Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

[667] Laut Verordnung vom 29. Mai 1941 übernahm Bormann die bisher von Heß bekleideten Ämter und Vollmachten; die Verordnung vom 24. Januar 1942 erweiterte diese Vollmachten und gab [667] ihm Kontrollgewalt über alle von Hitler erlassenen Gesetze und Richtlinien. Damit war er also verantwortlich für die seitdem erlassenen Gesetze und Befehle. Am 1. Dezember 1942 wurden alle Gaue zu Reichsverteidigungsbezirken, und die Bormann verantwortlichen Gauleiter der Partei wurden zu Reichsverteidigungskommissaren ernannt. Die Wirkung hiervon war, daß diese wirkliche Leiter des gesamten zivilen Kriegseinsatzes wurden. Das war nicht nur der Fall in Deutschland, sondern auch in jenen Gebieten, die von aufgesogenen und eroberten Ländern60 dem Reich eingegliedert worden waren.

Mittels dieses Mechanismus' beherrschte Bormann die rücksichtslose Ausbeutung der unterworfenen Bevölkerung. Sein Befehl vom 12. August 1942 stellte alle Parteiorgane dem Himmlerschen Programm für Zwangsumsiedlung und Entnationalisierung in den besetzten Gebieten zur Verfügung. Drei Wochen nach dem Einmarsch in Rußland nahm er am 16. Juli 1941 mit Göring, Rosenberg und Keitel an der Besprechung in Hitlers Feldquartier teil; Bormanns Bericht zeigt, daß genau umrissene Pläne zur Versklavung und Ausrottung der Bevölkerung jener Gebiete besprochen und abgefaßt wurden. Am 8. Mai 1942 beriet er mit Hitler und Rosenberg die zwangsweise Ansiedlung von Niederländern61 in Lettland, das Ausrottungsprogramm in Rußland und die wirtschaftliche Ausbeutung der Ostgebiete. Er war an der Beschlagnahme von Kunstgegenständen und anderer Vermögenswerte im Osten interessiert. Sein Brief vom 11. Januar 1944 forderte die Gründung einer großangelegten Organisation, um Gebrauchsgegenstände aus den besetzten Gebieten der ausgebombten deutschen Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.

Bormann betätigte sich emsig an der Judenverfolgung nicht bloß in Deutschland, sondern auch in den einverleibten oder eroberten Ländern. Er nahm teil an den Besprechungen, welche zur Überführung von 60000 Juden aus Wien nach Polen unter Mitwirkung der SS und der Gestapo führten. Er unterzeichnete die Verordnung vom 31. Mai 1941, welche die Wirkung der Nürnberger Gesetze auf die einverleibten Ostgebiete ausdehnte. In einem Befehl vom 9. Oktober 1942 erklärte er, daß die dauernde Ausschaltung der Juden aus dem Gebiete Großdeutschlands nicht mehr durch Auswanderung erfolgen könne, sondern nur durch Anwendung »rücksichtsloser Gewalt« in den Sonderlagern des Ostens. Am 1. Juli 1943 unterzeichnete er eine Verordnung, welche den Juden den Schutz der Gerichte entzog und sie der ausschließlichen Rechtsprechung der Gestapo Himmlers unterstellte.

[668] Bormann nahm hervorragenden Anteil am Zwangsarbeiter-Programm. Die Parteileiter beaufsichtigten in ihren jeweiligen Gauen die Zwangsarbeitsangelegenheiten mit Einschluß von Beschäftigung, Arbeitsbedingungen, Ernährung und Unterbringung. Durch Rundschreiben vom 5. Mai 1943 an das Korps der Politischen Leiter, welches bis herunter zu den Ortsgruppenleitern verteilt wurde, erließ er Bestimmungen zur Regelung der Behandlung der Fremdarbeiter, wobei er unterstrich, daß diese in Sicherheitsfragen der Überwachung durch die SS unterstanden, und er ordnete an, daß die bis dahin verübten Mißhandlungen aufzuhören hätten. Ein Bericht vom 4. September 1942 über die Verschickung von 500000 weiblichen Dienstboten aus dem Osten nach Deutschland zeigt, daß Sauckel, Himmler und Bormann diese Aktion beaufsichtigen sollten. Mit der Verordnung vom 8. September wies Sauckel die Kreisleiter an, die Verteilung und die Einweisung dieser weiblichen Dienstboten zu beaufsichtigen.

Bormann erließ auch eine Reihe von Befehlen an die Parteileiter über die Behandlung von Kriegsgefangenen. Am 5. November 1941 untersagte er würdige Begräbnisse russischer Kriegsgefangener. Am 25. November 1943 befahl er den Gauleitern, Fälle von milder Behandlung Kriegsgefangener zu melden. Und am 13. September 1944 befahl er den Kreisleitern, sich mit den Lagerkommandanten zur Zwangsarbeit in Verbindung zu setzen. Am 29. Januar 1943 übermittelte er seinen Leitern Erlasse des OKW, welche den Gebrauch von Feuerwaffen erlaubten, ebenso wie Körperstrafen für widersetzliche Kriegsgefangene, im Gegensatz zu den Bestimmungen der Landkriegsordnung. Am 30. September 1944 unterzeichnete er eine Verordnung, welche dem OKW die Rechtsprechung über Kriegsgefangene entzog und dieselben Himmler und der SS überantwortete.

Bormann trägt die Verantwortlichkeit für das Lynchen alliierter Flieger. Am 30. Mai 1944 verbot er das Eingreifen der Polizei oder die Einleitung von Strafverfahren gegen Personen, die am Lynchen alliierter Flieger teilgenommen hatten. Dies war von einem Goebbels'schen Propagandafeldzug begleitet, welcher das deutsche Volk zu derartigen Handlungen aufhetzte, und die Besprechung vom 6. Juni 1944, wo Regeln über das Lynchen erörtert wurden, gehört hierzu.

Sein Verteidiger, der seine Tätigkeit unter schwierigen Umständen auszuüben hatte, war nicht imstande, dieses Beweismaterial zu widerlegen. Angesichts der Dokumente, welche Bormanns Unterschrift tragen, kann man schwerlich einsehen, ob ihm dies gelungen wäre, selbst wenn der Angeklagte zugegen gewesen wäre. Sein Verteidiger brachte vor, daß Bormann tot sei und daß der Gerichtshof [669] nicht von Artikel 12 des Statuts, welcher ihm das Recht zu einem Strafverfahren in absentia gibt, Gebrauch machen möge. Aber es liegen keine überzeugenden Beweise für Bormanns Tod vor, und daher beschloß der Gerichtshof, wie schon früher bemerkt, ihn in absentia abzuurteilen. Sollte Bormann noch am Leben sein und späterhin verhaftet werden, so bleibt es laut Artikel 29 des Statuts dem Kontrollrat für Deutschland überlassen, irgendwelche mildernde Umstände in Erwägung zu ziehen, und, falls es ihm angezeigt erscheint, das Urteil abzuändern oder zu mildern.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 22, S. 667-670.
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