. LATERNSER: Der Kommandobefehl ist also innerhalb Ihres Bereiches nicht zur Anwendung gekommen?
KESSELRING: In einem Fall ist er bestimmt zur Anwendung gekommen.
DR. LATERNSER: Um welchen Fall handelt es sich dabei?
KESSELRING: Ich meine den Fall des Generals Dostler.
DR. LATERNSER: Der Fall Dostler ist hier in diesem Verfahren bereits erwähnt worden. Ist Ihnen dieser Fall damals, als er schwebte, bekanntgeworden?
KESSELRING: Ich habe seinerzeit als Zeuge unter Eid ausgesagt, daß ich mich dieses Falles nicht entsinnen kann. Ich glaube auch nicht, daß ich davon Kenntnis erhalten habe, aus zwei Gründen: Erstens, nach der Rücksprache mit meinem Chef, der mit dem Befehlshaber einer anderen Dienststelle darüber sprach, stellte sich heraus, daß eigentlich keiner von uns dreien etwas davon wußte. Zweitens, weil ich durch riesenhafte Operationen an der Südfront mehr außerhalb als innerhalb meiner Stellung war.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, wenn man von Ihnen gefordert hätte, den Fall Dostler zu entscheiden, wie hätten Sie dann entschieden?
KESSELRING: Ich kenne den Fall als solchen nicht gut genug, sondern nur vom Hörensagen...
JUSTICE JACKSON: Ich glaube nicht, daß wir den Fall Dostler hier verhandeln können, oder daß dieser Zeuge seine Ansicht kundgeben sollte. Dostlers Fall ist schon vor einem zuständigen Gerichtshof verhandelt worden; damit ist dieser Fall erledigt. Ich habe nichts gegen Tatsachen einzuwenden, die diesem Gerichtshof zur Unterrichtung dienen. Aber seine Ansicht über die Schuld seines Offizierskollegen kann uns kaum weiterhelfen.
VORSITZENDER: Besonders weil er, wie er sagte, sich nicht erinnern kann.
[212] DR. LATERNSER: Ich ziehe diese Frage zurück.
[Zum Zeugen gewandt:]
Können Sie mir andere Fälle nennen, Herr Zeuge, in denen der Kommandobefehl in Ihrem Bereich nicht zur Anwendung gekommen ist?
KESSELRING: Kleinere Landungen hinter der Front, in Comacchio, der Gegend des Sees, südlich von Venedig. Dann Luftlandungen nördlich von Albenda im Genuesischen Raum. Dann kleinere Unternehmungen im Raume von Lago di Ortona. Ich habe die Überzeugung, daß die Truppe diesen allgemeinen Gesichtspunkt aufgenommen und nach diesem Gesichtspunkt gehandelt hat.
DR. LATERNSER: Sie waren Oberbefehlshaber einer Luftflotte im Osten? Können Sie mir Angaben machen über die Behandlung der russischen Zivilbevölkerung während des Feldzuges?
KESSELRING: Ich war bis Ende November in Rußland, und ich kann nur sagen, daß das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Truppe ein denkbar gutes war, daß die Feldküchen überall für die Armen und für die Kinder zur Verfügung gestellt wurden, daß die anerkannt hohe Sittenreinheit der russischen Frau in bemerkenswertem Umfang vom deutschen Soldaten gewahrt worden ist. Ich weiß, daß die Sprechstunden meiner Ärzte von der russischen Bevölkerung gerne in Anspruch genommen worden sind. Ich erinnere mich deswegen, weil die Ärzte mir gegenüber von der Stärke im Ertragen von Schmerzen gesprochen haben. Der Krieg ist so rasch über die Fluren bis Smolensk gezogen, daß der ganze Raum einen vollkommen friedlichen Eindruck machte, daß die Bauern arbeiteten und mehr oder weniger große Viehherden jeder Art zu sehen waren, daß die kleinen Orte, die ich besuchte, meist intakt waren.
DR. LATERNSER: Sind Ihnen Verbrechen gegen die Sittlichkeit bekannt geworden, die von deutschen Soldaten im Osten begangen worden sind? Wenn Ihnen Fälle von Völkerrechtsverletzungen gemeldet wurden, sind Sie dann immer mit den Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln vorgegangen?
KESSELRING: Ich habe es zumindest versucht. Ich habe es schon im Interesse der Erhaltung des Ansehens der Deutschen Wehrmacht getan und auch im Interesse der Wehrmacht zu italienischen Verbündeten. Deshalb habe ich es für notwendig gehalten, gegen deutsche Soldaten, die gegen irgendwelche Paragraphen verstoßen haben, entschieden einzuschreiten.
Da es mir aber bewußt war und ich weiß, daß der Krieg ein rohes Geschäft ist, und im Laufe der Jahre die Verrohung zunimmt, vor allem, wenn Führer und Unterführer der Aufgabe nicht mehr [213] gewachsen sind, habe ich vor allem Wert darauf gelegt, Vorbeugungsmaßnahmen anzuordnen. Die Vorbeugungsmaßnahmen, die die alliierten Streitkräfte sicherlich bei ihrem Vormarsch durch Italien noch an Ort und Stelle gesehen haben, meine verschiedenen Verordnungen für Bestrafungen, die jedenfalls allgemein publik geworden sind, beweisen die Worte, die ich eben gesprochen habe.
An Vorbeugungsmaßnahmen habe ich angeordnet, daß Städte oder, wenn das nicht möglich war, die Innenteile der Städte von Kommando- und Verwaltungsbehörden und von Soldaten geräumt würden, und daß die Städte oder Innenteile abgesperrt werden. Weiterhin, soweit es Luftschutzmaßnahmen zugelassen haben, sind die Soldaten kaserniert oder in örtlich begrenzten Komplexen untergebracht worden. Weiterhin ordnete ich an, daß die Einzelgänger, die gewöhnlich der Anlaß zu derartigen Störungen waren, zusammengefaßt werden sollen, wie zum Beispiel: Urlauber von der Truppe und zurück, und daß Wirtschaftsfahrzeuge geschlossene Abteilungen zu formen haben. Als Überwachungsorgan habe ich verschiedene Auffangslinien von Feldgendarmerie, Feldpolizei, Feldjägern mit beigeordneten fliegenden Gerichten und Kraftwagenstreifen angeordnet.
Der Ausverkauf Italiens, der eine gewisse Rolle gespielt hat, sollte dadurch unterbunden werden, daß in Verbindung mit der Italienischen Regierung an den Heimatstrecken Kaufhäuser eingerichtet wurden, wo später die Soldaten etwas für die Heimat kaufen konnten. Strafmaßnahmen sind eingeführt worden. Ich habe die Fälle, die mir von den Italienern auf deutscher Seite gemeldet worden sind, verfolgen lassen oder selbst verfolgt. Dort, wo Operationen an Ort und Stelle mir ein persönliches Eingreifen nicht gestatteten, wie bei Siena, habe ich der Wehrmacht bekanntgegeben, daß dieser Fall kriegsgerichtlich von mir noch später weiter verfolgt wird. In anderen Fällen habe ich in zugespitzter Lage die Todesstrafe und das Ausnahmerecht verhängt gegen Plünderer, Räuber, Mörder und so weiter.
Wenige dieser Todesstrafen haben eine Bereinigung im Gefolge gehabt. Aber gegen Vorgesetzte, die sich ganz naturgemäß vor ihre Soldaten gestellt haben, bin ich eingeschritten, wenn sie zu milde ihre Aufgaben erfüllt haben.
Ich glaube, nachdem die Akten alle hier vorliegen, daß aus den Randbemerkungen zu Berichten der Polizeifeldjäger das Weitere zu ersehen ist.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, sind Ihnen auch völkerrechtliche Verletzungen, die von der Gegenseite begangen wurden, bekannt?
KESSELRING: Bei meinen vielen Besuchen an der Front sind mir natürlich eine große Zahl...
[214] GENERAL RUDENKO: Ich protestiere gegen diese Frage. Meines Erachtens ist der Zeuge nicht befugt, Erklärungen darüber abzugeben, ob Deutschlands Feinde das Völkerrecht verletzt haben.
Ich glaube, daß diese Frage zurückzuweisen ist.
DR. LATERNSER: Darf ich dazu noch Stellung nehmen? Ich lege Wert auf die Beantwortung dieser Frage, und zwar möchte ich im Anschluß an diese Frage die weitere Frage an den Zeugen richten, ob er nach Bekanntwerden von völkerrechtlichen Verletzungen der Gegenseite die von den eigenen Soldaten begangenen völkerrechtlichen Verletzungen nicht oder vielleicht milder geahndet hat. Aus diesem Grunde lege ich Wert auf die Beantwortung dieser Frage.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte gern wissen, wie die Frage genau lautet und warum Sie glauben, daß sie zulässig ist.
DR. LATERNSER: Der genaue Wortlaut der Frage ist folgender: Ich habe an den Zeugen die Frage gerichtet: Sind Ihnen auch Völkerrechtsverletzungen auf der Gegenseite bekanntgeworden? Nach der Beantwortung dieser Frage will ich an den Zeugen die weitere Frage richten, ob er etwaige von der Gegenseite begangene völkerrechtliche Verletzungen zum Anlaß genommen hat, völkerrechtliche Verletzungen, die von eigenen Soldaten begangen worden sind, aus diesem Grunde vielleicht überhaupt nicht oder milder zu ahnden. Ich wollte aus der Beantwortung dieser Frage die Einstellung des Zeugen als Angehörigen der Gruppe feststellen, und ich halte aus diesem Grunde die Beantwortung dieser Frage für wichtig.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof würde gerne wissen, was der Anklagevertreter der Vereinigten Staaten dazu zu sagen hat.
JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof, es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts, daß eine Verletzung auf der einen Seite keine Entschuldigung oder Rechtfertigung für eine Verletzung auf der anderen Seite ist. Natürlich gibt es auch die Doktrin der Repressalie, aber sie ist sicher auf keinen der hier hervorgetretenen Fälle anwendbar.
Zweitens, selbst wenn es zulässig wäre, diese Frage hier zu behandeln, so bin ich der Ansicht, daß dies in unpassender Art geschehen ist. Die Frage »Haben Sie von Verletzungen des Völkerrechts gehört?« geht sehr weit. Wenn es überhaupt zulässig ist, dieses Thema hier anzuschneiden, so wäre es zumindest erforderlich, einen bestimmten Fall in seinen Einzelheiten vorzutragen.
Eine allgemeine Anschuldigung der Verletzung des Völkerrechts würde kaum genügen, um diesen Gerichtshof über die Grundlage aufzuklären, auf der dieser Zeuge gehandelt haben mag.
Ein ganz spezieller Fall, von dem der Zeuge glaubhafte Kenntnis erlangt hat, könnte eine solche Grundlage sein. Die Frage des Verteidigers bietet sicherlich keine Grundlage hierfür.
[215] Ich glaube, daß wir hier zu weit von der Anklage abschweifen, und daß dies weit entfernt von allem ist, was mit diesem Fall zu tun hat. Ich weiß nicht, welche besonderen Greueltaten oder Völkerrechtsverlet zungen auf diese Weise entschuldigt werden sollen. Es müßten Greueltaten verübt worden sein, durch die versucht wird, Greueltaten, die von irgend jemand anderem begangen wurden, zu entschuldigen. Wer sie sonst noch begangen hat, und warum sie begangen worden sind, das wäre eine Frage, mit der wir uns zu befassen hätten, wenn wir auf dieses Thema näher eingingen. Ich bin der Ansicht, daß eine solche Frage ganz abseits des Beweisthemas liegt; selbst wenn dem nicht so wäre, wenn irgendeine Möglichkeit bestände, die Frage in den Rahmen des Beweisthemas zu bringen, dann wäre sie in einer unpassenden Art gestellt worden.
DR. STAHMER: Diese Frage ist von grundsätzlicher Bedeutung und ist vor einiger Zeit schon einmal vor diesem Hohen Gerichtshof erörtert worden, und zwar, als von mir beantragt wurde, die Vorlage von Weiß-Büchern zuzulassen, in denen Berichte über Greueltaten enthalten sind.
Ich meine die Sitzung vom 25. Februar. Damals hat Professor Exner zu dieser Frage Stellung genommen und das Gericht hat mir dann gestattet, die Weiß-Bücher vorzulegen, vorbehaltlich der Angabe darüber, was aus diesen Büchern vorgetragen werden soll. Es ist damals bereits darauf hingewiesen worden, daß die Frage, ob auch auf der anderen Seite Greueltaten begangen worden sind, insofern von Bedeutung ist, als sie vor allen Dingen dazu beitragen kann, das Verhalten auf deutscher Seite richtig zu beurteilen und eventuell das Verhalten milder aufzufassen; denn das Motiv der Tat ist von Entscheidung und ist immer wichtig für die Urteilsfindung, und man wird hier sagen müssen, daß die Tat anders zu beurteilen ist auf deutscher Seite, wenn tatsächlich auf der anderen Seite kein völlig korrektes Verhalten vorgelegen hat.
Es ist ja von Bedeutung auch die Frage, ob es sich in einem solchen Fall nicht um Vergeltungsmaßnahmen beziehungsweise Repressalien gehandelt hat. Ich meine, daß daher aus diesen Erwägungen die Frage, die hier gestellt wurde, jedenfalls von Bedeutung und zuzulassen ist.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich für 10 Minuten vertagen.
[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die Fragen geprüft, die Dr. Laternser an den Zeugen richten wollte, und ebenso die Einwendungen in Betracht gezogen, die von General Rudenko und Herrn Justice Jackson erhoben wurden. Er hält diese Fragen für unzulässig.
[216] DR. LATERNSER: Herr Präsident, ich nehme an, daß ich die folgende Frage zu stellen berechtigt bin.
[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Zeuge! Haben Sie dann nicht auch eigene Völkerrechtsverletzungen nicht oder milder geahndet, als Ihnen Gesetzesverletzungen von der Gegenseite gemeldet worden waren?
VORSITZENDER: Sie sagen jetzt in einer Frage, was Sie vorher in zwei Fragen gestellt haben.
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Diese Frage soll ja den Zeugen nicht veranlassen, mir Völkerrechtsverletzungen, etwa begangen von der Gegenseite, bekanntzugeben. Ich möchte mit der Beantwortung dieser Frage nur die typische Einstellung des Zeugen erfahren, daß er auch dann als Oberbefehlshaber sich bemüht hat, eigene Völkerrechtsverletzungen auf das strengste zu ahnden, obwohl ihm Meldungen zugegangen waren, die auf Völkerrechtsverletzungen der Gegenseite schließen lassen. Ich ziehe die Frage zurück.
VORSITZENDER: Das Gericht hat nichts dagegen einzuwenden, daß Sie den Zeugen fragen, ob er bestrebt war, Verletzungen des Völkerrechtes zu vermeiden. Wenn Sie diese Frage an ihn stellen wollen, wird kein Einspruch zu erheben sein. Die Frage aber, die Sie zu stellen beabsichtigen, ist in Wirklichkeit identisch mit den Fragen, die Sie zuvor gestellt haben.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, in diesem Verfahren sind schwere Anschuldigungen wegen Grausamkeiten erhoben worden, die deutsche Soldaten begangen haben. Ist nicht jeder Soldat hinreichend über die völkerrechtlichen Bestimmungen aufgeklärt und belehrt worden?
KESSELRING: Ich möchte diese Frage bejahen. Bei meinen Ansprachen und denen meiner nachgeordneten Befehlshaber sind derartige Hinweise und Belehrungen laufend gewesen.
DR. LATERNSER: Haben Sie als Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe Kunst- und Kirchenstätten nach Möglichkeit geschont?
KESSELRING: Ich betrachtete es als eine selbstverständliche Pflicht, Stätten der Kunst, Kultur und Kirchen zu schonen und habe dementsprechende Befehle gegeben und in meinen operativen und taktischen Handlungen und Maßnahmen darnach gehandelt.
DR. LATERNSER: Was wissen Sie über die Behandlung von Kriegsgefangenen, die in deutsche Hände gefallen sind?
KESSELRING: Die Kriegsgefangenen wurden völkerrechtlich richtig behandelt. Wo auf Grund von Kontrollen, die ich selbst anordnete, Nachlässigkeit festgestellt werden konnte, wurde sie unter Verwarnung des betreffenden Kommandanten abgestellt.
[217] DR. LATERNSER: Nun habe ich noch drei Fragen:
Sind Sie als Feldmarschall vorher unterrichtet worden, daß Italien in den Krieg eintritt?
KESSELRING: Nein, darüber bin ich nicht unterrichtet worden. Soweit ich weiß, ist das Eintreten Italiens in den Krieg so spontan erfolgt, daß selbst die politische Führung überrascht war.
DR. LATERNSER: Und sind Sie vorher unterrichtet worden, daß eine Kriegserklärung gegen Amerika abgegeben werden sollte?
KESSELRING: Nein, über diese Frage kann ich nichts sagen.
DR. LATERNSER: Nun die letzte Frage: Wie stand es mit den Rücktrittsmöglichkeiten für militärische Führer während des Krieges?
KESSELRING: Ein Ausscheiden aus der Wehrmacht aus eigenem Entschluß oder ein Antrag zum Ausscheiden aus der Wehrmacht war nicht zugelassen.
Es lag im Jahre 1944 ein Befehl vor, der unter schärfster Strafandrohung dies verbot. Das Recht der Personalveränderungen in den führenden Stellen hat sich der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht ausschließlich und allein vorbehalten.
DR. LATERNSER: Hat über diesen Punkt ein schriftlicher Befehl bestanden?
KESSELRING: Ich möchte annehmen, ja.
DR. LATERNSER: Danke schön, ich habe keine weiteren Fragen mehr.
PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Sie haben vorhin gesagt, daß die Oberbefehlshaber auf militärischem Gebiet das Recht und die Möglichkeit gehabt haben, beim Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, bei Hitler, ihre Forderungen und Ansichten geltend zu machen; habe ich das richtig verstanden?
KESSELRING: Jawohl.
PROF. DR. JAHRREISS: Haben Sie persönlich mit Hitler über Befehlssachen Meinungsverschiedenheiten gehabt?
KESSELRING: In operativen und taktischen Fragen erhebliche.
PROF. DR. JAHRREISS: So, bis zur Konfliktstärke?
KESSELRING: Konflikt ist vielleicht zuviel gesagt – gegenseitiges Abrückender Auffassung.
PROF. DR. JAHRREISS: Etwa, was man Meinungsverschiedenheiten nannte, mehrfach?
KESSELRING: Ja.
PROF. DR. JAHRREISS: Nach allem, was wir hier gehört haben, muß Adolf Hitler ein etwas schwieriger Herr gewesen sein?
[218] KESSELRING: Das muß zugegeben werden. Auf der anderen Seite hatte ich, ich weiß nicht warum, das Glück, meist auf Verständnis für die Fragen, die ich vortrug, zu stoßen.
PROF. DR. JAHRREISS: Haben Sie diese Meinungsverschiedenheiten mit Hitler selbst ausgeglichen?
KESSELRING: In kritischen Fällen wurde ich von Generaloberst Jodl, wenn er sich nicht mehr durchsetzen konnte, zum Vortrag angefordert.
PROF. DR. JAHRREISS: Wenn Sie sich nicht durchsetzen konnten?
KESSELRING: Wenn Jodl, sich nicht durchsetzen konnte.
PROF. DR. JAHRREISS: Wenn Jodl sich nicht durchsetzen konnte, wurden Sie angefordert?
KESSELRING: Ja.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, war denn Jodl auch anderer Meinung als Hitler?
KESSELRING: Ich habe bei verschiedenen Vorträgen eine sehr entschiedene Meinungsdifferenz bei den beiden Herren beobachten können und festgestellt, daß Generaloberst Jodl, der unser Sachwalter beim OKW war, mit einer außerordentlich anerkennenswerten Energie seine Auffassung vertreten hat und diese Auffassung bis zum Schluß durchgestanden hat.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, was heißt das, er war Ihr Sachwalter, wessen Sachwalter?
KESSELRING: Meine Kriegsschauplätze, als Wehrmachtsgeneral, waren sogenannte OKW-Kriegsschauplätze und der Osten Heeres-Kriegsschauplatz. Der Osten war Heeres-Kriegsschauplatz, während die anderen OKW-Kriegsschauplätze waren.
PROF. DR. JAHRREISS: Hatte das OKW also auf Heeres-Kriegsschauplätzen im Osten nichts zu sagen?
KESSELRING: Nein.
PROF. DR. JAHRREISS: Und das Heer hatte auf den OKW-Kriegsschauplätzen nichts zu sagen?
KESSELRING: Nein.
PROF. DR. JAHRREISS: Ich glaube nicht, daß alle diesen Unterschied verstehen werden.
KESSELRING: Es dürfte zuviel verlangt sein, weil ich selbst kein Verständnis dafür aufbringen kann.
PROF. DR. JAHRREISS: Also Sie waren auf einem OKW-Kriegsschauplatz?
[219] KESSELRING: Ja.
PROF. DR. JAHRREISS: Was heißt denn da OKW?
KESSELRING: Oberkommando der Wehrmacht.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, das weiß ich.
KESSELRING: Unmittelbare Unterstellung des Oberbefehlshabers unter Adolf Hitler und der Kommandostelle unter den Führungsstab Jodls.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, Sie sprachen in der früheren Vernehmung von Befehlen des OKW?
KESSELRING: Ja.
PROF. DR. JAHRREISS: Wer ist das OKW, wer hat das befohlen?
KESSELRING: Befehle grundsätzlicher Art gingen nur von einer Person aus, das war Adolf Hitler. Die anderen Persönlichkeiten waren Exekutivorgane. Das schloß nicht aus, daß sie als Exekutivorgane ihre Auffassung oder die Auffassung der unterstellten Heeresgruppen hatten, die sie mit allem Nachdruck im Sinne der Anträge und der Auffassungen der Heeresgruppen Adolf Hitler gegenüber vertreten haben.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, das wundert mich nun ein wenig, was Sie da sagen, denn es ist die Meinung laut geworden, daß Jodl, von dem Sie als Sachwalter der Oberbefehlshaber gewissermaßen sprechen, ein williges Werkzeug Adolf Hitlers gewesen sei.
KESSELRING: Ich glaube, das eine schließt das andere nicht aus. Ich kann mir eine Ehe von 6 Jahren nicht vorstellen, ohne daß nicht von beiden Seiten der Versuch gemacht wird, sich zu verstehen. Ich kann mir aber auf der anderen Seite gut vorstellen, wie bei jeder guten Ehe, daß sie auch bis zu den allerschärfsten Auseinandersetzungen kommt.
PROF. DR. JAHRREISS: Aber auch in einer normalen Ehe braucht ja der Ehemann nicht williges Werkzeug zu werden?
KESSELRING: Ja, hier liegen die Verhältnisse natürlich noch etwas anders. Denn dieser Vergleich mit der Ehe hinkt, wie alle Vergleiche hinken; denn wir haben beim Militär noch dazu das absolute Unterordnungsverhältnis.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, aber was Sie hier uns ausgeführt haben über die Position Jodls als Sachwalter der Oberbefehlshaber, das klingt doch so, als ob Jodl ausgleichend gewirkt habe?
KESSELRING: Jodl hat in einer unerhörten Weise unsere Interessen vertreten und damit für die Gesamtheit ausgleichend gewirkt.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, hat er auch seine Meinung zum Ausdruck gebracht, seine Adolf Hitler entgegengesetzte Meinung, [220] wenn Adolf Hitler einen seiner bekannten Affektbefehle erlassen hatte?
KESSELRING: Ich kann nur das eine sagen, daß ich bei den wenigen Besuchen im Hauptquartier, wenn ich mich richtig ausdrücke, Generaloberst Jodl habe rot anlaufen sehen; er hatte seine Auffassung in einer Form zum Ausdruck gebracht, die ich gerade noch an der Grenze des militärisch Möglichen angesehen habe.
PROF. DR. JAHRREISS: Danke.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nun vertagen.
[Das Gericht vertagt sich bis
13. März 1946, 10.00 Uhr.]
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