Vorwort zur zweiten Auflage.

[5] Die Grundsätze, von denen ich mich bei der Bearbeitung des zehnten (1897) und elften (1900) Bandes des Graetz'schen Geschichtswerkes habe leiten lassen, sind auch bei der Herausgabe des vorliegenden Theiles für mich maßgebend gewesen. Handschriftliche Bemerkungen oder Nachträge zu diesem Bande haben sich freilich im litterarischen Nachlaß des heimgegangenen Meisters nicht gefunden. Um so reicheren Ertrag boten die in der »Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judenthums« veröffentlichen Aufsätze des Verfassers und von seinen erschienenen Büchern besonders der »Kritische Commentar zu den Psalmen« (1881) und die »Emendationes in plerosque sacrae scripturae veteris testamenti libros« (1892/94). Namentlich habe ich den größten Theil der umfangreichen Abhandlung über die »allerneueste Bibelkritik Wellhausen-Renan« (Jahrgang 1886 der »Monatsschrift,« S. 193 bis 204 und 233 bis 251) möglichst zwanglos in die Note 6, die von der »Composition der Thora« handelt, hineingearbeitet. Die Alleinherrschaft der Graf-Wellhausen'schen Hypothese ist allerdings in unseren Tagen bereits einigermaßen erschüttert. Denn immer mehr bricht sich die Ueberzeugung Bahn, daß der moderne Evolutionismus einer unbefangenen Würdigung der heiligen Schrift gerade so hindernd im Wege steht, wie seiner Zeit z.B. der Rationalismus. Nichtsdestoweniger schien es in Rücksicht auf die Verbreitung, welche die genannte Auffassung noch immer besitzt, rathsam, die Meinung des Verfassers über die einschlägigen Fragen den Lesern des Buches zugänglich zu machen.

Meine eigenen Ansichten zur Geltung zu bringen, war hier selbstverständlich nicht der Ort. Trotzdem wird der aufmerksame Leser über meine Meinung in einigen wesentlichen Punkten nicht im Zweifel bleiben.


Breslau, den 15. August 1902.

Dr. Brann.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1902, Band 2.1, S. V5-VI6.
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