[85] 321-319
In der sogenannten zweiten Verteilung der Satrapien des makedonischen Reiches wurde in den Formen nichts geändert, und es traten nur einige neue Namen an die Stelle der früheren. Aber deutlich genug wird erkennbar, daß das Verhältnis der Satrapen zum Reiche wesentlich verwandelt war; die Ereignisse der zwei Jahre, welche seit Alexanders Tod verflossen waren, hatten bereits die Richtungen vorgezeichnet, nach denen im weiteren Verlauf der Diadochenkämpfe das Reich Alexanders sich zersplittern sollte.
Bei der Verteilung der Satrapien, wie sie im Sommer 323 zu Babylon beliebt worden, war der maßgebende Gesichtspunkt gewesen, die Einheit des Reiches aufrechtzuerhalten, das Reich im Namen der Erben des großen Königs fortzuführen. Zu dem Ende war in die Hand des Reichsverwesers die ganze Autorität des Reiches über die Satrapen und die Verfügung über das Reichsheer gelegt worden. Perdikkas' Stellung hätte, selbst wenn das Heer sicher in seiner Hand, die Satrapen mit Selbstverleugnung die Einheit des Reiches aufrechtzuerhalten gewillt gewesen wären, große Schwierigkeiten gehabt; statt dessen hatte er fort und fort mit der Widerspenstigkeit und Anmaßlichkeit der Makedonen des Heeres[85] zu ringen, und die Großen des Reiches suchten, auf ihre beginnende Territorialmacht gestützt, auf alle Weise die beschränkenden Verhältnisse, welche sie an das Reich banden, zu lockern. Perdikkas selbst sah die Macht, die er zu verwalten erhielt, nur als ein Mittel an, die Herrschaft und womöglich auch den Namen derselben für sich zu erwerben. Er hatte Erfolge, solange sein Interesse mit dem der Könige Hand in Hand ging: Peithon von Medien mußte sich ihm beugen, Kappadokien wurde erobert, Antigonos von Phrygien, der sich seiner Pflicht geweigert, mußte flüchtig werden. Ohne ein einzelnes Land als Fundament seiner Macht zu besitzen, herrschte Perdikkas kraft der Majestät des Reiches; er vertrat die gerechte Sache, jede Unbotmäßigkeit, jede Auflehnung gegen ihn war Empörung gegen das Reich und verbrecherisch; er stand groß, würdig und ohne Schuld da. Dann begann er sein Interesse von dem der Könige zu lösen; die Verbindung mit der Königin Kleopatra sollte ihm den Weg zum Throne bahnen; er wurde der Mörder der Fürstin Kynane; er verstieß Antipatros' Tochter; mit schreiender Ungerechtigkeit riß er die Landschaften Kleinasiens an sich; er zwang Antipatros und Ptolemaios zum Kriege; sein Glück endete, bald sein Leben.
Vom Interesse des Reiches aus angesehen, war der Tod des Perdikkas ein großes Unglück. Hätte er gesiegt, so würde das Land in einer Hand vereinigt und, wenn auch die Könige beiseite geschoben wurden, doch bei der weiblichen Linie des Hauses geblieben sein. Als er ermordet war, verschmähte es Ptolemaios, die Würde eines Reichsverwesers anzunehmen; er vergabte sie als Belohnung an zwei Männer, denen er so seinen Dank abtrug; mit geteilter Macht den Intrigen der Königin Eurydike gegenüber, vermochten sie es nicht, sich zu halten; es offenbarte sich, daß die Autorität des Reiches für sich nicht mehr hinreichend war, auch nur die Reichsarmee, die ihr allein Anerkennung verschaffen konnte, in Gehorsam zu halten. Sie wählte den Statthalter Makedoniens zum Reichsverweser; es bedurfte einer anderweitigen, gleichsam einer Territorialmacht, um das Reich zu verwesen; es wurden fortan die Könige nicht sowohl vertreten als geschützt, das Königtum nicht sowohl geltend gemacht als geduldet.
Dies ist die wesentliche Veränderung, welche durch Perdikkas' Tod und dessen nächste Folgen das Reich erfuhr; das Königtum, wie auch immer repräsentiert, hatte gegen die Satrapen eine Niederlage erlitten; Sieger im Kampf, behaupteten sie die größere Unabhängigkeit, die sie in Anspruch genommen. Die meisten von ihnen, welche Perdikkas im Namen der Könige abgesetzt hatte, traten mit neuen Rechten in ihre früheren Stellungen, man begann von dem Recht, das durch die Waffen gewonnen sei, zu sprechen: gegen das Erbrecht des Königshauses richtete sich das[86] Eroberungsrecht der einzelnen Machthaber auf43. Und Antipatros, der Stratege der europäischen Länder, hatte als Reichsverweser zugleich die oberste Macht in Händen, der er selbst hätte Untertan sein sollen. Indem er in seine Lande zurückzukehren und, wenn auch erst infolge weiterer Verwicklungen, die Könige mit sich zu nehmen für gut fand, verlegte er den Mittelpunkt des Reiches aus Asien nach Europa; oder vielmehr das Reich hörte auf, einen Mittelpunkt zu haben, umso mehr, da er das Reichsheer zersplitterte, die größere Hälfte in Asien zurückließ, in andere Hände übertrug, von der Nähe der Könige ausschloß. Dies hat äußerlich mehr als irgend etwas anderes zur Zerstörung des Königtums, zur Auflösung des Reiches gewirkt.
Die hauptsächlichsten Bestimmungen in der Verteilung der Ehren und Satrapien, welche Antipatros zu Triparadeisos verfügte, waren folgende:
Ptolemaios behielt natürlich seine Satrapie, wie er es wollte: Ägypten, Libyen, die arabische Landschaft sowie alles, was er gen Abend hin noch erobern werde, wurde ihm garantiert; es mochte dabei an Karthago gedacht werden, von wo aus ja den Kyrenaiern Hilfe gekommen war.
Syrien blieb in den Händen Laomedons von Amphipolis, des geborenen Lesbiers, der, wie es scheint, sich über sein Verhalten zu Perdikkas, dem er mindestens nicht feindlich entgegengetreten war, zu rechtfertigen vermocht hatte.
In Kilikien war Philoxenos zwar von Perdikkas eingesetzt worden, doch scheint er beim Anrücken des Antipatros sich sofort für ihn erklärt zu haben; er blieb im Besitz der Landschaft.
Von den sogenannten oberen Satrapien wurde Mesopotamien nebst der Arbelitis dem bisherigen Satrapen genommen und an Amphimachos gegeben. Auch Babylonien erhielt einen neuen Satrapen in der Person des bisherigen Chiliarchen Seleukos, dessen treue Ergebenheit Antipatros in dem neulichen Aufstand schätzen gelernt hatte. Hörte auch Babylon auf, die Residenz der Könige zu sein, so blieb die Stadt doch in jeder Hinsicht eine der wichtigsten des Reiches und die Vermittlerin der östlichen und westlichen Satrapien, eine Stellung, die Seleukos zu seinem Nutzen zu verwenden wenigstens späterhin nicht versäumt hat.[87]
Auch die nächstliegende Landschaft Susiana erhielt einen neuen Satrapen: es war Antigenes, schon unter Alexander Führer des Agema der Hypaspisten, welches jetzt den Namen der Argyraspiden, der Silberschildner, bekommen hatte. Dies Korps bestand aus lauter Veteranen der asiatischen Feldzüge, und kaum, so wird angegeben, war einer unter ihnen, der nicht seine sechzig Jahre zählte; die Argyraspiden galten für unüberwindlich und für den Kern des makedonischen Heeres; sie waren voll Anmaßung, trotzig gegen jeden Befehl, der ihnen mißfiel, Führer bei jeder Meuterei, nur dem königlichen Hause treu. Antipatros wünschte sie zu entfernen und zu beschäftigen; er konnte es nur unter ehrenvollem Auftrag; er befahl, daß sie, 3000 an der Zahl, Antigenes nach Susa begleiten und die dort aufgehäuften Schätze an das Meer bringen sollten.
Die östlicheren Satrapien ließ er meist in den Händen derer, die sie besaßen. Peukestas behielt Persien, Tlepolemos Karmanien, Sibyrtios Gedrosien und Arachosien, Oxyartes das Land der Paropamisaden, Peithon, Agenors Sohn, das diesseitige Indien, jenseits des Indus Taxiles das Land am Hydaspes, Poros alles am Hydaspes bis zur Indusmündung hinabliegende Land. Verändert wurde im Osten nur, daß Baktrien und Sogdiana unter dem Solier Stasanor vereinigt wurde, daß Philippos, der bis dahin Sogdiana und Baktrien gehabt hatte, die Satrapie Parthien übernahm, und daß Stasandros aus Kypros Drangiana und Areia erhielt. Peithon endlich, des Krateuas Sohn, behielt seine Satrapie Medien bis zu den Kaspischen Pässen, wurde aber überdies zur Entschädigung für die Reichsverweserwürde zum Strategen der oberen Satrapien ernannt, wenn anders das nicht einige Zeit später geschehen ist.
Es ist auffallend, daß in den auf uns gekommenen Verzeichnissen der Teilung von Triparadeisos weder das nördliche Medien noch Armenien genannt wird. Wir wissen, daß in Medien Atropates, der es bei der Teilung des Jahres 323 erhielt, sich als erblicher Fürst behauptet hat; und Orontes, der in der Schlacht bei Gaugamela als Satrap von Armenien im Perserheere gefochten, erscheint drei Jahre später wieder im Besitz seines früheren Landes.
Das westlich daranstoßende Kappadokien, das Eumenes mit so vieler Sorgfalt verwaltet und bereits sichtlich gehoben hatte, wurde dem Nikanor bestimmt. Großphrygien und Lykien mit den daranstoßenden Landschaften der Lykaonen und Pamphyler sollte Antigonos zurückerhalten. Auch Asandros wurde seine frühere Satrapie Karien zugesichert. Nach Lydien kehrte Menandros nicht zurück, er blieb hinfort beim Heere; statt seiner sollte Kleitos, der bisher Nauarch in den hellenischen Gewässern gewesen war, die Satrapie erhalten. Phrygien am Hellespont endlich wurde dem gewesenen Reichsverweser Arrhidaios bestimmt.[88]
Antipatros selbst behielt die europäischen Länder in früherer Weise. Es ist bemerkenswert, daß wenigstens nach der Anordnung von Triparadeisos er von der Macht eines Reichsverwesers wenig für sich in Anspruch genommen zu haben scheint; erst weitere Verwicklungen bewogen ihn zu der Teilung des Reichsheeres und der Übersiedlung der Könige nach Europa. Für jetzt bestimmte er, daß Antigonos außer seiner Satrapie als unumschränkter Stratege44 den Oberbefehl über das Reichsheer erhalten und seinem Wunsche gemäß den Krieg gegen die Reste der perdikkanischen Partei, namentlich gegen Eumenes, fortsetzen solle; zu gleicher Zeit wurden die Könige seiner Sorge übergeben, so daß hiemit die Macht, die Perdikkas vereinigt besessen hatte, auf eine Weise verteilt war, daß man annehmen muß, Antipatros habe sich entweder der vollkommensten Ergebenheit seines Strategen gewiß geglaubt oder nicht umhinge konnt, dem, was Antigonos forderte, sich zu fügen. Um nichts, was die Vorsicht forderte, zu unterlassen, ernannte er seinen eigenen Sohn Kassandros zum Chiliarchen; er mochte hoffen, damit Antigonos eine genügende Schranke gesetzt zu haben, wenn er sich von der ihm anvertrauten, allerdings großen Macht zu üblen Plänen sollte verlocken lassen. Zu Leibwächtern des Königs Philippos endlich bestellte er Autolykos, den Bruder des Lysimachos von Thrakien, Amyntas, des Peukestas von Persien[89] Bruder, Alexandros, den Sohn des Strategen Polyperchon, Ptolemaios, den Sohn des Ptolemaios45.
Dies waren der Hauptsache nach die Bestimmungen, welche Antipatros im Herbst des Jahres 321 zu Triparadeisos machte; sie wurden mit allgemeinem Beifall aufgenommen. Zur Bekräftigung des neuen Standes der Dinge wurde, wie es scheint, eben jetzt die Vermählung des Ptolemaios mit Antipatros' Tochter Eurydike beschlossen.
Indes war die Partei des Perdikkas noch nichts weniger als vernichtet; an mehr als einem Punkte hatte sie noch die Oberhand und stand zum hartnäckigsten Widerstand gerüstet da. In Europa freilich waren die Aitoler, welche im Frühling dieses Jahres, von Perdikkas und Eumenes aufgerufen, den Krieg wieder begonnen hatten, bereits überwältigt. Sie waren bis Thessalien vorgerückt, die dortige Bevölkerung war gegen Makedonien aufgestanden, ein Heer von 25000 Mann Fußvolk und 1500 Reitern stand bereit, in Makedonien einzubrechen; da kam die Nachricht, daß die Akarnanen über die Grenze gegangen seien, plündernd und verwüstend Aitolien durchzögen, die Städte des Landes belagerten. Sofort eilten die Aitoler, indem die mit ihnen vereinten Bundesgenossen unter dem Pharsaler Menon zur Deckung Thessaliens zurückblieben, nach ihrer Heimat, und es gelang ihnen, die Akarnanen zu verjagen. Indes aber war Polyperchon, den Antipatros als Strategen in Makedonien zurückgelassen hatte, mit einem bedeutenden Heere nach Thessalien gekommen, hatte die Gegner überwältigt, ihren Feldherrn Menon erschlagen, den größten Teil der Feinde über die Klinge springen lassen, Thessalien aufs neue unterworfen. Ob er den Aitolern Frieden gewährt und unter welchen Bedingungen, wird nicht berichtet.
Gefährlicher war für den jetzigen Machthaber die Stellung der perdikkanischen Partei in Kleinasien. Dort hatte Eumenes infolge des zwiefachen Sieges, den er im Sommer über Neoptolemos und Krateros davongetragen, entschieden die Oberhand; er war gleich nach dem Siege aufgebrochen, sich der Satrapien an der Küste zu bemächtigen, und alles Land vom Tauros bis zum Hellespont war in seiner Macht; auf die Nachricht, daß Perdikkas ermordet, daß er selbst seiner Würden verlustig erklärt und[90] vom Heere der Makedonen zum Tode verurteilt sei, rüstete er sich nur um so eifriger zum Widerstand.
In den südlicheren Landschaften Kleinasiens stand noch Alketas, des Perdikkas Bruder; er hatte sich namentlich die Pisider so zu gewinnen gewußt, daß er sich auf die Treue dieses wilden und krieggewohnten Bergvolkes vollkommen verlassen konnte; und ihr Land, voll Burgen und durch seine bergige Natur einer Festung gleich, war für den drohenden Kampf ein Hinterhalt zu immer neuen Ausfällen und ein fast unangreifbarer Zufluchtsort zugleich; bald hatte er eine bedeutende Streitmacht um sich versammelt. Es war natürlich, daß sich alles, was Perdikkas noch anhing, nach Kleinasien zog. Unter diesen Perdikkanern war vor allem Attalos, dessen Gemahlin Atalante, des Perdikkas Schwester, gleich nach der Niederlage des Bruders in dessen Lager hingerichtet worden war. Auf diese Nachricht war Attalos, der mit der Flotte vor Pelusion lag, schleunigst in See gegangen; er landete in Tyros, der Makedone Archelaos, der Phrurarch dort, übergab ihm die Stadt und den Schatz von 800 Talenten, den Perdikkas daselbst niedergelegt hatte. Was sich von den Anhängern des Perdikkas aus dem Lager in Ägypten geflüchtet und nach allen Richtungen hin zerstreut hatte, sammelte sich um ihn, bald belief sich seine Streitmacht auf 10000 Mann Fußvolk und 800 Reiter. Mit diesen wandte er sich nach den südlichen Landschaften Kleinasiens.
So waren die bedeutenden Streitkräfte der perdikkanischen Partei in Kleinasien beisammen; hätten sie sich zu gemeinschaftlichen Bewegungen vereinigt oder auch nur in Übereinstimmung gehandelt, sie hätten in der Tat der neuen Ordnung der Dinge lange Trotz bieten und namentlich dem nach Europa heimkehrenden Antipatros den Weg verlegen können. Jetzt, da Einigkeit am notwendigsten gewesen wäre, zeigte sich weder Attalos noch Alketas geneigt, sich dem Kardianer Eumenes, gegen den sie schon zu Perdikkas' Lebzeiten ihre Eifersucht nicht verhehlt hatten, zu fügen. Attalos wandte sich mit seiner Flotte nach dem karischen Lande, sich der Küste von Knidos bis Kaunos und womöglich der Insel Rhodos zu bemächtigen, wenigstens an der außerordentlich lebhaften Kauffahrtei zwischen Asien und Europa, die Rhodos betrieb, Kriegsrecht zu üben. Aber die Rhodier, welche gleich nach Alexanders Tod die makedonische Besatzung verjagt hatten und nun in glücklicher Unabhängigkeit unter wohlgeordneter Verfassung im Besitze eines höchst ausgebreiteten Handels binnen kurzem eine Macht entwickelten, die sie bald zum wichtigsten Seestaate jener Gewässer machen sollte, ließen eine Flotte unter Befehl des Demaratos in See gehen; in einer Seeschlacht wurde Attalos geschlagen, seine Schiffe, sein Heer zerstreute sich, er ging mit den Resten seiner Macht landeinwärts. Dies mochte im Herbst 321 sein.[91]
Indessen war Eumenes während des Sommers, wie erwähnt ist, in die westlicheren Landschaften Kleinasiens gezogen, hatte in den aiolischen Städten Kontributionen beigetrieben, in den königlichen Stutereien am Berge Ida sein Heer auf das reichlichste mit Pferden versorgt und zog nach der Gegend von Sardeis hinab, um dort auf den weiten lydischen Ebenen, die für seine zahlreiche Reiterei den geeignetsten Kampfplatz darboten, Antipatros und das mit ihm nach Makedonien heimziehende Heer zu erwarten. Die Königin Kleopatra befand sich in Sardeis: er wollte ihr zeigen, daß er, der Sieger über Krateros, auch wohl dem alten Antipatros gewachsen sei; es war seine Absicht, als der Verteidiger der Königin, die ja dem Perdikkas ihre Hand geboten, aufzutreten und in ihrem Namen den Kampf gegen die neuen Machthaber fortzusetzen. Sie beschwor ihn, hinwegzuziehen; sonst würden die Makedonen meinen, daß sie des neuen Krieges schuldig sei. Auf ihr Bitten beschloß er, Lydien zu verlassen; er zog sich nach Kelainai im westlichen Teile Phrygiens, dort die Winterquartiere zu beziehen46. Diese Stellung bot ihm den doppelten Vorteil, einerseits den anderen Perdikkanern, die sich für jetzt noch in den südlichen Küstenlandschaften befanden, nah genug zu sein, um sich mit ihren Streitkräften und den dem Alketas treuergebenen Pisidern vereinen zu können, andererseits das von Osten her unter Antigonos heranziehende Reichsheer auf einen durch sein Terrain und durch die Nachbarschaft der pisidischen Berggegenden schwierigen Kriegsschauplatz zu locken. Es mußte Eumenes' Plan sein, in der Stellung von Kelainai, welche die Hauptstraßen zwischen dem Binnenlande und den westlichen Küsten beherrscht, sich verteidigend gegen einen Feind zu verhalten, dem er bei dessen Übermacht auf offenem Felde sich nicht gewachsen glaubte.
Während dieser Zeit war Antipatros mit den Truppen, die er bei Beginn des Feldzugs aus Europa herangeführt hatte, nach Lydien, wir wissen nicht auf welchem Wege, gekommen. In Sardeis angelangt, zog er die Königin Kleopatra förmlich zur Verantwortung, daß sie dem Perdikkas ihre Hand geboten, da derselbe bereits mit seiner Tochter vermählt gewesen sei, daß sie dadurch den blutigen Krieg dieses Jahres veranlaßt habe, daß sie, selbst durch Perdikkas' Fall nicht eines Besseren belehrt, mit dem geächteten Eumenes in Verbindung geblieben sei. Kleopatra verteidigte sich, wohl in förmlichem Prozeß, vor versammeltem Kriegsvolk, mit kühner und für ein Weib ungewöhnlicher Beredsamkeit; sie warf dem Reichsverweser unverhohlen vor, wie er das königliche Haus[92] mißehrt, ihre Mutter Olympias unwürdig behandelt, die Würde des Reiches seinem eigenen Vorteil nachgesetzt habe; sie sei in seiner Gewalt, er möge an ihr wiederholen, was ihre Schwester Kynane von Perdikkas erduldet; das Geschlecht des Philipp und Alexander scheine bestimmt zu sein, von denen vernichtet zu werden, die demselben alles verdankten. Antipatros wagte nicht, weiter zu gehen; er ließ der Königin ihre ruhige Residenz in Sardeis. Ohne weiteren Verzug brach er auf, um nach dem Hellespont zu marschieren.
Die Winterzeit kam heran; Eumenes lag bereits in seinen Winterquartieren am oberen Maiandros. Er benutzte die Rastzeit zu Streifereien in die nächstliegenden Gegenden, die ihm nicht zugetan waren. Seinen Kriegsleuten erfand er eine neue und in der Tat kampagnemäßige Weise, sich den Sold zu verdienen; er verkaufte den einzelnen Scharen Landgüter, Burgen und ähnliches im feindlichen Gebiet mit allem, was darinnen war, Menschen, Vieh und Gerätschaften, gab ihnen Urlaub und das nötige Heereszeug, sich die Plätze einzunehmen, und ließ dann die Kameraden sich in die Beute teilen; dies erhielt die Leute bei guter Laune, in militärischer Rüstigkeit und Übung, die nirgends leichter als in den Kantonierungen zugrunde geht. Eumenes traf indessen mit allem Eifer Fürsorge für den Krieg, der, sobald es die Jahreszeit gestattete, wieder beginnen mußte. Vor allem knüpfte er mit Alketas und den um ihn versammelten Resten der perdikkanischen Partei Unterhandlungen an, forderte sie auf, sich mit ihm zu gemeinsamen Maßregeln gegen den Feind zu vereinen. Attalos und Alketas empfingen des Strategen Botschaft; im Rate der Vertrauten wurde für und wider gesprochen, endlich blieb dem unverständigsten Plan die Mehrheit der Stimmen: Alketas, Attalos und die übrigen weigerten sich, unter oder auch nur neben Eumenes zu stehen, sie antworteten ihm, er werde gut tun, ihnen den Befehl abzutreten; Alketas sei Perdikkas' Bruder, Attalos sein Schwager und Polemon dessen Bruder; diesen gebühre der Befehl, ihren Anordnungen möge sich Eumenes fügen. Diese Antwort machte des Feldherrn Hoffnung tief sinken: »Das ist ihr Reden, und vom Tode ist die Rede nicht!« rief er in schmerzlicher Bewegung. Er sah, daß es um die Sache seiner Partei geschehen sei. Wenigstens solange es möglich war, wollte er sich halten; auf seine Truppen konnte er sich verlassen, selbst die Makedonen in seinem Heere waren ihm auf das herzlichste zugetan, sie wußten, daß kein anderer Feldherr mit größerer Umsicht und Güte für seine Leute sorgte; als man mehrfach Briefe im Lager fand, des Inhalts, daß Eumenes zum Tode verdammt sei und daß, wer ihn ermorde, aus dem königlichen Schatz 100 Talente Belohnung erhalten solle, fand sich niemand, die verruchte Tat zu begehen. Da berief Eumenes das Heer zur Versammlung, dankte den Soldaten für[93] ihre treue Anhänglichkeit, wünschte sich Glück, sein Leben in ihre Hand gegeben zu haben; daß selbst in dieser vielleicht zu stark und zu dreist gewählten Prüfung seine Truppen so ehrenvoll bestanden, sei ihm Gewähr für die Zukunft, denn sicher würden ähnliche Versuche nur zu bald von seiten der Feinde gemacht werden. Mit beifälligem Erstaunen mochte die Menge des Feldherrn schlaue Wendung der Sache hören und glauben; um ihn vor künftigen Gefahren sicherzustellen, boten sie sich wetteifernd zur besonderen Feldherrnwache an, beschlossen endlich, aus tausend Hauptleuten, Rottenführern und anderen erprobten Leuten eine Bedeckung für seine Person zu bilden, ihm Tag und Nacht eine sichere Begleitung zu sein. Diese Tapferen freuten sich dann, von ihrem Feldherrn die Ehren zu empfangen, welche die Könige den »Freunden« zu geben pflegen; denn Eumenes hatte das Recht, die rote Kausia und Ehrenmäntel zu verteilen, die höchsten Zeichen königlicher Gnade bei den Makedonen.
Bei solcher Stimmung im Heere des Eumenes, bei der Festigkeit der Stellung, die er innehatte, war es dem neuen Reichsverweser nicht rätlich erschienen, etwas gegen den Geächteten zu unternehmen, bevor der Stratege Antigonos heran war. Nur Asandros von Karien war gegen Attalos und Alketas ausgesandt worden; aber er war endlich nach einem unentschiedenen Gefecht gewichen, und den Gegnern blieb in Karien, Lykien, Pisidien für jetzt die Oberhand.
Indes zog Antigonos mit dem Reichsheer und den Königen über den Tauros heran, mit ihm der Chiliarch Kassandros. Zwischen beiden war es bereits zu ärgerlichen Zerwürfnissen gekommen; der schroffe und hochfahrende Chiliarch wollte sich dem besonnenen und streng militärischen Strategen ebensowenig fügen, wie dieser neben sich die Anmaßlichkeiten des jüngeren Mannes dulden, der für sich nichts als den Namen seines Vaters und einige unangenehme Erinnerungen aus dem letzten Lebensjahre Alexanders hatte. Der alte Antipatros hatte schon einmal den Sohn mit seinen Klagen und Anschuldigungen gegen Antigonos zur Ruhe verwiesen; es half nur auf kurze Zeit47.
Im Laufe des Winters, als das Reichsheer – wie es scheint, des Weges auf Gordion – nach Phrygien gezogen war, um in den vom Kriege noch verschonten Gegenden Winterquartiere zu nehmen, eilte Kassandros in Person zum Lager seines Vaters, der in Phrygien am Hellespont stand, unterrichtete ihn von dem zweideutigen Benehmen des Antigonos und dessen Vorbereitungen zu sichtlich gefährlichen Unternehmungen, beschwor[94] ihn, nicht weiter vorzurücken und nicht eher Asien zu verlassen, als bis er die Anschläge des Strategen in ihrem Beginn vereitelt und sich selbst und die Könige vor ärgeren Dingen gesichert habe. Indes war Antigonos selbst in das Lager des Reichsverwesers gekommen; mochte er in der Stille schon jetzt an weiteren Plänen arbeiten, für den Augenblick konnte er nicht anders als sich noch mit Antipatros verhalten. Er rechtfertigte sich vollkommen; er zeigte, wie entfernt ihm jeder andere Gedanke sei, als im Sinne Antipatros', dem er ja alles verdanke, zu handeln; er berief sich auf seine Hingebung für ihn, auf sein bisheriges Verhalten, auf das Zeugnis aller Befreundeten. Und Antipatros versicherte ihn, daß er ohne weitere Besorgnis Asien verlasse; doch halte er es für gut, die Könige aus dem immerwährenden Kriegsgetümmel und den möglichen Gefahren, denen sie bei dem kämpfenden Heere ausgesetzt sein würden, zu entfernen; er werde sie mit sich nach Europa nehmen; für den bevorstehenden Kampf gegen Eumenes würden die Makedonen des Reichsheeres, die lange unter Perdikkas' Befehl gestanden und sich mehrfach meuterisch gezeigt hätten, nicht so zuverlässig sein, als es einem Feinde wie Eumenes gegenüber notwendig wäre; er werde ihm statt dessen von den Makedonen, mit denen er selbst aus Europa gekommen, 8500 Mann Fußvolk, soviel Mann Ritterschaft, als er bisher gehabt, unter Befehl des Chiliarchen, die Hälfte der Elefanten, 70 an der Zahl, zurücklassen48. Nach diesen für den weiteren Gang der Dinge überaus folgenreichen Bestimmungen ging Antipatros dem Hellespont zu, mit ihm der König Philippos nebst seiner Gemahlin Eurydike, der jetzt dritthalbjährige König Alexander nebst seiner Mutter Roxane; ihn begleitete der größere Teil des makedonischen Fußvolks von dem ehemaligen perdikkanischen Heere, den man wohl noch nach Abzug der Argyraspiden unter Antigenes, der in den verschiedenen Besatzungen Zurückgebliebenen, der zu Attalos Geflüchteten, auf 20000 Mann rechnen darf; von der Ritterschaft der Getreuen aus dem großen Heere blieb vielleicht ein großer Teil unter[95] Kassandros in Asien zurück; dagegen nahm Antipatros die Hälfte der Kriegselefanten, die ersten, die Europa sehen sollte, mit sich.
Die Veteranen Alexanders hatten auf neue Kriege und neue Beute gehofft; jetzt sollten sie heimziehen, ohne auch nur die ihnen von Alexander bestimmten, von Antipatros zugesicherten Geschenke zu erhalten. Mag die Königin Eurydike auch diesmal den Unwillen der Truppen genährt haben, sie empörten sich auf dem Marsche noch einmal, sie forderten die versprochenen Geschenke, sie drohten dem alten Antipatros; er versprach, alles oder wenigstens das meiste zu geben, wenn man Abydos und den Hellespont erreicht habe. Das Heer glaubte, zog ruhig nach Abydos, erwartete die Zahlungen. Antipatros aber machte sich mit den Königen und einigen Getreuen bei Nacht und Nebel auf und eilte über den Hellespont zu Lysimachos, in der Meinung, daß die Truppen, wenn sie führerlos und sich selbst überlassen, nun endlich gar nichts zu erhalten fürchten mußten, sich schon zum Gehorsam bequemen würden. So geschah es; am andern Tage bereits setzten die alten Kriegsknechte über den Hellespont und fügten sich den Befehlen des Reichsverwesers; von den versprochenen Geschenken war die Rede nicht weiter. So kehrte Antipatros, es mochte im Februar des Jahres 320 sein, nach Makedonien zurück.
An dieser Stelle ist in unseren Überlieferungen eine Lücke, welche die Begebenheiten von einigen Monaten umfaßt. Nach deren Verlauf finden wir die Verhältnisse Kleinasiens bereits sehr geändert. Eumenes hat seine Stellung bei Kelainai aufgegeben; er ist auf dem Wege, sich nach seiner ehemaligen Satrapie Kappadokien zurückzuziehen; er hält sich auf den entscheidenden Kampf gefaßt. Antigonos seinerseits hat seine Truppen aus den Winterquartieren zusammengezogen und rückt Eumenes nach. Durch diese Verlegung des Kriegsschauplatzes ist der größte Teil der Halbinsel in den Händen der in Triparadeisos bestimmten Satrapen; Arrhidaios hat Phrygien am Hellespont in Besitz genommen, Kleitos Lydien, auch Asandros ist, so scheint es, Herr in Karien; Alketas und Attalos aber halten sich in den Gebirgen Pisidiens. Antigonos hat sie, indem er von Phrygien aus gegen Kappadokien vorrückt, gänzlich von Eumenes getrennt; ihn, den gewandteren Feldherrn an der Spitze eines größeren und überdies wiederholt siegreichen Heeres, galt es zuerst zu bekämpfen.
Es wird als eine Eigentümlichkeit des Antigonos bezeichnet, daß er, wenn er die überlegene Streitmacht im Felde hatte, den Krieg mit Zurückhaltung und säumig führte, dem stärkeren Feinde gegenüber aber unermüdlich war, stets bereit, alles aufs Spiel zu setzen, bis zur Verwegenheit kampflustig. Dies war sein Fall jetzt; Eumenes hatte die entschiedene Übermacht, dennoch war er ihm nachgeeilt. Freilich fand er im Heer[96] des Eumenes selbst Unterstützung, die ihm den Erfolg zu sichern schien. Mit dem Glück des Feldherrn schien auch die Treue seiner Truppen wankend zu werden. Einer seiner Unterfeldherren, er führte den Namen Perdikkas, hatte sich mit einem ihm anvertrauten Korps von 3000 Mann Fußvolk und 500 Reitern des Gehorsams geweigert und war nicht in das Lager zurückgekehrt; gegen diese Aufrührer schickte Eumenes den Tenedier Phoinix mit 4000 Mann Fußvolk und 1000 Reitern, der sie während der Stille der Nacht in ihrem Lager überraschte, das Lager besetzte, Perdikkas gefangen nahm. Ihn und die anderen Rädelsführer bestrafte Eumenes mit dem Tode, die Truppen, die er nur verleitet glaubte, wurden nicht weiter bestraft, aber in die übrigen Scharen verteilt. Zwar gewann sich Eumenes durch diese Milde die Herzen seiner Leute aufs neue; aber es war ein Beweis gegeben, daß seine Macht bereits in sich selbst anbrüchig sei, und Antigonos eilte, dies zu seinem Vorteil zu benutzen. Es war im Heere des Eumenes ein Reiterobrister Apollonides; mit diesem knüpfte Antigonos geheime Verbindung an, durch große Bestechungen gewann er ihn; Apollonides versprach, wenn sich beide Heere zur Schlacht träfen, seine Scharen zu Antigonos hinüberzuführen.
Eumenes stand in der orkynischen Landschaft; er hatte sich diese für seine Reitermacht wohlgelegenen Gegenden zum Schlachtfeld ausersehen. Er hatte 20000 Mann Fußvolk und 5000 Reiter; Antigonos dagegen führte nur 10000 Mann Fußvolk, von denen die Hälfte Makedonen waren, 2000 Reiter und 30 Elefanten mit sich49; im Vertrauen auf sein Einverständnis mit Apollonides begann er das Treffen. Man kämpfte von beiden Seiten auf das hartnäckigste; dann im entscheidenden Augenblick ging Apollonides mit seinen Reitern zu Antigonos über. Das Schicksal des Tages war entschieden. 8000 Mann vom Heere des Eumenes lagen tot auf dem Walplatz, alle Bagage fiel in die Hände des Siegers. In möglichster Ordnung zog sich Eumenes zurück; ein günstiger Zufall lieferte ihm den Verräter in die Hände, er ließ ihn sofort aufknüpfen. Klug gewandte Märsche machten dem Feinde die weitere Verfolgung unmöglich; dann kehrte Eumenes zurück, lagerte sich auf dem Schlachtfeld, türmte aus den Türen und Balken der Häuser, welche in der Nähe waren, Scheiterhaufen auf und verbrannte seine Toten, marschierte dann weiter; als Antigonos von der Verfolgung, da er die Spur des geschlagenen Heeres[97] verloren hatte, zurückkehrte, konnte er sich nicht genug über Eumenes' Kühnheit und kluge Führung wundern.
Eumenes' Absicht war, sich auf Armenien zurückzuziehen, dort zu versuchen, ob er sich Bundesgenossen erwerben könne. Denn sein Heer war nicht bloß außerordentlich zusammengeschmolzen, sondern mehr noch besorgte er, daß die erlittene Niederlage und der Verlust aller Bagage den Mut seiner Truppen brechen möchte. Mit noch größerer Vorsicht führte er seine weiteren Bewegungen; dem Feinde nicht mehr gewachsen, konnte er ihm nur durch glückliche Handstreiche Abbruch tun und den eigenen Rückzug decken. So traf er mehrere Tage nach der Schlacht auf Antigonos' Bagage; von Menandros kommandiert, hielt der große Zug in der Ebene, auf welche Eumenes hinauszurücken im Begriff stand; er hätte hier Gelegenheit gehabt, nicht bloß das in der letzten Schlacht verlorene Gepäck seiner Leute wiederzuerobern, sondern überdies außerordentliche Beute an Weibern und Knechten, an Geld und anderen nützlichen oder kostbaren Dingen zu machen. Aber er fürchtete, daß seine Soldaten, mit Beute belastet, zu den schnellen Bewegungen des Rückzugs nicht leicht genug bleiben, daß neuer und reicher Besitz sie ängstlich, ihn zu erhalten, und zu den ferneren Strapazen und Wagnissen unrüstig machen werde; aber er wagte nicht, ihnen ohne weiteres die reiche Beute, die sie nur zu nehmen brauchten, zu versagen. Er befahl ihnen, erst ein wenig zu ruhen und den Pferden Futter vorzuwerfen, um dann mit frischen Kräften auf den Feind zu gehen. Währenddessen schickte er heimlich an Menandros, ließ ihn als guter Freund von seiner Nähe und der Gefahr, die ihm drohe, unterrichten: er möge, so schnell er könne, die Ebene verlassen und sich auf die Berge zurückziehen, wohin er selbst nicht imstande sein werde zu folgen. Sofort zog sich Menandros in die Berge; Eumenes indes schickte eine Schar Reiter zum Rekognoszieren aus, befahl der Reiterei zu satteln, dem Fußvolk, sich zum Aufbruch bereit zu halten. Als die Ausgesandten zurückkamen mit dem Bericht, der Feind habe sich in die Berge zurückgezogen, seine Stellung sei unangreifbar, tat Eumenes, als ob er sich wunder wie ärgere, daß ihm der reiche Fang entgangen sei, und führte sein Heer weiter. Menandros aber kam wohlbehalten zu Antigonos und rühmte ihm, was Eumenes getan; und die makedonischen Truppen sagten laut sein Lob und priesen seine Achtung vor ihnen, den Makedonen des Reichsheeres, und seine Menschlichkeit, daß, da er doch ihre Weiber und Kinder zu Gefangenen machen oder der Erbitterung seiner Truppen hätte preisgeben können, er sie lieber mit Aufopferung seines Vorteils habe retten wollen; Antigonos lachte: »Nicht für uns sorgend, ihr guten Leute, hat er sie gelassen, sondern für sich selbst voll Sorge, um nicht für die Flucht sich Fußschellen anzulegen.«[98]
Trotz aller Gewandtheit gelang es dem Kardianer nicht, Armenien zu erreichen; mehr und mehr wurde er eingeengt, ihm die Wege gesperrt, seine Soldaten begannen an seiner Sache zu verzweifeln, zum Feinde überzugehen; bald war weitere Flucht unmöglich. Es blieb ihm nichts übrig, als sich in die Felsenburg Nora zu werfen, sich dort womöglich zu halten, bis irgendeine günstige Wendung des Schicksals ihm freies Spiel gäbe; denn sich verloren zu geben, lag nicht in der Sinnesweise des kühnen und vielerfahrenen Mannes, und jene Zeit war zu reich an plötzlichen und seltsamen Wechseln des Glücks, als daß nicht zu immer neuen Hoffnungen Grund gewesen wäre. Eumenes entließ die ihm noch übrigen Truppen mit der Weisung, daß er sie seinerzeit wieder zu den Waffen zu rufen hoffe; er behielt von den erprobtesten seiner Leute nur 500 Reiter und 200 Mann Fußvolk bei sich, und auch von diesen entließ er noch an hundert der Treuen, die sich nicht für kräftig genug hielten, an diesem beschwerlichen Orte und unter den traurigen Verhältnissen einer engen Einschließung auszuhalten. Denn Nora lag auf einem hohen Felsen, und die Mauern und Türme waren über die steilen Felsenwände hinangebaut; der Umfang der Burg war nur 600 Schritt, aber sie war durch Natur und Kunst so fest, daß Mangel allein zur Übergabe zwingen konnte; dafür aber war gesorgt, Lebensmittel, Brennmaterial, Vorräte aller Art hatte Eumenes dort so viel aufhäufen lassen, daß er sich mehrere Jahre auf dem Felsennest zu halten vermocht hätte.
Freilich hatte er nichts als diese Feste und sich. Die Reste seines Heeres hatte bereits Antigonos in Dienst genommen, hatte seine Satrapien besetzt, sich der Einkünfte derselben versichert, auch sonst soviel Geld er irgend vermochte zusammengebracht. Er war mächtiger in Kleinasien als Eumenes in den Tagen seiner glänzendsten Erfolge gewesen war, und mit seiner Macht wuchs sein Verlangen, sie geltend zu machen, sich zum Herrn zunächst in Kleinasien zu erheben, dann, wenn die Zeit gekommen, sich des lästigen Verhältnisses zum Reichsverweser zu entledigen, endlich, wenn ein fester Grund gelegt worden, auch den übrigen Satrapen, auch den Königen gegenüber auszuführen, was Perdikkas die Torheit gehabt hatte, nicht zu erreichen. Dieser Gedanke – schon Alexander soll auf Antigonos' Ehrgeiz aufmerksam gewesen sein –, gewann in dem Maße, als seine Erfolge wuchsen, in seiner Seele mehr Raum und festere Gestalt; er leitete fortan jeden seiner Schritte. Zunächst freilich galt es, mit größter Vorsicht zu Werke zu gehen, das Verhältnis zum Reichsverweser in aller Weise zu schonen, bis die Frucht reif war; dann war Eumenes, der gefürchtetste Feind der jetzigen Machthaber, sein natürlicher Verbündeter; es lag in seinem Interesse, freundliche Beziehungen mit dem Gegner zu gewinnen, der, wenn schon augenblicklich ohne Macht und geächtet,[99] durch seine militärische Begabung, seine politische Umsicht, seine Geschäftskunde, sein entschlossenes Festhalten an der Sache, für die er sich einmal entschieden hatte, wie kein anderer für große Projekte der geeignete Helfer schien und den er sich doppelt zu verpflichten glaubte, wenn er, Sieger über ihn und seines Geschickes Meister, ihm Freiheit, Ehre und neue Hoffnungen bot.
Antigonos war vor die Felsenburg gerückt und lagerte am Fuße derselben; mit einer doppelten Mauer, mit Wällen und Gräben ließ er die Feste einschließen. Das Anerbieten, zu unterhandeln, gab ihm den Vorwand, Eumenes zu sich in das Lager zu laden. Eumenes antwortete, Antigonos habe Freunde genug, die nach ihm dessen Truppen führen könnten; die seinigen seien, wenn er ihnen fehle, gänzlich verlassen; wolle Antigonos ihn sprechen, so möge er für seine persönliche Sicherheit hinreichende Bürgschaft stellen. Antigonos ließ antworten, sein sei die Oberhand, Eumenes möge sich fügen. Eumenes darauf: er werde niemandes Oberhand anerkennen, solange er noch sein Schwert in Händen habe; wenn Antigonos seinen Neffen Polemaios als Geisel in die Burgstellen wolle, so sei er bereit, zu ihm ins Lager zu kommen und zu unterhandeln. So geschah es; mit größter Verbindlichkeit kam Antigonos dem Eumenes entgegen; die Feldherren umarmten sich, wetteiferten in Herzlichkeiten, in Bezeugung ihrer Freude, als alte Freunde und Kameraden sich wiederzusehen. Dann begannen die Unterhandlungen; Antigonos eröffnete Eumenes, daß er nichts sehnlicher wünsche, als mit ihm in nähere Verbindung zu treten, daß er bisher im Auftrag des Reichsverwesers gehandelt habe, daß Eumenes, wenn er sich ihm anschließen wolle, gewiß Gelegenheit finden werde, sich selber zu nützen und die Stelle unter den Großen des Reiches einzunehmen, die seinem alten Ruhm und seinen glänzenden Taten gebühre. Eumenes erklärte dagegen, er könne nur unter der Bedingung auf weitere Unterhandlungen eingehen, daß ihm seine früheren Satrapien gelassen, die gegen ihn aufgebrachten Beschuldigungen für ungültig erklärt, für die durch den ungerechten Krieg ihm gewordenen Verluste Entschädigung geleistet werde. Die anwesenden Freunde des Antigonos erstaunten über die kühne Zuversicht des Kardianers, der ja nicht anders spreche, als wenn er noch an der Spitze eines Heeres stehe. Antigonos lehnte es ab, über diese Forderungen für sich zu entscheiden, und verwies die Anträge an Antipatros; er mochte hoffen, daß die längere Belagerung den eng Eingeschlossenen eher mürbe machen werde, als die Antwort aus Pella eintreffen könne. Indessen hatten sich die Makedonen, als sich die Kunde verbreitete, Eumenes sei im Lager, vor dem Zelt des Feldherrn in dichten Haufen versammelt, voll Begier, den berühmten Kardianer zu sehen; denn seit seinem Siege über Krateros war von keinem[100] der Großen so viel Gutes und Böses gesagt worden wie von ihm, und die Begebenheiten des letzten Jahres hatten die Wucht dieses einen Mannes nur noch fühlbarer gemacht. Als er mit Antigonos aus dem Zelt trat, war der Andrang von allen Seiten so groß, das Rufen und Schreien so zweideutig, daß Antigonos in der Besorgnis, es werde dem Eumenes Gewalt geschehen, erst den Soldaten zurief, zurückzutreten, und auf einige, die zu nahe kamen, Steine warf, da aber auch das nichts half und das Herandrängen drohender wurde, Eumenes mit seinen Armen umfaßte, seine Trabanten eine Gasse machen ließ und so endlich Eumenes ins Freie brachte.
Hierauf ließ Antigonos, den die Bewegungen der Perdikkaner in Pisidien hinwegriefen, ein Korps, das zur Einschließung des Felsens hinreichte, im Lager zurück. Mit dem Ende des Jahres 320 begann die förmliche Belagerung der Burg. Es werden außerordentliche Dinge von Eumenes und seinen Anordnungen während der Belagerung erzählt. Er hatte Salz, Getreide und Wasser vollauf, sonst fast nichts; und dennoch waren seine Leute guter Dinge bei den spärlichen Mahlzeiten, die der Feldherr mit ihnen teilte und mit seiner Güte, seiner Laune und seinen Erzählungen von dem großen König und seinen Kriegen würzte. Der Raum in der Burg war so eng, daß sich nirgends Platz fand, wo man hätte Spazierengehen oder die Pferde tummeln können; deshalb wurde das größte Haus oben, das aber auch nur dreißig Fuß Tiefe hatte, zur Halle eingerichtet, in der die Leute spazierengingen. Für die Pferde machte Eumenes eine eigene Erfindung; er ließ ihnen starke Taue um den Hals legen und mit diesen so weit zu einem Balken hinaufziehen, daß sie mit den Vorderfüßen den Boden nicht berührten; dann wurde mit der Peitsche geknallt, bis die Pferde unruhig hinten ausschlugen, mit den Vorderfüßen den Boden zu fassen suchten, so strampelten, den ganzen Leib bewegten, schnaubten und schwitzten; so täglich auf das tüchtigste zugerichtet, blieben sie kräftig und gesund.
Eumenes war überzeugt, daß, wenn er ausharre, seine Zeit kommen werde. Mochten auch die Anerbietungen des Antigonos für sich haben, daß sie ihn für den Augenblick in den großen Strom der Weltbegebenheiten zurückführten, konnte er auch überzeugt sein, daß sie ihm auch jetzt noch, wenn er dem Strategen die Hand böte, gewährt werden würden, so war er doch weit entfernt, dem augenblicklichen Vorteil die Zukunft zu opfern; er wußte zu wohl, daß er, der Grieche, neben makedonischen Machthabern immer nur dann Geltung haben könne, wenn er sich der Sache des königlichen Hauses, welches allen im Wege war, gänzlich hingab; neben Antigonos hätte er stets nur eine untergeordnete Rolle gespielt; der hätte ihn preisgegeben, wenn er ihn zur Genüge benutzt.[101] Der Stratege hatte ihn einen zu tiefen Blick in seine Pläne tun lassen; es lag am Tage, daß es über kurz oder lang zum offenen Bruch zwischen ihm und dem Reichsverweser kommen mußte; und mit der Verweisung an den Reichsverweser hatte ihm Antigonos selbst den Anhalt gegeben, die begonnenen Unterhandlungen mit diesem fortzusetzen, Unterhandlungen, in denen sich die Gelegenheit finden konnte, von jenen Geheimnissen angemessenen Gebrauch zu machen; dem Reichsverweser Kunde von den Anschlägen des Strategen zu geben, war für Eumenes der nächste und sicherste Weg, sich die Rückkehr in die Welthändel zu eröffnen, für deren neue Verwicklungen es Antipatros' Interesse forderte, mächtige und gewandte Freunde in Asien zu gewinnen. Er schickte den ihm treu ergebenen Kardianer Hieronymos an Antipatros, mit demselben in der bezeichneten Ansicht zu unterhandeln.
Während dieser Vorgänge in Kleinasien hatte Ptolemaios von Ägypten den Plan zu einer Gebietsvergrößerung gefaßt, die den ersten bedenklichen Schritt über das eben erst begründete System des Ausgleichs zwischen den Machthabern hinaus bezeichnet. Ägypten mit Kyrene genügte ihm nicht. Zur Sicherstellung des schnell emporblühenden ägyptischen Handels, mehr noch zur völligen Entwicklung des Einflusses, den Ägypten auf die allgemeine Politik gewinnen sollte, war ihm eine Marine nötig; aber Ägypten hatte nur wenige Häfen, es entbehrte des zum Bau einer Flotte nötigen Holzes, wie es auf der Insel Kypros und in den Wäldern des Libanon von bester Art zu finden war. Ägypten konnte, auf sich beschränkt, allerdings leicht verteidigt werden; aber so geschützt es durch seine geographische Lage war, ebenso abgeschnitten war es von der übrigen Welt; um in die Bewegung der allgemeinen Politik mit eingreifen zu können, mußte er Syrien, das ihm die Wege nach den Ländern des Euphrat und Tigris öffnete, und die Insel Kypros, von wo er der Küste Kleinasiens, des stets nächsten und wichtigsten Kampfplatzes der Parteien, nahe war, in Besitz haben. An eine Eroberung der Städte von Kypros, die eine bedeutende Flotte unterhielten, konnte er für jetzt nicht denken; Syrien mußte der Anfang seiner Machtentwicklung sein.
Freilich, wenn er Syrien an sich brachte, mit Güte oder Gewalt, so war damit die Organisation des Reiches, die territoriale Machtverteilung innerhalb desselben in sehr greifbarer Weise verwandelt; der ägyptische Satrap war dann im Besitz der Offensivstellungen gegen die Euphratlande und den Osten, gegen den Tauros und den Westen; und während die Reichsgewalt, nach Makedonien zurückverlegt und durch die nächsten Wirrnisse dort gebunden, nicht die Mittel besaß, so zerrüttenden Umgestaltungen in den Weg zu treten, waren die nächst Benachbarten und[102] nächst Beteiligten, die Satrapen von Kilikien, Phrygien, Karien, von Mesopotamien, Babylon, Susa in demselben Augenblick, da sich der Besitzwechsel in Syrien vollzog, wie mit einem Keil voneinandergedrängt und Ptolemaios zwischen ihnen mächtiger als die einen und anderen. Gelang es ihm, wie er wünschte, diesen wichtigen Besitz in der Form eines friedlichen Abkommens zu gewinnen, so schien um so weniger dagegen eingewandt werden zu können, am wenigsten von dem, der die Strategie in Asien mit dem Reichsheer erhalten hatte, um die Reste der Perdikkaner niederzuwerfen, die sich bedrohlich genug in Kleinasien zusammenfanden; auch der Satrap von Syrien konnte allenfalls dafür gelten, zu ihnen zu gehören.
Es war Laomedon, der Amphipolite, aus Mytilene gebürtig, dem Perdikkas diese Satrapie zugewandt hatte; wenn derselbe in dem großen Kampf zwischen Perdikkas und Ptolemaios keine Rolle gespielt hatte, so wird er entweder nicht Macht oder nicht Ehrgeiz genug gehabt haben, groß Spiel zu wagen; in der Teilung von Triparadeisos war ihm seine Satrapie bestätigt worden. Ptolemaios ließ ihm jetzt eröffnen, daß er seine Satrapie in Besitz nehmen werde und daß er geneigt sei, ihn durch eine Geldsumme zu entschädigen; Laomedon wies den Antrag von der Hand. Darauf rückte ein Heer unter Nikanor, einem der »Freunde« des Ptolemaios, in Palaistina ein; während der Stille des Sabbats wurde Jerusalem genommen. Ohne Widerstand zu finden, rückten die Ägypter weiter vor; endlich trafen sie Laomedon, er wurde gefangengenommen und nach Ägypten gebracht. Nun besetzten ägyptische Posten die festen Plätze des Landes, ägyptische Schiffe nahmen die phoinikischen Küstenstädte; von den Juden wurde eine große Zahl nach Alexandrien übersiedelt, sie erhielten dort Bürgerrecht. Ohne daß in den lokalen Verhältnissen und Verfassungen des syrischen Landes etwas geändert wurde, trat es unter die Botmäßigkeit des ägyptischen Satrapen. Laomedon fand Gelegenheit, aus Ägypten zu entkommen; er floh nach Karien zu Alketas, der eben jetzt sich in die pisidischen Berggegenden warf, um von dort aus den entscheidenden Kampf gegen Antigonos zu beginnen.
Antigonos hatte, als er noch in Kappadokien in den Winterquartieren stand, Nachrichten von den Bewegungen des Alketas und Attalos erhalten, welche ihn bewogen, schnell aufzubrechen. In Eilmärschen zog er südwestwärts auf der Straße von Ikonion nach Pisidien; nach sieben Tagen und sieben Nächten hatte er einen Weg von etwa sechzig Meilen gemacht und die Defileen der Stadt Kretopolis am Flusse Kataraktes erreicht.
Die Feinde hatten an nichts weniger gedacht, als daß er so schnell zur Stelle sein könnte; es gelang ihm, die Berghöhen und die schwer zugänglichen Plätze zu besetzen, die Vorhut seiner bedeutenden Reitermacht auf[103] die letzten Vorhöhen gegen das Tal vorzuschieben, bevor die Perdikkaner seine Nähe auch nur ahnten. Jetzt endlich sahen die Gegner, die im Tale um Kretopolis lagerten, welche Gefahr ihnen drohe; sofort ließ Alketas das Fußvolk in Schlachtordnung ausrücken und eilte selbst an der Spitze seiner Reiterei gegen die nächste jener Höhen vor, um die feindlichen Ilen, welche sie bereits besetzt hatten, zu werfen. Während sich hier ein Reitergefecht entspann und von beiden Seiten mit Hartnäckigkeit und großen Verlusten gekämpft wurde, zog Antigonos schnell seine übrige Reiterei, an 6000 Pferde stark, heran und warf sich mit derselben in das Tal zwischen dem Orte des Gefechtes und den feindlichen Phalangen, um Alketas mit seinen Reitern abzuschneiden. Das Manöver gelang; zu gleicher Zeit drängte auch die von Alketas angegriffene Vorhut, durch das Terrain begünstigt und durch einige Ilen verstärkt, dessen Reiter weit und weiter zurück. Von ihren Phalangen abgeschnitten, von beiden Seiten von Antigonos eingeschlossen, sahen Alketas' Reiter ihren Untergang vor Augen; nur mit Mühe und mit schwerem Verlust gelang es Alketas, mit wenigen sich zu seinen Phalangen durchzuschlagen.
Indes war auch das übrige Heer des Antigonos nebst den Elefanten über die Berge herangezogen und rückte in Schlachtordnung gegen die Perdikkaner heran; sie selbst waren 16000 Mann Fußvolk und nur noch einige hundert Reiter stark; ihnen gegenüber entwickelte sich eine Linie von 40000 Mann Fußvolk, 7000 Reitern und 30 Kriegselefanten. Schon wurden diese zur Eröffnung des Gefechtes herangetrieben, schon sprengten die feindlichen Reiterscharen auf beiden Flügeln über die Flanken hinaus, und die schweren Phalangen der Makedonen senkten sich von den waldigen Höhen ins Tal hinab; so schnell waren die feindlichen Dispositionen entwickelt, daß keine Zeit blieb, auch nur einigermaßen das Gefecht zu ordnen oder die Flanken zu decken. Der Tag war verloren, ehe das Treffen begann. Beim ersten Angriff wankten die Phalangen des Alketas; umsonst versuchten Attalos, Polemon, Dokimos das Gefecht zu halten; bald war die Flucht allgemein, sie selbst und viele Hauptleute wurden gefangen. Das Gemetzel war nicht bedeutend, die meisten Makedonen des geschlagenen Heeres warfen die Waffen weg und ergaben sich Antigonos, der seinerseits sie zu Gnaden aufnahm, sie in seine Phalangen verteilte und auch ferner mit möglichster Güte und Gnade für sich zu gewinnen suchte.
Alketas war mit seinen eigenen Hypaspisten, den Pagen und den treuen Pisidern, die in seinem Heere gewesen waren, südwärts geflohen; er warf sich in die Stadt Termessos, welche, etwa vier Tagemärsche südwärts und jenseits des Gebirges gelegen, die Pässe beherrscht, die aus dem Tal des Kataraktes nach der Alpenlandschaft Milyas hinaufführen. Etwa 6000 Pisider waren mit ihm, Leute von ausgezeichneter Tapferkeit und Anhänglichkeit;[104] sie wiederholten ihm feierlichst das Versprechen, daß sie ihn nimmer verlassen würden, er möge den Mut nicht sinken lassen. Indes rückte Antigonos mit seiner gesamten Macht heran; er forderte Alketas auf, sich zu ergeben. Die Älteren in der Stadt rieten, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen, sich im Notfall zur Auslieferung des Alketas zu entschließen; die Jüngeren schrien, nie würden sie den Feldherrn verlassen; sie beschlossen, sich mit ihm auf das äußerste zu verteidigen. Als die Alten sahen, daß alle Vorstellungen vergeblich seien, kamen sie in geheimer Versammlung überein, bei nächtlicher Weile Gesandte an Antigonos zu schicken und ihm anzuzeigen, daß sie Alketas entweder lebend oder tot in seine Hand liefern würden; er möge einige Tage hindurch leichte Angriffe gegen die Stadt machen, um die junge Mannschaft hinauszulocken, und sich dann in scheinbarer Flucht zurückziehen, damit sie ihn verfolge; während der Zeit würden sie Gelegenheit finden, ihre Absicht auszuführen. Antigonos ging auf den Antrag ein; sowie die junge Mannschaft hinaus war, schickten die Alten einige starke und zuverlässige Männer, Alketas zu fangen. Darauf war der Feldherr nicht gefaßt; sobald er sah, daß keine Rettung sei, stürzte er sich in sein Schwert. Dann wurde der Leichnam auf eine Bank gelegt, mit einem alten Laken überdeckt vor das Tor gebracht, wo Antigonos' Leute ihn in Empfang nahmen. So endete Perdikkas' Bruder, mit ihm das hochstrebende Geschlecht des Orontes, das einst der heimischen Landschaft Orestis seine Fürsten gegeben, das jüngst die Hand nach dem Diadem Alexanders ausgestreckt hatte.
Als die junge Mannschaft der Pisider zurückkehrte und das Gerücht von der verräterischen Ermordung des Alketas laut wurde, wandte sich ihre ganze Wut gegen die Alten; mit den Waffen in der Hand drangen sie in die Tore ein, besetzten einen Teil der Stadt, beschlossen im ersten Eifer, dieselbe anzuzünden, sich in die Gebirge zu werfen, in ewiger Feindschaft gegen Antigonos dessen Provinzen zu verwüsten. Erst das Bitten und Flehen ihrer Älteren konnte sie vom Schlimmsten abhalten; aber sie verließen die Stadt, zerstreuten sich in die Berge, um dort wegelagernd und in die Ebene streifend zu leben. Antigonos aber, nachdem er den Leichnam des Alketas drei Tage lang dem öffentlichen Hohne preisgegeben, ließ ihn endlich, da er schon zu verwesen begann, unbeerdigt hinwerfen. Mitleidige Pisider haben ihn, so ehrenvoll sie vermochten, begraben.
Antigonos kehrte auf der Straße, die er gekommen war, zurück, nach Phrygien zu gehen. Der Sieg über Alketas, die vollkommene Vernichtung der perdikkanischen Partei, seine nun in der Tat herrische Stellung in Kleinasien mochten ihn daran denken lassen, die Pläne, die er lange im stillen vorbereitet hatte, zu verwirklichen; eine Heeresmacht von 60000 Mann Fußvolk, 10000 Reitern und 70 Kriegselefanten stand ihm zu[105] Gebote; mit dieser konnte er sich auch dem mächtigsten Gegner gewachsen glauben. Es mußte sein weiterer Weg sein, sich entweder der höchsten Stellung zu bemächtigen oder sie und das Königtum, das Fundament, auf dem sie ruhte, zu gleicher Zeit anzugreifen und in Frage zu bringen; in beiden Fällen war Antipatros, dem er seine Wiedererhebung und seine jetzige Macht dankte, sein nächster Feind. Ein glücklicher Zufall half dem Strategen über Schwierigkeiten hinweg, die, wenn auch Gewissensskrupel und das Gefühl der Dankbarkeit den egoistischen Mann nicht störten, mindestens nicht ohne Zeitverlust zu beseitigen gewesen wären; als er auf dem Rückweg in Kretopolis war, kam der Milesier Aristodemos mit Nachrichten aus Europa zu ihm, welche eine völlige Umgestaltung der gesamten Lage bezeichneten.
Antipatros war etwa vor einem Jahre nach Europa zurückgekommen; die Aitoler fand er überwältigt, Thessalien wieder zum Gehorsam zurückgekehrt, in Hellas und der Peloponnes war trotz des Waffenglücks, das anfangs die Aitoler gehabt, die Ruhe nirgends gestört worden; die makedonischen Besatzungen in den Städten und die Oligarchien, die unter verschiedenen Namen und Formen in den wichtigeren Staaten eingeführt oder erhalten waren, sicherten das Volk vor dem gefährlichen Enthusiasmus für die Demokratie und Autonomie, für die »Freiheit«, die schon nicht viel mehr als eine Phrase, ein Irrlicht war; die einzelnen Staaten Griechenlands mit ihren kleinen Dimensionen, ihren kleinlichen Interessen und Eifersüchteleien traten, den großen Bewegungen im Reiche gegenüber, mit jedem Tage mehr in den Hintergrund; und wenn sich dennoch die makedonischen Machthaber darum kümmerten, »was die Griechen sagten«, so war es deren altberühmter Name und die Rücksicht auf die bei ihnen heimische Bildung, die diesen kleinen Gemeinwesen von Zeit zu Zeit die chimairische Bedeutung von Mächten gab, während sie in der Tat nur als Stapelplätze der nach Asien auszuführenden Zivilisation, als militärische Posten im Kampf der Parteien, als Gegenstände des Mitleids und der Großmut gelten konnten; ihnen das politische Almosen der Freiheit zu spenden, konnte dem einen oder anderen Machthaber einen guten Namen vor der Welt gewähren.
So vor allem Athen. Durch den Ausgang des Lamischen Krieges war die Stadt tatsächlich um ihre Demokratie und ihre Selbständigkeit gekommen; doch hatte sie Frieden nach außen, Ruhe im Innern, und schnell hob sie sich zu neuem Wohlstand. Sie war in den Händen zweier Männer, die in sehr verschiedenen Tendenzen der makedonischen Sache ergeben zu sein schienen. Phokion und Demades bilden einen Gegensatz der Charaktere, der Denk- und Handlungsweise, den man als typisch für das damalige[106] Athen überhaupt ansehen kann. Beide sind, wenn auch auf der Rednerbühne oder am Ruder des Staates, durchaus Männer des Privatlebens: der alte Phokion in der Weise eines Hausvaters, dem Ordnung und Ruhe daheim das wichtigste scheint, der sich verantwortlich fühlt, diese ersten Bedingungen der Existenz sicherzustellen, der, fest und streng in seinem Charakter, ehrwürdig durch seine Rechtlichkeit, ohne Egoismus, ohne anderen Gedanken, als den Seinen, mehr vielleicht als sie selbst wollen, zu nützen oder ihre Wege zu ebnen, mit dem glücklichen Wahn, daß er es könne, dem Grabe entgegengeht; mitten in der ungeheuren Aufregung der Zeit möchte er sein Volk in sicherer Zurückgezogenheit leben lehren, wie er selbst, von Königen und Feldherren mit Gnaden überhäuft, es für Tugend hält, ihrer Gnade auch entbehren zu können; er entfernt, soviel er vermag, die unruhigen Köpfe von dem öffentlichen Wesen; er bemüht sich, den Athenern die Neigung zum Ackerbau und zum ländlichen Leben wieder zu erwecken; und daß jeder neue Anlaß die Vergeblichkeit seiner Bemühungen beweist, enttäuscht ihn nicht. Anders Demades: er ist von vollendetem Egoismus; ohne andere Rücksichten und Interessen als seine persönlichen, sieht er in seinem Verhältnis zur Vaterstadt nur die Gelegenheit, etwas zu gelten oder zu gewinnen; er beklagt es, nur ein Athener zu sein; in den Hofintrigen Makedoniens, in den Zerrspielen der Parteien im Reich würde er sich an seiner Stelle fühlen; er hat nicht den Ehrgeiz, der Machthaber Gnade zu gewinnen oder zu verschmähen, noch den Patriotismus, seinem Staat irgendeine Rolle in den Welthändeln geben zu wollen; und dennoch kann er nie ruhen, muß intrigieren, muß haben, um wieder vergeuden, muß gelten, um von sich reden machen zu können; er ist voller Talent, aber ohne Charakter, geistreich, aber überall oberflächlich; er ist von seltener Beredsamkeit, frappant, bilderreich, von aufregender Heftigkeit; er hat auch in seinen reiferen Jahren noch das fahrige und renommierende Wesen eines jungen Menschen; er ist der Alkibiades dieser heruntergekommenen Zeit Athens.
So die beiden Männer, die in Athen das makedonische Interesse vertreten. Antipatros pflegte zu sagen, beide seien seine Freunde; aber den einen könne er nicht bereden, etwas anzunehmen, den anderen nicht satt machen, wieviel er ihm auch gebe; und von Demades, er sei wie ein Opfertier, von dem endlich auch nichts als Zunge und Bauch übrig bleibe50.
Neben beiden stand Menyllos, der Befehlshaber der makedonischen Besatzung in Munychia, ein billig denkender und dem Phokion befreundeter Mann; daß er dennoch den Athenern lästig war, lag in der Natur der[107] Sache. Sie hatten gehofft, daß Antipatros, wenn die neue Ordnung der Dinge eingeführt wäre, ihn und seine Truppen zurückziehen würde; sie selbst schien ja die beste Garantie für die Aufrechterhaltung des Friedens. Dennoch war die Besatzung nun schon volle zwei Jahre da. Die Bürger baten Phokion, er möge sich deshalb bei Antipatros verwenden; er weigerte es, nicht bloß, weil er sich keinen glücklichen Erfolg versprach, sondern weil er glaubte, daß die größere Ordnung und Ruhe im öffentlichen Leben die Folge der Furcht vor den nahen Makedonen sei; wohl aber erhielt er von Antipatros Ermäßigung der Kontributionen und weitere Zahlungstermine. Dann wandte sich die Bürgerschaft an Demades mit derselben Bitte; und dieser übernahm gern eine Sendung, in der er seinen Einfluß auf den mächtigsten Mann der Zeit bekunden zu können hoffte. Freilich hatte er sein Verhältnis zu Antipatros in der Zeit, als Perdikkas in Asien siegreich war und die Aitoler nach Thessalien vordrangen, mehr als vernachlässigt, er hoffte jedoch, daß seine damaligen Verhandlungen vollkommen geheim geblieben seien. So ging er mit dem Ende des Jahres 320, von seinem Sohne Demeas begleitet, nach Makedonien. Es war zu seinem Verderben: Antipatros hatte unter den Papieren des Perdikkas auch Briefe des Demades gefunden, in denen dieser den Reichsverweser aufforderte, nach Griechenland zu kommen, um es zu befreien, es sei nur mit einem alten und morschen Stricke gebunden. Antipatros war alt und krank, Kassandros seine rechte Hand51. Nun kam Demades; er sprach in seiner Weise heftig und hochmütig: Athen bedürfe der Besatzung ferner nicht, es sei Zeit, die verheißene Zurückberufung derselben zu veranlassen. Antipatros gebot, beide, Vater und Sohn, als Gefangene abzuführen; es wurde nicht beachtet, daß sie als Gesandte persönliche Sicherheit fordern durften. Dem Unrecht des Vaters fügte der Sohn seine rohe Grausamkeit hinzu; er ließ erst den Sohn vor den Augen des Vaters und fast in dessen Schoße ermorden, so daß ihn das warme Blut bespritzte; dann befahl er unter den heftigsten Schmähungen über seine Verräterei und Undankbarkeit, ihn selbst zu durchbohren.
Nicht lange sollte Antipatros den Redner überleben; er fühlte sein Leben zur Neige gehen. Dies mochte ihn bewogen haben, seinen Sohn Kassandros aus Asien abzuberufen und ihm einen Teil der Geschäfte der Reichsverwesung zu übertragen. Sah er zurück auf sein Leben, so hatte[108] er vieles ruhmwürdig und glücklich ausgeführt, solange ein Philipp oder Alexander über ihm stand; umsichtig, tätig, zuverlässig, erwies er sich als der rechte Mann für eine zweite Stelle; höher hinauf reichte weder seine Begabung noch die Stärke seines Charakters, und die ungeheure Bewegung, die mit dem Tode Alexanders eingesetzt hatte, gab ihm keine höhere Spannkraft, keinen neuen Impuls; zu vorsichtig, um je nach dem Höchsten, wie wohl Perdikkas, die Hand auszustrecken, zu selbstsüchtig und engherzig, um sich treu und ohne Rückhalt dem wahren Interesse des Königshauses zu widmen, hatte er weder den Mut, auch nur seine Würde und seine Macht als einen Besitz auf sein Geschlecht zu vererben, noch den Entschluß, darauf zu verzichten. Wie gern er auch seinem Ältestgeborenen seine Stelle übergeben hätte, er wußte zu gut, wie diesem harten und jähzornigen Kassandros die Makedonen abgeneigt waren. Er folgte der allgemeinen Stimme, wenn er den alten, ehrenwerten Polyperchon, der einst mit Krateros die Veteranen von Opis in die Heimat geführt hatte, zum Reichsverweser und zu seinem Nachfolger in Makedonien ernannte; seinen Sohn Kassandros ließ er in der Chiliarchie, die ihm bereits gegeben war. Weiteres änderte er in der Ordnung des Reiches nicht; sterbend noch warnte er Polyperchon und Kassandros, um keinen Preis die Macht in die Hände der fürstlichen Frauen kommen zu lassen.
Antipatros starb im Anfang des Jahres 319, fast achtzig Jahre alt. Sein Tod bezeichnet eine neue, verhängnisvolle Wendung für die Geschicke des Reiches. Wie gering immer die Machtvollkommenheit sein mochte, die er als Reichsverweser gehabt oder geltend gemacht hatte, er war zu diesem hohen Amt, das die Reichseinheit bedeutete, in einem großen politischen Akte bestellt, von allen Machthabern im Reiche Alexanders als dessen Träger anerkannt worden. Mochte Polyperchon bei Heer und Volk beliebt, ein tüchtiger Stratege, des ersten Amtes im Reiche durchaus würdig sein, – die Art, wie es auf ihn übertragen wurde, war nicht dazu angetan, die Schwierigkeiten des Wechsels zu erleichtern. Hatte Antipatros mit diesem seinem letzten politischen Akte für die Reichsverwesung, die er selbst bescheiden genug geführt hatte, eine Kompetenz in Anspruch genommen, die ihre Bedeutung außerordentlich steigerte, so lag es denen unter den Machthabern im Reiche, die ihres eigenen Willens leben wollten, nahe genug, die Rechtsgültigkeit einer Ernennung, die ohne ihre Zustimmung, wenn auch immerhin namens der Könige erfolgt war, in Frage zu ziehen.
An dieser Frage der Reichsverwesung entzündete sich der kaum beschwichtigte Hader im Reiche von neuem und zu furchtbareren Kämpfen, Kämpfen, deren nächstes Ergebnis das Erliegen des Königshauses und dessen völlige Austilgung sein sollte.[109]
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Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.
546 Seiten, 18.80 Euro
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro