Vormittagssitzung.

[488] M. FAURE: Herr Vorsitzender! Meine Herren Richter! In der gestrigen Sitzung habe ich dem Gerichtshof die grundlegenden Maßnahmen vorgetragen, die die Deutschen ergriffen haben, um die Kontrolle der Rohmaterialien und der Finanzkraft in den besetzten Ländern sicherzustellen. Diese Maßnahmen sind durch zahlreiche Dokumente belegt, die dem Gerichtshof im Laufe der Ausführungen über die Zwangsarbeit und die wirtschaftliche Ausplünderung unterbreitet werden. Ich beabsichtige nicht, diese Dokumente jetzt selbst vorzulegen, da, wie ich gestern erwähnt habe, meine Einführung sich auf die grundsätzliche Auffassung der Deutschen auf diesem Gebiet beschränkt. Ich möchte nur eine Urkunde zitieren, die die tatsächlichen Absichten der Deutschen während des ersten Zeitabschnitts enthüllt. Die Urkunde trägt unsere Nummer RF-3 b. Ich lege sie dem Gerichtshof vor.

Sie bezieht sich besonders auf Norwegen. Es ist eine Photokopie des Protokolls über eine Besprechung, die am 21. November 1940 in Oslo unter dem Vorsitz des Reichskommissars stattgefunden hat. Ich mache den Gerichtshof darauf aufmerksam, daß wir dieses Dokument vorlegen, weil es besonders kennzeichnend ist, da gerade Norwegen eines der ersten Länder war, das von den Deutschen besetzt wurde. Das Datum, 21. November 1940, das Sie sehen, bezieht sich auf die gesamte erste deutsche Besatzungszeit, und im Text wird ebenfalls die Lage während der letzten sieben Monate erwähnt. Man findet also darin genau die geistige Einstellung der Besatzung, wie sie während der Zeit von April 1940 bis November 1940 bestand, das heißt also zur gleichen oder sogar vor der Zeit, als die Deutschen in andere Länder einmarschierten und die beruhigenden Erklärungen, die ich dem Gerichtshof gestern vorgelesen habe, abgaben.

An dieser Besprechung nahmen vierzig Personen teil, unter ihnen Staatssekretär Dr. Landfried als Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums. Der Reichskommissar drückte sich wie folgt aus:

»Die heutige Besprechung ist eine Fortsetzung der seinerzeit durchgeführten Sitzung in Berlin. Bei dieser Gelegenheit möchte ich einmal vorweg nachdrücklich betonen und festlegen, daß die Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und Reichskommissar vorbildlich ist. Ich muß mich gegen eine Auffassung verwahren, daß die Wehrmacht ihre Aufgabe hier finanziell unübersichtlich und unverantwortlich durchgeführt [488] hätte. Es sind auch die besonderen Umstände zu berücksichtigen, die in Norwegen geherrscht haben und zum Teil noch herrschen. Es sind bestimmte Aufgaben vom Führer gestellt worden, die in einer bestimmten Frist durchgeführt werden mußten. In der Besprechung in Berlin ist folgendes festgelegt worden, was wir als Ausgangspunkt der heutigen Besprechung nehmen können. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß das Land Norwegen für die Durchführung der Wehrmachtsaufgaben in einem Ausmaß in den vergangenen sieben Monaten herangezogen worden ist, daß ein weiteres Herausholen ohne bestimmten Ausgleich für die Erfüllung der zukünftigen Wehrmachtsaufgaben nicht mehr möglich ist. Ich habe es von Anfang an als meine selbstverständliche Pflicht gehalten, als Reichskommissar in allererster Linie meine Tätigkeit darin zu sehen, aus dem Lande an wirtschaftlichen und materiellen Kräften alles für die Wehrmachtsaufgaben zu mobilisieren, mich so lange nicht nach Hilfe aus dem Reich umzusehen als ich in der Lage bin, diese Hilfe aus dem Land zu organisieren.«

Ich unterbreche hier die Wiedergabe der Worte des Reichskommissars und zitiere nun einige Sätze aus der Antwort von Dr. Landfried, die sich etwas weiter unten in dem Dokument verzeichnet findet:

»Ich bin sehr dankbar, daß ich hier feststellen darf, daß es hier in Norwegen... gelungen ist, die wirtschaftlichen Kräfte des Landes Norwegen in einer Weise für die deutschen Notwendigkeiten einzusetzen, wie dies nicht in allen besetzten Gebieten in demselben Ausmaß möglich gewesen ist. Ich habe im Auftrag des Reichswirtschaftsministers dafür besonders zu danken, daß es Ihnen gelungen ist, die Norweger in einem Maße zu Leistungen heranzuziehen, wie dies überhaupt möglich war.«

Ich nehme an, daß der Gerichtshof eine Reihe durchaus charakteristischer Ausdrücke bemerkt haben wird, die in dem Dokument Verwendung finden. Der Reichskommissar sagte: Es war von Anfang an meine Aufgabe, alle wirtschaftlichen und materiellen Kräfte des Landes für die Wehrmacht zu mobilisieren. Und Dr. Landfried erklärte: Es ist uns gelungen, die wirtschaftlichen Kräfte Norwegens in einer Weise zu mobilisieren, wie dies nicht in allen besetzten Gebieten in demselben Ausmaß möglich gewesen ist.

Wir ersehen daraus, daß Dr. Landfried nicht behauptete, daß die Deutschen in Norwegen eine besondere Einstellung bezüglich der Besatzung gehabt hätten, und daß sie in anderen Ländern anders vorgegangen wären, sondern er sagt lediglich, daß es nicht möglich gewesen sei, dieselben Erfolge in anderen Ländern zu erzielen. Die einzige Einschränkung, die er anerkennt, ist eine Einschränkung hinsichtlich der Tatsachen und Möglichkeiten, von der er ebenfalls hofft, [489] bald entbunden zu sein, aber keineswegs eine rechtliche Einschränkung. Die Idee einer rechtlichen Einschränkung kommt ihm ebensowenig zum Bewußtsein wie irgendeinem der anderen vierzig Anwesenden.

Es handelt sich hierbei nicht lediglich um die Meinung oder Initiative einer regionalen Verwaltungsinstanz, sondern um die offizielle Auffassung des Reichskabinetts und des Oberkommandos, da vierzig Funktionäre der Besprechung beiwohnten, namentlich der Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums.

Ich möchte zunächst betonen, daß diese deutsche Auffassung und diese deutschen Methoden der Mobilisierung der Hilfsquellen der besetzten Länder sich notwendigerweise auf die Arbeitskräfte ihrer Einwohner erstreckten.

Ich habe gestern erwähnt, daß sich die Deutschen von Anfang an die beiden Schlüsselstellungen der Produktion sicherten. Gerade damit hielten sie seitdem das Arbeitskapital und die Arbeitskraft unter ihrer Kontrolle. Tatsächlich hing es von ihren Entscheidungen ab, ob die Arbeitskräfte Arbeit fanden oder nicht, und ob Arbeitslosigkeit herrschte oder nicht. Dies erklärt, daß die Deutschen im allgemeinen erst nach Ablauf einer gewissen Zeit zu den besonders brutalen Maßnahmen, wie zur Verschleppung und Aushebung von Arbeitern, gegriffen haben.

Im Anfang, das heißt solange in den besetzten Gebieten noch Vorräte und Rohstoffe vorhanden waren, hatten die Deutschen eher ein Interesse daran, die Arbeitskräfte, wenigstens zum großen Teil, an Ort und Stelle einzusetzen. Diese Arbeitskraft gestattete ihnen, zu ihrem eigenen Vorteil aus dem Reichtum dieser Länder Endprodukte herzustellen, die sie sich aneigneten. Abgesehen von dem moralischen Vorteil der Aufrechterhaltung des äußeren Scheines, vermieden sie damit den anfänglichen Transport der Rohmaterialien. Erwägungen der Transportschwierigkeiten spielten in der deutschen Kriegswirtschaft immer eine sehr wichtige Rolle.

Als jedoch über kurz oder lang die besetzten Länder ihrer Rohmaterialien beraubt waren und tatsächlich dem Ruin gegenüberstanden, hatten die Deutschen keinerlei Interesse mehr daran, die Arbeitskräfte an Ort und Stelle arbeiten zu lassen. Dazu hätten sie in der Tat die Rohmaterialien selbst liefern und auf Grund dieser Tatsache einen zweifachen Transport sicherstellen müssen, das heißt den Transport der Rohmaterialien in der einen und den Rücktransport der Fertigprodukte in der anderen Richtung. Von diesem Zeitpunkt an war es vorteilhafter, die Arbeiter selbst zu exportieren. Diese Erwägung fiel außerdem mit den augenblicklichen, sich aus der wirtschaftlichen Lage Deutschlands ergebenden Notwendigkeiten und mit politischen Erwägungen zusammen.

[490] Hinsichtlich dieser Frage des Einsatzes der Arbeitskräfte möchte ich dem Gerichtshof einige Sätze aus einem Dokument verlesen, das ich als RF-4 vorlege. Es ist das Dokument, das im Dokumentenbuch auf dasjenige folgt, das ich soeben verlesen habe. Die im Dokumentenbuch enthaltene Notiz ist die Wiedergäbe einiger Sätze aus einem Artikel der »Pariser Zeitung« vom 17. Juli 1942.

Ich lege dem Gerichtshof gleichzeitig die beglaubigte Photokopie der Zeitung aus den Archiven der Nationalbibliothek vor. Dieser Artikel ist von Dr. Michel, der Kriegsverwaltungschef in Frankreich war, unterzeichnet. Die Überschrift lautet: »Zwei Jahre gelenkte Wirtschaft in Frankreich«. Es handelt sich also um einen deutschen Propagandaartikel, da er in einer deutschen Zeitung erschienen ist, die in Paris eine Seite in französischer Sprache herausgab. Ich möchte den Gerichtshof darauf hinweisen, daß wir natürlich den in diesem Artikel entwickelten Gedankengängen in keiner Weise beipflichten. Aber wir möchten gern einige Sätze von Dr. Michel festhalten, die bezeichnend sind für das Verfahren, von dem ich gerade gesprochen habe, und das darin bestand, die Arbeitskräfte erst an Ort und Stelle einzusetzen, solange Rohmaterial vorhanden war, und sie nachher nach Deutschland abzutransportieren:

»Um die Produktionskraft der französischen Industrie auszunützen, begann das Reich, seine Aufträge auf industrielles Kriegsmaterial nach Frankreich umzustellen. Eine einzige Zahl genügt, um den Erfolg dieser Verlagerung deutscher Aufträge zu zei gen; der Wert der Transaktionen bis zum heutigen Tag drückt sich in einer Zahl aus, die Hunderte von Millionen französischer Franken übersteigt. Neues Blut fließt in die Adern der französischen Wirtschaft, die bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeitet.«

Ich überspringe einige Sätze im Original als unwesentlich und verlese folgenden Satz:

»In dem Umfang, in dem die Decke an Rohmaterialien infolge der Kriegsdauer dünner wurde, fing man an, französische Arbeitskräfte, die verfügbar wurden, anzuwerben.«

Dr. Michel gebraucht hier eine elegante Redewendung, die die Wirklichkeit verschleiert, nämlich den Beginn der Arbeiterverschickungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rohmaterialien, die sich die Deutschen von Anfang an angeeignet hatten, anfingen, zu Ende zu gehen.

Die Schlußfolgerung, die ich aus meinen Ausführungen ziehen mochte, ist die, daß die Deutschen jederzeit die Arbeitskraft, das heißt die menschliche Arbeit, als einen Faktor angesehen haben, über den sie verfügen konnten. Diese Auffassung bestand lange vor der offiziellen Einführung der Arbeitsverpflichtung, die Ihnen in Kürze vorgetragen werden wird.

[491] Für die Deutschen hatte die Arbeit anderer immer zwangsweisen Charakter, der zu ihren Gunsten ausgewertet werden konnte, und dieser Zustand sollte aufrechterhalten bleiben, auch nach Beendigung des Krieges.

Diesen letzten Punkt möchte ich hervorheben; denn er zeigt, wie umfassend und durchgreifend die deutsche Auffassung und die deutschen Pläne waren. Zu diesem Thema mochte ich ein Dokument vorlegen, das in unserem Beweismaterial die Nummer 5 tragen wird. Das Dokument, das ich dem Gerichtshof unterbreite, ist eine Veröffentlichung in französischer Sprache, herausgegeben in Berlin im Jahre 1943 von Dr. Friedrich Didier mit dem Titel: »Arbeiten für Europa«; es wurde verlegt im Zentralverlag der NSDAP. Es beginnt mit einem Vorwort des Angeklagten Sauckel, dessen Faksimileunterschrift im Druck wiedergegeben ist.

Ich zitiere einen diesem Buch entnommenen Absatz, der sich auf der letzten Seite meines Dokumentenbuchs befindet. Es handelt sich hierbei also um unsere Nummer RF-5, und der entsprechende Absatz befindet sich auf Seite 23 des Buches:

»Ein großer Prozentsatz der Fremdarbeiter wird auch nach dem Siege noch in unseren Gauen bleiben, um dann, auf aufbauende Arbeiten umgeschult, zu vollenden, was der Krieg fertigzustellen verhinderte, und in die Wirklichkeit umzusetzen, was bisher im Stadium der Planung steckengeblieben war.«

Trotzdem es sich hierbei um eine Propagandaschrift handelte, die mit großer Sorgfalt und mit der Absicht, überzeugend zu wirken, geschrieben war, finden wir darin wesentliche Eingeständnisse der Deutschen, die sich zur Sicherung der Größe Deutschlands die Arbeitskraft anderer Länder selbst nach dem Kriege zu eigen machen wollten, ohne Abgrenzung wofür und für wie lange. Es handelt sich also ganz klar um eine Politik dauernder Ausbeutung.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs beendige ich hiermit meine einleitenden Ausführungen. Herr Herzog wird die auf die Zwangsarbeit bezüglichen Dokumente vortragen.

M. JACQUES B. HERZOG, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Vorsitzender, Hoher Gerichtshof!

Die nationalsozialistische Lehre hat bei der Vorrangstellung, die sie dem Begriff des Staates einräumt, und bei der Mißachtung, die sie dem einzelnen sowie den Rechten, der Einzelperson entgegenbringt, eine Auffassung von der Arbeit, die sich mit ihren allgemeinen weltanschaulichen Grundsätzen deckt.

Arbeit ist für sie nicht die Ausdrucksform der individuellen Persönlichkeit, sondern eine Verpflichtung, die die Gemeinschaft ihren Mitgliedern auferlegt.

[492] Das Arbeitsverhältnis ist nach nationalsozialistischer Lehre – so sagt ein deutscher Schriftsteller – nicht ein einfaches rechtliches Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber; es ist eine lebendige Erscheinung, in der der Arbeitnehmer ein Rad in der Maschine der nationalsozialistischen Gesamtwirtschaft wird. Die Idee einer Arbeitspflicht gehört deshalb für den Nationalsozialismus notwendigerweise zur Idee der Arbeit als solcher.

Die Arbeitspflicht wurde zuerst den Angehörigen der deutschen Volksgemeinschaft auferlegt. Der deutsche Arbeitsdienst wurde auf Grund des Gesetzes vom 26. Juni 1935 eingeführt. Dieses Gesetz wurde von Hitler und dem Angeklagten Frick als Innenminister unterzeichnet.

Das Gesetz ist im Reichsgesetzblatt, Teil I, Seite 769, erschienen. Ich lege es dem Gerichtshof unter Nummer RF-6 vor.

Dem Arbeitsdienst folgte von 1939 an eine Mobilisierung der Arbeiter. Dahingehende Erlasse wurden vom Angeklagten Göring in seiner Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan herausgegeben. Ich werde auf diesen Punkt nicht näher eingehen. Er geht aus der von den Angeklagten zur Begehung ihrer Verbrechen gegen den Frieden angezettelten Verschwörung hervor, die meine amerikanischen Kollegen bereits dem Gerichtshof vorgetragen haben.

Ich beschränke mich auf den Hinweis, daß die Mobilisierung der Arbeiter sich auch auf Nichtdeutsche erstreckte, die auf deutschem Gebiet ansässig waren; denn ich finde in dieser Tatsache den Beweis dafür, daß der Grundsatz der Zwangseinziehung von Fremdarbeitern bereits vor dem Kriege bestanden hat. Die Zwangseinziehung ist keineswegs das unwillkürliche Ergebnis der Erfordernisse der deutschen Kriegsindustrie, sondern der Ausdruck einer vorbedachten und vorher abgestimmten Politik. Ich übergebe dem Gerichtshof ein Dokument, das diese Tatsache beweist. Es handelt sich um Dokument 382 der französischen Dokumentensammlung, das ich als RF-7 vorlege. Es handelt sich um ein Schreiben des Oberkommandos der Wehrmacht, datiert vom 1. Oktober 1938. Dieses Schreiben, abgefaßt im Hinblick auf die kommende Invasion der Tschechoslowakei, enthält eine Zusammenstellung möglicher Völkerrechtsverletzungen. Bei jeder Verletzung steht eine Begründung, die das Oberkommando der Wehrmacht dafür geben zu können glaubt. Das Dokument ist in Form einer Tabelle mit vier Spalten angefertigt. In der ersten Spalte sind Verletzungen des internationalen Rechtes aufgeführt; die zweite gibt ein konkretes Beispiel; die dritte enthält die völkerrechtliche Beurteilung einerseits und andererseits eine Begründung, die man dafür anführen kann; die vierte Spalte steht für eine Erklärung des Propagandaministeriums offen.

[493] Ich verlese die Stelle, die sich auf die Zwangsarbeit für Zivilbevölkerung und Kriegsgefangene bezieht. Sie steht auf Seite 6 des deutschen Originals, Seite 7 der französischen Übersetzung:

»6. Heranziehung der Gefangenen und der Bevölkerung zu Kriegsdienstleistungen (Straßenbau, Schanzarbeiten, Munitionsanfertigung, Verwendung im Verkehrswesen usw.).«

Zweite Spalte:

»Gefangene tschechische Soldaten oder tschechische Zivilbevölkerung werden zu Straßenarbeiten oder zu Verladung von Munition usw. kommandiert.«

Dritte Spalte:

»Art. 31 des am 27. 7. 29 geschlossenen Abkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen verbietet die Heranziehung von Kriegsgefangenen zu Arbeiten, die mit den Kriegsmaßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Der Zwang zu solchen Arbeiten ist jedenfalls völkerrechtswidrig. Die Verwendung von Kriegsgefangenen und auch von Zivilisten im Straßenbau ist erlaubt, zur Munitionsanfertigung verboten.«

Ich lese die letzte Spalte:

»Die Anwendung solcher Maßnahmen kann mit der Kriegsnotwendigkeit begründet werden, oder man behauptet, daß der Gegner das gleiche Verfahren zuerst angewendet hat.«

Die Zwangsrekrutierung ausländischer Arbeiter ist daher nach nationalsozialistischer Auffassung ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Beherrschungs politik. Hitler selbst hat dies mehrfach bestätigt. Ich zitiere in diesem Zusammenhang seine Rede vom 9. November 1941, die im »Völkischen Beobachter« vom 10. November 1941, Nummer 314, Seite 4, wiedergegeben ist. Ich lege sie dem Gerichtshof unter Nummer RF-8 vor. Ich verlese einen Auszug aus dieser Rede, und zwar die über die beiden ersten Spalten laufende fettgedruckte Überschrift und den ersten im deutschen Text nachfolgenden Absatz:

»Das Gebiet, das heute direkt für uns arbeitet, umfaßt weit mehr als 250 Millionen Menschen; das Gebiet, das in Europa indirekt für diesen Kampf arbeitet, umfaßt schon jetzt über 350 Millionen.

Soweit es sich nun um das deutsche Gebiet handelt, das Gebiet, das wir besetzt haben, das Gebiet, das wir jetzt in unsere Verwaltung genommen haben, so soll man nicht daran zweifeln, daß wir es fertig bringen, es in die Arbeit restlos einzuspannen.«

So wird die Verpflichtung ausländischer Arbeiter also systematisch durchgeführt. Sie besteht in der Verwirklichung der politischen [494] Grundsätze, die in den von Deutschland besetzten Gebieten angewandt wurden. Diese Grundsätze, deren konkrete Entwicklung auf anderen Gebieten der deutschen verbrecherischen Tätigkeit Ihnen meine Kollegen zeigen werden, sind im wesentlichen zweifacher Natur: Ausnützung aller produktiven Kräfte der besetzten oder in Verwaltung genommenen Gebiete und Vernichtung aller unproduktiven Kräfte.

Dem entsprechen auch die zwei Begründungen, die die Angeklagten für die Verpflichtung von Fremdarbeitern gegeben haben. Die Dokumente geben reichliches Material dafür; ich werde nur die wichtigsten erwähnen.

Die Rechtfertigung für die Verpflichtung von Fremdarbeitern durch die Notwendigkeit, die unterworfenen Völker bei den deutschen Kriegsanstrengungen mitarbeiten zu lassen, ergibt sich in erster Linie aus der Vorbemerkung zu dem Erlaß vom 21. März 1942, der die Ernennung des Angeklagten Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz verfügte. Dieser Erlaß steht im Reichsgesetzblatt 1942, Teil I, Seite 179. Ich lege ihn als Dokument RF-9 vor und gestatte mir, ihn dem Gerichtshof vollständig zu verlesen:

»Erlaß des Führers über einen Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 21. März 1942.

Die Sicherstellung der für die gesamte Kriegswirtschaft, besonders für die Rüstung erforderlichen Arbeitskräfte bedingt eine einheitlich ausgerichtete, den Erfordernissen der Kriegswirtschaft entsprechende Steuerung des Einsatzes sämtlicher verfügbaren Arbeitskräfte einschließlich der angeworbenen Ausländer und der Kriegsgefangenen sowie die Mobilisierung aller noch unausgenützten Arbeitskräfte im Großdeutschen Reich einschließlich des Protektorats sowie im Generalgouvernement und in den besetzten Gebieten.

Diese Aufgabe wird Reichsstatthalter und Gauleiter Fritz Sauckel als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz im Rahmen des Vierjahresplanes durchführen. In dieser Eigenschaft untersteht er dem Beauftragten für den Vierjahresplan unmittelbar.«

Ich unterbreche hier mein Zitat, um darauf hinzuweisen, daß der Angeklagte Sauckel dasselbe Thema auf der Reichs- und Gauleitertagung am 5. und 6. Februar 1943 in Posen vorgetragen hat. Seine Ausdrucksweise ließ keine Zweifel aufkommen. Er rechtfertigte die Zwangsrekrutierung mit der nationalsozialistischen Weltanschauung sowie mit der Notwendigkeit, alle Völker Europas in den Kampf Deutschlands mit einzubeziehen. Seine Rede ist unser Dokument 1739-PS. Ich lege es als RF-10 vor und ersuche den Gerichtshof, die folgenden Seiten als Beweismaterial gegen den [495] Angeklagten Sauckel anzunehmen; in erster Linie Seite 5 des deutschen Textes, Absatz 4; die Stelle steht auf der ersten Seite der französischen Übersetzung:

»... weil die unerhörte Härte des Krieges mich dazu zwingt, im Namen des Führers viele Millionen fremder Menschen für den Arbeitseinsatz in der gesamten deutschen Kriegswirtschaft zu mobilisieren und sie zur höchsten Leistung anzuhalten.

Das Ziel dieses Einsatzes ist die arbeitsmäßige Sicherstellung der Kriegsmittel für den Kampf zur Erhaltung des Lebens, der Freiheit – zwar in erster Linie unseres eigenen Volkes, aber auch ebenso für die Erhaltung unserer gesamten abendländischen Kultur – aller jener Völker, die im Gegensatz zu den parasitären, jüdisch-plutokratischen Ausbeutern, ihr Leben durch eigene Arbeit und Leistung zu gestalten und fortzuentwickeln, den ehrlichen Willen und die Kraft besitzen.

Dies ist der weltweite Unterschied zwischen jener Arbeitsleistung, die seinerzeit durch den Versailler Vertrag, durch den Dawes- oder Youngplan in Form der Versklavung und Tributleistung für die Weltmacht und die Herrschaft des Judentums gefordert wurde, und dem Arbeitseinsatz, den ich als Nationalsozialist zum Zwecke eines Beitrags zum Freiheitskampf der deutschen und verbündeten Nationen vorzubereiten und durchzuführen die Ehre habe.«

Ich beendige hier mein Zitat.

Die Zwangswerbung von Fremdarbeitern hatte nicht nur den Zweck, den Stand der deutschen Industrie aufrechtzuerhalten, sondern man muß in ihr auch die bewußte Absieht erkennen, das menschliche Potential der besetzten Gebiete zu schwächen.

Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit war sowohl den Theoretikern des Nationalsozialismus als auch den deutschen Führern durchaus geläufig. Er war eine der Grundlagen der Beherrschungspolitik in den besetzten Gebieten. Ich überreiche dem Gerichtshof Beweise dafür, daß die nationalsozialistischen Verschwörer beabsichtigt hatten, ganze völkische Gruppen durch Arbeit auszumerzen. Eine Besprechung vom 14. September 1942 zwischen Goebbels und Thierack ist hierfür bezeichnend. Sie wird dem Gerichtshof als Dokument 682-PS, RF-11, vorgelegt; ich möchte daraus folgendes verlesen:

»Hinsichtlich der Vernichtung asozialen Lebens steht Dr. Goebbels auf dem Standpunkt, daß Juden und Zigeuner schlechthin, Polen, die etwa 3 bis 4 Jahre Zuchthaus zu verbüßen hätten, Tschechen und Deutsche, die zum Tode oder [496] lebenslänglichem Zuchthaus oder Sicherungsverwahrung verurteilt wären, vernichtet werden sollen. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste.«

Die Idee der Vernichtung durch Arbeit wurde nicht nur gegen völkische Gruppen angewandt, deren Verschwinden die Angeklagten sicherstellen wollten, sondern führte gleichzeitig zur Ausnutzung der Arbeitskraft von Fremdarbeitern in der deutschen Kriegsindustrie bis zur äußersten Grenze der individuellen Leistungsfähigkeit. Ich werde auf diesen Teil der Politik der Zwangsarbeit zurückkommen, wenn ich dem Gerichtshof die Behandlung der Fremdarbeiter in Deutschland darlegen werde. Die Grausamkeiten, denen sie ausgesetzt waren, erwuchsen aus der Grundidee des Nationalsozialismus, nämlich daß die menschlichen Kräfte der besetzten Länder auszunützen seien, ohne andere Beschränkungen als die ihrer Vernichtung, die das Endziel war.

Die Angeklagten haben nicht nur den Grundsatz der Zwangsrekrutierung von Fremdarbeitern zugegeben, sondern haben eine planmäßige Politik zur Verwirklichung dieses Grundsatzes betrieben und haben ihn in den verschiedenen besetzten Gebieten zur gleichen praktischen Ausführung gebracht. Um dies zu erreichen, benützten sie stets dieselben Anwerbemethoden. Sie bauten überall die gleichen Organisationen und Werbebüros auf und betrauten sie mit den gleichen Aufgaben.

Zuerst handelte es sich immer darum, Fremdarbeiter zu veranlassen, in ihrem eigenen Land für die Besatzungsarmee oder für von ihr abhängige Dienststellen zu arbeiten. Deutsche Militär- und Zivilbehörden richteten überall Werkstätten ein, um an Ort und Stelle Arbeiten vornehmen zu lassen, die ihren Kriegszielen dienten. Die Arbeitsstellen der Organisation Todt, die nach dem Tode des Begründers dem Angeklagten Speer unterstanden, sowie die der Wehrmacht, der Luftwaffe, der Kriegsmarine und des NSKK beschäftigten zahlreiche Fremdarbeiter in allen Gebieten Westeuropas.

Aber das wichtigste Unternehmen der Dienststellen des deutschen Arbeitseinsatzes war die Deportierung von Fremdarbeitern in die Rüstungswerke des Reiches. Die verschiedensten Methoden wurden zu diesem Zweck angewandt. Zusammengefaßt ergeben sie eine Rekrutierungspolitik, die sich vielleicht wie folgt analysieren läßt:

Zu Anfang wurde diese Politik mit einem Mantel der Rechtmäßigkeit umgeben. Der Einsatz von Arbeitskräften geschah auf dem Wege der Anforderung gemäß Artikel 52 des Zusatzes zum vierten Haager Abkommen; sie geschah weiterhin auf dem Wege freiwilliger Einstellung von Arbeitern durch deutsche Arbeitsbüros, die Arbeitsverträge anboten.

[497] Ich überreiche dem Gerichtshof den Beweis, daß die von den nationalsozialistischen Behörden getätigte Anforderung von Arbeitskräften vorsätzlich gegen den Buchstaben und den Geist des internationalen Abkommens verstieß, auf das sie sich stützte. Ich werde beweisen, daß der sogenannte freiwillige Charakter der Anwerbung gewisser Fremdarbeiter eine reine Fiktion war, und daß ihre Arbeitskontrakte tatsächlich nur unter dem Druck abgeschlossen wurden, den die Besatzungsbehörden auf ihre Willensbestimmung ausübten.

Übrigens dauerte es nicht lange, bis die Angeklagten die Maske der Rechtmäßigkeit fallen ließen. Sie zwangen Kriegsgefangene zu Arbeiten, die nach den internationalen Abkommen verboten sind. Ich werde beweisen, wie man die Arbeit der Kriegsgefangenen in einen allgemeinen Plan zur Ausnützung der Arbeitskraft der besetzten Gebiete eingliederte.

Schließlich war es Gewalt, mit der die Angeklagten ihren Plan der Arbeitererfassung verwirklichten. Sie zögerten nicht, von gewaltsamen Methoden Gebrauch zu machen. Sie richteten in den von ihnen besetzten Ländern eine Arbeitsdienstpflicht ein. Teils erließen sie direkte Anordnungen, gezeichnet von den Militärbefehlshabern oder Reichskommissaren; dies geschah im Falle von Belgien und Holland. Teils zwangen sie die amtierenden Behörden, selbst Anordnungen zu erlassen; dies war insbesondere in Frankreich und Norwegen der Fall. Und teils gingen sie einfach so vor, das heißt sie transportierten Fremdarbeiter in deutsche Fabriken, ohne erst eine gesetzliche Regelung zu treffen, die eine derartige Möglichkeit vorsah; dies war in Norwegen der Fall. Schließlich ließen sie in gewissen besetzten Gebieten, deren Germanisierung die Angeklagten beabsichtigten, die Bewohner dieser Gebiete zum deutschen Arbeitsdienst einberufen. Es geschah dies in den französischen Departements Haut-Rhin, Moselle und Luxemburg.

Die Politik der Zwangsarbeit wurde von dem Tage an bestätigt und systematisch betrieben, an dem der Angeklagte Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt wurde.

Der Angeklagte Sauckel war Mitglied der Nationalsozialistischen Partei seit ihrer Gründung, Mitglied des Landtags von Thüringen, Reichstagsmitglied, Obergruppenführer der verbrecherischen Organisationen der SS und SA und außerdem Gauleiter und Reichsstatthalter von Thüringen. Am 21. März 1942 wurde er durch einen Führererlaß zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt. Der Erlaß war gegengezeichnet von Lammers in seiner Eigenschaft als Reichsminister und Chef der Reichskanzlei und vom Angeklagten Keitel. Die Verantwortung dieser beiden beruht auf ihrer Gegenzeichnung. Der Angeklagte Keitel beteiligte sich durch [498] die Ernennung Sauckels an dem politischen Programm der Zwangsarbeit, dessen Grundsätzen und Methoden er zustimmte.

Ich habe dem Gerichtshof diesen Ernennungserlaß bereits verlesen. Ich erinnere daran, daß dieser Erlaß Sauckel in seiner Eigenschaft als Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz direkt dem Beauftragten für den Vierjahresplan, dem Angeklagten Göring, unterstellte. Letzterer trägt eine direkte Verantwortung an der Ausführung des Planes der Rekrutierung von Zwangsarbeitern. Ich bin in der Lage, hierfür vielfache Beweise zu unterbreiten. Ich bitte den Gerichtshof, mir zu gestatten, als ersten Beweis eine Anordnung des Angeklagten Göring vorzulegen, die von diesem am Tage nach der Ernennung Sauckels unterschrieben wurde. Diese Anordnung ist datiert vom 27. März 1942 und im Reichsgesetzblatt 1942, Teil I, Seite 180, veröffentlicht. Ich lege sie dem Gerichtshof als RF-12 vor. Göring löst auf Grund dieses Erlasses alle Organisationen des Vierjahresplanes auf, die sich mit der Beschaffung von Arbeitskräften befassen, und überträgt ihre Machtbefugnisse der Dienststelle Sauckels, dessen Ernennung er hierdurch bestätigt.

Die Machtbefugnisse Sauckels wurden von 1942 bis 1944 durch Anordnungen Hitlers und Görings bedeutend ausgeweitet.

Diese Anordnungen geben seinem Titel als Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz volle Bedeutung. Sie sicherten ihm verwaltungsmäßige Unabhängigkeit und selbständige rechtliche Befugnisse, von denen er nicht behaupten kann, daß sie sich im Rahmen von Ausführungsaufgaben gehalten hätten. Die Wichtigkeit seiner politischen Rolle, die er während der beiden letzten Jahre des Krieges spielte, erhöhen die auf ihm lastende Verantwortung.

Ich verweise den Gerichtshof vor allem auf den Führererlaß vom 30. September 1942, vom 4. März 1943 und den Erlaß des Angeklagten Göring vom 25. Mai 1942.

Ich werde dem Gerichtshof diese Erlasse nicht verlesen, da diese bereits von meinem amerikanischen Kollegen, Herrn Dodd, vorgetragen wurden. Ich unterbreite sie lediglich zur Unterstützung meiner Beweisführung.

Ich erwähne zunächst die Verordnung des Angeklagten Göring vom 25. Mai 1942, veröffentlicht im Reichsgesetzblatt 1942, Teil I, Seite 347. Sie überträgt Sauckel hinsichtlich des Arbeitseinsatzes einen Teil der Machtbefugnisse, die dem Arbeitsministerium zustanden. Ich lege sie dem Gerichtshof als RF-13 vor.

Der von Hitler herausgegebene Erlaß vom 30. September 1942 gab Sauckel bedeutende Machtbefugnisse über Zivil- und Militärbehörden in den von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten. [499] Er ermächtigte den Angeklagten, in alle Stäbe der Besatzungsbehörden persönliche Beauftragte zu entsenden, die ihre Befehle direkt von ihm erhielten. Dieser Erlaß war gleichfalls von Lammers und dem Angeklagten Keitel gegengezeichnet und ist in der Sammlung »Verfügungen, Anordnungen und Bekanntgaben«, Seite 510, erschienen. Ich lege ihn als RF-14 vor.

Auf Grund dieses Erlasses wurden die Beauftragten der Sauckelschen- Dienststelle den Stäben der Militärbefehlshaber beigegeben. Dies beweist das Verhör des Generals von Falkenhausen, Militärbefehlshabers von Belgien und Nordfrankreich, und ich bitte den Gerichtshof, davon Kenntnis nehmen zu wollen. General von Falkenhausen wurde am 27. November 1945 vom Leitenden Untersuchungsrichter der Französischen Delegation vernommen. Ich lege dem Gerichtshof seine Zeugenaussage als RF-15 vor und verlese von Seite 2, Absatz 5 der deutschen Übersetzung, folgenden Auszug:

»Frage: Ist der Zeuge in der Lage, uns die Abgrenzungen zwischen seinen Machtbefugnissen und dem Aufgabengebiet des Arbeitseinsatzes anzugeben?

Antwort: Bis zu einem gewissen Zeitpunkt gab es in meinem Bereiche ein Arbeitsamt, das sich mit der Werbung freiwilliger Arbeiter befaßte.

Ich kann mich nicht mehr an den genauen Zeitpunkt erinnern, es mag im Herbst 1942 gewesen sein, als dieses Arbeitsamt Sauckel unterstellt wurde, und von nun an hatte ich lediglich die über seinen Dienstweg erteilten Befehle auszuführen.

Ich kann mich nicht mehr entsinnen, aber Reeder, der sich auch in Haft befindet,« – Reeder war Zivilbeamter im Stabe des Generals von Falkenhausen – »weiß genau über die Daten Bescheid und wird sie Ihnen zweifellos besser angeben können als ich.

Frage: Gab es, ehe die gesamte Arbeitsfrage von der Organisation Sauckel übernommen wurde, beim Militärbefehlshaber oder bei dessen Dienststelle einen Offizier, der mit dieser Frage beauftragt war? Und gab es später einen Beauftragten Sauckels in dieser Abteilung?

Antwort: Bis zur Ankunft Sauckels war Reeder bei mir, und dieser leitete das Arbeitsamt meiner Dienststelle.

Dieses Arbeitsamt arbeitete wie die Arbeitsvermittlungsstellen in Deutschland, das heißt es beschäftigte sich nur mit freiwilligen Arbeitsanträgen.

Frage: Was ist dann geschehen als die Veränderung eintrat?

[500] Antwort: Seit der Änderung blieb diese Dienststelle weiter bestehen, aber die Befehle wurden unmittelbar von Sauckel an den Arbeitseinsatz gegeben, und zwar durch meine Vermittlung.«


VORSITZENDER: Wollen Sie, daß wir die Verhandlung jetzt für zehn Minuten unterbrechen? Vor der Verhandlungspause möchte ich noch ankündigen, daß morgen eine Gerichtssitzung stattfinden wird, also Samstag bis 1.00 Uhr.


[Pause von 10 Minuten.]


M. HERZOG: Soeben habe ich dem Gerichtshof den gesetzlichen Rahmen in Erinnerung gebracht, innerhalb dessen der Angeklagte Sauckel seine Funktionen ausübte. Dieser Rahmen wurde ausgebaut durch die eigenen Erlasse des Angeklagten. Ein erstes Dokument beweist, daß Sauckel bewußt die Verantwortung für die allgemeine Politik der Anwerbung von Fremd arbeitern übernommen hat. Es handelt sich hierbei um seine Anordnung vom 22. August 1942, erschienen im Reichsarbeitsblatt 1942, Teil I, Seite 382. Diese Anordnung stellt den Grundsatz der Zwangsrekrutierung auf und trifft die notwendigen Maßnahmen, um das gesamte menschliche Potential der besetzten Gebiete in den Dienst der deutschen Kriegswirtschaft zu stellen. Sauckel zwingt die Bewohner der überfallenen Staaten, am Kampf Deutschlands gegen ihr Vaterland teilzunehmen. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine Verletzung des internationalen Rechtes, sondern um ein Verbrechen gegen das Völkerrecht. Ich lege diese Anordnung dem Gerichtshof als RF-17 vor und verlese:

»Anordnung Nr. 10 des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz über den Einsatz von Arbeitskräften der besetzten Gebiete vom 22. August 1942.

Um die Arbeitskräfte der besetzten Gebiete bei der Neuordnung des Arbeitseinsatzes im europäischen Raum zu mobilisieren, müssen auch diese Kräfte einer straffen und einheitlichen Lenkung unterworfen werden. Sowohl die zweckmäßige und sinnvolle Verteilung dieser Kräfte zur Befriedigung des Kräftebedarfs des Reiches und der besetzten Gebiete, wie ihre höchstmögliche Arbeitsleistung muß sichergestellt werden. Auf Grund der mir erteilten Vollmachten ordne ich deshalb an:

1. Nach dem Erlaß des Führers über den Gene ralbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 21. März 1942 und der Anordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan zur Durchführung dieses Erlasses vom 27. März 1942 obliegen mir auch der zweckmäßige Einsatz der Arbeitskräfte der [501] besetzten Gebiete sowie alle Maßnahmen zur Leistungssteigerung des Einsatzes dieser Kräfte. Die für die Aufgaben des Arbeitseinsatzes und der Lohnpolitik zuständigen Dienststellen oder meine Beauftragten führen diesen Einsatz und alle Maßnahmen zur Leistungssteigerung nach meinen Weisungen durch.

2. Diese Anordnung erstreckt sich auf alle während dieses Krieges von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiete, soweit sie unter deutscher Verwaltung stehen.

3. Die verfügbaren Arbeitskräfte der besetzten Gebiete sind in erster Linie zur Befriedigung des kriegswichtigen Bedarfs in Deutschland selbst einzusetzen.

In den besetzten Gebieten sind sie nach folgender Rangordnung einzusetzen:

a) für notwendige Aufgaben der Truppe, der Besatzungsdienststellen und der zivilen Dienststellen,

b) für deutsche Rüstungsaufgaben,

c) für Aufgaben der Ernährungs- und Landwirtschaft,

d) für gewerbliche im deutschen Interesse liegende Aufgaben außerhalb der Rüstungswirtschaft,«...

VORSITZENDER: Sie lesen etwas zu schnell.

M. HERZOG:

»e) für gewerbliche Aufgaben im Interesse der Bevölkerung des betreffenden Gebietes.«

Hiermit beende ich das Zitat.

Ein zweites Dokument zeigt die Bereitwilligkeit des Angeklagten Saukel, die Verantwortung für die Betreuung der Fremdarbeiter zu übernehmen. Es handelt sich hierbei um eine Vereinbarung vom 2. Juni 1943 mit dem Leiter der Arbeitsfront. Ich lese dem Gerichtshof dieses Dokument nicht vor, da es bereits von Herrn Dodd behandelt worden ist. Ich weise darauf hin, daß diese Vereinbarung im Reichsarbeitsblatt 1943, Teil I, Seite 588, veröffentlicht wurde, und lege sie im Rahmen meiner Beweisführung als RF-18 vor.

Auf Grund des von Hitler und dem Angeklagten Keitel und Göring erteilten Auftrags, unter Aufsicht des letzteren die Politik der Zwangsarbeitsrekrutierung zu verwirklichen, hat der Angeklagte Sauckel seine Aufgabe in vollem Bewußtsein der übernommenen Verantwortung durchgeführt. Ich bitte den Gerichtshof, diese Tatsache zu beachten.

Ich möchte gleichzeitig darauf aufmerksam machen, daß die Politik der Anwerbung von Fremdarbeitern in gleicher Weise unter die Verantwortung aller deutschen Minister fällt, denen die Wirtschaft und das soziale Leben im Reich unterstanden. Eine intermini sterielle oder mindestens zwischenbehördliche Organisation, die [502] Zentrale Planung des Vierjahresplans, hatte die Ausarbeitung des Programms der Anwerbung von Fremdarbeitern übernommen.

Alle am Problem des Arbeitseinsatzes interessierten Dienststellen waren bei den Sitzungen der Zentralen Planung vertreten. General Milch hatte bei den Sitzungen im Namen des Angeklagten Göring den Vorsitz. Der Angeklagte Sauckel und der Angeklagte Speer waren persönlich anwesend, und ich lege dem Gerichtshof bestimmte Erklärungen vor, die sie dort abgegeben haben. Der Angeklagte Funk hat ebenfalls an diesen Sitzungen teilgenommen. Den Plan zur Verschleppung von Arbeitern hat er daher gekannt und gebilligt. Er hat sogar an seiner Ausführung mitgearbeitet. Als Beweismaterial unterbreite ich drei Dokumente, die den Angeklagten Funk belasten.

Das erste Dokument ist ein Brief vom 9. Februar 1944, in welchem Funk aufgefordert wird, einer Sitzung der Zentralen Planung beizuwohnen. Es ist Dokument F-674; ich unterbreite es dem Gerichtshof als Beweisstück RF-19 und verlese:

»Im Auftrag der Zentralen Planung lade ich zu einer Sitzung über die Arbeitseinsatzfrage am Mittwoch, den 16. Februar 1944, 10.00 Uhr im Staatssekretär-Sitzungssaal des Reichsluftfahrtministeriums, Berlin, Leipziger Straße, ein.

Als Anlage übermittle ich einige statistische Zusammenstellungen über die Entwicklung des Arbeitseinsatzes, die als Unterlage für die Sitzung dienen sollen.«

Es war Funk nicht möglich, persönlich an der Sitzung teilzunehmen, jedoch ließ er sich von Unterstaatssekretär Hayler vertreten. Er erhielt ein Protokoll der Sitzung vom 7. März 1944; er schrieb an General Milch, um seine häufige Abwesenheit bei den Sitzungen der Zentralen Planung zu entschuldigen. Ich unterbreite dem Gerichtshof diese Dokumente. Es handelt sich um Dokument F-675, unsere Nummer RF-20; es ist ein Protokoll der 53. Sitzung der Zentralen Planung. Der Gerichtshof kann sich auf Seite 2 der französischen Übersetzung davon überzeugen, daß Minister Funk ein Protokoll dieser Sitzung erhalten hat. Sie finden es auf der zweiten Zeile des Verteilers: Reichsminister Speer, auf der zweiten Zeile Reichsminister Funk.

Ich lege nunmehr als RF-21 ein Schreiben vor, in dem sich Funk beim Feldmarschall Milch entschuldigte, daß er an den Sitzungen nicht habe teilnehmen können.

»Sehr verehrter lieber Herr Feldmarschall!

Es ist geradezu wie verhext, daß die Sitzungen der Zentralen Planung in der letzten Zeit stets auf einen Termin gelegt werden, an dem ich schon durch anderweitige wichtige [503] Veranstaltungen festgelegt bin. So kann ich zu meinem Bedauern auch am Sonnabend nicht an der Sitzung der Zentralen Planung teilnehmen, da ich an diesem Tage in Wien auf einer großen Kundgebung zur Wiederkehr des Tages des Anschlusses sprechen muß. Auch Staatssekretär Dr. Hayler ist am Freitag und Sonnabend in Wien, wo gleichzeitig eine wichtige südosteuropäische Tagung mit Besprechungen mit ausländischen Delegierten stattfindet, auf der ich ebenfalls sprechen muß. Unter diesen Umständen bitte ich Sie als meinen Vertreter in der Sitzung der Zentralen Planung Herrn Ministerialdirektor und Generalmajor der Polizei, SS-Brigadeführer Ohlendorf, den ständigen Vertreter von Staatssekretär...«


VORSITZENDER: Enthält dieses Dokument nur die Angabe, daß der Angeklagte Funk nicht in der Lage war, an der Sitzung teilzunehmen?

M. HERZOG: Dieses Dokument, Herr Vorsitzender, wurde mir von meinen amerikanischen Kollegen überreicht mit der Bitte, mich seiner in der Frage der Arbeitsverpflichtung zu bedienen, da es ihnen wegen Zeitmangels nicht möglich war, bei der Anklage gegen Funk davon Gebrauch zu machen. Wir unterbreiten es dem Gerichtshof zum Beweis dafür, daß Funk die Sitzungen der Zentralen Planung verfolgte, und daß er dort ständige Vertreter hatte. Er ließ sich bei sämtlichen Sitzungen vertreten und wurde durch die Protokolle, die er über die Arbeit der Zentralen Planung erhielt, auf dem laufenden gehalten. Aus diesem Grunde legen wir dem Gerichtshof dieses, den Angeklagten Funk betreffende Dokument, vor. Ich fahre mit der Verlesung fort:

»Unter diesen Umständen bitte ich Sie als meinen Vertreter in der Sitzung der Zentralen Planung Herrn Ministerialdirektor und Generalmajor der Polizei, SS-Brigadeführer Ohlendorf, den ständigen Vertreter von Staatssekretär Dr. Hayler, teilnehmen zu lassen. Herr Ohlendorf wird für die Fragen der Konsumgüterwirtschaft Herrn Ministerialdirigenten Dr. Kölfen und für die Fragen des Außenhandels Ministerialrat Dr. Janke als Sachbearbeiter mitbringen.«

Die Politik der Zentralen Planung, die vom Angeklagten Sauckel verfolgt wurde, lief auf eine Massenverschleppung von Arbeitern hinaus. Das Prinzip dieser Verschleppung ist an sich schon verbrecherisch, aber die Art der Ausführung war noch weit verbrecherischer. Ich werde dies dem Gerichtshof beweisen, indem ich nacheinander die Methoden der zwangsweisen Aushebung, ihre Ergebnisse und die Umstände der Verschleppungen darlege.

Ich möchte zunächst den Mitgliedern der Französischen Delegation und der Alliierten Delegationen meinen Dank aussprechen für die Hilfe, die sie mir bei der Vorbereitung meiner Arbeit haben zuteil [504] werden lassen und insbesondere meinem Kollegen, Herrn Pierre Portal, Advokat am Gericht von Lyon.

Die Ausführungen, die ich die Ehre habe, dem Gerichtshof zu machen, werden sich auf die zwangsweise Aushebung von Fremdarbeitern in den besetzten Gebieten Westeuropas beschränken, da die Deportierung der aus den osteuropäischen Staaten stammenden Arbeiter in den Ausführungen meiner Sowjetkollegen behandelt wird.

Während der Gesamtdauer der Besatzungszeit haben örtliche Feldkommandanten von der Bevölkerung der besetzten Gebiete Arbeitskräfte angefordert. Die Befestigungsarbeiten, die beim Fortschreiten der militärischen Operationen als erforderlich angesehen wurden, sowie der Wachdienst, der der Notwendigkeit der Sicherung der Besatzungsarmee entsprang, wurden durch die Einwohner der besetzten Gebiete ausgeführt. Die Anforderung von Arbeitskräften traf nicht nur Einzelpersonen, sondern auch ganze Bevölkerungsgruppen.

In Frankreich zum Beispiel erstreckte sie sich nacheinander auf die Verbände indochinesischer, nordafrikanischer sowie ausländischer Arbeiter und auf die Jugendbetriebe. Als Beweisstück lege ich einen Auszug des Berichts über Zwangsarbeit und Arbeiterverschickungen vor, der vom Statistischen Amt der Französischen Regierung verfaßt worden ist. Dieser Bericht trägt die Nummer F-515. Ich lege ihn dem Gerichtshof als RF-22 vor. Es handelt sich um eine Urkunde, die wegen ihrer Bedeutung vom Dokumentenbuch abgetrennt wurde. Ich zitiere zunächst Seite 17 des französischen Textes, gleichfalls Seite 17 der deutschen Übersetzung, zweitletzter Absatz.

VORSITZENDER: Welches Dokument?

M. HERZOG: Es ist Dokument RF-22, Seite 17, Herr Vorsitzender.

»6) Der Einsatz zur Zwangsarbeit von zusammengestellten Gruppen.

Endlich war die letzte von den Deutschen mehrmals während der Dauer der Besetzung, sowohl für die direkte als auch für die indirekte Zwangsarbeit angewandte Methode die ›Requisition‹ zusammengestellter Gruppen, die schon eingeübt und diszipliniert waren und folglich ausgezeichnete Ergebnisse erzielten.

a) Die indochinesischen Arbeitskräfte (M. O. I.): Diese Formation kolonialer Arbeiter war bei Beginn der Feindseligkeiten dazu bestimmt, die Bedürfnisse der französischen Industrie an ungelernten Arbeitskräften zu befriedigen. Mit einem Stamm französischer Offiziere und Unteroffiziere, die nach dem Monat Juli 1940 Zivilbeamte geworden waren, [505] waren die indochinesischen Arbeitskräfte seit 1943 sowohl direkt als auch indirekt, zeitweise bis zu 14400 Arbeitern zur Zwangsarbeit herangezogen.«

Ich gehe nun unter Überspringung der Tabelle auf Seite 18 über:

»b) Die nordafrikanischen Arbeitskräfte (1) (M. O. N. A.): Zwischen dem 17. August und dem 6. November 1942 erhielt das französische Mutterland zwei aus Nordafrika kommende Arbeiterkontingente; das eine bestand aus 5560 Algeriern, das andere aus 1825 Marokkanern. Diese Arbeiter wurden sofort zur direkten Zwangsarbeit eingesetzt, was die Zahl der der Organisation Todt unterstellten Nordafrikaner auf 17582 erhöhte.

c) Die ausländischen Arbeitskräfte (2) (M. O. E.): Das Gesetz vom 11. Juli 1938 über die Organisation der Nation in Kriegszeiten enthielt Bestimmungen über die in Frankreich lebenden Ausländer und zwang diese zur Erfüllung von Dienstleistungen. Unter französischen Offizieren und Unteroffizieren, die durch das Gesetz vom 9. Oktober 1940 Zivilbeamte geworden waren, wurden die ausländischen Arbeitskräfte von den Deutschen nach und nach zur direkten Zwangsarbeit herangezogen.«

Ich überspringe die Tabelle und verlese weiter:

»d) Die Jugendbetriebe (3): Am 29. Januar 1943 gibt der Arbeitseinsatzstab der deutschen Waffenstillstandskommission in Paris (C.A.A.) bekannt, der Oberbefehlshaber ›West‹ prüft, ob und in welcher Form ein Appell an die französischen Arbeitsverbände zwecks Erfüllung von im Interesse beider Länder gelegenen Aufgaben gemacht werden kann. Ein teilweiser Druck folgt darauf und die Anforderung der Jugend aus den Lagern für die direkte Zwangsarbeit sind das Resultat.«

Ich unterbreche mein Zitat hier. Ähnliche Anforderungen wurden in allen besetzten Gebieten Westeuropas gestellt. Diese Anforderungen waren ungesetzlich. Sie wurden durchgeführt unter Berufung auf Artikel 52 des Anhangs zum Vierten Haager Abkommen, verletzten jedoch in Wirklichkeit systematisch den Buchstaben und den Geist dieser Bestimmungen des Völkerrechts.

Was besagt tatsächlich der Artikel 52 des Anhangs zum Vierten Haager Abkommen? Er lautet wie folgt:

»Natural- und Dienstleistungen können von Gemeinden oder Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besatzungsheeres gefordert werden. Sie müssen im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen und solcher Art sein, daß sie nicht für die Bevölkerung die Verpflichtung enthalten, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen.

[506] Derartige Natural- und Dienstleistungen können nur mit Ermächtigung des Befehlshabers der besetzten Örtlichkeit gefordert werden.«

Die Umstände, unter denen Artikel 52 die Anforderung von Dienstleistungen durch eine Besatzungsarmee zuläßt, sind ausdrücklich festgelegt. Sie sind vierfacher Art:

Erstens: Dienstleistungen können nur für die Bedürfnisse des Besatzungsheeres gefordert werden. Alle über dieses Maß für die allgemeinen wirtschaftlichen Bedürfnisse der Besatzungsmacht hinausgehenden Anforderungen sind verboten.

Zweitens: Die geforderten Dienstleistungen dürfen nicht solcher Art sein, daß sie für die Bevölkerung die Verpflichtung enthalten, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen. Dienstleistungen im Interesse der Kriegswirtschaft der Besatzungsmacht, Wachdienst oder militärischer Kontrolldienst sind verboten.

Drittens: Die in einem bestimmten Gebiete geleisteten Dienste müssen im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Gebietes stehen und dürfen seine wirtschaftliche Entwicklung nicht unmöglich machen. Daraus folgt, daß jede Anforderung von Dienstleistungen dem Völkerrecht widerspricht, durch die die normale Entwicklung des wirtschaftlichen Wohlstandes des besetzten Landes verlangsamt oder verhindert wird.

Viertens: Schließlich dürfen nach dem Absatz des Artikels 52 Dienstleistungen nur mit Ermächtigung des Befehlshabers der besetzten Örtlichkeiten gefordert werden. Die Verschiebungen von Zwangsarbeitern von einem Teil des besetzten Gebietes in einen anderen und noch viel mehr ihre Verschickung in das Land der Besatzungsmacht ist verboten.

Die von deutschen Militär- und Zivilbehörden in den besetzten Gebieten geforderte Gestellung von Arbeitskräften entsprach nicht dem Geist des Artikels 52. Ihre Erfüllung diente der Befriedigung der Bedürfnisse der deutschen Kriegswirtschaft und sogar der Strategie der feindlichen Truppen. Diese Anforderungen nahmen absichtlich keine Rücksicht auf die aus den örtlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten entspringenden Notwendigkeiten; sie führten schließlich zu richtigen Wanderungen innerhalb der Arbeiterschaft. Das Beispiel der aus allen westeuropäischen Ländern in Anspruch genommenen Arbeiter, die im Rahmen der Organisation Todt an der Errichtung des unter dem Namen Atlantik-Wall bekannt gewordenen Befestigungssystems arbeiten sollten, kann in dieser Hinsicht als charakteristisch gelten.

Die Verletzung der internationalen Abkommen ist offensichtlich. Sie veranlaßte wiederholte Proteste des General Doyen, der Delegierter der französischen Behörde bei der Deutschen Waffenstillstandskommission war. Ich bitte den Gerichtshof, als Beweis das[507] Schreiben General Doyens vom 25. Mai 1941 anzunehmen. Dieser Brief ist Dokument F-283 und wird dem Gerichtshof als Beweisstück RF-23 vorgelegt. Ich verlese:

»Wiesbaden, 25. Mai 1941.

Korps-General Doyen, Vorsitzender der Französischen Delegation bei der Deutschen Waffenstill standskommission an General der Artillerie Vogl, Vorsitzender der Deutschen Waffenstillstandskommission.

Herr General!

Wiederholt und namentlich in meinen Briefen Nr. 14263/AE und 14887/AE vom 26. Februar und 8. März beehrte ich mich, gegen die Art und Weise der Heranziehung französischer Arbeitskräfte, die im Rahmen der Organisation Todt bei Durchführung von militärischen Bauarbeiten an der Bretagne-Küste eingesetzt werden sollten, Protest zu erheben.

Heute bin ich beauftragt, Ihre Aufmerksamkeit auf weitere Fälle zu lenken, in denen die Besatzungsbehörden den Einsatz von französischen Zivilisten angeordnet haben, um Dienstleistungen rein militärischer Art sicherzustellen; diese Fälle sind noch schwerwiegender als diejenigen, die ich Ihnen zuletzt gemeldet habe.

Während man bei, den von der Organisation Todt angestellten Arbeitern einwenden kann, daß einige von ihnen freiwillig eine Stellung gegen Entlohnung angenommen haben – obgleich es ihnen in der Praxis meistens nicht möglich war, die Arbeit abzulehnen –, so wird dieser Einwand hinfällig, wenn den Präfekten die Aufstellung von Wachposten an wichtigen Stellen, wie Brücken, Tunnels, Kunstbauten, Telephonleitungen, Munitionslagern und in der Umgebung von Flugplätzen aufgegeben wird, und zwar zu Lasten der Departe ments und der Gemeinden.

Die beigefügte Note enthält einige Beispiele solcher Wachdienste, die auf diese Weise Franzosen auferlegt wurden, Dienste, die früher die deutsche Armee versah, und ihr auch normalerweise obliegen, da es sich darum handelt, Posten zu stellen und das deutsche Heer vor Gefahren zu schützen, die sich aus dem zwischen Deutschland und Großbritannien bestehenden Kriegszustand ergeben.«

Ich unterbreche hier mein Zitat.

Angesichts des angetroffenen Widerstandes versuchten die Besatzungsbehörden, die Befolgung ihrer Dienstleistungsbefehle zu erzwingen, und die dabei ergriffenen Maßnahmen waren ebenso rechtswidrig wie die Dienstleistungsbefehle selbst. Im besetzten Frankreich gingen die nationalsozialistischen Behörden im Wege der [508] Gesetzgebung vor. Sie erließen Verordnungen, denen zufolge die Todesstrafe gegen Personen verhängt werden konnte, die sich den Dienstleistungsbefehlen entzogen.

Ich lege dem Gerichtshof zwei solche Verordnungen vor. Die erste wurde während der ersten Monate der Besetzung, am 10. Oktober 1940, erlassen und wurde im Verordnungsblatt für die besetzten französischen Gebiete vom 17. Oktober 1940, Seite 108, veröffentlicht. Ich unterbreite sie dem Gerichtshof als RF-24 und zitiere:

»Verordnung zum Schutz gegen Sabotageakte vom 10. Oktober 1940.

Auf Grund der mir vom Führer und Obersten Befehlshaber erteilten Ermächtigung verordne ich, was folgt:

Paragraph 1: Wer vorsätzlich Bewachungsaufgaben, die ihm vom Chef der Militärverwaltung in Frankreich oder einer von diesem hierzu ermächtigten Stelle übertragen sind, nicht oder ungenügend erfüllt, wird mit dem Tode bestraft.«

Ich überspringe Paragraph 2 und zitiere Paragraph 3:

»In minder schweren Fällen von Übertretungen der Paragraphen 1 und 2 dieser Verordnung und bei Fahrlässigkeit kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden.«

Die zweite Verordnung des Militärbefehlshabers in Frankreich, auf die ich mich beziehe, stammt vom 31. Januar 1942. Sie erscheint im Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Frankreich vom 3. Februar 1942, Seite 338. Ich lege sie dem Gerichtshof als unsere Nummer RF-25 vor. Sie lautet wie folgt:

»Verordnung über Dienst- und Sachleistungen vom 31. Januar 1942.

Auf Grund der mir vom Führer und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht erteilten Ermächtigung verordne ich folgendes:

Paragraph (1). Wer Dienst- oder Sachleistungen, die ihm vom Militärbefehlshaber in Frankreich oder einer von diesem hierzu ermächtigten Stelle auferlegt sind, nicht oder in einer Weise erfüllt, die den Zweck der Leistung vereiteln oder gefährden kann, wird mit Zuchthaus, Gefängnis oder Geldstrafe bestraft. Geldstrafe kann auch neben Zuchthaus oder Gefängnis verhängt werden.

(2) In schweren Fällen kann auch Todesstrafe verhängt werden«

Diese Verordnungen riefen Proteste seitens der französischen Behörden hervor. General Doyen hat mehrere Male gegen die ersterwähnte Verordnung protestiert, ohne jedoch seine Ansicht durchsetzen zu können. Ich beziehe mich wieder auf sein Schreiben vom 25. Mai 1941, das ich dem Gerichtshof als RF-23 überreicht habe, und lese von Seite 3 der französischen Photokopie, Seite 4 der deutschen Übersetzung:

[509] »Ich bin beauftragt, bei Ihnen scharfen Protest gegen ein derartiges Verfahren zu erheben und Sie um Ihr Einschreiten zu bitten, damit solche Vorkommnisse sofort unterbunden werden.

Seit dem 16. November und mit Schreiben Nummer 7,843/A E habe ich bereits gegen die vom Militärbefehlshaber in Frankreich am 10. Oktober 1940 erlassene Verordnung protestiert, welche die Todesstrafe für jede Person vorsieht, die die von den Besatzungsbehörden anvertrauten Bewachungsaufgaben ungenügend oder gar nicht erfüllt. Ich habe damals schon erwähnt, daß diese Anforderung ebenso wie ihre Strafandrohung dem Sinne des Waffenstillstandsvertrags zuwiderlaufen, der den Zweck hatte, die französische Bevölkerung von jeglicher Teilnahme an den Feindseligkeiten auszuschalten.

Ich hatte mich auf diesen grundsätzlichen Protest beschränkt, weil mir damals kein tatsächlicher Fall gemeldet war, in dem solche Bewachungspflichten auferlegt worden waren. Die in Ihrem Brief Nummer 1361 vom 6. März vorgebrachten Argumente konnte ich jedoch nicht als eine genügende Rechtfertigung für die betreffende Verordnung gelten lassen. Sie gaben an, daß Artikel 43 des Haager Abkommens der Besatzungsmacht das Recht gibt, Gesetze zu erlassen. Aber dieses Recht, auf das Sie sich beziehen, unterliegt in demselben Artikel zwei Beschränkungen: Gesetze dürfen nur erlassen werden, um weitmöglichst öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben aufrechtzuerhalten und sicherzustellen. Ferner müssen die erlassenen Verordnungen...«


VORSITZENDER: Genügt es nicht zu beweisen, daß General Doyen einen Protest eingereicht hat? Es ist nicht nötig, alle Argumente der beiden Teile vorzulesen.

M. HERZOG: Ich beendige damit also mein Zitat, Herr Vorsitzender.

Die deutschen Verordnungen, die ich dem Gerichtshof verlesen habe, enthielten also förmliche Verstöße gegen die allgemeinen Grundsätze der internationalen Strafgesetzgebung. Sie befanden sich im Widerspruch zu Artikel 52 des Anhangs zum Vierten Haager Abkommen und ebenfalls im Widerspruch zu Artikel 43, auf den sie sich angeblich stützten. Sie waren daher ungesetzlich und verbrecherisch, da sie Todesstrafen vorsahen, die sich durch keine Bestimmung des Völker- oder Landesrechts rechtfertigen ließen.

Die Inanspruchnahme von Dienstleistungen ist das erste Beispiel des verbrecherischen Charakters der Methoden, die die Angeklagten in Ausführung ihres Planes zur Erfassung ausländischer Arbeitskräfte anwandten.

[510] Die nationalsozialistischen Behörden schritten danach zu einem weiteren Verfahren, um der Anwerbung von Fremdarbeitern den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben. Sie appellierten an die sogenannten freiwilligen Arbeiter. Von 1940 an eröffneten die Besatzungsbehörden in allen größeren Städten der besetzten Gebiete Arbeitsämter. Diese Stellen unterstanden der Kontrolle eines Sonderdienstes, der zu diesem Zweck den Stäben der Oberbefehlshaber der Besatzungszonen zugeteilt worden war.

Es ist dem Gerichtshof bekannt, daß von 1940 bis 1942 diese Dienststellen der Kontrolle der Befehlshaber unterstanden. Von 1942 an, oder genauer gesagt, vom Tage der Ernennung des Angeklagten Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz an, erhielten sie ihre Befehle direkt von dem letzteren. Der General von Falkenhausen, Wehrmachtsbefehlshaber von Belgien und Nordfrankreich, erklärte in einer Niederschrift, die ich vor kurzem dem Gerichtshof verlesen habe, daß er vom Sommer 1942 an lediglich der Mittelsmann war, der die Instruktionen Sauckels bezüglich des Arbeitseinsatzes weiterzuleiten hatte.

Die Politik der deutschen, in den besetzten Gebieten errichteten Arbeitsämter fiel daher von 1942 an unter die volle Verantwortung des Angeklagten Sauckel und unter die Verantwortung seines direkten Vorgesetzten, des Beauftragten für den Vierjahresplan, des Angeklagten Göring. Ich bitte den Gerichtshof, dies im Gedächtnis zu behalten.

Es war Aufgabe der Arbeitsämter, die Erfassung von Arbeitern für die von der Organisation Todt, der Wehrmacht, der Kriegsmarine, der Luftwaffe und anderen deutschen Organisationen in Europa errichteten Fabriken und Betriebe durchzuführen. Es war weiterhin ihre Aufgabe, die deutschen Rüstungswerke mit den benötigten ausländischen Arbeitskräften zu versorgen. Die auf diese Weise angeworbenen Arbeiter unterzeichneten einen Arbeitskontrakt; sie hatten also im Prinzip den Status freier Arbeiter und waren scheinbar Freiwillige.

Die Besatzungsbehörden haben immer den freiwilligen Charakter der Anwerbung durch die Arbeitsämter betont, aber ihre Propaganda verschwieg systematisch die wirklichen Verhältnisse unter denen sie stattfand. Tatsächlich war der freiwillige Charakter dieser Anwerbungen fiktiv. Die Arbeiter in den besetzten Gebieten, die sich bereit erklärten, solche Arbeitskontrakte zu unterzeichnen, standen unter materiellem und moralischem Druck.

Dieser Druck war in verschiedene Formen gekleidet, manchmal auf ganze Gruppen, manchmal auf den einzelnen zugeschnitten. Aber in jeder Form war er so stark, daß er die Arbeiter, die ihm zum Opfer fielen, der freiwilligen Zustimmung beraubte.

[511] Die Ungültigkeit von Verträgen, die unter Gewaltandrohung abgeschlossen wurden, ist ein allen zivilisierten Nationen gemeinsames Grundprinzip des allgemeinen Rechtes. Man findet dieses Grundprinzip im deutschen Recht ebenso formell ausgedrückt wie in der Gesetzgebung der im Gerichtshof vertretenen Mächte, oder der von Deutschland besetzten Staaten. Die deutschen Arbeitsämter zwangen den Fremdarbeitern Arbeitskontrakte auf, die jeder rechtlichen Grundlage entbehrten, weil sie mit dem Makel der Gewaltandrohung behaftet waren. Ich behaupte dies und werde versuchen, dem Gerichtshof den Beweis hierfür zu erbringen.

Ich überreiche zunächst den Beweis für die Vorausplanung der Deutschen. Der Druck, dem die Fremdarbeiter unterzogen wurden, entsprang nicht der vereinzelten Initiative untergeordneter Behörden, sondern war wohlerwogener Wille, dem die Führer des nationalsozialistischen Deutschlands in genauen Anweisungen Gestalt verliehen.

Ich lege dem Gerichtshof Dokument 1183-PS als RF-26 vor. Es handelt sich um ein Rundschreiben vom 29. Januar 1942 über die Anwerbung von Fremdarbeitern. Dieses Rundschreiben ging von der Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz des Beauftragten für den Vierjahresplan aus. Es trägt die Unterschrift des Abteilungschefs Dr. Mansfeld; jedoch trägt der Angeklagte Göring dafür als Beauftragter für den Vierjahresplan die volle Verantwortung. Ich verlese das Rundschreiben:

»Berlin SW 11, den 29. Januar 1942. Saarlandstraße 96.

Betrifft: Verstärkung des Einsatzes von Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten im Deutschen Reich und Vorbereitung eines zwangsweisen Einsatzes.

Der durch die starken Einberufungen zur Wehrmacht verschärfte Mangel an Arbeitskräften einerseits und die gesteigerten umfangreichen Rüstungsaufgaben im Reich andererseits machen es erforderlich, daß zur Ausfüllung der entstehenden Lücken Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten in einem weitaus größeren Umfang zur Dienstleistung in Deutschland herangezogen werden, als es bisher geschehen ist. In den besetzten Gebieten müssen daher alle Maßnahmen getroffen werden, die es ermöglichen, die Arbeitskräfte, die dort arbeitslos sind oder für den Einsatz in Deutschland unter strengster Auskämmung irgendwie freigestellt werden können.... einer Beschäftigung im Deutschen Reich zuzuführen.«

Sodann lese ich weiter von Seite 2 des deutschen Textes:

»Dieser Einsatz soll zunächst wie bisher auf freiwilliger Grundlage erfolgen. Aus diesem Grunde muß die Werbung [512] für einen Einsatz im Deutschen Reich ganz erheblich verstärkt werden. Wenn aber ein befriedigendes Ergebnis erzielt werden soll, müssen die reichsdeutschen Stellen, die in den besetzten Gebieten die Hoheitsgewalt ausüben, mit allem Nachdruck die Maßnahmen anordnen können, die zur Unterstützung der freiwilligen Werbung von Arbeitskräften für den Einsatz in Deutschland erforderlich sind. Darnach müssen, soweit notwendig, die in den besetzten Gebieten geltenden Vorschriften über den Arbeitsplatzwechsel und über den Unterstützungsentzug bei Arbeitsverweigerung verschärft werden. Durch Ergänzung der Arbeitsplatzwechselvorschriften muß vor allem sichergestellt werden, daß freiwerdende ältere gegen jüngere ausgleichsfähige Kräfte ausgetauscht und diese dann für das Reich bereitgestellt werden. Durch weitgehende Senkung der Unterstützung, auch in der öffentlichen Fürsorge, muß erreicht werden, daß die Arbeitskräfte zur Arbeitsaufnahme im Reich geneigt werden. Die den Arbeitslosen gewährte Unterstützung muß so niedrig bemessen werden, daß bei ihrer Zahlung im Hinblick auf die im Reich im Durchschnitt gebotenen Löhne und Überweisungsmöglichkeiten der stärkste Anreiz für eine Arbeitsaufnahme im Reich besteht. Bei ungerechtfertigter Verweigerung der Arbeitsaufnahme im Reich müssen die Unterstützungsleistungen auf das zur Fristung des Lebens Unerläßliche herabgesetzt oder ganz gestrichen werden. In diesem Zusammenhang kann auch an einen teilweisen Entzug von Lebensmittelkarten und an die Einweisung in besonders schwere Pflichtarbeit gedacht werden.«

Ich beendige hier die Zitierung und mache den Gerichtshof darauf aufmerksam, daß dieses Rundschreiben an alle für den Arbeitseinsatz verantwortlichen Stellen in den besetzten Gebieten gerichtet war. Die Verteilung in Westeuropa erfolgte an die folgenden Stellen:

»Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete, Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, Militärverwaltungschef für Belgien und Nordfrankreich, Chef der Militärverwaltung in Frankreich, Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg, Chef der Zivilverwaltung in Metz, Chef der Zivilverwaltung in Straßburg.«

Es ist damit bewiesen, daß ein allgemeiner, abgestimmter Plan bestand, der sich darauf erstreckte, Arbeiter der besetzten Gebiete zu zwingen, für Deutschland zu arbeiten.

Schließlich möchte ich noch zeigen, wie dieser Plan in den verschiedenen Besatzungsgebieten ins Werk gesetzt wurde. Die Art und Weise, wie die nationalsozialistischen Behörden die ausländischen Arbeiter unter Druck setzten, läßt sich im einzelnen folgendermaßen beschreiben:

[513] Die deutschen Dienststellen des Arbeitseinsatzes organisierten eine intensive Propaganda für die Anwerbung von Fremdarbeitern. Diese Propaganda sollte die Arbeiter der besetzten Gebiete hinsichtlich der ihnen von den deutschen Arbeitsämtern gebotenen materiellen Vorteile irreführen: sie wurde über Presse, Rundfunk und alle anderen möglichen Reklamemittel betrieben.

Diese Propaganda wurde ferner auch außerhalb des Rahmens der amtlichen Dienststellen durch geheime Organisationen betrieben, die die Aufgabe hatten, Fremdarbeiter wegzulocken und mit ihnen ausgesprochenen Werbeschacher zu treiben.

Da diese Maßnahmen sich als unzureichend erwiesen, mischten sich die Besatzungsbehörden in das soziale Leben der besetzten Länder ein; sie bemühten sich, eine künstliche Arbeitslosigkeit hervorzurufen und versuchten gleichzeitig, die materiellen Lebensbedingungen der Arbeiter und Arbeitslosen zu verschlechtern.

Trotz der Arbeitslosigkeit und trotz des Elends, das sie bedrohte, blieben die Fremdarbeiter von der germanischen Propaganda unberührt. Aus diesem Grunde griffen die deutschen Behörden endlich zur Anwendung unmittelbaren Zwangs. Sie setzten die politischen Behörden der besetzten Länder unter Druck, um von diesen in ihrem Werbefeldzug Unterstützung zu erlangen. Sie verpflichteten die Arbeitgeber, in Frankreich im besonderen die Organisationskomitees, ihre Arbeiter aufzufordern, Arbeitskontrakte der deutschen Arbeitsämter anzunehmen. Schließlich übten die deutschen Behörden Zwang auf die Arbeiter aus und gingen unmerklich von der sogenannten freiwilligen Werbung zur Zwangseinziehung über.

Die Vorstellung von der Freiwilligkeit ging angesichts der Einzelarreste und der Massenrazzien, denen die Arbeiter der besetzten Länder schnell zum Opfer fielen, völlig unter.

Die Urkunden, die die von mir vorgebrachten Tatsachen beweisen können, sind unzählig; ich werde dem Gerichtshof lediglich die wichtigsten davon übergeben:

Die Urkunden, die Beweismaterial über den von den deutschen Verwaltungsbehörden in Frankreich geführten Propagandafeldzug enthalten, werden dem Gerichtshof von Herrn Edgar Faure im Laufe seines Vortrags über die Verdeutschung und Nazifizierung vorgelegt werden. Als Beispiel möchte ich dem Gerichtshof ein Dokument RF-27 vorlegen, das die französische Nummer F-516 trägt.

Es ist ein Bericht des Präfekten des Departement du Nord an den Vertreter des Innenministers der Generaldelegation der Französischen Regierung im besetzten Gebiet. Der Bericht teilt mit, daß ein Propagandawagen deutscher Herkunft durch Siedlungen Lilles fährt und französische Arbeiter aufruft, nach Deutschland zu fahren. Ich verlese den Bericht:

[514] »Lille, den 25. März 1942.

Der Präfekt des Département du Nord, Präfekt des Bezirks Lille, an den Herrn Präfekten und Beauftragten des Innenministers bei der Hauptdelegation der Französischen Regierung in den besetzten Gebieten.

Betrifft: Deutscher Propagandawagen.

Ich teile Ihnen hierdurch mit, daß seit einigen Tagen ein Propagandawagen in der Umgebung von Lilie herumfährt, der, mit Propagandaschriften behangen, die französischen Arbeiter auffordert, sich zur Arbeit in Deutschland anwerben zu lassen. Gleichzeitig spielt ein Lautsprecher ein ganzes Schallplattenprogramm mit französischer Musik, darunter die ›Marche Lorraine‹ und die Hymne ›Maréchal nous voila‹.«


VORSITZENDER: Ich glaube, wir unterbrechen die Sitzung bis 2.00 Uhr.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 5, S. 488-516.
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