Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

[623] Auf Grund von 25 Jahren Reden, Schreiben und Predigen des Judenhasses war Streicher als »Judenhetzer Nummer Eins« weitgehend bekannt. In seinen Woche um Woche, Monat um Monat erscheinenden Reden und Artikeln verseuchte er die Gedankengänge der Deutschen mit dem Giftstoff des Antisemitismus und hetzte das deutsche Volk zur aktiven Verfolgung auf. Jede Ausgabe des »Stürmer«, der 1935 eine Auflage von 600000 erreichte, war mit solchen oft pornographischen und widerlichen Artikeln angefüllt.

Streicher war der Leiter des Judenboykotts vom 1. April 1933. Er befürwortete die Nürnberger Gesetze des Jahres 1935. Er war für die Zerstörung der Synagoge in Nürnberg am 10. August 1938 verantwortlich, und am 10. November setzte er sich öffentlich für das Judenpogrom, das zu dieser Zeit stattfand, ein.

Jedoch nicht nur in Deutschland allein vertrat dieser Angeklagte seine Lehren. Schon 1938 begann er, die Ausrottung der jüdischen Rasse zu fordern. 23 verschiedene Artikel aus den Ausgaben des »Stürmer« aus den Jahren 1938 bis 1941, die die Ausrottung »mit Stumpf und Stiel« predigen, sind als Beweismittel vorgelegt worden. Ein Leitartikel im September 1938 war typisch für seine Lehren, in denen der Jude als Bazillus und Pest bezeichnet wird und nicht als menschliches Wesen, sondern als »ein Schmarotzer, ein Feind, ein Übeltäter, ein Krankheitsverbreiter, der im Interesse der Menschheit vernichtet werden muß«. Andere Artikel heben [623] hervor, daß nur nach Vernichtung des Weltjudentums das jüdische Problem als gelöst zu betrachten sei, und sagten voraus, daß in fünfzig Jahren die Judengräber »vielleicht künden werden, daß dieses Mörder- und Verbrechervolk doch noch sein verdientes Ende fand«. (D-810, GB-332.) Im Februar 1940 veröffentlichte Streicher einen Brief eines Lesers des »Stürmer«, der Juden mit Heuschreckenschwärmen verglich, die völlig ausgerottet werden müßten. Das war die Art, wie Streicher die Gedankengänge Tausender von Deutschen vergiftete, und dies war der Anlaß dafür, daß die Deutschen der nationalsozialistischen Politik der Verfolgung und Vernichtung der Juden Folge leisteten. Ein Leitartikel des »Stürmer« vom Mai 1939 beweist klar sein Ziel.

»Es muß eine Strafexpedition über die Juden in Rußland kommen. Eine Strafexpedition, die ihnen dasselbe Ende bereitet, wie es jeder Mörder und Verbrecher zu erwarten hat. Das Todesurteil, die Hinrichtung! Die Juden in Rußland müssen getötet werden. Sie müssen ausgerottet werden mit Stumpf und Stiel.« (D-811, GB-333).21

Als der Krieg in seinen erfolgreichen Anfangsphasen dem Reich immer mehr und mehr Gebiete zuführte, verstärkte Streicher noch seine Anstrengungen, das deutsche Volk zum Haß gegen die Juden aufzureizen. Die Akten enthalten 26 Artikel aus dem »Stürmer« aus der Zeit vom August 1941 bis September 1944; 12 von diesen sind von Streicher selbst verfaßt und verlangen in unmißverständlichen Ausdrücken die Vernichtung und Ausrottung. Am 25. Dezember 1941 schrieb und veröffentlichte er folgendes:

»Soll die Gefahr der Weiterzeugung jenes Gottesfluches im jüdischen Blute endlich ihr Ende finden, dann gibt es nur einen Weg: die Ausrottung des Volkes, dessen Vater der Teufel ist.« (D-832, GB-358).22

Und im Februar 1944 schrieb er einen Artikel:

»Wer aber tut, was ein Jude tut, ist ein Lump, ein Verbrecher. Und der, der als Nachsager es ihm gleichtun will, verdient das gleiche Ende, die Vernichtung, den Tod.« (D-788, GB-376).23

In Kenntnis der Ausrottung der Juden in den besetzten Ostgebieten fuhr der Angeklagte fort, seine Mordpropaganda zu schreiben und zu veröffentlichen. In seiner Aussage in diesem Prozeß leugnete er aufs schärfste jegliche Kenntnis von den Massenhinrichtungen der Juden ab. Das Beweismaterial ergibt jedoch klar, daß er unausgesetzt laufend Informationen von den Fortschritten der »Endlösung« erhielt. Sein Pressephotograph wurde zum Besuch der Ghettos im Frühjahr 1943, dem Zeitpunkt der Zerstörung des[624] Warschauer Ghettos, nach dem Osten geschickt. Die jüdische Zeitung »Israelitisches Wochenblatt«, die Streicher erhielt und las, brachte in jeder ihrer Ausgaben Berichte über die Greueltaten gegen die Juden im Osten und Angaben über die Zahl der Juden, die deportiert und getötet wurden. Zum Beispiel berichteten im Sommer und Herbst 1942 erschienene Ausgaben über den Tod von 72729 Juden in Warschau, 17542 in Lodz, 18000 in Kroatien, 125000 in Rumänien, 14000 in Litauen, 85000 in Jugoslawien, 700000 in ganz Polen. Im November 1943 zitierte Streicher wörtlich einen Artikel aus dem »Israelitischen Wochenblatt«, in dem es hieß, daß die Juden sozusagen aus Europa verschwunden seien, und bemerkte hierzu: »Das ist kein Judenschwindel.« (1965-PS, GB-176.) Im Dezember 1942 sagte Streicher mit Bezug auf einen Artikel in der Londoner »Times« über die die Ausrottung bezweckenden Greueltaten, daß Hitler davor gewarnt hätte, daß der zweite Weltkrieg zur Vernichtung des Judentums führen werde. Im Januar 1943 schrieb und veröffentlichte er einen Artikel, in dem es hieß, daß Hitlers Prophezeiung nun in Erfüllung gegangen sei, und daß das Weltjudentum nun ausgerottet würde und daß es herrlich sei, zu wissen, daß Hitler die Welt von ihren jüdischen Quälern befreie.

Angesichts der dem Gerichtshof vorliegenden Beweise ist es für Streicher nutzlos zu behaupten, daß die von ihm begünstigte Lösung des jüdischen Problems strengstens auf die Kennzeichnung der Juden als Fremde und den Erlaß einer Ausnahmegesetzgebung, wie die Nürnberger Gesetze, beschränkt gewesen sei, wenn möglich ergänzt durch ein internationales Abkommen über die Schaffung eines jüdischen Staates irgendwo in der Welt, wohin alle Juden auswandern sollten.

Streichers Aufreizung zum Mord und zur Ausrottung, die zu einem Zeitpunkt erging, als die Juden im Osten unter den fürchterlichsten Bedingungen umgebracht wurden, stellt eine klare Verfolgung aus politischen und rassischen Gründen in Verbindung mit solchen Kriegsverbrechen, wie sie im Statut festgelegt sind, und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 22, S. 623-625.
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