Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

[602] Beweismaterial liegt vor, welches die Teilnahme der Parteikanzlei unter Heß an der Verteilung von Befehlen zeigt, die mit dem Begehen von Kriegsverbrechen zusammenhängen; daß Heß Kenntnis von den im Osten begangenen Verbrechen gehabt haben mag, selbst wenn er sich nicht an diesen beteiligte, daß er Gesetze gegen die Juden und Polen vorschlug und daß er Erlasse unterschrieb, die gewisse Gruppen von Polen dazu zwangen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Der Gerichtshof glaubt jedoch nicht, daß dieses Beweismaterial gegen Heß ausreicht, um für diese Verbrechen einen Schuldspruch zu begründen.

Wie bereits zu einem früheren Zeitpunkt bemerkt wurde, entschied der Gerichtshof nach eingehender ärztlicher Untersuchung des Angeklagten und Berichterstattung über seinen Zustand, daß gegen ihn ohne Vertagung verhandelt werden sollte. Seitdem wurden weitere Anträge dahingehend gestellt, ihn nochmals zu untersuchen. Diese wurden vom Gerichtshof abgelehnt, nachdem er [602] einen Bericht des Gefängnispsychiaters erhalten hatte. Es mag zutreffen, daß Heß in anomaler Weise handelt, an Gedächtnisschwund leidet und daß im Verlauf dieses Prozesses sein Geisteszustand sich verschlechtert hat. Jedoch liegen keine Anzeichen dafür vor, daß er die Art der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen nicht begreift, oder unfähig ist, sich zu verteidigen. Ein vom Gerichtshof zu diesem Zweck eingesetzter Verteidiger hat ihn bei diesem Prozeß gut vertreten. Es besteht kein Grund für die Annahme, daß Heß geistig nicht völlig gesund war, als die Taten, deren er beschuldigt ist, begangen wurden.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 22, S. 602-603.
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