Vormittagssitzung.

[151] LEUTNANT BRYSON: Hoher Gerichtshof! Bevor ich meine Beweisführung gegen den Angeklagten Schacht fortsetze, möchte ich eine Aufklärung geben.

Gestern stellte der Herr Vorsitzende eine Frage wegen des Dokuments EC-457, US-619. Die vom Gerichtshof erhobene Frage bezog sich auf die Worte »a. D.«, die auf Schachts Briefkopf in einem Schreiben angeführt sind, das er 1932 an Hitler richtete. Es handelt sich hier um den Brief, in dem Schacht seine Überzeugung über die Richtigkeit der nationalsozialistischen Bewegung zum Ausdruck brachte und weiterhin erklärte, daß Hitler immer auf ihn als einen zuverlässigen Mitarbeiter rechnen könne.

In dem Briefkopf steht das Wort »Reichsbankpräsident« und dahinter stehen in Schreibmaschinenschrift die Buchstaben »a. D.«. Soviel ich erfahren konnte, sind diese Buchstaben eine Abkürzung für die deutschen Worte »außer Dienst«. Es ist oder war in Deutschland üblich, daß Beamte im Ruhestand weiterhin ihren Amtstitel unter Beifügung der Buchstaben »a. D.« führen.

VORSITZENDER: Ich verstehe.


LEUTNANT BRYSON: Gestern hatten wir die Beweisführung über den Beitrag des Angeklagten Schacht zu den Kriegsvorbereitungen nahezu beendet; ich möchte in diesem Zusammenhang ein weiteres Dokument vorlegen, und zwar EC-451, US-626. Es enthält eine Erklärung von Georg S. Messersmith, dem Amerikanischen Generalkonsul in Berlin in den Jahren 1930 bis 1934. Ich zitiere daraus und beginne mit dem zweiten Absatz des vierten Abschnitts:

»Seine« – Schachts – »finanziellen Fähigkeiten setzten das Nazi-Regime gleich zu Anfang in den Stand, die finanzielle Grundlage für das ungeheuere Aufrüstungsprogramm zu finden und dessen Durchführung zu ermöglichen. Ohne seine Anstrengungen, und dies ist nicht nur meine persönliche Beobachtung, sondern sie wurde und wird von jedem Beobachter jener Zeit geteilt, hatte das Nazi- Regime sich nicht an der Macht halten und seine Kontrolle über. Deutschland aufrichten können; noch viel weniger wäre es in der Lage gewesen, die ungeheuere Kriegsmaschine aufzubauen, die zur Erreichung seiner Ziele in Europa und später in der ganzen Welt notwendig war.

[151] Die erhöhte, mit der Aufrüstung verbundene industrielle Tätigkeit in Deutschland machte größere Einfuhren von Rohstoffen notwendig, während sich zur gleichen Zeit der Export verringerte. Durch Schachts Findigkeit aber, durch seine völli ge finanzielle Rücksichtslosigkeit und seinen absoluten Zynismus war er imstande, die Lage für die Nazis aufrechtzuerhalten und zu stabilisieren. Es ist keine Frage, daß es für Hitler und die Nazis unmöglich gewesen wäre, eine bewaffnete Macht zu entwickeln, die Deutschland einen Angriffskrieg ermöglichte, wenn Schacht der Nazi-Regierung und ihren ehrgeizigen Zielen seine Fähigkeiten nicht gänzlich zur Verfügung gestellt hätte.«

Wir gehen nunmehr...

VORSITZENDER: Herr Leutnant Bryson, ich bin nicht ganz sicher, ob das, was Sie verlesen haben, eine vollständige und deutliche Darstellung des Dokuments ergibt. Glauben Sie nicht, daß Sie den vorhergehenden Absatz auch verlesen sollten?

LEUTNANT BRYSON: Den vorhergehenden Absatz, Herr Vorsitzender?


VORSITZENDER: Ja.


LEUTNANT BRYSON:

»Dr. Schacht versuchte immer auf beiden Schultern zu tragen. Er sagte mir, und ich weiß, daß er das auch anderen amerikanischen und zahlreichen britischen Vertretern in Berlin gegenüber tat, daß er von nahezu allem, was die Nazis taten, abrückte. Ich erinnere mich seiner Worte bei verschiedenen Gelegenheiten nach der Machtergreifung der Nazis, daß, wenn die Nazis nicht zurückgehalten würden, sie Deutschland und den Rest der Welt ruinieren würden. Ich erinnere mich genau, daß er mir gegenüber nachdrücklich hervorhob, daß die Nazis unweigerlich Europa in einen Krieg stürzen werden.«

Wenn der Gerichtshof erlaubt, dann möchte ich noch aus dem letzten Absatz vorlesen:

»Nach meiner Meinung war Schacht in keiner Weise ein Gefangener der Nazis. Er war nicht verpflichtet, seine Zeit und seine Fähigkeiten ihren Interessen zu widmen. Seine Lage war derart, daß er aller Voraussicht nach imstande gewesen wäre, entweder in einem wesentlich zurückhaltenderen Umfang zu arbeiten oder von irgendwelcher Tätigkeit überhaupt abzusehen. Er fuhr jedoch fort, seine Dienste aus Opportunismus der Nazi-Regierung zur Verfügung zu stellen.«

Wir wenden uns nunmehr dem dritten Teil unserer Beweisführung gegen Schacht zu. Dieses Beweismaterial zeigt deutlich, daß er bereitwillig seine Kräfte der Nazi-Verschwörung zur Verfügung [152] stellte, obwohl er ihre Angriffspläne genauestens kannte. Der Gerichtshof wird sich des von uns erbrachten Beweises erinnern, daß sich Schacht schon 1931 zur Nazi-Philosophie bekehrte und Hitler im Jahre 1933 zur Macht verholfen hat. Wir wollen nunmehr zunächst beweisen, daß Schacht persönlich eine Angriffspolitik begünstigte und zweitens, daß er auf jeden Fall über Hitlers aggressive Absichten unterrichtet war.

Es sind genügend Beweise für die Rechtfertigung des Schlusses gegeben, daß Schacht die Aufrüstung Deutschlands vornahm, um seine feste Überzeugung von der aggressiven Expansionspolitik als einem Instrument der nationalen deutschen Politik erfüllt zu sehen. Schacht ist schon lange ein deutscher Nationalist und Expansionist gewesen. Er sprach schon im Jahre 1927 in Stuttgart gegen den Versailler Vertrag. Als Beweis hierfür biete ich das Dokument EC-415, US-627, an, in dem eine Reihe von Auszügen aus Schachts Reden zu finden ist. Ich zitiere vom Anfang der Seite 2 an:

»Das Diktat von Versailles kann kein ewiges Dokument sein, weil nicht nur seine wirtschaftlichen, sondern auch seine geistigen und moralischen Voraussetzungen falsch sind.«

Es ist allgemein bekannt, daß Schacht leidenschaftlich den Erwerb von Kolonien für Deutschland anstrebte, ebenso wie ja auch den Erwerb von Nachbargebieten in Europa. Am 16. April 1929 sagte er auf der Pariser Konferenz in Verbindung mit Reparationen...

VORSITZENDER: Werden Sie den kommenden Absatz später verlesen?

LEUTNANT BRYSON: Jawohl, Herr Vorsitzender, später, im Zusammenhang mit anderen Dingen.


VORSITZENDER: Sehr gut, fahren Sie fort.


LEUTNANT BRYSON: Am 16. April 1929 sagte er auf der Pariser Konferenz in Verbindung mit Reparationszahlungen:

»Deutschland kann im allgemeinen nur zahlen, wenn der Korridor und Oberschlesien Deutschland wieder aus polnischem Besitz zurückerstattet wird und wenn außerdem Deutschland irgendwo auf der Welt Kolonialbesitz zur Verfügung gestellt wird.«

MR. BIDDLE: Woraus zitieren Sie?

LEUTNANT BRYSON: Aus Dokument 3726-PS, Beweisstück US-628. Es enthält eine Reihe von Auszügen aus einem Vorverhör Schachts vom 24. August 1945. Sie finden es am Schluß des Dokumentenbuchs, unter der Überschrift: »Verhör vom 24. August 1945«. Es steht oben auf der ersten Seite der Niederschrift des Verhörs. [153] Diese Erklärung wurde Schacht vorgelesen und in seiner Erwiderung gab er ihre Richtigkeit zu. In seiner Erwiderung sagte er:

»Es ist bewiesen worden, daß Deutschland in der Zeit, die auf meine damaligen Äußerungen folgte, zahlungsunfähig war, und die Zukunft wird lehren, daß Deutschland auch nach diesem Kriege nicht zahlungsfähig sein wird.«

Ich möchte darauf hinweisen, daß es sich hierbei um genau dasselbe Gebiet handelte, das im September 1939 Gegenstand des bewaffneten Angriffs war.

Im Jahre 1935 erklärte Schacht unumwunden, daß Deutschland Kolonien, wenn nötig mit Gewalt, erwerben würde. Ich lege als Dokument EC-450, US-629, vor. Dieses Dokument stellt eine eidesstattliche Erklärung von S. R. Fuller jr. dar und ist verbunden mit einer Niederschrift über eine Unterhaltung mit Schacht in der amerikanischen Botschaft in Berlin am 23. September 1935. Ich verlese von Seite 6 dieser Urkunde, wo sich eine Erklärung Schachts auf der unteren Hälfte der Seite befindet.

VORSITZENDER: Welches war das Datum dieser Unterhaltung?

LEUTNANT BRYSON: Die Unterhaltung fand am 23. September 1935 statt. Die Seitenzahl dieser Urkunde befindet sich unten auf der Seite. Ich zitiere von Seite 6:

»Schacht: Kolonien sind für Deutschland notwendig. Wenn möglich, werden wir sie durch Verhandlungen erhalten, aber wenn nicht, werden wir sie uns nehmen.«

Im Juli 1936, als das deutsche Aufrüstungsprogramm in vollem Schwung war, sprach Schacht wieder öffentlich über den Versailler Vertrag. Diesmal enthielt seine Rede eine ausgesprochene Kriegsdrohung. Ich darf den Gerichtshof wieder auf das Dokument EC-415 hinweisen, das bereits als Beweisstück US-627 vorliegt und aus einer Reihe von Schachts Reden besteht. Ich möchte aus dem Absatz in der Mitte der ersten Seite verlesen:

»Aber ungehindert lastet die Kriegserinnerung auf dem Gemüt der Völker. Das macht, daß tiefer als die materiellen Wunden die moralischen Wunden schmerzen, die die sogenannten Friedensverträge geschlagen haben. Materielle Verluste können durch neue Arbeit ausgeglichen werden, aber brennend zehrt am Gewissen der Völker das moralische Unrecht, das in den Friedensdiktaten den besiegten Völkern zugefügt worden ist. Der Geist von Versailles hat die Wut des Krieges verewigt, und ehe die Welt von diesem Geist nicht läßt, wird kein wahrer Friede, kein Fortschritt, kein Wiederaufbau sein. Diese Mahnung auszusprechen, wird das deutsche Volk nicht müde werden.«

[154] Später, im gleichen Jahre, befürwortete Schacht öffentlich die Idee vom »Lebensraum« für das deutsche Volk. Ich zitiere wieder von EC-415, US-627. Es handelt sich um einen Auszug aus einer Rede, die Schacht am 9. Dezember 1936 in Frankfurt gehalten hat. Ich zitiere vom letzten Absatz der zweiten Seite:

»Deutschland hat einen zu geringen Lebensraum für seine Bevölkerung. Es hat alle Anstrengungen und ganz gewiß viel größere Anstrengungen als irgendein anderes Volk gemacht, aus seinem vorhandenen geringen Raum herauszuholen, was für seine Lebenssicherung notwendig ist. Trotz all dieser Anstrengungen aber reicht der Raum nicht aus.«

Im Januar 1937 verlangte Schacht in einer Unterhaltung mit dem Botschafter Davies die Abtretung von Kolonien und drohte, zumindest indirekt, mit einem Bruch des Friedens. Ich lege als Beweismaterial Dokument L-111, US-630, vor, in dem Auszüge aus einem Bericht vom 20. Januar 1937 enthalten sind, den Botschafter Davies an den Staatssekretär erstattete. Ich möchte daraus verlesen und beginne mit dem zweiten Satz des zweiten Absatzes:

»Er (gemeint ist Schacht) führte aus, daß die gegenwärtige Lage des deutschen Volkes unerträglich und verzweifelt sei; daß er durch seine Regierung ermächtigt worden sei, Frankreich und England Vorschläge zu unterbreiten, die dahin gingen,

1) den europäischen Frieden zu garantieren;

2) die gegenwärtigen europäischen internationalen Grenzen zu sichern;

3) die Rüstungen herunterzusetzen;

4) einen neuen arbeitsfähigen Völkerbund zu gründen;

5) Sanktionen abzuschaffen in Verbindung mit einer neuen Behörde für gemeinsame Verwaltung.

Das alles war gegründet auf eine Abtretung von Kolonien, die für Deutschland einen Ausweg für seinen Bevölkerungsüberschuß und ebenso eine Quelle für Nahrungsmittel, Fette und Rohstoffe bedeuten würde.«

Im Dezember 1937 schrieb Botschafter Dodd in sein Tagebuch, daß Schacht das Risiko eines Krieges auf sich nehmen würde, um in Europa neues Gebiet zu erwerben. Ich verweise den Gerichtshof auf das Dokument EC-461, das Auszüge aus dem Tagebuch des Botschafters Dodd enthält.

VORSITZENDER: Der im Dokument L-111 enthaltene Vorschlag bezog sich auf die Abtretung von Kolonien, nicht wahr?

LEUTNANT BRYSON: Ja, Herr Vorsitzender.

Ich wende mich nun dem Dokument EC-461 zu, das Auszüge aus dem Tagebuch von Botschafter Dodd enthält. Das gesamte [155] Tagebuch ist bereits als Beweisstück US-58 vorgelegt worden. Ich zitiere einige Stellen über eine am 21. Dezember 1937 mit Schacht geführte Unterhaltung und beginne fast am Schluß der zweiten Seite des Dokuments EC-461 im letzten Absatz:

»Schacht meinte das gleiche, was die Armeeführer 1914 im Sinne hatten, als sie in Belgien einfielen und erwarteten, Frankreich in 6 Wochen erobern zu können; nämlich Beherrschung und Annektion kleinerer Nachbarstaaten besonders im Norden und Osten. So sehr er auch Hitlers Diktatur mißbilligt, so sehr wünscht er – genau wie viele andere hervorragende Deutsche – eine Annektion – wenn möglich – ohne Krieg; mit Krieg nur dann, wenn die Vereinigten Staaten herausbleiben.«

VORSITZENDER: Da ist noch eine andere Stelle in diesem Tagebuch. Ich weiß nicht genau, möglicherweise ist es nicht das gleiche Datum, aber es steht auf der ersten Seite des Beweisstücks, ich glaube der dritte Absatz.

LEUTNANT BRYSON: Der dritte Absatz?


VORSITZENDER: Handelt es sich um ein anderes Datum?


LEUTNANT BRYSON: Jawohl, es ist ein anderes Datum, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Der 19. September welchen Jahres?


LEUTNANT BRYSON: Wir werden gleich in unserem vollständigen Band nachsehen, und ich denke, Ihnen das Datum in einer Minute angeben zu können. Darf ich es in der Zwischenzeit verlesen, Herr Vorsitzender?


VORSITZENDER: Ja, bitte!


LEUTNANT BRYSON:

»Er bestätigte mir alsdann, daß die Hitler-Partei vollkommen dem Krieg verschrieben und daß das Volk ebenfalls bereit und willig wäre. Nur einige wenige Regierungsbeamte wären sich der Gefahren bewußt und widersetzten sich.« Er schloß damit: »Aber wir werden es auf 10 Jahre verschieben, dann werden wir vielleicht den Krieg vermeiden können.«

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie sollten auch den nächsten Absatz vorlesen.

LEUTNANT BRYSON:

»Ich erinnerte ihn an seine Rede in Bad Eilsen vor ungefähr 2 Wochen und sagte: ›Ich stimme mit Ihnen in Handels- und finanziellen Dingen in der Hauptsache überein. Aber warum sagen Sie dem deutschen Volke nicht, wenn [156] Sie vor der Öffentlichkeit sprechen, daß es seine kriegerische Einstellung aufgeben müsse?‹ Er erwiderte: ›Ich wage das nicht zu sagen. Ich kann nur über meine eigenen Dinge reden!‹«


VORSITZENDER: Und der nächste Absatz?

LEUTNANT BRYSON: Der nächste Absatz lautet:

»Wie kann das deutsche Volk jemals die wirklichen Gefahren eines Krieges kennenlernen, wenn ihm niemand diese Seite der Frage vor Augen führt? Er betonte nochmals ausdrücklich seinen Widerstand gegen einen Krieg und fügte hinzu, daß er seinen Einfluß auf Hitler – ›ein sehr großer Mann‹, fügte er hinzu – ausgeübt habe, um einen Krieg zu verhindern. Ich sagte:

›Die deutschen Zeitungen haben das, was ich in Bremen über die Handelsbeziehungen zwischen unseren Ländern gesagt habe, abgedruckt; aber kein Wort über die furchtbaren Folgen und die Barbarei eines Krieges!‹ Er bestätigte das und sprach sehr mißbilligend über das Propagandaministerium, das alles unterdrücke was es nicht gern sähe. Er fügte hinzu, als ich mich zum Weggehen anschickte: ›Wissen Sie, eine Partei kommt durch Propaganda an die Macht und danach kann sie sie nicht mehr desavouieren oder abstoppen.‹«

Diese Unterhaltung fand im September 1934 statt.

VORSITZENDER: Es ist schade, daß die Jahreszahlen in dem Dokument nicht angegeben sind. So wie es ist, ist es etwas irreführend.

LEUTNANT BRYSON: Hoher Gerichtshof, das Beweisstück, das ich vorgelegt habe, zeigt das Datum.


VORSITZENDER: Ja, ich mache Ihnen auch keinen Vorwurf. Aber es ist irreführend, da der 19. September und 21. Dezember angegeben sind, obschon zwischen beiden Daten ein Zeitraum von drei Jahren liegt; das ist schon ein Unterschied. Das ist doch richtig, nicht wahr?


LEUTNANT BRYSON: Ja, das stimmt. Es tut mir leid, daß die Auszüge nur die Seitenzahlen des Originaldokuments und nicht die Daten angeben.

Schacht spannte zugegebenermaßen alle Hilfsquellen Deutschlands ein, um eine Wehrmacht zu schaffen, mit der Hitler das Mittel zur Verwirklichung seines Wunsches nach Lebensraum in die Hand gegeben wurde. In diesem Zusammenhang überreiche ich zum Beweis Dokument EC-369, US-631, das eine von Schacht unterzeichnete Denkschrift des Reichsbankdirektoriums an Hitler vom [157] 7. Januar 1939 darstellt. Ich möchte den letzten Absatz der ersten Seite verlesen:

»Die Reichsbank ist sich von Anfang an darüber klar gewesen, daß außenpolitische Erfolge nur erreichbar sein konnten auf Grund der Wiederaufrichtung der deutschen Wehrmacht. Sie hat deshalb die Finanzierung der Rüstung weitgehend auf sich genommen trotz der darin liegenden währungspolitischen Gefahren. Die Rechtfertigung hierfür lag in der alle anderen Erwägungen zurückdrängenden Notwendigkeit, sofort, aus dem Nichts und anfangs noch dazu getarnt, eine Rüstung aufzustellen, die eine achtungheischende Außenpolitik ermöglichte.«

Es ist klar, daß die »erfolgreiche Außenpolitik«, die Schacht der Aufrüstung zuschrieb, die Einverleibung Österreichs und der Tschechoslowakei in sich schloß. Zum Beweise überreiche ich Dokument EC-297(a), US-632. Es handelt sich dabei um eine Rede, die Schacht im März 1938 nach dem Anschluß in Wien hielt. Ich zitiere von der dritten Seite den ganzen zweiten Absatz:

»Gott sei Dank, diese Dinge haben letzten Endes den Weg des großen deutschen Volkes nicht hindern können, denn Adolf Hitler schuf eine Gemeinschaft des deutschen Wollens und Denkens, er stützte sie durch eine wiedererstarkte Wehrmacht, und damit brachte er schließlich die innere Vereinigung zwischen Österreich und Deutschland auch in ihre äußere Form.«

Wegen des Sudetenlandes darf ich das Gericht auf das Dokument EC-611 hinweisen, das dem Gerichtshof schon als Beweisstück US-622 vorgelegt worden ist. Ich werde nichts daraus verlesen. Es handelt sich um eine Rede von Schacht, die er am 29. November 1938 kurz nach dem Münchener Abkommen hielt. Ich habe schon zuvor die entsprechenden Bemerkungen verlesen, die Hitlers Erfolg auf dieser Konferenz der Aufrüstung zuschrieb, die wiederum durch Schachts finanzielle und wirtschaftliche Maßnahmen ermöglicht worden war.

Diese Linie der Beweisführung zeigt, daß Schacht in Bezug auf territoriale Ausdehnung eine aggressive Philosophie vertrat, und läßt den Schluß zu, daß er sich mit Hitler verbündete, weil sie beide der gleichen Auffassung huldigten.

Wir wenden uns nunmehr der Beweisführung darüber zu, daß Schacht, ob er den Krieg nun wünschte oder nicht, zumindest wußte, daß Hitler einen militärischen Angriff plante, für den er – Schacht – die Mittel schuf. In der Zeit von 1933 bis 1937 hatte er mit Hitler zahlreiche Besprechungen. Er wußte, daß Hitler beabsichtigte, das Reich nach Osten auszudehnen, was Krieg [158] bedeutete, und daß er der Auffassung war, das deutsche Volk mit einem militärischen Siege beglücken zu müssen. Zum Beweise überreiche ich Dokument 3727-PS, US-633, das einen Auszug aus einem Vorverhör Schachts vom 13. Oktober 1945 darstellt, und lese von der zweiten Seite am Ende der zweiten Frage vor:

»Frage: Welche Auslassung von Hitler hat Sie zu der Ansicht gebracht, daß er beabsichtigte, sich nach dem Osten auszudehnen?

Antwort: Das steht in ›Mein Kampf‹. Er sprach mit mir nie darüber, aber es war in ›Mein Kampf‹.

Frage: Mit anderen Worten, als jemand, der es gelesen hatte, schlossen Sie daraus, daß Hitlers Expansionspolitik nach dem Osten gerichtet war?

Antwort: Nach dem Osten.

Frage: Und Sie dachten, daß es besser wäre, Hitler von solchen Absichten abzulenken, und ihn statt dessen zu einer Kolonialpolitik zu überreden?

Antwort: Richtig.«

Ich unterbreite als weiteres Beweismaterial Dokument EC-458, US-634, das aus einer eidesstattlichen Erklärung von Major Edmund Tilley vom 21. November 1945 besteht, und zwar über eine Unterredung mit Schacht vom 9. Juli 1945. Ich verlese den zweiten Absatz:

»Während unserer Diskussion sagte mir Schacht, daß er sich von 1933 bis 1937 oft mit Hitler unterhalten habe. Schacht gab an, daß er in diesen Unterhaltungen den Eindruck gewonnen habe, daß der Führer geglaubt habe, dem deutschen Volk einen militärischen Sieg bescheren zu müssen, um seine Stellung und seine Regierung zu sichern.«

Schon 1934 gab Schacht seiner Ansicht Ausdruck, daß die Nazis Europa in den Krieg stürzen werden. Ich verweise das Gericht auf Dokument EC-451, das ich bereits als Beweisstück US-626 vorgelegt habe. Es handelt sich um eine eidesstattliche Erklärung von Herrn Messersmith vom 15. November 1945. Messersmith war von 1930 bis 1934 Amerikanischer Generalkonsul in Berlin. Ich will auf der ersten Seite den letzten Satz des dritten Absatzes verlesen.

VORSITZENDER: Sie haben das schon verlesen.

LEUTNANT BRYSON: Wenn es der Gerichtshof gestattet, möchte ich noch etwas mehr verlesen, was ich noch nicht verlesen habe.


VORSITZENDER: Sie haben den ganzen Absatz verlesen. Auf unsere Veranlassung haben Sie vom dritten Absatz bis herunter zum Schluß der Seite verlesen.


[159] LEUTNANT BRYSON: Ich möchte den ersten Satz des vierten Absatzes auf Seite 1 verlesen.


VORSITZENDER: Bitte.


LEUTNANT BRYSON:

»Trotz derartiger Proteste ließ er durch seine ganze Tätigkeit erkennen, daß er durchaus ein Werkzeug des ganzen Programms und der ehrgeizigen Ziele der Nazis war und daß er seine außergewöhnlichen Kenntnisse und Erfahrungen für die Verwirklichung dieses Programms zur Verfügung stellte.«

VORSITZENDER: Leutnant Bryson, ich spreche für mich selbst und zugleich für einige andere Mitglieder des Gerichtshofs. Wir sind der Ansicht, daß es weitaus besser ist, ein Dokument, wenn irgend möglich, einmal und erschöpfend zu behandeln, um später nicht noch einmal darauf zurückkommen zu müssen. Es ist nicht nur eine Zeitverschwendung, wenn der Gerichtshof das Dokument immer wieder von vom nach hinten durchblättern muß, sondern man erhält auch einen viel besseren Eindruck von dem Dokument, wenn es im ganzen und abschließend behandelt wird, selbst wenn es sich auf verschiedene Gegenstände bezieht. Ich sage das, obgleich es Ihnen jetzt vielleicht unmöglich ist, in Anbetracht der von Ihnen getroffenen Vorbereitungen entsprechend zu verfahren; aber die Herren, die nach Ihnen sprechen werden, sind vielleicht in der Lage, ihren Vortrag dementsprechend zu ändern. Wenn Sie also ein Dokument mit verschiedenen oder mehreren Stellen haben, die Sie zitieren wollen, dann sollten Sie diese alle auf einmal zitieren. Haben Sie verstanden, was ich meine?

LEUTNANT BRYSON: Ich habe verstanden, Herr Vorsitzender. Unser Material ist nach spezifischen Gesichtspunkten zusammengestellt, und da wir diese Punkte getrennt behandeln, mußten wir auch unsere Zitate entsprechend aufteilen.


VORSITZENDER: Ich verstehe, daß es für Sie schwierig sein mag.


LEUTNANT BRYSON: Im September 1934 machte Botschafter Dodd in sein Tagebuch eine Eintragung über eine Unterhaltung mit Sir Eric Phipps in der Britischen Botschaft in Berlin. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werde ich dieses Dokument übergeben, da Ich auf Grund einer Frage des Gerichtshofs bereits einen Auszug aus diesem Dokument verlesen habe, der dieselbe Angelegenheit betrifft, auf die ich Bezug nehmen wollte.

Ich hatte gerade darauf hingewiesen, daß Schacht Botschafter Dodd gegenüber im September 1934 zugegeben hatte, die Kriegsziele der Nazi-Partei zu kennen, und wir haben schon aufgezeigt, [160] daß Schacht im Jahre 1935 die Erklärung abgegeben hat, daß Deutschland Kolonien, wenn nötig, mit Waffengewalt erwerben würde. Er mußte also damals auch gewußt haben, wie weit Hitler zu gehen bereit war.

Nach einer Sitzung der Reichsminister am 27. Mai 1936 in Berlin mußte Schacht gewußt haben, daß Hitler einen Krieg im Sinne hatte. Ich bitte den Gerichtshof, sich zu erinnern, daß, wie wir früher schon gezeigt haben, der Angeklagte Göring, der Hitler sehr nahestand, in dieser Sitzung erklärte, daß alle Maßnahmen vom Standpunkt einer gesicherten Kriegführung betrachtet werden müßten, und daß das Warten auf neue Methoden nicht mehr am Platze sei. Ich darf den Gerichtshof auf Dokument 1301-PS verweisen, aus dem ich nicht verlesen werde, da das Zitat dem Gerichtshof bereits als US-123 unterbreitet worden ist.

Am 31. August 1936 schickte der Kriegsminister von Blomberg Schacht die Abschrift eines Briefes, den er, Blomberg, an den Angeklagten Göring geschrieben hatte. Ich darf den Hohen Gerichtshof erneut auf das Dokument 1301-PS hinweisen, das schon früher als Beweisstück US-123 eingereicht worden ist. Ich verlese von der Mitte der Seite 25 des Dokuments. Die Seitennummern in diesem Dokument finden Sie in der oberen linken Ecke:

»Nach dem Befehl des Führers soll die Aufstellung aller Formationen der Luftwaffe am 1. April 1937 abgeschlossen sein. Es müssen deshalb 1936 erhebliche Aufwendungen gemacht werden, die, als der Haushalt 1936 aufgestellt wurde, erst für spätere Jahre beabsichtigt waren.«

Diese Verstärkung des Rüstungsprogramms für die Luftwaffe mußte es Schacht klarmachen, wie nahe ein Krieg nach Hitlers Ansicht bevorstand.

Ich biete weiterhin als Beweis Dokument EC-416, US-635, an, und zwar ein Protokoll über eine Kabinettssitzung vom 4. September 1936, der Schacht beiwohnte.

Ich zitiere eine Erklärung Görings, die auf Seite 2 der Urkunde zu lesen ist:

»Der Führer und Reichskanzler hat an den Herrn Generaloberst und den Herrn Reichskriegsminister eine Denkschrift gegeben, die die Generalanweisung für die Durchführung darstellt.

Sie geht von dem Grundgedanken aus, daß die Auseinandersetzung mit Rußland unvermeidbar ist.«

Schacht wußte also, daß Hitler einen Krieg mit Rußland erwartete. Er wußte ebenfalls um Hitlers ehrgeizige Pläne mit Bezug auf den Osten. Es mußte ihm deshalb klar sein, daß sich ein solcher [161] Krieg aus dem russischen Widerstand gegen eine deutsche militärische Ausdehnung in dieser Richtung ergeben würde, das heißt, Schacht mußte gewußt haben, daß ein solcher Krieg ein deutscher Angriffskrieg werden würde.

Wie sich der Gerichtshof erinnern wird, erklärte Schacht im Januar 1937 dem Botschafter Davies in Berlin, daß er »von seiner Regierung ermächtigt wäre«, Frankreich und England gewisse Vorschläge zu unterbreiten, die auf eine Forderung auf Kolonien unter Androhung des Krieges hinausliefen. Wenn Schacht dies im Auftrag Hitlers tat, so mußte er notwendigerweise mit Hitlers damaligen Angriffsplänen vertraut sein.

Im November 1937 wußte Schacht, daß Hitler entschlossen war, den Anschluß Österreichs herbeizuführen, und für die Deutschen in Böhmen mindestens die Autonomie zu verlangen. Er wußte weiterhin, daß Hitler Absichten auf den Polnischen Korridor hatte.

Ich verweise den Gerichtshof auf Dokument L-151, das schon als Beweisstück US-70 vorliegt und einen Brief darstellt, der eine Denkschrift über eine Unterhaltung zwischen Schacht und Botschafter Bullitt vom 23. November 1937 enthält. Ich zitiere den letzten Absatz auf Seite 2:

»Hitler sei entschlossen, Österreich endlich Deutschland anzuschließen und für die Deutschen in Böhmen wenigstens Autonomie zu erlangen. Im Augenblick wäre er am Polnischen Korridor nicht wesentlich interessiert; und nach seiner – Schachts – Ansicht wäre es möglich, den Korridor bestehen zu lassen, unter der Voraussetzung, daß Danzig der Anschluß an Ostpreußen erlaubt werde und eine Art von Brücke über den Korridor gebaut werden könnte, die Danzig und Ostpreußen mit Deutschland verbinden würde.«

Beiläufig gesagt, sprach Schacht hier sowohl in seinem eigenen Namen als auch für Hitler.

Wir haben aus seiner Wiener Rede vom 29. März 1938 entnommen, daß Schacht von dem erfolgten Anschluß sehr begeistert war. Er hatte ja auch mit allen Kräften auf dieses Ziel hingearbeitet. In diesem Zusammenhang verweise ich den Gerichtshof auf Band II, Seite 413 des Verhandlungsberichts als Beweis für Schachts Unterstützung bei der vorbereitenden Wühlarbeit der Nazis in Österreich.

In Ergänzung des soeben vorgetragenen unmittelbaren Beweismaterials bitte ich den Gerichtshof, den Umstand in Betracht zu ziehen, daß für einen Mann wie Schacht die Ereignisse dieses Zeitraums naturgemäß die Absichten Hitlers klar erkennen ließen. Schacht arbeitete eng mit Hitler zusammen und war Kabinettsmitglied zu der Zeit, als die Nazis in Österreich agitierten, als die Wehrpflicht eingeführt wurde, als der Einmarsch in das Rheinland [162] vollzogen, als die republikanische Regierung in Spanien gestürzt, als Österreich schließlich besetzt und als das Sudetenland gewaltsam angeschlossen wurde. Während dieser Zeit verdreifachte sich die Reichsschuld infolge der gesteigerten Aufrüstung. Die Ausgaben stiegen von dreiviertel Milliarden Reichsmark im Jahre 1932 auf 11 Milliarden im Jahre 1937 und auf 14 Milliarden Reichsmark im Jahre 1938. Während dieser ganzen Zeitspanne wurden 35 Milliarden Reichsmark nur für die Aufrüstung ausgegeben. Es war die Zeit, in der die brennende Streitfrage der europäischen Außenpolitik in der Befriedigung der wiederholten deutschen Forderungen auf Gebietszuwachs bestand. Hitler, der sich auf eine Ausdehnungspolitik festgelegt hatte, riskierte sehr viel in seiner Außenpolitik, und betonte immer wieder, daß die Vorbereitungen zum Kriege, dringend beschleunigt werden müßten.

Natürlich konnte es Schacht in seiner Stellung nicht unbekannt bleiben, daß er Hitler und Deutschland seine Unterstützung auf dem Wege zum Angriffskrieg gewährte.

Wir kommen jetzt zu dem letzten Punkt unserer Beweisführung, und zwar zu Schachts Machtverlust innerhalb des Hitler-Regimes. Im November 1937 legte Schacht sein Amt als Wirtschaftsminister und Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft nieder. Damals nahm er die Ernennung zum Minister ohne Geschäftsbereich an und blieb weiterhin Reichsbankpräsident.

Unser Beweismaterial wird zeigen:

a) Dieser Wechsel im Amt war nichts weiter als ein Zusammenprall zwischen zwei machthungrigen Persönlichkeiten, Göring und Schacht, in dem Göring, der Hitler näherstand, Sieger blieb;

b) ihre Meinungsverschiedenheiten bezogen sich nur auf die Art und Weise der Durchführung der Wiederaufrüstung und

c) die Ausschaltung Schachts bedeutete in keiner Weise, daß er nun nicht mehr bereit sei, bei dem bewaffneten Angriff mitzuhelfen.

Zwischen Göring und Schacht bestanden verschiedene politische Auffassungen, aber sie bezogen sich nur auf die Methoden und nicht auf die Frage, ob die Vorbereitung des Krieges wünschenswert wäre oder nicht. Schacht betonte während der Übergangsperiode insbesondere den Außenhandel als notwendige Quelle für die Beschaffung von Rüstungsmaterial, bis Deutschland zum Schlage ausholen könnte. Göring hingegen war dafür, daß das Land sich vollkommen selbst versorgen sollte. Hitler unterstützte Göring, und Schacht, dessen Stolz verletzt war, und der sich über Görings Aufdringlichkeit in Wirtschaftsfragen bitter ärgerte, nahm schließlich seinen Abschied.

Ich verweise den Gerichtshof auf Dokument 1301-PS, das bereits als Beweisstück US-123 vorliegt, und in dem Aufzeichnungen über eine Unterhaltung zwischen Schacht und Thomas vom [163] 2. September 1936 enthalten sind. Sie stehen auf Seite 21 des Dokuments. Ich zitiere daraus:

»Präsident Schacht rief mich heute 13.00 Uhr zu sich und bat mich, dem Herrn Kriegsminister folgendes zu übermitteln:

Schacht sei mit schwersten Sorgen vom Führer zurückgekehrt, da er dem vom Führer geplanten Wirtschaftsprogramm nicht zustimmen könne.

Der Führer wolle auf dem Parteitage über Wirtschaftspolitik sprechen und dabei zum Ausdruck bringen, daß wir uns jetzt mit aller Energie durch Inlandserzeugung vom Auslande freimachen würden.

Schacht bittet dringlichst, daß der Reichskriegsminister den Führer vor diesem Schritt warnt.«

Und drei Absätze weiter unten:

»Wenn wir jetzt unseren Entschluß, uns wirtschaftlich selbständig zu machen, erneut nach außen hinausrufen, drücken wir uns selbst die Gurgel zu; denn wir können die notwendige Übergangszeit nicht mehr durchhalten.«

Trotzdem gab Hitler ein paar Tage später in Nürnberg den Vierjahresplan für die Selbstversorgung bekannt, und Göring wurde, entgegen Schachts Wünschen, zum Beauftragten für den Vierjahresplan ernannt.

An dieser Stelle verweise ich den Gerichtshof wiederum auf das Verhör von Schacht vom 16. Oktober 1945, Beweisstück US-636. Ich zitiere vom Ende der Seite 9 des Dokuments:

»Frage: Und der Vierjahresplan fing wann an?

Antwort: Er wurde im September 1936 auf dem Parteitag angekündigt.

Frage: Wollen Sie sagen, daß Sie schon vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vierjahresplans im September 1936 an bereit waren, sich Ihrer wirtschaftlichen Aufgaben zu entledigen?

Antwort: Nein. Zu dieser Zeit glaubte ich meine Stellung selbst gegen Göring noch behaupten zu können.

Frage: Ja, in welchem Sinne?

Antwort: Daß er sich nicht in Sachen einmischen würde, mit denen ich mich in meinem Ministerium zu befassen hatte.

Frage: Tatsächlich aber ist seine Ernennung von Ihnen nicht günstig aufgenommen worden?

Antwort: Ich hätte niemals einen Mann wie Göring ernannt, der überhaupt nichts von all diesen Dingen verstand.«

[164] Schacht und Göring gerieten sofort in Kompetenzstreitigkeiten. Am 26. November 1936 gab Göring eine Weisung für die Herstellung von Roh- und Werkstoffen heraus. Ich unterbreite als Beweismaterial das Dokument EC-243, US-637, das eine Kopie dieser Weisung enthält. Es zeigt, daß Görings Amt für Roh- und Werkstoffe die Kontrolle über große Wirtschaftszweige übernahm, die sich vorher in Schachts Händen befunden hatte. Als Beispiel möchte ich aus dem Abschnitt V dieser Weisung zitieren, der sich auf Seite 5 des Dokuments befindet:

»Die Planung und Zielsetzung sowie die Kontrolle der Durchführung der zu lösenden Aufgaben im Rahmen des Vierjahresplans muß auch für diese Aufgabe verantwortlich von dem Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe bearbeitet werden, das insoweit an die Stelle der Behörden tritt, die sich bisher mit diesen Aufgaben befaßt haben.«

Am 11. Dezember 1936 hielt Schacht es für notwendig, alle Überwachungsstellen im Bereich des Wirtschaftsministeriums zu veranlassen, Weisungen nur von ihm entgegenzunehmen. Ich verweise auf Dokument EC-376, US-638, ein Rundschreiben, das Schacht am 11. Dezember 1936 an sämtliche Überwachungsstellen schickte. Ich zitiere aus dem zweiten Absatz:

»Die Überwachungsstellen sind gehalten, Anweisungen nur von mir entgegenzunehmen. Sie haben alle dienstlichen Anfragen des Amts für deutsche Roh- und Werkstoffe... um irgendwelche Auskünfte in vollem Umfange jederzeit zu beantworten.«

Und etwas weiter unten:

»... so ermächtige ich die Überwachungsstellen, von sich aus die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Für den Fall, daß Bedenken gegen die Ansuchen der genannten Stellen bestehen und dieselben durch mündliche Verhandlungen mit den Sachbearbeitern dieser Stellen nicht ausgeräumt werden können, ist mir sofort Meldung zu erstatten. Ich werde dann in jedem einzelnen Falle das Erforderliche veranlassen.«

Die Wehrmacht nahm für Schacht Partei, der sie so gut mit Waffen versorgt hatte. Ich unterbreite als Beweismaterial Dokument EC-420, US-639. Es handelt sich um den Entwurf einer Denkschrift des Wehrwirtschaftsstabes vom 19. Dezember 1936. Ich verlese aus dem ersten Abschnitt:

»1. Die Lenkung der Kriegswirtschaft im zivilen Sektor ist im Kriegsfalle nur demjenigen möglich, der im Frieden allein verantwortlich die Kriegsvorbereitungen getroffen hat.

Aus dieser Erkenntnis heraus ist vor 1 1/2 Jahren Reichsbankpräsident Dr. Schacht zum Generalbevollmächtigten für [165] die Kriegswirtschaft ernannt und ihm ein Führungsstab beigeordnet worden.«

Dann aus Abschnitt 2:

»2. Wehrwirtschaftsstab hält es mit dem in Ziffer 1, 1. Absatz festgelegten Grundsatz nicht für vereinbar, wenn der Generalbevollmächtigte für die Kriegswirtschaft nunmehr dem Ministerpräsidenten Generaloberst Göring unterstellt wird.«

Im Januar 1937 brachte das »Militär-Wochenblatt« einen Artikel, in dem die Leistungen Schachts bei der Aufrüstung in warmen Worten gepriesen wurden. Ohne es zu verlesen, überreiche ich Dokument EC-383, US-640, das diesen Artikel enthält, von dem sich bereits ein erheblicher Teil im Verhandlungsbericht vom 23. November (Band II, Seite 264) befindet.

Kurz danach versuchte Schacht eine Kraftprobe mit Göring, indem er sich vorübergehend weigerte, Amtshandlungen in seiner Eigenschaft als Generalbevollmächtigter vorzunehmen. Als Beweismaterial unterbreite ich die Urkunde EC-244, US-641. Es handelt sich dabei um einen Brief vom 22. Februar 1937 des Kriegsministers von Blomberg an Hitler. Ich zitiere den zweiten Absatz dieses Briefes, der wie folgt lautet:

»Reichsbankpräsident Dr. Schacht hat mir mitgeteilt, daß seine Tätigkeit ruhe, da er zwischen seinen Vollmachten und denen des Generaloberst Göring einen Widerspruch zu erkennen glaubt. Hierdurch werden die wirtschaftlichen Mobilmachungsvorarbeiten verzögert.«

Schacht gebrauchte offensichtlich seine Bedeutung für die Kriegsvorbereitung als Druckmittel.


VORSITZENDER: Leutnant Bryson, hat der Angeklagte Schacht in seinem Verhör zugegeben, daß der Grund für seinen Rücktritt in der Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und dem Angeklagten Göring bestanden hat?

LEUTNANT BRYSON: Ja, das stimmt, Herr Vorsitzender, und der Angeklagte Göring hat das gleiche in seinem Verhör angegeben.


VORSITZENDER: Ist es notwendig, Einzelheiten dieser Auseinandersetzung zu behandeln?


LEUTNANT BRYSON: Falls der Gerichtshof davon überzeugt ist, daß dies der Grund für Schachts Rücktritt war...


VORSITZENDER: Wenn sie beide so sagen...


LEUTNANT BRYSON:... und daß damals nicht sein Widerwille zur weiteren Unterstützung der Angriffsabsichten der Nazis seinen Rücktritt verursachte, dann bin ich vollkommen damit einverstanden, [166] unsere Beweisführung auf die Verhöre von Schacht und Göring zu beschränken.


VORSITZENDER: Hat er in seinem Verhör angedeutet, daß dies der Grund gewesen wäre?


LEUTNANT BRYSON: Ich will es in Erfahrung bringen, aber unsere Beweisführung gegen Schacht gründet sich auf die Verschwörung.


VORSITZENDER: Falls der Angeklagte Schacht dies als Grund angeben will, so können Sie verlangen, daß er zwecks Widerlegung noch einmal gehört werde.


LEUTNANT BRYSON: Wir sind bereit, einen Teil unserer Beweismittel einschließlich des Streites zwischen Schacht und Göring auszusondern und uns mit den Verhören zu begnügen.


VORSITZENDER: Ja.


LEUTNANT BRYSON: Hoher Gerichtshof, es ist beinahe Zeit zur Pause, vielleicht können wir während dieser unser Beweismaterial ordnen.


VORSITZENDER: Ja, wir werden jetzt eine Pause von zehn Minuten machen.


[Pause von 10 Minuten.]


PROFESSOR DR. HERBERT KRAUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Wir sind einverstanden, wenn die Frage der Dissonanzen zwischen dem Angeklagten Göring und Schacht jetzt nicht weiter erörtert wird, aber wir werden auf die Frage, wie weit sich diese Dissonanzen auf den Plan eines Angriffskrieges bezogen, ausführlich zurückkommen.

LEUTNANT BRYSON: Hoher Gerichtshof! Wir haben einen Teil unseres Beweismaterials ausgesondert. Ich möchte aber noch einen Brief Görings und ein Verhör von Schacht vorlegen mit denen ich die Frage über die Dissonanzen abschließen will.

Am 5. August 1937 schrieb Schacht an Göring einen kritischen Brief, den Göring mit einem vierundzwanzig Seiten langen Brief vom 22. August 1937 beantwortete. Der Brief Görings faßt die vielen Meinungsverschiedenheiten im einzelnen zusammen. Ich biete dieses Dokument als EC-493, US-642, an und werde daraus lediglich eine Erklärung, die auf der Mitte der Seite 13 steht, verlesen:

»Zum Schluß möchte ich noch auf Bemerkungen zurückkommen, die Sie in dem ›Vierjahresplan‹ überschriebenen Abschnitt Ihres Schreibens über Ihre generelle Einstellung zu [167] meiner wirtschaftspolitischen Arbeit machen. Ich weiß es und habe es begrüßt, daß Sie zu Beginn des Vierjahresplans mir Ihre loyalste Unterstützung und Mitarbeit zugesagt und daß Sie diese Zusage auch wiederholt erneuert haben, nachdem die ersten Meinungsverschiedenheiten eingetreten und in eingehenden Besprechungen aus dem Wege geräumt waren. Um so mehr bedauere ich, in der letzten Zeit den auch durch Ihr in Rede stehendes Schreiben bestätigten Eindruck haben zu müssen, daß Sie meiner Arbeit im Vierjahresplan immer stärker ablehnend entgegentreten. Hierauf ist es auch zurückzuführen, daß sich unsere Zusammenarbeit allmählich gelockert hat....«

Schacht und Göring versöhnten sich durch ein schriftliches Übereinkommen vom 7. Juli 1937, entzweiten sich jedoch bald wieder, und schließlich nahm Hitler Schachts Rücktritt als Wirtschaftsminister am 26. November 1937 endgültig an. Gleichzeitig wurde er zum Minister ohne Geschäftsbereich ernannt. Später erstreckte sich die Amtsniederlegung Schachts auch auf seine Stellung als Bevollmächtigter für die Kriegswirtschaft. Ohne daraus zu verlesen, biete ich Dokument EC-494, US-643, als Beweis für diese Tatsache an.

Zum Schluß möchte ich den Gerichtshof auf das Verhör Schachts vom 16. Oktober 1945, US-636, verweisen, aus dem ich am Ende der Seite 12 des Dokuments verlese:

»Antwort: Es wird Sie vielleicht amüsieren, wenn ich Ihnen erzähle, daß die letzte Unterredung« – so antwortete Schacht – »die ich mit Göring über diese Angelegenheit hatte, im November 1937 stattfand, nachdem Luther sich zwei Monate lang bemüht hatte, mich mit Göring zusammenzubringen und mich zu überreden, weiter mit Göring zusammenzuarbeiten und meine Stellung als Wirtschaftsminister beizubehalten. Damals hatte ich eine letzte Unterredung mit Göring, an deren Ende er sagte: ›Ich muß aber das Recht haben, Ihnen Befehle zu geben.‹ Ich erwiderte darauf: ›Nicht mir, sondern meinem Nachfolger.‹ Ich habe niemals von Göring Befehle angenommen und ich hätte es auch niemals getan, weil ich ihn in wirtschaftlichen Dingen für einen Narren hielt und ich von diesen Dingen wenigstens etwas verstand.

Frage: Ich nehme an, daß das eine zugespitzte persönliche Angelegenheit zwischen Ihnen und Göring gewesen ist. Das scheint ganz klar zu sein.

Antwort: Gewiß.«

Aus diesem reichlichen und übereinstimmenden Beweismaterial ergibt sich nicht die geringste Andeutung dafür, daß Schachts Rücktritt [168] von seinen beiden Posten einen Bruch mit Hitler wegen des geplanten militärischen Angriffs bedeutete. In Wahrheit war Hitler zufrieden, daß Schacht auch weiter in der Regierung als Reichsbankpräsident und als Minister ohne Geschäftsbereich tätig sein wollte. Ich überreiche als Beweismaterial das Dokument L-104, US-644, das aus einem Brief des Botschafters Dodd vom 29. November 1937 an den Staatssekretär der Vereinigten Staaten besteht, und dem eine Übersetzung von Hitlers Schreiben an Schacht vom 26. November 1937 beigefügt ist. Ich zitiere die beiden letzten Sätze aus Hitlers Brief, die sich auf Seite 2 des Dokuments befinden:

»Wenn ich Ihrem Wünsche entspreche, so tue ich dies mit dem Ausdruck tiefster Dankbarkeit für Ihre außerordentlichen Leistungen und mit dem glücklichen Bewußtsein, daß Sie als Präsident des Reichsbankdirektoriums noch für viele Jahre Ihr hervorragendes Wissen, Ihre Fähigkeiten und Ihre unermüdliche Arbeitskraft dem deutschen Volke und mir zur Verfügung stellen werden. Indem ich meiner Freude darüber Ausdruck verleihe, daß Sie bereit sind, auch in der Zukunft mein persönlicher Berater zu sein, ernenne ich Sie mit Wirkung von heute zum Reichsminister.«

Schacht setzte seine Arbeit offenbar noch in voller Übereinstimmung mit Hitlers Angriffsplänen fort. Er war immer noch Reichsbankpräsident zu der Zeit, als Österreich im März 1938 dem Reiche einverleibt wurde. Tatsächlich übernahm die Reichsbank die österreichische Nationalbank, An dieser Stelle darf ich den Gerichtshof mit der Bitte um amtliche Kenntnisnahme auf Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 254, verweisen. Darüber hinaus beteiligte sich Schacht sogar an der Planung zur Einverleibung Österreichs. In diesem Zusammenhang überreiche ich als Beweismaterial die Urkunde EC-421, US-645. Es handelt sich hierbei um Auszüge aus einem Protokoll über eine Konferenz des Stabes von General Thomas am 11. März 1938, 15.00 Uhr. Ich zitiere folgendes:

»Oberstleutnant Hünerm. verliest Weisung des Führers vom 11. März für das ›Unternehmen Otto‹ und gibt bekannt, daß Wehrleistungsgesetz heute in Kraft gesetzt sei. Verliest sodann Anordnungen 1 und 2 und gibt besondere Anweisung an Truppe für Überschreiten der österr. Grenze bekannt. Danach soll auf Vorschlag Schacht nicht requiriert werden, sondern alles auf Basis 2 Schilling -1 RM in Reichsmark bezahlt werden.«

Wegen der Konversion des österreichischen Schillings bitte ich den Hohen Gerichtshof, Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 405, amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

Der Gerichtshof ist bereits mit Schachts Wiener Rede vom 31. März 1938 vertraut, in der Schacht öffentlich seinen Beifall [169] über den Anschluß aussprach. Ebenso wird sich der Gerichtshof an die Rede Schachts vom 29. November 1938 erinnern, in der er mit Stolz zum Ausdruck brachte, wie Hitler von der wieder aufgerüsteten Wehrmacht bei den Münchener Verhandlungen Gebrauch gemacht hätte. Beide Reden wurden nach seinem im November 1937 erfolgten Rücktritt gehalten.

Wir kommen nunmehr auf die Absetzung Schachts als Reichsbankpräsident im Januar 1939 zu sprechen. Der Grund für diese Entwicklung ist ganz klar. Schacht verlor das Vertrauen in die Kreditfähigkeit des Reichs und hatte eine lähmende Furcht vor einem finanziellen Zusammenbruch. Er fühlte, daß der Höhepunkt der Produktion erreicht war, so daß nunmehr eine Erhöhung des Banknotenumlaufs den Wert des Geldes vermindern und eine Inflation heraufbeschwören würde. Mit dieser Einstellung hörte Schacht auf, Hitler nützlich zu sein, der seinerseits beabsichtigte, loszuschlagen und jeden verfügbaren Regierungskredit für militärische Zwecke auszunützen wünschte.

Ich darf den Gerichtshof auf das Dokument EC-369 verweisen, das ich bereits früher als Beweisstück US-631 vorgelegt habe. Dieses Schriftstück stellt ein Memorandum des Reichsbankdirektoriums an Hitler vom 7. Januar 1939 dar, in dem Schacht seine Befürchtungen über eine Inflation ausführlich darlegt. Der Ernst der Lage kann schon im allgemeinen aus dem gesamten Text ersehen werden. Ich möchte einige der kritischsten Erklärungen zitieren; eine aus dem letzten Absatz auf Seite 3, zweiter Satz:

»Wir stehen jedoch vor der Tatsache, daß rund 3 Milliarden solcher Wechsel, die im Jahre 1939 fällig werden, jetzt nicht bezahlt werden können.«

Ich möchte ferner vom Beginn der Seite 4 zitieren:

»Außerhalb der Reichsbank befinden sich rund 6 Milliarden Mefo-Wechsel, die jederzeit bei der Reichsbank zur Diskontierung in barem Gelde präsentiert werden können und damit eine dauernde Bedrohung der Währung darstellen.«

Schließlich zitiere ich aus dem Schlußabsatz des Memorandums:

»Wir sind der Überzeugung, daß die währungspolitischen Folgen der letzten 10 Monate durchaus zu reparieren sind und daß bei striktester Einhaltung eines aufbringbaren Etats die Inflationsgefahr wieder beseitigt werden kann. Der Führer und Reichskanzler selbst hat die Inflation öffentlich immer und immer wieder als dumm und nutzlos abgelehnt. Wir bitten deshalb um folgende Maßnahmen:

1. Das Reich wie auch alle anderen öffentlichen Stellen dürfen keine Ausgaben und auch keine Garantien und Verpflichtungen mehr übernehmen, die nicht aus Steuern oder durch diejenigen Beträge gedeckt werden, die ohne Störung [170] des langfri stigen Kapitalmarktes im Anleiheweg aufgebracht werden können.

2. Zur wirksamen Durchführung dieser Maßnahmen muß der Reichsfinanzminister wieder die volle Finanzkontrolle über alle öffentlichen Ausgaben erhalten.

3. Die Preis- und Lohnkontrolle muß wirksam gestaltet werden. Die eingerissenen Mißstände müssen wieder beseitigt werden.

4. Die Inanspruchnahme des Geld- und Kapitalmarktes muß der Entscheidung der Reichsbank allein unterstellt werden.«

Es ist offensichtlich, daß die Befürchtungen Schachts echt waren und eine völlige Erklärung für sein Verschwinden von der Bildfläche geben. Er hatte gute Gründe für seine Befürchtungen. In Wahrheit hatte der Finanzminister bereits im September 1938 den Ernst der Lage erkannt. Ich verweise den Gerichtshof auf Dokument EC-419, US-621, das ich bereits als Beweismaterial vorgelegt habe, und das aus einem Brief des Herrn von Krosigk an Hitler vom 1. September 1938 besteht, in dem Krosigk vor einer bevorstehenden finanziellen Krise warnt. Ich zitiere vom Ende der Seite 2:

VORSITZENDER: Ist das nicht kumulativ zu dem, was Sie schon verlesen haben?

LEUTNANT BRYSON: Ich werde es gern übergehen, Herr Vorsitzender, es ist kumulativ.

Schacht befürchtete nicht nur eine Finanzkrise, sondern auch weiter, daß er persönlich dafür verantwortlich gemacht werden würde. Ich unterbreite als Beweismaterial eine eidesstattliche Erklärung von Emil Puhl, einem Direktor der Reichsbank und Mitarbeiter von Schacht, vom 8. November 1945, die als Dokument EC-438, US-646, bezeichnet ist, und verlese daraus vom Ende der zweiten Seite:

»Als Schacht sah, daß die gefährliche aber von ihm geförderte Lage unhaltbar wurde, war er mehr und mehr darauf bedacht, aus ihr herauszukommen. Dieser Wunsch, sich aus einer schlechten Situation zu befreien, war lange Zeit Schachts Leitmotiv in seinen Besprechungen mit den Direktoren der Bank.«

Schließlich konnte Schacht entschlüpfen, indem er freiwillig seine Entlassung als Reichsbankpräsident anregte. Ich biete als Beweismaterial Dokument 3731-PS, US-647, an, das Auszüge aus einem Verhör des Herrn von Krosigk vom 24. September 1945 enthält, und bitte, daraus einige Erklärungen verlesen zu dürfen. Ich beginne ganz unten auf der zweiten Seite:

[171] »Ich verlangte von Herrn Schacht zur Finanzierung des Reichs über den Ultimo des Monats die Summe von 100 oder 200 Millionen. Es war dies ein ganz gebräuchliches Verfahren, das wir Jahr für Jahr angewandt hatten. Wir gaben dieses Geld gewöhnlich nach ein paar Tagen wieder zurück. Diesmal jedoch weigerte sich Schacht und sagte, er sei nicht gewillt, einen Pfennig zu finanzieren, weil er, wie er sagte, wünschte, es sollte Hitler klargemacht werden, daß das Reich bankrott sei. Ich versuchte ihm zu erklären, daß dies kein stichhaltiger Grund für die Diskussion des gesamten Finanzkomplexes wäre, da die Frage der Finanzierung sehr kleiner Summen über den Ultimo Hitler niemals zu der Überzeugung bringen könnte, daß die ganze Finanzierung unmöglich wäre. Soweit ich mich jetzt erinnere, war es Funk, der Hitler etwas von dieser Unterredung gesagt hat. Hitler forderte sodann Schacht auf, ihn anzurufen. Ich weiß nicht, was sie besprochen haben, aber das Resultat bestand in der Entlassung Schachts.«

VORSITZENDER: Bitte, geben Sie mir nochmals die Bezeichnung des Dokuments an, aus dem Sie gerade verlesen haben.

LEUTNANT BRYSON: Es handelt sich um das Verhör des Herrn von Krosigk vom 24. September 1945. Ich möchte nun auf Seite 3 weiterlesen:

»Frage: Nun, hat Schacht jemals zu Ihnen etwas davon gesagt, daß er deshalb zurücktreten wollte, weil er in Opposition zu der Fortsetzung des Aufrüstungsprogramms stand?

Antwort: Nein. Er hat dies in dieser spezifischen Form niemals gesagt. Wohl hat er in einigen Unterredungen verschiedentlich in seiner eigenen Weise darüber gesprochen, als er Zerwürfnisse mit Göring hatte,... so daß ich diese Dinge nicht sehr ernst nahm.

Frage: Nun gut, ich will diese Frage folgendermaßen formulieren und bitte Sie, darüber sorgfältig nachzudenken: Hat Schacht jemals gesagt, daß er zurücktreten wolle, weil er eingesehen habe, daß das Ausmaß des Aufrüstungsprogramms derartig wäre, daß es ihn zu der Schlußfolgerung geführt habe, es diene der Vorbereitung zum Kriege und nicht der Verteidigung?

Antwort: Nein, das hat er niemals getan.

Frage: Wurde Schacht Ihnen gegenüber jemals in diesem Sinne von einem Ihrer Kollegen oder von irgend jemand anderem zitiert?

Antwort: Nein.

[172] Frage: Nachdem nun Keitel die Stellung eines Chefs der Wehrmacht übernommen hatte, fanden da weitere Zusammenkünfte zwischen Schacht und Ihnen mit Keitel an Stelle von Blomberg statt?

Antwort: Jawohl.

Frage: Hat Schacht jemals bei diesen Zusammenkünften etwas gesagt, das darauf hinweisen konnte, daß er – abgesehen von technischen Fragen über die Finanzierung durch die Reichsbank unmittelbar – einem weiteren Programm der Aufrüstung ablehnend gegenüberstände oder dem Haushaltsplan der Wehrmacht widerspräche?

Antwort: Nein, ich glaube nicht, daß er das jemals getan hat.«

Der Angeklagte Göring hat diese Zeugenaussage ebenfalls bestätigt. Ich verweise den Gerichtshof auf das Verhör Görings vom 17. Oktober 1945, Dokument 3730-PS, Beweisstück US-648. Ich verlese aus dem Verhör Görings vom 17. Oktober 1945 von der unteren Hälfte der dritten Seite:

»Frage: Ich möchte an Sie diese besondere Frage stellen: Wurde Schacht von Hitler aus der Reichsbank entlassen, weil er sich geweigert hat, sich weiter am Aufrüstungsprogramm zu beteiligen?

Antwort: Nein, sondern wegen seiner ganz unmöglichen Stellungnahme in der Angelegenheit dieses Vorschusses, der in keiner Verbindung mit dem Aufrüstungsprogramm stand.«

Am 20. Januar 1939 entließ Hitler Schacht aus der Reichsbank. Zum Beweis biete ich, ohne es zu verlesen, Dokument EC-398, US-649, an, das nur aus einer kurzen Mitteilung Hitlers an Schacht über seine Entlassung besteht.

Aus all dem Vorhergesagten geht klar hervor, daß Schachts Entlassung in keiner Weise eine Trennung von Hitlers Wegen zu den beabsichtigten Angriffskriegen bedeutete. Diese Tatsache ist auch aus dem Dokument EC-397, US-650, ersichtlich, das aus einem Brief Hitlers an Schacht vom 19. Januar 1939 besteht.

Ich möchte den Inhalt dieses Briefes verlesen:

»Ich nehme den Anlaß Ihrer Abberufung vom Amte des Präsidenten des Reichsbankdirektoriums wahr, um Ihnen für die Deutschland und mir per sönlich in dieser Stellung in langen und schweren Jahren erneut geleisteten Dienste meinen aufrichtigsten und wärmsten Dank auszusprechen. Ihr Name wird vor allem für immer mit der 1. Epoche der nationalen Wiederaufrüstung verbunden sein. Ich freue mich, Sie in Ihrer Eigenschaft als Reichsminister nunmehr zur Lösung neuer Aufgaben einsetzen zu können.«

[173] Tatsächlich blieb Schacht Minister ohne Geschäftsbereich bis Januar 1943.

Ich möchte mit der Erklärung schließen, daß das Beweismaterial zeigt:

Erstens: Die Tätigkeit Schachts war unentbehrlich für Hitlers Aufstieg zur Macht und für die Wiederaufrüstung von Deutschland.

Zweitens: Schacht befürwortete persönlich Angriffskriege und wußte, daß Hitler nicht nur beabsichtigte, den Frieden zu brechen, sondern ihn auch bestimmt brechen würde.

Drittens: zog sich Schacht von seiner Tätigkeit aus Gründen zurück, die in keinem Zusammenhang mit den unmittelbar bevorstehenden ungesetzlichen Angriffskriegen standen.

Solange Schacht im Amt war, arbeitete er genau so eifrig an der Vorbereitung von Angriffskriegen wie nur irgendeiner seiner Kollegen. Seine Dienste waren in dieser Hinsicht ohne jeden Zweifel äußerst wirkungsvoll und wertvoll. Seine Mithilfe in den ersten Phasen der Verschwörung machte ihre späteren Verbrechen möglich. Sein Rücktritt vom Felde seiner Tätigkeit erfolgte nicht aus dem moralischen Gefühl eines Widerspruchs gegen die Anwendung von Angriffskriegen als Werkzeug nationaler Politik. Er machte persönlich alle Anstrengungen, um seine Stellung zu behaupten. Zu der Zeit, als er seine Stellung verlor, hatte er bereits seine Aufgabe in der Verschwörung vollendet, nämlich, Hitler und seine Helfershelfer mit den physischen Mitteln und den wirtschaftlichen Plänen zu versehen, die notwendig waren, um den Angriff zu entfesseln und durchzuführen. Wir glauben nicht, daß er, nachdem er die Wehrmacht für den Angriff auf die Welt vorbereitet hatte, das Recht haben sollte, in dem Umstand seine Zuflucht zu suchen, daß er seine Machtstellung verlor, bevor der Angriff tatsächlich erfolgte.

Damit beschließen wir unseren Vortrag gegen den Angeklagten Schacht. Leutnant Meltzer wird anschließend mit der Darlegung der amerikanischen Anklage gegen den Angeklagten Funk beginnen.

LEUTNANT (JG.) BERNARD D. MELTZER, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Die Dokumente, die sich auf die Verantwortlichkeit des Angeklagten Funk beziehen, sind in einem mit »HH« bezeichneten Dokumentenbuch zusammengestellt worden, das dem Gerichtshof übergeben und auch der Verteidigung zur Verfügung gestellt worden ist. Das gleiche trifft auch für die Anklageschrift zu. Die Schriftstücke sind in dem Buch in der Reihenfolge ihrer Vorlage geordnet. Außerdem sind die Seiten des Dokumentenbuchs mit Rotstift fortlaufend numeriert worden, um die Auffindung der Dokumente zu erleichtern, wenn auf sie Bezug genommen wird. Ich möchte Herrn [174] Sidney Jacoby, der rechts von mir sitzt, für seine wertvolle Mitarbeit in der Auswahl und Prüfung dieser Dokumente meinen Dank aussprechen.

Wir beabsichtigen, Beweis über fünf Phasen der Teilnahme des Angeklagten Funk an der Verschwörung anzutreten:

1. Seine Beteiligung an der Machtübernahme der Nazis;

2. seine Rolle im Propagandaministerium und in verwandten Ämtern und seine Verantwortung für die Tätigkeit dieses Ministeriums;

3. seine Verantwortung für die unerbittliche Ausschaltung von Juden, zuerst aus den sogenannten kulturellen Berufen und später aus der gesamten deutschen Wirtschaft;

4. seine Mitarbeit bei dem höchsten Nazi-Ziel, dem alle anderen Aufgaben untergeordnet waren, nämlich bei der Vorbereitung des Angriffskrieges.

Schließlich beabsichtigen wir, in Kürze das Beweismaterial vorzutragen, das sich auf seine aktive Teilnahme an der Führung des Angriffskrieges bezieht.

Wir wenden uns nun dem Teil des Beweismaterials zu, welches zeigt, daß der Angeklagte Funk die Machtergreifung der Verschwörer und die Stärkung ihrer Macht über Deutschland tatkräftig förderte. Bald nach seinem Eintritt in die Nazi-Partei im Jahre 1931 bekleidete der Angeklagte Funk wichtige Stellungen, zunächst innerhalb der Partei selbst und dann in der Nazi-Regierung. Funks Stellungen sind im großen und ganzen bereits in Dokument 3533-PS aufgeführt, einer Erklärung, die sowohl vom Angeklagten Funk als auch von seinem Verteidiger unterschrieben wurde. Dieses Schriftstück steht in den vier Verhandlungssprachen zur Verfügung; eine Abschrift in der jeweiligen Sprache befindet sich in den entsprechenden Dokumentenbüchern des Hohen Gerichtshofs. Wir bitten daher, daß dieses Schriftstück, US-651, als übergebenes Beweismaterial betrachtet wird, ohne daß es vollständig verlesen zu werden braucht. Der Gerichtshof wird bemerken, daß sich bei einzelnen Punkten des Dokuments 3533-PS einige Ausstreichungen und Vorbehalte befinden. Diese wurden von dem Angeklagten Funk eingefügt. Die Worte, die er auszustreichen wünschte, sind in Klammern angegeben. Seine Bemerkungen sind unterstrichen und mit Anmerkungszeichen versehen.

Wir wollen vermeiden, den Gerichtshof mit einer ausführlichen Besprechung all dieser bestrittenen Punkte zu bemühen. Deshalb stellten wir im Dokument Nummer 3563-PS entsprechende Auszüge bestimmter deutscher Veröffentlichungen zusammen. Dieses Dokument steht ebenfalls in den vier Verhandlungssprachen zur Verfügung. Überdies stellen wir anheim, daß der Gerichtshof die in [175] diesem Dokument erwähnten Veröffentlichungen amtlich zur Kenntnis nehme. Um jedoch ihre Auffindung zu erleichtern, bitten wir, daß es als Beweisstück US-652 angenommen werde.

In Zusammenhang mit Punkt b) zu Anfang der Seite 1 des Dokuments 3533-PS, der Gerichtshof findet dies, auf Seite 1 des Dokumentenbuchs, wird der Gerichtshof bemerken, daß der Angeklagte Funk ausdrücklich geleugnet hat, Hitlers persönlicher Wirtschaftsberater in den Jahren um 1930 gewesen zu sein. Jedoch stehen die Auszüge aus den vier deutschen Veröffentlichungen, die sich auf Seite 1 und 2 des Dokuments 3563-PS befinden, in direktem Widerspruch zu dieser Ableugnung.

Wir behaupten, daß aus den Dokumenten, auf die wir uns soeben bezogen haben, klar hervorgehen wird, daß der Angeklagte Funk bald nach seinem Eintritt in die Partei als eine der Hauptfiguren im inneren Kreise der Nazis einen maßgebenden Einfluß ausübte. Überdies leistete er als wirtschaftlicher Berater der Partei während der kritischen Zeit des Jahres 1932 einen bedeutenden Beitrag bei dem Versuch, die Unterstützung der breiten Massen zu gewinnen, indem er die wirtschaftlichen Schlagworte prägte. In diesem Zusammenhang beziehe ich mich auf das Schriftstück 3505-PS, das eine Biographie darstellt, die betitelt ist: »Walter Funk, ein Leben für die Wirtschaft«. Diese Lebensbeschreibung wurde von einem gewissen Östreich in deutscher Sprache geschrieben und vom Zentralverlag der NSDAP herausgegeben. Ich biete dieses Dokument als Beweisstück US-653 an und möchte von Seite 1 der Übersetzung dieses Dokuments, Mitte der Seite, zitieren. Die entsprechende Seite des deutschen Schriftstücks ist Seite 81:

»1931 erhielt er«, das heißt Funk, »ein Reichstagsmandat. Ein Dokument seiner damaligen Tätigkeit ist das in der zweiten Hälfte des Jahres 1932 von ihm formulierte ›Wirtschaftliche Aufbauprogramm der NSDAP‹, das die Genehmigung Adolf Hitlers erhielt und als verbindlich für alle Gauleitungen, Fachredner, wirtschaftspolitischen und sonstigen Gaufachberater der Partei erklärt wurde.«

Die Schlagworte des Angeklagten Funk wurden somit die wirtschaftliche Bibel für die Organisatoren und Redekünstler der Partei.

Der Angeklagte Funk war jedoch viel mehr als nur einer der wirtschaftlichen Theoretiker der Nazi-Partei. Er war auch an der höchst praktischen Aufgabe beteiligt, Wahlbeiträge für die Partei zu erlangen. Als Verbindungsmann zwischen der Partei und den großen deutschen Industriellen war er behilflich, Hitler die finanzielle und politische Unterstützung der Industriellen zu verschaffen. Der Angeklagte Funk gab in einem am 4. Juni 1945 erfolgten Verhör zu, daß er bei der Finanzierung des äußerst kritischen Wahlkampfs [176] von 1932 behilflich war. Ich lege als Beweismaterial Dokument Nummer 2828-PS, US-654, vor und zitiere vom Ende der Seite 43...

VORSITZENDER: Leutnant Meltzer, ist dies nicht alles kumulatives und detaillierendes Beweismaterial, das nur bekräftigt, was der Angeklagte Funk bereits bezüglich seines Amtes zugegeben hat? Auf Seite 1 haben Sie das Eingeständnis, daß er Mitglied der Nazi-Partei, Hauptamtsleiter in der Reichsleitung der NSDAP für Privatwirtschaft und Vorsitzender des Ausschusses der NSDAP für Wirtschaftspolitik war. Dann geht es so von a) bis u) weiter im Hinblick auf die verschiedenen Ämter, die er innehatte und von denen er zugibt, daß er sie bekleidete. Es ist aber sicher nicht notwendig, Einzelheiten über diese verschiedenen Stellungen anzugeben.

LEUTNANT MELTZER: Herr Vorsitzender, das Eingeständnis der verschiedenen Stellungen zeigt unseres Ermessens in keiner Weise die Teilnahme des Angeklagten Funk an der Beschaffung von Geldern für die Nazi-Partei.


VORSITZENDER: Für die Beschaffung von Geldern?


LEUTNANT MELTZER: Ja, die Beschaffung von Geldern. Seine Stellungen lassen den Schluß zu, daß er sich mit der Aufbringung von Beiträgen für den Wahlfonds beschäftigte. Es erscheint uns jedoch wichtig, in alle Kürze unmittelbaren Beweis im Hinblick auf diesen Teil seiner Tätigkeit anzutreten.


VORSITZENDER: Sehr gut, wenn Sie erklären, daß in diesen Ämtern nichts auf die Dinge hinweist, mit denen Sie sich beschäftigen wollen, dann fahren Sie, bitte, fort.


LEUTNANT MELTZER: Der Angeklagte Funk gab, wie ich soeben erwähnte, in dem Verhör vom 4. Juni 1945 zu, daß er half, diesen höchst kritischen Wahlkampf zu finanzieren.


VORSITZENDER: Herr Leutnant Meltzer, Sie haben uns in dem so zweckmäßig angeführten Titelkopf gesagt, daß Funk an der Machtergreifung Anteil hatte. Nun beweist fast jede Titelzeile unter den Buchstaben a) bis u) auf Seite 1, die der Angeklagte zugibt, daß er tatsächlich bei der Machtübernahme mitgearbeitet hat. Ist es Ihre Absicht, vorzubringen, daß er auch Wahlfondsbeiträge aufzubringen half? Die Beihilfe zur Machtergreifung ist für sich allein kein Verbrechen, sondern nur ein Schritt dazu.


LEUTNANT MELTZER: Gewiß, Herr Vorsitzender. Es gibt jedoch einen Punkt seiner diesbezüglichen Tätigkeit, den ich erwähnen möchte: Im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit zur Aufbringung von Geldbeträgen war er zu Beginn des Jahres 1933 bei einer Sitzung in Berlin anwesend. Ich beziehe mich auf das Dokument, das über die Ereignisse in dieser Sitzung berichtet, und will damit zeigen, daß Hitler und Göring im Verlauf dieser Sitzung [177] eine kurze Darstellung gewisser fundamentaler Grundsätze des nationalsozialistischen Programms vorlegten. Der Bericht über diese Sitzung ist im Dokument 2828-PS enthalten, das der Gerichtshof auf Seite 28 des Dokumentenbuchs findet. Ich möchte die folgende Frage und Antwort zitieren:

»Frage: Wir sind darüber unterrichtet, daß ungefähr 1933 einige Industrielle einer Sitzung beiwohnten, die vor den Märzwahlen in Görings Wohnung stattfand. Wissen Sie etwas hierüber?

Antwort: Ich war bei der Sitzung anwesend. Geld wurde nicht von Göring, sondern von Schacht verlangt. Hitler hatte den Raum verlassen und dann hielt Schacht eine Rede und bat um Geldspenden für die Wahlen. Ich war nur als unparteiischer Beobachter zugegen, da ich mit den Industriellen befreundet war.«

Die Art und Weise sowie die Bedeutung der Zusammenarbeit Funks mit den Großindustriellen ist in der Biographie Funks, auf die ich mich bereits bezogen habe, betont. Ich darf die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs nur auf die diesbezüglichen Seiten des Buches, die Seiten 83 und 84, lenken.

VORSITZENDER: Ich kann nicht verstehen, warum Sie diese Stelle verlesen haben. Wenn Sie beweisen wollen, daß er bei der Sitzung anwesend war, dann würde es vollkommen genügen, wenn Sie sagen, daß er dabei war. Ich glaube nicht, daß die zwei Sätze, die Sie uns vorgelesen haben, uns auch nur im geringsten weiterhelfen.

LEUTNANT MELTZER: Hoher Gerichtshof! Diese zwei Sätze beziehen sich nicht auf die Sitzung. Diese zwei Sätze beziehen sich auf die Biographie, die den allgemeinen Beitrag des Angeklagten Funk zur Machtergreifung der Nationalsozialisten darlegt, und ich dachte, der Gerichtshof wäre daran interessiert, die Stellungnahme eines deutschen Schriftstellers zu diesem Punkt der Laufbahn des Angeklagten zu hören.


VORSITZENDER: Ich dachte, daß Sie sich auf die Sitzung bezogen.


LEUTNANT MELTZER: Hoher Gerichtshof! Ich bezog mich auf die Seiten 32 und 33 des Dokumentenbuchs. Um diesen Punkt zu klären, möchte ich kurz aus der Biographie vorlesen:

»Nicht weniger wichtig als das, was Funk auf programmatischem Gebiet in den Jahren 1931 und 1932 geleistet hat, war seine damalige Tätigkeit als Mittelsmann des Führers zu den leitenden Männern der deutschen Wirtschaft in Industrie, Gewerbe, Handel und Finanz. Seine persönlichen Beziehungen zu den deutschen Wirtschaftsführern[178] waren auf Grund seiner bisherigen Arbeit groß und weitreichend. Er konnte sie jetzt in den Dienst Adolf Hitlers stellen und so manchem nicht nur authentisch Rede und Antwort stehen, sondern ihn auch überzeugen und zum Förderer der Partei werben. Das war damals eine ungeheuer wertvolle Arbeit. Jeder in ihr erzielte Erfolg bedeutete eine moralische, politische und wirtschaftliche Stärkung der Kampfkraft der Partei und trug dazu bei, das Vorurteil zu zerstören, auch der Nationalsozialismus sei nur eine Partei des Klassenhasses und des Klassenkampfes.«

VORSITZENDER: Wiederum muß ich sagen, daß dies dem Gerichtshof nicht im geringsten weitergeholfen hat.

LEUTNANT MELTZER: Nachdem Funk Hitler geholfen hatte, Kanzler zu werden, nahm er als Pressechef der Deutschen Regierung an den ersten Kabinettssitzungen teil. In diesen Sitzungen verabredeten die Verschwörer die Strategie, durch die sie die Herausgabe der Notverordnung des Präsidenten sichern wollten. Diese wurde tatsächlich am 24. März 1933 durchgebracht. Die Anwesenheit Funks bei diesen Sitzungen wird durch Dokument 2962-PS enthüllt, das bereits als Beweismaterial vorgelegt wurde, wie auch durch Dokument 2963-PS, das bereits als Beweisstück US-656 eingeführt wurde. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß diese Notverordnung die tatsächliche politische Machtergreifung in Deutschland bedeutete.

Bald danach übernahm der Angeklagte Funk eine wichtige Stellung im Propagandaministerium. Die Akten zeigen, daß dieses Ministerium eine der wichtigsten und bösartigsten nationalsozialistischen Einrichtungen wurde, und daß die Propaganda eine der Grundlagen für die Durchführung des nationalsozialistischen Programms innerhalb und außerhalb Deutschlands war. Wir haben nicht die Absicht, dem Gerichtshof alle diese Dinge nochmal vorzutragen, aber wir möchten, wie bereits erwähnt, Beweismaterial darüber vorlegen, daß der Angeklagte Funk eine wesentliche Rolle in der Propagandatätigkeit spielte.

Das Ministerium wurde am 13. März 1933 mit Goebbels als Chef und dem Angeklagten Funk als Staatssekretär, also als zweitem Mann, geschaffen.

Als Staatssekretär war der Angeklagte Funk nicht nur der Hauptmitarbeiter von Goebbels, sondern auch der Organisator des großen und verzweigten Propagandaapparats. Ich möchte zum Beweis Dokument 3501-PS vorlegen, das sich auf Seite 47 Ihres Dokumentenbuchs als Beweisstück US-657 befindet. Dieses Dokument besteht aus einer eidesstattlichen Erklärung vom 19. Dezember 1945 von Max Amann, der das Amt des Reichsleiters der Presse innehatte und Präsident der Reichspressekammer war. Ich möchte [179] den zweiten Satz des ersten Absatzes sowie den gesamten zweiten Absatz verlesen:

»Bei der Ausführung meiner Pflichten und Aufgaben wurde ich mit der Tätigkeit und der Organisation des Ministeriums für Propaganda und Volksaufklärung bekannt.

Walter Funk war praktisch der Minister des Ministeriums für Propaganda und Volksaufklärung und leitete das Ministerium. Funk war die Seele des Ministeriums, und ohne ihn hätte es Goebbels nicht aufbauen können. Goebbels stellte mir gegenüber einmal fest, daß Funk sein ›tüchtigster Mann‹ sei. Funk übte umfassende Kontrolle über alle Mittel der Ausdrucksweise in Deutschland aus: über die Presse, das Theater, Radio und Musik. Als Pressechef der Reichsregierung und später als Staatssekretär des Ministeriums hatte Funk tägliche Besprechungen mit dem Führer und eine tägliche Pressekonferenz, in deren Verlauf er die Richtlinien über die in der deutschen Presse zu veröffentlichenden Materialien ausgab.«

Neben seinem Amt als Staatssekretär bekleidete Funk viele andere wichtige Stellungen im Propagandaministerium und in den diesem untergeordneten Ämtern. Diese Stellungen sind bereits im Dokument 3533-PS angeführt worden. Ich möchte jedoch besonders auf Funks Stellung als Vizepräsident der Reichskulturkammer hinweisen. Diese Stellung stand natürlich im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im Propagandaministerium.

In seiner Doppelstellung trug er unmittelbar zur Förderung von zwei wesentlichen und eng miteinander verwobenen Aufgaben der nationalsozialistischen Politik bei. Die erste bestand in der Organisierung aller schöpferischen Tätigkeiten im Interesse der nationalsozialistischen politischen und militärischen Ziele. Die zweite bestand in der völligen Ausschaltung der Juden und Andersdenkenden aus den sogenannten kulturellen Berufen. Eine vollständige Beschreibung der Methoden, durch die diese Politik verwirklicht wurde, ist in dem Text eingeschlossen, der als Teil des Dokumentenbuchs E unterbreitet worden ist. Wir wollen deshalb diesen Gegenstand nicht weiter behandeln, es sei denn, daß der Gerichtshof dies wünscht.

Angesichts der wichtigen Rolle, die der Angeklagte Funk im Propagandaministerium spielte, ist es ganz selbstverständlich, daß sich nationalsozialistische Schriftsteller landen, die seine Verantwortung für die nationalsozialistische Verdrehung der Kultur betonen. In diesem Zusammenhang möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Seite 94 und 95 der Biographie Östreichs lenken, auf die bereits Bezug genommen wurde.

[180] Nachdem der Angeklagte Funk das Propagandaministerium verlassen hatte und im Jahre 1938 Wirtschaftsminister geworden war, setzte er sein antijüdisches Programm fort. Am 14. Juni 1938 unterschrieb er zum Beispiel eine Verordnung, die die Anmeldung jüdischer Unternehmen vorsah. Diese Verordnung, welche die Grundlage für die spätere unbarmherzige wirtschaftliche Verfolgung wurde, befindet sich im Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 627. Ich bitte den Gerichtshof, diesen Auszug aus dem Reichsgesetzblatt und alle noch folgenden Auszüge amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Ich möchte noch hinzufügen, daß die Anklageschrift gegen den Angeklagten Funk die Dokumentennummern von Übersetzungen von Verordnungen und anderen deutschen Veröffentlichungen enthält, die ich den Gerichtshof ebenfalls bitte, amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

VORSITZENDER: Wäre dies eine passende Gelegenheit für eine Pause?

LEUTNANT MELTZER: Jawohl, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sir David Maxwell-Fyfe, bevor wir die Verhandlung vertagen, möchte ich bemerken, daß einer der Herren Ankläger, ich glaube Oberst Phillimore, verschiedene Zeugen verhören möchte. Der Gerichtshof möchte gern wissen, wer diese Zeugen sind, und womit sich ihre Aussagen beschäftigen werden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Möchte der Gerichtshof jetzt davon Kenntnis nehmen? Ich bin gern dazu bereit, wenn es genehm ist.


VORSITZENDER: Wenn Sie es jetzt vermögen, so wäre es uns angenehm.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl. Der erste Zeuge ist Korvettenkapitän Mohle aus dem Stabe des Angeklagten Dönitz. Er wird die Weiterleitung des Befehls von Dönitz vom 17. September 1942 bezeugen. Ich glaube, daß dies der Hauptpunkt ist, mit dem er sich befassen wird. Weiterhin glaube ich, daß er sich auch mit der Schilderung der Zerstörung einiger Rettungsschiffe befassen wird, aber das erste ist der Hauptpunkt.

Der zweite Zeuge ist Leutnant Heisig. Er wird in der Hauptsache über Vorlesungen des Angeklagten Dönitz aussagen, in denen dieser die Vernichtung der Mannschaften von Handelsschiffen befürwortete. Das ist der allgemeine Inhalt der Beweisführung.


VORSITZENDER: Danke.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 5, S. 151-182.
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