Nachmittagssitzung.

[622] VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird heute um 4.00 Uhr die Besprechung dieses Falles unterbrechen, um die Ergänzungsanträge auf Vorladung von Zeugen und Vorlage von Dokumenten zu beraten. Wir hoffen daher, den Fall des Angeklagten Rosenberg einschließlich der noch zu verhörenden Zeugen bis dahin abschließen zu können.

GENERAL RUDENKO: Angeklagter Rosenberg! Sie haben mir erklärt, daß eine solche Besprechung mit Admiral Canaris nicht stattgefunden hat?


ROSENBERG: Im Gegenteil, ich sagte, daß eine solche Besprechung mit Admiral Canaris stattgefunden hat.


GENERAL RUDENKO: Also muß es nicht richtig übersetzt worden sein.


ROSENBERG: Wahrscheinlich.


GENERAL RUDENKO: Ich habe Sie gefragt, ob Sie zugeben, daß Sie bei dieser Besprechung Canaris gebeten haben, Leute im Interesse der Abwehr abzukommandieren, die neben ihrer Abwehrtätigkeit auch politisch tätig sein könnten. Erinnern Sie sich an meine Frage?

ROSENBERG: Ja.


GENERAL RUDENKO: Darüber sprachen Sie doch?


ROSENBERG: Das stimmt nicht, Admiral Canaris hat...


GENERAL RUDENKO: Das stimmt nicht? Gehen wir nicht in Einzelheiten. Um das Verhör abzukürzen, zeige ich Ihnen das Dokument und werde diese Stelle verlesen.

Zeigen Sie dem Angeklagten das Dokument Es ist das Schriftstück 1039-PS, meine Herren Richter. Ich verlese die angestrichene Stelle auf Seite 2.


[Zum Zeugen gewandt:]


Es ist Ihr Bericht über die vorbereitende Arbeit in Fragen des osteuropäischen Raumes.

Ich zitiere:

»Mit Admiral Canaris fand eine Besprechung dahingehend statt, daß meine Dienststelle unter den gegebenen vertraulichen Umständen in keiner Weise mit irgendwelchen Vertretern der Völker des osteuropäischen Raumes verhandeln könne. Ich bat ihn, dies – soweit die Abwehr es benötige – zu tun und mir dann Menschen zu benennen, die über die Abwehr hinaus als politische Persönlichkeiten gelten können, um über ihren eventuellen späteren Einsatz zu bestimmen [622] Admiral Canaris sagte, daß selbstverständlich auch mein Wunsch, keinerlei politische Gruppen unter den Emigranten anzuerkennen, von ihm berücksichtigt würde, und er im Sinne meiner Ausführungen vorzugehen gedenke.«

ROSENBERG: Das entspricht dem, was ich gesagt habe.

VORSITZENDER: Herr General! Ich glaube, Sie sprechen zu schnell.


GENERAL RUDENKO: Ja, Herr Vorsitzender.

Ich frage Sie, bestätigen Sie dieses Zitat?


ROSENBERG: Jawohl, im deutschen Wortlaut, aber nicht in der russischen Übersetzung. Ich verstehe nämlich auch russisch, und ich konnte deshalb feststellen, daß die Übersetzung nicht ganz genau ist. Denn es heißt hier, daß ich unter den gegebenen vertraulichen Umständen naturgemäß mit anderen Völkern nicht unterhandeln könne für eine eventuell spätere Mitwirkung in einer Zivilverwaltung; das ist das erste.

Das zweite heißt: da Admiral Canaris aber mit verschiedenen Gruppen ukrainischer oder russischer Nationalität oder sonstigen zu tun hat, ich ihn bäte, über die Abwehr hinaus, das heißt, nicht für mich Spionage zu treiben oder mich zu bitten, daß ich Spionage treibe, sondern daß er mir Menschen eventuell aus den anderen Völkern über seine Abwehrtätigkeit hinaus benennt, daß ich sie unter Umständen später in die Zivilverwaltung übernehmen kann; das ist der Sinn, und zweitens ist zum Schluß ganz richtig, daß er mir zustimmt, daß er von sich aus keine politische Arbeit führe.


GENERAL RUDENKO: Angeklagter, genau das gleiche, was Sie soeben ausführten, steht ja im russischen Text.


ROSENBERG: Nach der deutschen, ins Russische gegebenen Übersetzung muß es so gewesen sein. Ich kann nur den deutschen Text anerkennen und nicht die russische Übersetzung, die diesem Sinne nicht entspricht. Sie deuten diesen Text, als ob ich eine Spionage betreiben will, und ich habe den Admiral Canaris nur gebeten, da ich politische Unterhandlungen mit Vertretern der Ostvölker nicht führen kann, mir aus seiner Bekanntschaft über seine amtliche Tätigkeit hinaus Leute zu benennen, mit denen unter Umständen später in der Zivilverwaltung gearbeitet werden könne. Das ist der Sinn, die Übersetzung ist also nicht ganz korrekt.


GENERAL RUDENKO: Sehr gut, aber den deutschen Text erkennen Sie an?


ROSENBERG: Ja.

GENERAL RUDENKO: Mit anderen Worten, Sie standen mit der Abwehr in Verbindung?


[623] ROSENBERG: Nein, das stimmt nicht, ich habe nur den Admiral Canaris empfangen und ihm gesagt, in seiner Dienstpflicht, die er ja zu erfüllen hat, möglichst nicht politische Unterredungen und Pläne zu bearbeiten, weil ich dafür jetzt eingesetzt werde.


GENERAL RUDENKO: Sie haben gehört, daß der Vorsitzende gewünscht hat, das Verhör möglichst schnell zu führen, und ich bitte Sie, auf meine Fragen kurz zu antworten.


ROSENBERG: Ich würde kürzer antworten, wenn die Fragen faktuell gestellt würden.


GENERAL RUDENKO: Ich werde Ihnen einige Fragen über die Ziele des Krieges gegen die Sowjetunion stellen. Geben Sie zu, daß, nachdem der Angriff auf die Sowjetunion vorbereitet und ausgeführt wurde, Nazi-Deutschland den wirtschaftlichen Raub der Schätze der Sowjetunion, die Vernichtung der Sowjetbevölkerung, die Versklavung der Bevölkerung sowie die Aufteilung der Union sich als Ziel gesetzt hat? Antworten Sie kurz. Geben Sie es zu, ja oder nein?


ROSENBERG: Es sind hier wieder fünf Fragen gestellt, und wenn...


GENERAL RUDENKO: Ich frage Sie, und bitte Sie kurz zu antworten: Geben Sie die Ziele dieses Angriffes zu oder nicht? Nachher können Sie es näher begründen.


VORSITZENDER: Sie können diese Frage mit ja oder nein beantworten.


ROSENBERG: Auf alle vier Fragen muß ich mit »Nein« antworten.


GENERAL RUDENKO: Nein? Gut. Wollen wir uns in diesem Zusammenhang einige Dokumente ansehen. Ich meine das Schriftstück 2718-PS. Es kommt im Protokoll der Morgensitzung vom 10. Dezember 1945 vor. Es ist Ihre Aktennotiz vom 2. Mai 1941.


[Das Dokument wird dem Zeugen überreicht.]


GENERAL RUDENKO: Wollen Sie mir bitte folgen:

»Der Krieg ist nur weiterzuführen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Rußland ernährt wird.

Hierbei werden zweifellos... zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird«

Ich frage Sie, haben Sie das geschrieben?

ROSENBERG: Ich habe das weder geschrieben noch habe ich an dieser Sitzung teilgenommen, und ich kann nicht feststellen, ob jemand von meinen Mitarbeitern von dieser Sitzung überhaupt unterrichtet worden ist. Es steht hier:

[624] »Chef-Sache, 2 Ausfertigungen, 1. Ausfertigung Akten I A, 2. Ausfertigung General Limbert.«

Also es haben nur zwei Menschen der Wehrmacht Kenntnis davon erhalten.

GENERAL RUDENKO: Werden Sie nicht weitschweifig, Angeklagter. Sie haben also hiervon nichts gehört?

ROSENBERG: Das Dokument ist schon zweimal vorgetragen worden.

Wir wollen weitergehen.


VORSITZENDER: Die Frage lautete, ob Sie von diesem Dokument wußten?


ROSENBERG: Nein.


GENERAL RUDENKO: Das nächste Dokument, das die Kriegsziele festlegt, ist die »Instruktion für einen Reichskommissar im Ostland«.

Sie sagten in diesem Dokument 1029-PS folgendes:

Die Stelle, die ich zitiere, ist angezeichnet.

»Ziel eines Reichskommissars für Estland, Lettland, Litauen und Weißruthenien muß es sein, die Form eines deutschen Protektorats zu erstreben und dann durch Eindeutschung rassisch möglicher Elemente, durch Kolonisierung germanischer Völker und durch Aussiedlung nicht erwünschter Elemente dieses Gebiet zu einem Teil des Großdeutschen Reiches umzuwandeln.«

Erinnern Sie sich an diese Weisung? Antworten Sie zuerst auf die Frage.

ROSENBERG: Jawohl, ich kenne das Dokument, ich habe schon gestern bemerkt, daß am Anfang alle Sorten von Entwürfen in meinem Büro gemacht wurden, die von mir nicht gebilligt wurden. Die Verbesserungen sind von mir.

GENERAL RUDENKO: Ich habe Sie ganz klar gefragt, ob Sie diese Weisung kennen oder nicht?


ROSENBERG: Ich habe aber auch die falsche Übersetzung wieder gehört. Es steht hier nichts von Vernichtung, sondern von Aufgliederung, und die russische Übersetzung hat wieder »Vernichtung« geschrieben. Wenn das so übersetzt wird, dann erscheint ja meine Frage in der russischen Sprache als eine Bejahung für eine Vernichtung, und es ist eine falsche Übersetzung, die hier gemacht wird und die ich nur kontrollieren kann, weil ich russisch spreche.


VORSITZENDER: Angeklagter, man kann Sie auch gut verstehen, ohne daß Sie schreien.

[625] ROSENBERG: Ich bitte um Entschuldigung.


GENERAL RUDENKO: Sie bringen also nur Korrekturen in der Übersetzung, soweit es sich aber um »Germanisation« und »Kolonisation« handelt, ist es richtig, nicht wahr?


ROSENBERG: Auch so ist es nicht ganz richtig übersetzt. Wenn Sie übersetzen, hier steht »Kolonisierung germanischer Völker«, und Sie übersetzten »Germanisation und Kolonisierung«, das sind zwei Hauptwörter, die wieder einen entsprechenden anderen Sinn ergeben, und ich möchte hinzufügen, daß diese Entwürfe von einem meiner Mitarbeiter ja überhaupt nicht hinausgegangen sind, und daß sie keinerlei Instruktionen darstellen.


GENERAL RUDENKO: Aber ich frage Sie gar nicht, ob es hinausgegangen ist. Ich frage Sie, ob es so einen Entwurf gab? Das bestreiten Sie nicht?


ROSENBERG: Ich bestreite gar nicht, daß ein solcher Entwurf in meinem Amte vorgelegt worden ist.


GENERAL RUDENKO: Sehr gut. Wir wollen jetzt weitergehen. In diesen Instruktionen handelt es sich immer um die Kriegsziele. Aus der »Allgemeinen Instruktion für alle Reichskommissare in den besetzten Ostgebieten« vom 8. Mai 1941, Dokument 1030-PS, zitiere ich nur einen kurzen Abschnitt; geben Sie dem Angeklagten den deutschen Text.

Ich zitiere auf Seite 4; die Stelle ist angestrichen. In dieser Anweisung sagen Sie:

»Dieser kommende Kampf ist ein Kampf um die Ernährung und Rohstoffversorgung sowohl für das Deutsche Reich als auch für den ganzen europäischen Raum.«

Bestätigen Sie das?

ROSENBERG: Ja, ich habe selbstverständlich dieses Dokument... es ist als Entwurf in meinem Amte vorgelegen. Das ist richtig, wird nicht bestritten.

GENERAL RUDENKO: Werden Sie nicht weitschweifig. Ich erinnere Sie noch einmal daran, beantworten Sie meine Frage ganz kurz. Sie bestätigen; das genügt.


ROSENBERG: Dieses Dokument, ja.


GENERAL RUDENKO: Das waren Ihre Äußerungen vor dem Angriff auf die Sowjetunion. Nun werde ich Sie, ohne das Dokument vorzulegen, da es dem Gerichtshof schon mehrmals unterbreitet wurde, an die Konferenz bei Hitler am 16. Juli 1941 erinnern.

Es ist Dokument L-221, Herr Vorsitzender.

Bei dieser Besprechung waren Sie doch anwesend?


ROSENBERG: Ja.


[626] GENERAL RUDENKO: Hitler sagte damals, daß das ganze Baltikum ein Teil des Reichsgebietes werden müsse; genau so müsse auch die Krim und die angrenzenden Gebiete Reichsgebiet werden, sowie das Gebiet des Wolga-Distrikts und das von Baku. Sie erinnern sich an diese Äußerungen Hitlers?


ROSENBERG: Ich habe dieses Dokument als Nachschrift von Bormann hier zum erstenmal gesehen. Der Führer hat damals sehr lange, leidenschaftliche Ausführungen gemacht. Eine genaue Abschrift habe ich mir damals nicht gemacht, aber er hat tatsächlich über die Krim gesprochen und davon gesprochen, daß angesichts der ungeheuren Kraft der Sowjetunion später möglichst keine Waffenträger dort sein dürften und...


GENERAL RUDENKO: Ich frage nicht warum; ich frage Sie, ob er es sagte.


VORSITZENDER: Herr General! Sie sprechen zu schnell. Sie müssen warten, bis der Mann zu Ende gesprochen hat.


GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender, er geht auf zu viele Einzelheiten ein.


[Zum Zeugen gewandt:]


Gut, die Krim geben Sie zu. Sie waren doch mit den Anordnungen Hitlers für die Eroberung dieser Gebiete einverstanden?

ROSENBERG: Aus dem Dokument geht ja hervor, und aus meiner Rede geht hervor, wie ich mir das Selbstbestimmungsrecht aller Ostvölker in einer staatlich neuen Struktur gedacht habe, und gegen die Ausführungen des Führers, das ergibt sich ja hier, habe ich ja polemisiert.

GENERAL RUDENKO: Das frage ich Sie nicht, ich frage Sie jetzt, ob Sie mit dem, was Hitler anordnete, einverstanden waren, oder ob Sie dagegen protestiert haben.


ROSENBERG: Ja, ich habe ja nachweislich protestiert, und das steht sogar in dem Protokoll.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof will nicht wissen, ob es nachgewiesen werden kann oder nicht. Die Frage lautet, ob Sie zugestimmt haben oder nicht. Das können Sie vermutlich beantworten. Stimmten Sie zu, oder stimmten Sie nicht zu?


ROSENBERG: Ich habe viele Punkte bejaht und die anderen verneint; aber es ist eine Zusammenfassung von mindestens zehn bis fünfzehn Pfunden.


VORSITZENDER: Gut, das ist eine Antwort.


GENERAL RUDENKO: Gut. Wir werden später noch auf diese Frage zurückkommen. Jetzt komme ich zu Ihren Richtlinien, die Sie als Minister für die besetzten Ostgebiete herausgegeben haben. Diese [627] Dokumente wurden dem Gerichtshof bereits unter den Nummern 1056-PS und EC-347 vorgelegt. Zu allererst möchte ich eine Frage an Sie richten: Was ist unter »Braune Mappe« zu verstehen?


ROSENBERG: Die »Braune Mappe« ist von den Verwaltungsabteilungen des Ostministeriums zusammengestellt worden auf Grund bestimmter Wünsche aus der Wirtschaft, aus den Wünschen meiner Politischen Abteilung, aus den Wünschen der Personalversorgung, des technischen Nachschubs für die Beamten in Ostländern und in der Ukraine, also ein erster Versuch einer Gesamtregelung.


GENERAL RUDENKO: Gut, also eine Art »Grüne Mappe«. Verständlich! Befassen wir uns nun mit Ihren Weisungen, das heißt der geplanten Plünderung oder Ausrottung, Dokument EC-347. Dieses Dokument wird Ihnen sofort vorgelegt werden.

Sehen Sie sich die angestrichenen Stellen an, ich glaube, auf Seite 39. Ich lese diesen Absatz vor:

»Die erste Aufgabe der Zivilverwaltung in den besetzten Ostgebieten ist, die Interessen des Reiches zu vertreten.«

Ich lasse ein paar Sätze aus:

»Die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung, die sich mit der Verwaltung eines durch eine fremde Kriegsmacht besetzten Landes befassen, gelten nicht, da die UdSSR als aufgelöst zu betrachten ist.«

Und dann geht es weiter:

»Es sind daher auch alle Maßnahmen zulässig, die der deutschen Verwaltung zur Durchführung dieser umfassenden Aufgabe erforderlich und geeignet erscheinen.«

Sie bestätigen doch, daß dies Ihre geheimen Absichten waren, obwohl Sie sich etwas beeilt haben, die Sowjetunion als vernichtet zu bezeichnen.

ROSENBERG: Ich habe in der russischen Übersetzung wieder das Wort »Ausplünderung« gehört. Das Wort »Ausplünderung« kommt in diesem deutschen Texte nicht vor. Wenn man so den deutschen Text übersetzt, daß überall »Ausplünderung« steht, trotzdem es im Deutschen...

GENERAL RUDENKO: Ich muß Sie unterbrechen. In dem russischen Texte, den ich Ihnen vorgelesen habe, gibt es kein Wort »Ausplünderung«. Entweder dichten Sie, oder Sie haben es nicht richtig verstanden.


ROSENBERG: Darf ich dazu ein paar Worte sagen?


GENERAL RUDENKO: Ich frage Sie: haben Sie das geschrieben?


ROSENBERG: Ich habe es zwar nicht geschrieben, aber das ist in einem vom Ostministerium hinausgegangenen Rundschreiben erschienen, und ich trage für diese »Braune Mappe« deshalb die [628] dienstliche Verantwortung. Ich möchte aber dazu einige Worte erklärend sagen. Die Aufklärung über die völkerrechtliche Lage im Osten habe ich aus dem Führerhauptquartier erhalten, und diese Aufklärung ging dahin, daß entsprechend der Stellung der Sowjetunion zu bestimmten Konventionen diese Konvention, also die Haager Konvention, hier auf die Sowjetunion nicht zutrifft, und zweitens habe ich dieses ganze Dokument – es ist ein Dokument von vielen Seiten – im Augenblick ja nicht lesen können, aber ich habe auf der zweiten Seite schon einen Absatz gefunden, der klar anzeigt, in welchem Sinne das Wort lautete; es lautete folgendermaßen...


GENERAL RUDENKO: Angeklagter Rosenberg, einen Augenblick bitte...


ROSENBERG: Ich muß doch aus dem Dokument vorlesen können.


VORSITZENDER: Wir müssen versuchen, dieses Kreuzverhör ordnungsgemäß durchzuführen. Worum handelt es sich? Wie lautete die Frage?


GENERAL RUDENKO: Ich habe ihm die Frage gestellt, ob er die Ziele und Aufgaben kannte, die sich die Verwaltung der besetzten Gebiete gestellt hat und wie sie in dem von mir verlesenen Zitat niedergelegt sind. Er hat mit »Ja« geantwortet. Damit war meine Frage erschöpft. Das Dokument liegt der Verteidigung vor, und sie kann vom Recht, auf andere noch nicht verlesene Stellen zurückzukommen, Gebrauch machen. Es ist ein sehr umfangreiches Dokument, und wenn ich versuchen wollte, das Ganze zu zitieren, so würde es zu viel Zeit in Anspruch nehmen.


VORSITZENDER: Sie haben die Frage beantwortet. Ich weiß nun, um was es sich handelt: Man habe Ihnen gesagt, daß die Haager Konvention nicht auf Rußland zutreffe.


ROSENBERG: Jawohl. Ich bitte nun diesen einen Absatz zu zitieren; er lautet, auf Seite 40 der vorletzte Absatz:

»Die wichtigste Voraussetzung hierfür« – also für den Aufbau im Osten – »ist eine entsprechende Behandlung des Landes und der Bevölkerung. Der Krieg gegen die Sowjetunion ist bei aller notwendigen Sicherung der deutschen Ernährung ein politischer Feldzug mit dem Ziel einer dauerhaften Ordnung. Das eroberte Gebiet darf also als Ganzes nicht als Ausbeutungsobjekt betrachtet werden, selbst wenn die deutsche Ernährungs- und Kriegswirtschaft größere Gebiete im großen Maßstab be anspruchen muß.«

Ich glaube sagen zu dürfen, das ist eine Rücksichtnahme auch auf die Notwendigkeiten der Bevölkerung, wie man sie deutlicher gar nicht auszusprechen vermag.

[629] GENERAL RUDENKO: Gut. Ich möchte Ihnen noch einige Fragen über die Behandlung der Bevölkerung stellen, obwohl wir alle und Sie auch über diese Behandlung ziemlich viel bereits gehört haben. Wollen wir weitergehen. Ich habe Sie über die Krim gefragt. Sie sagten: »Ja, Hitler hatte vor die Krim Deutschland anzugliedern«.

Können Sie sich daran erinnern, daß Sie nicht nur diese Pläne gebilligt haben, sondern daß Sie sogar neue Namen für Städte erfunden haben; zum Beispiel sollten Simferopol »Gotenburg« und Sewastopol »Theoderichhafen« heißen. Erinnern Sie sich daran?


ROSENBERG: Ja, das stimmt; der Führer sagte mir, daß ich die Umbenennung dieser Städte ausdenken sollte; es war ja auch von einer Umbenennung sehr vieler anderer Städte gesprochen worden.


GENERAL RUDENKO: Jawohl, natürlich.


DR. THOMA: Herr Präsident! Ich soll um 4.00 Uhr fertig sein mit meinem Beweisverfahren gegen Rosenberg. Ich weiß nicht, wie ich das fertig bringen soll.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat dies nicht zur Bedingung gemacht. Ich habe keine Verfügung darüber getroffen. Ich sagte nur, der Gerichtshof »hoffe«. Und dieses »Hoffen« war mehr an die Anklagevertretung gerichtet als an die Verteidigung.


DR. THOMA: Herr Präsident! Ich erlaube mir aber die Feststellung, daß der sowjetische Anklagevertreter eine Reihe von Dokumenten neuerdings vorgelegt hat, die ich gestern bereits vorlegte, und auf die der Angeklagte auch schon geantwortet hat. Ich verweise auf die Dokumente 1029-PS und 1030-PS. Der Angeklagte hat ja selbst schon gesagt...


VORSITZENDER: Mit dieser Zwischenfrage verschwenden Sie nur die Zeit des Gerichtshofs.


GENERAL RUDENKO: Also, Sie geben die Umbenennungen von Simferopol und Sewastopol zu?

Nächste Frage: Sie haben sich auch mit der Umgestaltung des Kaukasus beschäftigt und hatten hierzu einen Sonderstab gebildet, der Ihnen unterstellt war. Bitte antworten Sie ja oder nein.


ROSENBERG: Ja.


GENERAL RUDENKO: Ferner haben Sie einen Abenteurer aus der Emigration, einen Fürsten Bagration Muchransky, als georgischen Thronprätendenten vorgesehen. Ist das wahr? Antworten Sie kurz!

ROSENBERG: Ja, das ist wahr. Wir erwähnten das, wir haben über ihn gesprochen, und von uns ist eine solche Kandidatur abgelehnt worden.


GENERAL RUDENKO: Sie haben ihn also abgelehnt, sehr schön.

[630] Und über die Umgestaltung des Kaukasus haben Sie am 27. Juli 1942 einen besonderen Bericht ausgearbeitet. Ist das richtig?


ROSENBERG: Das mag sein, daß ein Bericht gegeben wurde. Ja, ja, natürlich, das ist ein ziemlich langer Bericht, der liegt vor.


GENERAL RUDENKO: Ich werde Ihnen diesen Bericht vorlegen, um Ihre Aufmerksamkeit auf ein kurzes Zitat zu lenken.

Es ist, Herr Vorsitzender, ein Dokument, das bereits dem Gerichtshof als USSR-58 vorliegt.

Angeklagter Rosenberg, bitte wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit der Seite 7 zu, die Stelle ist angestrichen; der Text lautet:

»Wirtschaftlich muß das Deutsche Reich die gesamte Ölversorgung in die Hände nehmen; die notwendige Beteiligung an den Reichtümern könnte in Zukunft abgesprochen werden.«

Haben Sie diese Stelle gefunden?

ROSENBERG: Auf Seite 7 des Textes ist die Stelle, ja, ich habe sie gefunden.

GENERAL RUDENKO: Geben Sie zu, daß diese Äußerung von Ihnen stammt?

ROSENBERG: Dieses Dokument ist eine Denkschrift meines Amtes, und ich bestätige, daß es richtig ist.


GENERAL RUDENKO: Sehr gut.


ROSENBERG: Darf ich dazu noch eine Bemerkung machen? Es ist ja hier nicht weiter von einer Unterdrückung der Völker die Rede, sondern von einer Zusicherung von Autonomie, von allen möglichen Erleichterungen für diese Völker. Nur kann ich das nicht auf einmal aus einem Dokument von 14 Seiten, wenn ich nur einen Satz lese, zusammenfinden.


GENERAL RUDENKO: Ich habe Sie eben über die Aufgaben des Deutschen Reiches in Bezug auf das öl gefragt.

Bitte wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit der Seite 14 desselben Berichtes zu. Es ist am Ende der Seite. Die Aufgaben werden von Ihnen folgendermaßen definiert, Ich zitiere:

»Das Problem des Ostlandes ist die Heranführung der baltischen Völker in den deutschen Kulturkreis und die Vorbereitung für eine deutsche, großzügige Militärgrenze. Die Aufgabe der Ukraine ist die Sicherung der Ernährung Deutschlands und Europas und die Rohstoffversorgung des Kontinents. Die Aufgabe Kaukasiens ist vor allem politischer Natur und bedeutet den entscheidenden Ausgriff des von Deutschland geführten Kontinentaleuropas von der kaukasischen Landenge nach dem Vorderen Orient.«

Haben Sie diese Stelle gelesen?

[631] ROSENBERG: Jawohl.

GENERAL RUDENKO: Sie bestreiten doch nicht, daß so ein Plan vorhanden war?


ROSENBERG: Ich bestätige, daß das richtig vorliegt, und es entspricht dem, daß dieses Kontinental-Osteuropa in den gesamten Wirtschaftskreis und Wirtschaftsversorgung des übrigen Kontinents hoffentlich einmal einbezogen werden könnte, wie es ja auch vor dem Jahre 1914 der Fall war, weil ja auch die Ukraine damals ein großes Ausfuhrland an Rohstoffen sowohl als auch an Ernährungsmitteln gewesen ist.


GENERAL RUDENKO: Ihre Pläne wegen der Ukraine sind ja bekannt. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen die letzte Frage über den Angriff stellen. Geben Sie nach diesem Dokument, das Sie ja nicht ableugnen, den aggressiven, räuberischen Charakter des Krieges, den Deutschland gegen die Sowjetunion geführt hat, und Ihre persönliche Verantwortung für die Planung und Ausführung des Angriffs zu?

Bitte antworten Sie kurz. Geben Sie das zu oder nicht?


ROSENBERG: Nein, weil ich diesen Krieg nicht als Aggression von uns aus angesehen habe, sondern umgekehrt.


GENERAL RUDENKO: Nein, sehr gut. Wir wollen darüber nicht weiter sprechen.

Ich habe noch ein paar Fragen über die deutsche Verwaltung und die deutsche Politik in den besetzten Gebieten. Wer war der höchste Beamte der Zivilverwaltung im Reichskommissariat?


ROSENBERG: Ja, für die Verwaltung, für die Gesetzgebung im Ostgebiet ist der Ostminister für die besetzten Ostgebiete eingesetzt worden und für die Territorial-Regierungen der Reichskommissar.


VORSITZENDER: General Rudenko! Der Gerichtshof hat über die Verwaltung, die frühere Verwaltung und das Verwaltungspersonal bereits alles gehört.


GENERAL RUDENKO: Ich habe in diesem Zusammenhang nur wenige, zwei bis drei Fragen, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Hatte der Reichskommissar die Machtbefugnis, Befehle über Festnahme und Erschießung von Geiseln zu erlassen?

ROSENBERG: Es ist mir im Augenblick nicht erinnerlich, ob ihm ein solches Recht gesetzlich zugesprochen worden ist, oder ob das unter die unmittelbare Polizeigerichtsbarkeit fiel. Ich vermag auf diese Frage nicht bestimmt zu antworten, weil mir ein solcher Erlaß im Augenblick nicht erinnerlich ist. Es mag aber nicht ausgeschlossen sein. Ich weiß es nicht.

[632] GENERAL RUDENKO: Es war nicht ausgeschlossen? Gut. Ich muß Sie daran erinnern, daß dieses Recht der Kommissare, Geiseln zu erschießen, in Ihren Richtlinien vorgesehen war.

Gehen wir weiter. Es ist hier schon viel über die deutsche Politik in den besetzten Gebieten gesprochen worden, ich möchte daher nur ein paar Fragen an Sie stellen. In erster Linie im Zusammenhang mit der Ukraine. Sie haben hier die Lage so dargestellt, als ob Koch der allein Verantwortliche gewesen sei, Sie aber gegen seine Maßnahmen immer Einspruch erhoben hätten und im Gegenteil ein Wohltäter des ukrainischen Volkes gewesen wären.


ROSENBERG: Nein, das stimmt nicht; ich habe nie gesagt, daß ich ein Wohltäter gewesen bin.


GENERAL RUDENKO: In dem Dokument, das von Ihrem Verteidiger als Ro-19 vorgelegt wurde, und das ich Ihnen daher nicht noch einmal vorlegen will, schrieb Riecke:

»In einem Brief an die Reichsleiter der Presse im November 1942 hat Koch erklärt, daß die Ukraine für uns lediglich ein Ausbeutungsobjekt sei, daß sie den Krieg bezahlen müsse, und daß die Bevölkerung gewissermaßen als Volk zweiten Ranges für die Kriegsaufgaben eingesetzt werde, selbst wenn sie mit dem Lasso eingefangen werden müsse.«

Das ist die Politik Kochs in der Ukraine.

Dieses Dokument wurde von Ihrem Verteidiger vorgelegt. Ich werde Ihnen jetzt eine Frage stellen: Haben Sie am 14. Dezember an Koch geschrieben?

ROSENBERG: Darf ich bitten, darauf zu antworten? Ich habe das Dokument ja im Wortlaut nicht eben bei mir, ich weiß bloß, daß es ein Brief von Riecke an mich ist mit der großen Klage, wie viele andere auch, und daß er mich ersuchte...

GENERAL RUDENKO: Koch?


ROSENBERG: Ja,... Klage zu führen, und daß er sich etwas drastisch ausgedrückt hat, und daß wir zusammen uns bemühten, hier eine geordnete Arbeit durchzusetzen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat heute schon das Thema Koch in Bezug auf die Ukraine behandelt, und es hat keinen Sinn, nochmals darauf einzugehen.


GENERAL RUDENKO: Ja, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie haben gestern in Ihren Ausführungen über die Greueltaten und die Vernichtung der Sowjetbevölkerung dem Gerichtshof wiederholt erklärt, Sie hätten davon keine Kenntnis gehabt, und es seien Polizeimaßnahmen gewesen. Habe ich Sie richtig verstanden?

[633] ROSENBERG: Nein, das ist nicht ganz genau richtig. Ich habe über viele Kämpfe mit Partisanen und Banden Berichte bekommen, wie gesagt, über manche Erschießungen, aber auch über die Tatsachen, daß ja deutsche Landwirtschaftsführer, deutsche Polizisten und Beamte und friedliche Sowjetbauern von diesen Banden und Partisanen angegriffen und zu Tausenden ermordet worden sind.

GENERAL RUDENKO: Gut. Wir wissen, wie Sie mit den Partisanen abrechneten, welche gegen die Feinde ihres Landes kämpften, und die Sie Banditen nannten. Ich will mit Ihnen darüber nicht argumentieren. Ich spreche über die Vernichtung der Zivilbevölkerung, über die Vernichtung von alten Männern, Frauen und Kindern. Wußten Sie davon?

ROSENBERG: Wir haben uns ja besonders bemüht in diesen Kämpfen, daß diese bäuerlichen und sonstigen Bevölkerungen geschützt worden sind. Wir haben, als wir von diesen – uns schien, übertriebenen – Maßnahmen der Polizei in diesen Kämpfen gehört haben, die strengsten Forderungen gestellt, daß hier bei aller Härte des Kampfes diese Dinge berücksichtigt würden, und die Polizei sagte uns, das ist vom grünen Tische sehr leicht zu fordern, wenn aber in Weißruthenien von den Partisanen 500 weißruthenische Bürgermeister mit ihren Familien in ihren Häusern verbrannt werden und wir hinterrücks erschossen werden, dann gibt es eben furchtbare Auseinandersetzungen.


GENERAL RUDENKO: Ich möchte Sie an Ihre Richtlinien für die besetzten Gebiete über die Organisation der Verwaltung und über die vordringlichen Verwaltungsaufgaben erinnern. Sie haben persönlich als erste Aufgabe polizeiliche Maßnahmen geplant. Das werden Sie doch nicht abstreiten?

Ich frage Sie, Sie werden es doch nicht abstreiten?


ROSENBERG: Ich habe, wenn es das Dokument 1056-PS ist, sieben vordringliche Maßnahmen gestellt. Welche hier die erste ist, kann ich im Moment nicht sagen. Ich bitte, mir das Dokument vorzulegen.


GENERAL RUDENKO: Gut. Ich bitte, dem Angeklagten eine Stelle aus diesem Dokument zu zeigen, nämlich den an der Spitze stehenden Punkt »polizeiliche Maßnahmen«.


VORSITZENDER: Ist ihm dieses Dokument vorgelegt worden?


GENERAL RUDENKO: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Weshalb wollen Sie es ihm nochmal vorlegen?


GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Der Angeklagte Rosenberg verlangt das Dokument. Eines ist jedoch einwandfrei festgestellt: der Angeklagte versuchte mir vorzumachen, er hätte nicht gewußt, daß es sich um Polizeimaßnahmen gehandelt hat. Ich stellte[634] aber fest, daß er es gerade war, der die Durchführung dieser polizeilichen Maßnahmen als seine wichtigste Aufgabe betrachtete.


ROSENBERG: Es steht außer Frage, daß in einem besetzten Gebiet die Polizei inmitten eines solchen Krieges für polizeiliche Sicherung sorgt. Und der dritte Punkt heißt:

»Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, damit keine Hungersnot entsteht.«

Ich wiederhole: »Versorgung der Bevölkerung, damit keine Hungersnot entsteht.«

GENERAL RUDENKO: Schön, schön. Das haben wir bereits gestern in allen Einzelheiten gehört.

Ich habe noch ein paar letzte Fragen an Sie. Vor allem muß ich Sie über den Zwischenfall von Zuman befragen. Dieses Dokument ist hier bereits vorgelegt worden, aber ich halte es als Vertreter der Sowjetunion für notwendig, Ihnen diese Fragen über die Erschießung von Sowjetbürgern zu stellen, die nur aus dem Grunde erschossen worden sind, weil ein Stück Land für Jagdzwecke benötigt wurde. Sie erinnern sich doch an dieses Dokument.


ROSENBERG: Ja, ich habe gestern darüber eine erschöpfende Aufklärung gegeben.


VORSITZENDER: General Rudenko! Dies ist auch vor dem Gerichtshof behandelt worden. Warum soll die Zeit des Gerichtshofs durch die ständig wiederholte Behandlung des gleichen Themas verschwendet werden? Es ist schon bekanntgegeben worden, daß wir keine Wiederholungen wünschen.


GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Manche Einzelheiten dieser Frage sind von außerordentlicher Wichtigkeit. Der Angeklagte hat diese Punkte nicht aufgeklärt, und ich möchte daher diese Frage stellen.


VORSITZENDER: Gut. Der Gerichtshof wird sich zurückziehen, um über die Angelegenheit zu beraten.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Erstens: Der Gerichtshof wird morgen nachmittag die Verhandlung um 4.30 Uhr beginnen.

In Bezug auf die aufgeworfene Frage ist der Gerichtshof der Ansicht, daß die Angelegenheit schon zur Genüge behandelt worden ist. Wenn aber ein besonderer Punkt vorliegt, der bisher noch nicht besprochen worden ist, kann in diesem Zusammenhange eine Frage gestellt werden.


GENERAL RUDENKO: Jawohl, Herr Vorsitzender.

Angeklagter Rosenberg! Am 2. April 1943 haben Sie einen Brief an Himmler über den Zwischenfall im Bezirk Zuman gerichtet, das [635] heißt, über die Erschießung von Hunderten von Sowjetbürgern, weil der Platz für eine Jagd gebraucht wurde. Sie haben doch an Himmler so einen Brief geschrieben, nicht wahr? Sie haben sich auch bis Juni 1943 für diese Angelegenheit interessiert. Wie war das Ergebnis dieses Briefes?


ROSENBERG: Ich habe zunächst an den verantwortlichen Chef der Deutschen Polizei eine solche Mitteilung gemacht und mußte zunächst abwarten, was er als Verantwortlicher für die Sicherheitsmaßnahmen in der Ukraine veranlaßte. Als ich darüber keine näheren Mitteilungen erhielt, habe ich diesen Vorfall zu einer Beschwerde und Klage persönlich beim Führer gemacht.


GENERAL RUDENKO: Wann haben Sie Hitler Vortrag gehalten?


ROSENBERG: Diese Beschwerde an den Führer wurde verhandelt Mitte Mai 1943 und lag, da es eine ziemlich umfangreiche Beschwerde war, sicher schon einige Wochen vorher... also zwischen dem 2. April und dem Verhandlungstag Mitte Mai oder Ende Mai, lagen etwa 5-6 Wochen. Das ist, glaube ich, eine sehr schnelle Beschwerde; denn die Beschwerde mußte erst von Lammers und von Bormann ziemlich umfangreich geprüft werden, dann mußte der Führer sich darüber entschließen und die Richtlinien geben, und dann bin ich hinbestellt worden.


GENERAL RUDENKO: Wann ist diese Beschwerde zum letztenmal verhandelt worden?


ROSENBERG: Im Mai, zwischen Mitte und Ende Mai 1943.


GENERAL RUDENKO: Wurde die Beschwerde in Anwesenheit von Koch behandelt?


ROSENBERG: Jawohl.


GENERAL RUDENKO: Sie haben gestern dem Gerichtshof mitgeteilt, daß Koch Hitler angeblich einen Bericht der Obersten Forstverwaltung vorgelegt habe; ist das richtig?


ROSENBERG: Ja.


GENERAL RUDENKO: Und angeblich lautete diese Auskunft dahingehend, daß es ein Kampf gegen die Partisanen gewesen sei?


ROSENBERG: Nicht ganz genau so, sondern er lautete dahingehend, daß dieser Waldbezirk für notwendige Forstlieferungen für die Wehrmacht oder Verwaltung ausgenutzt werden sollte, und daß in diesen notwendig auszunutzenden Waldgebieten sehr viele unruhige Partisanen und Banden waren, und deshalb die größte Gefahr für die Arbeiterschaft in diesen Gebieten bestand, und daß es dabei zu Schießereien gegen Partisanen und Banden gekommen sei, und, weil man nicht alle überwachen konnte, eine Umsiedlung aus diesen Waldgebieten von besonderen Gruppen in südlicher [636] gelegene Waldgebiete stattfand; und außerdem fügte Koch hinzu, daß sich diese Umgesiedelten bedankten, daß sie ein besseres Landgebiet als vorher bekommen hätten. Das war die Aufklärung, die Koch gegeben hatte.


GENERAL RUDENKO: Sie waren dafür dankbar, daß sie in einer Dezembernacht aus ihren eigenen Häusern hinausgeworfen und in einen 100 Kilometer entfernten Ort gejagt wurden, sowie dafür, daß Hunderte von ihnen erschossen wurden.

Ich will Sie noch folgendes fragen: Am 2. April 1943 haben Sie einem Schreiben an Himmler auch ein Schreiben der Obersten Forstverwaltung beigelegt. Und in diesem Schreiben wird gesagt... Ich verlese diese Stelle, Sie müssen sich an dieses furchtbare Ereignis der Erschießung von Menschen bei der Jagd noch erinnern.

In diesem Schreiben an die Forstverwaltung hieß es:

»Zweifelsohne vor allem auch unter dem jagdlichen Gesichtspunkt, ist die Evakuierung mehrerer Waldgebiete in die bei Zuman gelegenen Dörfer erfolgt.«

Das steht in der Auskunft der Forstverwaltung.

ROSENBERG: Ich möchte bloß feststellen, daß es sich hier um einen Mitarbeiter der Forstwirtschaft in Berlin handelte, der das hinzugeschrieben hatte auf Grund seiner Berichte; und was Koch vorbrachte, war die Mitteilung des Chefs der Forstverwaltung in der Ukraine selber...

GENERAL RUDENKO: Gut, nun eine letzte Frage in diesem Zusammenhang. Glaubten Sie Koch?


ROSENBERG: Das ist, wenn ich auf Gewissen gefragt werde, schwer zu sagen, aber es war hier eine...

GENERAL RUDENKO: Ja, eben auf Gewissen, wenn Sie es wünschen.


ROSENBERG: Es war hier eine sachliche Darstellung der Forstverwaltung mit gewesen, und ich konnte gegen diese Darstellung, die begründet war, keinen Einspruch erheben und mußte mir sagen, daß ich mich in dieser Beschwerde eben geirrt habe.


GENERAL RUDENKO: Sie haben keinen Einspruch erhoben, ich verstehe. Ich werde ein Zitat von Ihnen verlesen:

»Hunderte von Menschen aber hat man in Zuman und Umgebung unter Einsatz einer ganzen Polizeikompanie abgeknallt, ›weil sie kommunistisch eingestellt waren!‹ Kein Ukrainer glaubt das letztere, und auch die Deutschen sind über dieses Argument verwundert, denn dann hätte man zur gleichen Zeit... und wenn es schon um der Sicherheit des Landes willen geschah... auch in anderen Rayons kommunistisch verseuchte Elemente exekutieren müssen.«

[637] Ich habe an Sie eine letzte Frage zu stellen: Sie haben dem Gerichtshof gestern wiederholt erklärt, daß Sie Ihren Abschied einreichen wollten. Sie sind noch weiter gegangen und haben sich auf Ihren Brief an Hitler vom 12. Oktober 1944 berufen, in welchem Sie um Anweisung baten, wie man weiter verfahren sollte. Mein Kollege, Herr Dodd, hat Sie daran erinnert, daß am 12. Oktober 1944 der Reichsminister der Ostgebiete gar kein Gebiet mehr hatte. Ich frage Sie aber folgendes:

Wie konnten Sie um Abschied ansuchen, Sie, der Sie einmal davon geträumt hatten, Reichsminister und Mitglied des Geheimen Kabinetts zu werden. Sie sind noch weiter gegangen, Sie haben Hitler um den Posten eines Reichsministers gebeten. Erinnern Sie sich daran?

ROSENBERG: Erstens bin ich niemals Mitglied des sogenannten Geheimen Kabinetts gewesen. Das stimmt nicht.

GENERAL RUDENKO: Gut, Sie hatten davon geträumt, ein Mitglied des Geheimen Reichskabinetts zu werden.


ROSENBERG: Ja, das ist richtig.


GENERAL RUDENKO: Und Sie hofften auch, Reichsminister zu werden?


ROSENBERG: Als die Frage akut wurde für meinen Auftrag, ist über die Form dieses Auftrages lange hin und her gesprochen worden. Dr. Lammers als Beauftragter des Führers sagte mir, der Führer beabsichtige entweder einen Reichsinspektor einzusetzen, weil er die beiden Reichskommissare...


GENERAL RUDENKO: Angeklagter Rosenberg! Um die Beendigung dieser Frage nicht hinauszuziehen, werde ich jetzt dem Gerichtshof ein Dokument vorlegen. Es ist das letzte Dokument, ein persönlicher Brief von Ihnen.


VORSITZENDER: Erstens weiß ich nicht, wie die Frage lautete, und dann unterbrechen Sie den Zeugen, bevor er die Frage beantwortet hat.


GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Ich verfolge nur ein Ziel, nämlich, das Verhör zu verkürzen. Daher lege ich Rosenbergs Brief an Hitler vom 6. Februar 1938 vor. In diesem Brief ersucht er Hitler um das Amt eines Reichsministers. Es ist ein kurzer Brief und ich bitte um Erlaubnis, das Dokument als USSR-117 vorzulegen.

Angeklagter Rosenberg! Ich verlese das Dokument. Es ist nicht lang:

»6. Februar 1938

Mein Führer!

Da ich Sie hier nicht sprechen konnte...«


[638] VORSITZENDER: Das Dokument ist ins Deutsche übersetzt?

GENERAL RUDENKO: Das Original ist deutsch.


VORSITZENDER: Erstens ist es deutsch. Es ist also nicht notwendig, es ganz vorzulesen. Sie können es wie andere Dokumente vorlegen.


GENERAL RUDENKO: Sehr wohl.


[Zum Zeugen gewandt:]


In diesem Brief haben Sie Ihrem Empfinden Ausdruck gegeben, durch die Ernennung des Angeklagten Ribbentrop zum Reichsaußenminister zurückgesetzt worden zu sein, nicht wahr?

ROSENBERG: Ja, ja.

GENERAL RUDENKO: Sie waren der Ansicht, daß der Posten des Reichsaußenministers im Kabinett Hitler von Ihnen hätte besetzt werden können. Angeklagter Rosenberg, ist das richtig?


ROSENBERG: Ja, ich finde es auch nicht niederschmetternd, daß ich nach so vielen Jahren Tätigkeit nicht auch den Wunsch geäußert hätte, im staatlichen Dienst des Deutschen Reiches verwendet zu werden.


GENERAL RUDENKO: In diesem Brief weisen Sie darauf hin, daß ein geheimes Kabinett existiert. Nicht wahr?


ROSENBERG: Ja, darf ich diesen Brief ein wenig durchlesen? Ich kann nicht auf Bruchstücke antworten.

GENERAL RUDENKO: Bitte sehr.


ROSENBERG: Ja, ich habe den Brief gelesen.


GENERAL RUDENKO: Ist das, was darin steht, richtig?


ROSENBERG: Doch, ja.


GENERAL RUDENKO: Es ist ein Brief von Ihnen?


ROSENBERG: Jawohl.


GENERAL RUDENKO: Gut. Haben Sie darum gebeten, in das Geheime Reichskabinett aufgenommen zu werden?


ROSENBERG: Jawohl.


GENERAL RUDENKO: Haben Sie den Posten eines Reichsministers angestrebt?


ROSENBERG: Ich habe mitgeteilt, daß ich mit Parteigenossen Göring über diese Ernennung gesprochen hätte, und da ich vom Führer beauftragt war mit der ideologischen Erziehung der Partei, und das politische Außenamt in der Partei noch bestand, und dadurch unter Umständen in der Partei der Eindruck entstanden wäre, als ob ich irgendwie vom Führer abgelehnt würde, bat ich daher [639] den Führer, mich persönlich in dieser Angelegenheit zu empfangen. Ich finde es durchaus selbstverständlich, daß ich den Wunsch geäußert habe, über eine für meine Person wichtige Sache zu sprechen.


GENERAL RUDENKO: Nun, meine letzte Frage: Sie waren Hitlers engster Mitarbeiter bei der Ausführung all seiner Pläne und Vorhaben?


ROSENBERG: Das ist nicht richtig, das ist ganz falsch.


GENERAL RUDENKO: Sehr gut. Wir wollen es als Antwort auf meine Frage annehmen.

Herr Vorsitzender! Ich habe mein Verhör beendet.


M. HENRY MONNERAY, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Ich habe nur einige Fragen an den Angeklagten zu richten.

Angeklagter Rosenberg! Stimmt es, daß Deportation und Hinrichtung der Juden in Frankreich Ihren Dienststellen die Möglichkeit gegeben haben, Wohnungseinrichtungen und Wertgegenstände dieser Juden zu beschlagnahmen?


ROSENBERG: Es entspricht den Tatsachen, daß ich einen staatlichen Auftrag bekommen hatte, Archive, Kunstwerke und später Wohnungseinrichtungen der jüdischen Staatsbürger in Frankreich zu beschlagnahmen.


M. MONNERAY: Die Massendeportationen der Juden konnten also den Ertrag Ihrer Beschlagnahmungsaktion nur vergrößern. Stimmt das?


ROSENBERG: Nein, die Deportationen der Juden haben mit dieser Angelegenheit nichts zu tun. Sondern die Anregung zu diesen Maßnahmen erfolgte ausschließlich, während mir mitgeteilt wurde, daß die betreffende jüdische Bevölkerung in ihren Institutionen, Schlössern und Wohnungen nicht vorhanden war und Paris und andere Orte verlassen hatten und nicht zurückgekehrt waren.


M. MONNERAY: Wenn die Juden einmal deportiert waren, dann waren Sie eben abwesend, nicht wahr?


ROSENBERG: Beim Einmarsch der deutschen Truppen war Paris beinahe vollkommen entvölkert. Die übrigen Pariser und die Bewohner der nordfranzösischen Städte kehrten im Laufe der Zeit zurück. Wie mir mitgeteilt wurde, ist die jüdische Bevölkerung in diese Städte, besonders Paris, nicht zurückgekehrt. Sie waren also nicht deportiert, sondern sie waren geflüchtet. Ich glaube, die Zahl der Geflüchteten wurde damals mit 5, 6, 7 Millionen oder mehr angegeben.


M. MONNERAY: Wollen Sie damit sagen, Angeklagter Rosenberg, daß dann später, als während der deutschen Besetzung in [640] Frankreich erneute Deportationsmaßnahmen ergriffen wurden, die Wohnungen der Deportierten nicht durch Ihre Dienststellen beschlagnahmt wurden?


ROSENBERG: Nein, das kann ich damit nicht ausdrücken. Es kann wohl sein, daß die Wohnungen von den in Haft genommenen Persönlichkeiten unter Umständen auch beschlagnahmt wurden. Darüber kann ich aber keine gewisse Auskunft geben.


M. MONNERAY: Man kann daher sagen, daß die Deportationsmaßnahmen Ihren Dienststellen bessere Gelegenheit gaben, ihre Beschlagnahmungsaktion durchzuführen. Stimmt das?


ROSENBERG: Nein, das entspricht nicht den Tatsachen, sondern aus dem Bericht, den die Französische Anklagebehörde hier vorgelegt hat, ist hervorgegangen, daß im allgemeinen Wohnungen, die beschlagnahmt wurden, versiegelt wurden von der Polizei, und dann wurde zwei Monate gewartet, ob nicht die Eigentümer dieser Wohnungen zurückkehrten, und erst als die Identität festgestellt war, daß es nicht der Fall war, wurden die Wohnungseinrichtungen für die Bombenbeschädigten in Deutschland eingesetzt. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Berichts, den die Französische Anklagebehörde hier vorgelegt hat.


M. MONNERAY: Ich glaube, es gibt sehr wenig Fälle – und darin werden Sie mit mir übereinstimmen –, daß Deportierte nach Ablauf zweier Monate zurückgekommen sind.


ROSENBERG: Doch, es sind mir solche Fälle gemeldet worden. Und zwar in dem menschlich bedauerlichen Dokument von 001-PS steht ja ausdrücklich darin, daß wir gehört hatten, daß eine große Anzahl früher verhafteter jüdischer Persönlichkeiten jetzt wieder in Freiheit gelassen worden sind.


M. MONNERAY: Sie kennen doch sicher die Aktennotiz, die Sie am 3. Oktober 1942 an Hitler gesandt haben, und die dem Gerichtshof bereits als RF-1327 vorgelegt wurde. In diesem Dokument erinnern Sie Hitler an Ihre Zuständigkeit und Sie sagen, daß Sie als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete die Befugnis hätten, die Wohnungseinrichtungen geflohener, abwesender und noch abreisender Juden beschlagnahmen zu lassen. Ich kann Ihnen dieses Dokument vorlegen, um nötigenfalls Ihr Gedächtnis aufzufrischen.


[Das Dokument wird dem Angeklagten überreicht.]


Es sind die ersten Zeilen des Dokuments. Ich verweise besonders auf die Worte: »Noch abreisender Juden«.

Es ist ein Dokument vom 3. Oktober 1942 und wurde schon vorgelegt.

ROSENBERG: Ja, das ist richtig, das entspricht den Tatsachen, und es kann hier, wie ich schon sagte, die Möglichkeit vorliegen, daß [641] hier auch eine Anzahl von Wohnungen verhafteter Persönlichkeiten oder sonstiger nichtanwesender Persönlichkeiten mit einbezogen worden ist; aber, wie gesagt, in dem anderen Bericht ist mehr detailliert darüber gesprochen worden. Dieses Dokument entspricht an sich den Tatsachen, es ist ein Brief von mir.

M. MONNERAY: Aus diesem Dokument geht hervor, daß Sie beauftragt worden waren, nicht nur die Wohnungen zu beschlagnahmen, die Sie bei Ankunft der Deutschen in Paris unbewohnt vorgefunden haben, sondern auch Wohnungen von Leuten, die erst zu einem späteren Zeitpunkt, wie Sie sich ausdrücken, »abreisen«. Sie haben also zweifellos gewußt, Angeklagter Rosenberg, unter welchen Bedingungen, in den von Deutschland im Westen besetzten Gebieten, und später auch im Osten, die »noch aufbrechenden« Juden mit Sonderzügen im allgemeinen direkt in die Konzentrationslager gebracht wurden.


ROSENBERG: Nein, von den Zügen habe ich nichts gewußt, sondern es handelte sich hier ja ganz klar um verlassene Wohnungen, und vermutlich ist mir hier mitgeteilt worden, daß Wohnungen auch von Verhafteten, von noch Lebenden oder schon längst Geflohenen in Aussicht genommen werden. Mehr steht hier nicht drin, und mehr kann ich Ihnen auch hierüber nicht sagen beziehungsweise Auskünfte darüber geben. Diese Berichte, die hier zum Prozeß vorgelegt worden sind, sind mir hier erstmals bekanntgeworden. Ich kann nur noch sagen, daß mir zum Schluß mitgeteilt wurde, daß vor der Eroberung von Paris durch die alliierten Truppen die vorhandenen Wohnungseinrichtungen und Haushaltgegenstände dem französischen Roten Kreuz übergeben worden sind.


M. MONNERAY: Stimmen Sie mir in folgendem Punkte zu: Ihre Dienststellen hatten das Recht, Wertgegenstände oder Wohnungen, die nach dem Eintreffen der deutschen Truppen in Paris freigeworden waren, zu beschlagnahmen. Stimmen Sie mir in diesem Punkte zu?


ROSENBERG: Ja.


M. MONNERAY: Angeklagter! Sie sagten soeben, daß Sie keinerlei Kenntnis von Transporten in Sonderzügen nach besonderen Bestimmungsorten hatten. Wissen Sie – und ich nehme an, daß Sie es wissen, da ja das Dokument, auf das ich mich beziehe, dem Gerichtshof schon vorgelegt wurde – wissen Sie, daß seit Mitte 1941 bis zum Ende der deutschen Besetzung jeden Dienstag in Paris Zusammenkünfte stattfanden, die sogenannten Dienstagbesprechungen, an denen Vertreter der verschiedenen deutschen Dienststellen in Paris teilnahmen? Es waren dies die Referenten für jüdische Fragen in den verschiedenen deutschen Verwaltungszweigen; und [642] zwar ein Vertreter der Militärregierung, ein Vertreter der Zivilverwaltung, ein Vertreter der Polizei und ein Vertreter der Wirtschaftsabteilung. Außerdem wohnte diesen Sitzungen auch ein Vertreter der Deutschen Botschaft in Paris bei und ein Vertreter Ihres Einsatzstabes.

Ich verweise auf Dokument RF-1210. Es ist ein am 22. Februar 1942 von Danneckers, dem verantwortlichen Leiter der antijüdischen Terroraktion in Paris während der Besetzung verfaßter Bericht. Wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen dieses Dokument vorlegen lassen.


ROSENBERG: Ich kann mich dieser Ausführungen aus dem Prozeß durchaus entsinnen, aber von einer solchen Dienstagbesprechung, die regelmäßig stattfand, ist mir niemals ein Bericht eingereicht worden. Daß mein Beauftragter für die Möbelaktion mit der Polizei engste Fühlung halten mußte, ergab sich aus der Selbstverständlichkeit, daß die Beschlagnahmungen für solche Dinge ja nicht von meiner Dienststelle durchgeführt werden durften, sondern daß diese Maßnahmen ein ausschließliches Recht der Polizei waren, daß somit über diese Dinge mit der Polizei gesprochen werden mußte. Daß hier Dienstagbesprechungen regelmäßig stattfanden, ist mir nicht gemeldet worden. Ich glaube, wenn eine solche Meldung konsequent eingereicht worden wäre, hätte man sie mir sicher vorgelegt.


M. MONNERAY: Sie geben doch zu, daß die Dienstagbesprechungen im Interesse Ihrer Dienststelle äußerst nützlich waren. Tatsächlich wurden in diesen Sitzungen verschiedene gemeinsame Aktionen erörtert, Kollektivaktionen gegen die Juden, das heißt Verhaftungen, Razzien und Deportationen.

Entspricht es nun nicht einer natürlichen Logik, daß Ihre Dienststelle regelmäßig über diese Aktionen informiert wurde, um die wirtschaftlichen Konsequenzen, nämlich die Eigentumsbeschlagnahme, aus ihnen zu ziehen?


ROSENBERG: Das ist meiner Ansicht nach durchaus nicht logisch, denn, wenn der bestimmte Polizeichef solche geheimen Transporte in diese Lager schickt, wie hier bekanntgeworden ist, so folgt daraus nicht, daß er jeden Dienstag vor den Herren darüber Vorträge hält. Ich glaube auch nicht, daß dieser Polizeichef dem Vertreter des Auswärtigen Amtes über diese Dinge ausführlich berichtete.


M. MONNERAY: Sie sind darüber vielleicht schlecht unterrichtet, aber ich möchte Ihnen den Schluß dieses Berichts vorlesen. Es heißt dort folgendermaßen:

»Die Besprechung hat bewirkt, daß eine absolute Ausrichtung der Judenpolitik des besetzten Gebietes erfolgt.«

[643] VORSITZENDER: Der Zeuge hat doch schon gesagt, daß er nichts von diesen Dienstagsitzungen weiß; er hat keine Berichte darüber gesehen.

M. MONNERAY: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Warum fragen Sie dann danach?


M. MONNERAY: Die Pariser Dienststellen nahmen aktiven Anteil an der Terrorpolitik der Polizei. Sie waren Nutznießer, da sie ja die wirtschaftlichen Konsequenzen, nämlich die Beschlagnahme der Wertgegenstände, daraus gezogen haben.


VORSITZENDER: Sie haben ihn nicht mit diesen Berichten, mit diesem Dokument, in Zusammenhang bringen können. Er hat das Dokument nicht unterschrieben. Nichts auf dem Dokument deutet meines Erachtens darauf hin, daß er es empfangen hat, denn sonst hätten Sie es ihm vorgehalten. Er sagt, er kenne das Dokument nicht.


M. MONNERAY: Erlauben Sie mir, in diesem Falle dem Angeklagten die Frage zu stellen, ob er die Richtigkeit der Angaben, die hier gemacht werden, bestreitet, insbesondere die Teilnahme seiner Pariser Dienststelle an diesen Sitzungen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Bestreiten Sie diese Teilnahme an den Sitzungen?

ROSENBERG: Ich kann keine Auskunft darüber geben, weil ich keinen Bericht bekommen habe.

M. MONNERAY: Zum Abschluß dieses Kreuzverhörs möchte ich auf ein Dokument verweisen, das schon vorgelegt, zitiert und besprochen wurde, nämlich auf Dokument 001-PS.

Im ersten Absatz dieses Dokuments schlägt der Angeklagte die Überführung des beschlagnahmten Mobiliars nach dem Osten vor, und im zweiten Absatz unterbreitet er Hitler den Vorschlag, französische Juden an Stelle anderer Franzosen als Geiseln erschießen zu lassen.

Wenn man das Ergebnis der Fragen und Antworten, nämlich den Nutzen, den die Dienststelle des Angeklagten aus diesen Verschleppungen und Hinrichtungen gezogen hat, in Betracht zieht, so scheint der tatsächliche Beweggrund dieser Handlungen aus diesem Dokument klar hervorzugehen.

Ist es nicht Ihre Ansicht gewesen, Angeklagter, daß man sich zuerst der Leute entledigen müsse, um nach her ihr Eigentum beschlagnahmen zu können?


ROSENBERG: Nein, das stimmt nicht.


M. MONNERAY: Ich habe keine Fragen mehr, Herr Vorsitzender.


[644] VORSITZENDER: Haben Sie den Zeugen noch etwas zu fragen, Dr. Thoma?


DR. THOMA: Herr Präsident! Darf ich ganz kurz den Angeklagten mal fragen, ob er noch irgendeine Frage wünscht. Ich glaube, ich bin sofort fertig.


ROSENBERG: Nein.


DR. THOMA: Danke schön; der Angeklagte wünscht keine Frage mehr. Dann möchte ich mit Erlaubnis des Gerichts den Zeugen Riecke vernehmen.


VORSITZENDER: Wird es lange dauern oder nicht?


DR. THOMA: Eine halbe Stunde höchstens.


VORSITZENDER: Gut, dann kann der Zeuge sich zurückziehen.


[Der Zeuge Hans Joachim Riecke betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE HANS JOACHIM RIECKE: Hans Joachim Riecke.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

Dr. Thoma! Wollen Sie bitte den Namen buchstabieren.


DR. THOMA: R-i-e-c-k-e.

Herr Zeuge! Welche Stellung hatten Sie im Wirtschaftsstab Ost und im Ostministerium?


RIECKE: Die beiden Stellen hatte ich auf Anordnung Görings. Ich war Leiter der Geschäftsgruppe »Ernährung und Landwirtschaft«.


DR. THOMA: Welche Aufgaben hatten diese Dienststellen?


RIECKE: Die erste Hauptaufgabe dieser Dienststelle war der Wiederaufbau der russischen Landwirtschaft, die zweite Aufgabe war die Nutzbarmachung der Überschußgebiete des Südens für die Wehrmacht und Ernährung.


DR. THOMA: Welche Stellen waren zur Verwaltung in den besetzten Ostgebieten eingesetzt?


RIECKE: Neben dem Auslands-Ministerium bestanden noch eine Reihe Sonderaufgaben. Sonderaufgabe Göring für die Landwirtschaft, Himmler für die Polizei, Sauckel für die Arbeitskräftebeschaffung.


[645] DR. THOMA: Wem unterstand die Landwirtschaft?


RIECKE: Die Landwirtschaft unterstand mit der gesamten Wirtschaft Göring. Er gab seine Weisungen unmittelbar oder über die Staatssekretäre Körner und Backe.


DR. THOMA: War das Ablieferungs-Soll für die Landwirtschaft höher als das Ablieferungs-Soll während der Sowjetverwaltung?


RIECKE: Das Ablieferungs-Soll war den früheren russischen Ablieferungen angepaßt. Die tatsächliche Ablieferung war im ersten Jahr niedriger als in der russischen Zeit, in den nächsten Jahren bei den Ackererzeugnissen ebenfalls niedriger, bei den tierischen Produkten war sie höher.


DR. THOMA: Waren die tatsächlichen Ablieferungen entsprechend Görings Anordnungen?

RIECKE: Nein, Göring hatte wesentlich höhere Erwartungen.


DR. THOMA: Hat Deutschland landwirtschaftliche Maschinen, Sensen und so weiter in die besetzten Ostgebiete geschafft und in welcher Anzahl?


RIECKE: Es ist ein umfangreiches landwirtschaftliches Maschinenprogramm unter dem Namen Ost-Acker-Programm in Deutschland aufgestellt worden, wobei für Kriegsverhältnisse in erheblichem Umfang landwirtschaftliche Maschinen und Geräte in die besetzten russischen Gebiete geliefert wurden. Die Ursache dafür war die Wegschaffung und starke Zerstörung von Maschinen und Geräten bei der Räumung durch die Russen.


DR. THOMA: Am 5. Februar 1942 erging eine Agrarordnung. Welcher Gesichtspunkt lag dieser zugrunde?


RIECKE: Das Hauptziel der Agrarordnung war, die Bevölkerung zur freiwilligen Mitarbeit zu bekommen. Zunächst war vorgesehen, die Kollektivwirtschaft aufrechtzuerhalten. Das stellte sich jedoch als unmöglich heraus, da, wie gesagt, ein Teil des Großgerätes, namentlich Traktoren, nicht mehr vorhanden war. Andererseits war es auch nicht möglich, wie es die Bevölkerung zum Teil wünschte, zu Bauernbetrieben überzugehen, weil auch das Kleingerät weitgehendst fehlte. Es kam deshalb die Kompromißlösung der sogenannten Landbaugenossenschaft zustande, bei denen den russischen Bauern ein Landanteil zur Bewirtschaftung zugewiesen wurde, aber ein Teil der Arbeiten noch in gemeinschaftlicher Form weiter durchgeführt wurde.


DR. THOMA: Wie war die Wirkung?


RIECKE: Die Wirkung der Agrarordnung war im großen und ganzen günstig. Der Umfang und die Quantität der Ackerbestellung nahm wieder zu. Ein besonders gutes Beispiel für die Auswirkungen [646] waren die Verhältnisse im sogenannten Kessel von Charkow, im Frühjahr 1942, wo bereits die zur Landbaugenossenschaft umgestellten Betriebe mehr als 70 % der Frühjahrsbestellung fertiggestellt hatten, während die nicht umgestellten Kollektivwirtschaften nur 30 % etwa zustandegebracht hatten.


DR. THOMA: Am 3. Juni 1943 wurde die sogenannte Eigentums-Deklaration erlassen. Was waren die Grundsätze hierfür?


RIECKE: Das grundsätzliche Ziel der Eigentums-Deklaration war, die durch die Agrarordnung den russischen Bauern zugewiesenen Landanteile in das Eigentum zu überführen.

DR. THOMA: Wie wurde die Gemüseversorgung der großen Städte, zum Beispiel in der Ukraine, geregelt?


RIECKE: Es wurde in der Umgebung der großen Städte in erheblichem Umfang Gartenland der arbeitenden Bevölkerung zugeteilt.


DR. THOMA: Nun einige Fragen zu Lettland:

Hat die Deutsche Regierung in Lettland das Land der lettischen Bauern beschlagnahmt?


RIECKE: Nein, im Gegenteil. Die von den Russen während der Besatzungszeit ausgesprochene Verstaatlichung wurde wieder aufgehoben. Das zu Siedlungszwecken von den Bauernhöfen abgetrennte Land wurde den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben. Um es mit einem Satz zu sagen: Es wurde der Zustand vor der russischen Besetzung wiederhergestellt.


OBERST POKROWSKY: Ich bitte um Entschuldigung. Beim besten Willen kann ich nicht verstehen, in welchem auch nur geringsten Zusammenhang diese Fragen mit der Sache des Angeklagten Rosenberg stehen sollen. Ich glaube, daß die weiteren Fragen des Verteidigers, wenn sie derselben Art sind, nicht gestattet werden sollten.


VORSITZENDER: Dr. Thoma, Sie sollten zeigen, daß die Dinge, über die der Zeuge aussagt, etwas mit dem Angeklagten Rosenberg zu tun haben.

DR. THOMA: Zunächst will ich mal mit dieser Frage die sowjetische Behauptung zurückweisen, daß nach der Besetzung den Baronen ihr Land zurückgegeben worden ist. Ich verweise auf die Sowjetanklage, Dokument USSR-41, das ich gestern dem Gericht vorgelegt habe. Zweitens will ich damit beweisen, daß das dortige Gebiet in ordnungsmäßiger Weise verwaltet werden sollte, und zwar in einer solchen Weise, daß die Bevölkerung freiwillig mitarbeitete, und drittens will ich damit beweisen, daß während der [647] ganzen deutschen Besetzung kein Ukrainer und kein Sowjetangehöriger gehungert hat, weil entsprechend landwirtschaftlich gearbeitet wurde.

Das kann ich aber nur von einem Fachmann erfahren und ich glaube, ich habe nur noch einige Fragen, und bin dann mit diesem Beweisthema fertig.


VORSITZENDER: Herr Dr. Thoma, setzen Sie fort.


DR. THOMA: Hat also die deutsche Verwaltung in Lettland das Land der lettischen Bauern beschlagnahmt?


RIECKE: Wie ich eben schon die Frage beantwortet habe, wurde im Gegenteil die Sozialisation aufgehoben. Das für Siedlungszwecke abgetrennte Land wurde den lettischen Bauern zurückgegeben, mit einem Wort: Der Zustand vor der russischen Besetzung wurde wiederhergestellt.

DR. THOMA: Wurde der ehemalige deutsche Großgrundbesitz wiederhergestellt?


RIECKE: Nein, im Gegenteil, den lettischen Bauern verblieb der Besitz, der nach 1919 restlos und auf Kosten des deutschen Großgrundbesitzes entstanden war. Er blieb in ihrem Besitz.


DR. THOMA: Welche Gedanken lagen der sogenannten Reprivatisierung zugrunde?


RIECKE: Die Reprivatisierung sollte den lettischen Bauern wieder die Sicherheit geben, auf eigenem Grund und Boden zu wirtschaften.


DR. THOMA: Galt dieses Gesetz auch in Estland und Litauen?


RIECKE: Das Gesetz galt in ähnlicher Form auch für Estland und Litauen.


DR. THOMA: Ist Ihnen eine Auslassung Darrés bekannt, als ob die lokalen Kleinbauern von ihrem Landbesitz entfernt werden und zu Proletariern gemacht werden müßten?


RIECKE: Mir ist eine solche Äußerung nicht erinnerlich.


DR. THOMA: Kennen Sie die Gesellschaft für die Bewirtschaftung des Ostlandes?

RIECKE: Es gab zwei Gesellschaften mit diesem Namen. Ich nehme an, daß die hier gemeinte Gesellschaft diejenige war, die gegründet wurde, um den in den Ostseestaaten nach der Reprivatisierung noch verbleibenden Staatsbesitz und die während der russischen Besatzungszeit nachweislichen Betriebe treuhänderisch zu bewirtschaften. In den alten russischen Gebieten des sogenannten Reichskommissariats bewirtschaftete die Gesellschaft MTS ebenfalls treuhänderisch.


[648] DR. THOMA: Welche Haltung nahm Rosenberg zu den verschiedenen Maßnahmen, Arbeiteraushebung, Lebensmittellieferung und so weiter, ein?


RIECKE: Rosenberg konnte sich den vom Führer gegebenen Anordnungen nicht entziehen, er ist jedoch stets dafür eingetreten, diese Anordnungen ohne Zwang für die Bevölkerung durchzuführen und ihre Ausführung aufeinander abstimmen zu lassen.


DR. THOMA: Wer betreute die Ostarbeiter im Reich?


RIECKE: Meines Wissens die Arbeitsverwaltung durch ihre Arbeitsämter.


DR. THOMA: Wie wurden die Ostarbeiter auf dem Lande im Reiche untergebracht? Haben Sie Berichte darüber?

RIECKE: Die Unterbringung der Ostarbeiter auf dem Lande im Reiche: Ihre Versorgung war im großen und ganzen durchaus befriedigend. Berichte habe ich unmittelbar über die Reichsnährstanddienststellen erhalten.


DR. THOMA: Können Sie etwas über Rosenbergs allgemeine Haltung gegenüber den Ostvölkern sagen?


RIECKE: Wie bereits gesagt, wünschte Rosenberg persönlich, die Ostvölker zu einer Zusammenarbeit zu gewinnen. Das galt auch insbesondere in der Richtung eines Ausbaues der Erhaltung ihres kulturellen Lebens. Rosenberg hat sich zum Beispiel meines Wissens stets für eine Wiedereröffnung der Hoch-und der Fachschulen eingesetzt.


DR. THOMA: Hatte Rosenberg auf diesem Gebiete Beschränkungen? Hatte er in dieser Richtung andere Ansichten zu bekämpfen?


RIECKE: Gegen diese Bestrebungen Rosenbergs waren sehr starke Kräfte tätig, insbesondere im Führerhauptquartier von Bormann und Himmler, deren Auffassung sehr stark unterstützt wurde vom Reichskommissar Koch, der andererseits in seiner Funktion von Bormann und Himmler gestützt wurde. Es führte dazu, daß ein großer Teil der von Rosenberg geplanten Maßnahmen, insbesondere in der Ukraine, durch Koch sabotiert wurden.


DR. THOMA: Und nun eine letzte Frage. Was wissen Sie von den Konzentrationslagern und von der Behandlung der Schutzhäftlinge?


RIECKE: Die Existenz von Konzentrationslagern war mir natürlich bekannt. Die Zahl der Konzentrationslager und die Vorgänge darin nicht. In den Jahren 1933 und 1934 wurden verschiedentlich Vorhaltungen gemacht über einzelne Mißhandlungen, später wurden von Personen, die Konzentrationslager besichtigt haben, [649] durchaus positive Berichte abgegeben. In den letzten Tagen des Monats April des vergangenen Jahres stieß ich in der Umgebung von Berlin auf zurückmarschierende Konzentrationslager. Die Verhältnisse waren so grauenhaft, daß ich unverzüglich Himmler aufgesucht habe und ihn gebeten habe, diese Lager nicht weiter marschieren zu lassen, sondern dem Feinde zu übergeben. Diese Unterredung hat in Gegenwart von Feldmarschall Keitel stattgefunden. Himmler hat leider nur ausweichend geantwortet.


DR. THOMA: Es fällt mir doch noch eine letzte Frage ein. Wurde in den besetzten Ostgebieten außer der Ernährung für die Wehrmacht auch noch eine Ernährung des deutschen Volkes mit in Betracht gezogen?


RIECKE: Etwa zwei Drittel des Aufkommens an Ernährungsgütern aus den besetzten Ostgebieten dienten zur unmittelbaren Versorgung der Wehrmacht. Das restliche eine Drittel wurde nach Deutschland abtransportiert und wurde von uns als Ausgleich zur Ernährung für die stets ansteigende Zahl ausländischer Arbeiter angesehen.


DR. THOMA: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.


VORSITZENDER: Wünscht noch ein Verteidiger Fragen zu stellen?


DR. SEIDL: Herr Zeuge! Sie waren als Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft? Ist das richtig?


RIECKE: Jawohl.


DR. SEIDL: Ist es richtig, daß der Leiter der Hauptabteilung für Ernährung und Landwirtschaft der Regierung des Generalgouvernements wiederholt in Berlin war, um dort die Festsetzung der Kontingente in einer für die Bevölkerung erträglichen Höhe zu erreichen?


RIECKE: Soweit ich mich erinnere, hat bei den laufenden Verhandlungen, die mit dem Generalgouvernement geführt wurden, er diesen Standpunkt mehrfach vertreten.

DR. SEIDL: Wie ist nach Ihren Beobachtungen die Ernährungssituation der Bevölkerung des Generalgouvernements gewesen?


RIECKE: Nach meinen eigenen Beobachtungen und den mir zugegangenen Berichten waren die Rationen, die festgesetzt waren, wesentlich geringer als bei uns im Reiche. Es wurde aber weitgehend ein Ausgleich durch den schwarzen und den freien Markt geschaffen.


DR. SEIDL: Ist es richtig, daß zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion von seiten der Verwaltung des Generalgouvernements außerordentliche Anstrengungen gemacht wurden?


[650] RIECKE: Es wurden sehr erhebliche Anstrengungen von seiten des Generalgouvernements zur Stärkung der Landwirtschaft gemacht. Man kann sogar sagen, daß die ganze übrige Wirtschaft, soweit sie nicht für Rüstungszwecke eingespannt war, ausschließlich für die Ernährungswirtschaft arbeitete. Ich habe außerdem auch aus dem Reich Düngemittel, wenn auch nur in begrenztem Umfang, und laut dem Ostlandprogramm Maschinen und Geräte eingeführt.


DR. SEIDL: Welchen Anteil hatten die Lieferungen der besetzten Gebiete am gesamten Nahrungsmittelaufkommen Deutschlands?

RIECKE: Nach Berechnungen, die unabhängig von unserem Ministerium durchgeführt wurden, belief sich der Anteil der Lieferungen der besetzten Gebiete am Ernährungsaufkommen Deutschlands in den Jahren 1942 und 1943 auf etwa 15 %, in den übrigen Jahren um etwa 10 % herum, meistens weniger.


DR. SEIDL: Nun eine letzte Frage. Die Sowjetische Anklagevertretung hat ein Dokument USSR-170 vorgelegt. Es handelt sich hier um eine Sitzung mit den Leitern der deutschen Dienststellen in den besetzten Gebieten am 6. August 1942 unter Vorsitz des Reichsmarschalls. Ich lasse Ihnen dieses Dokument übergeben, und ich bitte mir zu sagen, ob die Darstellung in diesem Dokument das Verhältnis zwischen Deutschland und den besetzten Ländern richtig wiedergibt. Sie waren ja bei der Sitzung selbst mit dabei.


RIECKE: Das Dokument stellt das Protokoll der Sitzung dar, an der ich teilgenommen habe. Es ist zunächst grundsätzlich zu sagen, daß das Dokument, beziehungsweise das Protokoll, vor allen Dingen die Ausführungen des Reichsmarschalls, die tatsächlichen Verhältnisse von Deutschland zu den besetzten Gebieten auf dem Ernährungsgebiet nicht wiedergibt. Die Forderungen, die Göring in dieser Sitzung ausgesprochen hat, waren so hoch, daß sie gar nicht ernst genommen werden konnten. Es war uns im Ernäh rungssektor auch klar, daß wir mit Gewalt niemals auf die Dauer irgend etwas erreichen könnten. Die Mehrforderungen, die Göring in dieser Sitzung gestellt hat, sind auch tatsächlich niemals erfüllt worden. Ich glaube auch, daß Göring selbst nicht an die Erfüllbarkeit dieser Forderungen geglaubt hat. So sind, soweit ich weiß, an Frankreich die Mehrforderungen Görings überhaupt nicht überbracht worden, Belgien hat trotz des Verbots Getreide geliefert bekommen, ebenso die Tschechoslowakei trotz des Verbots Fett. Vorweggegangen war am Tage vor dieser Sitzung eine Besprechung der Gauleiter. Sie stand, soweit ich mich noch erinnere, unter dem Eindruck der zunehmenden Luftangriffe im Westen und der dadurch für die Bevölkerung insbesondere zunehmenden Belastungen. Die westlichen Gauleiter vertraten den Standpunkt, daß die deutsche Ernährung bei zunehmender Belastung der Bevölkerung [651] unzureichend sei, daß dagegen ein großer Teil der besetzten Gebiete noch im Überfluß lebe. Das Reichsernährungsministerium und die Vertreter der besetzten Gebiete saßen selbst gewissermaßen auf der Anklagebank, nicht genügend von den besetzten Gebieten zu fordern, beziehungsweise zu liefern. Diese Forderungen wurden von Göring aufgegriffen, und bei seiner Veranlagung und seinem Temperament führte dies zu den im Protokoll und im Dokument angeführten starken Übertreibungen.


DR. SEIDL: Ich habe keine Fragen mehr.


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Wie war die Ernährungslage der ausländischen Arbeiter in Deutschland?


RIECKE: Alle Gruppen von ausländischen Arbeitern, mit Ausnahme der Ostarbeiter, bekamen die gleichen Rationen wie die deutsche Bevölkerung.


DR. SERVATIUS: Wie war die Versorgung der Ostarbeiter?


RIECKE: Die Ostarbeiter bekamen auf verschiedenen Gebieten niedrigere als die anderen, bei Brot und Kartoffeln höhere Sätze.


DR. SERVATIUS: War die Versorgung so, daß der Gesundheitszustand dieser Arbeiter gefährdet war?


RIECKE: Diese Frage läßt sich nicht eindeutig beantworten. Sie muß im Zusammenhang stehen mit der von den Arbeitern geforderten Arbeitsleistung. Bei normalen Arbeiten mußten die Rationen durchaus ausreichend sein.


DR. SERVATIUS: Hat Sauckel sich besonders für die Ernährung dieser Arbeiter eingesetzt?


RIECKE: Sauckel ist, soviel ich weiß, bei meinem Minister mehrfach vorstellig geworden in Richtung auf eine bessere Versorgung, wobei von Backe stets die Gegenforderung gestellt worden ist, nicht mehr zusätzliche Arbeitskräfte nach Deutschland hineinzubringen. Backe hat mehrfach den Vorschlag gemacht, die Zahl der Arbeitskräfte zu beschränken und dafür lieber noch besser zu versorgen.


DR. SERVATIUS: Ich habe an den Zeugen keine weiteren Fragen mehr.


DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Sind Sie in Ihrer Eigenschaft als Staatssekretär für die Landwirtschaft nicht Ende 1944 und Anfang 1945 auch in die Niederlande gekommen?


RIECKE: Jawohl, ich bin in dieser Zeit in den Niederlanden gewesen.


DR. STEINBAUER: Wurde dort nicht, bei diesem Anlaß von seiten der Wehrmachtsstellen und der Polizei, schwere Klage [652] erhoben über Sabotage der niederländischen Landwirtschaft, insbesondere über die verantwortlichen Regierungsstellen aus den Niederlanden?


RIECKE: Ich kann mich auf eine derartige Unterhaltung nicht mehr besinnen.


DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, daß sich der Angeklagte Seyß-Inquart für die Drosselung der Le bensmittelausfuhren aus den Niederlanden nach Deutschland eingesetzt hat?


RIECKE: Jawohl, unter anderem auch in dieser Sitzung, die in diesem Protokoll hier vorliegt.


DR. STEINBAUER: Und daß er trotz Klagen die niederländischen Beamten im Ernährungsamt belassen hat?


RIECKE: Ja, das ist der Fall.


DR. HANS FLÄCHSNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SPEER: Darf ich einige Fragen an den Zeugen richten, Herr Präsident?

Herr Zeuge! Können Sie mir Aufschluß über folgende Fragen geben? Bekamen die in der Kriegsproduktion beschäftigten Konzentrationslagerhäftlinge die gleichen Ernährungszulagen für Schwer- und Schwerstarbeiter wie die übrigen Arbeiter?


RIECKE: In der Zeit, in der ich mit diesen Fragen betraut war, wurden für alle Inhaftierten, also auch für die Konzentrationslagerhäftlinge, die gleichen Rationen wie für die übrige Bevölkerung festgesetzt, wenn sie in Arbeit waren. Sie hätten demnach die gleichen Rationen bekommen müssen.


DR. FLÄCHSNER: War der Angeklagte Speer oder das von ihm geleitete Ministerium für das ordnungsmäßige Einhalten der Ernährungssätze in den Betrieben zuständig, soweit die letzteren – die Betriebe – die Versorgung übernommen hatten?


RIECKE: Nein, das Ministerium Speer war für diese Dinge nicht zuständig. Soweit es die Belieferung auf die Anforderung hin betraf, waren die Ernährungsämter zuständig. Soweit es die Verteilung von gelieferten Lebensmitteln in den Betrieben betrifft, die Verwaltung der Lager beziehungsweise die Betriebe.


DR. FLÄCHSNER: Und eine weitere Frage. Welche Maßnahmen hat Speer ergriffen, um eine allgemeine Ernährungskatastrophe zu verhindern, die sich gleichmäßig auf die Millionen fremdländischer Personen in Deutschland ausgewirkt hätte?


RIECKE: Speer stellte vom Dezember 1944 an ganz bewußt die Rüstungsaufgaben hinter die Ernährung. Und zwar auch ganz bewußt zwecks Überleitung eines neuen Regimes, einer neuen Verwaltung [653] einer Besatzungsmacht. Speer gab dem Ernährungstransport von diesem Zeitpunkt an den Vortritt vor den Rüstungstransporten. Speer sorgte dafür, daß das Saatgut für die Frühjahrsbestellung mit seinen Transportmitteln hinausgebracht wurde. Speer setzte sich außerordentlich stark für die Wiederherstellung der durch Luftangriffe zerstörten Ernährungsbetriebe, noch vor Rüstungsbetrieben, ein, und vor allen Dingen verhinderte er in dieser letzten Phase mit uns gemeinsam die sinnlosen Zerstörungen von Ernährungsbetrieben, entgegen den Weisungen, wie sie von Hitler gegeben waren. Dieses tat er ohne Rücksicht auf seine Person und eventuell eintretende Folgen.


DR. FLÄCHSNER: Danke.


DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Haben Sie den Westfeldzug mitgemacht?


RIECKE: Jawohl.


DR. LATERNSER: In welcher Eigenschaft?


RIECKE: Als Bataillonskommandeur im Felde.


DR. LATERNSER: Haben Sie während des Westfeldzuges von oben her bedenkliche Befehle bekommen? Also solche Befehle meine ich, die gegen das Völkerrecht verstoßen haben.


RIECKE: Ich habe keine solchen Befehle bekommen.


DR. LATERNSER: Haben Sie die Feststellung treffen können oder getroffen, daß von höheren militärischen Stellen das Plündern geduldet würde?


RIECKE: Nein, im Gegenteil. Es wurde im Falle des Plünderns schärfstens eingeschritten.


DR. LATERNSER: Sie waren dann später auch im Osten. Allerdings, wie ich gehört habe, nicht als Soldat.

Haben Sie dort Einblick gehabt in das Operationsgebiet, also auch in die Kommissariatsgebiete?


RIECKE: Ich habe in beide Gebiete Einblick gehabt.


DR. LATERNSER: Wie war dort die Behandlung der Bevölkerung durch die deutschen Soldaten?


RIECKE: Ich kann im allgemeinen sagen, daß insbesondere in der Ukraine die Behandlung der zivilen Bevölkerung im Wehrmachtsteil, im Operationsgebiet, entgegenkommender war. Man nahm hier Rücksicht auf die Bedürfnisse im zivilen, verwaltenden Teil.


DR. LATERNSER: Worauf führen Sie diese Unterschiede zurück?


RIECKE: Ich führe sie zurück auf eine andere Grundeinstellung des Soldaten, der frei war von politischen Tendenzen und vor allem [654] auch darauf, daß die Truppen erklärlicherweise Ruhe im Hinterland haben wollten.


VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung ein Kreuzverhör?


MR. DODD: Es kann in zwei Minuten erledigt sein, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Waren Sie Mitglied der Nazi-Partei?

RIECKE: Jawohl.

MR. DODD: Wann sind Sie beigetreten?


RIECKE: Im Jahre 1925.


MR. DODD: 1925?


RIECKE: Ja.


MR. DODD: Waren Sie auch Mitglied der SA?


RIECKE: Jawohl.


MR. DODD: Welchen Rang hatten Sie in der SA?


RIECKE: Ich bin zuletzt Gruppenführer in der SA gewesen.


MR. DODD: Vorher waren Sie SA-Sturmführer, nicht wahr?


RIECKE: Im Jahre 1930, jawohl.


MR. DODD: Wann wurden Sie SS-Gruppenführer?


RIECKE: Im Oktober 1944.


MR. DODD: Das ist alles. Ich habe keine Fragen mehr.


VORSITZENDER: Haben Sie noch Fragen für ein Rückverhör, Dr. Thoma?


DR. THOMA: Nein.


VORSITZENDER: Damit sind dann Ihre Darlegungen für den Fall des Angeklagten Rosenberg beendet, nicht wahr?


DR. THOMA: Herr Vorsitzender! Ich möchte zunächst erklären, daß ich das Dokument Nr. Ro-19, auf das General Rudenko Bezug genommen hat, nicht als ein Exhibit von mir dem Gericht überreicht habe.

Weiter darf ich mitteilen, daß noch eine Reihe von Affidavits ausständig sind, die mir bewilligt worden sind, die aber noch nicht eingelaufen sind.


VORSITZENDER: Sie können sie natürlich später bringen.


DR. THOMA: Weiter möchte ich noch die Bitte stellen, mein Dokumentenbuch Nummer 1 zwar nicht als Beweismittel zuzulassen, aber es bei dem früheren Zustande zu belassen, der mir schon [655] einmal bewilligt worden ist; daß ich dieses Werk als allgemein beweisdienlich bezeichnen darf, wie es in dem Beschluß vom 8. März bewilligt wurde. Ich meine also nicht als Beweismittel, sondern nur als Argument. Ich nehme an, daß es mir früher so bewilligt war und daß es lediglich als Beweismittel abgelehnt worden ist.


VORSITZENDER: Ich nehme an, daß wir in Ihre Argumentation nicht eingreifen werden.


STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Herr Vorsitzender! Ich möchte eine Auskunft über den Brief geben, der als Dokument Ro-19 angeführt ist. Es ist ein Brief von Riecke an Rosenberg vom 12. März 1943. Dieses Dokument wurde vom Verteidiger Dr. Thoma eingereicht. Es befindet sich im Dokumentenbuch 2, Seite 42, und ist in alle vier Sprachen übersetzt. Es befindet sich sowohl bei allen Anklagebehörden als auch im Dokumentenbuch, welches dem Gerichtshof vorgelegt worden ist. Dieses Schriftstück wurde vom Gerichtshof als Dokument der Verteidigung genehmigt.


VORSITZENDER: General Raginsky! Ein Dokument wird nur Beweismittel, wenn es als solches vorgelegt wird. Dr. Thoma hat uns dieses Dokument nicht als Beweismittel vorgelegt, und, soviel ich verstanden habe, hat der sowjetische Anklagevertreter es auch nicht als Beweis angeboten. Wenn Sie es als Beweis einreichen wollen, und es, wie ich vermute, ein authentisches Dokument ist, dann können Sie es tun.


STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Wir haben es aus dem Grunde nicht vorgelegt, weil wir annahmen, daß sich das Dokument bereits im Dokumentenbuch der Verteidigung befindet, und es wäre in diesem Falle überflüssig gewesen, dasselbe Dokument noch einmal einzureichen. Sollte Dr. Thoma es nicht vorlegen wollen, so werden wir es tun.


VORSITZENDER: Das ist eine falsche Annahme. Dokumente sind kein Beweismittel, es sei denn, daß sie als solches angeboten werden. Die Tatsache, daß sie im Buch enthalten sind, bedeutet nicht, daß sie als Beweismittel vorgelegt sind. Falls Sie sie als Beweismittel vorlegen wollen, müssen Sie das tun.


STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Unter diesen Umständen, Herr Vorsitzender, wollen wir das Dokument vorlegen.


VORSITZENDER: Sehr gut. Wollen Sie ihm eine USSR-Nummer geben?


STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Ja, wir werden ihm eine USSR-Nummer geben und werden es morgen als Beweis vorlegen.


VORSITZENDER: Sehr gut.


STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Danke.


[656] VORSITZENDER: Nun wollen wir uns mit den Zusatzanträgen befassen. Der Zeuge kann sich zurückziehen.

[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Der erste Antrag ist von Dr. Seidl im Hinblick auf zwei Zeugen. Zuerst für den Zeugen Hilger, der früher schon einmal als Zeuge für den Angeklagten von Ribbentrop bewilligt wurde, auf den aber der Verteidiger am 2. April verzichtet hat. Ich glaube, der Zeuge befindet sich in den Vereinigten Staaten, und es liegt ein Bericht vor, nach dem er für die Reise zu krank sein soll. Im übrigen, Herr Vorsitzender, soll der Zeuge über die Besprechungen und Bündnisverhandlungen aussagen, die im Kreml zu Moskau vor dem deutsch-sowjetischen Abkommen vom 23. August 1939 stattgefunden haben. Beweisthema ist das angebliche Geheimabkommen, von dem das Affidavit des Zeugen Gaus handelt.

Der andere Antrag, Herr Vorsitzender, ist auf einen Zeugen von Weizsäcker, der über dieselbe Angelegenheit aussagen wird.

Die Anklagevertretung hält sich natürlich an die Entscheidung des Gerichtshofs über die Zulässigkeit des Affidavits von Gaus, doch möchte ich höflichst vorbringen, daß es diese Angelegenheit nicht berührt. Es wird gewünscht, Zeugen über den Verlauf der Vorverhandlungen zu diesen Verträgen, bevor noch ein Übereinkommen erzielt wurde, vorzuladen. Über diesen Punkt haben wir bereits mehrmals gesprochen. Obwohl alle Fälle eine gewisse Verschiedenheit aufweisen, hat der Gerichtshof, soviel ich weiß, bisher grundsätzlich verfügt, daß nicht auf Vorverhandlungen zu Abkommen eingegangen werden soll. Außerdem ist noch die Tatsache zu berücksichtigen, daß Dr. Seidl das Gaus-Affidavit vorgelegt hat, und ihm Gelegenheit gegeben war, den Angeklagten von Ribbentrop zu verhören. Die Anklagevertretung bringt höflichst vor, daß die Aussage zweier nebensächlicher Zeugen – ohne ihre Stellung im Auswärtigen Amte verkennen zu wollen, sind sie doch Zeugen von untergeordneter Bedeutung im Vergleich zu dem Angeklagten von Ribbentrop – über diese Verhandlungen ihr als ein Eingehen auf unerhebliche Fragen und als vollkommen überflüssig für diesen Fall erscheint.

Ich muß zugeben, daß ich zwar keine besondere Erheblichkeit dieser Zeugen für den Fall Heß sehe, doch bestehe ich hier nicht so sehr darauf. Ich berufe mich auf die Gründe, die ich soeben dem Gerichtshof dargelegt habe.

Mit Bezug auf den dritten Antrag von Dr. Seidl, bin ich nicht ganz sicher, ob Dr. Seidl wünscht, daß die Anklagebehörde ihm ein Original oder eine beglaubigte Abschrift des Geheimabkommens zur Verfügung stellt, oder ob er selbst eine Abschrift vorlegen will. Doch nimmt auch hier die Anklagevertre tung den Standpunkt ein, daß dieses Abkommen doch nur als ein geringfügiger Punkt einer [657] einzigen Seite des Falles zu werten ist, und schon genügend durch die Aussagen des Angeklagten von Ribbentrop behandelt worden ist.

Dies ist die Stellungnahme der Anklagevertretung hierzu.


VORSITZENDER: Ja, Dr. Seidl?


DR. SEIDL: Herr Präsident! Die eidesstattliche Versicherung des Botschafters Dr. Gaus, welche bereits vom Gericht als Beweisstück Heß-16 angenommen wurde, gibt nur einen Teil der Verhandlungen wieder. Botschafter Gaus war nicht bei den Verhandlungen dabei, die dem Abschluß der Verträge vorausgegangen sind. Ich habe daher den Antrag gestellt, und zwar den zusätzlichen Antrag, Botschaftsrat Hilger als Zeugen zu laden, nachdem er bereits für den Angeklagten von Ribbentrop genehmigt worden war.

Ich habe den weiteren Antrag gestellt, daß das Gericht den Text dieses geheimen Zusatzprotokolls holen möge. Ich muß nun aber zugeben, daß dieser Antrag nicht mehr die Bedeutung hat, die er zum Zeitpunkt seiner Stellung hatte. Ich habe inzwischen eine Abschrift dieses geheimen Zusatzprotokolls bekommen. Ich habe weiterhin eine Abschrift des geheimen Zusatzprotokolls zum deutsch-sowjetischen Grenzver trag vom 28. September 1939 bekommen, und ich habe ferner in meinen Händen eine eidesstattliche Versicherung des Botschafters Dr. Gaus vom 1 April dieses Jahres, aus welcher sich die Übereinstimmung dieser Abschriften mit dem Text der am 23. August 1939 und am 28. September 1939 getroffenen geheimen Vereinbarungen deckt.


VORSITZENDER: Sir David, haben Sie einen Einwand gegen die Vorlage dieses Dokuments zur Begutachtung durch den Gerichtshof?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Keineswegs, Herr Vorsitzender. Wie ich bereits gesagt habe, hat der Gerichtshof unseren Einwand in Bezug auf die Erheblichkeit in Betracht gezogen und dagegen entschieden. Es steht mir daher angesichts der Entscheidung des Gerichtshofs nicht zu, noch über eine Frage der Erheblichkeit des Dokuments zu argumentieren.

Ich möchte nur den Wunsch aussprechen, daß Dr. Seidl eines der durch ein Affidavit des Botschafters Dr. Gaus bestätigten Exemplare dieses Abkommens vorlegt. Hierdurch wird meine gegen die Vorladung des Zeugen vorgebrachte Argumentation sehr unterstützt.


OBERST POKROWSKY: Die Sowjetische Anklagebehörde hat in der Angelegenheit, die jetzt vom Gerichtshof behandelt wird, ein Dokument beim Generalsekretariat des Internationalen Militärgerichtshofs vorgelegt.

Sollte dieses Dokument sich bereits in Ihrem Besitz befinden, meine Herren Richter, so brauche ich unsere Stellungnahme, hier nicht bekanntzugeben. Wenn Sie es jedoch wünschen, werde ich jetzt hierzu Stellung nehmen. Wir erheben Einspruch auf Grund [658] von Erwägungen, die in dem von General Rudenko unterzeichneten Dokument dargelegt sind.


VORSITZENDER: Bringen Sie ein Argument vor oder ein Dokument bestimmter Art?


OBERST POKROWSKY: Sollten Sie das Dokument bereits vor sich haben, so habe ich keine Absicht zu argumentieren und auf diese Frage zurückzukommen.


VORSITZENDER: Sie mißverstehen mich. Sie erwähnten ein Dokument, das Ihrer Versicherung nach im Besitz des Gerichtshofs sein soll. Mir ist nicht bekannt, daß wir ein Dokument von der Sowjetischen Anklagevertretung bekommen haben. Vielleicht haben wir es erhalten, und, wenn es so ist, werden wir es natürlich einer Prüfung unterziehen.

Ich wollte wissen, ob es eine Argumentation oder irgendein Originaldokument ist?


OBERST POKROWSKY: Es handelt sich um die Antwort der Sowjetischen Anklagebehörde in der Frage, ob wir es für nötig erachten, der im Zusammenhang mit dem Fragenkomplex des deutsch-sowjetischen Paktes von 1939 von Dr. Seidl vorgebrachten Bitte zu entsprechen.


VORSITZENDER: Wir werden das Dokument prüfen.


OBERST POKROWSKY: Glauben Sie, daß das Dokument, das Sie jetzt in Händen haben, Sie zufriedenstellen wird?


VORSITZENDER: Natürlich; es sei denn, daß Sie noch etwas sagen wollen. Wir werden das Dokument prüfen.


OBERST POKROWSKY: Ich habe hierüber zusätzlich nichts mehr zu sagen. Unsere Stellungnahme ist in diesem Dokument, das von General Rudenko unterzeichnet ist, genau festgelegt, und wenn Sie im Besitze dieses Dokuments sind, habe ich nichts mehr darüber zu sagen.


DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich hatte am 13 April einen schriftlichen Antrag gestellt, der die Zulassung eines Dokumentennachtrags als Beweisstück Rudolf Heß Nummer 17 beantragt. Ich habe dieses Dokument in sechsfacher Ausfertigung vorgelegt mit der Bitte, es zu übersetzen. Es handelt sich hier um folgende Dokumente:

1. Den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939, welcher von der Anklagevertretung unter der Nummer GB-145 bereits vorgelegt wurde,

2. das dazugehörende Zusatzprotokoll vom gleichen Tage,

3. den deutsch-sowjetischen Freundschafts- und Grenzvertrag vom 28. September 1939,

4. das dazugehörende geheime Zusatzprotokoll vom gleichen Tage und

[659] 5. die bereits erwähnte zweite eidesstattliche Versicherung des Botschafters Dr. Gaus.

Ich habe weiter am 15. April den Antrag gestellt, den Zeugen Dr. Gaus hier vor Gericht zu laden. Er befindet sich in Nürnberg, wenn das Gericht die eidesstattliche Versicherung nicht für ausreichend erachten sollte, und ich bitte das Gericht, über diese Anträge zu entscheiden.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Angelegenheit einer Prüfung unterziehen.

Nun, was liegt im Hinblick auf den Angeklagten von Neurath vor?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Dies ist ein Antrag auf Vorladung eines Zeugen Dieckhoff, für den bereits Fragebogen bewilligt worden sind. Die Ursache ist, wie ich höre, daß der Zeuge Tschirschky, wie sich herausstellte, ungefähr eineinhalb Jahre früher aus dem Auswärtigen Amte ausgeschieden ist als angenommen wurde. Baron von Lüdinghausen hat, um die Ladung von Dieckhoff als Zeugen auszugleichen, vorgeschlagen, von der Vorladung des Zeugen Zimmermann abzusehen und statt dessen ein Affidavit oder einen Fragebogen einzureichen. Das scheint der Anklagevertretung ein sehr vernünftiger Vorschlag zu sein, Herr Vorsitzender, und wir haben keinen Einwand vorzubringen.


VORSITZENDER: Sie meinen keinen Einwand gegen Dieckhoff als Zeugen, und gegen ein Affidavit oder einen Fragebogen für Zimmermann?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sehr gut.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Das ist alles im Hinblick auf den Angeklagten von Neurath.


VORSITZENDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: In Bezug auf den Angeklagten Schacht liegt nur das Gesuch des Zeugen Hülse vor und die Anklagevertretung hat nichts dagegen einzuwenden, wenn Dr. Dix ihn vorlädt oder ihm ein Affidavit vorlegt. Es ist nur die Frage, glaube ich, ob man den Zeugen von Hamburg herkommen lassen kann, und wenn dies möglich ist, haben wir keinen Einwand gegen seine Vorladung als Zeugen.


VORSITZENDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der nächste Antrag auf der Liste, Herr Vorsitzender, ist für den Angeklagten Sauckel, nämlich die Zurückziehung des Fragebogens für Mende, der am 23. März bewilligt wurde, da der in Aussicht genommene Zeuge unauffindbar [660] ist, und ein Fragebogen an Marenbach an Stelle Mendes, da er dasselbe bezeugen kann. Dr. Servatius glaubt, daß Marenbach sich im Internierungslager Garmisch befindet. Die Anklagebehörde hat keinen Einwand vorzubringen.

Herr Vorsitzender! Dann glaube ich, liegt noch ein formeller Antrag von Dr. Thoma vor über den Gebrauch des Affidavits von Professor Denker. Wir haben jedoch keinen Einwand gegen dieses Affidavit.


VORSITZENDER: Es ist schon zugelassen worden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben es schon zugelassen, dies ist nur der formelle Antrag.


VORSITZENDER: Ja, ja, sehr gut, wir wollen diese Dinge prüfen. Wir haben noch eine Anzahl von Dokumenten hier, deren Vorlage der Anwalt des Angeklagten Sauckel beantragt hat.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.


VORSITZENDER: Es ist angeregt worden, daß der Verteidiger Sauckels und die Anklagevertretung uns in dieser Angelegenheit behilflich sein könnten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Ich glaube, mein Kollege Mr. Roberts hat schon mit Dr. Servatius darüber gesprochen, vielleicht könnte er dem Gerichtshof behilflich sein.


VORSITZENDER: Mr. Roberts, wird es lange dauern oder nicht?


MR. ROBERTS: Ich glaube nicht, Herr Vorsitzender. Der Gerichtshof, höre ich...


OBERST POKROWSKY: Ich muß dem Gerichtshof mitteilen, daß die Sowjetische Anklagebehörde die Dokumente, von denen jetzt die Rede ist, nicht erhalten hat Wir bitten den Gerichtshof, die Prüfung dieser Dokumente so lange aufzuschieben, bis wir die Gelegenheit gehabt haben; sie uns anzusehen.


VORSITZENDER: Ich höre, daß diese Dokumente noch nicht übersetzt worden sind. Es geht in Wirklichkeit nur um die Frage, welche Dokumente übersetzt werden sollen, und wir gehen die Dokumente nur durch, um ihre Erheblichkeit im Hinblick auf die Notwendigkeit ihrer Übersetzung festzustellen, so daß es nicht...


OBERST POKROWSKY: Sehr gut.


MR. ROBERTS: Herr Vorsitzender! Soviel ich weiß, hat der Gerichtshof eine vorläufige Verfügung erlassen, daß die Dokumente, bei denen Dr. Servatius und ich der Meinung waren, sie sollten nicht vorgelegt werden, einfach zu streichen sind. Eine beträchtliche Anzahl von Dokumenten bleibt übrig. Der Gerichtshof hat, wie ich glaube, eine Liste dieser Dokumente. Die ersten 68 Dokumente, Herr Vorsitzender, vielmehr die Dokumente Nummer 6 bis 68, [661] enthalten Vorschriften über den Arbeitseinsatz in Deutschland. Herr Vorsitzender! Ich habe das von Dr. Servatius vorgeschlagene Dokumentenbuch gesehen, er hat gewisse Stellen angezeichnet, die er verlesen möchte und die daher übersetzt werden müßten. Das setzt den Umfang der Dokumente ganz wesentlich herab.


VORSITZENDER: Wir haben natürlich noch nicht alle diese Dokumente gelesen, weil sie noch nicht übersetzt worden sind. Haben Sie etwas dagegen, daß sie übersetzt werden?


MR. ROBERTS: Ich glaube nicht, daß ich gegen diese ersten Dokumente Nummer 6 bis 68 Einwand erheben kann.

Die angezeichneten Stellen werden übersetzt, weil sie erheblich erschienen.


VORSITZENDER: Ja, 6 bis 68.


MR. ROBERTS: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sie meinen die Stellen, die angestrichen sind?


MR. ROBERTS: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Wollen Sie dann weitergehen?


MR. ROBERTS: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: 69 bis 79 hat er schon gestrichen.


MR. ROBERTS: Ja, Herr Vorsitzender, 80 und 81 beanstande ich. In diesen Dokumenten wird behauptet, das Haager Abkommen sei durch das Sowjetvolk gebrochen worden. Ich halte das nicht für erheblich, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sie meinen Behauptungen über ungesetzliche Handlungen der Sowjetregierung gegen Einzelpersonen?


MR. ROBERTS: Ja, Herr Vorsitzender. Ich halte dies überhaupt nicht für erheblich.


VORSITZENDER: Ja, und 82 bis 89, gegen diese haben Sie nichts einzuwenden?

MR. ROBERTS: Ja, Herr Vorsitzender, gegen die Stellen, die angezeichnet sind, habe ich keinen Einwand.


VORSITZENDER: Ja.


MR. ROBERTS: Dr. Servatius hat versprochen, die angezeichneten Stellen, soweit es ihm möglich ist, zu beschränken.

Gegen 90 und 91 erhebe ich Einspruch. Dr. Servatius möchte unter dem Titel »Dokumente« eine große Anzahl von Affidavits vorlegen, deren Zahl, glaube ich, bis jetzt noch nicht festgesetzt ist, Affidavits von verschiedenen Leuten über die Arbeitsbedingungen und die Umstände, unter welchen Fremdarbeiter beschäftigt wurden. Dem Angeklagten Sauckel ist eine gewisse Anzahl von Zeugen [662] bewilligt worden; ebenso auch Fragebogen und Affidavits von anderen Leuten. Ich behaupte, daß dies keine korrekte Bezeichnung für die Nummern 90 und 91 ist. Es handelt sich um zwei Mappen von Affidavits, die in Wirklichkeit keine Dokumente sind, und deshalb nicht zugelassen werden sollten. Nummer 92, Herr Vorsitzender...


VORSITZENDER: Nummer 92 ist gestrichen worden.


MR. ROBERTS: 92 ist gestrichen worden. Nummer 93 ist ein Buch, auf das sich die Französische Anklagevertretung bezogen hat. Daher würde in diesem Falle Dr. Servatius natürlich berechtigt sein, von diesem Buch Gebrauch zu machen.


VORSITZENDER: Sind die Stellen darin gekennzeichnet oder nicht?


MR. ROBERTS: Nein, bis jetzt noch nicht. Es sind auch einige Abbildungen, Herr Vorsitzender...


VORSITZENDER: Wünscht er nur die Abbildungen?


MR. ROBERTS: Ja, ich glaube, sie zeigen das überirdische Glück der Fremdarbeiter in Deutschland, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Ja.


MR. ROBERTS: Nummer 94 ist ein Affidavit des Sohnes von Sauckel. Es wird nur benötigt, wie ich verstehe, falls einer von drei Zeugen, die zugelassen wurden, nicht erreichbar ist. Es betrifft die Behauptung, daß Sauckel die Evakuierung von Buchenwald angeordnet habe, und ich kann gegen dieses sehr kurze Affidavit keinen Einspruch erheben, wenn Dr. Servatius einen der zugelassenen Zeugen nicht beibringen kann.

Nummer 95, Herr Vorsitzender, sind die Reden Sauckels. Auch hier hat Dr. Servatius uns versprochen, die Stellen, die er angezeichnet hat, zu kürzen. Dagegen kann schwerlich Einwand erhoben werden im Hinblick auf die Anklage wegen Verschwörung.


VORSITZENDER: Ja.


MR. ROBERTS: Nummer 96 und 97 sind Bücher, in denen sehr kurze Stellen gekennzeichnet worden sind. Da es sich auch hier um eine bedeutungsvolle Periode der behaupteten Verschwörung handelt, weiß ich nicht, in welcher Weise ich Einspruch erheben könnte, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Das fällt in die gleiche Kategorie, ja. Stimmt das mit Ihren Ansichten überein, Dr. Servatius?


DR. SERVATIUS: Jawohl, ich habe mit einem Vertreter der Anklage verhandelt und das ist grundsätzlich das Ergebnis. Ich möchte nur zu einigen wenigen Dokumenten noch etwas sagen, und zwar [663] zu Dokument 80 und 81. Das eine ist die Photokopie eines Deportationsbefehls in der Stadt Oels, das andere ist ein Affidavit über die Zwangsarbeiter in Saaz. Das erste Dokument benötige ich zum Nachweis, daß die Haager Landkriegsordnung obsolet war, daß also vor dem Waffenstillstand, als der Kampf noch im Gange war, die Bevölkerung der östlichen deutschen Gebiete zur Zwangsarbeit nach Rußland verschickt wurde. Ich habe damals hier mündlich den Antrag ergänzt, weil der Beweis als zu mager erschien, durch Rundfragen bei den Bürgermeistern in Oberschlesien bis nach Ostpreußen festzustellen, daß die Bevölkerung zum großen Teil abtransportiert worden ist zur Zwangsarbeit. Ich glaube, daß dies zum Nachweis dafür, daß die Haager Landkriegsordnung im Osten als nicht existierend betrachtet wurde, von erheblicher Bedeutung ist für die Verteidigung meines Mandanten.

Das Dokument Nummer 81 befaßt sich mit einem Zustand nach dem Waffenstillstand, der aber nur als Fortsetzung dessen erscheint, was im Ostgebiet vorgegangen ist, und bestätigt, daß allgemein unter der Besetzung der Sowjetarmeen der Zustand beibehalten wurde, nämlich die Inanspruchnahme der Bevölkerung zur Arbeit, nicht im Sinne des Haager Abkommens, wie zum Beispiel zur Instandhaltung der Straßen in der Nachbarschaft etcetera, sondern auch zwecks Industriearbeit und zwecks Tätigkeit außerhalb des Rahmens der Haager Landkriegsordnung, auch zwecks Tätigkeit außerhalb des Landes. Ich glaube nicht, daß man mir diesen Beweis abschneiden soll. Und nun die Dokumente Nummer 90 und 91; der Inhalt ist bereits vorgetragen. Es sind zwei Mappen mit einer Sammlung von eidesstattlichen Versicherungen. Es handelt sich um den Versuch eines Gegenbeweises gegenüber einer Regierungsuntersuchung, wie wir sie ja hier gefunden haben. Wir haben Berichte empfangen von der Französischen, der Sowjetischen Anklage, wir haben Berichte von Tschechen erhalten, die eine mosaikartige Massenerscheinung darstellen, die man nur auf diese Weise erfassen kann. Ich habe damals bereits vorgetragen, daß mir eine Regierung ja nicht zur Verfügung steht, die einen solchen Bericht anfertigen könnte, und hier geht mein Vorschlag dahin, daß ich zunächst eine Sammlung von eidesstattlichen Versicherungen beibringe. Ich habe nun nicht vor, diese Sammlungen von eidesstattlichen Versicherungen hier alle vorzulesen, sondern mein Antrag geht dahin, das Gericht möge einen Beauftragten bestellen, der diese Mappen studiert und einen kurzen Bericht anfertigt und dem Gericht vortragen soll. Es ist das ein Gedanke, der gerade auch nachher bei den Fragen der politischen Organisationen auftreten wird, nämlich das Problem, wie diese Massenerscheinungen dem Gericht vorgelegt werden können. Falls ich einen Zeugen bringen sollte, einen einzigen Zeugen, so wird man sagen, der einzelne Zeuge kann natürlich nicht dieses ganze Gebiet decken. Andererseits kann ich ja nicht [664] mit Hunderten von Zeugen ankommen, und so wäre es ein Mittelweg, daß ein Beauftragter des Gerichts sich mit diesen eidesstattlichen Versicherungen befaßt, und dann einen Bericht aufstellt. Das ist der Inhalt dieser beiden Mappen.


VORSITZENDER: An wieviele Affidavits denken Sie, oder wieviele haben Sie sich verschafft?


DR. SERVATIUS: Es ist noch sehr mager, was ich bekommen habe. Es stellt sich nämlich heraus, daß diejenigen, die Kenntnis haben, aus einer Sorge, sie möchten deswegen verfolgt werden, zurückhalten, aber ich hoffe, daß ich eine Auswahl von vernünftigen Versicherungen treffen kann, von denen ich denke, daß es etwa 20 bis 30 Affidavits sein werden. Ich werde mich dann auch darauf beschränken, da ich ja auch kein Interesse daran habe, das Gericht mit einer überflüssigen Arbeit zu befassen, daß sich der Gerichtshof mit diesen eidesstattlichen Versicherungen befaßt. Wie meine Sammlung jetzt aussieht, muß ich sogar damit rechnen, daß ich meinen Antrag ganz zurückziehe, weil ich selbst einsehen muß, daß das Material, was mir zugeht, zu knapp ist. Aber ich bitte, mir die Chance offen zu lassen, und ich würde dann, wenn der Fall herankommt, vorher rechtzeitig dem Gericht den Fall nochmals vortragen.


VORSITZENDER: Ja. Ist das alles, was Sie sagen wollen?


DR. SERVATIUS: Da ist noch das Dokument Nummer 93, ein illustriertes Buch »Europa arbeitet in Deutschland«. Ich möchte hieraus dem Gericht einige...


VORSITZENDER: Hat die Anklage dagegen Einspruch erhoben?


DR. SERVATIUS: Nein, die Anklage hat keinen Einspruch dagegen erhoben. Ich möchte vielleicht nur einige Bilder an der Leinwand zeigen, es dreht sich darum, anschaulich zu machen, unter welchen Umständen gerade die Leute vom Osten ankamen, und wie später ihre Lage war, soweit das nach einer Werbeschrift möglich ist.


VORSITZENDER: Ja, danke.


MR. ROBERTS: Ich habe noch einen anderen Punkt, den ich erwähnen möchte Vielleicht ist Dr. Servatius so freundlich, mir zuzuhören. Herr Vorsitzender! Dr. Servatius hat am 5. März 1946 an den Gerichtshof einen schriftlichen Antrag gestellt auf Überlassung aller ärztlichen Berichte von Dr. Jäger, der Chefarzt des Lagers Krupp-Essen war, zweitens auf Überlassung aller monatlichen Berichte eines gewissen Groene, der ein Kollege Dr. Jägers war, und drittens aller Protokolle der monatlichen Besprechungen, die der Hauptkommandant des Lagers mit den ihm unterstellten Lagerführern bei Krupp abgehalten hat.

Die Lage ist folgende, Herr Vorsitzender: Die französische... ich glaube, unsere amerikanischen Kollegen haben ein Affidavit des [665] Dr. Jäger vorgelegt, und Dr. Jäger selbst ist als Zeuge für Sauckel zugelassen worden und wird daher im Zeugenstand erscheinen.

Die Anklage hat nichts dagegen einzuwenden, daß Dr. Jäger ersucht wird, seine Berichte mitzubringen, wenn sie ihm zugänglich sind. Wir haben sie nicht, ich glaube auch nicht, daß wir wissen, wo sie sich befinden.


VORSITZENDER: Aber der Zeuge wird vorgeladen.


DR. SERVATIUS: Ich habe einen Teil dieser Dokumente bereits bekommen und nehme an, daß auch die anderen mich vielleicht noch erreichen. Ich glaube, das Material, das mir vorliegt, genügt mir für meine Zwecke, so daß sich die Staatsanwaltschaft nicht weiter bemühen braucht.


VORSITZENDER: Sie meinen, daß wir darüber keine Entscheidung zu treffen haben?


DR. SERVATIUS: Nein, es ist nicht notwendig.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nun vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

18. April 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 12.
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