Vormittagssitzung.

[7] DER VORSITZENDE LORD JUSTICE SIR GEOFFREY LAWRENCE: Ich will die Sitzung mit der Verlesung der Entscheidung des Gerichtshofs über den Antrag des Verteidigers des Angeklagten Heß beginnen. Der Gerichtshof hat sorgfältig über den Antrag des Verteidigers des Angeklagten Heß beraten und hat auch den Vorzug gehabt, eingehende Auseinandersetzungen darüber sowohl von der Verteidigung als auch von der Anklagebehörde zu hören. Der Gerichtshof hat ebenfalls die ausführlichen medizinischen Gutachten, die über den Zustand des Angeklagten Heß abgegeben wurden, in Betracht gezogen und ist zu der Schlußfolgerung gelangt, daß keinerlei Gründe vorhanden sind, eine weitere Untersuchung des Angeklagten anzuordnen.

Nachdem der Angeklagte Heß selbst eine Erklärung dem Gerichtshof abgegeben hat, und angesichts der vorliegenden Beweise, ist der Gerichtshof der Ansicht, daß der Angeklagte Heß gegenwärtig vernehmungsfähig ist. Der Antrag des Verteidigers ist aus diesem Grunde abgewiesen, und der Prozeß wird weiter fortgesetzt.

Der Zeuge, der gegenwärtig verhört wird, ist zurückzuführen.


[Erwin Lahousen nimmt den

Zeugenstand wieder ein.]


MR. G. D. ROBERTS, ERSTER ANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Meine Herren Richter, Sir David Maxwell-Fyfe erklärte gestern, daß er dem Zeugen keine Fragen zu stellen wünsche. Er hat mich jedoch ersucht, den Zeugen kurz über einen Punkt, der in der Anklage erwähnt ist, ins Kreuzverhör zu nehmen; nämlich über die Ermordung von 50 RAF-Offizieren, die im März 1944 aus dem Stalag-Luft 3 entflohen.

VORSITZENDER: Sagten Sie Kreuzverhör?


MR. ROBERTS: Ich sehe ein, daß dies unter den Teil der Anklageschrift fällt, mit dem die russischen Anklagevertreter sich befassen werden. Eure Lordschaft, ich habe diese Sache Herrn General Rudenko vorgeschlagen, und dieser hatte die Güte, keinen Einwand dagegen zu erheben, daß ich selbst in diesem Punkt einige Fragen stelle.


VORSITZENDER: Sehr gut, Herr Roberts.


[7] MR. ROBERTS: Sehr verbunden!


[Zum Zeugen gewendet:]


Ich möchte Sie folgendes fragen: Kennen Sie irgendwelche Einzelheiten, die den Tod von 50 RAF-Offizieren im März 1944 betreffen? Diese waren damals aus dem Stalag 3 bei Sagan geflüchtet und wieder eingefangen worden.


ZEUGE ERWIN LAHOUSEN: Nein, darüber kann ich gar nichts aussagen, weil ich zu dieser Zeit Regimentskommandeur an der Ostfront war und nichts mehr mit meinem früheren Dienst zu tun hatte.


MR. ROBERTS: Haben Sie über die ganze Angelegenheit durch einen Ihrer Kameraden etwas gehört?


LAHOUSEN: Nein, ich habe gar nichts darüber gehört.


MR. ROBERTS: Sie können in dieser Frage dem Gerichtshof überhaupt nicht behilflich sein?


LAHOUSEN: Nein, in keiner Weise.


DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN: Herr Zeuge, Sie haben gestern erklärt, daß Sie der intime Mitarbeiter und Freund des Admirals Canaris gewesen sind. Da ich diese Fragen an Admiral Canaris selbst jetzt nicht mehr richten kann, bitte ich Sie, mir Antwort zu erteilen, und zwar über folgendes:

Ist Admiral Canaris die Einstellung des Angeklagten von Papen über die Kriegspolitik Adolf Hitlers bekannt gewesen, und wie hat sich Canaris Ihnen gegenüber darüber geäußert?


LAHOUSEN: Zunächst möchte ich eine kleine Richtigstellung zu der an mich gerichteten Frage abgeben. Ich habe niemals behauptet, daß ich der intime Freund von Canaris war; ein Freund von Canaris war Pieckenbrock. Wohl war ich einer von Canaris' Vertrauten. Mir ist jedoch aus diesem Verhältnis klar in Erinnerung, daß die Einstellung Canaris' und Herrn von Papens bezüglich des Themas, das soeben durch den Herrn Verteidiger behandelt wurde, im wesentlichen eine ablehnende war.


DR. KUBUSCHOK: Bezog sich diese Ablehnung nur auf die Kriegspolitik an sich oder auch auf sämtliche Gewaltmethoden zur Durchführung einer derartigen Politik?


LAHOUSEN: Ich muß und kann diese Frage nach meiner besten Erinnerung aus einem Gespräch gelegentlich der Anwesenheit des Herrn von Papen in Berlin bei Canaris, der ich beigewohnt hatte, bejahen.


DR. KUBUSCHOK: Ist Ihnen auch bekannt, daß von Papen Canaris gegenüber geäußert hat, daß von seiten der Politik Widerstände gegen die Aggressionspolitik Hitlers nicht möglich seien, und [8] daß diese Widerstände aus den Reihen des Militärs hervorgehen müßten?


LAHOUSEN: Darüber ist mir in dem Zusammenhang, also in dem unmittelbaren Zusammenhang, wie er hier jetzt vorgetragen wurde, persönlich nichts bekannt. Ich war selbst nicht Ohrenzeuge bei einer Unterredung zwischen Canaris und Herrn von Papen, wo diese Frage berührt wurde, und ich kann mich heute nicht mehr erinnern, ob Canaris mir von solchen Unterredungen mit Herrn von Papen etwas erzählt hat. Es ist durchaus möglich, ich kann mich aber daran nicht erinnern, und ich kann daher vor meinem Zeugeneid nicht verantworten, etwas anderes auszusagen.


DR. KUBUSCHOK: Herr Zeuge, schließen Sie daraus, daß Canaris der Ansicht war, von Papen wolle absichtlich in einer exponierten politischen Stellung bleiben, um einen besänftigenden Einfluß auszuüben?


LAHOUSEN: Das glaube ich schon, ohne es auf konkrete Worte oder Äußerungen beziehen zu können. Nach dem Gesamteindruck des mir heute noch darüber in Erinnerung Gebliebenen muß es so gewesen sein.


DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGE KLAGTEN KEITEL: Mein Klient hat mich gebeten, Ihnen folgende Fragen vorzulegen: Seit wann kannten Sie die Herren Canaris und Pieckenbrock?


LAHOUSEN: Canaris und Pieckenbrock kannte ich seit dem Jahre 1937 aus meiner früheren Tätigkeit in der österreichischen Nachrichtenabteilung.


DR. NELTE: Bestanden damals zwischen der Abwehr, der ja Admiral Canaris seinerzeit vorstand, und Ihnen irgendwelche Beziehungen militärischer Art?


LAHOUSEN: Nicht nur zwischen der österreichischen Nachrichtenabteilung, sondern auch zwischen dem österreichischen Bundesheer und der deutschen Wehrmacht bestand zu dieser Zeit ein durchaus legaler, rein militärischer Nachrichtenaustausch, das heißt, legal in dem Sinne, daß dieser Austausch und diese Zusammenarbeit im militärischen Nachrichtendienst mit Wissen der österreichischen Dienststellen erfolgte. Um es in aller Klarheit festzustellen, war dies eine rein militärische Zusammenarbeit, die sich auf den Austausch von Nachrichten über Österreichs angrenzende Länder bezog.


DR. NELTE: Darf ich fragen, ob diese Fühlungnahme zwischen Canaris und Ihnen auch persönlicher Art war? Ich möchte gern feststellen, welche Stellung das österreichische Heer dem Anschlußgedanken gegen über einnahm.


[9] LAHOUSEN: Diese und ähnliche Fragen, also alle Fragen politischer Natur, insbesondere Fragen des Anschlusses oder gar der damals sehr intensiven illegalen nationalsozialistischen Tätigkeit waren und mußten völlig ausgeschaltet bleiben. Dies wurde in diesem Verhältnis und auf der Linie, die über Graf Marogna als offiziellem Mittelsmann, er wurde nach dem 20. Juli ebenfalls hingerichtet, Canaris und Generaloberst Beck im wesentlichen lief, auch eingehalten.


DR. NELTE: Verstehe ich recht, daß Sie sagen wollen, daß die persönliche Fühlungnahme nicht bedeutete, daß die österreichischen Generalstabsoffiziere über alles Auskunft erteilten, oder erteilen wollten oder erteilen konnten, betreffend der Einstellung zum Anschlußgedanken?


LAHOUSEN: Zunächst zur persönlichen Fühlungnahme. Diese persönliche Fühlungnahme fand an einem Tage statt – es war das erstemal, daß ich Canaris damals noch als österreichischen Offizier gesehen habe – in den Diensträumen des Bundesministeriums für Landesverteidigung, wo Canaris beim damaligen Chef des österreichischen Generalstabs war.


VORSITZENDER: Würden Sie, bitte, die Frage wiederholen!


DR. NELTE: Ich hatte den Herrn Zeugen gefragt, inwieweit sich die persönliche Fühlungnahme zwischen den Herren des deutschen Generalstabs, beziehungsweise der Abwehr, und den Herren der Nachrichtenabteilung, beziehungsweise des österreichischen Generalstabs, in persönlicher Beziehung auf die Ergründung des Anschlußgedankens erstreckte.


LAHOUSEN: Zunächst war gar keine persönliche Fühlungnahme in dem Sinne, wie sie hier vorgebracht wird. Die Fühlungnahme, wie sie tatsächlich stattgefunden hat, wofür Zeugen, und zwar Zeugen in diesem Saale da sind, von Papen muß darüber im wesentlichen orientiert sein, fand an einem einzigen Tage statt, wo ich niemals mit Canaris allein gesprochen habe, sondern immer in Gegenwart und Anwesenheit meiner Vorgesetzten.

Da wurden in seinem Fall Fragen des Anschlusses oder politische Fragen, die innerösterreichische Probleme berührten, besprochen. Von meiner Seite selbstverständlich nicht; und von seiten Canaris' bewußt und gewollt selbstverständlich auch nicht.


DR. NELTE: Welches war Ihre Tätigkeit in dem Amt Abwehr II?


LAHOUSEN: In der Abwehrabteilung II, die ich ja im Jahre 1939, Anfang 1939, übernommen habe, ich habe sie gestern umschrieben und will sie gern wiederholen, hatte diese Tätigkeit nach außen hin keine eigene Bezeichnung. Praktisch und tatsächlich handelte es sich darum, Unternehmen und Aktionen verschiedener [10] Art zu tätigen, ich will sie gleich ganz genau umschreiben, also Störaktionen, das heißt Sabotageakte oder Verhinderung von Sabotage oder Störaktionen, die in ihrem inneren Ablauf gleichzusetzen sind jenen Unternehmen, die von Kommandos durchgeführt wurden. Alle diese Tätigkeiten standen untereinander im Einklang, und waren zugeschnitten auf die militärischen Forderungen des Wehrmachtsführungsstabs oder des Generalstabs.


DR. NELTE: Wer gab Ihnen in der Regel Ihre Anweisungen, soweit diese Handlungen mit den militärischen Handlungen in Übereinstimmung gebracht werden sollten?


LAHOUSEN: In der ganzen Tätigkeit gab mir Anweisungen naturgemäß mein unmittelbarer Vorgesetzter Canaris.


DR. NELTE: Ich dachte an das Amt, also ob sie vom OKH oder OKW kamen?


LAHOUSEN: In der Regel kamen sie nicht vom OKW. Sie kamen gewöhnlich in der Befehlslinie über das OKW, repräsentiert durch die Person des damaligen Chefs des OKW, Keitel, oder des Chefs des Wehrmachtsführungsstabs; und wenn der Generalstab oder der Luftwaffenführungsstab an irgendwelchen Unternehmen interessiert war, so wurden sie meiner besten Erinnerung nach auch über den Wehrmachtsführungsstab und die dort eingebauten Vertreter der drei Wehrmachtsteile, also Heer, Luft und Marine, auf demselben Wege von oben an das Amt Ausland/Abwehr, Canaris, geleitet, der die auf mich entfallende Tätigkeit und Aufgabe mir weitergab.


DR. NELTE: Wenn ich Sie richtig verstehe, beschreiben Sie jetzt den Dienstweg. Aber war die befehlsgebende Stelle das Heer oder der Wehrmachtsführungsstab? Oder war in der Regel das Heer diejenige Stelle, die die Befehle gab, die nur auf dem Dienstwege über das OKW weitergeleitet wurden?


LAHOUSEN: Soweit ich von mir aus in dieser Hinsicht eine Feststellung treffen kann, war ich nur in Fühlung mit meinem Chef Canaris, und der Chef von Canaris war das damalige OKW unter Keitel; dieser stand mit den Herren vom Wehrmachtsführungsstab und mit den Mitgliedern des Generalstabs des Heeres in Verbindung. Ich könnte ganz konkrete Fälle aus dem Gedächtnis anführen, aber im wesentlichen war der Vorgang der, wie ich ihn jetzt geschildert habe.

DR. NELTE: Ist es richtig, daß der Angeklagte Keitel als Chef des OKW, früher alte Jahre und später seit 1943 in regelmäßigen und kürzeren Zeitabständen vor den Amts- und Abteilungschefs des OKW gesprochen hat, wobei er jedesmal ausdrücklich darauf hinwies, daß jeder, der glaube, es werde etwas von ihm verlangt, was er vor seinem Gewissen nicht verantworten könne, es ihm, Keitel, persönlich sagen möge?


[11] LAHOUSEN: Es ist richtig, daß der damalige Chef des OKW vor diesem Kreis, der eben angeführt wurde, mehrmals gesprochen hat. Ich kann mich da naturgemäß auf die Worte oder den Wortlaut nicht erinnern, daß er eine Äußerung getan habe, die dem Sinne nach so aufzufassen wäre, daß man das Risiko hätte auf sich nehmen können in den Fällen, für die ich gestern hier Zeugnis abgelegt habe. Daß man mit ihm so klar, eindeutig und offen hätte sprechen können, wie ich und andere, und zwar noch lebende Zeugen, es mit Canaris jederzeit tun konnten, diesen Eindruck hatte ich ganz bestimmt nicht, wie immer die Worte auch damals gefaßt worden sein mögen.


DR. NELTE: Ich verstehe doch recht, daß Sie grundsätzlich nicht bestreiten wollen, daß Keitel diese Worte dem Sinne nach vorgetragen hat?


LAHOUSEN: Das kann ich weder bestreiten noch etwas dazu sagen, weil ich mich nicht genau daran er innere. Ich erinnere mich, daß diese Aussprachen oder Besprechungen stattgefunden haben. Es ist durchaus möglich, daß der damalige Chef des OKW diese Worte gebraucht haben könnte. Ich kann aber nur das hinzufügen, was ich vorher erwähnt habe.


DR. NELTE: Ist es richtig, daß Sie mehrfach sowohl in Begleitung des Admirals Canaris als auch allein bei dem Chef des OKW waren, um mit ihm, sagen wir, Pläne, Unternehmungen zu besprechen, die heikler Art waren, und die in Ihren Dienstbereich fielen?


LAHOUSEN: Ja, davon habe ich gestern viel gesprochen. Ich könnte nicht und hätte nicht das Recht, über die Dinge zu reden, wenn ich nicht selbst anwesend gewesen wäre.


DR. NELTE: Ich hatte den Eindruck, als ob Sie gestern in mehrfacher Hinsicht als Sprachrohr für Admiral Canaris dienten, insbesondere dadurch, daß Sie Aufzeichnungen in sein Tagebuch machten. Entsprach das Ihrer Aussage?


LAHOUSEN: Ihr Eindruck ist falsch. Ich bin kein Sprachrohr. Ich bin in dem, was ich sage, damals und auch heute, innerlich völlig unabhängig. Ich lasse mich, ließ mich, und würde mich niemals in irgendeiner Form zum Sprachrohr irgendeiner Auffassung machen lassen, die meiner Überzeugung und meinem Gewissen entgegengestanden hätte.


DR. NELTE: Sie haben mich mißverstanden, wenn Sie glauben, ich wollte mit dem Wort Sprachrohr Ihnen einen Vorwurf machen. Ich meinte nur, daß Sie gestern mehrfach Bezug genommen haben auf die Bemerkungen, die im Tagebuch Canaris' beziehungsweise in den Bemerkungen enthalten sind, die Sie von Canaris notiert hatten. Stimmt das?


[12] LAHOUSEN: Ja, das habe ich getan in den Fällen, wo Canaris selbst in der Materie irgendwie betroffen war; da er tot ist, kann er hierzu nichts mehr sagen. Ich, der ich darum weiß und sehr viel und genau weiß, habe mich verpflichtet gefühlt, das zu sagen, was ich weiß.


DR. NELTE: Hat der Angeklagte Keitel jemals die Frage gestellt oder Ermittlungen angeordnet, welche politische Haltung die Offiziere der Abteilung Abwehr hatten, oder ob in den Abteilungen des Abwehrdienstes Nationalsozialisten seien?


LAHOUSEN: Diese Frage und ähnliche hat er in völliger Eindeutigkeit bei den obengenannten periodischen Versammlungen zum Ausdruck gebracht, und er hat keinen Zweifel gelassen, daß namentlich in seiner Dienststelle wie dem OKW er keinerlei Offiziere oder Gedankengänge dulden könne, die nicht absolut an den Endsieg glaubten, nicht die bedingungslose Gefolgschaft des Führers verbürgten und dergleichen mehr.


DR. NELTE: Konnten diese Ausführungen nicht militärisch, unter dem Gesichtspunkt des militärischen Gehorsams verstanden werden; oder meinen Sie, daß sie politisch verstanden werden mußten?


LAHOUSEN: Das war selbstverständlich militärisch, aber auch völlig eindeutig politisch, da ja irgendeine Unterscheidung oder Trennung in diesem Sinne niemals in irgendeiner Form anerkannt werden sollte. Die Wehrmacht sollte eine Einheit sein, nämlich die nationalsozialistische Wehrmacht. Damit ist ja das Kernproblem irgendwie berührt.


DR. NELTE: Also glauben Sie, daß eben die Grundhaltung doch die militärische war, auch im OKW?


LAHOUSEN: Die Grundhaltung war wohl eine nationalsozialistische, oder hätte eine solche nicht eine militärische sein müssen. Oder in erster Linie eine nationalsozialistische, und in zweiter Linie erst alles andere.


DR. NELTE: Sie sagten »hätte sein müssen«.


LAHOUSEN: Ja, weil sie es nicht war.


DR. NELTE: Sehr richtig. Also Sie sagen, sie war in erster Linie militärisch und nicht nationalsozialistisch.


LAHOUSEN: Sie hätte nach unserer Auffassung eine rein militärische sein sollen. Aber nach der Auffassung, die der damalige OKW-Chef vertrat, ob er dazu den Befehl bekommen hat oder nicht, kann ich nicht beurteilen, weil ich es nicht weiß und nicht anwesend war, sollte die Grundhaltung vor allem eine absolut gefolgschaftstreue, absolut nationalsozialistische sein.


[13] DR. NELTE: Ist Ihnen über die Einstellung der Generalität, allgemein gesprochen, zu diesem Problem etwas bekannt?


LAHOUSEN: Ja, natürlich ist mir darüber etwas bekannt, weil ja gerade unmittelbar nach solchen Besprechungen, die hier angeführt wurden, über dieses Thema ein sehr lebhafter Meinungsaustausch stattfand, und von einem großen Teil der Anwesenden, ich könnte die Namen nennen, und einige von ihnen sind auch hier vorhanden, gerade dagegen Stellung genommen wurde, daß diese Ausführungen so stark politisch und so stark im Sinne der Sprachregelung von oben, wie man es damals nannte, gehalten waren und so wenig rein sachlich und militärisch; von anderen Dingen gar nicht zu sprechen.


DR. NELTE: Sie haben gestern, gelegentlich der Unterredung im Führerzug, wie Sie sagten, vom 12. September 1939, und gelegentlich der Mitteilungen des Chefs des OKW an Sie, gesagt, daß der Angeklagte Keitel Ihnen gegenüber geäußert habe oder besser zu den anwesenden Herren, diese Maßnahmen seien vom Führer mit Göring festgelegt worden. Er, Keitel, habe keinen Einfluß darauf gehabt. Der Führer und Göring telephonierten häufig miteinander. Manchmal erfahre er etwas davon, manchmal auch nicht. Habe ich das richtig aufgenommen?


LAHOUSEN: Vollkommen richtig! Ich habe es so, wie es gesprochen wurde in dem Aktenvermerk festgehalten, weil ich selbst zugegen war; und so, wie ich es festgehalten habe, habe ich es wiedergegeben, weil es die Wahrheit ist.


DR. NELTE: Darf ich hierzu fragen, bezog sich die Bemerkung »manchmal erfahre ich etwas davon, manchmal aber auch nicht« nur auf diesen konkreten Fall, oder war das gewissermaßen eine allgemeine Regel?


LAHOUSEN: Das wird wohl allgemein gemeint gewesen sein, so wie ich es heute noch nach meiner besten Erinnerung bezeugen kann.


DR. NELTE: Bei dieser Besprechung im Führerzug vom 12. September 1939 haben Sie zuerst von der Weitergabe der politischen Zielsetzungen, die nach Ihrer Angabe von Ribbentrop stammten, gesprochen. Habe ich das richtig verstanden?


LAHOUSEN: Vollkommen richtig!


DR. NELTE: Und Sie sagten, der Angeklagte Keitel habe diese Zielsetzung an die Herren weitergegeben, die dort waren. Nun weiß ich nicht, bezog sich das auch auf den Befehl bezüglich des Luftbombardements von Warschau? Ist das richtig verstanden worden?


LAHOUSEN: Ja, bezüglich des Luftbombardements von Warschau kann ich nach bester Erinnerung und nach dem, was in dem [14] Aktenvermerk festgehalten ist, nur sagen, daß diesbezüglich, ähnlich wie über die Frage der Erschießungen in Polen, Canaris die Initiative ergriffen hat, indem er dieses Thema in irgendeiner Form, die mir heute nicht mehr in Erinnerung ist, provoziert hatte und dann in diesem Zusammenhang auf die verheerenden, vor allem außenpolitisch verheerenden Folgen hingewiesen hatte.


DR. NELTE: Dem Angeklagten Keitel liegt nun daran, Ihnen die Frage vorzulegen, ob er bei dieser Bekanntgabe des Befehls für das Luftbombardement von Warschau nicht ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß dies nur geplant sei, wenn die Übergabe der Festung Warschau nach Aufforderung von Parlamentären nicht erfolge und erst nachdem der Zivilbevölkerung und den Diplomaten freier Abzug angeboten war?


LAHOUSEN: Ich kann mich dem Wortlaut nach, der mir jetzt entgegengehalten wird, daran nicht erinnern. Es ist aber nach meinem Wissen und bei Kenntnis der damaligen Lage durchaus möglich, sogar wahrscheinlich, daß der damalige Chef des OKW, Keitel, diese Bemerkung gemacht hat.


DR. NELTE: Ist Ihnen bekannt, daß der Oberbefehlshaber des Heeres, damals von Brauchitsch, und der Chef des OKW, Keitel, bevor der Polenkrieg begann, ausdrücklich die Zulassung von Kommandos der Gestapo und SD als untragbar für die Wehrmacht abgelehnt und hierzu auch die Zustimmung Hitlers verlangt und bekommen haben? Vor dem Polenkrieg!


LAHOUSEN: Nein, das ist mir nicht bekannt, und kann mir nicht bekannt sein zufolge meiner damals ja in diesem Zusammenhang untergeordneten Stellung. Ich bitte, meine damalige Dienststellung nicht zu überschätzen.


DR. NELTE: Da es sich hier auch um die Kenntnisnahme eines Aktenstücks handelt, das, wie ich annehme, sämtlichen Abteilungen und Ämtern des OKW zugegangen ist, dachte ich, daß Sie sich erinnern werden. Es waren ja immer sogenannte »Weisungen«, nicht wahr? Und in diesen Weisungen erscheint, im Gegensatz zu späteren Fällen, bei dem Feldzug gegen Polen die Erwähnung...


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie sprechen etwas zu schnell.


DR. NELTE: Ich sagte, daß jeweils bei solchen militärischen Aktionen auch die Erlasse und Anordnungen den verschiedenen Ämtern des OKW wohl im Durchschlag bekannt wurden, die in irgendeiner Weise daran beteiligt werden mußten, und deswegen dachte ich...


LAHOUSEN: Ja, aber das waren Dinge, die für mich, für meine Fachabteilung, ich lege Betonung auf »Fach«, natürlich nicht maßgebend waren, und die ich gar nicht zu Gesicht bekommen habe.


[15] DR. NELTE: Da Sie später bei dieser Unterredung ja dann auch über diese Fragen zugezogen wurden, wobei Sie allerdings betonten, daß Ihnen die Befehle nicht wörtlich bekannt gewesen seien...


LAHOUSEN: Die ich nicht gesehen und gelesen habe. Bekannt war mir naturgemäß sehr viel, weil es mir zu Ohren gekommen ist.


DR. NELTE: Nur deshalb wollte ich Sie fragen, ob Sie sich entsinnen, daß die Gestapo und der SD sich entgegen der Absicht und der befehlsmäßig bekanntgegebenen Absicht der Heeresleitung in die Polenangelegenheit direkt hinter dem vorgehenden Heer eingemischt haben?


LAHOUSEN: Ich entsinne mich daran heute nicht mehr. Ich kann nur Bezug nehmen auf das, was ich gehört habe, und was im Aktenvermerk festgehalten ist, wo auch über dieses Thema etwas enthalten ist, nämlich die Bemerkung von Hitler, die durch den damaligen Chef, Keitel, wieder- und weitergegeben wurde, daß, wenn sich die Wehrmacht gegen diese Dinge sträube, die Wehrmacht und das OKW, das sind also die Anklänge an das, was Sie anscheinend meinen, es sich eben gefallenlassen müssen, daß SS, Gestapo und so weiter die Dinge machen. Das ist, was ich darüber weiß, weil ich bei dieser Besprechung anwesend war.


DR. NELTE: Ist bei dieser Besprechung nicht auch gesagt worden, daß eine Beschwerde des Generals Blaskowitz über die Methoden der SS und SD vorliege, also eine Beschwerde des Heeres?


LAHOUSEN: Ob diese Frage bei dieser Besprechung behandelt worden ist, daran kann ich mich nicht erinnern. Ich kann es kaum annehmen, denn sonst würde diese Frage in den Aufzeichnungen selbstverständlich auch erscheinen, ganz besonders, weil es sich um die Person von Blaskowitz, dessen Haltung in dieser und ähnlichen Fragen eine eindeutig klare und bekannte war, gehandelt hat. Aber abseits von der Besprechung im Führerzug erinnere ich mich an das, was Sie soeben hier vorgebracht haben, dem Wesen nach, also die Einwendungen von Blaskowitz. Ich kann heute nicht mehr sagen, in welcher Form sie erfolgten, ob schriftlich oder mündlich und bei welcher Gelegenheit, das weiß ich nicht. An das Wesentliche des Themas erinnere ich mich, erinnere mich aber nicht, daß es bei der in meiner Anwesenheit gehabten Besprechung besprochen wurde.


DR. NELTE: Das Wesentliche erscheint mir hierbei, daß tatsächlich die Wehrmacht, das heißt die Truppe, dagegen protestierte oder jedenfalls ablehnte...


LAHOUSEN: Daß die Wehrmacht es ablehnte, das ist sehr klar.


DR. NELTE: Das wollte ich nur wissen. Wer gab den Befehl?...


[16] LAHOUSEN: Einen Augenblick, wenn ich sage »Wehrmacht«, so meine ich natürlich die Masse der Soldaten, der natürlich und einfach empfindenden Menschen. Es gibt selbstverständlich in der Wehrmacht auch andere Leute; die schließe ich aus. Ich will da nicht mißverstanden werden. Der Begriff »Wehrmacht« in diesem Sinne schließt nicht alle ein; aber die Masse der einfach und natürlich denkenden Menschen.


DR. NELTE: Ich wollte auch nur mit dem Begriff »Wehrmacht« den Gegensatz in seiner Masse zur SS und zum SD herausstellen; und darin stimmen wir wohl überein?


LAHOUSEN: Dieser Gegensatz ist in vielen Beweisen, namentlich bei den damaligen Verhältnissen und Methoden, die ja nach außen hin in dieser Form und diesem Umfang erstmalig bei der breiteren Masse der Wehrmacht in Erscheinung traten und getreten sind, glaube ich, im wesentlichen eindeutig festgelegt, und zwar völlig unabhängig von dem, was ich in dem kleinen, ganz kleinen Ausschnitt dazu sagen kann.


DR. NELTE: Wer hat den Befehl bezüglich der Zusammenarbeit mit der »Ukrainergruppe« erteilt? Sie sprachen gestern...


LAHOUSEN: Ja, da muß ich etwas weiter zurückgreifen. Ich muß vorausschicken, daß es sich bei dieser Gruppe um Angehörige von verschiedenen Staaten, also Staatsbürger des damaligen ungarischen Staates, um tschechische Staatsbürger und dann um polnische Staatsbürger handelte, die aus irgendwelchen gegensätzlichen Einstellungen emigriert oder nach Deutschland gegangen waren. Wer den Befehl zur Zusammenarbeit gegeben hat, kann ich nicht sagen, weil ich zu diesem Zeitpunkt, als diese Sache aufkam, ein Zeitpunkt der ziemlich weit zurückliegt, wenn ich mich recht erinnere, war es im Jahre 1938 und darüber hinaus, noch nicht im Amt Ausland/Abwehr und nicht in Berührung mit der Abteilung war, die ich erst Anfang 1939 übernahm. Ich habe eine bereits fertigstehende Sache übernommen.

Ich muß bei diesem Thema gleich hinzufügen, weil es gestern auch berührt wurde, daß es sich da bei diesen Ukrainern um Menschen handelte, die durchaus und in keiner Weise, wenigstens in ihrer Masse, irgendwie mit Deutschland verbunden waren. Ich kann ganz konkret sagen, daß ein großer Teil dieser Leute, mit denen das Amt Ausland/Abwehr in Verbindung stand, sich in deutschen Konzentrationslagern befunden hatte, und daß ein Teil dieser Leute in den sowjetrussischen Partisanen-Verbänden für seine Heimat gekämpft hatte. Das ist die Tatsache.


DR. NELTE: Hat Ihnen Admiral Canaris nicht gesagt, als ihm die Anforderung der polnischen Uniformen und Ausrüstungsstücke [17] durch die SS bekannt wurde, daß der Chef des OKW, Keitel, ausdrücklich befohlen habe, die Abteilung Abwehr solle ihre Finger aus dem Spiel lassen?


LAHOUSEN: Dieses Thema ist, wie ich schon gestern ausgeführt habe, auch in unserem Kreis sehr mysteriös und geheimnisvoll behandelt worden. Ich wußte bis nach dem Ablauf des tatsächlichen Geschehens eigentlich nicht, was hier gespielt werden sollte. Nicht nur ich, sondern andere wußten es auch nicht. Im Kriegstagebuch der Abteilung kommt dies auch eindeutig zum Ausdruck, wie eines schönen Tages, gleichsam aus heiterem Himmel, so und soviel Uniformen für ein Unternehmen »Himmler« angefordert wurden oder abzugeben seien. Dies geschah naturgemäß auf Befehl von Canaris. Und auf meine erstaunte Frage, die ebenfalls im Kriegstagebuch festgehalten ist, nicht durch mich, sondern durch den Offizier, der dieses Kriegstagebuch zu führen hatte, wieso Herr Himmler zu einem Unternehmen im Zusammenhang mit polnischen Uniformen komme, wurde mir gesagt, daß diese Ausrüstungsgegenstände von irgend jemandem an irgendeinem Tage abgeholt werden würden. Näherer Zweck sei nicht bekannt. Damit war die Angelegenheit im wesentlichen erledigt. Sie war für uns naturgemäß in dem Augenblick nicht nur mysteriös, sondern auch höchst verdächtig, als der Name Himmler gefallen war: für uns, den gewissen Kreis, der damit dienstlich beschäftigt war, bis herunter zu dem Mann oder Feldwebel, der letzten Endes diese Uniformen irgendwo herausnehmen mußte und irgendwo an einen Hauptsturmführer der SS, der Name ist im Kriegstagebuch festgehalten, abgeben mußte. Die Leute hatten sich ja auch Gedanken gemacht, und das konnte ja nicht verboten werden.


DR. NELTE: Sie haben gestern auch Aussagen über die Kriegsgefangenenbehandlung gemacht. In welcher Weise war Abwehr II mit den Kriegsgefangenenfragen befaßt?


LAHOUSEN: Abwehr II, das kann ich in einem Satz sagen, war lediglich in dem Zusammenhang damit befaßt, daß sie selbstverständlich das größte Interesse hatte, sachliches Interesse, daß die Kriegsgefangenen möglichst gut und anständig behandelt wurden, so wie jeder Nachrichtendienst auf der ganzen Welt ein ähnliches Interesse, nämlich ein sachliches Interesse, an der Sache haben wird und haben muß. Weiter gar nichts.


DR. NELTE: Ich verstehe Sie doch recht, daß die Abteilung Abwehr II als solche nicht mit Kriegsgefangenenfragen befaßt war?


LAHOUSEN: Überhaupt nicht mit Kriegsgefangenenfragen.


DR. NELTE: Sie haben gestern ja über die Probleme der Kriegsgefangenenbehandlung im Zusammenhang mit dieser [18] Besprechung, wenn ich mich recht entsinne, Ende Juli 1941, Ausführungen gemacht?


LAHOUSEN: Ja. Bei dieser Besprechung war ich nicht als Vertreter meiner Abteilung, sondern als Vertreter des ganzen Amtes Ausland/Abwehr, also für allgemeine Fragen des Völkerrechts und militärpolitische Fragen zugegen; Fragen, die im weitesten Ausmaß das ganze Amt berührten. Die Abteilung III, die die Spionageabwehr hatte, war praktisch interessiert, weil von ihr Offiziere in den Kriegsgefangenenlagern waren. Vom Gesichtspunkt der Spionageabwehr war es wichtig, von diesen Dingen zu wissen. Damit will ich sagen, daß meine Abteilung nur im Rahmen des Gesamtproblems daran interessiert war, also daß Leute nicht totgeschlagen, sondern anständig behandelt werden müßten; abgesehen von allen anderen Fragen, die erwähnt worden sind.


DR. NELTE: Sie haben gestern gesagt, daß die Kriegsgefangenenlager im Operationsgebiet des Ostens dem OKW unterstanden. Ist das richtig?


LAHOUSEN: Ja, also über die Kriegsgefangenen habe ich gestern ausdrücklich gesprochen und wiedergegeben, daß ich im wesentlichen das, was ich über diese Frage sagte, aus der Besprechung bei Reinecke und aus meinem daraus geschöpften Wissen habe, nicht aber aus der Kenntnis der Befehle, Kenntnis in dem Sinne, daß ich sie selbst gesehen und gelesen habe. In dieser Besprechung ist für mich die Kriegsgefangenenfrage durch die Anwesenheit auch des Chefs der Kriegsgefangenenabteilung, nämlich durch die Anwesenheit von Reinecke, der sie als seine Sache und Sache des OKW vertrat, klar zum Ausdruck gekommen, so wie ich das nach meiner besten Erinnerung wiedergegeben habe.


DR. NELTE: Es handelt sich bei meiner Frage um die Abgrenzung der Kompetenzen.


LAHOUSEN: Ja.


DR. NELTE: Ist Ihnen nicht bekannt, daß im Operationsgebiet das Heer, das operierende Heer, die Betreuung für die Kriegsgefangenen hatte?


LAHOUSEN: Ja.


DR. NELTE: Und, daß das OKW die Betreuung erst übernahm in dem Augenblick, in welchem die Kriegsgefangenen in Deutschland eintrafen?


LAHOUSEN: Ja, ich habe daher auch das wiedergegeben, was ich aus meinem damaligen Wissen um die Sache gehört hatte, nämlich, daß der Generalstab des Heeres alles vorbereitet hatte, um die Leute zurückzubringen. Nun hat das OKW, von Hitler ausgehend, sich darüber hinweggesetzt, die Sache gestoppt, und der [19] Generalstab hat dann das OKW eben für die Folgen, die sich daraus ergeben haben, verantwortlich gemacht. Ob eine solche Verantwortlichkeit bestand, das kann ich nicht beurteilen; ich bin auch nicht Richter darüber. Ich habe nur wiedergegeben, was ich darüber gehört und gesehen habe.


DR. NELTE: Ich meine, Sie haben gestern eine Vermutung ausgesprochen, daß auf Befehl Hitlers diese Rückführung unterbleiben sollte.


LAHOUSEN: Ich habe nicht eine Vermutung ausgesprochen, ich habe das gesagt, was ich damals gehört habe, und was ich weiß; es kann naturgemäß falsch sein.


DR. NELTE: Von wem bitte?


LAHOUSEN: In demselben Kreise, in dem sich ja das tägliche Leben abspielte, das heißt, die täglichen Lagebesprechungen, wo Canaris, die Abteilungschefs und andere Leute zugegen waren, die Vorträge hielten über irgendwelche Dinge, die sachlich in diesem Kreise vorzutragen waren oder Bezug darauf hatten; dort habe ich das gehört, und über dieses Thema ist ja unendlich viel gesprochen worden; und ansonsten, das habe ich immer wieder betont, von meiner ersten Vernehmung an, und habe es Herrn Reinecke ins Gesicht gesagt, daß, was er selbst damals über diese Frage gesprochen hat...


DR. NELTE: Das betrifft nicht meine Frage.


LAHOUSEN: Ich verstehe vollkommen Ihre Frage. Ich will es nur klar abgrenzen, wieso ich gestern zu dem gekommen bin, was ich gesagt habe, nämlich zu untersuchen, inwieweit nach den tatsächlichen, organisatorischen oder sonstigen Abgrenzungen das zutrifft.


DR. NELTE: Aber Sie wissen doch, daß grundsätzlich das OKW die Betreuung der Kriegsgefangenen nur in der Heimat hatte?


LAHOUSEN: Das ist absolut klar.


DR. NELTE: Wie kam es, daß das Amt Abwehr in der Frage der feindlichen Kommandounternehmungen Stellung in dem Sinne nahm, wie Sie es gestern dargelegt haben? An und für sich hatten Sie zwar auf deutscher Seite mit diesen Dingen zu tun, aber für die Behandlung dieser Frage waren Sie, also Ihre Abteilung meine ich damit, nicht offiziell damit befaßt?


LAHOUSEN: Unmittelbar nicht. Das Amt Ausland kam insofern dazu, als es erstens von der Absicht, ich glaube schon von der Absicht, bevor sie Befehl wurde, nämlich Befehl in der Form, wie er nach unten in Erscheinung getreten ist, auf irgendwelchem Weg Kenntnis erhalten hatte, oder zumindest zum gleichem Zeitpunkt oder unmittelbar, als der Befehl fix und fertig war. Und [20] dieser Befehl enthielt ja eine wesentliche Frage des Völkerrechts. Daran war das Amt Ausland/Abwehr sachlich interessiert, wieder in seinem Sektor Ausland, oder die Abteilung, Abteilung war es nicht, Sachbearbeiter oder wie es geheißen hat. Und praktisch war meine Abteilung unmittelbar aus den Gründen, die ich dargelegt habe, interessiert, weil unmittelbar durch mögliche Auswirkungen Leute, für die ich verantwortlich war, davon betroffen waren.


DR. NELTE: Ist von seiten der Völkerrechtlichen Abteilung des Amtes Ausland/Abwehr eine schriftliche Stellungnahme erfolgt?


LAHOUSEN: Ich habe, wie schon gestern erwähnt, für einen größeren Entwurf einen Beitrag aus meinem Sektor über das Thema, das ich schon mehrfach berührt habe, verfaßt, und das ist von mir dann an Canaris weitergegangen. Was und wie er es konkret verwertet hat, weiß ich nur aus dem, was Bürckner seinerzeit gesagt hat, und zwar, daß diese Sache von ihm, also seiner Abteilung, in irgendeiner Form schriftlich oder mündlich als Protest oder Gegenvorstellung, die jedenfalls die Gefahren aufgezeigt hat, in dieser Sache weitergegeben wurde. Und das ist auch noch ein zweites Mal erfolgt, ich kann wieder nicht sagen in welcher Form, ob mündlich oder schriftlich oder umgekehrt, das erste Mal schriftlich und dann mündlich, nachdem Exekutionen bereits stattgefunden hatten, und ich auf Grund der nun tatsächlich erfolgten Exekutionen neuerlich zu schreien angefangen hatte. Das war die ganz natürliche Entwicklung.


DR. NELTE: Sie haben gestern auch etwas über die Kennzeichnung von russischen Kriegsgefangenen durch Brandmale irgendwelcher Art ausgesagt. Ist Ihnen nicht bekannt geworden, daß ein Entwurf, wie er in dieser Frage vorlag, seitens des Chefs des OKW, der deswegen in das Führerhauptquartier gefahren war, durch telephonischen Befehl redressiert wurde, und daß es nur auf ein bedauerliches, furchtbar bedauerliches Mißverständnis irgendwie zurückzuführen ist, daß dieser Befehl in einigen Exemplaren doch herausgegeben worden ist?


LAHOUSEN: Nein, das ist mir deshalb nicht bekannt, weil ich ja in der Hauptsache nur jene Vorgänge, die sich innerhalb des Amtes Ausland/Abwehr, also von Canaris abwärts, abgespielt haben, durch Mitwissen oder durch unmittelbare Einschaltung beherrscht habe. Was in der Linie zwischen Canaris und höheren Behörden geschehen ist, weiß ich nur, davon habe ich nur in jenen Fällen Kenntnis gehabt oder konnte Kenntnis haben, wenn ich in dieser Linie selbst in irgendeiner Form mit eingeschaltet war.


DR. NELTE: Sie haben den Befehl auch nicht selbst gesehen?


LAHOUSEN: Welchen Befehl meinen Sie?


[21] DR. NELTE: Der sich auf Kennzeichnung durch Brandmale russischer Kriegsgefangener bezieht.


LAHOUSEN: Nein, ich habe ebenso wie in der Frage Kommandobefehl und anderer der sehr lebhaften Besprechung dieser Frage nur beigewohnt, und erinnere mich bezüglich des Themas Brennen von russischen Kriegsgefangenen, daß Canaris noch erwähnt hat, daß jemand, und zwar ein Arzt, sogar ein schriftliches Gutachten abgegeben hat, wie man das am zweckmäßigsten machen könnte.


DR. NELTE: Sie haben gestern ausgesagt, daß Admiral Canaris erklärt habe, der Angeklagte Keitel habe den Befehl erteilt, General Weygand zu beseitigen.


LAHOUSEN: Ja.


DR. NELTE: Der Angeklagte Keitel bestreitet das. Nun fragt er, ob irgendwie ein Aktenstück oder eine schriftliche Unterlage darüber jemals bei Ihnen bestanden hat, aus der das feststellbar war; also der Ursprung einer Äußerung, die sich auf General Weygand überhaupt jemals bezog.

LAHOUSEN: Diese Frage oder dieser Befehl wurde nicht schriftlich gegeben, sondern kam nur an mich. Er kam an mich, weil ich es ja durchführen sollte, nicht ich, sondern meine Abteilung. Er wurde gegeben im Kreis, den ich schon wiederholt geschildert habe, also einer gewissen begrenzten Öffentlichkeit, durch Canaris; und ich als Person bin erst in dieses Thema eingeschaltet worden durch einen Vortrag, den Canaris bei Keitel im OKW gehalten hat, bei dem ich anwesend war, und wo ich von Keitel schon über dieses Thema angesprochen wurde. Und das habe ich in meinen persönlichen Aufzeichnungen vermerkt auch mit dem Datum. Es war immerhin wenigstens für mich nicht eine alltägliche Angelegenheit gewesen. Das war am 23. Dezember

1940.

DR. NELTE: Ja. Entsinnen Sie sich nicht des Wortlauts der Frage, die der Angeklagte Keitel Ihnen gestellt haben soll?


LAHOUSEN: Des Wortlauts kann ich mich naturgemäß nicht entsinnen. Dazu liegt die Begebenheit viel zu weit zurück. An den Sinn erinnere ich mich aber genau, der Sinn war: was ist in der Sache geschehen, wie steht die Sache?


DR. NELTE: Sie haben gestern bekundet, daß Sie darauf ausweichend geantwortet hatten.


LAHOUSEN: Ich habe gestern gesagt, ich kann mich auf den Wortlaut dessen, was ich gesagt habe, nicht mehr genau entsinnen. Ich weiß, daß ich nicht das geantwortet haben werde, was ich vor Canaris gesagt habe: Ich denke nicht daran, einen solchen Mordbefehl auszuführen, meine Abteilung, meine Offiziere sind keine Mörderorganisation, alles andere bleibt offen. Wahrscheinlich [22] werde ich gesagt haben: Es macht große Schwierigkeiten, oder irgendeine ähnliche, ausweichende Antwort.


DR. NELTE: Wenn der Chef des OKW, sei es selbst oder auf höheren Befehl, irgendwie eine solche Aktion befohlen haben sollte, so würde es doch bei der hohen Persönlichkeit des Generals Weygand eine Staatsaktion bedeutet haben. Sie haben uns gestern nicht gesagt, ob nach dem 23. Dezember 1940 noch irgendetwas in dieser Sache geschehen ist, das heißt, ob der Chef des OKW auf diese Frage noch einmal zurückgekommen ist?


LAHOUSEN: Nein, das habe ich gestern nicht gesagt. Ich habe aber wiederholt bei den Vernehmungen zum Ausdruck gebracht, daß nachher, nach diesem Zeitpunkt, nichts mehr geschehen ist von seiten des damaligen Chefs des OKW, das heißt, daß mir erkennbar, durch die Person Canaris, also das, was er mir hätte weitergeben müssen oder weitergegeben hätte, ich nichts mehr in der Befehlslinie, die für mich die maßgebende war, gehört habe. Maßgebend war, was ich gehört habe, zum Unterschied von der Angelegenheit Giraud.


DR. NELTE: Darauf kommen wir noch. Es ist doch auffällig, daß, wenn eine solche Staatsaktion, wie es die Ermordung des Generals Weygand bedeutet hätte, befohlen gewesen sein sollte, nun auf einmal nichts mehr in der ganzen Sache gehört wird. Können Sie mir dafür eine Erklärung geben?


LAHOUSEN: Darüber kann ich nur die Erklärung geben, die nicht nur meiner, sondern unserer damaligen Auffassung entsprochen hat. Ich muß darauf hinweisen, daß die Zeit damals ja eine sehr bewegte war. Es jagten sich die Ereignisse. Es war immer irgend etwas los. Und wir nahmen an, ich komme darauf zurück, warum wir das annahmen, daß ganz einfach durch irgendein bedeutendes, sei es politisches oder militärisches Ereignis diese Sache und das Interesse, das man da aus irgendwelchen Gründen an dieser Aktion gehabt hat, in den Hintergrund getreten ist.


DR. NELTE: Die Sache... Verzeihung, wollen Sie noch etwas dazu sagen?


LAHOUSEN: Ich will sagen, daß das, was ich jetzt ausgeführt habe, in einem gewissen Zusammenhang mit der inneren Entwicklung der Angelegenheit Giraud steht. Wir, also Canaris, ich und die anderen, die davon gewußt haben, als die Sache anlief, hatten gehofft, es werde sich ähnlich entwickeln wie bei Weygand, daß man also die Geschichte einfach auffängt in sich, das heißt, bei mir; daß die laufende Sache, ob sie von Keitel oder Hitler oder Himmler kam, das weiß ich nicht, bei Canaris und dann bei mir hängen bleibt. Diese Sache wäre in unseren Kreisen verhältnismäßig einfach abzufangen oder abzudrehen gewesen. Das war [23] unsere Hoffnung, als sich die Sache Giraud entwickelt hat, aus der Kenntnis des praktischen Verlaufes der Angelegenheit Weygand. Ob das richtig oder falsch war, kann ich nicht beurteilen. Das ist die Erklärung.


DR. NELTE: Ihre Gedankengänge könnten für einen einfachen Fall zutreffen, aber für eine solch hohe, bedeutende Persönlichkeit, wie General Weygand, scheint es nur wohl nicht der Fall zu sein. Aber, auch wenn es so wäre, wenn also die Absicht aus irgendwelchen Gründen bei irgendeiner Stelle bestanden haben sollte, General Weygand zu beseitigen, wie erklären Sie sich dann, daß General Weygand, der später nach Deutschland überführt wurde und in einer alleinstehenden Villa untergebracht war, ohne alle äußeren Beschwerden mit allen Ehren behandelt wurde, und daß ihm persönlich nichts geschehen ist? Es wäre doch wohl verständlich gewesen, daß man, wenn seinerzeit der Befehl, ihn zu beseitigen, ernsthaft an irgendeiner Stelle erörtert worden ist, ihn dann ausführte.


LAHOUSEN: Darauf kann ich nur antworten, daß die Einstellung zu Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ob sie Persönlichkeiten des Auslandes oder des Inlandes waren, eine sehr verschiedene war. Es sind sehr hochgestellte Persönlichkeiten, die des größten Interesses und der größten Gunstbezeigung teilhaftig geworden sind, mitunter innerhalb von 24 Stunden in Konzentrationslagern gelandet.


DR. NELTE: Nun zum Fall Giraud. Sie haben auch hier in gleicher Weise gesagt, daß Admiral Canaris vor Ihnen und auch vor anderen Herren gesagt habe, daß General Giraud auf höhere Weisung beseitigt werden solle.


LAHOUSEN: Ja, das geht ja aus der Bemerkung, die mir ganz klar im Gedächtnis ist und die Pieckenbrock gemacht hat, hervor:

»Herr Keitel soll Herrn Hitler endlich einmal sagen usw...«


DR. NELTE: Also, ich entnehme daraus, daß es sich auch nach der Mitteilung des Admirals Canaris nicht um einen Befehl etwa von Keitel handelte, sondern um einen Befehl Hitlers...


LAHOUSEN:... der im Amt Ausland/Abwehr, in der Befehlslinie mir gegenüber, naturgemäß nur als Befehl Keitels an Canaris in Erscheinung getreten ist. Ich kann nur vermuten, daß es ein Befehl Hitlers war. Ich weiß nicht, ich kann nicht wissen, wer diesen Befehl gegeben hat, weil ich ja da in der Linie aufwärts, von Canaris hinauf, nicht eingeschaltet war. Für mich ist es ein Befehl gewesen von Canaris, zunächst ein Befehl, mit dem ich über Canaris sofort sprechen konnte, genau wie ich heute hier darüber rede.


[24] DR. NELTE: Sie selbst haben ja diesen Befehl nicht gehört?


LAHOUSEN: Selbst gehört habe ich ihn nicht, das habe ich auch niemals behauptet.


DR. NELTE: Aber Sie haben erwähnt, daß Sie zu einem späteren Zeitpunkt auch vom Angeklagten Keitel daraufhin angesprochen...


LAHOUSEN: In ähnlicher Entwicklung, wie beim Falle Weygand.


DR. NELTE:... ohne, daß Sie sich heute irgendeines positiven oder präzisen Ausdrucks, also z.B. Tötung, Beseitigung oder so etwas, erinnern?


LAHOUSEN: Das gebräuchliche Wort war »umlegen«.


DR. NELTE: Ich meine, ist in diesem Zusammenhange Ihnen gegenüber vom Angeklagten Keitel ein solches Wort gebraucht worden?


LAHOUSEN: Selbstverständlich, bei meinem Vortrag, den ich auch vorgemerkt und aufgezeichnet habe, auch mit dem Datum, ebenso wie beim Falle Weygand. Der Fall Giraud ist ja anscheinend, aus welchen Gründen weiß ich nicht und kann ich nicht wissen, dringlicher betrieben worden als die Angelegenheit Weygand; denn es sind im Falle Giraud ja verschiedene Phasen und Zeitpunkte festzustellen, und von mir und Canaris auch festgehalten worden.


DR. NELTE: Sie haben mir die Frage nicht beantwortet. Was hat der Angeklagte Keitel Ihnen bei der Gelegenheit gesagt, als Sie gelegentlich eines Vortrages Canaris' dort waren, und er auf diese Frage Giraud überhaupt zu sprechen kam?


LAHOUSEN: Wieder dasselbe: wie die Angelegenheit stehe; und die Angelegenheit war ganz klar und eindeutig die Umlegung von Giraud; das Thema, das ja in unserem Kreise in ähnlicher Form unter ähnlichen Begleitumständen erörtert und entgegengenommen wurde wie im Falle Weygand.


DR. NELTE: Ja, dies ist Ihr Urteil, aber das ist nicht die Tatsache, die Sie zu bekunden haben, was Ihnen der Angeklagte Keitel gesagt hat. Hat er Ihnen gegenüber oder in Ihrer Anwesenheit den Ausdruck »umlegen« oder »beseitigen« verwendet, von dem Sie sprechen oder... ?


LAHOUSEN: Welchen Ausdruck er gebraucht hat, daran kann ich mich heute naturgemäß nicht erinnern, aber um was es sich gehandelt hat. Daß es sich nicht gehandelt hat, Giraud am Leben zu erhalten oder gefangenzusetzen, dazu wäre ja Gelegenheit gewesen als er im besetzten Gebiete war, sehen Sie, das ist ganz klar.


[25] DR. NELTE: Darauf will ich jetzt zu sprechen kommen. Also, Sie kennen den Vorgang, daß nach der Flucht des Generals Giraud und nach seiner Rückkehr in das unbesetzte Frankreich eine Besprechung stattgefunden hat im besetzten Teile Frankreichs.


LAHOUSEN: Ja, davon habe ich gehört.


DR. NELTE: Daß der Botschafter Abetz mit dem General Giraud eine Besprechung hatte, die die Frage der freiwilligen Rückkehr in die Gefangenschaft zum Gegenstand hatte. Das ist Ihnen bekannt?


LAHOUSEN: Ja, davon habe ich gehört.


DR. NELTE: Ja, dann wissen Sie also auch wohl, daß man damals von dem militärischen örtlichen Oberbefehlshaber über Paris sofort beim Führerhauptquartier anrief. Man glaubte, daß man eine wichtige Mitteilung zu machen habe, nämlich, daß Giraud im besetzten Frankreich sei und festgenommen werden könne.


LAHOUSEN: Es ist mir im wesentlichen bekannt.


DR. NELTE: Dann wissen Sie auch, daß daraufhin damals seitens des OKW, nämlich des Angeklagten Keitel, entschieden worden ist, daß dies nicht geschehen solle.


LAHOUSEN: Das weiß ich nicht.


DR. NELTE: Sie wissen aber, daß General Giraud unbehelligt in das unbesetzte Frankreich zurückgekommen ist.


LAHOUSEN: Selbstverständlich.


DR. NELTE: Also diese eine Frage, die dazwischen liegt, ergibt sich dann ja von selbst.


LAHOUSEN: Ich sage wahrheitsgemäß, daß ich das nicht weiß. Ich hätte es nicht wissen können, wenn es vor mir nicht besprochen worden wäre.


DR. NELTE: Ja, es ist so, und die Tatsachen beweisen es. Ist Ihnen bekannt, daß die Familie des Generals Giraud im besetzten Frankreich wohnte?

LAHOUSEN: Nein, das weiß ich nicht.


DR. NELTE: Ich dachte, die Abteilung Abwehr hätte die Überwachungsdienste dort geleistet?


LAHOUSEN: Nein, da irren Sie sich; meine Abteilung bestimmt nicht. Ich weiß nicht, ob es eine andere gemacht hat.


DR. NELTE: Es ist nur die Frage gestellt, um nachzuweisen, daß der Familie in keiner Weise Ungelegenheiten daraus entstanden sind, daß General Giraud entflohen ist, und auch später, als er sich weigerte, wieder in die Kriegsgefangenschaft zurückzukehren.

Ich habe noch eine Frage, die Ihnen wohl bekannt sein muß, und deren Beantwortung Ihnen vielleicht möglich ist.


LAHOUSEN: Darf ich nochmals auf das Thema Giraud zurückkommen?


[26] DR. NELTE: Das bezieht sich auch auf Giraud.


LAHOUSEN: Gut.


DR. NELTE: Ist Ihnen bekannt, daß eines Tages bei Ihrem Chef Canaris ein Sonderkurier eingetroffen ist, und zwar mit einer Mitteilung des Generals Giraud, in welcher dieser fragte, ob er nach Frankreich zurückkehren könne? Ist Ihnen das, nicht bekannt?


LAHOUSEN: Nein, ich war vielleicht nicht in Berlin anwesend. Ich war ja nicht immer in Berlin.


DR. NELTE: Ich weiß. Ich dachte, daß es vielleicht in den Tagebuchnotizen erörtert sei.


LAHOUSEN: Nein, ich habe ja das Tagebuch nicht geführt, sondern nur ab und zu Beiträge, sofern sie meine Sektion betroffen haben, selbst eingefügt; aber über den ganzen Inhalt bin ich nicht orientiert gewesen.


DR. NELTE: Ich danke.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt für 10 Minuten vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


FLOTTENRICHTER OTTO KRANZBÜHLER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN DÖNITZ: Ich möchte einen Antrag zur Technik des Verfahrens stellen. Im Laufe des Verfahrens werden viele deutsche Zeugen vernommen werden. Es wird darauf ankommen, daß die Aussagen dieser Zeugen genau zur Kenntnis des Gerichts kommen. Ich habe bei der Vernehmung dieses Zeugen versucht, die wirkliche Aussage mit dem englischen Übersetzungstext zu vergleichen. Ich glaube feststellen zu können, daß in einer Reihe von wesentlichen Punkten die Übersetzung nicht genau dem entspricht, was der Zeuge wirklich gesagt hat. Ich möchte deshalb anregen, daß deutsche Stenographen die deutschen Aussagen unmittelbar niederlegen, so daß die Verteidiger Gelegenheit haben, die wirkliche Aussage mit der englischen Übersetzung zu vergleichen und gegebenenfalls die Richtigstellung der Übersetzung zu beantragen. Das ist alles.

VORSITZENDER: Herr Justice Jackson, bitte!


JUSTICE ROBERT H. JACKSON, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Ich möchte dem Gerichtshof sowie den Verteidigern in Anbetracht des eben Erwähnten davon Mitteilung machen, daß eine entsprechende Möglichkeit vorgesehen ist, und daß jede Erklärung in deutscher Sprache niedergeschrieben wird, so daß die Zeugenaussage auf Antrag eines Verteidigers jederzeit überprüft werden kann, wenn sich hierbei irgendwelche Fragen ergeben.


[27] VORSITZENDER: Steht den Verteidigern eine deutsche Niederschrift zur Verfügung?


JUSTICE JACKSON: Ich glaube bisher noch nicht. Wir werden sie jedoch zur Verfügung stellen, wenn sich die Notwendigkeit hierfür ergibt.


VORSITZENDER: Wird die gesamte Aussage niedergeschrieben?


JUSTICE JACKSON: Ich bin nicht vollständig mit der technischen Seite dieses Problems vertraut. Man müßte den entsprechenden Fachmann befragen. Ich weiß lediglich, daß alles niedergeschrieben wird. Jede Aussage wird in vollständigster Form aufbewahrt, und sollte der Verteidiger irgendeinen besonderen Anlaß des Zweifels finden, so kann eine Berichtigung durch den Zeugen selbst oder auf Grund der Schallplattenwiedergabe erfolgen. Im Augenblick hat es keinen Zweck, Schallplatten zur Verfügung zu stellen ohne die notwendigen Lautsprechmaschinen. Ich bin selbst kein Techniker, halte jedoch das letztere für unpraktisch.


VORSITZENDER: Wäre es nicht möglich, das deutsche Stenogramm abschreiben zu lassen und es innerhalb von ein oder zwei Tagen nach der Verhandlung dem Büro der Verteidiger weiterzugeben?


JUSTICE JACKSON: Das erfolgt bereits. Ich glaube, es wäre angebracht, wenn Oberst Dostert Ihnen die Einzelheiten vortragen würde, er ist Fachmann und in dieser Angelegenheit besser unterrichtet als ich. Ich bin davon überzeugt, daß sich in der Frage der genauen Übersetzung keine Schwierigkeiten ergeben werden.


OBERST DOSTERT, CHEF DER DOLMETSCHER: Hoher Gerichtshof! Ein Stenogramm der Verhandlung in allen vier Sprachen wird gleichzeitig niedergeschrieben, und jedes Wort, das deutsch gesprochen wird, wird von deutschen Stenographen sofort niedergeschrieben. Diese Notizen werden abgeschrieben und der Verteidigung zur Verfügung gestellt. Weiterhin besteht eine maschinelle Einrichtung, die jedes Wort niederschreibt, das in irgendeiner Sprache innerhalb des Gerichtssaals gesprochen wird. Im Falle eines Zweifels haben wir die weitere Möglichkeit, die Genauigkeit der Stenogramme durch diese maschinelle Einrichtung zu überprüfen, und es steht der Verteidigung damit frei, die Genauigkeit der Übersetzung zu überprüfen.


JUSTICE JACKSON: Oberst Dostert teilt mir weiterhin mit, daß die Angeklagten selbst 25 Kopien der deutschen Niederschrift täglich erhalten.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich war nicht unterrichtet, daß die deutschen Aussagen auch deutsch stenographiert werden. Ich habe angenommen, daß die übermittelten Protokolle Übersetzungen seien. Wenn wirklich deutsche Stenogramme aufgenommen werden, ist mein Antrag damit erledigt.


[28] VORSITZENDER: Ich glaube, es würde die Verhandlung beschleunigen, wenn die Herren Verteidiger sich, ehe sie Anträge an den Gerichtshof richten, hinsichtlich der Tatsachen erkundigen würden, die sie in ihren Eingaben vorzubringen wünschen.


DR. FRITZ SAUTER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Ich bitte, einige Fragen an den Zeugen stellen zu können: Herr Zeuge, Sie haben vorhin gesagt, daß irgendeinmal ein Befehl herausgegangen sei, wonach russische Kriegsgefangene in einer bestimmten Weise gekennzeichnet werden sollten, und daß dieser Befehl durch den Angeklagten Keitel wieder zurückgezogen worden sei. Das haben Sie doch gesagt?


LAHOUSEN: Ja, ich habe gesagt, davon Kenntnis gehabt zu haben, daß die Absicht bestand...


DR. SAUTER: Ja, nun würde es mich vom Standpunkt des Angeklagten Ribbentrop aus interessieren, und ich bitte, sich darüber zu äußern, ob Ihnen etwas darüber bekannt ist. Ribbentrop behauptet, als er seinerzeit von diesem Befehl zur Brandmarkung russischer Kriegsgefangener Kenntnis erhalten habe, sei er sofort in seiner Eigenschaft als Reichsaußenminister in das Führerhauptquartier gefahren, habe von diesem Befehl den Generalfeldmarschall Keitel verständigt und habe darauf hingewiesen, daß er, Ribbentrop, in seiner Eigenschaft als Reichsaußenminister sowie als Betreuer der völkerrechtlichen Belange gegen eine derartige Behandlung russischer Kriegsgefangener Einspruch einlegen müsse. Mich würde nun interessieren, Herr Zeuge, ist in Ihrem Kreise davon gesprochen worden, wer den Generalfeldmarschall Keitel auf den Befehl aufmerksam gemacht, und wer ihm nahegelegt hat, diesen Befehl zurückzuziehen?


LAHOUSEN: Nein, davon ist mir nichts bekannt. Mir ist nur die Tatsache bekannt, die ich wiedergegeben habe, daß die Absicht bestanden hat und meines Wissens nach, wie ich bei der gestrigen Vernehmung auch hinzugefügt habe, nicht durchgeführt wurde.


DR. SAUTER: Dann hätte ich eine andere Frage, Herr Zeuge: Sie haben gestern von Äußerungen des Angeklagten Ribbentrop gesprochen, insbesondere von einer Äußerung in der Richtung, es müßte eine Aufstandsbewegung in Polen, also nicht in Rußland, sondern in Polen, inszeniert werden. Alle Gehöfte der Polen müßten in Flammen aufgehen, und alle Juden müßten totgeschlagen werden. So ungefähr soll die Äußerung gelautet haben.


LAHOUSEN: Ja.


DR. SAUTER: Nun haben Sie später, ich glaube auf die Frage eines der Herren sowjetischen Ankläger, diese Ihre Aufgaben dahin noch ergänzt, daß Sie von einem Befehl des Angeklagten Ribbentrop gesprochen haben. Mich würde es nun interessieren, ob Sie tatsächlich zum Ausdruck bringen wollen, daß es sich dabei um [29] einen Befehl Ribbentrops an eine militärische Dienststelle gehandelt hat?


LAHOUSEN: Nein.


DR. SAUTER: Und ich darf noch daran erinnern, damit Sie das auch gleich mitbeantworten, daß Sie gestern bei der ersten Verhandlung dieser Angelegenheit von einer Richtlinie gesprochen haben, die, ich glaube, Ihr Vorgesetzter, wie Sie sagten, offenbar von Ribbentrop empfangen habe?


LAHOUSEN: Nein, der damalige Chef des OKW, nicht mein unmittelbarer Vorgesetzter. Mein unmittelbarer Vorgesetzter war ja Canaris. Ich darf es vielleicht der Klarheit halber kurz wiederholen: Es handelt sich um das Thema, das bei der Besprechung im Führerzug am 12. September 1939 behandelt wurde. Diese Besprechungen spielten sich in der zeitlichen und räumlichen Reihenfolge wie folgt ab: Zunächst fand eine kurze Besprechung zwischen dem damaligen Reichsaußenminister von Ribbentrop und Canaris in seinem Wagen statt.


DR. SAUTER: Waren Sie dabei?


LAHOUSEN: Bei der war ich dabei; es wurden allgemeine politische Fragen, Polen und das Thema Ukrainer in Polen behandelt. Mehr ist mir über diese Besprechung, also die erste, nicht bekannt. Dann anschließend fand die Besprechung im Arbeitswagen des damaligen OKW-Chefs Keitel statt; und in dieser Besprechung hat der damalige Chef vom OKW, Keitel, diese von Ribbentrop allgemein erteilten politischen Richtlinien zusammengefaßt und erläutert. Er hat dann bezüglich der Behandlung des polnischen Problems vom außenpolitischen Gesichtspunkt verschiedene Möglichkeiten aufgestellt: es kann dies geschehen, es kann das geschehen; es ist dieser oder jener Fall möglich. Und im Zusammenhang damit hat er gesagt: »Sie, Canaris, haben eine Aufstandsbewegung, welche auf Polen und Juden abzielt, vorzubereiten mit den ukrainischen Organisationen, die mit Ihnen zusammenarbeiten.«

Und dann als Drittes: nicht als eigentliche Besprechung, sondern als Bemerkung beim Abschluß einer ganz kurzen Unterredung des damaligen Reichsaußenministers Ribbentrop und Canaris' ist im Zusammenhang mit dem Thema diese Bemerkung gefallen. Sie ergab eine konkretere Deutung der Absicht, wie diese Aufstandsbewegung durchzuführen sei, was passieren sollte, was mit eingebaut werden sollte. Es ist mir dies deshalb klar in Erinnerung, hauptsächlich wegen der Forderung: Die Gehöfte müßten brennen. Canaris hat ja mit mir darüber später eingehend gesprochen und Bezug genommen auf diese Bemerkung.

Das ist der Ablauf, so, wie ich ihn geschildert habe: Also Richtlinien, Oberbefehl an Keitel, von Keitel in dieser Besprechung an Canaris weitergegeben; und als Bemerkung nochmals Canaris [30] gegenüber wiederholt, wobei ich mich auf das eine, also die brennenden Gehöfte, ganz genau erinnere, weil es ja etwas ganz Außergewöhnliches war.


VORSITZENDER: Es würde dem Gerichtshof von Nutzen sein, nur eine Frage auf einmal zu stellen, und daß der Zeuge einfach mit »Ja« oder »Nein« antwortet, erst hinterher eine Erklärung abgibt, falls er dies für nötig erachtet. Jede Frage sollte jedoch nur einmal gestellt werden, und Fragen und Antworten sollen so kurz wie möglich ausfallen.


DR. SAUTER: Nun, Herr Zeuge, mir fiel etwas anderes auf.


VORSITZENDER: Haben Sie gehört, was ich Ihnen sagte? Verstehen Sie das?


DR. SAUTER: Gestern haben Sie gesagt, diese Äußerungen Ribbentrops finden sich, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nicht im Tagebuch.


LAHOUSEN: Nein, darüber gibt es keinen Eintrag im Tagebuch. Aber im Zusammenhang mit dem Tagebuch Canaris' kann ich das bemerken.

DR. SAUTER: Sie haben ja gestern gesagt, daß Ihnen diese Bemerkung besonders aufgefallen ist.


LAHOUSEN: Ja.


DR. SAUTER: Und heute haben Sie gesagt, General Blaskowitz habe auch auffallende Äußerungen getan. Sie haben aber beigefügt, daß diese Äußerungen von Blaskowitz nicht in das Tagebuch aufgenommen worden sind.


LAHOUSEN: Nein.


DR. SAUTER: Nun fällt mir auf, und ich bitte, diese Frage zu beantworten, warum ist die Bemerkung des Angeklagten Ribbentrop, obwohl sie Ihnen aufgefallen ist, nicht in das Tagebuch aufgenommen worden?


LAHOUSEN: Zu Blaskowitz muß ich folgendes sagen, beziehungsweise wiederholen. Ich habe gesagt: Ich habe nicht gehört und kann nicht annehmen, erstens, daß bei der Besprechung das Thema Blaskowitz im oben erwähnten Sinne erwähnt wurde, und ich kann nicht annehmen, daß dieses Thema bei dieser Besprechung in diesem örtlichen und räumlichen Zusammenhang gefallen ist, sonst wäre es wohl in diesem Aktenvermerk festgehalten gewesen. Es kann durchaus sein, daß die Sache Blaskowitz besprochen wurde zu einem Zeitpunkt oder in einer Situation, wo ich gerade nicht dabeigestanden bin. Das ist möglich. Ich habe ja nur niedergeschrieben, was ich gehört habe, oder was mir Canaris gesagt hat, was festzuhalten sei.


DR. SAUTER: Das hatten Sie aber selbst von Ribbentrop gehört?


[31] LAHOUSEN: Ja. Aber da das Wesentliche nicht verändert wurde, ob Ausrottung, Umlegung, Gehöfte anzünden, es ist letzten Endes dem Sinne nach doch eine terroristische Maßnahme.


DR. SAUTER: Hat von Ribbentrop wirklich davon gesprochen, daß die Juden totgeschlagen werden sollen? Können Sie sich daran bestimmt erinnern?


LAHOUSEN: Jawohl, daran kann ich mich bestimmt erinnern, weil ja Canaris darüber nicht nur mit mir, sondern auch mit anderen anschließend in Wien darüber gesprochen hat und mich immer wieder als Zeugen angerufen hat.


DR. SAUTER: Haben Sie das auch gehört?


LAHOUSEN: Es ist ja damit nicht abgeschlossen gewesen, sondern gerade über dieses Wort oder über diese Worte ist ja sehr viel gesprochen worden.


DR. SAUTER: Herr Zeuge, etwas anderes! Sie haben uns von Mordanschlägen erzählt, für welche Sie oder Ihre Abteilung oder andere Offiziere gedungen oder damit beauftragt wurden. Haben Sie hierüber bei irgendeiner Polizeibehörde die vorgeschriebene Anzeige erstattet? Ich darf darauf hinweisen, daß die Unterlassung einer direkten Strafanzeige nach deutschem Recht mit Gefängnis bestraft wird und in schweren Fällen Todesstrafe nach sich zieht.


LAHOUSEN: Wenn Sie das Wort »deutsches Recht« brauchen, kann ich Ihren Ausführungen nicht folgen, verstehen Sie? Ich bin kein Rechtsanwalt, sondern ein einfacher Mensch.


DR. SAUTER: Soviel ich weiß, ist es auch nach österreichischem Recht strafbar.


LAHOUSEN: Aber das österreichische Recht war zu jener Zeit meines Wissens nach in keiner Form gültig.


DR. SAUTER: Also irgendeine Strafanzeige oder eine dienstliche Meldung hierüber haben Sie, Herr Zeuge, nicht erstattet?


LAHOUSEN: Da hätte ich sehr viele dienstliche Meldungen erstatten müssen: Über Hunderttausende von Mordanschlägen, von denen ich gewußt habe und wissen mußte. Lesen Sie es nach in den Aufzeichnungen; lesen Sie die Erschießungen und dergleichen nach, von denen ich ja zwangsläufig, ob ich wollte oder nicht wollte, weil ich nun mal unglücklicherweise drinnen stand, Kenntnis haben mußte.

DR. SAUTER: Hier handelt es sich ja nicht um begangene Erschießungen, die nicht mehr verhindert werden konnten, sondern um das Planen eines Mordes zu einer Zeit, wo vielleicht eine Verhinderung möglich gewesen wäre.


LAHOUSEN: Darauf kann ich nur antworten: Warum hat derjenige, der aus erster Hand diesen Befehl erhalten hat, nicht [32] dasselbe gemacht? Warum hat er Herrn Hitler nicht angezeigt, zum Beispiel?


DR. SAUTER: Dann hätten Sie als General der deutschen Wehrmacht Herrn Hitler doch gefragt...


LAHOUSEN: Sie überschätzen weit meinen damaligen Dienstrang. General der deutschen Wehrmacht bin ich seit 1. Januar 1945, also vier Monate lang. Damals war ich Oberstleutnant und später Oberst des Generalstabs und nicht im Generalstab.


DR. SAUTER: Sie haben aber doch, Herr Zeuge, im Jahre 1938, unmittelbar nach dem Angriff Hitlers auf Österreich, sich darum beworben, daß Sie von Hitler in die deutsche Wehrmacht übernommen wurden.


LAHOUSEN: Ich habe mich nicht darum beworben. Ich brauchte mich nicht darum zu bewerben. Überall, wo ich im Dienst war, war ich für meine sachliche Tätigkeit bekannt. Ich war ja kein Fremder. Mit Wissen der österreichischen Regierung und auch in einem beschränkten Sinne mit Wissen der deutschen Stellen, das heißt von gewissen Personen, habe ich für die österreichische Regierung in einer klar abgegrenzten Weise mit Dingen zu tun gehabt, die außerhalb der innerösterreichischen Politik gelegen haben. Ich habe genau so, wie ich mit der Wehrmacht zusammengearbeitet habe, auch mit der Italienischen und der Ungarischen Regierung, und zwar mit Kenntnis der österreichischen Regierung und den verantwortlichen Stellen, zusammengearbeitet. Das sind Dinge der Politik, wofür ich nicht zuständig bin.


DR. SAUTER: Aber ich glaube, Ihr Gedächtnis täuscht Sie; denn ganz unmittelbar nach dem Einfall Hitlers in Österreich waren Sie ja in Berlin beim Generalstab und haben sich beim Generalstab, was Sie verneinten, um eine Anstellung beim deutschen Heer beworben. Sie haben damals einen Fragebogen abgegeben, in welchem Sie Ihre restlose Ergebenheit zum Großdeutschen Reich und Adolf Hitler unterschriftlich bekundeten, und Sie haben ja kurze Zeit darauf auch den Treueid auf Adolf Hitler geleistet.


LAHOUSEN: Selbstverständlich, das habe ich genau so getan, wie es alle anderen getan haben, die in dieser Lage und in dieser Stellung aus der einen Dienststelle zur anderen übernommen wurden.


DR. SAUTER: Sie haben vorhin gesagt, Sie haben sich nicht beworben, und ich bin dahingehend informiert, daß Sie sogar eigens in Begleitung von zwei oder drei anderen Offizieren als Erster der österreichischen Armee nach Berlin gefahren sind und den deutschen Generalstabschef Beck gebeten haben, Sie in die deutsche Armee zu übernehmen.


[33] LAHOUSEN: Es ist mir äußerst erwünscht, daß Sie dieses Thema anschneiden, ganz besonders, weil es mir erlaubt, meine Stellung völlig eindeutig klarzulegen. Ich hatte es nicht notwendig, mich um meine künftige Dienststellung in der deutschen Wehrmacht irgendwie zu bewerben. Ich war durch sachliche militärische Tätigkeit bekannt, genau so wie der österreichische Militärattaché bekannt war und ein Militärattaché überhaupt bei dem Lande bekannt ist, in dem er akkreditiert ist. Außerdem, warum ich so rasch hinaufgekommen bin, das kann ich Ihnen ohne weiteres erklären. Ich habe gesagt, daß meine Tätigkeit in der Zusammenarbeit, die nicht von mir bestimmt wurde, sondern von der mir vorgesetzten österreichischen Dienststelle, wohlgemerkt Zusammenarbeit, im österreichischen militärischen Nachrichtendienst mit anderen Staaten lag. Damals hat sich diese gegen ein benachbartes Land, die Tschechoslowakei, gerichtet, und die Tschechoslowakei, wie ich betonen möchte, war ja das nächste Land, das nach Österreich drangekommen ist. Daher war selbstverständlich mein späterer Chef, Canaris, der mich ja aus meiner früheren Stellung her kannte, sehr interessiert, fachlich interessiert daran, daß ich hinauf in sein Amt käme. Er hat sich bemüht und darüber hinaus der Generaloberst Beck, bei dem ich auch war. Andere wissen es auch, und alles soll ich jetzt gesagt haben, was Beck mir damals gesagt hat.


DR. SAUTER: Also stimmt es doch, daß Sie nach Berlin gefahren sind und sich um die Übernahme in die deutsche Wehrmacht beworben haben, was Sie zunächst in Abrede stellten.


LAHOUSEN: Das stimmt nicht! Nicht ich habe mich beworben, sondern andere haben sich um mich beworben. Ich kann Ihnen sogar sagen, ich bin nicht gegangen, ich bin sogar geflogen. Canaris hat sich beworben, Canaris, der mich gekannt hatte, nicht nur in meiner sachlichen Tätigkeit, sondern in meiner inneren Einstellung, ebenso wie mich Marogna gekannt hatte, und wie Generaloberst Beck durch Canaris über mich orientiert wurde. Nicht ich habe mich beworben, sondern andere haben sich beworben aus Gründen, die mir erst später voll klar geworden sind, weil sie meine innere Einstellung gekannt haben, ebenso wie meine österreichischen Kameraden, die um diese Sache gewußt haben – viele waren es nicht und konnten es nicht sein – mich gekannt haben. Das ist die Sache.


DR. SAUTER: Ich habe an diesen Zeugen keine weiteren Fragen zu richten.


VORSITZENDER: Vor dem Kreuzverhör möchte ich mitteilen, daß heute Nachmittag keine öffentliche Gerichtssitzung stattfinden wird.


DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Ich möchte auch einige Fragen an den Zeugen richten: [34] Herr Zeuge, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gestern es als die innere Grundhaltung des Admirals Canaris bezeichnet, daß er dachte, da ihm die Verhinderung des Angriffskrieges auf Polen nicht gelungen sei, dies bedeute das Ende Deutschlands und unser Unglück. Durch einen Triumph des Systems würde das Unglück aber noch vergrößert. Das zu verhindern, sei das Ziel des Admirals Canaris gewesen. Habe ich Sie richtig verstanden?


LAHOUSEN: Mit einer Ausnahme, nicht, daß es ihm nicht gelungen sei, zu verhindern, sondern daß es nicht verhindert werden konnte; das konnte Canaris nicht wissen, denn...


DR. STAHMER: Ist Ihnen bekannt, daß Canaris in den ersten Kriegsjahren sehr aktive Unternehmungen und Sabotage-Organisationen hinter der feindlichen Front hatte und selbst für sie sehr energisch eingetreten ist?


LAHOUSEN: Das ist mir naturgemäß bekannt, und ich habe auch die amerikanischen Behörden, die an dieser Frage interessiert sind, voll aufgeklärt.


DR. STAHMER: Aber wie ist das möglich? Diese Haltung wäre mit seiner Grundeinstellung nicht vereinbar.


LAHOUSEN: Das erklärt sich daraus, daß er ja in dem Kreis, mit dem er in seiner Dienststellung zu tun hatte, niemals so sprechen konnte, wie er tatsächlich dachte, und tausend andere konnten das auch nicht; was ich gesagt habe, ist eine Binsenwahrheit. Wesentlich ist nicht, was er gesagt hatte oder sagen mußte, um einen Zweck zu verfolgen, sondern was er getan hat, und wie er es getan hat. Und das weiß ich und wissen auch andere.


DR. STAHMER: Es handelt sich hier nicht um die Frage, was er gesagt hat, sondern was er tatsächlich getan hat. Er hatte solche Maßnahmen nicht nur vorgeschlagen, sondern hat sich auch für ihre Durchführung eingesetzt; ist das richtig?


LAHOUSEN: Er mußte selbstverständlich immer im Rahmen seiner Dienststellung bleiben, um sich überhaupt zu behaupten. Das war ja das wesentliche, damit er in dieser Stellung blieb, und daß nicht schon 1939 das geschah, was 1944 geschehen ist, nämlich daß Himmler die Sache in die Hand bekam. Ich stelle die zwei, Canaris und Himmler, gegenüber, und ich glaube, ich brauche nicht hinzuzufügen, um was es da letzten Endes gegangen ist, wenn er, Canaris, sich eingesetzt hat, das heißt, scheinbar eingesetzt hat.


DR. STAHMER: Sie erwähnten den Namen Himmler; in diesem Zusammenhang möchte ich gern die folgende Frage an Sie stellen: Ist Ihnen bekannt, daß Admiral Canaris in den ersten Kriegsjahren sein gutes Verhältnis zur SS und die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit der SS wiederholt stark betont hat, so daß [35] der Angeklagte Göring ihm den Rat geben mußte, er möge sich einer größeren Selbständigkeit seines militärischen Apparats der SS gegenüber befleißigen?


LAHOUSEN: Ja, das ist mir bekannt, und ich weiß auch warum.


DR. STAHMER: Warum?


LAHOUSEN: Damit er in der Lage war, zu sehen und zu wissen und auf dem laufenden zu bleiben, was mit den Leuten geschah, und so die Möglichkeit zu haben, einzugreifen, wo und wann es angängig war.


DR. STAHMER: War es die Aufgabe Ihrer Organisationen, beziehungsweise der Organisation des Amtes Canaris, der militärischen Führung rechtzeitig Feindnachrichten von Wichtigkeit zu beschaffen?


LAHOUSEN: Ich verstehe das nicht. Was hat das Amt Canaris damit zu tun?


DR. STAHMER: Ihre Abteilung des Amtes Canaris?


LAHOUSEN: Ja, selbstverständlich, das war die Abteilung I.


DR. STAHMER: Nun, hat Ihr Amt, jedenfalls nach meiner Information, die anglo-amerikanische Truppenlandung in Nordafrika den in Frage kommenden militärischen Abteilungen nicht gemeldet, ist das richtig?


LAHOUSEN: Ich weiß nicht, ich bitte mich nicht verantwortlich zu machen für das Amt. Das ist eine Frage, die der damalige Oberst Pieckenbrock spielend beantworten könnte, nicht ich.


DR. STAHMER: Was den Fall Rowehl angeht, so haben Sie gestern gesagt, daß ein Oberst Rowehl von der Luftwaffe eine Sonderstaffel bildete, die die Aufgabe hatte, Aufklärungsflüge über Polen, England und den Südostraum vor Beginn des Polenfeldzugs auszuführen. Ist das richtig?


LAHOUSEN: Ja.

DR. STAHMER: Und Sie sagten auch, daß Oberst Rowehl bei Canaris gewesen sei, um über diese Flüge zu berichten und auch Aufnahmen vorgelegt habe. Ist das richtig?


LAHOUSEN: Ja, wie sollte ich sonst darüber wissen, ich habe sie ja nicht erfunden.


DR. STAHMER: Ich habe das nicht gesagt! Wie kam Oberst Rowehl dazu, Admiral Canaris darüber Bericht zu erstatten?


LAHOUSEN: Ich glaube, ich habe es gestern gesagt, weil das Amt Ausland/Abwehr, Abteilung I, die Sache durchzuführen hatte.


DR. STAHMER: Haben Sie selbst Aufnahmen gesehen, die über England aufgenommen wurden?


[36] LAHOUSEN: Ja, ich habe sie gesehen.


DR. STAHMER: Wann und wo sind Ihnen diese Bilder vorgelegt worden?


LAHOUSEN: Im Büro von Canaris wurden sie mir gezeigt. Ich hatte damit dienstlich nichts zu tun. Ich war zufällig anwesend, und es hat mich interessiert, was da geschieht.


DR. STAHMER: Was zeigten die Bilder?


LAHOUSEN: Ich kann mich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern. Das waren Aufnahmen, die auf Flügen gemacht wurden.


DR. STAHMER: Die Bilder sind Ihnen nicht dienstlich vorgelegt worden?


LAHOUSEN: Nein, die Bilder sind mir nicht dienstlich vorgelegt worden; ich bin als sich interessierender Zuhörer bei dieser Angelegenheit, so wie ich es geschildert habe, dabeigewesen.


DR. STAHMER: Hat Rowehl schriftliche Berichte über seine Flüge dem Amt gegeben?


LAHOUSEN: Das weiß ich nicht.


DR. STAHMER: Das wissen Sie nicht? Sie sagten dann noch, daß die Staffel Rowehl Flüge von Budapest aus ausgeführt habe.


LAHOUSEN: Ja.


DR. STAHMER: Wissen Sie das aus eigener Erfahrung oder durch andere Feststellungen?


LAHOUSEN: Ich weiß es aus eigener Feststellung. Der Zeitpunkt läßt sich genau festlegen nach dem Kriegstagebuch der Abteilung, weil ich damals selbst in Budapest war, da man mich zu einer Ordensverleihung nach Budapest eingeladen hatte.


DR. STAHMER: Das war vor dem Polenfeldzug?

LAHOUSEN: Ja.


DR. STAHMER: Warum sind diese Flüge von Budapest aus ausgeführt worden?


LAHOUSEN: Das weiß ich nicht. Ich habe schon gestern gesagt, da muß ein Herr von der Luftwaffe dazu Stellung nehmen.


DR. RUDOLF DIX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Zeuge, kennen Sie Herrn Hauptmann Strünck von der Abwehr?


LAHOUSEN: Teilen Sie mir zu dem oben gesagten Namen etwas mit, der Name allein genügt nicht, damit ich meine Erinnerung auffrischen kann.


DR. DIX: Er ist Jurist, der als Reserveoffizier bei der Abwehr gearbeitet hat, ich weiß nicht genau, in welcher Abteilung; aber ich würde sagen, in der Abteilung von Pieckenbrock. Aber, wenn Sie [37] ihn nicht näher kennen, werde ich keine weiteren Fragen an Sie stellen.


LAHOUSEN: Wenn er bei Pieckenbrock war, kenne ich ihn nicht. Ich kannte einige. Ist Strünck noch am Leben?


DR. DIX: Nein, er lebt nicht mehr.


LAHOUSEN: Ist er hingerichtet worden?

DR. DIX: Er hat den Tod erlitten, den Canaris und Oster auch erlitten haben.

Zur Information des Gerichts möchte ich hinzufügen: Ich habe diese Frage gestellt, weil ich Strünck als Zeugen genannt habe. Er ist mir auch als Zeuge genehmigt, und ich wollte die Gelegenheit benutzen...

Aber wenn Sie ihn nicht kennen, werde ich Sie nicht weiter fragen.


LAHOUSEN: Zu der Frage, ob er noch am Leben ist, kam etwas in mein Gedächtnis, daß dieser Mann, im Zusammenhang mit anderen, die ich gut kenne, möglicherweise getötet worden ist; aber ich kann mich nicht genauer ausdrücken.


DR. HEINZ FRITZ, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRITZSCHE: Ich möchte gern einige Fragen an den Zeugen stellen:

Herr Zeuge, ist Ihnen bekannt, daß der Angeklagte Fritzsche, nachdem er im Mai 1942 als Soldat zur 6. Armee gekommen war und dort zum erstenmal von der Existenz eines Exekutionsbefehls gehört hat, dem Oberbefehlshaber der 6. Armee, Paulus, empfahl, für den Bereich seiner Armee diesen Befehl aufzuheben. Dies sollte in Flugblättern, über der russischen Front abgeworfen, bekannt gemacht werden.


VORSITZENDER: Achten Sie darauf, nur eine Frage zur selben Zeit zu stellen. Was Sie gerade fragten, waren drei oder vier Fragen auf einmal.


DR. FRITZ: Jawohl. Ist Ihnen bekannt, daß Fritzsche Paulus den Rat gab, diesen Befehl für den Bereich seiner Armee zu widerrufen?


LAHOUSEN: Dieser Befehl war bereits an die Armee gegeben worden. Wollen Sie mir, bitte, den Zeitabschnitt nennen?


DR. FRITZ: Das war der russische Feldzug, über den wir gestern schon gesprochen haben. Das war im Mai 1942.


LAHOUSEN: Nein! Im Zusammenhang mit der Person Fritzsche ist mir nichts bekannt. Im Zusammenhang mit dem Namen Reichenau, der hier gefallen ist, ist mir ein Gespräch, dem ich beigewohnt habe, zwischen Canaris und Reichenau in Erinnerung, das für mich sehr eindrucksvoll war. Reichenau zeigte sich mir in seiner Auffassung und Beurteilung der Dinge in diesem Gespräch und in [38] diesem Kreis, wo noch andere anwesend waren, wesentlich anders, als ich es von ihm erwartet und selbst angenommen hatte. Aber darüber hinaus ist mir nichts bekannt zu der Frage, die Sie an mich gerichtet haben.


DR. FRITZ: Auch nicht die Tatsache, daß Paulus diesen Befehl für den Bereich seiner Armee aufgehoben hatte?

LAHOUSEN: Nein, nicht in Verbindung mit dem Namen Paulus; aber allgemein glaube ich und habe gestern darauf hingewiesen, daß verschiedene Befehlshaber, deren Namen mir nicht mehr in Erinnerung sind, oder deren Namen schriftlich niedergelegt worden sind, von mir erwähnt wurden.


DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Kennen Sie Herrn Kaltenbrunner?


LAHOUSEN: Kaltenbrunner habe ich ein einziges Mal in meinem Leben an einem Tage, der mir in ganz klarer Erinnerung ist und bleiben muß, gesehen und gehört. Es war auch die erste Zusammenkunft zwischen Canaris und Kaltenbrunner. Sie fand in München im Hotel Regina, und zwar an jenem Tage statt, an dem die beiden jungen Leute, ein Student und seine Schwester, verhaftet und hingerichtet worden waren. Diese hatten Flugblätter in der Universität München in den Saal geworfen. Den Inhalt der Flugblätter habe ich damals noch gelesen, und ich weiß noch, daß sie unter anderem einen Appell an die Wehrmacht enthalten haben. Ich kann diesen Tag ohne Schwierigkeiten rekonstruieren. Es war das erste und letzte Mal, daß ich Kaltenbrunner, dessen Name mir bekannt war, sah. Selbstverständlich hat Kaltenbrunner dieses Thema Canaris gegenüber erwähnt, der, und dafür sind Zeugen vorhanden, die Gott sei Dank leben, völlig erschüttert über das Geschehene war und unter dem Eindruck dieses Tages stand; Kaltenbrunner hat in einer Art gesprochen, die als Zynismus zu bezeichnen noch sehr sachlich ist. Das ist das einzige, was ich zu dieser Frage zu sagen habe.


DR. KAUFFMANN: Kaltenbrunner hat gesagt, Himmler hätte die gesamte Exekutivgewalt für sich vorbehalten. Er hätte nur und ausschließlich den Nachrichtendienst unter sich gehabt. Stimmt das mit dem Inhalt des Gesprochenen überein, wie Sie es wiedergegeben haben?


LAHOUSEN: Ich bitte, welche Beziehung soll das haben zu Kaltenbrunner/Himmler, also den Machtkämpfen, die sich in der SS abgespielt haben mögen, zu dieser einfachen Schilderung einer Begebenheit, die für mich und andere, die anwesend waren, ich kann die Namen nennen, sehr eindrucksvoll war, und zwar aus den Gründen, die ich angegeben habe.


[39] RECHTSANWALT GEORG BÖHM, VERTEIDIGER DER SA: Gestern wurde an Sie die Frage gestellt, ob die Befehle über die Behandlung von sowjetischen Kriegsgefangenen den Leitern der Organisationen, unter anderem auch der SA, bekannt gewesen seien. Darauf haben Sie gesagt, daß diese Befehle ihnen bekannt gewesen sein mußten. Ich möchte Sie nun fragen, wer diese Leute waren, und wie sie geheißen haben?


LAHOUSEN: Wer sie waren und wie sie hießen, weiß ich nicht. Ich habe auch gestern genau erklärt, warum ich das ausspreche. Sie müssen ihnen und einem großen Kreis nach außen bekannt geworden sein, und zwar durch die Auswirkung der Befehle und natürlich durch die Rückkehr von Verwundeten. Das deutsche Volk muß davon Kenntnis bekommen haben.


RA. BÖHM: Mit anderen Worten, es war bloß eine Meinung von Ihnen, aber in keiner Weise eine Tatsache, die auf eine persönliche Wahrnehmung basiert war.


LAHOUSEN: Das war es nicht, ich habe mit keinem SA-Führer persönlich darüber gesprochen. Ich hatte nie etwas mit ihnen zu tun und ich glaube nicht, daß mich irgendeiner genau kennt.


RA. BÖHM: Können Sie darüber eine Aussage machen, ob der Inhalt dieser Befehle, von denen gestern gesprochen worden war, den Formationen der SA gegeben wurde?


LAHOUSEN: Wollen Sie diese Frage bitte wiederholen?


RA. BÖHM: Können Sie mir noch sagen, ob es Ihnen bekannt war, daß der Inhalt dieser Befehle, über welche gestern gesprochen wurde, an Formationen der SA gelangt ist, und zwar auf dem Befehlswege?


LAHOUSEN: Nein, nicht auf dem Dienstwege, aber in der Weise, wie ich es geschildert habe, daß Mitglieder der SA, die auch in der Wehrmacht waren, sahen, was geschah, und, wenn sie zurückkamen, das erzählt haben, genau wie das alle anderen getan haben. Es war nur in diesem Zusammenhang....


RA. BÖHM: Ist Ihnen darüber etwas bekannt, ob Mitglieder der SA im Kriegsgefangenenwesen überhaupt eingesetzt waren?


LAHOUSEN: Im Rahmen des Einsatzes der SA in der Wehrmacht, ja.


RA. BÖHM: Haben Sie darüber eine persönliche Wahrnehmung?


LAHOUSEN: Nein, ich habe das niemals behauptet. Ich meine, ich habe von der SA bereits gesprochen.


RA. BÖHM: Ich habe Sie gefragt, welche SA-Führer darüber wußten, und Sie haben nur geantwortet, diese hätten es wissen müssen.


[40] LAHOUSEN: Ich sagte, die SA-Führer müssen auf diesem Wege etwas erfahren haben.

RA. BÖHM: Und jetzt frage ich, ob die einzelnen Formationen der SA diese Befehle erhalten hatten?


LAHOUSEN: Ich kann nur wiederholen, was ich gestern gesagt habe, und ich glaubte, mich klar ausgedrückt zu haben, auf welchem Wege diese Befehle erteilt wurden. Die Befehle selbst habe ich nicht gelesen, trotzdem weiß ich aber deren Wirkung....


RA. BÖHM: Den Weg kann ich mir selbst denken. Ich fragte:

Wissen Sie, auf welche Weise diese Befehle zu Formationen der SA gelangt sind?


LAHOUSEN: Nein.


RA. BÖHM: Sie wissen es also nicht? Ist Ihnen aus Ihrer persönlichen Wahrnehmung etwas bekannt, daß SA-Angehörige zur Bewachung von Kriegsgefangenenlagern eingesetzt wurden?


LAHOUSEN: Ja, aus meiner persönlichen Wahrnehmung; denn ich selbst habe auf einer Reise zur Heeresgruppe Nord einen SA-Mann erwischt, der einem russischen Gefangenen mit dem Fuß einen Tritt versetzte, und ich habe ihm das Entsprechende gesagt. Ich glaube, daß sich das in meinen Aufzeichnungen befindet, auch eine Episode über einen Arbeitsdienstmann.


RA. BÖHM: Haben Sie diese Vorgänge, von denen Sie hier sprechen, auf dem Dienstwege weitergeleitet und dafür gesorgt, daß Leiter dieser Organisationen davon erfuhren?


LAHOUSEN: Ich habe diesen Vorfall meinem Vorgesetzten gemeldet, beziehungsweise es ist durch meinen Bericht über die Reise mündlich oder schriftlich zur Kenntnis gebracht worden. Über diese und solche Zwischenfälle ist ja gesprochen worden.


RA. BÖHM: Haben Sie etwas in Ihren Aufzeichnungen darüber?


LAHOUSEN: Ja.


RA. BÖHM: Wollen Sie es, bitte, vorbringen?


LAHOUSEN: Ich sehe es gerade nach. Aber diese Aufzeichnung ist über den Arbeitsdienstmann.


RA. BÖHM: Handelt es sich nicht um den SA-Mann?


LAHOUSEN: Nein.


RA. BÖHM: Dann haben Sie zu meiner Frage überhaupt keine Aufzeichnung?


LAHOUSEN: Ich habe das nicht hier. Ich müßte es nachsehen.


RA. BÖHM: Besteht die Möglichkeit, daß Sie diese Aufzeichnungen finden?


LAHOUSEN: Ich müßte die Möglichkeit haben, das ganze Material, das sich in den Händen der amerikanischen Dienststelle befindet, nach- und durchzusehen, und auf diese eine Möglichkeit...


[41] RA. BÖHM: Ich werde das Gericht dann bei Gelegenheit bitten, daß Sie diese Möglichkeit bekommen.

Ich möchte auch nachfragen, ob Sie die Wahrnehmung gemacht haben, daß von den Mitgliedern der SA, von denen Sie festgestellt haben, daß sie für Überwachungstätigkeit eingesetzt waren, Maßnahmen ergriffen worden sind, die dem Inhalt des Befehls gegen Sowjetsoldaten entsprochen hätten?


LAHOUSEN: Nein, persönlich nicht.


RA. BÖHM: Danke sehr.


DR. STAHMER: Ich bitte den Gerichtshof um eine grundsätzliche Entscheidung, ob auch der Angeklagte das Recht hat, persönlich an den Zeugen Fragen zu stellen. Nach dem uns vorliegenden deutschen Text des Statuts, Paragraph 16, erscheint mir das unzweifelhaft.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Frage, die Sie gestellt haben, erwägen und Ihnen später Bescheid geben.

JUSTICE JACKSON: Die amerikanische Anklagevertretung möchte etwas bemerken, falls die Möglichkeit besteht, daß der Gerichtshof zugunsten des Antrags entscheiden sollte.


VORSITZENDER: Es ist vielleicht besser, wir hören Sie jetzt, Justice Jackson.


JUSTICE JACKSON: Ich glaube, es ist ganz klar, daß diese Vorschriften beiderseitig keine Ausnahmen zulassen. Jeder Angeklagte hat das Recht, sich selbst zu verteidigen oder die Hilfe eines Anwalts zu beanspruchen. Es würde dies andernfalls ein Schauspiel geben und keine Gerichtsverhandlung, wenn wir etwas Derartiges tun würden. Als wir dieses Statut aufstellten, wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß einige der Angeklagten, die von Beruf Anwälte sind, sich selbst verteidigen würden. Wenn sie dies tun, so haben sie natürlich alle Vorrechte eines Verteidigers. Wenn sie jedoch einen Verteidiger nehmen, so haben sie nicht das Recht, ihre Verteidigung selbst zu führen, wir können sie dann nicht in Person hören.


DR. STAHMER: Ich darf nochmals darauf hinweisen, daß der Paragraph 16 (E) nach meiner Ansicht ganz klar für meine Auffassung spricht; denn es heißt da, daß der Angeklagte das Recht hat, persönlich oder durch seinen Verteidiger Beweismittel vorzubringen, und daß er jeden von der Anklagebehörde vorgeladenen Zeugen ins Kreuzverhör nehmen kann. Das kann sich nach dem deutschen Text jedenfalls, sowohl dem Worte als auch dem Inhalt nach, nur auf den Angeklagten beziehen. Damit ist nach meiner Auffassung klargestellt, daß der Angeklagte jeden von der Anklagebehörde geladenen Zeugen im Kreuzverhör vernehmen darf.


[42] VORSITZENDER: Möchte einer der anderen Verteidiger den Zeugen im Kreuzverhör vernehmen?


DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL: Ich will nur darauf hinweisen, daß in den schriftlichen Anträgen, in den Antragsformularen, die uns von dem Gericht vorgelegt wurden, sowohl der Angeklagte selbst als auch sein Verteidiger den Antrag stellen kann. Auf dem Bogen ist Platz gelassen für beide Unterschriften; ich folgere daraus, daß der Angeklagte dann auch hier das Recht hat, selbst zu sprechen.


VORSITZENDER: Was ich gefragt habe, war, ob einer der anderen Verteidiger den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen beabsichtigt?


[RA. Böhm ist wieder an das Rednerpult getreten.]


VORSITZENDER: Nun? Würden Sie, bitte, Ihren Hörer anlegen, falls Sie nicht Englisch verstehen. Was wollen Sie fragen? Sie haben den Zeugen bereits im Kreuzverhör vernommen.

RA. BÖHM: Ja! Ich habe den Zeugen vernommen. Aber ich habe von ihm die Möglichkeit eröffnet erhalten, daß er auf Grund eines Vorgangs, den er gelegentlich einer Besichtigungsreise festgestellt hat, eine Meldung gemacht hat, und daß er schriftliche Skizzen dazu besitzt. Ich möchte nun, weil ich den Zeugen noch nicht entlassen kann, den Antrag stellen, es möge dem Zeugen von der Anklage die Gelegenheit gegeben werden, allenfalls vorhandene Skizzen oder Meldungen über seine damals gemachten Feststellungen zur Verfügung gestellt zu bekommen.


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie müssen Ihr Kreuzverhör beenden.


RA. BÖHM: Gewiß.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält es für besser, daß Sie, wenn Sie irgendeinen Antrag hinsichtlich dieses Zeugen machen wollen, dies schriftlich tun.


RA. BÖHM: Ja.


VORSITZENDER: Da kein weiterer Verteidiger das Kreuzverhör fortsetzen will, wird der Gerichtshof sich jetzt zurückziehen, um die Frage, die Dr. Stahmer aufgeworfen hat, zu erörtern, nämlich, ob ein Angeklagter einen Zeugen ins Kreuzverhör nehmen kann, ebenso wie sein Verteidiger.


[Der Gerichtshof setzt die Verhandlung für einige Minuten aus.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die von Dr. Stahmer gestellte Frage sorgfältig erwogen und ist der Ansicht, daß Angeklagte, die durch Verteidiger vertreten sind, kein Recht haben, [43] Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen. Sie haben das Recht, selber als Zeuge zu erscheinen und zum Schluß der Verhandlungen Erklärungen abzugeben. Will die Anklagevertretung noch irgendeine Frage an den Zeugen stellen?

OBERST JOHN HARLAN AMEN, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Eine einzige Frage, Mylord.


VORSITZENDER: Lassen Sie den Zeugen zurückkommen!


OBERST CHARLES W. MAYS, GERICHTSMARSCHALL: Der Zeuge ist abgeführt worden.


VORSITZENDER: Abgeführt worden?


OBERST MAYS: Ja. Er wurde von einem Hauptmann abgeführt, der ihn dem Gerichtshof vorgeführt hat. Man hat jetzt nach ihm geschickt.


VORSITZENDER: Wissen Sie, wie weit er abgeführt worden ist?


OBERST MAYS: Nein. Ich werde es sofort feststellen lassen.


VORSITZENDER: Oberst Amen, sind die Fragen, die Sie stellen wollen, von solcher Wichtigkeit, daß der Gerichtshof auf den Zeugen wartet, oder genügt es, wenn er am Montag zurückgerufen wird?


OBERST AMEN: Ich glaube, es genügt, Euere Lordschaft.


VORSITZENDER: Sehr gut. Der Gerichtshof wird sich vertagen, und ich weise darauf hin, daß in Zukunft ohne besonderen Befehl des Gerichtshofs kein Zeuge abgeführt werden soll, der hier zur Vernehmung ist.


OBERST AMEN: Ich weiß nicht, wie sich das zugetragen hat, Euere Lordschaft. Ich glaubte, der Zeuge wäre noch hier.


[Der Gerichtshof vertagt sich bis

3. Dezember 1945, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 3, S. 7-45.
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