Vormittagssitzung.

[81] [Der Zeuge Bock im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird morgen nachmittag um 2.00 Uhr eine geschlossene Sitzung abhalten; das heißt, der Gerichtshof wird morgen nach 1.00 Uhr keine öffentliche Sitzung abhalten.

Herr Barrington! Sind Sie zu Ende?


MAJOR BARRINGTON: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Will noch ein anderer Hauptanklagevertreter ein Kreuzverhör durchführen?


[Keine Antwort.]


Dr. Böhm! Wollen Sie Fragen im Wiederverhör stellen?

RA. BÖHM: Herr Vorsitzender! Ich möchte noch einige kurze Fragen stellen, die auf das gestrige Kreuzverhör Bezug nehmen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Herr Zeuge! Ich möchte Sie bitten, die Fragen möglichst kurz zu beantworten.

Ist Ihnen die Grundformel bekannt, die in der SA vorherrschte, nämlich »Gleiches Recht für alle«?

BOCK: Jawohl, diese Formel ist mir bekannt, und sie wurde auch an den Schulen gelehrt.

RA. BÖHM: Ist es richtig, daß man unter der gehobenen Stellung des SA-Mannes, von der gestern gesprochen worden ist, nichts anderes verstand als das Ansehen des SA-Mannes innerhalb der Volksgemeinschaft für seinen bisherigen Einsatz zur Erreichung der Ziele des Dritten Reiches?


BOCK: Der SA-Mann wurde immer erzogen zu Ordnungssinn und Disziplin und zur Einhaltung der Bestimmungen und der gesetzlichen Vorschriften.


RA. BÖHM: Waren diese Privilegien, von denen gestern gesprochen worden ist, etwas anderes als das Ansehen des SA-Mannes als politischer Soldat?


BOCK: Privilegien hatte der SA-Mann nicht. Er konnte sich entsprechende Rechte erwerben in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit, daß er ein besseres Fortkommen hatte in sozialer Hinsicht; aber sonst mußte er sich allen rechtlichen Bestimmungen unterwerfen.

RA. BÖHM: Sie haben gestern davon gesprochen, daß der SA-Angehörige nicht bewaffnet war, daß er lediglich einen SA-Dolch [81] besaß und darüber hinaus eine Schußwaffe besaß vom Sturmführer ab; und zu dieser benötigte er einen Waffenschein, wie ihn jeder Deutsche, wenn er eine Waffe tragen wollte, auch haben mußte.


BOCK: Ja.


RA. BÖHM: Hat es nun innerhalb der SA, und zwar innerhalb des Personenkreises, der hier in Frage kommt, ein Recht gegeben für den einzelnen, der nun dieser Pistolenträger war, die Pistole gegen andere Staatsangehörige zu richten?


BOCK: Nein, der SA-Angehörige, der eine Waffe führte, mußte genauso wie jeder Staatsbürger wissen, daß er sie nur einsetzen darf unmittelbar zu seiner Notwehr.


RA. BÖHM: Unter Artikel 10 ist Ihnen gestern vorgelesen worden, daß die gehobene Stellung des SA-Mannes nicht durch verletzende, zurücksetzende oder durch ungerechte Behandlung herabgewürdigt werden darf.


BOCK: Die Rechte ergaben sich ja jeweils aus den Pflichten. Wenn der Mann in einer besonderen Verpflichtung stand, dann mußte er eine bestimmte Form von Rechten haben. Er durfte aber niemals – und das wurde immer und immer wieder betont – sich irgendwie außerhalb der bestehenden Gesetze begeben.


RA. BÖHM: Unter Artikel 18 heißt es ausdrücklich: Der SA-Mann darf Waffen, die ihm anvertraut sind – und zwar in dem Rahmen, wie ich es vorhin vorgetragen habe –, nur zur Ausübung seines Dienstes oder zur regelrechten Selbstverteidigung gebrauchen. Wird damit nicht zum Ausdruck gebracht, daß der SA-Mann wie jeder andere deutsche Staatsbürger den geltenden Vorschriften im Waffentragen und dem Waffengebrauch unterworfen ist?


BOCK: Das habe ich schon einmal gesagt. Der SA-Mann war den geltenden Bestimmungen unterworfen. Das sagt ja schon, daß er im Besitz einer polizeilichen Bescheinigung sein mußte oder seines gültigen Passes, auf dem vermerkt stand, wie und wann er zum Gebrauch der Waffe berechtigt war.


RA. BÖHM: War es nicht so, daß der SA-Mann, gerade weil er SA-Mann war und weil man von ihm mehr verlangt hat als von jedem anderen Staatsbürger, um so höher bestraft worden ist, wenn er sich irgendeines Vergehens im Zusammenhang mit der Waffe schuldig gemacht hat?


BOCK: Es besteht eine Verordnung, daß der SA- Mann, wenn er vor Gericht steht, in besonderem Maße zu bestrafen ist oder in der Strafbemessung besondere Maßstäbe anzulegen sind, wenn er sich irgendwie vergangen hat.


RA. BÖHM: Es ist Ihnen gestern vorgelesen worden – gleichfalls aus der Dienstordnung vom 12. Dezember 1933 –, daß alle [82] Verletzungen der Disziplin bestraft werden. Bedeutet das nicht, daß die Disziplinlosigkeit – also Übergriffe – von der Obersten SA-Führung geahndet wurden, und daß die Ordnung als Prinzip in der SA geherrscht hat?


BOCK: Wir haben gerade von seiten der Führerschaft aus in besonders nachdrücklicher Weise darauf hingewirkt, daß jeder SA-Mann sich im Rahmen der Gesetzmäßigkeit bewegt. Wir haben außerdem strenge Anweisung gehabt, daß der SA-Mann, wenn er irgendwo sich vergangen hatte im Rahmen seines bürgerlichen Lebens, daß er dann gemeldet werden mußte und auch von den Gerichtsstellen uns gemeldet wurde, und dann wurde der Betreffende disziplinarisch bestraft.


RA. BÖHM: Nach dem Dokument, das Ihnen gestern vorgelegt wurde, vom 12. Dezember 1933 unter Seite 33, Nummer 6, heißt es:

»Als Recht gilt, was der Bewegung nützt, als Unrecht, was ihr schadet.«

Bedeutet dieser Satz etwas anderes als das englische Sprichwort:

»Recht oder Unrecht, es ist mein Vaterland!«


BOCK: Nach meiner Auffassung und wie ich das ausgelegt habe, bedeutet es, daß der Mann im Rahmen seiner Pflichten Rechte hat und daß er auf der anderen Seite, wenn er Unrecht tut und wenn er sich außerhalb der Gesetzmäßigkeit bewegt hat, auch damit seinem Vaterland schadet.

RA. BÖHM: Es sind Ihnen dann die Ausbildungsrichtlinien vorgelegt worden, und Sie sind verwiesen worden auf Seite 7 und auf Seite 9 dieser Richtlinien. Ich frage Sie nun: Hier ist die Rede vom Ordnungsdienst, vom Exerzierdienst, vom Schießdienst, vom Geländedienst und vom Sport; ist im Fünfkampf der Olympischen Spiele etwas anderes geübt worden als das, von dem hier die Rede ist? Sind nicht die Fünfkämpfer im Olympischen Stadion einmarschiert in Ordnung und in der Weise, wie es nur auf Grund einer Übung möglich war?

Wurde von ihnen nicht auch exerziert, haben sie nicht auch geschossen, haben sie nicht auch Sport getrieben und die sämtlichen Sportarten, die auch hier aufgeführt sind?


VORSITZENDER: Glauben Sie nicht, daß das mehr eine Erörterung als ein Verhör ist?

Die Erwägung, ob es aus sportlichen oder militärischen Zwecken geschehen ist, ist immer wieder angestellt worden. Wir müssen selbst darüber entscheiden. Es hilft uns nicht viel, wenn das noch einmal Gegenstand des Wiederverhörs ist.


RA. BÖHM: Ja, Herr Präsident! Ich hätte diese Frage nicht gestellt, wenn der Zeuge nicht nur darauf hingewiesen worden [83] wäre, daß die letzte der Übungen, die in diesen Ausbildungsvorschriften enthalten sind, der Sport ist. Ich möchte darauf hinweisen, daß auch die übrigen Übungen, die hier aufgeführt sind, im Fünfkampf der Olympiade durchgeführt worden sind, und ich glaube kaum, daß man in diesem Fünfkampf eine militärische oder gar militaristische Einstellung erblickt hat oder erblicken konnte. Ich möchte dann den Zeugen noch auf eines hinweisen beziehungsweise an ihn eine Frage stellen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Meine vorhergehende Frage haben Sie übrigens nicht beantwortet; nehmen Sie doch Stellung zu meiner Frage, ob nicht auch im Fünfkampf der Olympiade diese gleichen Übungen oder sehr ähnliche Übungen durchgeführt worden sind?

BOCK: Herr Anwalt! Ich bin unterbrochen worden vom Herrn Präsidenten. Ich habe die Olympiade selbst erlebt, und ich weiß auch genau die einzelnen Sportarten. Wir haben die gesamten Ordnungsübungen so durchgeführt, daß wir diszipliniert in der Öffentlichkeit mit einem guten Bild in Erscheinung treten konnten, genauso wie alle Sportorganisationen. Wir haben im wesentlichen, weil wir ja, wie es festgelegt war, später diese Großkampfspiele gestalten sollten, uns im wesentlichen auch Disziplinen aus dem olympischen Kampf herausgezogen und bei uns gelehrt und geübt. Wir haben geschossen, wir haben Hindernislaufen gemacht, und wir haben alle diese Disziplinen im Rahmen unserer Ausbildung mit verwendet.

RA. BÖHM: Auf Seite 8 der Ausbildungsordnung, die Ihnen gestern vorgelegt worden ist, heißt es, und zwar im Exerzierdienst – das wäre vielleicht das einzige, was einer militärischen Übung nahe oder gleichkäme:

»... hat die Ausbildung mit Nachdruck einzusetzen. Nach dem Einüben der Grundform soll an angewandte Aufgabenstellungen im Exerzierdienst herangegangen werden, wie sie sich aus den im politischen Einsatz notwendigen exerziermäßigen Bewegungen ergeben.«

Haben Sie aus der Fassung dieser Vorschrift an eine militärische Ausbildung oder an eine militaristische Erziehung gedacht, wenn es sich um das Exerzieren der SA gedreht hat?

BOCK: Für uns war das Üben und das Ausrichten des Mannes sowohl im einzelnen wie auch in den geschlossenen Formationen immer zu dem Zweck geübt, um bei einem öffentlichen Auftreten das äußere geschlossene einheitliche Bild abzugeben.

RA. BÖHM: Ich habe dann an den Zeugen weiter keine Fragen mehr.


[84] VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich würde dann bitten, den nächsten Zeugen, Schäfer, rufen zu dürfen.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Geben Sie bitte Ihren vollen Namen an.

ZEUGE WERNER AUGUST MAX SCHÄFER: Schäfer.


VORSITZENDER: Ist das Ihr voller Name?

SCHÄFER: Werner August Max Schäfer.


VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

RA. BÖHM: Herr Zeuge! Was sind Sie von Beruf?


SCHÄFER: Ich bin Regierungsdirektor im Reichsstrafvollzug.


RA. BÖHM: Sind Sie Angehöriger der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen?


SCHÄFER: Ich bin seit 1928 Angehöriger der Partei.


RA. BÖHM: Sind Sie SA-Angehöriger?


SCHÄFER: Ich bin seit 1932 Angehöriger der SA, SA-Oberführer seit 1938.


RA. BÖHM: Der Zeuge Reimund Geist hat in einer eidesstattlichen Versicherung erklärt, daß tausend öffentliche Versammlungslokale der SA als Verhaftungsplätze benutzt wurden. Ist Ihnen davon etwas bekannt, und ist diese Behauptung richtig?

SCHÄFER: Über die Zahl von eintausend örtlichen Versammlungslokalen als Haftplätze ist mir nichts bekannt.


RA. BÖHM: Würde Ihnen davon etwas bekannt sein, wenn diese Verhaftungsplätze in dieser Zahl vorhanden gewesen wären?


SCHÄFER: Wären sie in dieser Zahl vorhanden gewesen, wären sie mir unbedingt bekanntgeworden. Tatsächlich haben einige wenige dieser Plätze bestanden; aber schon sehr kurz nach der Konsolidierung der Verhältnisse wurden sie aufgelöst beziehungsweise von der Gestapo übernommen und von ihr verwaltet.


RA. BÖHM: Ist es richtig, wenn ich im Zusammenhang mit diesen Verhaftungsplätzen der Auffassung bin, daß diese Notstandsmaßnahmen in der Zeit von 1933 darstellten?


SCHÄFER: Jawohl, es ist eine ausgesprochene Notstandsmaßnahme gewesen; denn wir befanden uns zur damaligen Zeit, zur [85] Zeit des Umbruchs, in einem latenten Bürgerkriegszustand in Deutschland. Es war also notwendig geworden, daß aktivistische Gegner festgenommen wurden, um das durchzuführen, was der Führer seinerzeit aus Anlaß des Umbruchs befohlen hatte, nämlich die unblutige Durchführung der Revolution.


RA. BÖHM: Ist es richtig, daß umfangreiche Waffenfunde Veranlassung gegeben haben, Verhaftungen vorzunehmen...


SCHÄFER: Jawohl.


RA. BÖHM:... um chaotische Zustände im Jahr 1933, wohin man gekommen wäre, wenn man diese Waffen nicht eingezogen hätte, zu vermeiden?


SCHÄFER: Jawohl! Es ist ein großer Teil derartiger Waffen gefunden worden, und es war uns nicht unbekannt geblieben, daß ein großer Teil unserer aktivistischen Gegner bereit war, zwecks Herbeiführung dieser chaotischen Zustände zu diesen Waffen zu greifen.


RA. BÖHM: Kann man sagen, daß die SA bei der Tätigkeit, die sie damals mit dem Einzug der Waffen verrichtete, einem Staatsauftrag nachkam?


SCHÄFER: Jawohl, es lag hierzu der Staatsauftrag des preußischen Innenministers, des preußischen Ministerpräsidenten, Herrn Göring, vor, der die SA als Hilfspolizei in Anspruch genommen hatte.


RA. BÖHM: Dr. Diels sagt in einer eidesstattlichen Versicherung, daß es seine Aufgabe gewesen sei, das Abgleiten der Polizeizentrale der Politischen Polizei in die SA und ihre Ideologie zu verhindern und unzähligen Beschwerden über Gesetzwidrigkeiten der SA nachzugehen, da unter einigen radikalen, zu Polizeipräsidenten ernannten SA-Führern vom Juli bis November 1933 gesetzlose Zustände eingerissen waren. Sie waren in diesem Bezirk, und was haben Sie zu dieser Behauptung des Herrn Dr. Diels zu sagen?


SCHÄFER: Soweit ich mich entsinne – und ich entsinne mich hier sehr gut –, befand sich Diels in einem ausgesprochen freundschaftlichen Verhältnis zu dem damaligen Stabschef Röhm und deshalb auch in einem freundschaftlichen Verhältnis zu dem örtlichen Führer der Gruppe Berlin-Brandenburg, Ernst. Ich kann daher seine Auffassung nicht verstehen, wonach er es als seine Aufgabe betrachtet hat, sie auch als solche bezeichnet hat, daß er als Chef der Gestapo besonderen Beschwerden, die gegen die SA einliefen, nachgehen mußte.

Ich möchte hierbei sagen, daß gerade die disziplinwidrigen Elemente, die der Bewegung und der SA zum Schaden gereichen konnten, durch die Bewegung und durch einen SA-Verbindungsstab, der oben in der Geheimen Staatspolizei in Erscheinung trat, [86] davon abgehalten worden sind; und ich kann aus meiner eigenen Kenntnis der Dinge her sagen, daß es gerade der Gruppenführer Ernst gewesen ist, der damals in einer eigenen Festungsabteilung im Konzentrationslager Oranienburg derartige disziplinwidrige Elemente von sich aus festgesetzt hat. Es ist daher also nicht eine Aufgabe des Leiters der Geheimen Staatspolizei gewesen, hier gegen disziplinwidrige Elemente der SA oder der Bewegung vorzugehen; seine Aufgaben lagen ja ganz eindeutig auf einer ganz anderen Ebene.


RA. BÖHM: Diels hat nun die ursprünglich sehr weitgehende eidesstattliche Versicherung eingeschränkt und sie vor allen Dingen auf Berlin eingeschränkt.

Wie verhielt sich übrigens zu dieser Behauptung Diels' der Graf Helldorf, der am 20. Juli 1944 von Hitler beseitigt worden ist?


SCHÄFER: Graf Helldorf kenne ich noch aus meiner Tätigkeit als SA-Führer in Berlin. Er war kurz nach dem Umbruch, soviel mir bekannt ist, in das Preußische Innenministerium für eine kurze Zeit berufen worden und war dann Polizeipräsident in Potsdam geworden. Und als solcher kann ich nur sagen, hat der Polizeipräsident Graf Helldorf alles getan, was unbedingt notwendig und erforderlich war, um eine geordnete polizeiliche Institution zu erhalten. Er bediente sich hierbei alter, zuverlässiger Polizeibeamter. Er ist in dieser Eigenschaft auch mein Vorgesetzter gewesen, was das Konzentrationslager Oranienburg anbelangt; und ich muß hier erklären, daß er des öfteren in Oranienburg gewesen ist, völlig unangemeldet, und besonders eingehend sich von der Durchführung der befohlenen Maßnahmen überzeugte und mir auch bekannt war als ein Mann, der für die absolute Aufrechterhaltung der Sauberkeit und Disziplin eintrat.


RA. BÖHM: Ich halte Ihnen weiter die Aussage Diels' vor, in der gesagt wird, daß die SA-Verbände in Gefängnisse eingedrungen seien, Gefangene gestohlen hätten, Akten entwendet hätten und sich in Dienstgebäuden der Polizei häuslich eingerichtet hätten. Ich frage Sie nun, ist das richtig und haben derartige Zustände jemals bestanden?


SCHÄFER: Ich kann mich derartiger Zustände nicht entsinnen. Sie hätten mir ja eigentlich bekanntwerden müssen, denn ich befand mich sehr häufig in Berlin, und ich muß sagen, es ist mir nichts Ähnliches bekanntgeworden. Ich hätte ja eigentlich auch später hierüber etwas Näheres hören müssen, als ich nachher Beamter in der Strafvollzugsverwaltung des Reiches geworden bin. Ich bin der Auffassung, daß bestimmt die Berliner Kollegen zum Beispiel, da es sich um den Berliner Bezirk handelte, über derartige Vorfälle mir auch noch nachträglich berichtet hätten. Das ist nicht geschehen.


[87] RA. BÖHM: Sie waren damals Kommandant von Oranienburg und fast jeden Tag in Berlin zusammen mit den Herren von der Polizei beziehungsweise von der Gestapo?


SCHÄFER: Wenn ich auch nicht jeden Tag in Berlin war, so immerhin doch recht häufig, so daß mir das bestimmt nicht entgangen wäre.


RA. BÖHM: Ist die Behauptung Diels' richtig, daß es seine Aufgabe war, zur Vermeidung von Massenmorden die Lager der SA in die staatliche Hand zu bekommen, wenn man andererseits in seinem für die SA gemachten Affidavit liest, daß insgesamt 50 Leute in Berlin der Revolution zum Opfer gefallen sind?


SCHÄFER: Diese Behauptung von Diels ist unzweifelhaft nicht richtig. Ich kann wohl sagen, daß es der Ideologie der SA in keiner Weise entsprach, durch Massenmord sich der politischen Gegner zu entledigen, und die von Diels ja auch selbst in seinem Affidavit – wie ich eben höre – angegebene Zahl von 50 Opfern in Berlin beweist das ja wohl am besten.

Man darf nicht vergessen, daß ein großer Teil der politischen Gegner von gestern ja nunmehr auch in der SA mitmarschierte, daß also sehr viele menschliche Verbindungen auch noch in das Lager der politischen Gegner hinüber vorhanden waren. Es wäre also, wenn eine derartige Absicht überhaupt bestanden hätte, durch Massenmord sich der politischen Gegner zu entledigen, diese Durchführung selbst in der SA auf den allergrößten Widerstand gestoßen, und ich darf hier mit aller Offenheit bekennen, daß das in keiner Weise eben, was Diels hier behauptet hat, zu Recht besteht.


RA. BÖHM: Ist es richtig, daß Diels' Stellung infolge dauernder Konflikte mit der SA unhaltbar wurde? Er behauptet das in seiner eidesstattlichen Erklärung, die er für die Geheime Staatspolizei abgegeben hat; und dort sagt er, daß er andererseits aber auch zugeben müsse, daß er Regierungspräsident von Hannover und Köln gewesen ist.


SCHÄFER: Mir ist von einer derartigen Trübung des Verhältnisses zwischen Diels und der Obersten SA-Führung nichts bekannt; und ich möchte auch nicht glauben, daß das zutreffend ist, was er da gesagt hat, denn ich habe ihn einige Jahre später in einem sehr engen Verhältnis zum damaligen Stabschef Lutze gefunden, und zwar anläßlich einer Bereisung im Emser Bezirk. Da war er in einem ausgesprochen freundschaftlichen Verhältnis zu dem damaligen Stabschef Lutze, und die Tatsache selbst, daß er Regierungspräsident von Köln gewesen ist und vor allen Dingen die Tatsache, daß er nachher bei dem Stabschef Lutze, der ja Oberpräsident von Hannover war, als Regierungspräsident tätig war, widerlegen eigentlich diese Behauptung, wonach er also Zerwürfnisse gehabt hätte mit der SA.


[88] RA. BÖHM: Hat die SA allgemein, wie Diels sagt, Eigentum friedlichen Bürgern abgepreßt, wenn er in seiner für die SA abgegebenen eidesstattlichen Erklärung sagt, daß in der Hauptsache nur der Gruppenstab von Ernst und die von ihm eingesetzte Nachrichtenabteilung an dem revolutionären Treiben beteiligt waren?


SCHÄFER: Mir ist über die Ausplünderung sogenannter friedlicher Bürger durch die SA nichts bekannt. Wenn hier einige Fälle vorgekommen sein sollten, was sicher nicht bestritten werden kann, dann möchte ich hierzu erklären, daß die Verallgemeinerung dieser Einzelfälle mit der Wahrheit außerordentlich stark kollidiert. Es liegt hier in keiner Weise die Berechtigung vor, Einzelfälle, die sicher geschehen sind, nunmehr zu verallgemeinern. Man darf hierbei nicht verkennen, daß solche Einzelfälle durchaus möglich waren.

Ich darf hierbei daran erinnern, daß zum Beispiel das Braunhemd, das der SA-Mann sich ja selbst kaufen mußte, überall in den entsprechenden Geschäften, in Berlin zum Beispiel, aber auch im ganzen Reich, käuflich erworben werden konnte. Und es ist mir eine Zahl von Fällen persönlich bekanntgeworden, wo dunkle Elemente, die nicht der SA, auch nicht der Bewegung angehörten, wie nachher gerichtsnotorisch festgestellt worden ist, die Gelegenheit nunmehr als gekommen ansahen, von sich aus strafbare Handlungen unter dem Schutz der Parteiuniform zu begehen. Das hat ja letzten Endes und schließlich auch dazu geführt, daß die Parteiuniform unter gesetzlichen Schutz gestellt werden mußte.


RA. BÖHM: Es ist Ihnen doch bekannt, daß Diels Gestapochef in den Jahren 1933 und 1934 war; und wenn man davon liest, daß die SA friedlichen Bürgern Eigentum abgepreßt habe, da zwingt sich einem die Frage direkt auf, ob er da vielleicht versuchte, Gestapositten auf die SA zu übertragen?


SCHÄFER: Ich muß schon sagen, daß diese Behauptung von Diels mich außerordentlich stark befremdet, denn – wie vorher schon gesagt – befand er sich damals in einem sehr engen Verhältnis zu der Obersten Führung dieser SA. Wie er zu dieser Behauptung kommt – wider besseres Wissen muß ich sagen –, ist mir eigentlich nicht klar.


RA. BÖHM: Er spricht dann weiterhin von zirka 40000 Gefangenen in Konzentrationslagern, in etwa 40 illegalen Lagern. Können Sie sagen, wie viele Konzentrationslager in dieser Zeit tatsächlich bestanden haben?


SCHÄFER: Statistisches Material liegt mir hierzu nicht vor, aber ich möchte versuchen, einmal diese Zahl von 40000 Inhaftierten zu untersuchen und auch vor allen Dingen die Zahl der von Diels genannten 40 Lager. Es ist bald im Laufe des Jahres 1933 der Zustand eingetreten, daß Oranienburg für Berlin und [89] die gesamte Mark Brandenburg als das einzige Inhaftierungslager für politische Gegner in Erscheinung trat. Einige wenige Anhaltelager, die bis dahin bestanden hatten, wurden aufgelöst. Es können dort nicht sehr viel Inhaftierte eingesessen haben, denn ich bekam diese Inhaftierten dann nach Oranienburg überführt; es ist nur eine ganz geringe Zahl von Inhaftierten gewesen.

Wenn man hierbei überlegt, daß also Oranienburg in der Zeit seiner Höchstbelegung noch nicht einmal 1000 Inhaftierte gehabt hat und hierbei berücksichtigt, daß dieses Lager doch immerhin für einen Bezirk von über sechs Millionen Menschen eingerichtet war, wenn man sich ferner überlegt, daß Berlin die Zentrale der politischen Gegner der NSDAP war, also außerordentlich stark mit der Zahl der politischen Aktivisten gefüllt war, dann kann ich mir die Zahl von 40000 Inhaftierten außerordentlich schwer vorstellen. Mir selbst, das kann ich hier sagen, ist die Zahl von 40000 also völlig ungeläufig. Ich habe auch niemals über diese Zahl etwas gehört, auch selbst von Dr. Diels nicht, mit dem ich persönlich auch sehr gut stand, und es hätte mir diese Zahl eigentlich bekanntgewesen sein müssen.


RA. BÖHM: Diels spricht in diesem Zusammenhang von zirka 40000 Häftlingen. Können Sie eine schätzungsweise Zahl dazu nennen, die vielleicht richtiger wäre?


SCHÄFER: Das ist außerordentlich schwer zu sagen, aber ich möchte sagen, daß die Weihnachtsamnestie, die durch den Ministerpräsidenten Göring damals – und ich möchte hierbei ganz besonders einmal unterstreichen, daß diese außerordentlich großzügig durchgeführt wurde –, daß aber diese Weihnachtsamnestie auf diese Zahl einen Rückschluß zuläßt. Es wurden damals 5000 Inhaftierte – diese Zahl 5000 ist mir erinnerlich – aus den Lagern entlassen. Das führte dazu, daß zum Beispiel in Oranienburg, das – wie ich ja vorhin schon sagte – für ganz Berlin und Brandenburg das einzig anerkannte und staatlich kontrollierte Lager war, die Gefangenenzahl bis auf etwas mehr als 100 Inhaftierte zurückging. Es wurden also damals über zwei Drittel des Lagers entlassen.


RA. BÖHM: Sie waren Kommandant in Oranienburg?


SCHÄFER: Jawohl.

RA. BÖHM: Und von wann bis wann?


SCHÄFER: Von März 1933 bis März 1934.


RA. BÖHM: Dieses Lager war von SA-Leuten bewacht?


SCHÄFER: Jawohl.


RA. BÖHM: Und von wann bis wann?


SCHÄFER: Von März 1933 bis – ich glaube, es war Juni oder Juli 1934.


[90] RA. BÖHM: Und welcher Befehlsgebung sind diese Leute unterstanden?


SCHÄFER: Diese SA-Männer waren Angehörige der Hilfspolizei. Sie unterstanden als solche meiner direkten Befehlsgebung als Kommandant.


RA. BÖHM: Und wem unterstanden Sie als Lagerkommandant?


SCHÄFER: Ich unterstand als Lagerkommandant dem für Oranienburg zuständigen Regierungspräsidenten in Potsdam, seinem Polizeipräsidenten, dem Grafen Helldorf, und in der höchsten Spitze natürlich dem Herrn preußischen Innenminister.


RA. BÖHM: Und welchen Einfluß hatte der damalige Führer der Gruppe Berlin-Brandenburg auf das Konzentrationslager Oranienburg?


SCHÄFER: Der Führer der Gruppe Berlin-Brandenburg hat auf das Lager selbst keinen Einfluß gehabt; auf die Haltung und überhaupt auf die Verwaltung des Konzentrationslagers hatte er keinen Einfluß.


RA. BÖHM: Könnte man annehmen, daß Einzelaktionen durch ihn ausgeführt wurden, die Terrormaßnahmen der SA bedeuteten?


SCHÄFER: Sie sind mir nicht bekanntgeworden.


RA. BÖHM: Haben Sie einen Überblick über die Anzahl der in den sogenannten wilden Anhaltelagern festgesetzten Menschen, die dann bis Weihnachten 1933 entlassen worden sind?


SCHÄFER: Nein, darüber habe ich keinen Überblick. Aber ich möchte wohl fest sagen können, daß es nur eine geringe Zahl von solchen Lagern gewesen sind, die da bestanden und auch nur eine geringe Zahl von Inhaftierten dort eingesessen haben; denn ich habe ja schon vorhin erklärt, daß mir selbst in Oranienburg, dem einzig bestehenden Lager damals, nur wenige Inhaftierte überführt worden sind; ein großer Teil war damals bereits entlassen.


RA. BÖHM: Haben Sie Anhaltspunkte dafür, daß zur gleichen Zeit im übrigen Deutschland 50000 Inhaftierte einsaßen?


SCHÄFER: Nein, dafür habe ich auch keine Anhaltspunkte; aber ich möchte sagen, daß im Verhältnis zu der vorhin genannten Zahl der in Preußen einsitzenden Inhaftierten die Zahl von 50000 absolut unglaubwürdig ist; denn Preußen war ja nun einmal rein räumlich gesehen der größte Teil von Deutschland, und wenn da also im Verhältnis wenig Inhaftierte einsaßen, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß im übrigen Reich 50000 eingesessen haben sollen. Die Zahl ist mir nicht bekannt.


RA. BÖHM: Was ist Ihnen bekannt über die Zusammenarbeit mit der Gestapo in ihren ersten Anfängen?


[91] SCHÄFER: Die Gestapo in ihren Anfängen hatte nur lose Beziehungen zu Oranienburg. Sie hatte also nur die amtlichen Beziehungen, soweit sie sich aus dem Verhältnis der Politischen Polizei zu der Hilfspolizei SA ergaben. Sie führte im Laufe des Jahres Inhaftierte, die sie festgenommen hatte, zu und entließ dann auf Weisung des preußischen Ministerpräsidenten die Gefangenen, wenn ihre Fälle entsprechend überprüft waren.


RA. BÖHM: Haben zwischen dem Konzentrationslager Oranienburg und der Gestapo Berlin Schwierigkeiten bestanden?

SCHÄFER: Ursprünglich nein. Aber dann haben sich durch einen Zwischenfall Schwierigkeiten ergeben, die ich an dieser Stelle nicht verschweigen möchte. Es waren einmal zwei Inhaftierte von Berlin aus von der Gestapo eingeliefert worden, und zwar in einem sehr stark mißhandelten Zustand. Ich habe mich daraufhin am nächsten Tag zu dem mir vorgesetzten Standartenführer Schutzwechsler begeben und ihn gebeten, mit mir gemeinsam bei der Geheimen Staatspolizei in der Prinz-Albrecht-Straße vorstellig zu werden und eine Erklärung zu verlangen, die ich dann zum Gegenstand einer Meldung bei dem Preußischen Innenministerium machen wollte.

Diese Erklärung wurde mir auch zugesagt. Am nächsten Tag erreichte mich ein telephonischer Anruf des Standartenführers Schutzwechsler, worin er mir mitteilte, daß er erfahren habe soeben, daß das Konzentrationslager Oranienburg mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden solle, ich möchte augenblicklich nach Berlin kommen, er wolle mit mir zum Preußischen Innenministerium gehen, um dort die Verhältnisse einmal zu sondieren, wieso und weswegen die Auflösung so urplötzlich erfolge.

Wir begaben uns damals dann gemeinsam zum Preußischen Innenministerium und erfuhren hier zu unserem größten Befremden, daß nach unserem stattgefundenen Protest am Tage vorher in der Prinz-Al brecht-Straße ein Anruf im Preußischen Innenministerium erfolgt war, worin mitgeteilt wurde, daß Mißhandlungsfälle vorgekommen seien und daß es notwendig geworden wäre, Oranienburg aufzulösen. Es sollten sofort – und so lautete der Vorschlag der Prinz-Albrecht-Straße – die gesamten Gefangenen von Oranienburg in die von der SS im Emskreis neu ausgebauten Lager überführt werden. Es war bereits ein Eisenbahnzug unterwegs, der auch schon in Oranienburg eingetroffen War, und als ich nunmehr die Verhältnisse dem damaligen Staatssekretär Grauert vortrug und ihm die entsprechenden Erklärungen abgab, was mich dazu veranlaßt hatte, am Tage vorher in der Prinz-Albrecht-Straße Protest zu erheben, da versprach er es mir sofort und hat es auch im selben Augenblick getan, die Verhältnisse eingehend überprüfen zu lassen. Er beauftragte damals in meiner [92] Gegenwart den Ministerialdirigenten Fischer mit der Untersuchung der Angelegenheit. Fischer war als ein durchaus korrekter und zuverlässiger alter Beamter bekannt, und Fischer hat dann auch tatsächlich die Dinge so, wie ich sie dem Staatssekretär Grauert geschildert habe, festgestellt. Es wurde also eindeutig festgestellt, daß diese Oranienburg zur Last gelegten Mißhandlungsfälle in der Gestapo in Berlin sich ereignet hatten. Daraufhin wurde von einer Auflösung des Lagers Abstand genommen.

RA. BÖHM: Sind Ihnen Fälle bekannt, wo die Gestapo gewaltsam in von der SA gegründete Lager eindringen mußte, um Gefangene zu befreien?


SCHÄFER: Nein, derartige Fälle sind mir nicht bekanntgeworden.


RA. BÖHM: In Oranienburg haben Sie das jedenfalls nicht erlebt?


SCHÄFER: Nein, nein.


RA. BÖHM: Hatte die Gestapo maßgeblichen Einfluß auf die Entlassung von Inhaftierten, oder auf wen sind Ihrer Meinung nach die im Laufe der Zeit stattgefundenen Entlassungen hauptsächlich zurückzuführen?


SCHÄFER: Es sind für die Entlassung von Inhaftierten die verschiedensten Stellen maßgeblich von Einfluß gewesen. Als erste die zuständigen Regierungspräsidenten und Landräte, die ja auf Grund der ständigen Vorstellungen der Angehörigen von Inhaftierten die Verhältnisse der Inhaftierten genauestens kannten. Es ist das Lager selbst, wie ich in meiner Eigenschaft als Kommandant des Lagers, maßgeblich an der Entlassung von Inhaftierten beteiligt gewesen. Ich habe nach entsprechender Ermittlung in einigen Fällen gleich Vorschläge zur Enthaftung gemacht. Vor allen Dingen aber, muß ich sagen, ist es der damalige Ministerpräsident Göring selbst gewesen, der damals ein außerordentlich starkes Interesse gezeigt hat, daß das Lager Oranienburg möglichst nicht mit Gefangenen vollgepfropft wurde, sondern daß möglichst viele Entlassungen stattfanden. Das muß ich an dieser Stelle sagen. Und ich entsinne mich hierbei einer Weihnachtsansprache von Diels, die er anläßlich von Entlassungen den Inhaftierten gegenüber hielt, wo er auch zum Ausdruck brachte, daß sich der Ministerpräsident Göring dafür eingesetzt hat, daß zu Weihnachten eine sehr umfassende Entlassung der Inhaftierten stattfinden solle.


VORSITZENDER: Dr. Böhm! Der Gerichtshof verhandelt nicht gegen diesen Zeugen, sondern über den verbrecherischen Charakter der SA. Seine Aussage über die Entlassung der Gefangenen ist viel zu detailliert. Bis jetzt scheint er noch nicht weiter als bis 1933 gekommen zu sein.


[93] RA. BÖHM: Ich möchte in diesem Zusammenhang nur noch eine Frage stellen: Können Sie sagen, wieviel Leute nach diesen Entlassungen Weihnachten 1933 in diesem Lager waren?


SCHÄFER: Es waren etwas mehr als 100 noch.


RA. BÖHM: Haben Sie mit Dr. Diels einmal persönliche Differenzen gehabt?

SCHÄFER: Nein, durchaus nicht. Im Gegenteil, als ich 1934 das Buch über Oranienburg schrieb, stellte er sich sofort und freiwillig zur Verfügung mit einem Geleitwort für dieses Buch, und ich weiß, daß er das Lager immer lobend erwähnt hat.


RA. BÖHM: Ist Ihnen die Aussage des Ministerialdirektors Hans Fritzsche bekannt, die er hier gemacht hat?


SCHÄFER: Zum Teil ja.


RA. BÖHM: Ist es richtig, wie der Zeuge behauptet, daß der erste Kommandant von Oranienburg, der von März 1933 bis 1934 Kommandant war, hingerichtet worden ist? Das müßten doch Sie sein?


SCHÄFER: Ja! Das ist am besten dadurch widerlegt, daß ich jetzt hier sitze, Herr Verteidiger. Das stimmt natürlich nicht.


RA. BÖHM: Ja. Ist es richtig, daß der angeblich in Oranienburg inhaftiert gewesene Journalist Stolzenberg berichtet, daß eine behördliche Untersuchung durchgeführt worden ist?


SCHÄFER: Ich entsinne mich nur zweier solcher behördlich durchgeführter Untersuchungen, und zwar war es der Fall, den ich vorhin geschildert habe, der Fall der Gestapo, und dann ein Fall Seger, wo also behördliche Untersuchungen angestellt wurden.


RA. BÖHM: Und mit welchem Ergebnis sind diese Untersuchungen durchgeführt worden?


SCHÄFER: Wie ich vorhin schon sagte, im Falle der Gestapo wurde festgestellt, daß die uns zur Last gelegten Mißhandlungsfälle in Tatsache in der Gestapo in Berlin erfolgt waren; und im Falle Seger wurde eindeutig nachgewiesen, daß Seger falsche Behauptungen entgegen der Wahrheit aufgestellt hatte.


RA. BÖHM: Ist es richtig, daß weitere Quälereien stattgefunden haben, wie Fritzsche von Einzelpersonen der Gestapo oder der Pressestelle des Reichsführer-SS erfahren haben will?


SCHÄFER: Ich persönlich bin ein großer Gegner der Mißhandlungen und Quälereien gewesen, und meine Einstellung ist meinen Wachmännern eingehend bekanntgewesen. Aber darüber hinaus ist sie auch den Insassen des Lagers bekanntgewesen.


RA. BÖHM: Ist es richtig, wie Fritzsche sagt, daß der 30. Juni 1934 insofern eine Reinigung bedeutet hat, als Gauleiter und [94] SA-Führer, die ihre Macht mißbraucht hatten, beseitigt worden wären?


SCHÄFER: Im Zusammenhang mit dem Komplex Konzentrationslager kann ich dieser Auffassung nicht beitreten.


RA. BÖHM: Ist Ihnen das von dem ehemaligen Reichstagsabgeordneten der SPD Seger in Dessau verfaßte Buch »Oranienburg« bekannt?


SCHÄFER: Jawohl. Seger hat mir dieses Buch selbst zugeschickt.


RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß Seger dieses Buch dem Justizministerium zwecks Verfolgung der in ihm erhobenen Anklagen übersandt hat?


SCHÄFER: Auch das ist mir bekannt.


RA. BÖHM: Und was hat die Justiz daraufhin getan?


SCHÄFER: Ich bin daraufhin durch den für Segers früheren Wohnort zuständigen Staatsanwalt eingehend vernommen worden. Es ist ein sehr eingehendes Ermittlungsverfahren geführt worden mit dem Ergebnis, daß, soweit ich mich heute noch erinnere, das Reichsgericht in Leipzig das Verfahren eingestellt hat.


RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß Seger Sie des Mordes bezichtigt?


SCHÄFER: Jawohl, das ist mir bekannt.


RA. BÖHM: Ist dieser Fall, um den es sich hier handelt, eindeutig geklärt worden?

SCHÄFER: Es handelt sich hierbei um den Vorwurf Segers, ich sei an der Erschießung von zwei Inhaftierten schuldig. Dieser Fall ist eindeutig geklärt worden, und zwar so eindeutig, daß, als dieses Buch in meinem Auftrage den Inhaftierten des Lagers vorgelesen wurde, der eine von Seger als erschossen Gemeldete plötzlich aufstand und sich gesund zur Stelle meldete, während der andere, der von Seger als erschossen gemeldet worden war, sich bereits bei seiner Familie befand, entlassen war, also ganz eindeutig widerlegt durch die beiden angeblich Erschossenen selbst.


RA. BÖHM: Landläufig wird man auf dem Standpunkt stehen, daß die Wiedergabe eines derartigen Sachverhalts, wie er hier von Seger gegeben worden ist, als Lüge bezeichnet werden muß?


SCHÄFER: Durchaus richtig.


RA. BÖHM: Ist es zutreffend, daß, wie in Ihrem Buch geschildert, die Häftlinge sogar von ihrem geheimen Wahlrecht, wie es der Weimarer Verfassung entsprach, Gebrauch machen konnten?


SCHÄFER: Auch das ist zutreffend. Die Gefangenen haben anläßlich des Volksentscheides über die weitere Teilnahme Deutschlands am Völkerbund seinerzeit sich an einem Wahlakt beteiligt: [95] und zwar ist das unter Innehaltung der in der Weimarer Verfassung vorgesehenen gesetzlichen Umstände erfolgt.


VORSITZENDER: Dr. Böhm! Ich habe Ihnen schon gesagt, daß Sie zu wichtigeren Dingen übergehen könnten. Wir sind immer noch bei 1933 oder Anfang 1934 im Lager Oranienburg.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Der SA ist nur das Lager Oranienburg zur Last gelegt, und tatsächlich hat die SA Oranienburg nur vom März 1933 bis zum März 1934 bewacht. Es ist also nicht möglich, über einen anderen Zeitabschnitt zu sprechen.


VORSITZENDER: Das verstehen wir. Dieser Zeuge sagt uns, daß das Lager Oranienburg in vollkommen zufriedenstellender und angemessener Weise verwaltet worden ist. Wir wollen keine Einzelheiten über jeden Tag in den Jahren 1933 und 1934 hören.


RA. BÖHM: Vielleicht interessiert das Gericht noch – weil ich damit rechne, daß das Buch von Seger im Kreuzverhör vorgelegt wird –, daß dieses Buch unter anderem mit der Überschrift versehen war, nämlich der Eidesformel...


VORSITZENDER: Dr. Böhm! Wenn es im Kreuzverhör vorgelegt wird, so wird der Zeuge die Fragen, die ihm über das Buch vorgelegt werden, doch dann beantworten können.

Sie brauchen ein etwaiges Kreuzverhör nicht vorwegzunehmen.


RA. BÖHM: Jawohl. Ich darf nun weiter fragen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ist die von Seger aufgestellte Behauptung richtig, wonach der Gauleiter Löber, Dessau, erbost über die Entweichung Segers, Sie in Oranienburg aufgesucht und Sie geohrfeigt hat?

SCHÄFER: Nein, diese Behauptung ist nicht richtig. Ich habe den Gauleiter Löber niemals zu Gesicht bekommen und niemals kennengelernt. Löber ist nie in Oranienburg gewesen, und ich habe ihn auch zu anderen Gelegenheiten nie getroffen. Es hat auch niemals eine Auseinandersetzung daher zwischen uns beiden gegeben.

RA. BÖHM: Können Sie Ihre vor dem Gericht vertretene Auffassung, nach der die im Auslande verbreiteten falschen Berichte über Oranienburg geeignet waren, die Beziehungen zwischen den Völkern zu vergiften, durch Tatsachen belegen?


SCHÄFER: Ja. Immer, wenn im Ausland Artikel zum Beispiel über Oranienburg erschienen waren, habe ich eine Unsumme Droh- und Schmähbriefe bekommen, aus denen ich leider ersehen mußte, daß die ausgesprochenen Falschberichte, die über Oranienburg gegeben wurden, zu dem Erfolge geführt hatten, daß wildfremde Menschen, die ich nicht kannte und die auch mich nicht kannten, nunmehr sich veranlaßt fühlten, nicht nur mich allein, sondern [96] auch die von mir geführten SA-Männer und darüber hinaus auch leider das ganze deutsche Volk...


VORSITZENDER: Wovon sprechen Sie jetzt? Wann erschienen diese Artikel, und wann haben Sie Drohbriefe erhalten?


SCHÄFER: 1933, 1934.


VORSITZENDER: Diese Artikel sind dort erschienen, und Sie haben dann diese Briefe erhalten?


SCHÄFER: Jawohl.


RA. BÖHM: Welcher Befehlsgebung unterstanden die Wachmannschaften des Konzentrationslagers Oranienburg?


SCHÄFER: Sie unterstanden meiner Befehlsgebung als ihrem zuständigen SA-Führer.


RA. BÖHM: Und wem unterstand Oranienburg selbst?


SCHÄFER: Oranienburg unterstand, wie schon einmal gesagt, dem Regierungspräsidenten, das heißt den vorgesetzten Behörden des Regierungspräsidenten, dem Preußischen Innenministerium. Der Weg war so, daß die SA in ganz geringem Teile zur Dienstleistung innerhalb der SA-Hilfspolizei aufgerufen war; und nun war, vom Staat aus gesehen, der Weg so, daß dieser Staat – in diesem Falle das Preußische Innenministerium – sich der SA-Gruppe und diese wieder sich der SA-Brigade und -Standarte bediente, und mein vorgesetzter SA-Führer war ebenfalls Hilfspolizist. Auf diesem Wege erreichte mich dann also der entsprechende Befehl oder die entsprechende Weisung von oben. Es war also eine zweifache Unterstellung: Disziplinär der SA und in allen staatlichen Maßnahmen dem Staat direkt.


RA. BÖHM: Sie haben vor der Kommission erzählt, daß Sie diesen Befehl zur Errichtung dieses Lagers von der zuständigen SA-Standarte erhalten haben?


SCHÄFER: Jawohl.


RA. BÖHM: Wie ist das möglich?


SCHÄFER: Das entspricht diesem eben von mir aufgezeichneten Weg: Staat, SA-Gruppe, Standartenführer, als der Verantwortliche für die Einsetzung der Hilfspolizei. Und so habe ich über ihn, vom Staat her, den Auftrag zur Errichtung des Lagers bekommen.


RA. BÖHM: Welche Personen sind in das Lager Oranienburg gebracht worden?


SCHÄFER: Es wurde in allererster Linie natürlich der aktivistische Gegner in das Lager Oranienburg eingeliefert. Dann aber waren es auch Elemente der Bewegung und der SA, die durch ihr disziplinwidriges Verhalten eine derartige Einlieferung notwendig gemacht hatten. Es bestand zu diesem Zweck in Oranienburg eine eigene Festungsabteilung. Es sind aber auch zur [97] damaligen Zeit Denunzianten, die also aus eigenem Vorteil heraus handelten, aus eigenem persönlichen Vorteil heraus politische Gegner wider besseres Wissen zur Anzeige gebracht hatten, ebenfalls inhaftiert worden. Und dann ist eine kleine Gruppe von Menschen vorhanden gewesen, die wohl mit der NSDAP, das heißt mit der Partei sympathisierten, aber durch ihre Exterritorialität außenpolitische Schwierigkeiten hätten hervorrufen können. Ich erinnere zum Beispiel da an den Führer der russischen Nationalsozialisten in Berlin, der festgesetzt werden mußte in Oranienburg, weil er ausgesprochen politischen Unfug anrichtete. Das war ein Phantast, der auf diese Art und Weise einmal aus dem öffentlichen Leben für eine verhältnismäßig kurze Zeit immerhin gezogen werden mußte.


RA. BÖHM: Kann man sagen, daß aus den Kreisen, wie sie eben genannt worden sind, irgendein Aufstand zu erwarten war gegen die bestehende Regierung?


SCHÄFER: Jawohl, das bewiesen die Waffenfunde, die wir im Laufe der Zeit machten. Es handelte sich hierbei um recht ausgedehnte Waffenlager, die sich in einem sehr gepflegten Zustand befanden.


VORSITZENDER: Über die Einziehung der Waffen haben wir heute schon einmal gehört.


RA. BÖHM: Nein, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Ich habe es mir selbst aufgeschrieben. Ich habe es gehört.


RA. BÖHM: Ich will es unter keinen Umständen wiederholen lassen, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt:]


Es ist klar, daß in Zeiten der Revolution natürlich Übergriffe stattfinden. Nun, sind auch Übergriffe von Seiten der SA- und NSDAP-Angehörigen vorgekommen?

SCHÄFER: Das kann und soll doch nicht bestritten werden.

RA. BÖHM: Und wie erklären Sie sich diese Übergriffe?


SCHÄFER: Es handelt sich hierbei einmal um jene Gruppe von politischen Heißspornen, die in einer solchen Zeit des Umbruchs weit über das Maß des ihnen gesteckten Zieles hinausstießen. Es handelt sich aber auch; wie ich vorhin schon einmal eindeutig erklärt habe, um dunkle Elemente, die in die SA und in die Partei unkontrollierbar, weil sie von auswärts zugezogen waren, Einlaß gefunden haben.

Diese Elemente hatten natürlich zur Zeit des Umbruchs die beste Gelegenheit zur Begehung strafbarer Handlungen. Aber ich möchte hierbei betonen, daß von unserer Seite nichts unterlassen [98] worden ist, dort wirklich schärfstens durchzugreifen, wo uns derartige Übergriffe gemeldet wurden. Es hatte die Partei zu diesem Zweck ein eigenes Feldjägerkorps gegründet, das dafür bekannt war, daß es ohne Ansehen der Person und ohne Rücksicht auf Dienstrang und Stellung durchgriff.


RA. BÖHM: Auf welche Grundlage war eine Verhaftung und Verbringung in das Konzentrationslager zurückzuführen?


SCHÄFER: Der Verhaftung lag immer der Schutzhaftbefehl zugrunde.


RA. BÖHM: Von wem wurde der Schutzhaftbefehl gegeben?


SCHÄFER: Der Schutzhaftbefehl wurde durch die Politische Polizei beziehungsweise durch die Kreispolizeibehörde ausgestellt.


RA. BÖHM: Zu welcher Arbeit wurden die Leute in den Konzentrationslagern herangezogen?


SCHÄFER: Sie wurden zur Arbeit, die einmal dem Konzentrationslager selbst zu Nutzen kam, in der Verwaltung, und dann auch zu Landkultivierungsarbeiten herangezogen.


RA. BÖHM: Sind Klagen bei Ihnen als dem Kommandanten von den Häftlingen über eine unzulängliche Behandlung eingelaufen?


SCHÄFER: Mir persönlich, erinnere ich mich, sind Klagen nicht vorgetragen worden.


RA. BÖHM: Nun sind aber doch Mißstände bekanntgeworden. Sind Sie diesen nachgegangen?


SCHÄFER: Durch meine ständige Fühlungnahme mit den Inhaftierten – ich habe mich außerordentlich viel und lange im Lager aufgehalten – habe ich von gelegentlichen Mißständen erfahren, und ich kann hier die Versicherung abgeben, daß ich nichts unterlassen habe, um derartige Mißstände sofort, nachdem ich sie erfahren hatte, abzustellen.


RA. BÖHM: Fanden in der Zeit, in der dieses Konzentrationslager von SA bewacht wurde, irgendwelche Exekutionen statt?


SCHÄFER: Nein.


RA. BÖHM: Waren in diesem Lager Folterungs- oder Vernichtungsmaschinen zum Zwecke der Vernichtung von Menschen während Ihrer Kommandantur vorhanden?


SCHÄFER: Nein, auch nicht.


RA. BÖHM: Wer hatte die Bewachung des Lagers nach der Übergabe durch Sie?


SCHÄFER: Nach mir hatte die SA die Bewachung noch wenige Monate, etwa zwei Monate, und dann übernahm die SS Oranienburg.


[99] RA. BÖHM: Und haben Sie als erster Kommandant des Lagers etwas dazu zu sagen?


SCHÄFER: Die Übernahme des Lagers erfolgte nicht etwa wegen festgestellter Unzulänglichkeit oder Mißstände, sondern es war nach dem 30. Juni der SS vorbehalten, diese Konzentrationslager nun weiterzuführen. Es war der Reichsführer-SS Himmler, der dann die Konzentrationslager übernahm und fortan auch mit seinen Männern führte. Die SA schied also 1934 vollkommen aus diesen Konzentrationslagern aus.


RA. BÖHM: Ich möchte nun noch fragen, hatten Sie Veranlassung, auf Grund von eventuell vorgekommenen Übergriffen strafend gegen die Bewachungsmannschaften einzuschreiten?


SCHÄFER: Übergriffe wurden natürlich bestraft. Bei Übergriffen, die bedeutsam erschienen, war ich verpflichtet, diese der vorgesetzten Dienststelle, das heißt in diesem Falle dem Staat zur Kenntnis zu bringen. Ich habe gegen zwei Sturmbannführer und gegen einen Sturmführer, die mir zugeteilt waren, derartige Meldungen erstatten müssen. Es sind diese beiden Sturmbannführer und der Sturmführer sofort ihrer Ämter enthoben worden und in ein ordentliches Verfahren übergeleitet worden, was ihre Angelegenheit betraf.


RA. BÖHM: Haben Sie selbst Strafen verhängt und möglicherweise welche?


VORSITZENDER: Ist das nicht schon vor der Kommission besprochen worden?


RA. BÖHM: Zum Teil, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sie besprechen jetzt den Fall von drei Offizieren. Entweder ist er vor der Kommission besprochen worden oder nicht.


RA. BÖHM: Das ist vor der Kommission schon er wähnt worden. Was heute noch dazu kommen sollte, wäre die Frage gewesen, ob nicht auch SA-Männer und nicht nur diese drei Vorgesetzten bestraft und entlassen worden sind.


VORSITZENDER: Dann können Sie doch diese Sache mit den drei Offizieren auslassen.


RA. BÖHM: [zum Zeugen gewandt] Ist es richtig, daß neben diesen Vorgesetzten, von denen Sie vor der Kommission gesprochen haben, auch SA-Männer entlassen worden sind, die mit in diesem Zusammenhang standen?


SCHÄFER: Jawohl.


RA. BÖHM: Ist es richtig, daß Sie wegen der ordnungsgemäßen Führung des Lagers Oranienburg Chef des Strafvollzugs des Reichsjustizministers geworden sind?


[100] SCHÄFER: Ich bin durch die Preußische Justizverwaltung 1934 übernommen worden. Ich wurde nicht Chef des Reichsstrafvollzugs, aber ich übernahm den größten Betrieb innerhalb des Strafvollzugs, die Emsanlage, als Kommandeur. Ich wurde dann im Laufe des Jahres Strafanstaltsdirektor und bin dann im Strafvollzug geblieben.


RA. BÖHM: In diesem Zusammenhang ist es viel leicht notwendig zu prüfen, was Sie unter dem Begriff SA-Hilfspolizei verstanden.


SCHÄFER: Die SA-Hilfspolizei war, wie der Name besagt, ein Hilfsmittel der Polizei. Um die Revolution, wie befohlen, unblutig durchführen zu können, war es natürlich notwendig, daß eine stärkere Überwachung der Verhältnisse stattfand. Da die zur Verfügung stehenden Polizeikräfte nicht ausreichend waren, bediente sich der Staat einer verhältnismäßig kleinen Zahl von SA-Männern, die einen besonders guten polizeilichen Leumund zum Beispiel nachweisen mußten und in ihrer bisherigen Lebensführung einwandfrei gewesen sein mußten. Sie wurden durch alte und erfahrene Polizeibeamte in ihren Dienst eingewiesen und haben dann im Rahmen allgemeiner polizeilicher Dienstobliegenheiten ihren Dienst gemeinsam mit den Polizeibeamten versehen. Es war dies aber nur eine vorübergehende Maßnahme.


RA. BÖHM: Worin erblickten Sie als Kommandant des Lagers Oranienburg Ihre Aufgaben?


SCHÄFER: Es war meine Aufgabe, in allererster Linie das Lager zu führen, und zwar im Sinne der Sauberkeit und Korrektheit, und weiterhin war es meine Aufgabe, die Maßnahmen, die gegen die Inhaftierten ergriffen wurden, zu überwachen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Euer Lordschaft! Ich unterbreche das Verhör Dr. Böhms mit größtem Widerstreben. Aber ich kann nicht bemerken, daß er sich an die Instruktionen gehalten hat, die Euer Lordschaft der Verteidigung bei verschiedenen Gelegenheiten während der letzten Woche gegeben hat. Dieser Zeuge machte vor der Kommission Aussagen, die ich vor mir habe. Heute morgen bespricht Dr. Böhm diese Dinge viel ausführlicher als es vor der Kommission geschah. Wenn ich die Verfügung des Gerichtshofs richtig verstanden habe, dann soll der Verteidiger nicht wiederholen, was vor der Kommission schon behandelt worden ist, sondern soll die wichtigen Punkte auswählen, diese behandeln und so Euer Lordschaft und dem Gerichtshof Gelegenheit geben, den Zeugen zu beurteilen und seine Glaubwürdigkeit entsprechend einzuschätzen.

[101] Euer Lordschaft! Ich bitte ganz ergebenst, dieses entgegen den Regeln des Hohen Gerichtshofs sehr ausgedehnte Verhör etwas einzuschränken.


VORSITZENDER: Nun, Dr. Böhm, wenn Sie die Verfügung des Gerichtshofs in dieser Angelegenheit nicht beachten, müßte der Gerichtshof das Verhör dieses Zeugen einstellen. Sie müssen das im Auge behalten.

Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen und hofft, daß Sie nach der Pause die Verfügungen beachten werden, sonst würden wir, wie gesagt, das Verhör dieses Zeugen einstellen.


[Pause von 10 Minuten.]


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe mir die Anordnung des Gerichts, wonach die Zeugen über die Themen vernommen werden sollen, die vor der Kommission noch nicht besprochen worden sind, zu Herzen genommen. Aber der Fragebogen an den Zeugen hat sich deswegen etwas erweitert, weil die Punkte Seger ja besprochen werden mußten, die erst in allerletzter Zeit bekanntgeworden sind und der Zeuge Diels eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, zu der der Zeuge Stellung nehmen mußte.

Zur Zeit der Einvernahme dieses Zeugen vor der Kommission war der Fragebogen und die eidesstattliche Versicherung Diels' noch unbekannt.


VORSITZENDER: Es bestand kein Einwand gegen sein Verhör über das Affidavit. Das wurde in der Kommission ja nicht besprochen. Wir wollen nur nicht nochmals in alle Details eingehen, die bereits vor der Kommission behandelt worden sind.


RA. BÖHM: Ich habe jetzt ungefähr nur noch zehn Fragen an den Zeugen, Herr Präsident, und ich werde den Zeugen bitten, seine Antworten auf das kürzeste zu fassen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Bestand, Herr Zeuge, in der Zeit Ihrer Eigenschaft als Kommandant von Oranienburg über dieses Lager eine staatliche Überwachung?

SCHÄFER: Jawohl. Das Lager Oranienburg wurde durch den Regierungspräsidenten in Potsdam, durch den Polizeipräsidenten Helldorf, und durch höhere und höchste Beamte des Preußischen Ministeriums überwacht.

RA. BÖHM: Hatte auch die Kreispolizeibehörde ein Überwachungsrecht?


SCHÄFER: Ja. Ebenfalls der Landrat des Kreises Barnim.


RA. BÖHM: Wurden von diesen Stellen auch tatsächlich Kontrollen und Überprüfungen vorgenommen?


[102] SCHÄFER: Es haben des öfteren Kontrollen, und zwar sehr eingehende Kontrollen stattgefunden.


RA. BÖHM: Haben Ausländer und sonstige prominente Persönlichkeiten Gelegenheit gehabt, das Lager Oranienburg zu besuchen und Inhaftierte zu sprechen?


SCHÄFER: Es haben in weitgehendstem Umfange derartige Besuche in Oranienburg stattgefunden, und zwar waren daran beteiligt die ausländische Presse, inländische Presse, politisch daran interessierte Privatpersönlichkeiten des Auslandes in einer größeren Zahl, die auch Gelegenheit bekamen, sich hierbei mit den Inhaftierten. Völlig freimütig innerhalb des Lagers und auf den Arbeitsstellen zu unterhalten.


RA. BÖHM: Ist es richtig, daß Ihnen gelegentlich eines dieser Besuche vorgehalten worden ist: »Sie werden uns von diesem Lager lediglich das zeigen, was wir sehen sollen, und alles übrige bleibt uns vorenthalten.«


SCHÄFER: Das ist richtig, das ist mir vorgehalten worden, und ich habe daraufhin veranlaßt, daß die Betreffenden von selbst die Türen öffnen konnten, die sie zu öffnen wünschten. Es war in Oranienburg nichts zu verbergen, es war daher auch nichts zu verschweigen. Es konnten die Betreffenden selbst sich ein Urteil gründen, sie erhielten hierzu die Gelegenheit.


RA. BÖHM: Äußern Sie sich kurz über die Verpflegung in diesem Lager.


SCHÄFER: Die Verpflegung der Inhaftierten war gut, das beweisen durchwegs die Gewichtszunahmen der Inhaftierten. Es war auch sonst alles geschehen, was notwendig und erforderlich war, um die Inhaftierten in menschenwürdigen Verhältnissen zu halten. Sie hatten sogar ihre eigene Kantine, in der sie ihre täglichen Bedürfnisse befriedigen konnten.


RA. BÖHM: Und nun noch einige wenige Fragen über die Strafgefangenenlager in Emsland.

Weshalb sind diese Strafgefangenenlager entstanden?


SCHÄFER: Es bestand 1933 eine Überbelegung in den Strafanstalten Deutschlands, und zwar hervorgerufen zum größten Teil wohl auch durch die große soziale Not, die damals in Deutschland geherrscht hatte. Es war ein besonderer Wunsch des Ministerpräsidenten Göring damals, daß Inhaftierte an den großen Ems-Kultivierungen teilnehmen sollten, und es war die SS damals beauftragt worden, einige große Lager zu errichten, um dort die Inhaftierten in den Kultivierungsarbeiten zusammenzufassen. Aber die großzügige Weihnachtsamnestie des Ministerpräsidenten hat diese Aufgabe in Frage gestellt, und es ist damals dem preußischen Justizminister Kerrl die Möglichkeit eingeräumt worden, nunmehr [103] mit kriminellen Verbrechern die Lager zu füllen; das ist dann auch geschehen.


RA. BÖHM: Hatte die Oberste SA-Führung eine Befehlsgewalt über die Lager in Emsland?


SCHÄFER: Nein. Das war ein rein staatliches Lager, das einzig und allein der Reichsjustizverwaltung unterstand.


RA. BÖHM: Sie haben vorhin schon zum Ausdruck gebracht, daß es sich in diesem Lager um rein kriminelle Verbrecher handelte, die dort beschäftigt worden sind.


SCHÄFER: Jawohl.


RA. BÖHM: Und nun möchte ich noch eine letzte Frage an Sie stellen. Wieviel SA-Leute wurden im Konzentrationslager Oranienburg als Bewachungsmannschaften und als Beamte der deutschen Polizei beschäftigt?


SCHÄFER: Zu Beginn des Lagers waren es etwa 30 bis 40, zur Zeit der Höchstbelegung etwa 90.


RA. BÖHM: Können Sie mir sagen, wer vom Anfang an des Bestehens des Lagers Dachau dort die Bewachungsmannschaften gestellt hat?


SCHÄFER: Soviel ich weiß, war Dachau ein reines SS-Lager. SA ist in Dachau niemals tätig geworden.


RA. BÖHM: Ich habe weiter zunächst keine weiteren Fragen an diesen Zeugen, Herr Präsident.


MAJOR BARRINGTON: Zeuge! Sie wissen wahrscheinlich schon, wenn aber nicht, so können Sie mir glauben, daß während der letzten acht Monate dieser Gerichtshof eine große Menge von Beweisen über Konzentrationslager angehört hat.

Leugnen Sie jetzt, daß man schon im Jahre 1933 in ganz Deutschland die Konzentrationslager mit Schrecken betrachtet hat?


SCHÄFER: Ich habe, Herr Anklagevertreter, diese Frage nicht ganz verstanden.


MAJOR BARRINGTON: Ich werde sie wiederholen: Leugnen Sie, daß man schon im Jahre 1933 die Konzentrationslager in ganz Deutschland mit Schrecken betrachtet hat?


SCHÄFER: Es wird natürlich derjenige, der festgenommen wird, in jedem Falle damit einen persönlichen Schrecken empfinden, denn es ist allein die Fortnahme der Freiheit ja schon etwas, was ihn zu dieser Feststellung zwingt. Es lag aber keine Veranlassung vor, damals einen Schrecken vor dieser Inhaftierung zu empfinden.


MAJOR BARRINGTON: Sie haben heute morgen über den Reichstagsabgeordneten Herrn Gerhard Seger gesprochen. Er hat ein Buch über das Konzentrationslager Oranienburg geschrieben. [104] Ich werde jetzt nicht über das Buch sprechen, Sie erinnern sich aber, daß der Titel des Buches war: »Ein terrorisiertes Volk.« Erinnern Sie sich an diesen Titel?


SCHÄFER: Nein, Herr Anklagevertreter.


MAJOR BARRINGTON: Halten Sie das für einen zutreffenden Titel für ein Buch über Oranienburg?


SCHÄFER: Nein.


MAJOR BARRINGTON: Wäre es ein zutreffender Titel für die Konzentrationslager Wuppertal oder Hohnstein gewesen?


SCHÄFER: Dazu kann ich mich nicht äußern. Ich habe Wuppertal nie kennengelernt, und von Hohnstein weiß ich nur soviel, daß man dort schärfstens durchgegriffen hat, als Mißstände festgestellt worden sind, und es ist mir später bekanntgeworden, daß die leitenden Männer des Konzentrationslagers Hohnstein mit sehr langen Zuchthaus- und Freiheitsstrafen bestraft worden sind.


MAJOR BARRINGTON: Sie wissen aber auch, daß diese strengen Strafen in den ärgsten Fällen auf ungefähr die Hälfte herabgesetzt wurden. Das wissen Sie doch?


SCHÄFER: Nein, das ist mir nicht bekannt.


MAJOR BARRINGTON: Sie wissen doch auch, daß die Anzahl der in Hohnstein Verurteilten 25 war und daß der offizielle Bericht darüber feststellte, daß das nicht alle waren, die an den Ausschreitungen teilgenommen haben, sondern nur die führenden Leute. Wußten Sie das?


SCHÄFER: Das ist mir in den Einzelheiten nicht bekannt. Ich weiß nur, daß damals sehr scharf und energisch durchgegriffen worden ist.


MAJOR BARRINGTON: Und wußten Sie damals von den Greueltaten in Wuppertal und in Hohnstein? Damals wußten Sie doch von diesen Greueltaten, nicht wahr?


SCHÄFER: Nein.


MAJOR BARRINGTON: Sie wußten, daß diese Lager – oder jedenfalls wissen Sie es jetzt –, daß die SA diese Lager führte. Ist das richtig?


SCHÄFER: Nein, auch das habe ich nicht gewußt.


MAJOR BARRINGTON: Sie wußten nicht, daß die SA die Leitung hatte?

SCHÄFER: Nein, das weiß ich nicht.


MAJOR BARRINGTON: Schauen Sie sich ein Dokument an, Zeuge! – Es ist 787-PS, im Buch 16 A, auf Seite 16, Herr Vorsitzender. – Es ist ein Brief von Reichsjustizminister Dr. Gürtner an [105] Hitler, und am Anfang dieses Briefes beschreibt er die Mißhandlung von Gefangenen in Hohnstein einschließlich Folterungen durch einen Tropfapparat. Wenn Sie sich das Ende dieses Briefes ansehen, ungefähr zehn Zeilen vor Schluß, so werden Sie sehen, daß er über den hauptschuldigen SA-Mann, einen gewissen Vogel, spricht:

»Er hat durch seine Handlungsweise die verurteilten SA-Führer und -Männer in ihrem Tun bestärkt....«

Das zeigt doch, daß die Ausschreitungen in Hohnstein durch SA-Leute begangen wurden. Stimmt das nicht?

SCHÄFER: Herr Anklagevertreter! Es ist mir natürlich im Laufe einer kurzen Minute nicht möglich, ein fünf Seiten langes Schreiben durchzulesen. Ich möchte hierzu nur erklären, daß mir später bekanntgeworden ist, daß gegen die SA-Führer und SA-Männer, die sich in Hohnstein vergangen haben, entsprechend scharf durchgegriffen worden ist.

Ich möchte aber auch darauf hinweisen, daß es der Reichsjustizminister Dr. Gürtner selbst gewesen ist, der mich als einen ihm bekannten SA-Führer in seinen Strafvollzug übernommen hat. Er hat also damit nicht etwa das verallgemeinert, was er hier als Einzelfall in seinem Schreiben an den Führer zur Kenntnis gebracht hat. Es handelt sich ja nur um Einzelfälle, die auch entsprechend bestraft worden sind.


MAJOR BARRINGTON: Zeuge! Wenn Sie sagen, Sie wüßten nicht, was in Hohnstein und Wuppertal damals vorging, lassen Sie mich folgendes fragen: Sie kannten doch Gürtner ziemlich gut, nicht wahr?


SCHÄFER: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Und Sie kannten auch Kerrl ziemlich gut, nicht wahr?


SCHÄFER: Jawohl.


MAJOR BARRINGTON: Kerrl war doch Lutzes Onkel?


[Keine Antwort.]


MAJOR BARRINGTON: War Kerrl nicht Lutzes Onkel?

SCHÄFER: Ich weiß, daß er in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Lutze stand, in welchem, ist mir allerdings nicht bekannt.

MAJOR BARRINGTON: Und überdies war er auch ein sehr begeisterter Nazi, der Kerrl, nicht wahr?


SCHÄFER: O ja.


MAJOR BARRINGTON: Haben Sie sich mit Kerrl nicht über diese Konzentrationslager unterhalten, diese anderen Konzentrationslager? Sie waren der Kommandant des ersten Konzentrationslagers in Oranienburg. Sprachen Sie mit ihm nicht über die anderen, die damals plötzlich entstanden, die anderen Konzentrationslager?


[106] SCHÄFER: Nein.


MAJOR BARRINGTON: Haben Sie sich mit Gürtner darüber unterhalten?


SCHÄFER: Auch hierzu bestand keine Veranlassung. Aber ich möchte hierzu erklären, daß es gerade der preußische Justizminister Kerrl gewesen ist, der bei seinen mehrfachen Besuchen in Oranienburg mich ausgesucht hat auf Grund der Tatsache, daß Oranienburg sauber und ordentlich gelenkt schien und mich seinerzeit als Kommandeur der Strafgefangenenlager eingesetzt hat.


MAJOR BARRINGTON: Dazu kommen wir in einer Minute. Ich behaupte, daß es gerade deshalb war, weil Kerrl sich für Sie interessierte, daß er Sie tatsächlich später mit Ihrer Stellung in dem Strafgefangenenlager betraute. Gerade deshalb behaupte ich, daß Sie wahrscheinlich das ganze Problem mit ihm durchgesprochen haben. Ja oder nein?


SCHÄFER: Nur insofern, als es das Konzentrationslager Oranienburg anbelangte.


MAJOR BARRINGTON: Gewiß.


SCHÄFER: Ich entsinne mich...


MAJOR BARRINGTON: Sprachen Sie mit dem Polizeipräsidenten Graf Helldorf über das allgemeine Problem der Konzentrationslager?


SCHÄFER: Auch nur, soweit es Oranienburg betraf; da allerdings eingehend.


MAJOR BARRINGTON: Aha! Und Sie sagen, daß keine dieser Ausschreitungen sich in Oranienburg zugetragen hat, nicht wahr?


SCHÄFER: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Nun, ich habe hier eine eidesstattliche Versicherung von Rudolf Diels, die er heute morgen beschworen hat, als Sie Ihre Aussage begonnen haben. Ich möchte ein kleines Stück davon verlesen, und Sie können sagen, ob das wahr ist oder nicht.

Hoher Gerichtshof! Das ist Dokument D-976, es wird GB-595. Rudolf Diels sagt:

»...erhielt ich von verschiedenen Seiten... Klagen über Mißhandlungen in Konzentrationslagern durch SA-Männer. Ich erfuhr, daß die SA-Wachmannschaften folgende Personen im Konzentrationslager Oranienburg schwer mißhandelt hätten: Herrn Ebert, den Sohn des früheren Reichspräsidenten, Ernst Heilmann, den Führer der Preußischen Sozialdemokraten, den Reichstagspräsidenten Paul Loebe und den Oberpräsidenten Lukaschek.«

[107] Und dann geht es weiter:

»Ich selbst habe die Feststellung über die Mißhandlungen bei einer Inspektion von Oranienburg gemacht. Der Kommandant war damals der SA- Führer Schäfer. Für eine Welle besserten sich die Verhältnisse nach meinem Eingreifen, dann wurde es wieder schlimmer. Mir selbst gelang es nicht, Schäfer zu entfernen, weil die SA-Führung ihn deckte.«

Ist das wahr oder nicht? Haben Ihre Leute Herrn Ebert, Herrn Heilmann, Paul Loebe und Lukaschek mißhandelt? Mißhandelten sie sie oder nicht?

SCHÄFER: Ich bitte, hierzu eine Erklärung abgeben zu dürfen, und zwar folgende:...

MAJOR BARRINGTON: Sagen Sie ja oder nein.


SCHÄFER: Das kann ich nicht.

MAJOR BARRINGTON: Geben Sie freundlichst eine Erklärung ab.


SCHÄFER: In dieser Form kann ich keine Erklärung abgeben. Herr Loebe hat nie in Oranienburg eingesessen. Herr Lukaschek hat ebenfalls meines Wissens niemals in Oranienburg eingesessen. Hier irrt also Herr Diels ganz entschieden. Es ist zutreffend, daß der Sohn des Reichspräsidenten Ebert einsaß. Es ist ebenfalls zutreffend, daß Heilmann einsaß. Aber hier möchte ich kurz erklären, daß beide Männer, Ebert wie Heilmann, von Mitinhaftierten nach ihrer Einlieferung mißhandelt worden sind und daß ich daraufhin selbst dafür Sorge getragen habe, daß sie aus dem Kreis jener Gefangenen, die sich an ihnen vergriffen haben, abgesondert wurden. Ebert selbst ist frühzeitig entlassen worden, und zwar wenige Wochen nach seiner Inhaftierung. Ebert und Heilmann haben mir persönlich niemals Klagen vorgebracht. Über die Mißhandlung durch Mitinhaftierte habe ich von dritter Seite erfahren und habe dies sofort abgestellt.


MAJOR BARRINGTON: Vor der Kommission sagten Sie aus, Zeuge, es sei Ihr Bestreben gewesen, das Leben der Häftlinge in Oranienburg menschenwürdig zu gestalten. Erinnern Sie sich, der Kommission gesagt zu haben »ein menschenwürdiges Leben«? Und ist das das Leben, das Sie Ebert und Heilmann bereiteten?


[Keine Antwort.]


MAJOR BARRINGTON: Ich vermute, die Antwort ist Ja, nicht wahr?

SCHÄFER: Herr Anklagevertreter! So einfach kann ich auch diese Frage nicht beantworten. Ich habe keine Erklärung abgegeben, wonach ich Ebert und Heilmann in menschenwürdige Verhältnisse gebracht hätte, sondern ich entsinne mich sehr genau, eben [108] gesagt zu haben, daß ich dafür gesorgt habe, daß sie nicht weiteren Mißhandlungen durch Mitinhaftierte ausgesetzt waren.


MAJOR BARRINGTON: Ich habe nicht gefragt, was Sie jetzt aussagten. Ich fragte Sie, was Sie vor der Kommission gesagt haben. Und Sie sagten vor der Kommission, Sie hätten sich bemüht, den Insassen ein menschenwürdiges Leben zu bereiten, nicht wahr?


SCHÄFER: Selbstverständlich.


MAJOR BARRINGTON: Erinnern Sie sich daran, daß Sie das gesagt haben?


SCHÄFER: Jawohl.


MAJOR BARRINGTON: Bereiteten Sie nun Heilmann und Ebert ein menschenwürdiges Leben?


SCHÄFER: Jawohl.


MAJOR BARRINGTON: Wirklich?


SCHÄFER: Ich habe ihnen niemals etwas vorenthalten, was irgendwie nicht etwa mit menschlicher Würde zu tun gehabt hätte. Sie haben selbstverständlich das Leben so geführt, wie jeder Inhaftierte es in einem solchen Lager führen muß.


MAJOR BARRINGTON: Aber Sie sagten...


SCHÄFER: Es ist wohl verständlich, Herr Anklagevertreter...


MAJOR BARRINGTON: Nach Ihrer eigenen Aussage wußten Sie, daß dies ein Lager für eine beträchtliche Zahl prominenter Personen war. Sie sagten, daß Sie ihnen allen ein menschenwürdiges Leben bereiten wollten. Aber verlieren wir keine Zeit damit. Lassen Sie mich Ihnen Ihr eigenes Buch zeigen.

Euer Lordschaft! Das ist 2824-PS, Beweisstück US-423. Das Buch ist von dem Zeugen selbst geschrieben und trägt den Titel »Konzentrationslager Oranienburg«, veröffentlicht im Jahre 1934.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich möchte, daß Sie sich zuerst Seite 23 ansehen, Herr Zeuge!

SCHÄFER: Ja, ich habe die Seite.

MAJOR BARRINGTON: Nun, auf dieser Seite schreiben Sie in ziemlich sarkastischem Ton über die Leute, die in die Lager kamen. Sehen Sie die ganz kurze Stelle, wo Sie sagen – und ich denke, dies faßt Ihre ganze Einstellung über Ihr Lager zusammen:

»...war endlich der Augenblick gekommen, wo unsere alten SA-Männer einigen dieser besonders politisch exponiert gewesenen Hetzern das Gedächtnis stärken konnten.«

Sehen Sie das?


[Keine Antwort.]


[109] MAJOR BARRINGTON: Die Übersetzung mag nicht ganz genau mit Ihrem Buch übereinstimmen; aber sehen Sie die Stelle? Sie steht in Klammern.

SCHÄFER: Ich habe diesen Absatz, ja.


MAJOR BARRINGTON: Nun, was meinen Sie damit, daß Ihre alten SA-Männer diesen Hetzern das Gedächtnis auffrischten? Ich dachte, Sie hätten eben gesagt, es seien andere Lagerinsassen gewesen, die deren Gedächtnis auffrischten? Waren es aber nicht Ihre eigenen SA-Männer, die das Gedächtnis Eberts und Heilmanns auffrischten?


SCHÄFER: Hierzu möchte ich aber noch...


MAJOR BARRINGTON: Nun, Sie schrieben es! Lassen Sie mich Ihr Gedächtnis ein bißchen auffrischen. Sehen Sie auf Seite 173.

Herr Vorsitzender! Ich bedauere sehr, daß diese Stellen nicht übersetzt wurden. Ich habe sie erst heute morgen nachgesehen.


VORSITZENDER: Sie sollten ihn die andere Frage beantworten lassen, die Sie ihm über Seite 23 stellten.


MAJOR BARRINGTON: Ich bitte um Verzeihung, Herr Vorsitzender. Ich habe nicht gemerkt, daß der Zeuge etwas sagen wollte.

Zeuge! Sie wollten etwas über die Stelle auf Seite 23 sagen, nicht wahr?


SCHÄFER: Ja, ja. Dieser Satz, Herr Anklagevertreter, ist aus dem Zusammenhang herausgegriffen. Man müßte, um diesen Satz richtig verstehen zu können, natürlich den ganzen Abschnitt lesen; denn so, wie er hier natürlich herausgegriffen ist, wird er – ich bitte, mich hier richtig zu verstehen – in Ihrem Sinne, also im Sinne der Anklagevertretung ausgesprochen, natürlich...


MAJOR BARRINGTON: Nun, geben Sie dem Gerichtshof kurz den Sinn des Zusammenhanges an. Sagen Sie uns, was der Sinn des Zusammenhanges ist.


SCHÄFER: Ich kann natürlich jetzt der Anklagevertretung nicht den ganzen Abschnitt erzählen, nachdem sie nur einen derartigen Satz vorgelegt hat. Ich darf Ihnen aber hierzu nur eines sagen, daß, wenn ich von Menschenwürde gesprochen habe, ich es nicht doppelsinnig, sondern es ganz eindeutig getan habe und der Satz hier, aus dem Zusammenhang gegriffen, nicht das Gegenteil beweist.


MAJOR BARRINGTON: Gut, dann übergehe ich diese Stelle. Blättern Sie bitte auf Seite...


VORSITZENDER: Was meinen Sie, welches der Zusammenhang ist? Aus welchem Zusammenhang wurde es gerissen? Was verstehen Sie unter »ihr Gedächtnis auffrischen«?


[110] SCHÄFER: Gestatten, Euer Lordschaft, daß ich vielleicht für mich allein die Zusammenhänge nochmals kurz durchlese. Mir ist mein Buch natürlich nicht mehr so gegenwärtig. Ich muß zu diesem Zweck, um diese Frage beantworten zu können, mir einmal den etwas erweiterten Absatz durchlesen. Dann kann ich vielleicht eine entsprechende Antwort geben, die Euer Lordschaft wünscht.


VORSITZENDER: Sie sagen also, Sie wüßten nicht, was Sie mit »ihr Gedächtnis auffrischen« meinen?


SCHÄFER: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Lassen Sie mich Ihnen ein wenig dadurch helfen, daß ich Sie auf eine andere Stelle, nicht weit davon, verweise. Schlagen Sie Seite 25 auf, und Sie sehen dort eine Stelle in Klammern:

»Selten habe ich so fabelhafte Erzieher gesehen wie meine alten SA-Männer, die, selbst zum Teil dem proletarischen Milieu entstammend, mit außerordentlicher Hingabe sich dieser besonders flegelhaft auftretenden kommunistischen Radauhelden annahmen.«

Ist nicht die Stärkung des Gedächtnisses der Provokateure – in Wirklichkeit dasselbe wie Erziehung – die fabelhafte Erziehung, die Ihre alten SA-Männer ihnen gaben? Was ist diese Erziehung, wenn Sie nicht wissen, was Sie mit »Stärkung ihres Gedächtnisses« meinten? Was meinten Sie mit »fabelhafter Erziehung«?

SCHÄFER: Herr Anklagevertreter! Was Sie sagen wollen, empfinde ich. Sie wollen damit wohl von mir hören, daß ich hier eine Erklärung abgebe, wonach Mißhandlungen stattgefunden hätten.

So habe ich Sie wohl richtig verstanden. Ich möchte hier aber erklären...


VORSITZENDER: Beantworten Sie bitte die Frage. Die Frage ist: Was meinen Sie mit der Erziehung, von der Sie gerade gesprochen haben?


SCHÄFER: Eine Erziehung durch das persönliche Beispiel gegeben, Euer Lordschaft. Das meine ich damit, nicht eine Erziehung durch Mißhandlungen oder ähnliche Übertretungen.


MAJOR BARRINGTON: Schauen Sie sich nochmals Seite 23 an. Da ist ein anderer Absatz in Klammern. Haben Sie ihn?


SCHÄFER: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Er lautet:

»Zu verschweigen, daß einige der Verhafteten keine allzusanfte Behandlung inzwischen erfahren hatten, wäre töricht und auch völlig unverständlich. Unverständlich insofern, als eine derartige Behandlung einer dringenden Notwendigkeit entsprach.«

[111] Welches war denn die dringende Notwendigkeit einer nicht zu sanften Behandlung der Gefangenen? Wollen Sie sagen, daß es eine rein disziplinäre Behandlung war? Das steht auf derselben Seite, von der ich zuerst vorgelesen habe, auf der gleichen Seite, wo von der »Stärkung ihres Gedächtnisses« die Rede ist.

Gut, ich will diese Stelle sein lassen und zu Seite 173 übergehen.

SCHÄFER: Ich hätte gerne noch eine Antwort darauf gegeben, Herr Anklagevertreter! Ich habe hier in diesem Buch ganz offen über diese Dinge geschrieben; und ich stehe auch nicht an, zu erklären, daß es in ganz wenigen vereinzelten Fällen notwendig geworden war, daß Gefangene, die entsprechend auftraten, auch entsprechend behandelt wurden. Ich habe keine Veranlassung zu verschweigen – und ich habe es auch in meinem Buch nicht getan –, daß derartige ausgesprochen renitente Radaubrüder – anders kann ich sie nicht bezeichnen – entsprechend dann natürlich auch zur Ordnung gerufen werden mußten.

MAJOR BARRINGTON: Sie schrieben Ihr Buch in einer ziemlichen Begeisterung für ein nazifiziertes Deutschland im Jahre 1934, nicht wahr? Wenden Sie sich nun Seite 173 zu.


SCHÄFER: Ich möchte auch hierzu eine Erklärung abgeben...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte wissen, wie Sie die Leute behandelt haben. Sie sagten, in gewissen Fällen mußten Häftlinge »entsprechend« behandelt werden. »Entsprechend« soll wohl bedeuten »nicht zu sanft«? Das meinten Sie wohl?

SCHÄFER: Euer Lordschaft! Die Frage ist einfach so zu beantworten: Wenn ein Inhaftierter mit Brutalität – und es hat auch derartige Fälle gegeben – glaubte, seinen Willen noch durchsetzen zu müssen, dann war es meine Pflicht, ihn darauf nachdrücklich hinzuweisen, daß er in diesem Augenblick ein Recht hierzu nicht besaß.


MAJOR BARRINGTON: Nun erzählen Sie doch dem Gerichtshof so kurz wie möglich, was Sie gerade gegen Ebert und Heilmann hatten? Was machten Sie ihnen denn zum Vorwurf, das eine solche Behandlung erforderlich machte?


SCHÄFER: Ebert und Heilmann haben eine besondere Behandlung in diesem Sinne nicht erfahren. Wir hatten auch keine Veranlassung, sie irgendwie besonders zu behandeln. Sie sind auch nicht etwa besonders behandelt worden, wie ich vorhin schon erklärt habe, aber...


MAJOR BARRINGTON: Setzen Sie nur fort.


SCHÄFER: Sie sind beide normal behandelt worden, und sie können beide nicht irgendwie erklären, daß sie anders behandelt worden wären. Mir ist jedenfalls nichts bekannt.


[112] MAJOR BARRINGTON: Sehen wir, wie die Normalbehandlung war. Gehen Sie über auf Seite 173. Haben Sie Seite 173? Lesen Sie den Teil in Klammern.


SCHÄFER: Jawohl.


MAJOR BARRINGTON: Ich lese die Übersetzung:

»Und dann, am nächsten Tag, in Drillichhose und Rock, Ebert mit Schaufel und Heilmann mit Besen, auf dem Vorhof des Lagers, bereit zur Arbeit. Nichts war für die Häftlinge des Lagers so wohltuend, als der Anblick ihrer Prominenten – wie sie jetzt, gleichgeschaltet mit ihnen, einen Weg, eine Straße gingen – zur Arbeit.«

Das nennen Sie gleiche Behandlung, Normalbehandlung, nicht wahr?

SCHÄFER: Herr Anklagevertreter! Jeder Inhaftierte des Lagers bekam zur Schonung seiner eigenen Bekleidungsgegenstände zur Arbeit eine Drillichhose und einen Rock. Das bekam jeder, und wir machten und konnten Ebert und Heilmann gegenüber keine Ausnahme machen. Im übrigen haben beide, soweit ich mich heute noch entsinne, darum gebeten, an der körperlichen Arbeit teilnehmen zu können, was ihnen auch gewährt worden ist.

MAJOR BARRINGTON: Sie wissen, nehme ich an, daß Heilmann schließlich als Krüppel in einem Konzentrationslager verschied, nicht wahr?


SCHÄFER: Nein, das weiß ich nicht.

MAJOR BARRINGTON: Sie und Ihre SA-Männer schufen und leiteten das Lager Oranienburg auf einen Befehl hin, der ursprünglich von Göring als preußischen Innenminister gegeben worden war, nicht wahr? Ihre Befehle kamen doch von dort auf dem SA-Dienstwege?


SCHÄFER: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Und Sie erzählten dem Gerichtshof, daß die SA, die das Lager unter Ihrer Leitung betreute, der Polizei unterstellt war, und daß sie zu diesem Zwecke Hilfspolizisten wurden. Das haben Sie doch ausgesagt?


SCHÄFER: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Sagen Sie mir folgendes: Warum wählte Ihrer Ansicht nach Göring SA-Männer für diese Aufgabe aus? War es deswegen, weil die reguläre Polizei es nicht tun wollte?


SCHÄFER: Nein, Herr Anklagevertreter! Vorhin habe ich eingehend ausgeführt, daß die zur Verfügung stehenden Polizeikräfte nicht ausreichend waren, um das zu gewährleisten, was der Führer [113] in seinem Befehl zur Durchführung einer unblutigen Revolution verlangt hatte; und zu diesem Zweck bediente sich das Preußische Innenministerium der ausgewählten SA-Männer als Hilfspolizei.

MAJOR BARRINGTON: Nun, nehmen wir an, daß die reguläre Polizei ausreichend gewesen wäre. Wollen Sie dem Gerichtshofe erklären, daß dann, wenn die reguläre Polizei diese Lager Oranienburg, Wuppertal und Hohnstein unter sich gehabt hätte, wollen Sie behaupten, daß sich diese Ausschreitungen ereignet hätten, wenn die reguläre Polizei diese Lager geleitet hätte? Würden Sie selbst die vereinzelten Zwischenfälle, von denen Sie sprachen, gehabt haben, wenn die reguläre Polizei sie geleitet hätte?


SCHÄFER: In Oranienburg, Herr Anklagevertreter, waren vom ersten Tage des Bestehens an Polizeibeamte. Wie das in Wuppertal gewesen ist, weiß ich nicht. Aber ich erkläre hiermit, daß kein SA-Führer oder SA-Mann, der in einem Einzelfall sich einen Übergriff zuschulden kommen ließ, das irgendwie befehlsgemäß gemacht hat, sondern dann hat er das von sich selbst aus getan. Es schützte ihn dann aber kein Befehl, es schützte ihn aber auch seine Handlung vor einer Strafe nicht, die er dann erhielt.


MAJOR BARRINGTON: Ich behaupte, Zeuge, daß die SA aus dem ganz einfachen Grunde zur Führung Oranienburgs erwählt wurde, weil die Bewegung allein der SA vertrauen konnte, daß sie brutal genug für das Lager Oranienburg sein würde. Stimmen Sie mit mir darüber überein oder nicht?

SCHÄFER: Nein, da kann ich mit Ihnen nicht übereinstimmen.


MAJOR BARRINGTON: Wenn Sie vergessen haben, was Göring damals von der regulären Polizei, dachte, dann möchte ich Ihnen ein kurzes Zitat aus einer Rede vorlesen, die er am 3. März 1933 hielt. Das muß also gerade um die Zeit gewesen sein, als er den Befehl zur Gründung des Lagers Oranienburg gab?

Herr Vorsitzender! Das ist Dokument 1856-PS – Dokumentenbuch 16 A, auf Seite 28 – US-437.


[Zum Zeugen gewandt:]


Was Göring gerade zu der Zeit, als er Ihnen den Befehl zur Gründung Oranienburgs gab, sagte, war folgendes:

»Volksgenossen, meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche juristischen Bedenken. Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendeine Bürokratie. Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts! Dieser Kampf, Volksgenossen, wird ein Kampf gegen das Chaos sein, und solch einen Kampf führe ich nicht mit polizeilichen Machtmitteln. Das mag ein bürgerlicher Staat [114] getan haben. Gewiß, ich werde die staatlichen und polizeilichen Machtmittel bis zum äußersten auch dazu benutzen, meine Herren Kommunisten, damit Sie hier nicht falsche Schlüsse ziehen, aber den Todeskampf, in dem ich euch die Faust in den Nacken setze, führe ich mit denen da unten, das sind die Braunhemden.«

Haben Sie diese damalige Rede je gelesen oder von ihr gehört? Es sieht nicht so aus, als ob Göring von der regulären Polizei viel gehalten hätte, als er die Gründung Oranienburgs befahl, nicht wahr? Wollen Sie dem Gerichtshof erzählen, daß Göring nach dieser seiner Rede ein Lager schaffen wollte, das so mild, menschlich und gerecht war, wie Sie es in Ihrer Aussage zu beschreiben versuchen?

SCHÄFER: Ich kenne diese Rede nicht, Herr Anklagevertreter. Ich lese aber, daß sie am 3. März 1933 gehalten worden sein soll. Zur damaligen Zeit bestand das Lager Oranienburg noch nicht und war auch noch gar nicht irgendwie im Entstehen begriffen oder geplant.

MAJOR BARRINGTON: Es wurde im gleichen Monat ins Dasein gerufen.


SCHÄFER: Ende März, jawohl.


MAJOR BARRINGTON: Nun, Zeuge, werde ich Ihnen in einem Satz die Wahrheit über Oranienburg sagen: Als Sie das Konzentrationslager Oranienburg zuerst einrichteten, war es ein gewöhnliches, brutales SA-Konzentrationslager. Aber im Spätsommer 1933 entschieden Sie sich, es als Modell-Konzentrationslager zu verwenden, um dem Ausland zu zeigen, wie mild und gerecht das System der Konzentrationslager war. Ist das richtig oder falsch?


SCHÄFER: Nein, Herr Anklagevertreter, das stimmt nicht. Das stimmt in keiner Weise, und ich könnte ja heute – und es ist in meiner Situation dann am beweiskräftigsten, wenn ich das vor aller Öffentlichkeit sage –, ich könnte die ersten Gefangenen des Lagers Oranienburg, die unter meiner Führung damals dort lebten, hier als Zeugen aufrufen, daß ich nicht bereit gewesen wäre, nur des äußeren Eindruckes wegen ein Modell-Lager zu schaffen; sondern mir ist anständige Führung eines solchen Lagers ein inneres Bedürfnis gewesen, und ich bitte, auch hiervon zur Kenntnis zu nehmen, daß mir das nicht etwa eine aus der Vernunft zugewachsene Frage ist, Herr Anklagevertreter, sondern eine Angelegenheit meines inneren Empfindens. Ich möchte daraufhin noch das eine anknüpfen, daß es mir, der aus dem politischen Kampf, der sehr schwer war in Deutschland, herkam, nicht unbekannt geblieben war, daß man durch die Schaffung des Typs von Märtyrern seine eigene Stellung nicht stärkt. Also konnte ich logischerweise [115] an der Schaffung von Märtyrern keineswegs interessiert sein und war auch daran nicht interessiert.


MAJOR BARRINGTON: Nun, schrieben Sie Ihr Buch nicht mit aus dem Gedankengang heraus, mit Ihrem Modell-Lager die Ausländer zu überzeugen? Ist das nicht ein Teil der Grundidee Ihres Buches? Es wurde geschrieben, um irgendwie Ausländer zu überzeugen, nicht wahr? Das haben Sie, wie Sie wohl wissen, vor der Kommission gesagt.


SCHÄFER: Sehr richtig, ich sagte es..., ich bitte um Verzeihung, ich möchte diese Erklärung zu Ende führen. Ich sagte es damals aus, so wie ich es jetzt aussage: Dieses Buch ist von mir bewußt geschrieben worden, um den lügenhaften Berichten – anders kann ich es nicht bezeichnen –, die im Auslande über dieses Lager erschienen waren, pflichtgemäß entgegenzutreten. Das ist meiner Auffassung nach mein gutes Recht gewesen, das ich hier für mich in Anspruch nehmen durfte.


MAJOR BARRINGTON: Wer hat Sie beauftragt, dieses Buch zu schreiben? War es Göring? Hat Göring Ihnen vorgeschlagen, dieses Buch zu schreiben?


SCHÄFER: Hier kann ich mit aller Offenheit erklären, daß ich von keiner Seite den Auftrag bekommen habe, dieses Buch zu schreiben, sondern...


MAJOR BARRINGTON: Haben Sie sich mit Göring darüber ausgesprochen?


SCHÄFER: Nein! Ich glaube, daß Herr Göring mich heute wohl zum erstenmal sieht, und ich sehe ihn heute auch zum erstenmal auf diese Entfernung. Wir haben uns nie ausgesprochen über diese Dinge.


MAJOR BARRINGTON: Haben Sie den preußischen Justizminister zu Rate gezogen, als Sie Ihr Buch schrieben?


SCHÄFER: Nein! Ich habe eben schon eindeutig erklärt, Herr Anklagevertreter, daß ich mich mit keiner dritten Seite irgendwie über dieses Buch unterhalten habe, sondern daß ich es geschrieben habe, als mir eine Unsumme von derartigen Zeitungsberichten zugeleitet worden war und ich daraufhin aus mir selbst heraus einmal eine Rechtfertigung für das Lager Oranienburg schaffen wollte. Ich habe mich auch verpflichtet gefühlt...


MAJOR BARRINGTON: Nun, erzählen Sie über diese Zeitungsberichte. Waren das nur abfällige Kritiken über Oranienburg oder auch über andere Lager? War Oranienburg das einzige, das kritisiert wurde? Vielleicht war es so.


SCHÄFER: Die Artikel? Ich habe die erste Erklärung hier in meinem Kopfhörer nicht mitbekommen, Herr Anklagevertreter.

[116] MAJOR BARRINGTON: Sie haben uns von vielen feindseligen Zeitungsartikeln erzählt, die eine Zurückweisung erforderten. Waren sie nur feindselig gegen Oranienburg oder auch gegen andere Lager?


SCHÄFER: Soweit ich in meinem Buch Stellung genommen habe, habe ich natürlich nur zu diesen Artikeln Stellung genommen, die sich mit Oranienburg beschäftigt haben. Mit anderen Lagern habe ich mich nicht befaßt.


MAJOR BARRINGTON: Das habe ich Sie nicht gefragt. Gab es andere Artikel über andere Lager? Sind Ihnen irgendwelche Artikel über andere Lager zu Gesicht gekommen?


SCHÄFER: Dessen entsinne ich mich nicht. Ich bekam nur die Artikel zugeleitet, die Oranienburg betrafen.


MAJOR BARRINGTON: Wer hat sie Ihnen zugeleitet? Göring?


SCHÄFER: Diese Artikel habe ich von allen möglichen Bevölkerungsschichten zugesandt bekommen und auch zum Teil von Ausländern, die daran interessiert waren, daß ich einmal Einblick gewinne in ihre Pressenotizen.


MAJOR BARRINGTON: Nun, einer dieser Artikel erschien in der englischen Tageszeitung »Times«. Stimmt das? Sie haben ihn in Ihrem Buch abgedruckt. Dieser Artikel war sehr feindselig gegen Oranienburg.

Herr Vorsitzender! Auszüge dieses Artikels befinden sich im Dokumentenbuch 16 A, Seite 35. Es ist Dokument Nummer 2824a-PS.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich will Ihnen nur zwei oder drei kurze Auszüge zeigen, weil ich behaupten werde, daß diese absolut der Wahrheit entsprechen; es ist, glaube ich, auf Seite 112 Ihres Buches:

»... wir kamen in das Konzentrationslager in Oranienburg... Über drei Stunden mußten wir in Reih und Glied stramm stehen; wer sich setzen wollte, wurde geschlagen... Jeder bekam einen kleinen Topf mit Kaffee und ein Stück Schwarzbrot, unsere erste Nahrung an diesem Tage.«

Dann etwas weiter unten:

»Prominente Gefangene wurden öfters geschlagen wie die anderen; doch erhielt jedermann seinen vollen Anteil an Schlägen...«

Und noch etwas weiter unten:

»Sie bekamen es auch fertig, sie vollständig mit schwarzer Schuhwichse einzureiben und überzeugten sich am nächsten Tage, ob auch alles abgewaschen war.«

[117] Und schließlich:

»Die meisten der Gefangenen durften kein Wort über die empfangenen Schläge sagen; aber alle Nächte konnten wir ihre Schreie hören. Wer entlassen wurde, hatte zwei Schreiben zu unterzeichnen, ein weißes, in dem stand, daß die Behandlung im Lager gut war, und ein blaues...«

Dieser Artikel erwähnt auch unter anderen wohlbekannten Häftlingen einen gewissen Dr. Levy. Ist das richtig? Erinnern Sie sich an Dr. Levy?

SCHÄFER: Jawohl.

MAJOR BARRINGTON: In Ihrem Buch, veröffentlichten Sie nach dem Artikel der »Times« auch einen von Dr. Levy am 25. September 1933 an die »Times« gerichteten Brief, in welchem Dr. Levy – ungefähr sechs Tage nach Erscheinen dieses Artikels – verneinte, daß es irgendwelche Greueltaten in Oranienburg gäbe. Können Sie diesen Brief finden?


SCHÄFER: Ja.


MAJOR BARRINGTON: Dieser Brief des Dr. Levy wurde in Potsdam geschrieben? Ist das richtig? Unterhalb der Adresse steht: »Potsdam«.


SCHÄFER: Ja! Ich sehe, daß im Buch steht: »Potsdam, 25. September.« Ich bitte aber hier etwas erklären zu dürfen, Herr Anklagevertreter. Es handelt sich bei diesem Artikel, den Sie soeben auszugsweise vorgelesen haben, um Fürsorgezöglinge der jüdischen Kultusgemeinde in Berlin, die seinerzeit Oranienburg zugeführt wurden. Es handelte sich hierbei um ausgesprochen kriminelle Elemente, derer sich die jüdische Gemeinde seinerzeit entledigt hatte, indem sie durch die Hergabe entsprechenden Geldes in einem eigenen Fürsorgeerziehungsheim diese Knaben unterbrachte. Es ist absolut unzutreffend...


MAJOR BARRINGTON: Was hat das mit Dr. Levy zu tun? Ich sagte, war der Brief Dr. Levys aus Potsdam geschrieben? Wollen Sie dem Gerichtshof erzählen, daß dieser Brief freiwillig geschrieben wurde? Oder erhielten Sie ihn durch Drohungen? Sie konnten dieses Schreiben von ihm leicht durch Drohungen erhalten haben, nicht wahr? Das konnten Sie doch? Oder konnten Sie das nicht?


SCHÄFER: Herr Anklagevertreter! Ich bitte, meine Erklärungen bis zum Schluß anzuhören. Ich komme sofort auf Dr. Levy zu sprechen. Herr Dr. Levy ist es gewesen – ich kann diese Versicherung hiermit vor aller Öffentlichkeit abgeben –, der damals sich persönlich bei mir melden ließ und darum bat, ich möge dafür Sorge tragen, daß die sich keineswegs ordentlich benehmenden Fürsorgezöglinge eine Abteilung für sich bilden sollten.

[118] Herr Dr. Levy ist ein bekannter Strafrechtsverteidiger gewesen, der seinerzeit in Oranienburg eingeliefert worden war. Er ist dann bald nach seiner Einlieferung entlassen worden. Ich selbst entsinne mich, daß Herr Dr. Levy, bevor er Oranienburg verließ, sich bei mir herzlich verabschiedet hat. Ich bin keineswegs der Auffassung, daß er zu diesem Artikel oder zu diesem Brief an mich, der in der »Times« erschien, irgendwie gezwungen wurde, ihn in Potsdam zu schreiben. Im Gegenteil, ich möchte annehmen, daß Dr. Levy deswegen Potsdam darüber gesetzt hat, um eine Unterscheidung zu treffen. Der Name Levy ist früher in Deutschland nicht selten gewesen. Vielleicht wollte er damit zum Ausdruck bringen, daß es sich hier um den Strafrechtsverteidiger Levy aus Potsdam handelte. Was anderes kann ich mir nicht denken. Ich bin der festen Überzeugung, daß es heute noch gelingen könnte, Herrn Dr. Levy zu hören. Er war damals ein Mann in den besten Jahren, und er wird sicher noch leben; und es muß möglich sein, ihn über diese Frage noch zu hören. Aber ich glaube niemals, daß Dr. Levy sich jemals hat zwingen lassen, einen solchen Artikel zu schreiben. Wenn man unterstellt, Herr Anklagevertreter, es wäre so gewesen –, wer sollte die »Times« gezwungen haben, diesen Bericht zu bringen, wenn er nicht ihrer Ansicht entsprach?


MAJOR BARRINGTON: Darüber werde ich nicht mit Ihnen streiten. Meine Behauptung ist vollkommen klar, daß der Brief Dr. Levys ein durchsichtiger Versuch Ihrerseits war, den Artikel in der »Times« zu widerlegen, von dem Sie wußten, daß er wahr war. Wir wollen darüber nicht länger diskutieren. Offenbar stimmen Sie mit mir nicht überein. Sie werden aber wohl zugeben, daß Dr. Seger in seinem Buch mit dem Artikel der »Times« anscheinend übereinstimmt. In seinem Buch »Eine terrorisierte Nation« vertritt er doch sehr stark die gleichen Ansichten wie der »Times«-Artikel.

Schauen Sie sich jetzt einen anderen Brief in Ihrem Buch an.


SCHÄFER: Herr Anklagevertreter! Auch hierauf eine Antwort! Das Buch von Seger heißt nicht »Eine terrorisierte Nation«, sondern heißt »Oranienburg«, und Herr Seger – das möchte ich hier auch gleich zu Anfang sagen –, hat einen bewußten Meineid geleistet, als er an den Anfang seines Buches die Eidesformel vor deutschen Gerichten stellte, und sich dann in jedem Fall widerlegen lassen mußte.


MAJOR BARRINGTON: Ich verstehe Ihre Einstellung dazu, und – dessen bin ich sicher – der Gerichtshof versteht Sie auch. Aber schauen Sie sich nur noch einen anderen Brief In Ihrem Buch an, bevor ich beende. Schlagen Sie Seite 241 auf. Haben Sie es? Am Ende der Seite findet sich ein Brief eines Gefangenen, den Sie ungefähr so wie den Brief Dr. Levys veröffentlichten, um – wie [119] ich glaube – zu zeigen, wie gut die Verhältnisse waren. Und wenn Sie auf Seite 242 umschlagen, so heißt es in dem Brief:

»Sehr verehrter Herr Schäfer!... daß die Tage von Oranienburg immer zu den besten Erinnerungen meines Lebens gehören werden...«

Sehen Sie diese Stelle, »die Tage von Oranienburg werden immer zu den besten Erinnerungen meines Lebens gehören«?

SCHÄFER: Ja.

MAJOR BARRINGTON: Glauben Sie nicht, daß das zu schön ist, um wahr zu sein? Oder halten Sie das heute noch aufrecht?


SCHÄFER: Herr Anklagevertreter! Ich möchte hierzu folgendes sagen: Gewiß, ich gebe zu, daß dieser Brief im Überschwang der Freude, frei zu sein, geschrieben war. Aber ich bezweifle nicht, daß der Briefschreiber hier es ehrlich gemeint hat, als er den Brief an mich schrieb. Man müßte ihn hierzu selbst hören.


MAJOR BARRINGTON: Er mag die besten Absichten gehabt haben, aber warum soll er gesagt haben, daß die Tage im Konzentrationslager, wo ihm seine Freiheit genommen war, zu den besten Erinnerungen seines Lebens gehörten? Kann irgendein Mensch...

SCHÄFER: Herr Anklagevertreter! Ich darf vielleicht sagen, daß es Menschen gegeben hat vor diesen Konzentrationslagern – ich habe auch dazu gehört –, die vor den Arbeitslosenstempelstellen gestanden und die bitterste Not gelitten haben, die hier im Konzentrationslager zum ersten Male satt geworden sind. Das möchte ich hier ganz klar herausstellen.


MAJOR BARRINGTON: Sie hatten genug zu essen, und Sie erinnern sich, daß Sie der Kommission sagten, daß Sie sie wiegen ließen und alle an Gewicht zugenommen hätten.

Wenn Sie sich die zwei letzten Seiten Ihres Buches ansehen wollen, so werden Sie dort eine Tabelle über die Gewichtszunahme der Gefangenen während ihrer Lagerzeit finden. Haben Sie das?

Herr Vorsitzender! Das ist 2824-PS, Seite 17, glaube ich... Seite 32, unmittelbar nach dem Artikel der »Times«.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nun, das ist eine Liste mit den Namen der Gefangenen – richtiger gesagt, mit ihren Rufnamen und den Anfangsbuchstaben ihres Zunamens –, mit ihrem Gewicht an einem bestimmten Tag und dann nach einer gewissen Zeit mit ihrer Gewichtszunahme. Nun möchte ich Ihnen vorhalten, daß diese Gewichtszunahmen so phantastisch sind, daß sie unmöglich wahr sein können. Sehen Sie, da haben Sie einige sogar fetter drucken lassen als die anderen. Sehen Sie Hermann H. aus Wriezen!

Haben Sie das?

[120] SCHÄFER: Ja.

MAJOR BARRINGTON: Am 26. Juni wog er 54 Kilogramm, am 6. September 68 Kilogramm. Er nahm also 14 Kilogramm oder zweieinhalb englische Stone in zweieinhalb Monaten zu. Und dann Erich L., der 15 Kilogramm in sechs Monaten zunahm. Weiter unten Paul S., der 15 Kilogramm in vier Monaten zunahm. Und dann werden Sie auf der nächsten Seite Fritz T. sehen, der zunächst 55 Kilogramm wog und in drei Monaten fast die Hälfte seines Gewichtes zunahm, 19 Kilogramm in drei Monaten. Das sind drei englische Stone in drei Monaten.

Glauben Sie nicht, daß diese Zahlen ziemlich phantastisch und unglaublich sind? Nun, ich will mich anders ausdrücken. Ich werde Ihnen einen anderen Vorschlag machen, und sehen Sie, ob Sie diese Erklärung annehmen. Wenn der Artikel in der »Times« über die elende Ernährung und Zustände wahr war und wenn meine Behauptung zutrifft, daß Sie sich später entschlossen haben, ein Musterlager zu schaffen und die Bedingungen zu verbessern, spricht dann diese Ge wichtsliste nicht dafür, daß die Gefangenen zunächst unter den schlechten Bedingungen Gewichtsverluste hatten und daß sie dann rapid zunahmen, als Sie die Zustände verbesserten? Gefällt Ihnen diese Erklärung? Ich sage nicht, daß sie richtig ist, aber es ist eine Erklärung. Oder halten Sie daran fest, daß diese Ziffern zutreffen?


SCHÄFER: Jawohl.


MAJOR BARRINGTON: Ich bemerke aber, daß Dr. Levys Gewicht in Ihrer Tabelle nicht enthalten ist. Auch führen Sie Dr. Segers Gewicht nicht an. Oder haben sie vielleicht abgenommen?


SCHÄFER: Aber vielleicht haben sie ihr Gewicht erhalten. Es ist nur eine Gewichtsliste, ein Auszug aus ihrer Gewichtszunahme. Ich möchte noch einmal die Erklärung abgeben, Herr Anklagevertreter! Sie unterstellen von vornherein, daß es sich hier um phantastische Zahlen handelt. Ich möchte dagegen sagen, was hier in diesem Buch steht, dazu stehe auch ich. Auch heute noch. Und diese Liste, die hier abgedruckt ist, stimmt und besteht zu Recht. Und ich bitte, einen Arzt zu fragen – ich muß das natürlich anheimstellen –, welche Möglichkeiten einer Gewichtszunahme bei einem Menschen bestehen, der durch eine jahrelange Erwerbslosigkeit ausgesaugt und heruntergekommen ist, der nun in eine Ernährungsphase kommt, bei der er täglich seine festen Mahlzeiten bekommt und das, was ihm zusteht. Aber ich bin kein Arzt, und ich glaube, Herr Anklagevertreter, daß Ihnen das ohne weiteres ein Arzt wird bestätigen können, daß ein Mensch innerhalb von 4 Monaten so viel zunehmen kann. Ich selbst habe im Mai dieses Jahres durch Hunger 50 Pfund im Lager abgenommen. Ich habe im Laufe...


[121] MAJOR BARRINGTON: Ich nehme an, daß die Leute furchtbar enttäuscht waren, als sie Weihnachten so großzügig amnestiert wurden, nicht wahr?


SCHÄFER: Um die Weihnachtszeit 1933 hatten sich die Verhältnisse in Deutschland schon wesentlich geändert, und ich glaube wohl, sagen zu dürfen, daß es da wesentlich besser war als im Jahre vorher.


MAJOR BARRINGTON: Ich habe keine weiteren Fragen, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Haben Sie noch irgendwelche Fragen an den Zeugen, Herr Dr. Böhm?


RA. BÖHM: Herr Zeuge! War Hohnstein ein preußisches Lager?


SCHÄFER: Nein! Hohnstein liegt, soviel ich weiß – hoffentlich verläßt mich meine Geographie nicht – in Sachsen.

RA. BÖHM: War Wuppertal ein Staatslager?


SCHÄFER: Das ist mir nicht bekannt.


RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß der vorhin genannte Vogel ein Beamter der Geheimen Staatspolizei für das Land Sachsen gewesen ist?


SCHÄFER: Nein! Ich hörte diesen Namen heute zum erstenmal. Er ist mir unbekannt.


RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß er nicht in seiner Eigenschaft als SA-Angehöriger, sondern als Beamter der Geheimen Staatspolizei hier in seinem Antrag auf Niederschlagung des Strafverfahrens verhandelte?


SCHÄFER: Das entnahm ich soeben diesem Brief, der mir nur ganz kurze Zeit vorgelegen hat, daß er das in seiner Eigenschaft als Beamter getan hat.


RA. BÖHM: Ist Ihnen bekannt, daß die SA im Kampf um die Macht 300 Tote und 40000 Verwundete hatte?


SCHÄFER: Die Zahl der Toten ist mir bekannt. Die genaue Zahl der Verwundeten nicht. Ich weiß nur, daß es weit über 10000 gewesen sind.


RA. BÖHM: Ist es nicht vielleicht doch möglich, daß so mancher SA-Angehöriger in der Zeit der Einlieferung der politischen Gegner in das Lager Oranienburg an diese 300 toten Kameraden und an die 40000 verwundeten Kameraden gedacht hat?


SCHÄFER: Das kann nicht bestritten werden. Aber er durfte daraus keine Folgerungen ziehen, die ihm von vornherein schon durch den Führerbefehl verboten waren. Aber man darf nicht verkennen, daß der Umbruch zu einer Zeit erfolgte, als die politischen Spannungen am höchsten waren.


[122] RA. BÖHM: Hatten Sie von irgendeiner Seite den Auftrag oder Befehl, das Buch »Oranienburg« zu schreiben?


SCHÄFER: Nein! Das habe ich vorhin schon erklärt. Es lag kein Befehl oder Auftrag vor.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe weiter keine Fragen an diesen Zeugen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nunmehr vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 21, S. 81-124.
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