Nachmittagssitzung.

[348] VORSITZENDER: Dem Gerichtshof liegt ein Antrag von Dr. Stahmer für Göring vor hinsichtlich der Affidavits, die von Dr. Laternser für den Generalstab vorgelegt wurden. Diese Affidavits sollten für Göring in Betracht gezogen werden. Der Gerichtshof wird sie natürlich für Göring ebenso wie für alle anderen in Erwägung ziehen.

M. CHAMPETIER DE RIBES: Die Verteidigung führt ein zweites Argument an: Die Organisationen, so behauptet sie, waren unabhängig voneinander und kannten sich gegenseitig nicht. Die einen waren dem Staat, die anderen der Partei unterstellt, und Staat und Partei übten ihre Tätigkeit auf verschiedenen Gebieten aus. Selbst innerhalb der Organisationen bestanden dichte Scheidewände zwischen den verschiedenen Abteilungen, aus denen sich diese Organisationen zusammensetzten, und diese Abteilungen handelten in völliger Unabhängigkeit. Und auf die Gefahr hin, die am meisten kompromittierten Zellen preiszugeben, bemühen sich die Verteidiger, die größtmögliche Zahl der angeblich isolierten Gruppen der Verantwortlichkeit zu entziehen.

Aber tatsächlich steht dieses Argument im Gegensatz zu allem, was wir über die allgemeine Organisation der Dienststellen des Reiches wissen. Wie Herr Dubost bei dem Beweis der persönlichen Verantwortung der einzelnen Angeklagten gezeigt hat, kann die gegenseitige enge Durchdringung der Organisationen und Dienste nicht in Frage gestellt werden.

Der nationalsozialistische Staat ist totalitär. Seine Funktionäre wie seine Dienststellen sind von einer gemeinsamen Weltanschauung durchdrungen, verfolgen die gleichen Ziele, und die Einheitlichkeit der Handlung ist durch die allgegenwärtige Partei als Ausdruck des politischen Willens des Volkes in dem gesamten Räderwerk des Staates gewährleistet.

In den Texten ist die Verschmelzung von Staat und Partei durch das Gesetz vom 1. Dezember 1933 verwirklicht: Artikel 1 lautet:

»Die NSDAP ist die Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden.« (1395-PS.)

Die öffentlichen Dienststellen müssen mit den Dienststellen der Partei zusammenarbeiten.

Praktisch ist diese völlige Durchdringung und Vereinigung von Staat und Partei durch die Zentralisation der verschiedenen Machtbefugnisse in denselben Händen verwirklicht.

Hitler ist zugleich Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Wehrmacht und Führer der Partei.

[348] Himmler ist Führer der SS, die von der Partei abhängig ist, und gleichzeitig Chef der Polizei, welche dem Staat untersteht.

Die Gauleiter, Parteifunktionäre, sind in den meisten Fällen zugleich Vertreter des Staates in ihrer Eigenschaft als Reichsstatthalter oder als Oberpräsidenten in Preußen.

Der Chef der Parteikanzlei nimmt an der Ausarbeitung der wichtigen Gesetze sowie an der Ernennung der höheren Staatsbeamten teil.

Das Gesetz vom 7. April 1933 gestattet die Amtsentlassung von Staatsbeamten, die verdächtig sind, der Partei nicht genug ergeben zu sein, und wir wissen, mit welcher Brutalität diese Entlassungen im Oberkommando durchgeführt wurden.

Somit ist sowohl in den Tatsachen wie in den Texten die innere gegenseitige Abhängigkeit von Staat, Partei und Wehrmacht auf das engste verwirklicht, und in ihrer konkreten Betätigung ist es unmöglich, den Teil der Verantwortung der einen oder anderen zu unterscheiden.

Ist es nötig, Beispiele anzuführen? Wir haben bereits viele Beispiele geliefert und befürchten, die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs zu lange in Anspruch zu nehmen.

Es genügt wohl, zu erinnern an die enge Zusammenarbeit der Gestapo, des SD, der SS und der Wehrmacht in der gemeinsamen Aufstellung der allgemeinen Weisungen und in der Durchführung der Maß nahmen gegen Mitglieder des Widerstandes, der Repressalien gegen die Zivilbevölkerung und der Ausrottung der Juden.

Finden wir nicht dafür den unzweideutigen Beweis in der wiederholt zitierten Anordnung Hitlers vom 30. Juli 1944:

»Alle Gewalttaten nichtdeutscher Zivilpersonen in den besetzten Gebieten gegen die deutsche Wehrmacht, SS und Polizei und gegen Einrichtungen, die deren Zwecken dienen, sind als Terror- und Sabotageakte folgendermaßen zu bekämpfen:

1.) Die Truppen und jeder einzelne Angehörige der Wehrmacht, SS und Polizei haben Terroristen und Saboteure, die sie auf frischer Tat antreffen, sofort an Ort und Stelle niederzukämpfen.

2.) Wer später ergriffen wird, ist der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben.« (F-873.)

Unterstreicht Hitler nicht mit seiner dreimaligen Erwähnung der Wehrmacht, der SS und der Polizei die enge Zusammenarbeit dieser Organisationen?

Ist es nötig, noch einmal an die zahlreichen Weisungen Keitels, an den Befehl des Feldmarschalls Kesselring vom 14. Januar 1944, [349] an das Kriegstagebuch des Generals von Brodowski zu erinnern, auf Grund welcher die Wehrmacht der Polizei und die Polizei der Wehrmacht für die rücksichtslose Unterdrückung der Widerstandsbewegungen zur Verfügung gestellt wird?

Muß noch an Keitels Befehle erinnert werden, in denen er den Militärbefehlshabern in Frankreich, Holland und Belgien die Anordnung erteilt, die durch Rosenberg organisierte und geleitete Plünderung der Kunstschätze durch die Wehrmacht unterstützen zu lassen?

Hat nicht der für die Gestapo vorgeladene Zeuge Hoffmann in der Sitzung vom 1. August erklärt, daß der »Nacht-und-Nebel«-Erlaß das Ergebnis der Zusammenarbeit des OKW mit dem Reichsjustizministerium war?

So hofft die Verteidigung vergebens, die Verantwortung zu vermindern, indem sie sie zwischen den Dienststellen des Staates und der Partei, zwischen diesen angeblich unabhängigen Organisationen, verteilt.

Sie hat ebensowenig Erfolg, wenn sie zu beweisen versucht, daß innerhalb derselben Organisation die verschiedenen Abteilungen durch dichte Scheidewände voneinander getrennt waren. Wen will sie glauben machen, daß zum Beispiel die Verwaltungsabteilungen des SD und der Gestapo das Ausmaß der Deportationen nicht kannten, da sie doch das schwierige Problem der Transporte zu lösen hatten, oder aber, daß die Dienststelle für Material und Instandhaltung nichts von der Ausrottung durch chemische Verfahren wußte, obwohl sie die Gaswagen zu reparieren hatte?

Tatsächlich sind sämtliche Dienststellen der Gestapo, des SD, der SS und des Oberkommandos für die gemeinsam begangenen Verbrechen solidarisch haftbar, und was für diese Organisationen zutrifft, trifft – wie meine ausgezeichneten Kollegen von der Anklagebehörde bewiesen haben – auch für die Reichsregierung und für die Politischen Leiter zu. Sind die Organisationen weniger schuldig als die eigentlichen Täter, ist das Gehirn weniger verantwortlich als der Arm?

Somit glauben wir, die solidarische Schuld aller Organisationen bewiesen zu haben, und wir beantragen, daß sie als verbrecherisch erklärt werden.

Will das heißen, daß wir beabsichtigen, von den zuständigen Gerichtshöfen die schwersten Strafen gegen alle Mitglieder dieser Organisationen zu erreichen?

Gewiß nicht. Indem wir von Ihrer Rechtsprechung die moralische Verurteilung derjenigen Organisationen fordern, ohne die die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht hätten begangen, werden können, verlangen wir nicht, daß Männer, ohne gehört worden zu[350] sein, verurteilt werden; im Gegenteil, sie können die Mittel zu ihrer persönlichen Verteidigung vor den zuständigen Gerichten geltend machen.

Wenn übrigens das Statut dieses Gerichtshofs fest legt, daß in allen Fällen, in denen der Gerichtshof den verbrecherischen Charakter einer Gruppe oder einer Organisation verkündet hat, dieser verbrecherische Charakter als feststehend angesehen wird und nicht mehr bestritten werden kann, so sagt das Statut doch nirgends, daß alle Mitglieder dieser Gruppen oder Organisationen vor die zuständigen Behörden gestellt werden sollen; und wir sind der Ansicht, daß nur diejenigen verfolgt werden sollen, die in Kenntnis der verbrecherischen Tätigkeit der Gruppe oder Organisation ihr freiwillig angehört haben und die somit persönlich an den von der Gesamtheit begangenen Verbrechen teilgenommen haben.

Andererseits denken wir, daß im Interesse einer reinen Rechtsprechung und in der Hoffnung auf allgemeine Befriedung die Strafen der Schwere der erwiesenen Rechtsbrüche angemessen sein sollen; und während die schwersten Strafen nur gerecht sind im Falle von Verbrechen, deren ein Mitglied einer Organisation persönlich schuldig erkannt wurde, sollte die alleinige Mitgliedschaft – selbst die freiwillige – zu einer dieser Gruppen nur mit Freiheitsstrafen oder sogar nur mit dem Entzug eines Teiles oder der gesamten bürgerlichen und politischen Rechte geahndet werden.

Und wenn der Gerichtshof der gleichen Meinung ist, so verbietet ihm das Statut keineswegs, diese Meinung in der Form auszudrücken, die ihm gegeben erscheint.

Folglich wird Ihr Urteil nicht, wie Dr. Steinbauer in seinem Plädoyer für Seyß-Inquart zu befürchten schien, der Abschluß eines »Prozesses des Siegers gegen den Besiegten« sein. Es wird vielmehr der feierliche und reine Ausdruck der ewigen Gerechtigkeit sein.

Im gleichen Plädoyer versucht Dr. Steinbauer die Worte von Herrn de Menthon der Haltung eines der heldenhaftesten Führer der französischen Widerstandsbewegung, der Präsident der Regierung der Republik geworden ist, als einander widersprechend gegenüberzustellen, indem er uns die Worte George Bidaults in Erinnerung rief, die dieser nach der Befreiung bei einem Besuch von schwerverwundeten Deutschen aussprach: »Kameraden, ich wünsche Euch eine baldige Genesung und eine glückliche Heimkehr.«

Der Verteidiger Seyß-Inquarts hat sich getäuscht. Es besteht kein Widerspruch zwischen den Worten von François de Menthon und jenen von George Bidault, und die Franzosen – ich bin dessen gewiß – ebenso wie alle freien Bürger der Vereinten Nationen sind sich sämtlich darin einig, daß die nötige Strenge gegenüber [351] den Schuldigen mit dem Mitleid gegenüber denjenigen, die vielleicht nur Opfer waren, in Einklang gebracht werden muß.

Indem die kollektiven Organisationen für verbrecherisch erklärt werden und dadurch den zuständigen Behörden gestattet wird, die Schuldigen, aber auch nur die Schuldigen, zu treffen, indem der Welt feierlich bestätigt wird, daß das Gesetz der Moral den Vorrang hat vor der Willkür der Menschen und der Regierungen, und daß dieses Gesetz sowohl für Menschen des öffentlichen Lebens wie auch für solche des privaten Lebens, für Nationen wie für Einzelpersonen Geltung hat, und daß es verbrecherisch ist, dieses Gesetz zu verletzen, wird Ihr Urteil einen wesentlichen Beitrag leisten zu dem großen Werk der allgemeinen Befriedung, an dem die Vertreter der freien Völker in der Organisation der Vereinten Nationen und in der Friedenskonferenz in New York wie in Paris »in der sehr großen Hoffnung der einfachen und rechtlich denkenden Menschen« arbeiten.

GENERAL R. A. RUDENKO1, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter! Wir sind jetzt zum letzten Stadium des Prozesses gekommen, der mit außerordentlicher Genauigkeit und großer Meisterschaft geführt worden ist. In den individuellen Fällen der Hauptkriegsverbrecher, die auf der Anklagebank sitzen, hat die Anklagebehörde schon ein erschöpfendes Beweismaterial vorgebracht. Wir bestehen ebenfalls voll und ganz auf der Anklage gegen die verbrecherischen Organisationen: Die Regierung des faschistischen Deutschlands, den Generalstab und das Oberkommando der Deutschen Wehrmacht, das Korps der Politischen Leiter der Deutschen Nationalsozialistischen Partei, die Geheime Staatspolizei (Gestapo), die Schutzstaffeln der Nationalsozialistischen Deutschen Partei (SS), den Sicherheitsdienst (SD) und die Sturmabteilungen (SA).

Wie im Laufe des Gerichtsverfahrens nachgewiesen wurde, stand an der Spitze Hitler-Deutschlands eine Verschwörerbande, die die Regierungsgewalt und die Verwaltung ganz Deutschlands an sich gerissen hatte.

Eine solche Verschwörergruppe, die in einem Reich von vielen Millionen Einwohnern im Zentrum eines ungeheueren Staatsapparates wirkte, konnte nicht ohne ein ganzes System verbrecherischer Hilfsorganisationen existieren, die die Verschwörer mit abgelegenen Gebieten, die Führer der Hauptstraßen mit denen der Straßen und Gassen verbanden. Deswegen war in Hitler-Deutschland ein Netz von Organisationen tätig unter unmittelbarer und fortwährender Leitung der Verschwörer – das Korps der Politischen[352] Leiter der NSDAP, die Gestapo, die SS, der SD und andere – die eine große Macht besaßen.

Das Gesetz von 1933, durch welches der Apparat der faschistischen Partei mit dem Staatsapparat Hitler-Deutschlands verschmolzen wurde, war ein offenes Eingeständnis dieser Tatsachen in Form eines Gesetzes.

Zur Stärkung der Verbindung zwischen der leitenden Bande und den Organisationen trat jeder der Verschwörer in mehreren Rollen auf, war vielgestaltig: Göring war gleichzeitig Minister, Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Beauftragter für den Vierjahresplan, Reichsleiter und Oberster SA-Führer; Heß war Minister, Stellvertreter Hitlers in der Partei, General der SS- und SA-Verbände; Rosenberg war Reichsleiter der Nationalsozialistischen Partei in Fragen der Ideologie und der Außenpolitik, Minister und Obergruppenführer der SA und so weiter. Wie man den Minister Göring nicht von Göring, dem Obergruppenführer der SA, trennen kann, so sind auch die SS, die Gestapo und die anderen verbrecherischen Organisationen vom Hitler-Regime nicht zu trennen. Man kann sich ein Hitler-Deutschland ohne Bibliotheken, ohne Schulen, sogar ohne Krankenhäuser vorstellen, aber ein Hitler-Deutschland ohne SS und Gestapo war existenzunfähig.

Dieser politischen Tätigkeit zufolge sieht das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs zwei Arten der Teilnahme an den verbrecherischen hitlerischen Gemeinschaften vor:

Artikel 6 des Statuts spricht von der Teilnahme an der verbrecherischen Verschwörung, während Artikel 9 und 10 sich mit der Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen befassen. Diese beiden Begriffe sind organisch und untrennbar miteinander verbunden, denn sie stellen in strafrechtlicher Terminologie den Zusammenhang und die Verbindung dar, die tatsächlich zwischen den Verschwörern und den Organisationen in Hitler-Deutschland bestand.

Für die zwei obengenannten Arten der Teilnahme der Hitler-Leute an den internationalen Verbrechen – die Teilnahme an der Verschwörung und die Mitgliedschaft in den Organisationen – die eng miteinander verknüpft sind, hat das Statut des Internationalen Militärgerichts mit voller Berechtigung für die eine und die andere Art der Teilnahme verschiedene strafrechtliche Folgen festgelegt. Die Teilnahme an der Verschwörung, die ihrem Wesen nach keine sehr große Anzahl von Personen umfassen konnte, wird vom Statut als eine selbständige strafbare Handlung betrachtet. Andererseits wird die Frage der Verantwortung für die Mitgliedschaft in den verbrecherischen Organisationen, die Hunderttausende von Mitgliedern zählten, vom Statut des Tribunals in einer anderen Richtung entschieden. Das Statut des Tribunals, das voll und ganz [353] auf den Grundsätzen des Rechts und der Gerechtigkeit aufgebaut ist, überläßt die Beurteilung der individuellen Verantwortung der Organisationsmitglieder, die sich mit der Klarstellung der Schuld einer großen Anzahl von Einzelpersonen befassen muß, den nationalen Gerichten.

Artikel 10 des Statuts lautet: »Ist eine Gruppe oder Organisation vom Gerichtshof als verbrecherisch erklärt worden, so hat die zuständige nationale Behörde jedes Signatars das Recht, Personen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer solchen verbrecherischen Gruppe oder Organisation... den Prozeß zu machen.«

Auf Grund der Bestimmungen des Artikels 10 des Statuts können Gerichtshöfe in der UdSSR, in den USA, in England, Frankreich und in den 18 Staaten, die sich der Londoner Vereinbarung angeschlossen haben, einen Angeklagten für schuldig erklären; aber sie haben ebenfalls das Recht, zu dem Schluß zu gelangen, daß er, der Angeklagte, gar nicht Mitglied einer Organisation war oder ihr nur formell angehört hat und tatsächlich der Organisation fernstand, und ihn aus diesen Gründen freizusprechen.

Für alle diese und verwandte Fragen waren und bleiben die nationalen Gerichtshöfe zuständig. Diese Gerichtshöfe sind nur in einem grundsätzlich sehr wichtigen Punkt eingeschränkt: Wenn der Internationale Gerichtshof eine Organisation für verbrecherisch erklärt, dürfen die nationalen Gerichtshöfe den verbrecherischen Charakter dieser Organisation weder verneinen noch anzweifeln. Damit ist zum erstenmal in der Geschichte des Rechts die Autorität der einzelnen Länder kraft des Spruches des Internationalen Tribunals eingeschränkt.

Die erwähnte Abgrenzung der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs und der nationalen Gerichtshöfe ist ungeheuer wesentlich zum Verständnis der Bestimmungen des Statuts des Tribunals über die verbrecherischen Organisationen.

In der Tat, gerade weil es die Aufgabe des Gerichtshofs ist, nur die allgemeine Frage des verbrecherischen Charakters der Organisationen zu entscheiden und nicht die einzelnen Fragen der individuellen Verantwortung der Mitglieder dieser Organisationen, definiert das Statut den Begriff »Organisation« nicht und bindet das Tribunal in diesem Falle durch keinerlei formelle Definition.

Das Fehlen einer detaillierten Definition einer verbrecherischen Organisation ist daher keine Lücke im Statut, sondern eine grundsätzliche Stellungnahme, die sich aus dem oben erwähnten Umstand ergibt – und zwar die Übertragung aller konkreten Maßnahmen auf die Organe der nationalen Justiz. Deswegen finden die Versuche, das Vorhandensein gewisser konkreter Merkmale – freiwillige Mitgliedschaft, Kenntnis der Ziele und so weiter – zu verlangen, [354] ehe eine Organisation als verbrecherisch erklärt werden kann, nicht nur keine Stütze im Statut, sondern stehen sogar im Widerspruch mit seinem ganzen Aufbau. Die wesentliche und einzige Aufgabe, die dem Gerichtshof obliegt, besteht nicht in derartigen Untersuchungen, mit denen sich die zuständigen nationalen Behörden befassen und befassen werden, sondern darin, die einzige entscheidende Tatsache festzustellen: Ob diese Organisation durch ihre verbrecherischen Handlungen an der Verwirklichung der Hitlerschen Verschwörerpläne teilnahm.

Im Hinblick auf diese Aufgabe ist die vom Statut vorgesehene Prozeßordnung bezüglich der Strafverfolgung der Organisationen erlassen.

Tatsächlich verbindet das Statut des Gerichtshofs die Lösung der Frage der verbrecherischen Organisationen mit der Notwendigkeit, den Fall eines bestimmten Vertreters dieser Organisation, der auf der Anklagebank sitzt, zu untersuchen. Die Angeklagten im gegenwärtigen Prozeß waren gleichzeitig Teilnehmer an der Verschwörung und führende Mitglieder der Organisationen, über deren verbrecherischen Charakter der Gerichtshof entscheiden muß. Folglich ist jenes Beweismaterial, das schon in den individuellen Fällen der Angeklagten vorgelegt worden ist, auch gleichzeitig wesentliches Beweismaterial für die von ihnen vertretenen Organisationen. Die Dokumente, die von den Anklagevertretern vorgelegt worden sind, haben vollkommen bewiesen, daß die in der Anklageschrift erwähnten Organisationen fortwährend und unmittelbar ein Instrument zur Verwirklichung der verbrecherischen Pläne der Verschwörer waren. Infolgedessen ist durch das Gerichtsverfahren der verbrecherische Charakter dieser Organisationen voll und ganz erwiesen.

Der Gerichtshof hat sich bemüht, die Untersuchung des Falles der Organisationen möglichst vielseitig zu gestalten. Die Mitglieder der angeklagten Organisationen sind durch Rundfunk, Presse und besondere Bekanntmachungen aufgefordert worden, dem Gerichtshof ihre Erklärungen abzugeben. Dem Gerichtshof ist die Anzahl der Personen, die jetzt in den Internierungslagern sitzen und die diese Möglichkeit ausnützen wollten, bekannt. Die Schaffung einer Kommission hat es dem Gerichtshof ermöglicht, eine möglichst große Anzahl von Organisationsmitgliedern zu vernehmen, die in der Folge von zuständigen nationalen Gerichten gehört und verhandelt werden sollen. Als Resultat einer schwierigen Vorbereitungsarbeit wurde eine von der Verteidigung ausgewählte Gruppe von Zeugen dem Gerichtshof unmittelbar vorgeführt. Die Verteidigung, die sich nicht in der Lage sah, die unbestreitbare Beweiskraft der von der Anklagebehörde vorgelegten Beweisdokumente zu widerlegen, beschloß, ihre Zeugen gegenüberzustellen.

[355] Meine Herren Richter! Wir haben diese Zeugen und ihre Aussagen wohl in Erinnerung. Wenn es noch nötig wäre, den Beweis zu führen, daß die Lüge die immerwährende und treue Begleiterin der Hitlerschen Grausamkeiten war, so würden die lügnerischen Aussagen Kaufmanns, Sievers', Mansteins, Reineckes, Bests und anderer dafür als überzeugende Illustration dienen. Diese »Zeugen« haben sich in ihren Bemühungen, die verbrecherischen Organisationen reinzuwaschen, deren führende Mitglieder sie selbst waren, in ganz offensichtliche Widersprüche verwickelt. So stellt es sich nun heraus, daß sowohl die SS wie die Gestapo eine Vereinigung von Auserwählten ist, ein Verein der Edlen, ein Ritterorden. Nicht umsonst wurde Rosenberg schon früher von seiner Verteidigung unter diese Ritter gezählt. Alle glänzen dort von moralischer Sauberkeit und pflegten die Nächstenliebe. Die Obergruppenführer der Berufshenker der SS eilten herbei, um Juden von Mördern und Plünderern zu retten, und der General Brauchtisch war ein glühender Pazifist.

Es ist dabei belehrend, daß nach den Zeugenaussagen die Organisationen, welche die Anklageschrift für verbrecherisch erklärt, ohne Ausnahme sauber und makellos erscheinen. Wer hat denn aber dann die Ermordung von zwölf Millionen friedlicher Bürger ausgeführt? Wer hat die Kriegsgefangenen gemartert, und wer hat aus den besetzten Gebieten Millionen von Menschen zur Sklavenarbeit nach Deutschland verschickt? Wie es sich herausstellt, gibt es keine Verantwortlichen!

Lügen, zynische Lügen, aus dem Munde von Menschen, deren Gewissen vor Morden nicht zurückschreckt und deren Ehre vor Meineid nicht Halt macht, verdienen keine Widerlegung.

Im Laufe der Beweisaufnahme für die verbrecherischen Organisationen wurden von der Anklage ergänzende, schwerwiegende Dokumente vorgelegt, die von neuen Grausamkeiten der Hitlerschen verbrecherischen Organisationen Zeugnis ablegen.

Tatsachen, unbestreitbare Tatsachen stehen fest. Der unerschütterliche Wille des Gesetzes ist klar. Die Zeit ist gekommen, die Folgerungen zu ziehen.

Beim Parteitag im Jahre 1934 erklärte Hitler:

»Nicht der Staat hat uns geschaffen, sondern wir schufen den Staat. – Es ist möglich, daß einige uns für eine Partei halten, während andere uns für eine Organisation halten; wieder andere für noch etwas anderes; aber in der Tat sind wir, was wir sind.«

Der gegenwärtige Prozeß gibt eine erschöpfende und genaue Antwort auf die Frage, was die Hitleristen waren. Mit dem Führer an der Spitze der verbrecherischen Bande der Verschwörer traten [356] diese in verschiedenen Rollen auf und hatten verschiedene Titel – Minister, Gauleiter, Obergruppenführer und dergleichen – und umgaben sich mit einem von ihnen geschaffenen Netz von verbrecherischen Organisationen, die Millionen deutscher Bürger in ihren Krallen hielten. Das war, schematisch dargestellt, die politische Struktur Hitler-Deutschlands.

Die Brandmarkung der in der Anklageschrift aufgeführten Organisationen als verbrecherisch, sowie die Brandmarkung der vorhandenen Verschwörung ist demnach die notwendige Voraussetzung für den Sieg der Gerechtigkeit, den Sieg, nach dem sich alle friedliebenden Völker sehnen.

In Bezug auf die einzelnen Organisationen, die die Anklage als verbrecherisch zu erklären für unentbehrlich erachtet, halte ich es für notwendig, zur Ergänzung der überzeugenden Ausführungen, die bereits von meinen verehrten Kollegen gemacht worden sind, folgendes zu sagen:

Das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei.

Im Absatz I, Paragraph 4, unter »A« der Anklageschrift, der die Überschrift trägt: »Die Nationalsozialistische Partei als Mittelpunkt des allgemeinen Planes oder der Verschwörung« heißt es:

»Im Jahre 1921 wurde Adolf Hitler der oberste Führer (schlechtweg ›der Führer‹ genannt) der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, auch bekannt als Nazi-Partei, die in Deutschland im Jahre 1920 gegründet worden war. Die Nazi- Partei, zusammen mit einer Anzahl ihrer Unterorganisationen, wurde zum Mittel des Zusammenhaltes unter den Angeklagten und ihren Mitverschwo renen und zum Mittel der Ausführung der Ziele und Zwecke ihrer Verschwörung.«

Die gerichtlichen Verhandlungen haben diese Auslegung völlig bestätigt.

Die zahlreichen Verbrechen der Hitler-Clique wurden von der Nazi-Partei, die die treibende Kraft der faschistischen Verschwörung war, inspiriert und geleitet.

Viele von den Angeklagten und sogenannte Entlastungszeugen sagten aus, daß sie Nationalsozialisten waren, die Deutschland vor dem Angriff anderer Staaten schützen wollten. Dies ist eine offensichtliche Lüge. Nur Betrüger können behaupten, daß Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Norwegen, Dänemark, Belgien, Holland, Jugoslawien, die Sowjetunion und andere friedliebende Länder auf die Unversehrtheit und Unabhängigkeit Deutschlands einen Anschlag machen wollten. In Wirklichkeit sind die deutschen Faschisten keine Nationalisten, sondern Imperialisten, für die die Ergreifung fremder Gebiete das grundlegende und bestimmende [357] Ziel zum Zwecke der Expansion des militanten deutschen Kapitalismus ist. Schamlos nannten sie sich Sozialisten. Nur unverschämte Demagogen können behaupten, daß die deutschen Faschisten, die alle demokratischen Freiheiten des Volkes liquidiert und sie durch Konzentrationslager ersetzt haben, Sklavenarbeit in Werkstätten und Fabriken und Leibeigenschaft in den Dörfern Deutschlands und den von ihnen besetzten Ländern einführten, als Verteidiger der Interessen der Arbeiter und Bauern auftraten.

Und wenn diese Imperialisten und Reaktionäre sich in den Mantel der »Nationalisten« und »Sozialisten« hüllten, so taten sie es ausschließlich, um das Volk zu betrügen.

Das Programm der Nazi-Partei selbst enthielt Grundlagen für einen Herrscherplan, für die Ergreifung fremder Gebiete und legte den Grundstein zum Menschenhaß.

In einer der Jahresschriften der NSDAP, die Ley herausgab, heißt es:

»Das Programm ist das politische Fundament der NSDAP und damit das politische Grundgesetz des Staates.

Alle Gesetzesvorschriften müssen im Geiste des Parteiprogramms angewendet werden.

Seit der Machtübernahme ist es dem Führer gelungen, wesentliche Teile des Parteiprogramms über das Grundsätzliche hinaus bis in Einzelheiten hinein zu verwirklichen.«

Die Hitler-Partei ist von der Hitler-Regierung, von der SS, der Gestapo und anderen verbrecherischen Organisationen des Hitler-Regimes nicht zu trennen. Genauso sind die auf der Anklagebank sitzenden Nazi-Häuptlinge von den Henkern von Auschwitz und Maidanek, Babij-Jar und Treblinka nicht zu trennen.

»Was ich erreichte« – sagte Hitler –, »ist der Partei bekannt. Sie erhöhte mich, und ich meinerseits mache sie groß.«

Tatsächlich wurde kurz nach der Hitlerschen Machtergreifung durch den Erlaß vom 14. Juli 1933 die Bildung neuer Parteien verboten. Die NSDAP wurde zur einzigen politischen Partei in Deutschland.

Ich erinnere Sie daran, daß am 1. Dezember 1933 das Gesetz »Zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat« erlassen wurde, in dem es hieß:

»Nach dem Sieg der nationalsozialistischen Revolution ist die NSDAP die Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden.

Zur Gewährleistung engster Zusammenarbeit der Dienststellen der Partei und der SA mit den öffentlichen Behörden [358] werden der Stellvertreter des Führers und der Chef des Stabes der SA Mitglieder der Reichsregierung.«

Paragraph 3 dieses Gesetzes verkündet:

»Den Mitgliedern der NSDAP und der SA (einschließlich der ihr unterstellten Gliederungen) als der führenden und bewegenden Kraft des nationalsozialistischen Staates, obliegen erhöhte Pflichten gegenüber Führer, Volk und Staat.«

Das Gesetz vom 1. Dezember 1933 war eine Grundmaßnahme, die dem Korps der Politischen Leiter der verbrecherischen Nazi-Partei volle politische Macht in Deutschland sicherte, da dieses Gesetz bestimmte, daß die Nazi-Partei den Staat verkörpert.

Um die Massen der Bevölkerung auf die Seite des faschistischen Regimes herüberzuziehen, haben die Hitleristen gleichzeitig mit der Spekulation auf nationale Gefühle und der unerhörten sozialen Demagogie eine schamloseste soziale Bestechung getrieben. Bedeutende Organisationen wurden geschaffen: »Hitler-Jugend«, »Arbeitsfront«, »Sturmabteilungen«, »SS« und dergleichen. Die zahlreichen Mitglieder dieser Organisationen wurden an das faschistische Regime nicht nur durch verschiedenartige Privilegien und materiellen Gewinn gekettet, sondern auch durch eine gegenseitige Bürgschaft für die gemeinsam begangenen Verbrechen. Und die erdrückende Terrormaschine mit ihrem weitverzweigten Netz des Denunziantentums, der Provokation, des Verrats, der Konzentrationslager, der Schnelljustiz, richtete sich gegen solche Elemente, die mit dem Regime unzufrieden waren.

Das System der Verknüpfung der führenden Stellungen in der Nazi-Partei mit den leitenden Stellungen in den terroristischen Organisationen – SS, SD, Gestapo – und der Regierung, trug bei zur Verwirklichung der Pläne der faschistischen Verschwörer, erleichterte die Verwirklichung der Pläne der Unterwerfung und der Kontrolle des deutschen Volkes und Staates.

Reichsführer-SS Himmler war gleichzeitig Reichsleiter der NSDAP.

Reichsaußenminister Ribbentrop war General der SS, und der Stellvertreter des Führers, Heß, war gleichzeitig Reichsminister. Der Präsident des Geheimen Kabinettsrats, Neurath, war General der SS, und einer der Gestapo-Führer, Best, war Kreisleiter der Nazi-Partei und so weiter.

Nachdem sie mit Hilfe ihrer Partei absolute Kontrolle über Deutschland erlangt hatten, gingen die hitlerischen Verschwörer an die Verwirklichung ihrer aggressiven Pläne. In seiner Reichstagsrede vom 20. Februar 1938 erklärte Hitler folgendes:

»Die größte Sicherung dieser nationalsozialistischen Revolution liegt führungsmäßig nach innen und außen in der restlosen Erfassung des Reiches und all seiner Einrichtungen [359] und Institutionen durch die Nationalsozialistische Partei... Jede Institution dieses Reiches steht unter dem Befehl der obersten politischen Führung.«

In meiner Schlußrede habe ich bereits darauf hingewiesen, daß sich die NSDAP unter der Leitung Bormanns in eine führende polizeiliche Organisation verwandelte, die aufs engste mit der deutschen Geheimpolizei und SS zusammenarbeitete; daß der ganze Parteiapparat der NSDAP zur Verwirklichung der verbrecherischen Angriffspläne der Führer Hitler-Deutschlands hinzugezogen wurde; daß der Parteiap parat der NSDAP aktiv an den Maßnahmen der deutschen Militär- und Zivilbehörden zur unmenschlichen Ausbeutung der Kriegsgefangenen und der in die Sklaverei verschleppten Bevölkerung aus den von den Deutschen besetzten Gebieten teilnahm.

Was vor Gericht über die Goebbels'schen Lügen, den Himmlerschen Terror und Ribbentrops Hinterlist gesagt wurde, bezog sich auch auf die Nazi-Partei. Was die Anklagevertretung an Beweisen über die verbrecherische Tätigkeit Görings und Heß', Rosenbergs und Streichers, Schirachs und Franks, Speers und Sauckels vorlegte, waren gleichzeitig Beweise gegen die NSDAP, deren Führer die Angeklagten waren. Diese Beweise genügen vollkommen, um die ganze Nazi-Partei zu einer verbrecherischen Organisation zu erklären im Sinne des Artikels 9 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs. Die Anklage wirft aber nicht die Frage der Verantwortlichkeit der gewöhnlichen, Parteimitglieder auf, von denen viele ihrer Gutgläubigkeit zum Opfer fielen.

Wir stellen die Frage, ob eine Organisation für verbrecherisch erklärt werden soll, in voller Übereinstimmung mit den Folgerungen der Anklageschrift jetzt nur mit Bezug auf das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei, welches das Gehirn, das Rückgrat und die treibende Kraft dieser Partei darstellte, ohne welches Hitlers Verschwörer ihre verbrecherischen Pläne nicht hätten verwirklichen können.

Das Korps der Politischen Leiter war eine besonders ausgewählte Gruppe innerhalb der Nazi-Partei selbst. Die Politischen Leiter waren nach dem Führerprinzip organisiert, welches nicht nur Hitler gegenüber, sondern auch auf das ganze Korps der Politischen Leiter angewandt wurde.

»Grundlage der Organisation der Partei ist das Führerprinzip«

– so hieß es in dem Organisationsstatut der NSDAP.

Jeder Politische Leiter wurde vereidigt. Das Parteistatut legte den Wortlaut des Eides folgendermaßen fest:

»Ich schwöre Adolf Hitler unverbrüchliche Treue. Ich schwöre ihm und den Führern, die er mir bestimmt, unbedingten Gehorsam.«

[360] Alle Politischen Leiter wurden auf dem Wege einer besonderen Auslese ernannt. Ein Unterschied bestand bloß darin, daß die einen – Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter – von Hitler persönlich ernannt wurden, während andere – Leiter der Verwaltung und der Abteilungen des Gaues und des Kreises, sowie Ortsgruppenleiter – vom Gauleiter eingesetzt wurden, und solche Politischen Leiter, wie die Zellenleiter und Blockleiter, wurden vom Kreisleiter ernannt.

Viele dieser Reichsleiter und Gauleiter sind hier vor Ihnen, meine Herren Richter, erschienen.

Auf der Anklagebank sitzen die Reichsleiter Rosenberg, Schirach, Frick. Zusammen mit den abwesenden Reichsleitern Bormann, Himmler, Ley und Goebbels bildeten sie die leitende Spitze der Hitler-Partei und -Regierung, und sie waren auch die Anführer der faschistischen Verschwörung.

Da sitzt der Gauleiter von Franken – Streicher. Der Sklavenhändler Sauckel – Gauleiter von Thüringen. Sie haben von der Henkertätigkeit Erich Kochs in der Ukraine gehört. Auch Erich Koch war ein Gauleiter.

Der Gauleiter von Untersteiermark, Uiberreither, leitete die Massenerschießungen und Massenhinrichtungen in Jugoslawien.

Ich will einige kurze Auszüge, die seine Tätigkeit betreffen, zitieren:

»20. Juni 1942. In der Berichtszeit wurden im Distrikt Celje 105 Personen erschossen und 362 inhaftiert... Der Chef der Sicherheitspolizei wird innerhalb zwei Wochen die Gefängnisse räumen lassen. Ein Teil der Gefangenen wird an andere Gefängnisse überwiesen, während die übrigen erschossen werden. Dadurch werden wir Raum schaffen für die nächste größere Unternehmung.«

»30. Juni 1942. In Celje wurden 67 Personen erschossen, darunter sechs Frauen...«

Gauleiter Wagner wütete im Elsaß, Gauleiter Terboven in Norwegen. Der Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP, Gauleiter Bohle, legte und leitete ein weit verzweigtes Netz der Spionage, der Verwirrung und des Terrors im Ausland; er schuf die sogenannten »Fünften Kolonnen« in den verschiedenen Ländern.

Durch den Erlaß vom 1. September 1939 wurden 16 Gauleiter zu Kommissaren für die Reichsverteidigung ernannt. Später, im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer weiteren Mobilisierung der militärischen Reserven, erhalten die Gauleiter immer wichtigere Funktionen. Jeder Gau wird zu einem Reichsverteidigungsbezirk, und jeder Gauleiter wird zum Kommissar dieses Bezirks. Mit dem Erlaß des Ministerrats für die Reichsverteidigung [361] vom 16. November 1942 wurde festgelegt, daß während des Krieges ganz besondere Funktionen den Gauleitern auch in Fragen der Unterbringung übertragen wurden; ihnen wurden wichtige Kriegsaufgaben übertragen; alle Zweige der deutschen Kriegswirtschaft wurden von ihnen koordiniert.

Am Ende des Krieges waren die Gauleiter Befehlshaber des Volkssturms in den entsprechenden Gebieten.

Erinnern wir uns daran, daß Speer, als er im März 1945 zu Hitlers Bevollmächtigten für die totale Zerstörung wirtschaftlicher Objekte, der Brücken, Eisenbahnlinien und Verkehrsmittel, ernannt wurde – ein Telegramm an die Gauleiter richtete, weil sie auf ihren Posten die Zerstörung wichtiger Objekte beaufsichtigten.

Und nach alledem versucht die Verteidigung die Hitler-Partei als einen Wohltätigkeitsverein und ihre Führer in der Rolle der Dames-Patronesses darzustellen. Sie versucht, den klaren Fall mit einem Haufen schriftlicher Aussagen zu verwirren, die in verschiedenen Gefängnissen und Lagern, in denen verhaftete Faschisten interniert sind, gesammelt wurden.

Der Verteidiger Dr. Servatius versteht, daß der Beweiswert dieser Menge schriftlicher Aussagen überaus zweifelhaft ist. Und er mobilisiert als letztes Argument, daß: »der Verteidiger keine Möglichkeit hatte, die Lager in Österreich zu besichtigen, da aus der Sowjetzone keine Anträge einlaufen«. Aber würden denn damit die Aussagen der Entlastungszeugen überzeugender? Würde denn dadurch, daß Dr. Servatius nicht in Österreich gewesen ist, etwas an der Tatsache geändert? Dr. Servatius wurde die unbegrenzte Möglichkeit gegeben, Lager in der sowjetischen Besatzungszone zu besuchen. Er war in einigen Lagern, er wußte, daß in den in der Sowjetzone herausgegebenen Zeitungen mehrmals über das Recht der Organisationsmitglieder geschrieben wurde, dem Gerichtshof schriftliche oder mündliche Aussagen zu machen. Das wurde auch durch Rundfunk bekanntgegeben. Dr. Servatius hat dies alles gewußt und nichtsdestoweniger versucht, den Gerichtshof zu verwirren. Er hat dies auch in anderen Fällen versucht.

Als Dr. Servatius auf die Verordnung Heß's vom 27. Juli 1935 hinwies und behauptete, daß das Korps der Politischen Leiter nicht bestand und daß die Bezeichnung »Politischer Leiter« nicht offiziell war – verschwieg er, daß es in derselben Verordnung Heß's heißt:

»Der Ausdruck ›Politische Leiter‹ bleibt selbstverständlich in Gebrauch.«

Dr. Servatius erhöht künstlich die Anzahl der Mitglieder der leitenden Gruppe der NSDAP auf 2100000 Personen, um demagogisch der Anklagebehörde vorzuwerfen, sie trachte danach, Millionen Deutscher zu bestrafen. Gleichzeitig behauptet er vollständig [362] grundlos, daß von den Mitarbeitern des Gauleiterapparates 140000 ausschließlich »ehrenamtlich« tätig waren, um dadurch bedeutende Faschistenführer der Verantwortung vor dem Gesetz zu entziehen.

Der infame Faschist Kaufmann, den die Verteidigung in den Zeugenstand rief und der Mitglied der NSDAP seit 1921 und 20 Jahre lang Gauleiter war, soll nichts von den Verbrechen der Hitler-Verschwörung gewußt haben! Überhaupt war er ein »Sozialist« und nur um den Wohlstand der Bevölkerung besorgt.

Ein anderer Entlastungszeuge, Hans Wegscheider, der zwölf Jahre lang Ortsgruppenleiter war, geht in seinen Aussagen noch weiter. Es stellt sich heraus, daß er in diesen zwölf Jahren nicht einmal Zeit fand, »Mein Kampf« zu lesen.

In seinem Bestreben, seine Mithelfer reinzuwaschen, hat ein dritter Zeuge, Meyer-Wendeborn, Kreisleiter seit 1934, sogar Kaufmann übertroffen. Wenn der letztere auf die an ihn gerichtete Frage, ob die Blockleiter und Zellenleiter zu den Politischen Leitern gehörten, bejahend antwortete, so erwiderte Meyer-Wendeborn auf dieselbe Frage: »Nein.«

Man könnte noch an Hand anderer Beispiele die Unzulänglichkeit der Verteidigung beweisen, aber ich glaube, daß keine Notwendigkeit besteht, mit einer Verteidigung zu polemisieren, die Zeugen wie Kaufmann, Wendeborn und ihresgleichen zitiert.

Innerhalb der Politischen Leiter Hitler-Deutschlands – aus Dokument Nummer 12 der Verteidigung geht hervor, daß diese Bezeichnung durch einen Erlaß Heß's vom 27. Juli 1935 gesetzmäßig angenommen wurde – gab es im Rahmen der Partei-Hierarchie der NSDAP die besondere Gruppe der sogenannten »Hoheitsträger«-Machthaber, die eine besondere Stellung einnahmen. Zu der Gruppe der »Hoheitsträger« gehörten zusammen mit den Gauleitern und Kreisleitern auch Ortsgruppenleiter, Zellenleiter und Blockleiter.

Auf den besonderen Charakter der Politischen Leiter, die zu den »Hoheitsträgern« gehörten, wird im »Organisationsbuch der NSDAP« und auch in der besonderen Zeitschrift »Der Hoheitsträger« hingewiesen, welcher vor allen, außer einem besonderen Kreis der Politischen Leiter der NSDAP, der SA und SS geheimgehalten wurde.

Der Inhalt der Zeitschrift »Der Hoheitsträger« zeigt, daß die Politischen Leiter der Nazi-Partei den Maßnahmen und Lehren ständige Aufmerksamkeit schenkten, die im Laufe der Verwirklichung der faschistischen Verschwörung angewandt wurden. In den Jahren 1937/1938 behandelte diese Zeitschrift die folgende Reihe von Fragen:

Verleumderische antisemitische Artikel, darunter auch aus der Feder des nicht ganz unbekannten Ley; Ausfälle gegen die Kirche; [363] Begründungen für die Notwendigkeit der Erweiterung des Lebensraums und Beschaffung von Kolonien; Motorisierung des Heeres; Benutzung der Nazi-Zellen und Blocks zur Erreichung eines für die Hitleristen günstigen Wahlresultates bei Volkswahlen; Führerkult, Kassentheorie und so weiter.

Darüber wurde in jeder Nummer geschrieben. Und danach versucht die Verteidigung zu behaupten, daß das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei nichts über die Pläne der Hitler-Verschwörer wußte!

Die Nazis versuchen, sich heute mit allen Mitteln von der sie kompromittierenden Verbindung mit der Gestapo und dem SD loszusagen; aber diese Verbindung ist unbestreitbar.

Schon am 26. Juni 1935 erließ Bormann eine Weisung, worin es hieß:

»Um eine engere Fühlungnahme zwischen allen Dienststellen der Partei und ihrer Gliederungen mit den Leitern der Geheimen Staatspolizei herbeizuführen, bittet der Stellvertreter des Führers, künftig die Leiter der Gestapo zu allen größeren offiziellen Veranstaltungen der Partei und ihrer Gliederungen einzuladen.«

In einem anderen Erlaß vom 14. Februar 1935, von demselben Bormann unterschrieben, heißt es:

»Da die Arbeit des SD in erster Linie auch der Arbeit der Partei zugute kommt, darf er in seinem Ausbau nicht durch unsachliche Angriffe bei Versagen einzelner gestört werden, muß vielmehr mit allen Kräften gefördert werden.«

Der Gerichtshof hat zahlreiche Beweise für die schwerwiegendsten Verbrechen zu seiner Verfügung, an denen das ganze Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei mitgewirkt hat; von den Reichsleitern bis zu den Blockleitern. Ich erinnere nur an einige von ihnen.

Indem er die Pläne der Hitler-Verschwörer zur Versklavung der Völker Jugoslawiens ausführte, zerstörte der Kreisleiter des Bezirks Pettau mit Hilfe der Ortsgruppenleiter und Blockleiter alle Aufschriften, Tafeln, Plakate und so weiter, die in slowenischer Sprache abgefaßt waren. Dieser faschistische Herrscher ist so weit gegangen, daß er die Gruppenleiter beauftragte,

»... dafür zu sorgen, daß auch auf allen Bildstöcken, Kapellen und Kirchen die slowenischen Aufschriften umgehend restlos entfernt werden.«

In seinem Brief vom 13. September 1944, den er an alle Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter adressierte, teilte Bormann die Abmachung mit dem OKW mit, die feststellte:

»Mitwirkung der Partei beim Einsatz der Kriegsgefangenen ist unerläßlich.«

[364] Darin heißt es weiter:

»Deshalb wurden die im Kriegsgefangenenwesen eingesetzten Offiziere angewiesen, engstens mit den Hoheitsträgern zusammenzuarbeiten. Die Kommandanten der Kriegsgefangenenlager haben ab sofort Verbindungsoffiziere zu den Kreisleitern abzustellen.«

Welcher Art die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit waren und wie die Kriegsgefangenen in Deutschland ausgebeutet wurden, ist allgemein bekannt.

Görings Erlaß vom 27. März 1942 sieht in Verbindung mit der Ernennung Sauckels zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vor, daß Sauckel das Recht habe,

»Weisungen... auch den Parteiorganen, ihren Gliederungen und den angeschlossenen Verbänden zu erteilen.«

Und Sauckel hat dieses Recht voll ausgenutzt. Wie Sauckel in seinem »Programm zum Geburtstag des Führers« schrieb, hat er

»... mit Genehmigung des Führers und des Herrn Reichsmarschalls und ebenso des Chefs der Parteikanzlei«

alle Gauleiter des Deutschen Reiches zu seinen Bevollmächtigten ernannt. Die Aufgaben der Gauleiter wurden in Sauckels Verfügung folgendermaßen beschrieben:

»Herbeiführung einer reibungslosen Zusammenarbeit aller mit Fragen des Arbeitseinsatzes befaßten Dienststellen des Staates, der Partei, der Wehrmacht und der Wirtschaft und damit Ausgleich zwischen den verschiedenartigen Auffassungen und Forderungen zur Erzielung des höchsten Nutzeffektes auf dem Gebiete des Arbeitseinsatzes.«

Am 25. September 1944 erließ Himmler eine streng geheime Verordnung zur »Sicherung der Disziplin und Leistung der ausländischen Arbeiter«. In dieser Verordnung sagt Himmler:

»... Betriebsführer und Betriebsobmänner sind verpflichtet, die stimmungsmäßige Entwicklung unter den ausländischen Arbeitern besonders sorgfältig zu beobachten. Zu diesem Zweck ist eine enge Zusammenarbeit der Dienststellen der Partei, Staat und Wirtschaft mit denen der Gestapo unerläß lich.«

Weiter wurde in dieser Verordnung betont, daß alle in den Betrieben tätigen Männer und Frauen der NSDAP gemäß den Bestimmungen der Kreisleiter und durch die Ortsgruppenleiter verpflichtet werden,

»auch ihrerseits die Ausländer auf das sorgfältigste zu beobachten und die geringsten Wahrnehmungen unverzüglich dem Betriebsobmann zur Weitergabe an den Abwehrbeauftragten, bzw. sofern ein solcher nicht eingesetzt ist, an [365] die zuständige Polizeidienststelle, unter gleichzeitiger Unterrichtung von Betriebsführer und Ortsgruppenleiter, zu melden.«

Dort, wo es keinen Abwehrbeauftragten gab, wurden die Mitteilungen den Ortsgruppenleitern übergeben.

Himmlers Verordnung sah vor:

»Im Interesse einer einheitlichen politischen Ausrichtung werden die Abwehrbeauftragten im Einvernehmen mit dem Leiter der Gestapo durch die Kreisleiter nach Bedarf zusammengerufen und über die politische Lage unterrichtet.«

Das ist es, woraus die »politische Leitung« der Kreisleiter und Ortsgruppenleiter bestand. Auch die Blockleiter übten diese Spionage-Funktionen aus. Darüber spricht ganz offen »Das Organisationsbuch der NSDAP«.

»Die Verbreiter schädigender Gerüchte hat er feststellen zu lassen und sie an die Ortsgruppe zu mel den, damit die zuständige staatliche Dienststelle benachrichtigt werden kann.«

Der Blockleiter war der

»Prediger und Verfechter der nationalsozialistischen Weltanschauung gegenüber den seiner politischen Betreuung anvertrauten Volks- und Parteigenossen«.

Er warb Mitglieder für die Hitler-Jugend, die SA, die SS und für die Deutsche Arbeitsfront. Er sorgte für den Besuch der nationalsozialistischen Versammlungen, die Teilnahme an den Demonstrationen und so weiter.

»Der Blockleiter treibt nationalsozialistische Propaganda von Mund zu Mund.«

Welcher Art die nazistische Propaganda war, ist allen gut bekannt:

»Wir wollen wieder Waffen!« schrieb Hitler. »Dann muß allerdings, von der Fibel des Kindes angefangen bis zur letzten Zeitung, jedes Theater und jedes Kino, jede Plakatsäule und jede freie Bretterwand in den Dienst dieser einzigen großen Mission gestellt werden.«

Nicht jeder Deutsche kannte diese Worte Hitlers, aber jeder Deutsche kannte den Blockleiter seines Bezirkes, und dieser Blockleiter verbreitete ununterbrochen die faschistische Seuche, vergiftete das Bewußtsein der Menschen und förderte somit die Ausführung der allgemeinen Pläne der Hitler-Verschwörer.

Die Blockleiter waren kleine Führer, aber auch sie erfreuten sich einer recht realen Macht über die in ihrem Bezirk lebenden Bürger.

[366] Gewiß, die Blockleiter arbeiteten die Pläne zum Angriffskrieg nicht aus, aber sie haben sehr viel dazu beigetragen, daß diese Pläne verwirklicht wurden.

Sie bildeten ebenfalls einen sehr wichtigen Teil der Nazi-Partei, die das Herz der faschistischen Verschwörung war.

Deswegen bestehen wir darauf, daß das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei als eine verbrecherische Organisation erklärt wird: Alle großen und kleinen Führer, Reichsleiter und Gauleiter, Kreisleiter und Ortsgruppenleiter, Zellenleiter und Blockleiter, kurz, das ganze Korps der Politischen Leiter des ungeheuerlichen Mechanismus der faschistischen Diktatur.

Die Schutzstaffeln – »SS«

In der Reihe der übrigen Verbrechen der Organisationen, die vom deutschen Faschismus geschaffen worden sind, muß man den sogenannten Schutzstaffeln, oder abgekürzt SS, einen besonderen Platz einräumen.

Mit dem Namen »SS« sind die schwersten Verbrechen des deutschen Faschismus verbunden – die Massenmorde in den Konzentrationslagern, die erbarmungslose Behandlung von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen und die unmenschlichen Massenaktionen.

Es waren gerade die SS-Leute, die die Pläne Hitlers und seiner Clique für den Völkermord praktisch durchführen sollten.

Himmler, der Reichsführer-SS, nannte die SS-Leute oft »Das Schwarze Korps«. Genauso, nämlich »Das Schwarze Korps«, hieß das offizielle Blatt der SS-Leute, das Organ des Reichsführer-SS.

Das war kein zufälliger Titel. Das ganze System der SS, angefangen von der Allgemeinen SS bis zu den Lagerwachen und der Waffen-SS, war tatsächlich ein besonderes Korps von Verbrechern: Sie waren überzeugt, daß sie nicht bestraft werden würden, sie waren im Geiste der grausamsten und unmenschlichsten hitlerischen »Theorien« geschult und erzogen worden. Die faschistischen Hauptverschwörer brauchten besondere Masseneinheiten, um Millionen von Menschen der unterjochten Völker zu morden, um Gebiete an sich zu reißen und die sogenannte »Germanisierung« praktisch durchzuführen. Diese Aufgaben wurden eben von den Mitgliedern der SS durchgeführt.

Die Organisation der SS wurde ins Leben gerufen als Prätorianer-Garde Hitlers und ist als Organisation von Pogrom-Veranstaltern und Mördern berüchtigt geworden. Sie blieb sich während ihres ganzen Bestehens treu.

Zusammen mit anderem Beweismaterial wurde von der Anklagebehörde der Sowjetunion eine Nummer der Zeitung »Das Schwarze [367] Korps« vom 20. August 1942 mit einem darin veröffentlichten Leitartikel mit der Überschrift »Germanisieren?« vorgelegt. Die in diesem Artikel enthaltenen Programmpunkte Himmlers sind von solcher Wichtigkeit, wenn man das Wesen der SS erkennen will, daß ich mir von neuem erlaube, einen kurzen Auszug aus diesem Artikel zu zitieren:

»Daher der Auftrag des Reichsführer-SS, dafür zu sorgen, daß im Osten nur Menschen wirklich deutschen, germanischen Blutes wohnen.«

Dieser Artikel wurde zur Belehrung aller SS-Leute veröffentlicht zu einem Zeitpunkt, als der verbrecherische deutsche Faschismus noch seines Sieges sicher und schon darangegangen war, die Vernichtung von Millionen von Menschen praktisch durchzuführen.

Am 4. Oktober 1943 erklärte der Schöpfer der SS, Himmler, im Laufe einer Gruppenführertagung der SS in Posen, über die Vernichtung der Juden in Europa folgendes – ich lese das Zitat aus dieser Rede nicht, weil sie gestern von meinem Kollegen Sir David vorgelesen worden ist.

Ich werde nicht bei der Geschichte der SS verweilen. Im Zusammenhang mit dem oben Erwähnten möchte ich nur sagen, daß die schon 1925 gegründeten Schutzstaffeln durch einen besonderen Führererlaß vom 20. Juli 1934 zu einer selbständigen Organisation der Hitler-Partei erhoben worden waren, und zwar gerade nachdem die SS die politischen Morde vom 30. Juni 1934 begangen hatte.

Im Hitler-Erlaß steht folgendes:

»Im Hinblick auf die großen Verdienste der SS, besonders im Zusammenhang mit den Ereignissen des 30. Juni 1934, erhebe ich dieselbe zu einer selbständigen Organisation im Rahmen der NSDAP.«

Die Geschichte der Entwicklung der SS im System des Hitler-Staates zeigt einen immer größer werdenden Zusammenschluß der SS, der sogenannten »Allgemeinen SS«, und auch der »Waffen-SS«, mit dem Polizei-Apparat... der Gestapo, dem SD, den Einsatzgruppen und Einsatzkommandos, die die Massenaktionen und die »Filtrierung« in den Lagern und so weiter durchführten.

Diese Entwicklung würde bestätigt durch einen Geheimerlaß Hitlers vom 17. August 1938, in dem er die Gründe erklärte, aus welchem er am 17. Juni 1936 die Aufgaben des Chefs der Deutschen Polizei mit denen des Reichsführer-SS vereinigt hatte. Hitler erklärte:

»Durch die Ernennung des Reichsführer-SS zum Chef der Deutschen Polizei beim Innenministerium am 17. Juni 1936 habe ich die Grundlage für eine Vereinigung und Reorganisation der deutschen Po lizei gelegt.

[368] Durch diese Maßnahme sind die Schutzstaffeln des Nationalsozialismus, die unter der Führung des Reichsführer-SS und Chefs der Deutschen Polizei stehen, in enge Verbindung mit der deutschen Polizei getreten.«

Nur in dieser engen organischen Verbindung mit dem grausamsten, eigens für Quälerei und Vernichtung von Menschen geschaffenen Polizeiorgan, das von dem deutschen Faschismus ins Leben gerufen worden ist, kann man die Rolle der SS richtig verstehen.

Diese Umstände hat die Verteidigung ohne Erfolg zu leugnen versucht. Sie versuchte, die Organisation der SS dem Gerichtshof als vollkommen voneinander durch unüberwindliche Schranken getrennte Zellen darzustellen – so zum Beispiel die Allgemeine SS, die Waffen-SS, die SS-Verfügungstruppe und die Totenkopfverbände.

So soll angeblich keiner dieser Verbände und keine der Abteilungen der SS außer einem kleinen Teil der Totenkopfverbände irgendeine Verbindung zur Polizei und zu den Konzentrationslagern gehabt haben; ebensowenig wie zu den von Hitler, Himmler, Heydrich und Kaltenbrunner durchgeführten polizeilichen »Aktionen« und anderen schweren Verbrechen der Hitler-Leute. Nach Meinung der Verteidigung waren die einzigen Teilnehmer an den Verbrechen dieser Henker nur die Gestapo-Leute Müller und Eichmann und der Chef der Gruppe »D« in der SS, Pohl.

Es sieht nun so aus, als ob gerade diese sieben Personen mehr als zehn Millionen Menschen gefoltert und getötet hätten.

In der Reihe der dem Gerichtshof bekannten lügnerischen Zeugen müssen die Entlastungszeugen der SS, wie der ehemalige oberste Führer der SS und Polizei des Oberabschnitts München, der Obergruppenführer der SS Baron von Eberstein, der Generaloberst der Waffen-SS Hauser, der Chef der Ergänzungsabteilung der Waffen-SS Brill oder die SS-Richter Reinecke und Morgen eine der ersten Stellen, wenn nicht die erste Stelle einnehmen, was ihre schamlosen Lügen anbetrifft, zu denen sie griffen, um die SS-Leute zu schützen.

Jedoch auch Lügen haben ihre Grenzen.

Nachdem sie auf die äußerste Spitze getrieben worden waren, konnten sie nicht nur den Verbrechern nicht helfen, sondern im Gegenteil entlarvten sie sogar.

Und mir scheint es, daß der Hohe Gerichtshof den Beweiswert der Aussagen des SS-Reserverichters Morgen, der eines der grausamsten Konzentrationslager der SS, Buchenwald, fast als Sanatorium für die Häftlinge mit guter Verpflegung, Sportplätzen, [369] leichter Arbeit in frischer Luft und einer großen Bibliothek schildert, richtig zu schätzen wissen wird.

Die dummen Lügen der Entlastungszeugen für die SS stehen in krassem Gegensatz zu den Dokumenten, die den verbrecherischen Charakter der Organisation beweisen. Diesen Lügen steht außerdem noch die unwiderlegliche Logik der Tat, Tatsachen von begangenen schwersten Verbrechen, deren Organisatoren und Ausführende Mitglieder aller Zweige und Organisationen der SS waren, gegenüber.

Zu Beginn des Krieges bestand die SS aus folgenden wichtigen Gliederungen:

  • 1. Die sogenannte »Allgemeine SS«, in der die SS-Männer eine allgemeine Schulung erhielten, bevor sie in die Waffen-SS oder in die eine oder andere Polizeiabteilung eingesetzt wurden. Die »Allgemeine SS« war das Reservoir, aus dem die Sonderorganisationen des deutschen Faschismus, wie die »Geheime Staatspolizei« (Gestapo), der »Sicherheitsdienst« (SD), die Konzentrationslagerverwaltungen (Gruppe D) und andere ihren Nachwuchs schöpften.

  • 2. Die »Waffen-SS«, die in Wirklichkeit durchaus nicht jene »Gardeabteilung« der früheren Deutschen Wehrmacht, weit entfernt von allen polizeilichen Handlungen, darstellte, wie die Verteidigung und die Angeklagten glaubhaft zu machen versuchten. Zur Waffen-SS gehörten unter anderem auch jene Ämter, deren verbrecherischen Charakter selbst die Verteidigung der SS nicht zu bestreiten wagte, und zwar die Lagerkommandanturen der Waffen-SS, die die Massenvernichtungen von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen in den Konzentrationslagern durchführten. Gerade die Waffen-SS, der auch die Polizeiabteilungen der SS unterstanden, bestand aus jenen Truppenteilen, die die Vernichtung von bewohnten Ortschaften und Dörfern durchführten und unzählige Verbrechen in den vorübergehend besetzten Gebieten der Sowjetunion und in den anderen Ländern Ost-Europas begingen.

  • 3. In das System der SS waren die Wirtschaftsverwaltungen der SS eingebaut, die die Konzentrationslager sowie die Ämter zur Festigung des deutschen Volkstums verwalteten und welche praktisch die schändliche Rassentheorie verwirklichten. Ferner alle Polizeiorganisationen der Hitler-Leute, unter ihnen auch solche wie die Einsatzgruppen und Sonderkommandos.

Es lohnt sich nicht, mit der Verteidigung darüber zu polemisieren, daß die Verbindung zwischen der SS und der Polizei nur eine rein »äußerliche« gewesen und nur durch die Personalunion Himmlers zu erklären sei.

Es ist allgemein bekannt, welchen Wert Himmler darauf legte, daß alle Beamten der Polizei gleichzeitig Mitglieder der Allgemeinen [370] SS sein mußten, welche das Reservoir und den Grundstein des ganzen SS-Polizeisystems des deutschen Faschismus bildete. Unter anderen Beweisdokumenten wurde dem Gerichtshof ein Brief Himmlers vom 24. April 1943 an Kaltenbrunner vorgelegt, der sich mit der Aufnahme von Beamten der Sicherheitspolizei in die Reihen der SS beschäftigt für den Fall, daß der Antragsteller

»rassisch und weltanschaulich in die SS paßt und auch entsprechend der Zahl seiner Kinder eine wirklich gesunde SS-Sippe garantiert und nicht krank, absterbend und wertlos ist«.

Diesem schändlichen »Schwarzen Korps« des deutschen Faschismus war eine ganz besondere Rolle in der Verwirklichung der verbrecherischen Pläne des deutschen Faschismus zugedacht.

Diesen Entarteten in SS-Uniform, die jegliche Vorstellung von menschlicher Moral verloren hatten, wurde nicht nur Straffreiheit für ihre Verbrechen zugesagt, sondern täglich eingeflößt, daß gerade sie »die vollwertige Rassenschicht seien«, die die Grundlagen des zukünftigen Großdeutschen Reiches bilden würden.

Dies erklärte ihnen Himmler, dies erklärten die Reichsleiter und Gauleiter, die von Himmler die höchsten Ämter in der SS erhalten hatten und die je nach Bewertung ihrer Tätigkeit durch den Reichsführer-SS in der Hierarchie der SS aufstiegen.

Der Reichsaußenminister des faschistischen Deutschlands, Ribbentrop, schämte sich gar nicht, daß er den gleichen SS-Rang wie der Mörder Pohl oder der Henker und Räuber Globocznik hatte; er war sehr stolz darauf:

»Ich werde es immer als eine besondere Ehre empfinden, diesem stolzen Führerkorps, das für die Zukunft unseres Großdeutschen Reiches von entscheidender Bedeutung ist, anzugehören«

schrieb Ribbentrop in einem Brief an Himmler, als er vom Gruppenführer zum Obergruppenführer der SS befördert worden war.

So verband das System der SS den Kommandanten von Treblinka Unterscharführer Kurt Franz, den Erfinder der Gaswagen Untersturmführer Becker, den an lebendigen Menschen experimentierenden Hauptsturmführer Dr. Rascher und den Reichsminister SS-Obergruppenführer Ribbentrop.

Bei der SS-Gruppenführer-Tagung in Posen erklärte Himmler über die Einheit der SS mit der Polizei folgendes:

»Ich tue hier immer etwas dazu, immer wieder wird ein Band um diese Bündelteile herumgeschlungen, um sie zusammenwachsen zu lassen. Wehe, wenn sich diese Bänder einmal lösen würden; dann würde alles – davon seien Sie [371] überzeugt –... in kurzer Zeit in seine alte Bedeutungslosigkeit zurücksinken... Ich glaube bloß, daß wir das vor Deutschland, vor Germanien, nicht verantworten könnten, denn dieses germanische Reich braucht den Orden der SS. Es braucht ihn wenigstens für die nächsten Jahrhunderte.«

Abschließend sagte er folgendes:

»... Wenn der Krieg gewonnen ist, dann, das sagte ich Ihnen schon, beginnt unsere Arbeit.... Daß aus diesem Orden, aus dieser rassischen Oberschicht des germanischen Volkes die zahlreichste Nachzucht hervorgeht. Wir müssen in 20 bis 30 Jahren wirklich die Führungsschicht für ganz Europa stellen können. Wenn die SS zusammen mit den Bauern, wir zusammen mit unserem Freund Backe, dann die Siedlung im Osten betreiben, großzügig, ohne jede Hemmung, ohne jedes Fragen nach irgendwelchem Althergebrachten, mit Schwung und revolutionärem Drang, dann werden wir in 20 Jahren die Volkstumsgrenze um 500 km nach Osten herausschieben... Wir werden dem Osten unsere Gesetze aufdiktieren. Wir werden vorbrechen und uns nach und nach vorpreschen bis zum Ural.«

Es ist unmöglich, in einer kurzen Rede alle schweren Verbrechen, die von den SS-Leuten begangen worden sind, aufzuzählen.

Aber es ist auch nicht nötig, da die vorgelegten Beweisdokumente frisch in Erinnerung des Gerichtshofs sind. Ich werde kurz zu einigen Punkten Stellung nehmen, die sich auf die Verantwortung einzelner SS-Gruppen beziehen im Zusammenhang mit den Einwänden, die von der Verteidigung gemacht worden sind.

Die Allgemeine SS.

Ganz gleich, welcher Spezial-Abteilung der SS ein Mitglied der SS angehörte, vor allem war er Mitglied der Allgemeinen SS; und der Ausschluß aus dieser Organisation zog den Verlust der Stellung und der damit verbundenen Vergünstigungen nach sich.

Im Zusammenhang damit gehe ich kurz auf eines der Dokumente ein, das von der Anklagevertretung der Sowjetunion bei Vorlage des Beweismaterials über die Verbrechen der Hitler-Leute gegenüber den russischen Kriegsgefangenen unterbreitet wurde.

In diesem Falle handelt es sich um das Material einer von SS-Beamten geführten Untersuchung – wie es in dem Dokument heißt – zur Aufklärung eines »Zwischenfalls«, der sich bei der Durchführung einer »Sonderaktion« ereignete.

Was dieses letztere Wort bedeutet, ist dem Gerichtshof wohlbekannt. Im vorliegenden Falle ist die Rede von einem gewissen SS-Hauptsturmführer Kallbach, der ein sogenanntes Erziehungs- und Arbeitslager sowjetischer Kriegsgefangener in Berditschew [372] besuchte und beschloß, 78 russische Kriegsgefangene zu töten, deren Zustand im Vernehmungsprotokoll des Lagerführers mit folgenden Worten beschrieben wird:

»Es handelte sich ausschließlich um Schwerkriegsbeschädigte. Einigen der Kriegsgefangenen fehlten beide Beine, einigen wiederum beide Arme, anderen wieder eins der Glieder. Nur wenige von ihnen hatten wohl noch ihre Glieder, waren aber durch andere Verwundungen so stark versehrt, daß sie irgendwelche Arbeiten nicht verrichten konnten.«

Der einzige Grund also, die russischen Kriegsgefangenen zu töten, war der, daß sie nicht zur Arbeit benutzt werden konnten.

Die Ausführung dieses Befehls wurde drei SS-Leuten übertragen, dem SS-Unterscharführer Paal, dem SS-Rottenführer Hesselbach und dem SS-Mann Vollprecht. Von diesen drei SS-Leuten wurde folgendes ausgesagt:

»... Über die drei mit der Erschießung der Kriegsgefangenen beauftragten Männer war mir bekannt, daß sie bereits in Kiew bei Großexekutionen von mehreren tausend Personen teilgenommen hatten. Auch an der hiesigen Dienststelle waren sie in früherer Zeit, d.h. auch zu meiner Zeit, mit Erschießungen von mehreren hundert Personen beauftragt.«

Jedoch geschah damals folgendes: Als die 78 verwundeten Sowjetkriegsgefangenen zur Hinrichtung geführt wurden, erhoben sie sich zu einem heldenhaften Widerstand gegen ihre Henker, töteten zwei von ihnen und entkamen.

In diesem Zusammenhang wurde ein Strafverfahren durchgeführt, wobei der Chef der SS-Gruppe in Berditschew selbstverständlich nicht deshalb angeklagt wurde; weil er beschlossen hatte, 78 unschuldige kranke Menschen zu töten, sondern weil er einige hatte entfliehen lassen.

Ich habe dieses Dokument nicht angeführt, um eine von den unzähligen Episoden der von den SS-Leuten verübten Unmenschlichkeiten in den zeitweilig besetzten Gebieten der Sowjetunion wieder ins Gedächtnis zu rufen, sondern um auf den sehr charakteristischen Text eines Hinweises auf die Verantwortung für falsche Aussagen aufmerksam zu machen, der vor dem Anfang des Verhörs von den SS-Leuten verwendet wurde. Dort wird gesagt:

»... Mit dem Gegenstand der Vernehmung bin ich bekannt gemacht. Ich wurde darauf hingewiesen, daß bei nicht wahrheitsgemäßen Angaben meine Bestrafung und Ausschließung aus der SS erfolgt.«

[373] Bei seinem Eintritt in die Allgemeine SS mußte der Anwärter dieser verbrecherischen Organisation einen besonderen Eid leisten, dessen Text lautete:

»Ich schwöre Dir, Adolf Hitler, als Führer und Kanzler des Reiches, und den mir von Dir bestimmten Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod.«

Ganz gleich, wo der SS-Mann diente, ob er Menschen in Treblinka und Auschwitz tötete oder beim Verhör hinter den Mauern der Gestapo die Opfer quälte, blieb er immer er selbst, ein stumpfes und mitleidloses Mitglied der Allgemeinen SS, das nur zwei Pflichten kannte: Blinden Gehorsam gegenüber dem »Führer und Reichskanzler« und bedingungslose Ausführung jedweder verbrecherischen Befehle.

Die Waffen-SS.

Die Waffen-SS ist aus der sogenannten Leibstandarte, der Leibgarde Hitlers und den Totenkopfverbänden, die hauptsächlich in den Konzentrationslagern eingesetzt wurden, entstanden.

Während des Krieges wurde die Waffen-SS durch eine Anzahl von anderen Verbänden und Truppen, durch die Lagerkommandanturen, die unmittelbar die Vernichtung von Millionen Menschen und ein Regime bewußter Quälerei der Häftlinge vor deren Tötung ausübten, sowie durch Polizeidivisionen und -abteilungen ergänzt.

Schon die einfache Aufzählung der Gliederungen, aus denen die Waffen-SS zusammengesetzt war, zeugt von ihrem verbrecherischen Charakter. Von der Anklagevertretung der Sowjetunion wurde das Urteil des Gerichts der vierten ukrainischen Front und der Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission zur Untersuchung der Verbrechen der faschistischen Eindringlinge in der Stadt Charkow und ihrer Umgebung als Beweismaterial vorgelegt, aus dem ersichtlich ist, daß für die Vernichtung von mehr als 20000 Menschen der Zivilbevölkerung Charkows, für die Erschießung und Verbrennungen bei lebendigem Leibe von Kriegsgefangenen SS-Abteilungen verantwortlich waren, und zwar in besonderem Maß die SS-Division »Adolf Hitler« unter dem Befehl des Obergruppenführers Dietrich und die SS-Division »Totenkopf« unter dem Befehl des SS-Obergruppenführers Simon.

In der Stadt Kiew wurden in der Zeit der deutschen Herrschaft mehr als 195000 friedliche Bürger zu Tode gequält, erschossen und in Gaskammern vergiftet, wobei der allergrößte Teil durch SS-Einheiten vernichtet wurde. Die Verantwortung dafür tragen nach dem Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission der frühere Kommandeur der Waffen-SS in Südrußland und in der Ukraine, der Generalmajor Troenfeld, der Generalleutnant der Waffen-SS Hüttner und andere Vertreter der Waffen-SS.

[374] In der Stadt Rowno und Umgebung vernichteten die Deutschen 102000 Menschen.

Über die Verbrechen, die von den SS-Leuten begangen wurden, sagte unter anderem der Soldat der vierten Schwadron der 17. Kavallerie-Division der SS Adolf Mitzke aus, der auf Befehl seines Kommandeurs zusammen mit anderen Soldaten seiner Division Erschießungen der Zivilbevölkerung, darunter auch von Frauen, und das Niederbrennen von Dörfern durchführte.

In der Note des Außenministers der Sowjetunion, V. M. Molotow, vom 27. April 1942, die dem Gerichtshof unter Nummer USSR-51 vorgelegt wurde, werden folgende Beschreibungen von unmenschlichen Grausamkeiten einer Kavallerie-Brigade der Waffen-SS im Gebiet der Stadt Toropetz angeführt.

Ich zitiere die Note:

»Bei der Zerschlagung einer deutschen SS-Kavallerie-Brigade im Januar 1942 durch Truppenteile der Roten Armee in der Gegend der Stadt Toropetz wurde zum Beispiel unter den erbeuteten Dokumenten ein Bericht des 1. Kavallerie-Regiments der genannten Brigade über die ›Befriedung‹ des Rayons Stary Binsk in Weißrußland gefunden. Der Regimentskommandeur berichtet, eine Abteilung seines Regiments habe außer 239 Gefangenen 6504 friedliche Einwohner erschossen, wobei in dem Bericht bemerkt wird, daß die Abteilung auf Grund des Regimentsbefehls Nr. 42 vom 27. Juli 1941 vorgegangen sei. Der Kommandeur des 2. Regiments derselben Brigade, von Mahill, berichtet in seiner Meldung über die Durchführung der Pripjet-Befriedungsoperation vom 27. Juli bis zum 11. August 1941 folgendes: ›Wir trieben die Frauen und Kinder in die Sümpfe, aber das ergab nicht den erwünschten Effekt, da die Sümpfe nicht tief genug waren, daß man in ihnen ertrinken konnte. In einer Tiefe von einem Meter kann man meistenteils den Grund erreichen (möglicherweise Sand.)‹ In demselben Stab wurde das Telegramm Nr. 37 des Kommandeurs der SS-Kavallerie-Brigade, eines Standartenführers, an eine Reiterabteilung des erwähnten 2. Kavallerie-Regiments vom 2. August 1941 gefunden, worin gemeldet wird, daß der Reichsführer-SS und Chef der Polizei, Himmler, die Zahl der getöteten friedlichen Einwohner für ›zu gering‹ hält und erklärt, es sei ›notwendig, radikal durchzugreifen‹, ›die Kommandeure der Verbände‹ seien ›bei der Durchführung der Operation zu mild‹ und befiehlt, täglich die Zahl der Erschossenen zu melden.«

Ähnlich diesen Beispielen war auch die verbrecherische Tätigkeit der Truppenteile der Waffen-SS in den Gebieten Jugoslawiens, [375] Polens und in den anderen zeitweise von den Deutschen besetzten Ländern Osteuropas.

Ich möchte den Gerichtshof an die unzähligen Dokumente erinnern, die von der Anklagebehörde der Sowjetunion und Großbritanniens vorgelegt wurden und die die Verbrechen charakterisieren, die von der SS-Division »Prinz Eugen« in den Gebieten Jugoslawiens begangen wurden. Im einzelnen möchte ich auf den Bericht der Jugoslawischen staatlichen Kommission Nr. 29 über die Unmenschlichkeiten dieser SS-Division hinweisen. Dieser Bericht enthält Beschreibungen, wie SS-Soldaten, Mitglieder derselben Waffen-SS, die hier »die deutsche Garde« genannt wurde, die Bevölkerung von ganzen Dörfern, unter anderem auch Frauen und Kinder, bei lebendigem Leibe verbrannten. Ich möchte ebenfalls auf die Aussage des Generalmajors der Waffen-SS August Schmidthuber hinweisen mit den darin enthaltenen Berichten, nach denen auf Befehl des Kommandeurs des 1. SS-Bataillons Kaaserer die Zivilbevölkerung in Kriwaja-Reka in eine Kirche gesperrt und diese Kirche dann in die Luft gesprengt wurde.

Ich erlaube mir ebenfalls, die dem Gerichtshof schon bekannten Aussagen der Offiziere dieser Division über die Massenerschießungen von Geiseln und von Kriegsgefangenen zu erwähnen.

Hier in diesem Saale wurde der streng geheime Befehl Himmlers vorgelesen, auf Grund dessen Teile der Waffen-SS Tausende von bewohnten Ortschaften, Städten und Dörfern während der zeitweisen Besetzung der Gebiete der Sowjetunion durch die Deutschen vernichteten.

In diesem Befehl schrieb Himmler:

»Es muß erreicht werden, daß bei der Räumung von Gebietsteilen in der Ukraine kein Mensch, kein Vieh, kein Zentner Getreide, keine Eisenbahnschiene zurückbleibt; daß kein Haus stehen bleibt, kein Bergwerk vorhanden ist, das nicht für Jahre gestört ist, kein Brunnen vorhanden ist, der nicht vergiftet ist. Der Gegner muß wirklich ein total verbranntes und zerstörtes Land vorfinden.«

Die Waffen-SS führte diese verbrecherischen Befehle des Reichsführer-SS – Befehl Himmlers vom 10. Juni 1943 – aus und verschleppte die Bevölkerung von ganzen Gebieten in die deutsche Sklaverei, wobei sie ukrainische und russische Kinder in besondere Konzentrationslager für Kinder steckte.

Die sogenannte Waffen-SS war in erster Linie die Elite der SS, die zum allergrößten Teil aus Freiwilligen bestand, unter anderem auch aus Mitgliedern der Allgemeinen SS, denen die praktische Durchführung der verbrecherischen Pläne Hitlers und seiner Clique oblag.

[376] Die Versuche der Verteidigung und der Angeklagten, sie zur »Deutschen Elite« zu erklären, die nichts mit irgendwelchen polizeilichen Funktionen zu tun hatte, und die Behauptung, daß ihre Hände rein vom Blute unschuldiger Leute seien, stehen im Widerspruch mit den unerbittlichen und unbestreitbaren Tatsachen. Wir behaupten nicht, daß es unter den Soldaten der Waffen-SS nicht auch solche gab, die eingezogen worden waren. Die Frage von der Schuld einzelner Personen ist eine Frage, die von den zuständigen nationalen Gerichtsbehörden behandelt werden muß. Als Ganzes aber ist die Waffen-SS als ein organischer Teil der Organisation und des Systems der SS fraglos verbrecherisch.

VORSITZENDER: Wollen wir uns jetzt vertagen?


[Pause von 10 Minuten.]


MR. DODD: Herr Präsident! Ich möchte den Standpunkt der Anklagevertretung zum Antrag des Angeklagten Seyß-Inquart, ein Affidavit vorzulegen, darlegen.

Wir sind uns alle darüber einig, daß wir gegen dieses Affidavit von Seyß-Inquart Widerspruch erheben; beim Durchlesen sehen wir, daß es wirklich nur Argumente enthält; wir haben es übersetzen lassen, und es enthält nichts Neues. Es legt die Stellungnahme des Angeklagten zu einer Anzahl von Dokumenten dar, die schon im Januar als Beweismittel vorgelegt waren. Außerdem kommentiert es verschiedene Dokumente, die als Beweismittel dienten und so weiter. Es scheint uns nicht am Platze, daß die Angeklagten in diesem Stadium des Prozesses noch Derartiges vortragen dürfen. Sein Verteidiger hat sein Plädoyer gehalten, und er wird selbst ja noch Gelegenheit haben, vor dem Gerichtshof zu sprechen. Keines dieser Dinge ist unserer Meinung nach am Platze, daher sollte der Gerichtshof sie nicht mehr so spät zulassen.

In diesem Affidavit wird nun eine Frage aufgeworfen, die Frage der zwei Dokumente: 3640-PS und 3645-PS, von welchen der Angeklagte Seyß-Inquart sagt, daß sie nicht als Beweismittel vorgelegt worden seien, obgleich der französische Anklagevertreter, Herr Dubost, auf sie Bezug genommen hat. Natürlich sind Herr Dubost und Herr de Ribes und die anderen Herren der Französischen Anklagebehörde mit uns einer Ansicht, daß dies aus Versehen geschehen ist und nicht hätte geschehen sollen. Wir haben nichts gegen diese Feststellung einzuwenden. Wir erklären hiermit dem Gerichtshof, daß diese beiden Dokumente tatsächlich nicht als Beweismittel zugelassen wurden und daß wir uns in unserem Vortrag nicht darauf hätten beziehen sollen. Außer diesem Punkt, den wir eben erörtert haben, sehen wir nichts, was dem Gerichtshof helfen könnte.


[377] VORSITZENDER: Ist es auf deutsch?


MR. DODD: Jawohl, es ist auf deutsch. Aber unsere Übersetzung ist nicht vollständig, sie wurde von einem unserer Leute in Eile gemacht und ist nur ein Résumé zu meiner Information. Wenn es der Gerichtshof wünscht, kann ich es Absatz für Absatz durchgehen.


VORSITZENDER: Ist es sehr lang?


MR. DODD: Nein. Mein Résumé ist etwas über anderthalb Seiten, das Affidavit selbst sechs Seiten, und unsere Zusammenfassung davon ist anderthalb Seiten lang.


VORSITZENDER: Herr Dodd! Wenn der einzige Einwand gegen dieses Affidavit der ist, daß es bloßes Argument ist, halten Sie das dann wirklich für einen so ernsten Einwand, wo doch schon so viele Dokumente vorliegen?


MR. DODD: Nun, ich glaube nicht. Unseren Einwand habe ich eben dargelegt, sonst nichts weiter. Ich bestehe nicht allzu sehr darauf, wenn der Gerichtshof glaubt, daß es besser wäre, es vorzulegen und übersetzen zu lassen. In diesem Affidavit steht nichts, worauf noch geantwortet werden muß. Ich bin dessen sicher, und ich glaube wirklich nicht, daß es der Mühe wert ist, darauf zu bestehen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof glaubt aber, daß es unter diesen Umständen besser ist, wenn Sie das Affidavit als Beweismittel zulassen. Der Gerichtshof stellt fest, daß 3640-PS und 3645-PS nicht als Beweismittel angeboten worden sind. Daher sollten wir...


MR. DODD: Ja, Herr Vorsitzender, 3640-PS und 3645-PS wurden nicht als Beweismittel angeboten.


VORSITZENDER: Wir werden daher auch keinen Hinweis darauf berücksichtigen.


MR. DODD: Ja, Herr Vorsitzender.

Außerdem möchte ich auch den Gerichtshof von unserer Einstellung zu Dr. Laternsers Brief in Kenntnis setzen. Wir haben überhaupt keinen Einwand gegen diesen Brief; wir sind uns darüber alle einig.


VORSITZENDER: Danke schön. Herr Dodd sagte, es bestünde kein Einwand gegen den Brief.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich möchte einen kleinen Absatz dieses Briefes ins Protokoll verlesen; es sind zwei Sätze.


VORSITZENDER: Wenn der Brief als Beweismittel vorliegt, dann ist es nicht nötig, ihn in das Protokoll zu verlesen und damit [378] Zeit zu verschwenden. Die Anklagevertretung ist damit einverstanden, daß dieser Brief als Beweismittel behandelt wird.


DR. LATERNSER: Nachdem aber der Zeuge Schreiber die Aussage hier gemacht hat, würde ich doch Wert darauf legen, daß ein kleiner Absatz, bestehend aus zwei Sätzen, ins Protokoll zur Verlesung kommt.


VORSITZENDER: Einen Augenblick.

Nein, Dr. Laternser, der Gerichtshof läßt den Brief als Teil des Beweismaterials für die Akten zu, wird aber nicht gestatten, daß weitere Zeit dafür verwendet wird.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Zu diesem Gebiet ist mir heute in der Pause noch ein Beweisstück zugegangen, von dem ich allerdings nicht weiß, ob das Gericht es als Dokument entgegennehmen wird, und um dieses Beweisthema abzuschließen, bitte ich das Gericht, es entgegenzunehmen.

Es handelt sich nämlich um ein Dokument, aus dem sich ergeben würde, daß auch bei einer der alliierten Nationen der bakteriologische Krieg, und zwar als offensive und defensive Waffe vorbereitet worden ist und daß da viertausend Personen damit beschäftigt waren. Ich möchte es nur aus dem Grund vortragen, um dem Gericht noch eine Tatsache zu liefern, die für die völkerrechtsmäßige Beurteilung dieser Angelegenheit von Wichtigkeit wäre.


VORSITZENDER: Nein, das steht im Einklang mit den Prinzipien, die wir hier schon des öfteren dargelegt haben; daß nämlich solche Beweismittel nicht zulässig sind....


DR. LATERNSER: Da es sich aber dabei um ein neues Gebiet...


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Der Gerichtshof weiß ganz genau, worum es sich bei Ihrem Argument handelt, und zwar, daß alle Forschungen auf dem Gebiete des bakteriologischen Krieges rein defensiven Zwecken dienten.

Dieses Argument ist vollkommen klar, aber alle anderen Anspielungen auf das, was die Alliierten gemacht hätten, sind unerheblich.

GENERAL RUDENKO: Am 4. Oktober 1943 erklärte Himmler in einer Rede vor den SS-Gruppenführern in Posen folgendes:

»Wir brauchen restlose Einigkeit mit der Partei und mit allen ihren Institutionen. Erfreulicherweise besteht sie auch heute mit der SA. Der neue Stabschef Schepmann sieht es auch als seine wichtigste Aufgabe an, zwischen den alten Gliederungen der Partei Friede und Eintracht herzustellen.«

Auf diese Weise unterstrich im Jahre 1943 der Gründer derselben SS, die 1934 die Führer des SA-Putsches liquidiert hatte, die restlose Einigkeit der SS-Leute mit den Sturmabteilungen und [379] die große Bedeutung dieser verbrecherischen Organisation der Hitler-Leute in der allgemeinen Verschwörung.

Während der ganzen Entwicklung der Hitler-Partei und späterhin des Hitler-Reiches war die SA jene verbrecherische Organisation, welcher die Spitzen des deutschen Faschismus besondere Bedeutung beimaßen und die sie als eines der wichtigsten Werkzeuge zur Terrorisierung und Irreführung des eigenen Volkes und zur Vorbereitung eines Überfalles auf andere Völker ansahen.

Es hat keinen Sinn, mit der Verteidigung der SA darüber zu streiten, welche Rolle dieser verbrecherischen Organisation in der allgemeinen faschistischen Verschwörung angewiesen wurde.

Seinem Inhalt nach entbehrte der Vortrag des Rechtsanwalts Böhm überhaupt jeder juristischen Argumentation, die irgendwelche Aufmerksamkeit verdient. Es war eine Rede, die vom Standpunkt eines überzeugten Nazis gehalten wurde, und sie wiederholte eine Reihe der schlimmsten Beispiele der hitleristischen Propaganda, welche der Verteidiger sorgfältig den gedruckten Parteischriften der Sturmabteilungen entnommen hat.

DR. MARTIN LÖFFLER, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Herr Präsident! Gestatten Sie, daß ich diesen sehr schweren persönlichen Angriff kurz zurückweise. Herr Rechtsanwalt Dr. Böhm ist leider an der heutigen Sitzung verhindert. Ich habe aber in der Pause festgestellt in der Liste des Herrn Generalsekretärs – die auch der Russischen Delegation offensteht –, daß Herr Rechtsanwalt Dr. Böhm nie Mitglied der Nationalsozialistischen Partei gewesen ist.

Der Vorwurf, er habe hier mit seinem Plädoyer nationalsozialistische Propaganda treiben wollen, ist schon deshalb völlig unbegründet. Es wird in ganz Deutschland keinen normalen Menschen geben, der sich jahrelang in der Zeit des Nazismus dem Anschluß der Partei gegenüber ablehnend verhalten hat, der jetzt in diesem Prozeß nationalsozialistische Propaganda treibt... Nur einen Satz noch, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Wir beschäftigen uns doch jetzt nicht mit der Tatsache, ob der Verteidiger der Partei angehörte oder nicht; und diese Bemerkung des sowjetischen Anklagevertreters besagt nicht, daß Dr. Böhm Parteigenosse war. Vielleicht hat er sich etwas zu stark ausgedrückt, aber was er sagt ist, daß er von dem Standpunkt eines überzeugten Nazis aus gesprochen habe. Das ist aber etwas ganz anderes, als wenn er gesagt hätte, Dr. Böhm sei ein Nazi gewesen.


DR. LÖFFLER: Herr Präsident! Ich habe meinen Ausführungen nichts hinzuzusetzen, als daß ich das Gericht bitte, die schwere Lage, in der sich die Verteidigung befindet, zu beachten; Daß es [380] unmöglich ist, die Gliederungen der Partei zu vertreten, ohne den Standpunkt der Partei darzutun. Das ist alles, was ich sagen wollte.

Wenn der Herr russische Anklagevertreter im Plädoyer des Herrn Dr. Böhm juristische Ausführungen vermißt, so sind diese in der ausgezeichneten Denkschrift meines Kollegen Klefisch eingehend vorgetragen; es wurde uns gesagt, daß auf dieses Plädoyer eine Erwiderung folge. Diese Erwiderung ist bisher noch nicht gekommen.


VORSITZENDER: General Rudenko, in der Übersetzung, die wir hier haben, ist Ihre Behauptung vielleicht zweideutig; und deswegen möchte der Gerichtshof sich vergewissern, ob das, was ich darüber sagte, richtig ist und daß Sie nicht behauptet haben...


GENERAL RUDENKO: Jawohl, Herr Vorsitzender, Sie haben vollkommen recht. Ich behaupte, daß die Rede vom Standpunkt eines Nazi vorgetragen worden ist, aber ich habe nicht behauptet, daß Dr. Böhm Parteigenosse gewesen sei. Ich glaube, daß eine derartige Behauptung durchaus zugelassen werden kann.


VORSITZENDER: Es wäre vielleicht angebracht, General Rudenko, jegliche Anspielung, daß Dr. Böhm selbst ein überzeugter Nazi ist, zurückzuziehen.


GENERAL RUDENKO: Ich behaupte auch nicht, daß Dr. Böhm ein überzeugter Nazi sei. Ich behaupte, daß er, wenn man seinen Vortrag anhört, die ganze Sache vom Standpunkt eines Nationalsozialisten ansieht.


VORSITZENDER: Was Sie meinen, ist also, daß Dr. Böhm einen gewissen Standpunkt vertreten hat. Und als Verteidiger vertritt er natürlich nicht seinen eigenen Standpunkt, sondern den Standpunkt desjenigen, dessen Verteidiger er ist. Ist es das, was Sie meinen?


GENERAL RUDENKO: Ja natürlich, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sehr gut, bitte setzen Sie fort.


GENERAL RUDENKO: Die »Sturmabteilungen« oder »SA« bildeten die erste Stoßkraft in den Händen der Verschwörer, die erste Massen- und Terrororganisation, die von ihnen geschaffen wurde.

Sie wurde schon 1921 von Hitler ins Leben gerufen, und zwar mit voller Unterstützung der von einer Revanche träumenden Reichswehr.

Der Kern der SA wurde von Menschen wie Streicher und Röhm gebildet, Menschen, die »rabiate« Antisemiten, Chauvinisten, Anhänger der »Eroberung des Lebensraumes«, entlassene Offiziere und Soldaten der zerschlagenen kaiserlichen Armee waren.

[381] In die Reihen der Sturmabteilungen wurden einerseits die reaktionärsten Revanche-Elemente geholt, andererseits gingen in die SA Abenteurer, die sich von der dekorativen Seite dieser verbrecherischen Organisation angezogen fühlten und, darin die Möglichkeit sahen, an Pogromen und Plünderungen teilzunehmen.

Von Anfang an war die SA eine rein freiwillige Organisation. Dieses Prinzip wurde auch unverändert während der ganzen Entwicklung der Sturmabteilungen beibehalten.

Vom Münchener Putsch 1923 bis zur Machtergreifung 1933 blieb die SA ein treues Werkzeug in den Händen der hitlerisch-faschistischen Clique, die ihr die »Macht über die Straße« und die Beseitigung von politischen Gegnern zusicherte.

Zusammen mit der SS waren die Sturmabteilungen ein wesentlicher Bestandteil der Hitler-Partei. Dies wurde in der Verordnung vom März 1935 – Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, Seite 502 – offiziell bekanntgemacht und ging jedenfalls aus dem Organisationsstatut der Hitler-Partei hervor.

»Die Öffentlichkeit hätte wohl niemals von den aufregenden Reden der Propaganda unserer kleinen Fraktion im Reichstage oder von den Zielen und Aufgaben der Partei erfahren, wenn sie nicht den Schritt der marschierenden Sturmabteilungen und ihre Kampflieder gehört hätte«

schrieb der SA-Sturmführer Bauer in seiner Boschüre »Die SA«.

Aber die deutsche »Öffentlichkeit« hörte nicht nur den »Marschtritt der SA und ihre Kampflieder«. Entschieden fühlbarer waren die Schläge ihrer Gummiknüppel, die Erschießungen ihrer politischen Gegner und die Pogrome in den Arbeitervierteln. Für die faschistischen Hauptverschwörer bestand der Hauptwert der SA eben in dieser ihrer Funktion als Werkzeug in Pogromen und terroristischen Aktionen. In der Zeit des Kampfes um die Macht und auch noch in den folgenden Jahren war die SA vor allem das Werkzeug der rohen Gewalt, das Mittel zur Beseitigung und Vernichtung der politischen Gegner.

Diese Sachlage wurde durchaus offenherzig von Goebbels in seiner Rede im Jahre 1935 zugegeben. Er sagte damals folgendes:

»Die innerpolitischen Gegner sind nicht aus irgendwelchen unbekannten, geheimen Gründen verschwunden. Nein, sie sind deswegen verschwunden, weil unsere Partei sich der stärksten Bewegung im Lande bedienen konnte, und dieses stärkste Werkzeug waren die Sturmabteilungen.«

Dem Gerichtshof liegen die Aussagen des Zeugen Gisevius von den Terroraktionen der SA-Leute in den Straßen der deutschen Städte vor, von den Pogromveranstaltern in SA-Uniform, welche [382] schlugen, töteten, die Menschenwürde verspotteten und die SA-Stäbe in Folterkammern verwandelten. Es ist wahr, daß, als die Hitler-Leute zur Macht kamen, sich bereits eine andere terroristische Organisation gebildet hatte, die zum Hauptausführenden ihrer Pläne wurde. Sie ist zusammen mit der SA zur Reserve jenes riesenhaften Polizeiapparates geworden, der vom deutschen Faschismus ins Leben gerufen wurde, und das war die SS. Die Braunhemden, die Hitler umgaben, mußten zur Seite treten, um das »Schwarze Korps« der SS-Leute an die Spitze des hitlerischen Apparates vorzulassen.

Der offizielle Biograph Görings spricht von der allgemeinen Verwendung der SS als Reserve für die politische Polizei. Er bemerkt, daß Göring, als er die Gestapo schuf, in diese – eine der gefährlichsten und verbrecherischsten Organisationen des deutschen Faschismus – viele Mitglieder der SA »als Personen, die politisch besonders zuverlässig seien«, aufnahm.

Dem Gerichtshof wurde schon Beweismaterial dafür vorgelegt, daß Mitglieder der SA zusammen mit den SS-Leuten nach der faschistischen Machtergreifung Wachmannschaften in Konzentrationslagern bildeten.

In seiner Beschreibung des Konzentrationslagers Oranienburg spricht der Sturmbannführer der SA, Schäfer, davon:

»Die zuverlässigsten, ältesten SA-Männer wurden ausgesucht, um als ständige Lagerbewachung im Lager Quartier zu nehmen. So schafften wir uns einen Stamm von erfahrenen und stets einsatzbereiten Wachmännern.«

Es erscheint mir überflüssig, noch einmal zu erwähnen, wie die Häftlinge in diesen Lagern behandelt wurden und wie das Benehmen der SA-Leute in den Konzentrationslagern war, wo sie die Rolle von Henkern spielten.

Die SA-Leute veranstalteten die ersten antisemitischen Pogrome. Das wird unter anderem aus den Dokumenten, die von den Anklagebehörden vorgelegt worden sind, besonders aus den Originalberichten der Kommandeure der SA-Abteilungen und -Unterabteilungen ersichtlich. Wie die SS wurde auch die SA im Geiste jenes bestialischen Antisemitismus erzogen, der schließlich zur Errichtung der Lager Treblinka und Chelmno führte.

Bei der Analyse des verbrecherischen Charakters dieser Organisation darf man aber eine der wichtigsten Funktionen der SA nicht übergehen, die sie im Rahmen der Hitler-Verschwörung ausübte.

Die SA war jene Organisation, unter deren Deckname eine Massenausbildung militärischen Personals für die Wehrmacht stattfand; dieses war später dazu berufen, die hitlerischen Angriffspläne durchzuführen.

[383] Diese verbrecherische Tätigkeit wurde unter höchster Geheimhaltung vor der Umwelt durchgeführt.

»Im Anschluß an meine Verfügung vom 11. Juli 1933 sehe ich mich veranlaßt, sämtlichen SA- Dienststellen bezüglich jeglicher Veröffentlichungen über SA-Dienst nicht nur in der Presse, sondern auch in Mitteilungs- und Nachrichtenblättern der einzelnen SA-Einheiten zu allergrößter Vorsicht anzuhalten. Erst in den letzten Tagen hat das Reichsinnenministerium auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes an alle Dienststellen des Reiches strikte Anweisung gegeben, wonach bezüglich aller Veröffentlichungen, die irgendwie dem Ausland Möglichkeiten geben könnten, Verstöße gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags zu konstruieren, schärfste Kontrolle zu üben sei.«

Dieser Geheimerlaß des Stabschefs der SA widerlegt die Behauptung der Verteidigung vom »friedlichen Charakter« der Sturmabteilungen und vom »rein sportlichen Charakter« ihrer Tätigkeit.

Die Struktur der Sturmabteilungen mit ihren Brigaden und Regimentern trug einen rein militärischen Charakter. Seit Anfang ihres Bestehens begannen die Sturmabteilungen unter Führung von besonders reaktionären Offizieren der Reichswehr, die sich den Hitler-Leuten angeschlossen hatten, Mannschaften für einen zukünftigen Krieg vorzubereiten.

Später, das heißt nach der Machtergreifung, wurde die SA zum Werkzeug einer militärischen Massenvorbereitung; Offiziere der Wehrmacht befaßten sich in SA-Uniform mit einer streng militärischen Ausbildung der SA-Leute.

Die Führer der SA verstanden sehr wohl ihre Aufgabe, die ihnen nach der Machtergreifung zur Verwirklichung der Pläne der hitlerischen Aggression gegeben worden war. Hierbei möchte ich dem Gerichtshof einen kurzen Auszug aus einem Artikel verlesen, der in dem Organ der Sturmabteilungen »Der SA-Mann« vom 6. Januar 1934 erschienen ist:

»... im Gegenteil steht nach dem Willen des Führers der SA-Mann als Garant der nationalsozialistischen Revolution vor den Toren der Macht und wird da stehen bleiben für alle Zeiten. Denn noch harren gewaltige Aufgaben ihrer Erfüllung, die ohne das Vorhandensein und die tätige Mitarbeit der Sturmabteilungen nicht denkbar wäre.

Was bisher erreicht worden ist, die Übernahme der Macht im Staate und die Ausschaltung der Elemente, die als Gedankenträger des Marxismus, Liberalismus und Kapitalismus die unheilvolle Entwicklung der Nachkriegsjahre zu verantworten haben, sind nur die Vorbedingungen, sind nur [384] das Sprungbrett für die wirklichen Ziele des Nationalsozialismus.«

Und in der ganzen folgenden Entwicklungszeit des Hitlerismus war die SA ein treues Werkzeug in den Händen der verbrecherischen hitlerischen Clique.

Während des Krieges wurde den Mitgliedern der SA durch besondere Anordnungen zur Pflicht gemacht, auf die Kriegsgefangenen und Ostarbeiter aufzupassen und keinerlei Milderungen des dafür aufgestellten tierischen Menschenvernichtungsprogramms zuzulassen. In einer Reihe von »Arbeitslagern« bestand die Wachmannschaft gerade aus SA-Leuten.

Die SA war eine der verbrecherischen Massenorganisationen der Hitler-Partei.

Die aktive verbrecherische Tätigkeit ihrer Mitglieder, mit Ausnahme des Frontkämpferbundes und der Personen, die in den Sportvereinen der SA waren, ist in diesem Prozeß in vollem Maße erwiesen.

Die Sturmabteilungen der deutschen faschistischen Partei, deren Tätigkeit einen wesentlichen Bestandteil in der Geschichte der verbrecherischen Hitler-Regierung bildet, müssen vom Gerichtshof unbedingt als eine verbrecherische Organisation erklärt werden.

Gestapo.

Die Gestapo wurde vom Angeklagten Göring am 26. April 1933 geschaffen, zur Zeit, als er preußischer Ministerpräsident war, und am Anfang von ihm persönlich geleitet.

Nach und nach zentralisierte der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, die Leitung der politischen Bundesländerpolizeibehörden in seiner Hand. Durch das Gesetz vom 10. Februar 1936 wurde die Gestapo zu einer polizeilichen Organisation für das ganze Reich erklärt. Hitler ernannte durch die Verordnung vom 17. Juli 1936 Himmler zum Chef der Deutschen Polizei, indem er die damals auf diese Art stattgefundene Personalunion zwischen SS und der Polizei im ganzen legalisierte.

Himmler hat in seinem ersten Erlaß vom 25. Juni 1936 über die Struktur der deutschen Polizei den Chef des SD, Reinhard Heydrich, zum Chef der Sicherheitspolizei in derselben »Personalunion« ernannt, die in ihrem System die Gestapo und die Kriminalpolizei vereinte. Nach Heydrichs Tode wurde der Angeklagte Kaltenbrunner sein Nachfolger.

Im Jahre 1939, als Resultat der Verstärkung der leitenden Rolle des SD im allgemeinen Sicherheitssystem des nazistischen Staates, und ferner, um die Sicherheitspolizei einer einzigen Leitung zu unterstellen, wurde eine Reorganisation der zentralen Sicherheitsorgane vorgenommen. Sie wurde in der Vereinigung des Sicherheitshauptamtes SS mit dem Kommando der Sicherheitspolizei zu [385] einer einheitlichen, halb staatlichen, halb parteilichen SS-Behörde, dem »Reichssicherheitshauptamt« (RSHA) durchgeführt.

Die bis zu diesem Zeitpunkt im Kommando der Sicherheitspolizei bestehende Verwaltung der Geheimen Staatspolizei, welche damals unter der Abkürzung »Gestapo« bekannt war, verwandelte sich in Amt IV des RSHA.

Die Aufgaben der Gestapo im allgemeinen System der Sicherheitsorgane des Dritten Reiches wurden seinerzeit von demselben Heydrich genau in einem Artikel beschrieben, der in der Zeitschrift »Deutsche Polizei« veröffentlicht wurde. Darin definierte er die Rolle des SD als eine politische Spionageabteilung der Nazi-Partei und des Staates, zu deren Pflichten die Feststellung und das Studium der Tendenzen und Strömungen innerhalb und außerhalb des Reiches gehörte, um die nazistische Leitung über die politische Stimmung zu informieren. Die Aufgabe der Organe der Geheimen Staatspolizei sah er in dem Herausfinden und dem Unschädlichmachen von dem faschistischen Regime politisch feindlich gegenüberstehenden und unzuverlässigen Elementen.

Der Ausführung dieser äußerst wichtigen Aufgabe im Programm des Nazi-Staates diente das ganze System der zentralen und nachgeordneten Straf- und sonstigen Anstalten und Abteilungen der Gestapo.

Diese Aufgabe erforderte eine äußerst sorgfältige Personalauswahl der Gestapo-Agenten. Sie wurden aus den Reihen der erfahrensten Beamten der allgemeinen Polizei und Verwaltung ausgesucht, die sich durch ihre Taten als fanatische Anhänger des Hitler-Regimes empfohlen hatten; wie auch aus den Reihen der etatmäßigen Angestellten des SD, denen in der Regel leitende Posten in der Gestapo zugewiesen wurden.

Aus den schriftlichen Aussagen des früheren Chefs des Amtes IV des RSHA, Walter Schellenberg, geht hervor, daß 75 Prozent der Gestapo-Beamten Mitglieder der SS waren. Entweder waren sie schon SS-Mitglieder bevor sie in die Gestapo eintraten, oder sie wurden es, wenn sie ihren Dienst in dieser terroristischen Verbrecherorganisation begannen.

In der Zeit von 1934 bis 1945 erreichte die Zahl der Gestapo-Agenten 40000 bis 50000 Mann. Ein derartiger Stab, um die Worte Fouché's zu gebrauchen, erlaubte der Gestapo »überall Augen zu haben, um zu sehen, überall Hände zu haben, um zuzugreifen«.

Die verbrecherische Tätigkeit der Gestapo machte aber nicht an den Grenzen des Reiches halt.

Als die Aggressionspläne im Stadium der Vorbereitung waren, wurde der Gestapo und dem SD die Organisation einer der ersten [386] »Einsatzgruppen« übertragen, die in dem Gebiet der Tschechoslowakischen Republik zu wirken hatte.

Mit dem Beginn der Kriegshandlungen stellt die Geheime Staatspolizei, den zuvor ausgearbeiteten und anerkannten Plänen entsprechend, einen Teil ihrer Kaders der Wehrmacht zur Verfügung, in deren Reihen sie eine sogenannte »Geheime Feldpolizei«, GFP, bildete. Die Abteilungen der letzteren übten bei der kämpfenden Truppe dieselben Funktionen aus, wie sie der Gestapo und der Kriminalpolizei im Reiche zugewiesen waren. Außerdem hatten sie weitverbreitete polizeiliche Strafaufgaben, die gegen die friedliche Bevölkerung und die Partisanen in den Gebieten der Kampfhandlungen gerichtet waren.

Seit der Schaffung der Geheimen Staatspolizei wurde ihr das schrankenlose Recht einer außergerichtlichen Unterdrückung der Elemente übertragen, die den nazistischen Staat und die Partei »bedrohten«.

Eine der Grundformen der Unterdrückung dieser Elemente war die Ausnutzung der Institution der »Schutzhaft«, von der die Organe der Gestapo im Laufe ihres Bestehens weitgehend Gebrauch machten, und zwar im Reich selbst sowie in den Deutschland angeschlossenen und von ihm besetzten Gebieten.

Die Orte der Schutzhaft waren die deutschen Konzentrationslager, die eine weitverbreitete und düstere Berühmtheit erlangten. Das Einsperren in ein Konzentrationslager geschah auf eine einfache, schriftliche Anordnung des Chefs der Sicherheitspolizei und SD Heydrich und später des Angeklagten Kaltenbrunner oder des Chefs des Amtes VI des RSHA, Müller. In vielen Fällen erließ der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, persönlich die Verfügung zur Einsperrung in ein Konzentrationslager.

Niemals wußte das Opfer der Schutzhaft, auf wie lange er den Quälereien und Verspottungen ausgesetzt wurde – die Haftdauer hing völlig von der Willkür der Gestapo ab. Sogar in solchen Fällen, in denen die Gestapo die Haftdauer eines Menschen, den sie in ein Konzentrationslager warf, vorausbestimmte, war es strengstens verboten, sie dem Häftling oder seinen Angehörigen mitzuteilen.

Diese Konzentrationslager waren das Vorbild der im weiteren Verlauf der hitleristischen Aggression entstandenen Vernichtungslager, an deren Namen sich die kommenden Geschlechter mit Schauern erinnern werden: Maidanek, Auschwitz, Treblinka und viele andere.

Als exekutiver Strafapparat des Nazi-Staates war die Geheime Staatspolizei eng mit der Nazi-Partei verbunden.

[387] In dem Anhang zur Verordnung des Reichs- und preußischen Ministers vom 20. September 1936 ist unzweideutig gesagt:

»Besondere Aufgaben der Sicherheitspolizei verlangen ein tiefes und volles Einverständnis und Zusammenarbeiten... auch mit dem Gauleiter der NSDAP...«

Aus der Verordnung vom 14. Dezember 1938 über die Zusammenarbeit der Parteiinstanzen mit der Geheimen Staatspolizei ist leicht ersichtlich, daß die engste Verbindung zwischen den verschiedenen Organisationen der faschistischen Verschwörer besteht, und zwar insbesondere zwischen der Gestapo und den Leitern der Nazi-Partei. Die Angeklagten Heß und Bormann waren dauernd um die Aufrechterhaltung einer engen Verbindung zwischen der Partei und der Gestapo bemüht.

Wie ich bereits ausgeführt habe, beteiligte sich die Gestapo gleichzeitig mit anderen faschistischen Organisationen sehr aktiv an der Vorbereitung der gewaltsamen Annexion der Gebiete anderer Staaten.

Die im Jahre 1938 aufgestellte Liste, welche die Namen von 4000 jugoslawischen Bürgern enthielt und die man im Mai 1945 in der Gestapo-Abteilung in Marburg fand, beweist unzweifelhaft die Mittäterschaft der Gestapo auf der ganzen Linie der Vorbereitung der gewaltsamen Annexion Jugoslawiens.

Aus den Aussagen eines der jugoslawischen Quislinge, Dragomir Jowanowitsch, des früheren Chefs der Serbischen Polizei zur Zeit der deutschen Besetzung, geht hervor, daß die leitenden Kreise der faschistischen Verschwörer im voraus die Einrichtung der Gestapo-Abteilungen in Jugoslawien geplant hatten. Dem ausgearbeiteten Plan gemäß wurden unter den in Jugoslawien lebenden Deutschen rechtzeitig die Polizeiposten verteilt.

Die Sowjetanklage hat dem Gerichtshof ein Dokument vorgelegt – USSR-509. Daraus geht hervor, daß noch vor dem Angriff auf die Tschechoslowakei die Ämter des Reichssicherheitshauptamtes die Entfaltung der Tätigkeit des SD und der Gestapo für dieses Gebiet planten.

Aus dem Bericht der Tschechoslowakischen Regierung geht hervor, daß noch eine andere Form der Mittäterschaft der Gestapo-Abteilungen an der Vorbereitung der Aggression vorgesehen war. Das Reichssicherheitshauptamt schickte seine Agenten in die Tschechoslowakei, um Antifaschisten zu ermorden oder ihrer habhaft zu werden und nach Deutschland zu verschleppen.

Die Tatsache einer Mittäterschaft der Gestapo-Abteilungen an der Ausarbeitung der Aggressionspläne wird ebenfalls durch eine Reihe von Dokumenten belegt, aus denen hervorgeht, daß noch vor dem hinterhältigen Angriff auf die USSR die hitleristischen Henker [388] Listen und Ermittlungsbücher sowie andere Angaben über die maßgebenden Regierungsbeamten und Gemeindevorsteher der Sowjetunion zusammenstellten, die es zu vernichten galt. So bereitete die Gestapo gemeinsam mit dem SD und der Kriminalpolizei für diese verbrecherischen Zwecke Fahndungsbücher vor, wie zum Beispiel ein »besonderes Ermittlungsregister für die USSR«, ein »Deutsches Ermittlungsregister«, ferner »Listen zur Ermittlung des Aufenthalts von Personen« und andere ähnliche Nachschlagebücher und Listen.

Die verbrecherische Tätigkeit der Gestapo in der Vorbereitung und Ausführung einer Aggression im Innern Deutschlands selbst und in den westlichen Staaten wurde zur Genüge von meinen verehrten Kollegen beleuchtet. Deshalb gehe ich zur Frage der Verbrechen der Gestapo-Leute in den von den Hitleristen vorübergehend besetzten Gebieten der USSR, Jugoslawiens, Polens und der Tschechoslowakei über.

VORSITZENDER: General Rudenko! Welches ist die Dokumentennummer für das »Deutsche Ermittlungsregister«, die »Listen zur Ermittlung des Aufenthalts« und die anderen ähnlichen Bücher und Personenlisten? Ich habe hier USSR-3, ist das das richtige Dokument?

GENERAL RUDENKO: Ja, USSR-3, ganz richtig, Herr Vorsitzender, USSR-3.


VORSITZENDER: Danke sehr.


GENERAL RUDENKO: Ich spreche jetzt über die Verbrechen der Gestapo in der Tschechoslowakei, in Jugoslawien und Polen.

Die von den Hitler-Leuten mit Hilfe des ausführenden Polizeiapparates in den von ihnen vorübergehend besetzten Gebieten der Tschechoslowakei, Jugoslawiens und Polens ausgeführten Verbrechen haben viele gemeinsame Züge.

Verschiedene Gestapo-Abteilungen bildeten jenen Exekutivapparat, der die meisten dieser Grausamkeiten vollbrachte.

Gleich die erste Massenaktion zur Ausrottung der polnischen Intelligenz, die von Frank erdacht und von Hitler gebilligt wurde, die sogenannte »AB-Aktion«, wurde von den Gestapo-Leuten selbst ausgeführt. Unter der Leitung des Höheren SS- und Polizeiführers in Polen, des Obergruppenführers Krüger und des Brigadeführers Streckenbach haben namentlich die Gestapo-Agenten bei der Ausführung dieser bestialischen Massenaktion einige tausend Menschen aus den Reihen der polnischen Intelligenz ausgerottet.

Gemäß der Verordnung Franks vom 9. Oktober 1943 bestanden die berüchtigten sogenannten »Standgerichte« ebenfalls aus Agenten der Geheimen Staatspolizei, das heißt der Gestapo. Sie wurden für [389] die Bekämpfung von Angriffen gegen das deutsche Aufbauwerk im Generalgouvernement geschaffen.

Die Gestapo war es vor allem, die in Polen grausame Repressalien in Bezug auf die Geistlichkeit durchführte, indem sie allein bis zum Jahre 1941 ungefähr 700 Priester ermordete und 3000 Priester in Konzentrationslager einsperrte.

Die Gestapo hat in den polnischen Gebieten besondere Orte für die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung geschaffen, wie es durch das von der Sowjetischen Anklagebehörde vorgelegte Material völlig erwiesen ist.

Im Gegensatz zu solchen Vernichtungslagern, wie Maidanek und Auschwitz, die dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt unterstanden, wurde das Massenausrottungslager in Chelmno, wo 340000 Juden mit Hilfe von Gaswagen umgebracht wurden, von der Gestapo geschaffen und ihr unmittelbar unterstellt. Es hieß »Sonderkommando Kulmhof«. Dieses Sonderkommando der Gestapo wurde vom Befehlshaber der Gestapo der Stadt Lodz, Braunfisch, beaufsichtigt.

Auf gleiche Art und Weise schuf die Gestapo das Vorbild aller späteren Vernichtungslager – Treblinka.

Der Plan Eichmanns, die Juden in Europa mit Hilfe der Vernichtungslager – Abteilung »D« der SS – auszurotten, stammte aus dem Gestapo-System. Eichmann war dem Befehlshaber der Gestapo, Müller, unmittelbar unterstellt.

In Polen haben die Gestapo-Leute 3200000 Juden, in der Tschechoslowakei 112000 Juden, in Jugoslawien 65000 Juden umgebracht.

Die Gestapo führte auf den Gebieten der von den Deutschen besetzten Gebiete Osteuropas das verbrecherische Geiselsystem und das System der kollektiven Verantwortung ein und erweiterte den Kreis der den Repressalien ausgesetzten Menschen ganz willkürlich. So hat zum Beispiel die Geheime Polizei gemeinsam mit dem Angeklagten Frank die bekannte Verordnung über Kollektivverhaftung der »Familien der Saboteure« erlassen, worin gesagt wurde,

»... daß nicht nur die gefaßten Täter erschossen werden, sondern, daß darüber hinaus die sämtlichen Männer der Sippe gleichfalls zu exekutieren und die dazugehörigen weiblichen Angehörigen über 16 Jahre in das Konzentrationslager einzuweisen sind.«

Was in Polen geschah, ist nicht nur für dieses Land, sondern auch im gleichen Maße für die Tschechoslowakei und Jugoslawien charakteristisch.

200000 Menschen allein sind durch das Gefängnis in Brünn in der Tschechoslowakei gegangen. Nur 50000 von ihnen wurden [390] befreit. Die anderen wurden entweder ermordet oder zu langsamem Tode in ein Konzentrationslager verschickt.

Mit der Verordnung vom 9. März 1942 bekam die Gestapo das Recht, die »Schutzhaft« im »Protektorat« anzuwenden.

Tausende von tschechischen Patrioten, insbesondere Ärzte, Lehrer, Juristen, Priester und so weiter wurden noch vor Kriegsbeginn verhaftet. Außerdem wurden in jedem Bezirk Listen derjenigen Personen geführt, die beim ersten Anzeichen von Unruhen, die »die Gesellschaftsordnung und die Sicherheit« bedrohten, als Geiseln festzunehmen waren. Karl Hermann Frank hat in einer Rede zu den Führern der nationalen Einheitsbewegung im Jahre 1940 erklärt, daß 2000 tschechische Geiseln, die in Konzentrationslagern eingesperrt waren, in dem Falle erschossen würden, daß bedeutende tschechische Männer sich weigern, eine Loyalitätserklärung zu unterschreiben.

Nach dem Attentat auf Heydrich wurden viele dieser Geiseln erschossen.

Die Gestapo hat im Jahre 1939 die Direktoren und Verwalter von Warenhäusern und von verschiedenen tschechischen Industriefirmen zusammenberufen. Sie wurden gezwungen, folgendes zu unterschreiben:

»Ich nehme zur Kenntnis, daß ich unverzüglich erschossen werde, falls der Betrieb ohne einen triftigen Grund die Arbeit einstellt.«

Die Lehrer in den tschechischen Schulen mußten auf gleiche Art der Gestapo besondere Unterschriften leisten, durch die sie für das loyale Benehmen ihrer Schüler einstanden.

Die Gestapo hat ein in seiner Grausamkeit beispielloses Verbrechen begangen, als sie die Einwohner des Dorfes Lidice ausrottete und das Dorf selbst vernichtete.

Der Gestapo-Terror in Jugoslawien wurde in ganz besonders grausamen Formen durchgeführt.

Zur Bestätigung soll folgender kurzer Auszug aus dem Bericht Nummer 6 der Jugoslawischen staatlichen Kommission) für die Untersuchung von Kriegsverbrechen angeführt werden:

»Eine Gruppe von Geiseln wurde in Zilli auf Haken, auf denen die Metzger ihr Fleisch aushängen, gehängt. In Marburg mußten immer fünf der vorgesehenen Opfer die schon erschossenen Geiseln in Kisten legen und auf Lastwagen verladen. Nach getaner Arbeit wurden diese fünf Menschen erschossen und die nächsten fünf mußten mit dem Aufladen fortfahren. Dies ging fortlaufend. Die Sodnastraße in Marburg war übergossen mit Blut, das von den Lastwagen floß.«

[391] Dem Gerichtshof sind unzählige Dokumente über die Massenerschießungen von Geiseln, die jeweils von den Leitern der örtlichen Dienststellen der deutschen Geheimpolizei in Jugoslawien unterzeichnet waren, vorgelegt worden. Ich werde auf diese Dokumente nicht näher eingehen, da ich annehme, daß sie dem Gerichtshof noch genügend in Erinnerung sind.

Im Laufe des Gerichtsverfahrens sind jene schwersten Verbrechen der Gestapo in der Zeit der Besetzung von Gebieten der Sowjetunion, die entweder von Einsatzformationen, »Einsatzgruppen«, »Einsatzkommandos« und »Sonderkommandos« des SD und der Sicherheitspolizei oder von der Geheimen Feldpolizei, der GFP, begangen wurden, die teilweise ebenfalls aus Beamten der Gestapo und Kriminalpolizei bestand, vollkommen erwiesen worden.

In der Regel spielten in allen diesen Fällen die Beamten der Gestapo die Rolle der unmittelbaren Vollstrecker der unmenschlichen Exekutionen und Massenaktionen, wobei sie unter der allgemeinen politischen Leitung der Angehörigen des SD und in Zusammenarbeit mit den Dienststellen der verschiedenen Polizeiabteilungen und mit Abteilungen der Waffen-SS handelten, die ebenfalls in weitestem Maße zu solchem Zwecke verwendet wurden.

Vor dem Gerichtshof wurden unzählige Fälle von Massenerschießungen und Folterungen der Zivilbevölkerung der Sowjetunion durch Gestapo-Einheiten nachgewiesen. Ich werde nur einzelne, besonders charakteristische Fälle hier als Beispiel erwähnen. Nur in der einen nicht sehr großen Stadt Wjasma wurden einige Tausende friedliche Sowjetbürger auf Befehl von Gestapo-Leuten erschossen. Die faschistischen Unmenschen beschränkten sich nicht darauf, ihre Opfer zu töten, sondern zwangen sie noch außerdem, ihre eigenen Gräber zu graben.

In dem Dorf Saitschiki in der Gegend von Smolensk jagten Gestapo-Leute in ein Haus 23 Greise, Frauen und Kinder, zündeten dieses Haus an und ließen bei lebendigem Leibe alle, die sich in ihm befanden, verbrennen.

In Rigaer psychiatrischen Krankenhäusern vernichteten die Gestapo-Leute alle darin befindlichen Geisteskranken.

Wie aus dem Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Grausamkeiten der deutsch-faschistischen Eroberer in der Stadt Rowno und im Gebiete von Rowno ersichtlich ist, führten die Gestapo-Leute als Antwort auf jeden Widerstand gegen die deutsche Besetzung Massenerschießungen von Menschen durch. Als im November 1943 in Rowno von unbekannten Tätern ein deutscher Richter getötet worden war, erschossen die Gestapo-Leute mehr als 350 Häftlinge, die sich zu jener Zeit in dem Gefängnis von Rowno befanden.

[392] Die Anwendung von Gaswagen zur Vernichtung von Sowjetbürgern durch die Gestapo-Leute ist aus dem Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Grausamkeiten der deutsch-faschistischen Eroberer bekannt. In der Stadt Krasnodar und in dem Gebiet von Krasnodar, in dem die Gestapo als Einsatzgruppe arbeitete, vernichteten sie mehr als 6700 Sowjetbürger durch Vergiftung mit Kohlenoxydgas; darunter befanden sich auch Frauen, Greise und Kinder, die im Krankenhause der Stadt Krasnodar zur Heilung untergebracht waren, sowie Verhaftete aus dem Gefängnis der Gestapo.

In der Peripherie der Stadt Krasnodar wurden in einem großen Tankgraben einige tausend Leichen von Sowjetbürgern, die mit Gas vergiftet und von Gestapo-Leuten dorthin geworfen worden waren, vergraben.

In dem Gebiet um Stawropol würden 54 schwerkranke Kinder, die sich zur Heilung in den Sanatorien des Kurortes Tiberda befanden, und ebenfalls 600 Kranke aus den Heilanstalten von Stawropol durch Gasvergiftung in Gaskammern ums Leben gebracht.

Von den Folterungsmethoden der Gestapo kann man sich aus dem Bericht des Genossen Kowaltschuk aus der Gegend von Stawropol ein Bild machen. Die Gestapo führte ihre Verhöre nur nachts durch. Man wurde für so ein Verhör in eine Einzelkammer gerufen, in der sich besondere Foltereinrichtungen, unter anderem auch Ketten mit Handschellen für Arme und Beine, die an dem Zementboden befestigt waren, befanden. Der Verhaftete wurde nackt ausgezogen, auf den Boden gelegt, seine Arme und Beine mit den Ketten gefesselt und dann mit Gummiknüppeln geschlagen. Manchmal legte man auf den Rücken des Opfers ein Brett und Schlug mit schweren Gewichten auf dieses Brett.

Die Kammern waren so eingerichtet, daß die anderen Häftlinge, die in einer Nebenkammer in Erwartung ihres Verhörs saßen, die Folterungen und Quälereien ihres Vorgängers mit ansehen konnten. Wenn ein Häftling durch die Foltern ohnmächtig wurde, warfen ihn diese modernen Inquisitoren beiseite und schleiften das nächste Opfer, das sich sehr oft schon in halbohnmächtigem Zustand befand, in die Kammer.

Sogar Frauen wurden von den Gestapo-Leuten unwahrscheinlichen Folterungen bei den Verhören ausgesetzt.

Ich führe nur ein Beispiel an. Solche Folterungen wurden in besonders weitem Maße in dem besetzten Gebiet der Sowjetunion angewandt.

Die Anwendung von mittelalterlichen Foltern fand auf Grund eines Befehls des Reichssicherheitshauptamtes und des Gestapo-Chefs [393] Müller statt. In einem dieser streng geheimen Befehle gab die oberste Leitung ihren Untergebenen folgende Anweisung:

»Verschärfte Vernehmung kann je nach der Sachlage bestehen in einfachster Verpflegung (Brot und Wasser), hartem Lager, Dunkelzelle, Schlafentzug, Ermüdungsübungen und Verabreichung von Stockhieben.«

Unerhörten Verspottungen und Verfolgungen von seiten der Gestapo war auch die Intelligenz, darunter namhafte Vertreter der Kunst und Wissenschaft, ausgesetzt, die sich in den von den Deutschen zeitweise besetzten Gebieten der Sowjetunion befanden.

Die Verfolgung der Intelligenz wurde von den Gestapo-Leuten nach einem vorher ausgearbeiteten Plan durchgeführt. So verfügten zum Beispiel die Gestapo-Abteilungen schon vor der Einnahme der Stadt Lemberg durch die deutsche Wehrmacht über eine Liste der bedeutendsten Vertreter der Lemberger Intelligenz, die zur Vernichtung bestimmt waren. Sofort nach der Einnahme der Stadt Lemberg durch die deutschen Truppen fingen Massenverhaftungen und Erschießungen von Professoren, Ärzten, Rechtsanwälten, Schriftstellern und Künstlern an. Ohne ihre Menschenwürde zu achten, begannen die Gestapo-Leute sofort mit den ausgesuchtesten Folterungen der von ihnen verhafteten Gelehrten und erschossen sie dann.

Durch eine Untersuchung, die nach der Befreiung der Stadt Lemberg von den deutschen Okkupanten von Teilen der Roten Armee durchgeführt wurde, wurde festgestellt, daß von den Deutschen mehr als 70 hervorragende Wissenschaftler, Künstler und Ingenieure getötet und ihre Leichen von den Gestapo-Leuten verbrannt worden waren.

Die faschistischen Schakale fürchteten sich vor der Verantwortung und suchten sorgfältig die Spuren der Vernichtung der Lemberger Intelligenz zu verwischen.

Die Gestapo nahm ebenfalls an der Folterung und den Morden der Kriegsgefangenen teil. Im Laufe des Gerichtsverfahrens wurde die Anordnung des Amtes IV des Reichssicherheitshauptamtes vom 17. Juni 1941 über die Tätigkeit der Sicherheitspolizei und des SD in Kriegsgefangenenlagern vorgelesen.

Wir hatten ebenfalls die Möglichkeit, uns mit der Anordnung Müllers vom 9. November 1941 vertraut zu machen, die allen Gestapo-Abteilungen vorschrieb, die Leichen der auf dem Wege zum Hinrichtungsplatz verstorbenen Kriegsgefangenen beiseite zu schaffen. Dem Gerichtshof liegt die schriftliche Aussage des ehemaligen Angestellten der Gestapo Kurt Lindorf vor, die von Hinrichtungen sowjetischer politischer Kommissare und kriegsdienstverpflichteter [394] Juden spricht. Bekannt ist ebenfalls der Befehl des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD an die örtlichen Dienststellen der Gestapo über die Überweisung von gewissen Kategorien aus dem Lager entlaufener kriegsgefangener Offiziere in das Konzentrationslager Mauthausen zur Durchführung der »Kugel«-Aktion.

Dem Gerichtshof ist sowohl der Kommandobefehl des Wehrkreises VI vom 27. Juli 1944 bekannt, der davon spricht, daß wiedergefangene geflohene Kriegsgefangene aller ihrer Rechte verlustig gehen und den Gestapo-Dienststellen zu übergeben sind, als auch der Befehl Keitels an die Wehrmacht vom 4. August 1942, wonach Aktionen gegen einzelne Fallschirmspringer oder gegen Gruppen von solchen der Gestapo und dem SD vorbehalten bleiben.

Die Dienststellen der Gestapo arbeiteten aktiv an der Vertreibung von Zehntausenden von Menschen der Zivilbevölkerung aus den von Deutschland zeitweilig besetzten Gebieten in die deutsche Sklaverei und wandten grausame Vergeltungsmaßnahmen gegen diese Leute nach ihrer Ankunft in Deutschland an. So stellte der Chef der Gestapo, Müller, in seinem Telegramm vom 16. Dezember 1942 fest, daß die Gestapo in der Lage wäre, ungefähr 45000 Juden für den Arbeitseinsatz in Konzentrationslagern zu verhaften.

In einer Anordnung vom 17. Dezember 1942 schreibt Müller das gleiche in Bezug auf 35000 Juden.

In dem Geheimbefehl vom 18. Juni 1941 erteilte Müller den Gestapo-Abteilungen die notwendigen Anweisungen zur Beseitigung von Unruhen innerhalb der ausländischen Arbeiterschaft.

Besonders grausam war die verbrecherische Tätigkeit der Gestapo im Zusammenhang mit der Vernichtung der Juden.

Aus dem Affidavit Wilhelm Höttl vom 7. November 1945 geht hervor, daß die Gestapo ungefähr sechs Millionen Juden vernichtet hat.

In dem Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission zur Untersuchung der deutsch-faschistischen Verbrechen in der Sowjetunion und in anderen Dokumenten werden unzählige Beweise für die Folterungen und alle Arten von Verbrechen sowie Massenerschießungen von Juden durch die Gestapo angeführt.

Das Gerichtsverfahren hat die erhobene Anklage von der verbrecherischen Tätigkeit der Gestapo voll und ganz bestätigt.

Als Organ eines blutigen Massenterrors muß die Gestapo als Verbrecherische Organisation erklärt werden.

Der Sicherheitsdienst – SD.

Es war gebräuchlich, den »Sicherheitsdienst« in offiziellen polizeilichen Dokumenten der Hitleristen mit der bekannten Abkürzung »SD« zu bezeichnen. Es war eine geheime, spionagetreibende SS-Organisation der deutschen faschistischen Partei.

[395] Himmler war gleichzeitig der Gründer des SD und der SS. Der SD war ein Geheimapparat im SS-System, der sich nach der Machtergreifung durch die Hitler-Leute am schnellsten mit den Polizeiorganen verschmolz und auf verantwortliche Posten in der Geheimpolizei Leute aus der SA und der SS stellte. Sowohl vor der Gründung des RSHA wie auch danach hat er eine entscheidende Rolle im System des politischen Nachrichtendienstes und der vorbeugenden Vernichtung der den Hitler-Leuten unerwünschten Elemente gespielt.

Der SD stand dem Zentralstab der verbrecherischen hitlerischen Verschwörer – der Leitung der Hitler-Partei – am nächsten. Deshalb hat gerade der SD am aktivsten an der Ausarbeitung jener polizeilichen Maßnahmen teilgenommen, die durchweg alle Pläne hitleristischer Aggression begleiteten.

Der SD hat, wie weiter unten gezeigt wird, die ersten Einsatzgruppen geschaffen, sich an die Spitze dieser Banditenorganisationen des deutschen Faschismus gestellt, hat die Grausamkeiten vorbereitet, die in der Folge in den besetzten Gebieten Polens, Jugoslawiens, der Sowjetunion und anderer Staaten verübt wurden.

In dem Bemühen, diese verbrecherische Organisation von einer Verantwortung reinzuwaschen, hat die Verteidigung sogar einen Streit über die Bedeutung des Ausdrucks SD entfacht. Wir verstehen, warum die Verteidigung diesen terminologischen Streit anzettelt. Sie braucht ihn, um zu versuchen, Kaltenbrunners Version vom SD zu unterstützen, wonach seine Funktionen streng auf den innerdeutschen Informationsdienst beschränkt gewesen wären und nichts mit irgendwelchen polizeilichen Funktionen zu tun gehabt hätten.

Diesen Streit entfacht die Verteidigung, um nur den offenbarsten Teil der verbrecherischen Tätigkeit des SD zuzugeben und die anderen, dem SD als der Spitze des polizeilichen SS-Apparates obliegenden politischen und polizeilichen Funktionen hinter Ausdrücken wie »allgemeine Information über die Stimmung in den verschiedenen sozialen Schichten« zu verbergen.

Dabei ist der SD tatsächlich eine weitverzweigte Spionageorganisation des deutschen Faschismus, die aktiv zur Verwirklichung der verbrecherischen Angriffspläne beigetragen hat und die im Innern Deutschlands wie auch in den besetzten Ländern und jenseits der Grenzen tätig war.

Die Einheiten des SD – ebenso wie die der Gestapo – bildeten das tragende Gerüst der Einsatzgruppen. Dabei hatten die führende Rolle in der Leitung der Einsatzgruppen immer die Mitarbeiter des SD. Die dem SD zustehenden Aufgaben können folgendermaßen eingeteilt werden:

  • 1. Der allgemeine Nachrichtendienst, der, wie aus den offiziellen Dokumenten des SD hervorgeht, buchstäblich alles umfaßte, alle [396] »Lebensgebiete« des faschistischen Reiches, alle staatlichen Behörden und Gesellschaftskreise des faschistischen Deutschlands.

  • 2. Besondere Aufgaben, die mit der Ausarbeitung besonderer Kartotheken und Listen verbunden waren – vorzugsweise in Bezug auf Länder, auf die man den Angriff vorbereitete. In diese Kartotheken und Listen- wurden die Namen derer eingetragen, die einer »Sonderbehandlung« unterworfen, das heißt physisch vernichtet oder in Konzentrationslager eingeliefert werden sollten.

  • 3. Die Zurverfügungstellung von Personal für jene verbrecherischen Sonderformationen, die die von den Hitler-Leuten geplante Vernichtung unerwünschter politischer Elemente und der Intelligenz der besetzten Gebiete, sowie die bestialischen Hinrichtungen und Aktionen unmittelbar durchzuführen hatten.

Der ganze Personalbestand des SD setzte sich aus SS-Männern zusammen. Das ist auch verständlich, da der SD eine Tochterorganisation der SS war und bis zum letzten Augenblick »SD des Reichsführer-SS« genannt wurde.

Dem weitverzweigten System des SD waren eingegliedert: Das Amt III des RSHA-politischer Nachrichtendienst Inland und besetzte Gebiete; das Amt VI des RSHA – Auslandsabwehr, an dessen Spitze einer der nächsten Vertrauensleute Himmlers stand, Walter Schellenberg, dessen Aussagen dem Gericht gut bekannt sind, und das Amt VII, welches manchmal »Amt für den weltanschaulichen Krieg« genannt wurde, außerdem eine Reihe äußerst wichtiger Hilfsbehörden umfaßt, die zusammen die in- und ausländischen Nachrichten des SD verwerteten.

Zur Widerlegung der Ausführungen, die von der Verteidigung gemacht wurden, möchte ich mich einem jener Dokumente zuwenden, die die wirkliche Stellung des SD im System des polizeilichen und SS-Apparates Hitler-Deutschlands kennzeichnen.

Ich beziehe mich auf das Dokument, welches den Titel »Einsatz des SD im Falle Tschechoslowakei« trägt. Das Dokument trägt den Vermerk: »Geheime Reichssache« und ist vom Juni 1938 datiert, das heißt mehr als neun Monate vor der Annexion der Tschechoslowakei. Es wurde von der Roten Armee in den Berliner Archiven des SD gefunden und von der Sowjetischen Anklagebehörde dem Gerichtshof vorgelegt. Der Inhalt dieses Dokuments läßt keinen Zweifel daran, daß der SD erstens aktiv an der Ausarbeitung und Ausführung der verbrecherischen Pläne der hitleristischen Aggression mitwirkte und zweitens daran, daß gerade der SD der Urheber und Organisator der Einsatzgruppen war.

Ich habe einige Auszüge aus diesem Dokument, will sie aber nicht verlesen.

[397] Das ganze tschechische Gebiet war in Übereinstimmung mit dem regionalen Aufbau des SD in Deutschland selbst im voraus in große »Oberabschnitte« und kleinere »Unterabschnitte« eingeteilt. Es waren Gebietseinheiten, und für jede von ihnen wurden besondere Einsatzgruppen und Einsatzkommandos vorbereitet und aufgestellt. Aus dem Inhalt des Dokuments geht hervor, daß man die Organisation der Oberabschnitte Prag, Böhmen, Mähren, Schlesien, Waagtal und anderer geplant hatte.

Die Personalgestellung der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos war ganz Sache des SD. Hierzu heißt es in diesem Dokument:

»Die Besetzung der Dienststellen hat nach folgenden Gesichtspunkten zu erfolgen:

1. nach Gesichtspunkten des SD selbst,

2. nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten.«

Für die Schulung von Angehörigen der Einsatzkommandos aus den Reihen der etatmäßigen Mitarbeiter und Sudetendeutschen wurde ein ganzes Programm ausgearbeitet. Die Bereitstellung geeigneter Personen, »Deutschstämmige«, die in der Tschechoslowakei lebten, wurde vorgesehen. Dabei wurde besonders vermerkt, daß

»... jedoch damit gerechnet werden muß, daß ein hoher Prozentsatz dieser trotz aller Vorsichtsmaßregeln nicht zur Verfügung stehen wird, da er u. U. verhaftet, verschleppt oder getötet ist.«

Die auf deutschem Gebiet ausgebildeten Einsatzgruppen sollten an der deutsch-tschechischen Grenze konzentriert werden, um gleichzeitig mit dem Einmarsch des Heeres in das Gebiet der Tschechoslowakei einzudringen. Hierüber heißt es im Dokument: – ich richte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Seite 55 –

»Kartei schon bei Anlage vom Referenten mit Vermerken versehen, wie: ›Verhaften, Auflösen, Amtsenthebungen, Beobachten, Beschlagnahme, Polizeiaufsicht, Paßentzug usw.‹«

Die Anlage der Karteien und aller Arten von Nachschlagelisten, in welche die Namen der Menschen eingetragen wurden, die in den von den Deutschen vorübergehend besetzten Gebieten physisch ausgerottet werden sollten, gehörte überhaupt zu den unmittelbaren Aufgaben des SD. Die physische Ausrottung wurde dann durch die Gestapo oder durch besondere SS-Abteilungen, durch Sonderkommandos oder durch die Sicherheitspolizei ausgeführt.

Für die Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion arbeiteten die SD-Agenten ebenfalls eine ganze Reihe Nachschlage- und Ermittlungslisten aus, in die die Namen der Vertreter der sowjetischen Intelligenz und der politischen Leiter eingetragen wurden, deren Ausrottung gemäß den grausamen Verordnungen der hitleristischen Verbrecher vorgenommen werden sollte.

[398] In der Anlage 2 zum Einsatzbefehl Nummer 8 des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD, welche vom 17. Juli 1941 datiert ist, heißt es, daß lange vor Kriegsbeginn mit der Sowjetunion vom Sicherheitsdienst »Das deutsche Ermittlungsregister«, Listen zur Feststellung des Wohnortes, ein besonderes »Fahndungsbuch UdSSR« zur Eintragung von »Sowjetrussen, die als gefährlich anzusehen sind«, angelegt wurden.

Aus denselben Erlassen Heydrichs ersehen wir, wie die hitleristischen Verbrecher mit diesen »gefährlichen Sowjetrussen« verfahren wollten. Sie sollten alle ohne Gerichtsurteil auf Grund der Erlasse Nummer 8 und 14 des Reichssicherheitshauptamtes vom 17. Juli und 29. Oktober 1941 von den Sonderkommandos ausgerottet werden.

Dieselbe verbrecherische Arbeit wurde vom SD vor dem Beginn des Einfalls in Jugoslawien durchgeführt. Die Sowjetische Anklagebehörde hat dem Gerichtshof ein »Fahndungsbuch« vorgelegt, welches von dem mit dem SD in Verbindung stehenden Deutschen Balkan-Institut, dem sogenannten »Südostdeutschen Institut«2 zusammengestellt worden war. Dieses Buch enthielt mehr als 4000 Namen jugoslawischer Bürger, die unverzüglich nach dem Überfall auf Jugoslawien verhaftet werden sollten; das fertiggestellte Buch wurde der dort eingesetzten Polizei, das heißt der Gestapo übergeben, die selbst die Verhaftungen vornehmen mußte. Das Buch wurde in den Gestapo-Akten in Marburg entdeckt. Es trug den folgenden, von SD-Angehörigen gemachten Vermerk:

»Die darin genannten Personen sind festzunehmen. Das aufgeführte Referat des RSHA ist umgehend zu benachrichtigen.«

Diese SD-Behörde leistete eine besondere Untergrabungsarbeit, indem sie Agenten der Fünften Kolonne in Jugoslawien ausbildete. Der SD-Agent Hermann Ibler, Dozent an der Universität Graz, hat diesbezüglich eine besondere Schrift herausgegeben, die den Titel »Des Reiches Südgrenze« trug und mit dem Vermerk »streng geheim« versehen war. Sie enthielt auch eine Liste der Agenten der Fünften Kolonne in Jugoslawien.

Der SD war es, der namentlich die politische Hetze im Ausland ausführte.

Der ehemalige Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, Kaltenbrunner, war gezwungen, dies beim Kreuzverhör durch die Sowjetische Anklagebehörde zuzugeben. Selbst er konnte nicht seine Unterschrift unter den Brief an Ribbentrop leugnen, durch den das Ministerium des Auswärtigen eine Million Tomanen für die Bestechung der Wähler im Iran zur Verfügung stellte.

[399] Die SD-Angehörigen verstanden sehr wohl, welche Rolle sie in der Ausführung der grausam-fanatischen Pläne der Hitleristen zur physischen Ausrottung der versklavten Völker in den von ihnen besetzten Gebieten spielen sollten. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist das von der Sowjetischen Anklagebehörde vorgelegte deutsche Dokument charakteristisch, das von der polnischen Armee in der SD-Blockstelle in Mogilno, Polen, erbeutet wurde.

Irgendein Leiter der Blockstelle, Hauptsturmführer der SS, setzt die V-Leute des SD in diesem Brief von der Rede Himmlers vom 15. März 1940 in Kenntnis. In dieser Rede hatte Himmler von den Kommandanten der in Polen eingerichteten Konzentrationslager verlangt, daß sie zuerst die polnischen Facharbeiter in der Kriegswirtschaft der Konzentrationslager ausnutzen und dann alle diese Polen ausrotten sollen. Der Hauptsturmführer der SS in Mogilno hat deshalb seinerseits von allen Vertrauensleuten des SD eine namentliche Listenaufstellung der Polen angefordert, die sie für gefährlich hielten, um sie in der Folge auszurotten.

Der SD war eines der wichtigsten Räder der bestialischen SS-Polizeimaschine des deutschen Faschismus. Er war der Detektiv- und Spionierapparat, der sich auf das ganze Gebiet des »Altreiches«, sowie auf alle vorübergehend besetzten Gebiete und Länder erstreckte. Zum gegebenen Zeitpunkt waren es gerade die Agenten des SD, die an der Spitze der grausamsten polizeilichen Maßnahmen der Hitleristen standen.

Indem sie sich auf unanfechtbare Beweismittel stützt, steht die Sowjetische Anklagebehörde auf dem Standpunkt, daß das ganze System des SD für verbrecherisch erklärt werden muß.

Der Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht.

Im Laufe dieses Gerichtsverfahrens wurden von einigen Angeklagten, von der Verteidigung und von denjenigen Entlastungszeugen, die Generale Hitler-Deutschlands waren, wiederholt Versuche unternommen, das deutsche Oberkommando der Wehrmacht und den Generalstab als Gruppen darzustellen, die in ihren Handlungen nur von dem Grundsatz der »Erfüllung der Soldatenpflicht« geleitet worden seien.

Angeblich seien diese höchsten deutschen Militärgruppen weit entfernt von der verbrecherischen Politik der Hitler-Regierung gewesen; sie hätten nicht an der Entscheidung politischer Fragen teilgenommen, sondern sich in ihrer Tätigkeit nur auf die Ausführung der Befehle des Oberbefehlshabers in rein militärischen Angelegenheiten beschränkt.

Es wurde die Meinung ausgesprochen, daß der deutsche Generalstab innerhalb der in Hitler-Deutschland herrschenden Struktur des Militärapparates nur ein untergeordnetes technisches Organ [400] Endlich wurden mehrmals Versuche unternommen – und diese Versuche sind sehr verständlich –, mit allen Mitteln das Oberkommando von der Tätigkeit der deutschen Polizeibehörden und von der SS getrennt zu halten.

Jedem, der die politische Entwicklung Europas nach dem ersten Weltkrieg auch nur ein wenig beobachtet hat, ist es wohl bekannt, daß die Offiziere und Generale des Kaisers sofort eine große Bereitwilligkeit zeigten, das verlorene Spiel zu wiederholen.

Sie beschuldigten wegen des militärischen Zusammenbruchs Deutschlands alle möglichen Leute, nur nicht sich selbst. Sie gründeten illegale Militärverbände, waren von dem Wunsch nach Revanche erfüllt und bereit, ihre Ehre und ihren Degen jedem beliebigen politischen Abenteurer zu verkaufen, wenn er nur nicht zögerte, ein neues Weltgemetzel zu entfesseln. Im Geiste dieser »Tradition« wurde auch die neue Offiziersgeneration erzogen. Und es ist kein Zufall, daß ihr zukünftiger Führer, Adolf Hitler, aus dem Nichts in die politische Arena mit direkter moralischer und finanzieller Unterstützung der Reichswehr trat.

Sie alle, mit sehr wenigen Ausnahmen, folgten mit Begeisterung diesem Abenteurer, als er nach der Machtergreifung sofort mit der Aufrüstung Deutschlands begann. Die hochmütigen preußischen Generale beugten sich vor dem Gefreiten Hitler, denn sie verstanden, daß Hitler Krieg bedeutete.

Die Feldmarschälle Brauchitsch, Milch, Manstein und andere kamen unter der Bewachung alliierter Soldaten hierher, um in eigener Sache vor dem Internationalen Militärgerichtshof falsche Aussagen zu machen.

Und wir hatten Gelegenheit, Zeugen einer merkwürdigen Verwandlung zu werden: Wölfe wurden zu Lämmern!

Ich weiß nicht, mit was für naiven Leuten zum Beispiel Brauchitsch es zu tun zu haben glaubte, als er sich als überzeugter Pazifist ausgab. Wenn man ihm Glauben schenken sollte, so hat er als Oberbefehlshaber des Heeres keine Ahnung von den Angriffsplänen und der Vorbereitung der militärischen Einmärsche in Österreich und der Tschechoslowakei gehabt und fortwährend und entschieden Hitler zu überzeugen versucht, keinen Krieg zu führen.

Mit einer solch ungeschickten Verteidigung kann man nur sich selbst irreführen.

Ich erlaube mir, kurz auf Beweisdokumente zu verweisen, um die Schliche und Ausflüchte der Verteidigung zu widerlegen, die bemüht ist, die Tragweite und den Charakter der verbrecherischen Tätigkeit des deutschen Oberkommandos zu verschleiern und zu vermindern.


[401] Verbrechen gegen den Frieden.


Aus dem dem Gerichtshof vorgelegten Beweismaterial geht unwiderleglich hervor, daß der Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht im vollsten Maße über die verbrecherischen Angriffspläne der Hitler-Regierung unterrichtet und mit diesen Plänen einverstanden waren und aktiv an ihrer Ausarbeitung und Verwirklichung mitgewirkt haben.

Mit der Erscheinung des Buches »Mein Kampf« wurden die menschenfeindlichen Angriffspläne der Hitler-Verschwörer jedem Deutschen bekannt; sie wurden tagaus tagein, von Monat zu Monat, propagandistisch verbreitet.

Diese Pläne erfuhren von Anfang an die Billigung der deutschen militärischen Führer, die in der Folge ihre Erfahrung und ihr Wissen in den Dienst des Hitler-Reiches stellten.

Ich habe jedoch nicht die Absicht, mich in die Geschichte des Hitler-Reiches und seines Kriegsapparates zu vertiefen, um jetzt festzustellen, wann und unter welchen Umständen die verbrecherische Tätigkeit der führenden deutschen Militärkreise begonnen hat.

Ich möchte nur an einige sehr wichtige Dokumente erinnern, die in die Zeit des Kriegsbeginns fallen.

Schon am 23. Mai 1939 erklärte Hitler auf einer Besprechung mit den obersten Befehlshabern in der Neuen Reichskanzlei folgendes:

»Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um die Erweiterung des Lebensraumes im Osten.

Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen und bleibt der Entschluß, bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen.«

Am 22. August 1939, in einer Besprechung auf dem Obersalzberg, entwickelte Hitler in Gegenwart hoher deutscher Offiziere und Generale seine politischen und militärischen Pläne. Er sagte folgendes:

»Vernichtung Polens im Vordergrund. Auch wenn im Westen Krieg ausbricht, bleibt Vernichtung Polens im Vordergrund. Ich werde propagandistischen Anlaß zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft.«

In einer Besprechung der Oberbefehlshaber vom 23. November 1939 sagte Hitler zu seinen nächsten militärischen Ratgebern folgendes:

»Grundsätzlich habe ich die Wehrmacht nicht aufgestellt, um nicht zu schlagen. Der Entschluß zum Schlagen war immer in mir. Früher oder später wollte ich das Problem lösen. [402] Zwangsläufig wurde entschieden, daß der Osten zunächst zum Ausfall gebracht wurde.«

Ist das nicht ein Beweis dafür, daß Hitler aus seinen verbrecherischen Plänen den höchsten militärischen Befehlshabern Hitler-Deutschlands gegenüber kein Hehl machte?

Noch überzeugender in diesem Zusammenhang sind die Kriegsoperationsdokumente des deutschen Oberkommandos, in denen in zynischer Form die verbrecherischen Angriffsziele der Hitler-Regierung auseinandergesetzt werden.

In der Weisung Hitlers vom 30. Mai 1938 über die Ausführung des Falles »Grün«, der die Eroberung der Tschechoslowakei vorsah, heißt es:

»Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.

Militärisch und politisch am günstigsten ist blitzschnelles Handeln auf Grund eines Zwischenfalles, durch den Deutschland in unerträglicher Weise provoziert wurde und der wenigstens einem Teil der Weltöffentlichkeit gegenüber die moralische Berechtigung zu militärischen Maßnahmen gibt.«

Oder auch der Befehl vom 27. März 1941 zum Überfall auf Jugoslawien, der folgendes vorsieht:

»Ohne mögliche Loyalitätserklärungen Jugoslawiens abzuwarten, muß man alle Vorbereitungen treffen, um Jugoslawien militärisch und als Staatsgebilde zu zerschlagen.«

Diese zynische Offenheit erreicht ihren Höhepunkt in den deutschen Dokumenten vor den Kriegsoperationen, die die Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion betreffen.

In einer Weisung des OKW über besondere Gebiete vom 13. März 1941, das heißt also noch lange vor Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion, heißt es ganz offen:

»Das im Zuge der Operationen zu besetzende russische Gebiet soll, sobald der Ablauf der Kampfhandlungen es erlaubt, nach besonderen Richtlinien in Staaten mit eigenen Regierungen aufgelöst werden.«

In den Richtlinien zur Durchführung der Propaganda im Gebiet »Barbarossa«, die vom OKW im Juni 1941 herausgegeben worden sind, war vorgesehen, daß

»... vorläufig keine Propaganda für die Zerstückelung der Sowjetunion geführt werden soll.«

Endlich lautet das Dokument 21 vom 18. Dezember 1940, das unter dem Decknamen Fall »Barbarossa« lief, wie folgt:

[403] »Das Endziel der Operationen ist die Abschirmung gegen das asiatische Rußland auf der allgemeinen Linie Archangelsk-Wolga.«

Der ehemalige Generalfeldmarschall der deutschen Armee, Friedrich Paulus, erläuterte hier vor dem Gerichtshof erschöpfend dieses »Endziel« Hitler-Deutschlands im Kriege gegen die Sowjetunion, welches dem Oberkommando der deutschen Wehrmacht bekannt war.

Nicht weniger überzeugend ist ein Befehl des ehemaligen Oberbefehlshabers der 11. deutschen Armee, Generalfeldmarschalls von Manstein, den meine amerikanischen Kollegen vor dem Gerichtshof verlesen haben. Darin hat Manstein die politischen Ziele des Krieges gegen die Sowjetunion im Geiste der Richtlinien Hitlers erläutert und seine Untergebenen davon eindeutig in Kenntnis gesetzt, daß das Ziel des Überfalls auf die Sowjetunion die Beseitigung des bestehenden politischen Systems der Staatsführung sei.

Sehr eigenartig klingen nach all diesem die Worte des Hitler-Generals von Manstein, daß er nur Soldat gewesen sei und von der Politik der Hitler-Regierung keine Kenntnis gehabt habe.

Dieser Befehl zeigt nicht nur, daß die Generale um die politischen Ziele des Krieges wußten, sondern auch, daß sie sie voll billigten. Es hätte auch nicht anders sein können – denn was hätte Hitler tun können, wenn seine militärischen Fachleute, die Generale der deutschen Wehrmacht, seinen Plänen nicht zugestimmt hätten?


Die unmittelbare Beteiligung des deutschen Generalstabs an diesem Verbrechen.


Im Hitler-Deutschland gab es tatsächlich eine spezifische Struktur des militärischen Apparates. Neben dem OKW gab es den Generalstab des Heeres und Stäbe der Luftwaffe und der Kriegsmarine.

Die Stäbe der verschiedenen Waffengattungen arbeiteten den auf ihr Arbeitsbereich fallenden Teil der allgemeinen Angriffspläne Hitler-Deutschlands aus, während das OKW diese Tätigkeit der verschiedenen Waffengattungen koordinierte und kombinierte.

Da die entscheidende Rolle in der Durchführung der Angriffspläne auf das Heer mit seinen zahlreichen und mächtigen Panzerwaffen entfiel, so stand natürlich der deutsche Generalstab an der Spitze in der Vorbereitung der Angriffstätigkeit der Hitler-Regierung.

Dementsprechend schloß der Aufbau des Militärapparates in Hitler-Deutschland keineswegs den Generalstab von der Ausarbeitung, Vorbereitung und Ausführung der verbrecherischen Angriffspläne der Hitler-Regierung aus, sondern sah für ihn im Gegenteil eine besonders aktive Rolle vor.

[404] Um die praktische Rolle, die der deutsche Generalstab bei der Ausarbeitung und Vorbereitung der Angriffspläne gespielt hat, zu charakterisieren, möchte ich hier einige Tatsachen anführen:

Ich erinnere Sie, meine Herren Richter, an die Erklärung des früheren Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus, die er hier vor dem Gerichtshof bestätigte:

Paulus erklärte:

»Als ich meinen Posten im OKH am 3. September 1940 antrat, fand ich dort unter anderen Ausarbeitungen einen noch nicht fertiggestellten Entwurf eines Angriffsplanes auf die USSR vor, der unter dem Decknamen ›Barbarossa‹ bekannt ist.

Die im August begonnene Ausarbeitung des vorläufigen Falles ›Barbarossa‹ wurde mit dem Abhalten zweier Kriegsspiele unter meiner Leitung im Hauptquartier des OKH in Zossen abgeschlossen.«

Kann jemand jetzt noch bezweifeln, daß der deutsche Generalstab neben dem OKW der Urheber des verbrecherischen Planes »Barbarossa« gewesen ist?

Eine nicht weniger aktive Rolle spielte der deutsche Generalstab auch in der Vorbereitung anderer Angriffspläne Hitler-Deutschlands.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der deutsche Generalstab neben dem OKW eine entscheidende Rolle in der Ausarbeitung der verbrecherischen Angriffspläne spielte.


Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.


Die deutsche Wehrmacht und ihre Befehlshaber haben allein oder in Zusammenarbeit mit den deutschen Polizeiorganen unzählige Greueltaten in den besetzten Gebieten begangen.

Allein die Aufzählung der Dokumente, aus denen die Greueltaten der deutschen faschistischen Eindringlinge in den besetzten Gebieten hervorgehen, würde schon zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich werde daher nur einzelne Dokumente erwähnen, die den Beweis erbringen, daß die Kriegsverbrechen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von der deutschen Wehrmacht planmäßig und in ungeheuerem Ausmaß verübt worden sind, im voraus organisiert waren und daß an ihnen alle Glieder der deutschen Kriegsmaschine vom Feldmarschall bis herunter zum Schützen teilnahmen.

Es genügt, sich die Anordnung des Angeklagten Keitel vom 13. Mai 1941 ins Gedächtnis zu rufen über »Die Anwendung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet ›Barbarossa‹« und über besondere Maßnahmen für die Truppe. Darin ist von der Anwendung »äußerster Maßnahmen« die Rede, zu welchem Zweck deutsche Offiziere ermächtigt wurden, Erschießungen ohne vorheriges Gerichtsverfahren [405] vorzunehmen, und es wird allen deutschen Militärpersonen Straffreiheit für Verbrechen an der friedlichen Bevölkerung zugesagt.

Oder die Anordnung desselben Angeklagten Keitel vom 16. September 1941, in der er den deutschen Truppen befahl,

»... im Auge zu behalten, daß das menschliche Leben in den Ländern, auf die sich die Anordnung bezieht, absolut nichts wert ist und daß Abschreckungsmaßnahmen nur durch Anwendung ungewöhnlicher Grausamkeit...«

wirksam sind.

Man kann auch auf die Befehle des OKW hinweisen, die sich mit der Vernichtung der Kriegsgefangenen, Sowjet-Kommissare und der Brandmarkung sowjetischer Kriegsgefangener befassen. Desgleichen auf die Befehle des Angeklagten Göring über die Vernichtung der gefangengenommenen alliierten Flieger, über die Ausplünderung der besetzten Gebiete und die Verschleppung der friedliebenden Bevölkerung zur Sklavenarbeit nach Deutschland; auf den Befehl des Angeklagten Dönitz, der es verbot, Menschen auf sinkenden Schiffen zu retten; den Befehl des früheren Generalfeldmarschalls Reichenau, betreffend Verhaltungsvorschriften für die Truppen im Osten und viele andere mehr.

Alle diese Befehle haben nunmehr gleichsam eine gleichartige Bedeutung erworben.

Diese verbrecherischen Befehle blieben nicht auf dem Papier, wie einige Zeugen, darunter von Brauchitsch und von Manstein es hier darzustellen versuchten. Sie wurden mit deutscher Gründlichkeit in die Tat umgesetzt.

Das Gericht hat die Aussage des Zeugen Walter Schreiber gehört, des früheren Generalmajors der Sanitätstruppen des deutschen Heeres. Schreiber ist ein bakteriologischer Spezialist und hat uns von den Plänen der Hitler-Verschwörer erzählt, den todbringenden Pestbazillus als Kriegswaffe zu benutzen. Er hat uns darüber unterrichtet, wie diese Verbrechen auf Anregung des deutschen Oberkommandos, des Generalstabs und der Angeklagten Hermann Göring und Wilhelm Keitel erdacht wurden und ausgeführt werden sollten.

Nur der Vormarsch der Roten Armee gegen Deutschlands Grenzen hat diesen verbrecherischen Plan der Hitler-Clique aufgehalten; seine Verwirklichung hätte ganz Europa in neues und bitteres Unglück und in Zerstörung gestürzt.

Das totalitäre Reich Hitlers hat die Zusammenarbeit seiner einzelnen Glieder in vollem Maße ausgewertet. Es ist dabei kein Zufall, daß besonderer Wert auf die Sicherstellung der Zusammenarbeit der Kriegsmaschinerie im Hitler-Deutschland mit den anderen deutschen Staatsorganen gelegt wurde.

[406] Das OKW war in vielen der deutschen Ministerien durch sogenannte Verbindungsoffiziere vertreten; desgleichen hatten viele Ministerien ihre Vertreter im OKW.

Besonders eng war die Zusammenarbeit der deutschen Militär- und Zivilbehörden in den besetzten Gebieten.

Aber wenn Hitlers Militärbefehlshaber unter dem Druck der Beweise auch gezwungen wurden, ihre Verbindung, zum Beispiel zu dem Auswärtigen Amt oder zum Ministerium für die besetzten Ostgebiete zuzugeben, so lehnen sie es doch glatt ab, ihre Verbindung zur deutschen Staatspolizei und der SS einzugestehen.

Das ist verständlich. Das Vorhandensein einer solchen Verbindung würde an sich schon ihre Mittäterschaft an den zahlreichen Greueltaten in den besetzten Gebieten offenbaren.

Ich halte mich daher für verpflichtet, das Vorhandensein einer Verbindung zwischen dem Kommando der deutschen Wehrmacht und der deutschen Geheimen Staatspolizei und anderen Polizeiorganen zu beweisen.

Diese Verbindung bestand lange vor dem Angriff Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion. Die Anweisung über gewisse Sondergebiete, die das OKW am 13. März 1941 mit der Unterschrift Keitels herausgab, sah die Notwendigkeit einer Koordinierung des Wirkungsbereiches des Reichsführer-SS und des OKW in den besetzten Gebieten vor.

Die Zeugen Walter Schellenberg und Otto Ohlendorf, die früheren Amtschefs im Reichssicherheitshauptamt, haben vor dem Gerichtshof ausgesagt, daß schon im Mai 1941 – in Ausführung der Weisungen des OKW – zwischen dem Vertreter des OKH, dem Generalquartiermeister Wagner, und dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, ein Abkommen über Organisation und Arbeitsordnung für besondere Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD im Rahmen der deutschen Wehrmacht geschlossen wurde.

Im Kreuzverhör hat der Zeuge von Brauchitsch bestätigt, daß er von den Besprechungen zwischen Wagner und Heydrich Kenntnis hatte.

Die Tätigkeit der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD im Rahmen der Wehrmacht und den Charakter dieser Tätigkeit erhellt eine Reihe von Beweisdokumenten.

In einem Bericht der Einsatzgruppe »A« der Sicherheitspolizei und des SD über die Lage am 15. Oktober 1941 wird gesagt:

»Es handelt sich nun darum, in aller Eile persönlich mit den Armeeführern wie auch mit dem Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes Fühlung aufzunehmen. Von vornherein kann betont werden, daß die Zusammenarbeit mit der [407] Wehrmacht im allgemeinen gut, in Einzelfällen, wie z.B. mit der Panzergruppe 4 unter Generaloberst Höppner, sehr eng, ja fast herzlich war.«

Und ferner:

»Für die Sicherheitspolizei zeigte sich bei diesem militärischen Vorgehen in den ersten Tagen des Ostfeldzuges, daß die spezifisch sicherheitspolizeiliche Arbeit nicht nur im rückwärtigen Heeres- und Armeegebiet, sondern auch im Gefechtsgebiet geleistet werden mußte.«

Aus einem Brief des Generalkommissars für Weißrußland, des Henkers Kube, vom 1. November 1941, in dem sogar er seiner Entrüstung über die verbrecherische Tätigkeit der Polizeiorgane in der Stadt Slutzk Ausdruck gibt, geht hervor, daß das zweite Polizeibataillon, welches die Massenerschießungen von Juden in dieser Stadt vornahm, unmittelbar dem militärischen Kommando unterstand.

Von den Befehlen Görings, Dönitz, Jodls, Keitels, von der verbrecherischen Abmachung zwischen Wagner und Heydrich, von den Befehlen Reichenaus und Mansteins zieht sich eine blutige Spur zu den zahllosen Greueltaten der deutschen Truppen und der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei in den besetzten Gebieten. Das Blut von Millionen unschuldiger Opfer klebt nicht nur an den Händen des deutschen Soldaten Knittel und des Obergefreiten Kurt, sondern auch an den Händen der Feldmarschälle des deutschen Heeres.

Hitlers Kriegsmaschine, an deren Spitze das Oberkommando der Wehrmacht und der deutsche Generalstab standen, war die entscheidende Macht, mit deren Hilfe alle verbrecherischen Angriffspläne der Hitler-Regierung, alle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgeklügelt und durchgeführt wurden. Das deutsche Oberkommando und der deutsche Generalstab waren daher eine der wichtigsten Organisationen zur Durchführung der verbrecherischen Verschwörung, und die höchsten Befehlshaber der Wehrmacht nahmen aktiv daran teil.

Ich bin der Ansicht, daß das Gerichtsverfahren den verbrecherischen Charakter dieser Militärorganisation voll und ganz erwiesen hat.


Die Reichsregierung.


Ich komme nun auf die letzte Organisation zu sprechen, die als verbrecherisch erklärt werden soll, die Reichsregierung, die eine besondere hervorragende Stellung im System der faschistischen Diktatur innehatte.

Anlage »C« zur Anklageschrift enthält eine genaue Aufzählung der Personen, die Regierungsmitglieder waren und die daher die [408] Verantwortung für die von den Hitleristen begangenen Verbrechen laut Punkt 1, 2, 3 und 4 der Anklageschrift tragen.

Im Laufe von neun Monaten hat der Gerichtshof Beweismaterial für die ungeheuerlichen Verbrechen der Nazis studiert. Wir haben hier von den Verbrechen der Polizei und der Wehrmacht, der SS-Leute und Gestapo-Leute, der Reichsprotektoren und der Reichskommissare für die besetzten Gebiete, der verschiedenen Führer und Leiter gehört, und wir können kategorisch erklären, daß die Planmäßigkeit der Durchführungsmaßnahmen und Methoden Zeugnis davon ablegt, daß diese Verbrechen von einem einzigen Zentrum aus geleitet und durchgeführt wurden. Die Fäden all dieser zahlreichen und vielgestaltigen Verbrechen führen alle zu der faschistischen Verschwörerbande und zur verbrecherischen Hitler-Regierung.

In diesem Lichte erscheinen die Erklärungen der Verteidigung und der Angeklagten darüber, daß der Ministerrat unter Hitler nur ein technischer Apparat ohne jede Vollzugsgewalt gewesen sei, absolut nicht überzeugend. Tatsächlich haben die Minister nicht nur selbst die Fragen behandelt, die in ihren Kompetenzbereich fielen, sondern waren überdies die Vollstrecker von Hitlers Willen. Es ist richtig, daß die endgültige Entscheidung bei offiziellen und inoffiziellen Besprechungen und Beratungen von Hitler selbst gefällt wurde. Daneben darf man aber die Tatsache nicht vergessen, daß ein jeder der Hitlerschen Minister Führer in seinem Amtsbereich war und durch Ratschläge, Vorlage von Material, Gesetzentwürfe und Befehle einen wesentlichen Einfluß auf die von Hitler gefällten Entscheidungen ausgeübt hat und dies in Fragen, die den Wirkungskreis mehrerer Ministerien umfaßten. Man muß auch in Betracht ziehen, daß der Wille Hitlers voll und ganz mit den persönlichen Ansichten und Überzeugungen seiner Minister übereinstimmte. Hitler hatte sie in demselben Maße nötig, wie sie Hitler nötig hatten. Göring, Frick, Rosenberg, Neurath, Speer, Funk und andere sind ohne Hitler nicht denkbar, und ebenso kann man sich Hitler nicht ohne sie vorstellen. Unter Hitlers Leitung nahmen sie aktiven Anteil an der Ausarbeitung der faschistischen Verschwörung, und jeder von ihnen hat in der Rolle, die der allgemeine Verbrecherplan für die Tätigkeit buchstäblich eines jeden Amtes vorsah, bewußt und aktiv an der Durchführung dieses Planes gearbeitet.

Als Leiter der Schlüsselministerien in Hitler-Deutschland – Finanzen, Wirtschaft, Justiz, Verkehr und so weiter – haben sie in der Zeitspanne von 1933 bis 1945 die ganze gesetzgebende, vollziehende, administrative und politische Macht gehabt. Und diese Macht haben sie benutzt, um die verbrecherischen Pläne durchzuführen: Eroberung fremder Gebiete, Vernichtung von Rassen und Völkern, Errichtung einer Weltherrschaft. Und um die Durchführung dieser verbrecherischen Pläne zu erleichtern, haben sie in [409] erster Linie die Macht über das deutsche Volk und das Deutsche Reich ergriffen und mit drakonischen Maßnahmen aufrechterhalten.

Die Welle des faschistischen Terrors rollte über ganz Deutschland, noch ehe Hitler die Macht ergriff; der Terror verstärkte sich, als er 1933 Kanzler und die Angeklagten Frick, Papen und Neurath Reichsminister wurden. Ihre Stellung in der Reichsregierung benutzten diese faschistischen Minister dazu, den Terror der Sturmabteilungen der nazistischen Partei zu legalisieren. Sie bereiteten auf diese Weise die totale Machtergreifung vor, wobei sie den vom Angeklagten Göring organisierten Reichstagsbrand benutzten.

Unmittelbar nach der faschistischen Machtergreifung erscheint am 24. März 1933 ein »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich«, das der Reichsregierung unter Umgehung des Reichstags gesetzgebende Gewalt gab.

Am 26. Mai 1933 erläßt die Reichsregierung die Verordnung über die Einziehung des kommunistischen Vermögens; am 14. Juli desselben Jahres wird das Vermögen der sozialdemokratischen Organisationen eingezogen. Am 1. Dezember 1933 erläßt die verbrecherische Reichsregierung das »Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat« mit der Unterschrift Hitlers und des Angeklagten Frick.

In Fortsetzung der Liquidierung demokratischer Institutionen hebt die Reichsregierung 1934 durch ein »Gesetz über den Neuaufbau des Reichs« die demokratischen Wahlen zum Reichstag und zu den Landtagen auf. Der Reichstag wird von den Faschisten zu einer Institution verwandelt, die keine tatsächliche Bedeutung hat.

Auf Grund des Gesetzes vom 7. April 1933 und anderer Gesetze werden alle Staatsbeamten, darunter auch Richter, die jemals antifaschistische Tendenzen zeigten oder zu Linksorganisationen gehörten, sowie Juden aus dem Dienst entlassen und durch Faschisten ersetzt. Gemäß den grundlegenden Bestimmungen des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 1937 ist die innere Verbundenheit des Beamten mit der Partei Voraussetzung zu seiner Ernennung auf einen Posten. Der Beamte

»... ist der Vollstrecker des Willens des von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei getragenen Staates.«

Die faschistische Gleichschaltung des Staatsapparates in Deutschland macht es den Hitler-Verschwörern möglich, ihn künftig als ein gehorsames Werkzeug für die Durchführung ihrer verbrecherischen Pläne zu benutzen.

Um die faschistische Ideologie einzuimpfen und die Bevölkerung zu betrügen, ergreift die Hitler-Regierung eine Reihe von Maßnahmen.

Am 1. Mai 1934 wird ein Ministerium für Erziehung und Volksbildung geschaffen; es überwacht die Schulung der Jugend [410] im Geiste des Militarismus, des Rassenhasses und einer vom faschistischen Traumwahn verdrehten Vorstellung von der Wirklichkeit.

Aufgaben dieser Art lagen auch dem Reichsjugendführer und den ihm unterstellten Organen ob.

Die Freiheit der Person, der Rede und der Presse wird aufgehoben.

Die freien Gewerkschaften werden vernichtet, ihr Eigentum wird beschlagnahmt, während die Mehrzahl der leitenden Gewerkschaftler ins Gefängnis geworfen werden.

Um jeden Widerstand terroristisch zu unterdrücken, schafft die Regierung die Gestapo und die Konzentrationslager. Ohne jedes Gerichtsverfahren und ohne Erhebung irgendeiner konkreten Anklage werden Hunderttausende von Menschen festgenommen und vernichtet auf den bloßen Verdacht antifaschistischer Gesinnung hin. Die Verteidigung bemüht sich zu versichern, daß Mitglieder der Reichsregierung an der Herausgabe der schändlichen Nürnberger Gesetze und der Rassendiskriminierung gegen die Juden nicht teilgenommen haben. Dabei enthielten die Nürnberger Gesetze besondere Aufgaben für zwei Mitglieder der Regierung: Heß und Frick, die Ergänzungsbestimmungen ausarbeiten und erlassen sollten. Und diese Bestimmungen sind auch tatsächlich von Heß und Frick erlassen worden. Derselbe Frick hat gemeinsam mit Funk im Auftrage von Göring am 3. Dezember 1938 ein Dekret über die Liquidierung des jüdischen Vermögens und eine Reihe anderer Verordnungen erlassen.

In jedem Staate trägt die Regierung die Verantwortung für alle Gesetze, die während ihrer Amtszeit erlassen wurden.

Der Gerichtshof hat Gelegenheit gehabt, die Tätigkeit der Hitler-Regierung genau zu studieren, die auf Vorbereitung und Führung von Angriffen gerichtet war. Ich brauche nicht an den Angriff auf Österreich und die Tschechoslowakei in den Jahren 1938 bis 1939, an den Angriff auf Polen, Jugoslawien und die Sowjetunion zu erinnern. Zahlreiche Dokumente, die dem Gerichtshof vorliegen, beweisen, daß die Hitler-Regierung alles getan hat, um die besetzten Gebiete Frankreichs, Polens, der Tschechoslowakei, Jugoslawiens, Norwegens, Hollands, Belgiens und anderer Länder, sowie Teile der Sowjetunion in ihrem Machtbereich zu behalten. Nur die mächtigen Schläge der Roten Armee und der Armeen der alliierten Länder haben die Verwirklichung der räuberischen Pläne der faschistischen Verschwörer vereitelt.

Die Umtriebe der Hitler-Regierung haben zum Kriege geführt, der Millionen Menschenleben gekostet hat und unermeßliche materielle Verluste und vielen Völkern unsagbares Leid verursacht hat.

[411] Die Hitler-Regierung trägt auch die Verantwortung für alle Kriegsverbrechen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von der deutschen Wehrmacht und den deutschen Beamten im Laufe des Krieges verübt wurden. Zahlreiche Dokumente, die dem Gerichtshof vorliegen, haben klar genug erwiesen, daß Hitler-Deutschland sich auf einen Krieg mit den erbarmungslosesten Mitteln vorbereitete, ohne jede Rücksicht auf die Gesetze und Gebräuche der Kriegführung.

Die Kriegsverbrechen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden nicht nur gegen die Soldaten der friedliebenden Völker begangen, die sich vereint gegen den faschistischen Angreifer wehrten, sondern auch an der unschuldigen Zivilbevölkerung. Noch vor dem verräterischen Angriff auf die Sowjetunion hat die Regierung Hitler-Deutschlands sorgfältig Pläne ausgearbeitet, die auf eine ungeheuerliche Vernichtung der besten Elemente des sowjetischen Volkes abzielten.

Die seinerzeit von der Außerordentlichen staatlichen Kommission veröffentlichten Berichte über die deutsch-faschistischen Greueltaten in Nowgorod, Stawropol, Orel, Stalino, Smolensk, Kiew und anderen Städten beweisen, daß ein durchgearbeiteter Plan zur vorbedachten Massenvernichtung von Kriegsgefangenen und friedlichen Sowjetbürgern durch die deutschen Eroberer existierte.

Alle Angeklagten – Mitglieder der Hitler-Regierung – behaupten heuchlerisch, daß sie von den unerhörten Greueltaten der Hitler-Leute in den Konzentrationslagern, von der zügellosen Willkür der SS-Leute, von den Ausschreitungen der deutschen Machthaber in den zeitweilig besetzten Gebieten angeblich erst hier vor dem Gerichtshof Kenntnis erhalten hätten. Diese Behauptung ist offensichtlich eine Lüge.

Diese Tatsachen waren bis zu einem gewissen Grade einem jeden Deutschen bekannt. Darüber hatte der Rundfunk der ganzen Welt berichtet.

Die empörenden Greueltaten, die die deutschen Machthaber an sowjetischen Kriegsgefangenen und friedlichen Sowjetbürgern verübten, waren der ganzen Welt in den Noten des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, V. M. Molotow, vom 25. November 1941 und 27. April 1942 bekanntgegeben worden. Und obwohl die Verletzung der elementarsten Regeln des Völkerrechts und der menschlichen Moral durch die deutsche Wehrmacht und deutsche Behörden der Reichsregierung aus den oben erwähnten Noten bekanntgeworden ist, fuhr man fort, die Gesetze und Gebräuche der Kriegführung in verbrecherischer Weise auch in den Jahren 1943 bis 1945 mit Füßen zu treten. Folglich ist klar, daß diese Verbrechen mit Wissen und auf Befehl der Hitler-Regierung begangen worden sind.

[412] Hat Rosenberg etwa die Aktennotiz von Lammers nicht bekommen, in der es heißt, daß die Genfer Konvention auf sowjetische Kriegsgefangene keine Anwendung findet?

Oder ist etwa das Rundschreiben der Parteikanzlei, das vom Angeklagten Bormann unterzeichnet war, nicht an die Minister geschickt worden? Es enthielt Anweisungen für die grausame Behandlung und Beschimpfung der Sowjet-Kriegsgefangenen.

Sind das Innenministerium, das Reichssicherheitshauptamt, die Gestapo, die Gefängnisse und die Konzentrationslager etwa nicht Organe der Deutschen Regierung?

Die Regierung muß in vollem Maße die Verantwortung für die von diesen faschistischen Staatsorganen begangenen Greueltaten tragen.

Die Mitglieder der Hitler-Regierung haben mit allen Mitteln versucht, von den SS-Leuten abzurücken. Als sie überführt wurden, haben sie jedesmal irgendeine neue Version gefunden, die eine lügenhafter als die andere. Rosenberg, Neurath, Frick, Ribbentrop und die übrigen Minister waren SS-Generale.

Dies war keineswegs eine Formsache. Man kann sich davon beispielsweise aus dem Brief des Angeklagten Ribbentrop an Himmler vom 22. Juli 1940 überzeugen; dieser Brief ist dem Gerichtshof von der Sowjet-Anklagevertretung vorgelegt worden.

Der Minister Rosenberg hat versucht, den Gerichtshof glauben zu machen, er hätte nichts von den greulichen Befehlen des Ministers Himmler gewußt.

Es war aber gerade Himmler, der dafür Sorge trug, daß der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, Rosenberg, von dem Befehl Kenntnis erhielt, den er am 7. September 1943 an die Führer der SS und des SD erteilte. Sie sollten gemeinsam mit den militärischen Befehlshabern die totale Zerstörung der Ukraine durchführen; ich zitiere:

»Kein einziger Mensch, kein Stück Vieh, kein Zentner Getreide, keine Eisenbahnlinie, kein einziges unzerstörtes Haus, kein einziges Bergwerk, das man in den nächsten Jahren gebrauchen könnte, kein einziger unvergifteter Brunnen soll übrigbleiben.«

Er empfahl, besonders darauf zu achten, daß Rosenberg, der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, von diesem Befehl unterrichtet werde.

Minister Göring hat am 8. März 1940 an die höchsten Reichsstellen eine verbrecherische Weisung über die Behandlung von Zivilarbeitern und -arbeiterinnen polnischer Staatsangehörigkeit im Reich schicken lassen.

[413] Minister Frank erhält Weisungen von Göring – wie er wiederholt in seinem Tagebuch vermerkt – über die Verschleppung von Hunderttausenden von Polen in die deutsche Sklaverei unter Anwendung beliebiger Mittel.

Die Minister Speer, Sauckel, Rosenberg, Keitel, Funk, Seyß-Inquart und andere sind hier vor Gericht überführt worden, Weisungen zur Ausnutzung der Arbeitskraft von Kriegsgefangenen und friedlichen Bewohnern der von den Deutschen besetzten Gebiete ausgearbeitet und erlassen zu haben.

Niemand anders als der Minister Rosenberg hat die Maßnahmen der Heeresgruppe Mitte über die Ergreifung von 40000 bis 50000 Kindern von 10 bis 14 Jahren auf Sowjetgebiet und ihren Abtransport nach Deutschland gebilligt.

Zeugen diese Beispiele etwa nicht von den Verbrechen der Hitler-Regierung?

Es ist durch dokumentarische Beweise festgelegt, daß die planmäßig organisierte Ausplünderung der von den Deutschen eroberten Gebiete nach offiziellen Weisungen und Verordnungen der Hitler-Regierung und ihrer einzelnen Mitglieder vor sich ging. Die Weisungen des Ministers Göring über den planmäßigen Raub in den besetzten Sowjetgebieten – Görings sogenannte »Grüne Mappe« – die Tätigkeit des räuberischen Einsatzstabes und des Bataillons zur besonderen Verwendung, die Weisungen der Minister Rosenberg und Ribbentrop über den Raub von Kunstschätzen und Kulturdenkmälern, die Tätigkeit der Minister Funk und Speer – ist das etwa nicht genug, um den Schluß zu ziehen, daß die Hitler-Regierung an der Ausplünderung der von den Deutschen besetzten Gebiete teilgenommen hat?

Die Deutsche Reichsregierung ist verantwortlich für die Ausraubung staatlichen, öffentlichen und privaten Eigentums und für die Zerstörung und Plünderung kultureller Werte auf den zeitweilig, von den Hitleristen besetzten Gebieten. Der UdSSR allein ist ein Sachschaden im Betrag von 679 Milliarden Rubel zugefügt worden.

Die Mitglieder der Reichsregierung tragen die Verantwortung für die zwangsweise Germanisierung der von den Deutschen besetzten Gebiete. Es waren die Reichsminister Göring, Frick, Heß, Lammers, die die Verordnung über den Anschluß der vier westlichen Provinzen Polens an Deutschland unterzeichneten.

Niemand anders als Minister Frick sagte in seiner Instruktion an den Gauleiter Rainer:

»... Ihre wesentlichste Aufgabe wird es sein, die neuen Gebiete Südostkärntens und Oberkrains restlos einzugliedern... Denn ohne die Schaffung eines Walles von deutschen Menschen in diesem Lande wird jedes noch so [414] schöne Verwaltungsgebäude früher oder später zusammenbrechen... Ihre Aufgabe, Parteigenosse Rainer, ist es nun, dieses Land wieder ganz und gar deutsch zu machen...«

Man braucht sich nur zu erinnern an die Vereinbarung der Minister Ribbentrop und Himmler über die Organisation eines Spionagedienstes im Auslande; an die Vereinbarung zwischen Himmler und Bormann und dem Justizminister Thierack vom 18. November 1942 über die Durchführung besonderer Polizeimaßnahmen zur Vernichtung der Juden, Zigeuner, Russen, Ukrainer, Polen, Tschechen, als sogenannte asoziale Elemente; an den Brief des Ministers Lammers vom 4. Juni 1944 an den Minister Thierack über den Straferlaß für die Schuldigen an der Ermordung der notgelandeten alliierten Flieger; an den Brief des Ministers Keitel an den Außenminister über die Frage der Behandlung der alliierten Flieger – dann kann man sich diese Banditen-Regierung gut vorstellen.

Am 4. Februar 1938 schuf Hitler den Geheimen Kabinettsrat und gab seiner Bedeutung in folgenden Worten Ausdruck:

»Zu meiner Beratung in der Führung der Außenpolitik setze ich einen Geheimen Kabinettsrat ein.«

Als Vorsitzenden des Geheimen Kabinettsrates berief Hitler Neurath, zu Mitgliedern machte er Ribbentrop, Göring, Heß, Goebbels, Lammers, Brauchitsch, Raeder und Keitel.

Am 21. Mai 1935 schuf Hitler den Reichsverteidigungsrat.

Am 30. August 1939 bildete Hitler den Reichsverteidigungsrat in einen »Ministerrat für die Reichsverteidigung« um. Er ernannte Göring zum Vorsitzenden und die Minister Heß, Frick, Funk, Keitel und Lammers zu Mitgliedern:

In der Sitzung vom 23. November 1939 unterstrich der Vorsitzende dieses Rates, Göring, daß »der Reichsverteidigungsrat eine entscheidende Instanz in Fragen der Kriegsvorbereitung« sei und daß »Sitzungen des Verteidigungsrates zur Fassung der wichtigsten Beschlüsse anberaumt werden«.

Nicht die Verteidigung, sondern der Angriff und die Vorbereitung von Angriffskriegen war Aufgabe dieses Rates. An den Vorbereitungen für den Krieg nahmen nicht nur die Mitglieder des Reichsverteidigungsrates teil, sondern auch alle anderen Minister.

So nahmen an der Ratssitzung vom 23. November 1939 neben Göring, Funk, Frick, Himmler, Keitel und Lammers die Minister Schwerin von Krosigk, Dorpmüller und andere teil.

Auf dieser Sitzung wurden nicht nur der Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen und der Bevölkerung der besetzten Gebiete in [415] der Kriegswirtschaft geplant, sondern auch der Arbeitseinsatz der Internierten und ihre Anzahl während des Krieges.

Im Protokoll heißt es:

»Der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft« – das heißt Funk – »wird beauftragt, die Arbeit festzulegen, welche Kriegsgefangene und Häftlinge in Gefängnissen, Konzentrationslagern und im Zuchthaus zu leisten haben. Laut Mitteilung des Reichsführer-SS wird sich während des Krieges eine bedeutend größere Zahl Menschen in den Konzentrationslagern befinden.

Vorläufig wird die Zahl der in den Werkstätten innerhalb der Konzentrationslager Beschäftigten auf 20000 Häftlinge geschätzt.«

Während dieser Sitzung wurden die Weisungen über die Zusammenarbeit des OKW mit dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft vom 3. Mai 1939 bezüglich der Umstellung der Betriebe auf Kriegswirtschaft erwähnt; es wurden die Pläne eines totalen Krieges besprochen, besondere Berichte des Chefs der Abteilung V des Generalstabs – Oberst Gehrke – und des Verkehrsministers Dorpmüller wurden gehört.

Wurden alle Mitglieder der Reichsregierung von diesen Beschlüssen in Kenntnis gesetzt? Fraglos ja. Das ergibt sich schon aus dem Verteiler, der zeigt, an wen das Sitzungsprotokoll vom 23. November 1939 geschickt wurde. Das Protokoll der Sitzung des Reichsverteidigungsrates wurde gesandt an: den Stellvertreter des Führers; den Chef der Reichskanzlei; den Präsidenten des Geheimen Kabinettsrates; den Beauftragten für den Vierjahresplan; das Auswärtige Amt; den Reichsjustizminister; den Reichsminister des Innern; den Reichsminister für Erziehung und Volksbildung; den Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft; den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten; den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft; den Reichsarbeitsminister; den Reichsfinanzminister; den Reichsverkehrsminister; den Reichspostminister; den Präsidenten des Reichsbankdirektoriums und so weiter.

Der Umstand allein, daß die Mehrzahl der Mitglieder der Reichsregierung Angeklagte in diesem Prozeß sind, zeigt schon zur Genüge den Charakter dieser Organisation.

Ich bin der Ansicht, daß die Schuld der deutschen Hitler-Regierung an der Begehung der schwersten Verbrechen voll erwiesen ist und daß die Reichsregierung als eine verbrecherische Organisation erklärt werden muß.

Meine Herren Richter!

Um die Greueltaten zu begehen, die sie ersonnen hatten, schufen die Anführer der faschistischen Verschwörung ein System [416] verbrecherischer Organisationen; mit diesen habe ich mich in meiner Rede schon befaßt.

Heute erwarten jene, die sich Unterjochung der Welt und Völkervernichtung zum Ziele gesetzt hatten, mit Beben den Urteilsspruch des Gerichtshofs.

Dieser Urteilsspruch gilt aber nicht nur den Urhebern der blutigen faschistischen Ideen, den hauptsächlichen Organisatoren der hitlerischen Verbrechen, die hier auf der Anklagebank sitzen.

Ihr Urteilsspruch, meine Herren Richter, muß das ganze verbrecherische System des deutschen Faschismus treffen, jenes komplizierte, weitverzweigte Netz von Partei-, Regierungs-, SS- und Militärorganisationen, mittels derer die grauenerregenden Vorhaben der Verschwörer unmittelbar in die Tat umgesetzt wurden.

Auf den Kriegsschauplätzen hat die Menschheit schon ihren Urteilsspruch über den verbrecherischen deutschen Faschismus gefällt.

Im Feuer der größten Schlacht der Weltgeschichte haben die heldenmütige Rote Armee und die tapferen Heere der Alliierten nicht nur die Hitler-Horden zerschlagen, sondern auch die hohen und edlen Grundsätze internationaler Zusammenarbeit, menschlicher Moral und humaner Regeln des menschlichen Zusammenlebens aufs neue zur Geltung gebracht.

Die Anklagevertretung hat ihre Pflicht vor diesem Gerichtshof erfüllt, vor dem heiligen Andenken der unschuldigen Opfer, vor ihrem eigenen und dem Gewissen der Völker.

So möge denn nun das Gericht der Völker über alle faschistischen Henker sein Urteil fällen, ein gerechtes und strenges Urteil.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich jetzt bis 10.00 Uhr morgen früh.


[Das Gericht vertagt sich bis

31. August, 10.00 Uhr.]


1 Die Zitate im Schlußplädoyer des Hauptanklägers für die Sowjetunion konnten zum Teil nicht mit den deutschen Originaldokumenten verglichen werden. Sie sind Insoweit aus dem Russischen rückübersetzt.


2 Gemeint ist wohl das »Südost-Europa-Institut«.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 22.
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