Vorwort zur zweiten Auflage.

[7] Bei der Herausgabe des vorliegenden Bandes der Graetzschen Geschichte habe ich mich im allgemeinen von denselben Grundsätzen leiten lassen, über die ich mich im Vorwort zur dritten Auflage des zehnten Bandes bereits geäußert habe. Nur in einem wesentlichen Punkte habe ich dieses Mal einen anderen Weg eingeschlagen. Die harten Urteile über Deutschtum und Deutsche, die in der ersten Auflage nicht selten waren, habe ich, auf Grund einer authentischen Äußerung des heimgegangenen Verfassers und mit Benutzung seiner anderweitig gegebenen Darstellung unbedenklich geändert. In seinem letzten Wort an Prof. von Treitschke, das in der Nr. 605 der »Breslauer Zeitung« vom 28. Dezbr. 1879 gedruckt vorliegt, sagt er wörtlich: »Was Ihre Verdächtigung gegen meine Darstellung der Geschichte der Juden in deutschen Ländern betrifft, so will ich nur bemerken, daß sie im Jahre 1868 geschrieben war. Die glorreichen Siege, die durch geniale Führung entstandene Einheit und der Aufschwung erfolgten erst später. Vor diesen Ereignissen galt das Volk allgemein als deutscher Michel, und mein Urteil richtete sich nach den allgemeinen von deutschen Historikern und Schriftstellern ausgesprochenen Urteilen. Übrigens habe ich von selbst in der englischen Übersetzung meiner Geschichte, welche sich jetzt unter der Presse befindet, die vor 1870 wahren, jetzt aber unwahr gewordenen Urteile geändert.« Von diesem Gesichtspunkte aus hat denn auch der Verfasser, der bekanntlich zwar ein begeisterter nationaler Jude, dabei aber auch ein vortrefflicher preußischer Patriot gewesen ist, bereits in seiner 1887 erschienenen »Volkstümlichen Geschichte« die deutschen Ereignisse aufgefaßt und dargestellt, und diesen zuletzt für ihn maßgebenden Anschauungen bin ich überall, soweit es der Zusammenhang irgend gestattete, wörtlich gefolgt.

[7] Ich habe ferner nicht Bedenken getragen, nach derselben Vorlage diejenigen Personen, die in der ersten Auflage erwähnt und nur darum, weil sie damals noch am Leben waren, nicht genannt worden waren, mit ihrem Namen anzuführen und die in der »Volkstümlichen Geschichte« über sie gefällten Urteile dem Texte einzufügen.

Endlich habe ich die kurzen Bemerkungen des Verfassers, die sich in der genannten Darstellung auf die Ereignisse nach 1848 beziehen, der vorliegenden Auflage einverleibt. Dagegen habe ich mich selbstverständlich nicht für befugt gehalten, Personen und Ereignisse heranzuziehen, über welche gedruckte oder handschriftliche Urteile des Verfassers nicht vorliegen.

Einige wesentliche Berichtigungen und Zusätze verdanke ich dem um die jüdische Wissenschaft hochverdienten Gelehrten S.J. Halberstam, der, wie ich in dieser Stunde vernehme, gestern ebenfalls zur ewigen Seligkeit eingegangen ist. Sein Andenken bleibe zum Segen.

Die siebente Note über die »Massentaufen« ist das Werk meines hochverehrten Freundes, des Herrn Sanitätsrat Dr. S. Neumann in Berlin. Es sei ihm auch an dieser Stelle für diesen belehrenden Beitrag herzlichster Dank abgestattet.


Breslau, 25. März 1900

Dr. M. Brann.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1908], Band 1.
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