21. Kapitel. (226-273.)

[338] Kaiser Julian. Seine Begünstigung der Juden. Sein Sendschreiben an die jüdischen Gemeinden. Wiederherstellung des Tempels. Unterbrechung des Baues. Schadenfreude der Christen über diese Vereitelung und Fabeln derselben. Julians Kriegszug nach Persien. Zerstörung Machuzas. Julians Tod. Toleranzedikt des Kaisers Valentinian I.


Kaiser Julian war einer jener überwältigenden Charaktere, welche ihren Namen mit unvergeßlichen Zügen in das Gedächtnis der Menschen einzeichnen. Nur sein frühzeitiger Tod und der Haß der herrschenden Kirche gegen ihn haben ihm den Titel »der Große« entzogen. Obwohl aus dem Hause Konstantins, schwebte über seinem Haupte das brudermörderische Schwert der Konstantiner, und die Todesfurcht legte ihm den Zwang auf, das Christentum, das er haßte, heuchlerisch zu bekennen. Fast durch ein Wunder wurde er zum Mitkaiser ernannt von eben demselben Konstantius, seinem Oheim, der schon eine Beratung über seinen Tod gehalten hatte. Durch einen Militäraufstand zu seinen Gunsten und den unerwarteten Tod seines Feindes Konstantius zur Alleinherrschaft gelangt, machte es sich Julian, den die Kirchengeschichte den Abgefallenen (Apostata, Parabata) nennt, zur Lebensaufgabe, die Ideale zu verwirklichen, die er aus dem Umgang mit seinen Lehrern Libanius und Maximus aufgenommen hatte und die sein reiches Gemüt noch mehr veredelte. Seine Lieblingsgedanken waren, die Unterdrückten jeder Nation und Religionsklasse zu schützen, das Wohlergehen aller seiner Untertanen namentlich durch Erleichterung der Steuerlast zu fördern, die philosophischen Wissenschaften, die durch die christlichen Kaiser verdammt waren, zu heben, das alte Heidentum wieder herzustellen, aber mit Entfernung aller auffälligen Anstößigkeiten, die es so verächtlich und lächerlich gemacht hatten; endlich das in kurzer Zeit so sehr erstarkte Christentum in gewisse Schranken zu weisen. Aber eingedenk der Verfolgung, die er selbst hatte erdulden müssen, wollte er dem verfolgungssüchtigen Christentum nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. [338] nur dessen Übergriffe wollte er hemmen, nahm den Christen daher nur den staatlichen und wissenschaftlichen Einfluß und suchte sie durch Waffen des Geistes und feinen Spott in den Augen der Gebildeten herabzusetzen. Julians Satire nannte Jesus einen Galiläer, den die Leichtgläubigkeit zum Gotte erhoben habe; den Christen legte er den Spottnamen Galiläer bei. – Desto günstiger war er den Juden, und er ist nach Alexander Severus der einzige Kaiser, der dem Judentum ein ernstes Interesse zugewendet hat. Aus mehr als einem Grunde bevorzugte er das Judentum. Im Christentum erzogen, da er sogar als öffentlicher Vorleser in der Kirche fungiert hatte, kannte er das Judentum aus der heiligen Schrift und zollte ihm um so mehr Verehrung, je mehr es vom Christentum gehaßt und verfolgt wurde. Der Kaiser gestand selbst, daß ihn die harten Bedrückungen tief empört haben, denen die Juden unter Konstantius' Regierung ausgesetzt waren, indem ihre Religion von dem herrschenden Christentum als gotteslästerlich gestempelt wurde. Der Gott des Judentums, wie er in den heiligen Schriften gelehrt wird, imponierte ihm, und er erkannte ihn als »großen Gott« an, nur leugnete er, daß es neben ihm nicht auch andere Götter geben soll.1 Die Mildtätigkeit der Juden bewunderte er besonders darum, weil sie für die Armen so eifrig sorgten, daß es unter ihnen keine Bettler gab.2 Er wollte auch mit der Bevorzugung der Juden die Christen tief kränken, welche die Überlegenheit ihrer Religion durch die Erniedrigung der ersteren zu betätigen bemüht waren. Auch sagte ihm, der eine besondere Vorliebe für Opferkultus hatte, das jüdische Opferwesen mit dem feierlichen Pomp des Tempels und der Priester ganz besonders zu. Der Kaiser warf den Christen vor, daß sie den Gott und den Kultus des Judentums, den Ursprung ihrer Religion, besonders aber den Opfergottesdienst verwerfen. Die Juden opferten zwar in der Gegenwart auch nicht, aber nur weil sie keinen Tempel haben. Aber auch so opferten sie noch, wenn auch nicht in augenfälliger Weise. Denn sie genießen noch immer alles opferähnlich (rein), beten statt der Opfer und geben den Priestern (Ahroniden) Gaben von den geschlachteten Tieren.3 Endlich mochte Julian der Gedanke vorgeschwebt[339] haben, für den Perserkrieg, der sein ganzes Wesen erfüllte, sich die Juden zu Freunden zu machen, besonders die babylonischen Juden günstig für sich zu bestimmen, damit sie, wenn sie ihm auch nicht tätige Unterstützung gewähren, doch einen allzu fanatischen Widerstand gegen die Römer fahren lassen.

Die kaum zweijährige Regierung Julians (Nov. 361 bis Juni 363) war für die Juden des römischen Reiches eine überglückliche. Nicht nur war ihnen der Kaiser besonders hold, erleichterte ihren Druck, nahm von ihrem Haupte den Schimpf der Gotteslästerung, sondern nannte auch den Patriarchen Hillel seinen ehrwürdigen Freund und beehrte ihn mit einem Handschreiben, worin er ihn seines Wohlwollens versicherte und die Beeinträchtigung der Juden abstellen zu lassen versprach. Auch an sämtliche jüdische Gemeinden des Reiches richtete er ein Handschreiben und traf Anstalten, den Tempel in dem seit Konstantin christlich gewordenen Jerusalem wieder aufzubauen. Das kaiserliche Sendschreiben, das einen grellen Kontrast gegen die Behandlungsweise der zwei ersten christlichen Kaiser bildet, ist zu merkwürdig, als daß es nicht aufbewahrt zu werden verdiente. Das Schreiben (erlassen von Antiochien im Herbst oder Winter 362)4 lautet:


»An die jüdischen Gemeinden!


Noch viel drückender, als das Joch der Abhängigkeit in der vergangenen Zeit war für euch der Umstand, daß euch neue Steuern ohne vorangegangene Kundmachung aufgelegt waren und ihr eine unzählige Menge Goldes in den kaiserlichen Schatz habet liefern müssen. Vieles habe ich durch Augenschein selbst wahrgenommen, mehr noch erfuhr ich, als ich die Steuerrollen vorfand, die zu eurem Schaden aufbewahrt wurden. Ich selbst hob eine Abgabe auf, die euch schon für die Zukunft zugedacht war, und zwang damit den Frevel einzustellen, euch einen solchen Schimpf anzutun; ich selbst übergab die Steuerrollen gegen euch, die ich in meinen Archiven vorfand, dem Feuer, damit niemand mehr solch üblen Ruf der Gotteslästerung gegen euch ausstreuen könne. Daran hat mein Bruder Konstantius, der ruhmwürdige, nicht so sehr Schuld, als die Barbaren an Gesinnung, die Gottlosen an Gemüt, welche eine solche Schatzung erfunden haben. Ich selbst habe sie mit eigener Hand in tiefes Verderben geschleudert, damit bei uns nicht ein mal das Andenken an ihren Untergang bleiben soll. – Im Begriffe euch noch mehr Gunst zu bezeigen, habe ich meinen Bruder, den ehrwürdigen Patriarchen Julos (Hillel) ermutigt. ... die von euch [340] sogenannte Sendsteuer zu verhindern, so daß niemand mehr die eurigen mit Eintreibung solcher Steuerauflagen ferner bedrücke, damit ihr überall in meinem Reiche der Sorge enthoben sein sollet. Und so der Ruhe genießend, vermögt ihr inbrünstigere Gebete für mein Reich an den allmächtigen Weltschöpfer zu richten, der mich mit seiner reinen Rechten gestützt hat. Es ist nun einmal so, daß diejenigen, welche in Kümmernissen leben, träge sind an Geist und nicht wagen, die Hände zum Gebet für das Heil zu erheben. Diejenigen aber, die von allen Seiten sorgenfrei sich mit ganzer Seele freuen, können innigere Gebete für das Wohl des Reiches, wie ich es mir vorgesetzt, zum Höchsten anstimmen, der meine Regierung aufs beste fördern kann. – Dies sollt ihr tun, damit ich, wenn der Perserkrieg glücklich beendet sein wird, die heilige Stadt Jerusalem besuchen könne, die auf meine Kosten erneuert werden soll, wie ihr sie seit vielen Jahren erbaut zu sehen wünscht; in ihr will ich mit euch vereint dem Allmächtigen den Ruhm geben.«5

Welchen Eindruck dieses huldvolle Schreiben hervorgebracht, das noch herzgewinnender als das Sendschreiben des Cyrus an die babylonischen Exulanten ist und wie ein erquickender Tautropfen nach langer Dürre erscheint, wird nicht berichtet. Die jüdischen Quellen wissen überhaupt gar nichts von Julian, sie nennen nicht einmal seinen Namen. Nur eine aus jüdischer Tradition entlehnte Nachricht erzählt, die Juden hätten auf Julian den Vers (Daniel 11, 34) angewendet: »Und wenn sie straucheln werden, wird ihnen ein wenig geholfen werden.« Daniel habe nämlich die Lage prophezeit, daß Julian dem jüdischen Volke nach den Verfolgungen des Gallus Hilfe leisten werde durch seine Anhänglichkeit und sein Versprechen, den Tempel zu erbauen.6

Julian blieb indes nicht beim Versprechen stehen. Obwohl mit den Zurüstungen zu dem Perserkriege vollauf beschäftigt, lag es ihm doch am Herzen, den Tempel in Jerusalem aus den Trümmern erstehen zu lassen. Er bestellte dazu einen eigenen Oberaufseher in der Person seines besten Freundes, des gelehrten und tugendhaften Alypius aus Antiochien, der früher Statthalter in Britannien gewesen, und legte ihm ans Herz, beim Bau keine Kosten zu scheuen. Die Statthalter in Syrien und Palästina hatten den Befehl, Alypius mit allem nötigen zu unterstützen.7 Schon waren die Baumaterialien vorbereitet, Arbeiter in Menge versammelt, die mit dem Hinwegräumen der Trümmer beschäftigt waren, welche seit der beinahe um [341] dreihundert Jahre zurückliegenden Zerstörung auf der Tempelstätte zusammengehäuft lagen. – Die Juden scheinen sich für den Tempelbau nicht interessiert zu haben, denn die jüdischen Quellen schweigen über diese Tatsache ganz und gar, und was die spätern christlichen Berichte vom Eifer der Juden für den Bau zu erzählen wissen, ist rein erdichtet. Die entfernten Gemeinden sollen Gelder zum Bau geschickt, Frauen sogar ihren Schmuck dazu verkauft und eigenhändig Steine zugetragen haben. Allein dieses alles war sehr unnötig, denn Julian hatte für Baustoffe und Arbeiter reichlich gesorgt. Die Christen sprengten ferner das Gerücht aus, Julian zeigte sich nur aus dem Grunde wohlwollend gegen die Juden, um sie zum Heidentum hinüberzulocken.8 Als besonders boshaft und charakteristisch erscheint die Nachricht, daß die Juden mehrere Kirchen in Judäa und den Nachbarländern zerstört und den Christen gedroht hätten, ihnen so viel Böses zuzufügen, als sie von christlichen Kaisern erlitten hatten.9 Glaubwürdiger ist die Nachricht, daß die Christen in Edessa sämtliche Juden dieser Stadt damals niedergemetzelt haben.10 Es ist mit Gewißheit anzunehmen, daß die Hoffnung auf Wiederherstellung des jüdischen Staates, die zwei oder drei Revolutionen entzündet und so viele Opfer gekostet hatte, in den Gemütern der jüdischen Nation erloschen war. Man erwartete die Wiederherstellung der früheren Herrlichkeit nur von der Erscheinung des Messias; ein Tempel ohne denselben schien in der Anschauung der Zeit durchaus ungereimt, und noch viel weniger konnte ein römischer Kaiser als Messias betrachtet worden sein. Allgemein war die Ansicht verbreitet, »Gott habe das jüdische Volk in Eid genommen, daß sie nicht über die Mauer steigen (mit Gewalt den Staat herstellen), sich nicht gegen die herrschenden Völker auflehnen, sondern das Joch geduldig bis zur Messiaszeit tragen und diese Zeit nicht stürmisch herbeiführen sollen.«11

Mit neidischem Blicke sahen indessen die Christen auf den Anfang der Arbeit (Frühjahr 363); denn der wiederhergestellte jüdische Tempel wäre eine handgreifliche Widerlegung der angeblichen Prophezeiung ihres Stifters, daß vom Tempel nicht ein Stein auf[342] dem andern bleiben werde und daß der alte Bund durch den neuen aufgehoben sei. Christliche Nachrichten wollen sogar wissen, der damalige Bischof von Jerusalem, Cyrill, habe dasselbe von dem beabsichtigten neuen Tempel vorher verkündet. Die Lauheit von seiten der Juden scheint aber am meisten dazu beigetragen zu haben, daß die angebliche Prophezeiung sich bewahrheitete und daß der Bau wegen eingetretener Hindernisse eingestellt wurde. Beim Aufreißen der Trümmer und beim Ausgraben des Grundbaues brachen nämlich Flammen aus, welche einigen Arbeitern das Leben raubten.12 Ohne Zweifel entstanden diese unterirdischen Flammen in den ehemaligen Erdgängen unter dem Tempel von der so lange zusammengepreßten Luft, die, plötzlich vom Drucke befreit, sich an der oberen Luft schnell entzündete. Die plötzlichen Entzündungen häuften sich und machten die Arbeiter verzagt; sie ließen die Hände sinken. Hätten sich die Juden des Baues eifriger angenommen, so würden sie sich wohl schwerlich von diesem nicht unüberwindlichen Hindernisse haben abschrecken lassen; der hingebende Eifer scheut keinerlei Opfer. Aber ohne die warme Beteiligung der Juden erkaltete auch Alypius und erwartete weitere Befehle von dem Kaiser. Julian aber soll die Christen beschuldigt haben, daß sie leicht hätten prophezeien können, da sie den unterirdischen Brand angelegt hätten, und soll ihnen gedroht haben, bei seiner Rückkehr aus dem Kriege aus den Trümmern des Tempels ein Gefängnis für die Christen erbauen zu lassen.13 Doch ist auch diese Nachricht, wie die meisten über diese Tatsache aus christlichen Quellen geschöpft, durchaus unzuverlässig.

Der verunglückte Ausgang des Tempelbaues war für die Christen zu sehr erwünscht, als daß sie die Geschichte nicht hätten ausbeuten sollen, um den durch Julians Abfall geschwächten Glauben wieder zu heben und zu kräftigen. Die christlichen Quellen der nachfolgenden Generation erzählen die wunderlichsten Dinge von den Wundern, die bei diesem gottlosen Bau vorgefallen seien und die alle dazu dienen sollten, die verstockten Juden zu warnen und Christus zu verherrlichen. Stufenweise lassen sie die Wunder aufeinander folgen. Beim Grundlegen habe sich ein Grundstein von seinem Platze verschoben und eine tiefe Höhle in dem darunter befindlichen Felsen erblicken lassen. In dieser viereckigen Höhle sei Wasser geflossen, das bis an die Schenkel gereicht habe, aber in der Mitte derselben habe eine Säule aus dem Wasser hervorgeragt. Auf dieser Säule habe sich ein Buch befunden, von einer feinen [343] und zarten Hülle umgeben. Der Arbeiter, welcher zur Untersuchung an einem Seile in die Höhle gelassen wurde, habe dieses Buch mitgebracht, das frisch und unberührt gewesen sei, und die Schrift habe in großen Buchstaben die Worte aus dem Anfang des Johannesevangeliums enthalten: »Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.« Natürlich werden Juden und Heiden von diesem Wunder betroffen gewesen sein; da die ersteren aber sich aus Herzenshärtigkeit noch nicht bekehrten, waren neue Wunder nötig. Ein furchtbares Erdbeben habe den Grundbau des Tempels gehoben und zerstört, oder nach anderen, habe ein furchtbarer Sturmwind alles der Erde gleichgemacht. Aber auch dieses Wunder sei ohne Erfolg geblieben; die Juden hätten die Arbeit wieder aufgenommen, daher seien Feuerflammen aus der Erde gebrochen, nach anderen, sei das Feuer vom Himmel niedergefahren und habe Arbeiter und Werkzeuge verbrannt. Die Halsstarrigkeit der Juden machte aber noch ein neues Wunder nötig. Kleine Kreuzesbildchen, nach einigen strahlend, nach anderen von dunkler Farbe, hätten sich nachts an die Kleider der Juden geheftet, so fest, als wenn sie mit dem Stoff verwebt gewesen wären. Vergebens hätten sich die Juden angestrengt, dieses Zeichen der Gräuel abzustreifen und zu vertilgen; die Kreuzeszeichen wichen nicht. Da hätten die Juden nicht umhin können, denjenigen zu bekennen, der den Tempel zerstört hat, damit sein Wort in Erfüllung gehe, und hätten sich scharenweise zur Taufe gedrängt.14 Ein anderer Kirchenschriftsteller jedoch, welcher an der Verstocktheit der Juden mehr Freude hatte, als an ihrer Bekehrung, erzählt, die Juden hätten auch trotz des letzten Wunders in ihrer Verblendung verharrt.15

Der für Julian unglückliche Ausgang des Perserkrieges war auch geeignet, den Juden die kurze Freude zu rauben und den Christen einen neuen Triumph zu bereiten. Julian hatte die ganze römische Macht konzentriert, alle möglichen Hilfsmittel aufgeboten, um seinem Gegner Schabur II. nicht nachzustehen. Schabur seinerseits hatte es sich zur Aufgabe gestellt, die römische Herrschaft aus Asien zu verdrängen. Es war ihm gelungen, manche feste Plätze in Mesopotamien den Römern zu entreißen, und Konstantius' Schwäche und Schwanken waren sein bester Hilfsgenosse gewesen. Julian aber träumte den goldenen Traum, der von Crassus und Cäsar an viele römische Feldherren in die Euphratgegend gelockt, den römischen Adler jenseits des Tigris fliegen zu lassen. Wiederum standen Europa und Asien einander gegenüber, jenes vertreten von [344] Julian, der fast noch ans Jünglingsalter streifte, dieses von Schabur, der sich schon dem Greisenalter näherte. Der Kriegsschauplatz war zum großen Teil das Gebiet des jüdischen Babyloniens. Julian zog mit seinem wohlgerüsteten Heere längs des Euphrats hin. Auf welcher Seite die Juden standen, ist nicht zu ermitteln. Das von vielen Juden bewohnte Firuz-Schabur (Pyrisabora, Βƞρσο-Βῶρα) wurde drei Tage lang hart belagert, zur Kapitulation gezwungen und zuletzt verbrannt.16 Die Einwohner hatten sich vermöge kleiner Nachen auf den Euphratkanälen gerettet; das Verhalten der jüdischen Einwohner von Firuz-Schabur gegen Julian bleibt demnach zweifelhaft. Nur die ganz von Juden bewohnte, von niedern Mauern umgebene Stadt Bitra (richtiger Birtha) zeigte einen feindlichen Sinn, sie war von ihren Bewohnern ganz verlassen, weswegen die Soldaten sie in kriegerischer Wut in Brand steckten.17 Allein aus dem Verhalten der Birthenser läßt sich kein Schluß auf das der babylonischen Juden überhaupt ziehen, da jene damals nicht mehr als Juden betrachtet wurden. Weil sie am Sabbat Fischfang getrieben hatten, hatte sie ein gewisser R. Achi in den Bann getan, darum waren sie vom Judentume ganz abgefallen. Man nannte ihre Stadt aus diesem Grunde das apostatische Birtha (di-be Satia).18 – Die Stadt Machuza (Maoga-Malka) gewissermaßen die Vorstadt von Ktesiphon, in der eine persische Besatzung lag, erlitt eine harte Belagerung und setzte einen so hartnäckigen Widerstand entgegen, daß die ganze militärische Macht der Römer kaum hinreichte, sie zu Falle zu bringen. Machuza, der Sitz von Rabas Metibta, dessen stolze jüdische Bewohner an Pracht mit denen der Hauptstadt wetteiferten, fiel zehn Jahre nach Rabas Tod (363) unter den Stößen der römischen Belagerungsmaschinen und wurde in einen Trümmerhaufen verwandelt.19 Nach dem Kriege wurde es wieder neu gebaut. – Bei allen Fortschritten, die Julian im Feindesland machte, gelang es ihm nicht, Ktesiphon zu erreichen; ein eigenes Verhängnis waltete über den römischen Waffen, daß sie nie ihre Siege über die persische Hauptstadt hinaustragen konnten. Julian verlor durch Verwegenheit und Tollkühnheit nicht nur die Früchte seiner Siege, sondern büßte auch sein Leben ein. Als er in einem Treffen sich von der Hitze hinreißen ließ, sich ohne Helm in das heißeste Schlachtgewühl zu werfen, wurde er von einem Pfeil getroffen, den ein Christ aus seinem Heere auf ihn abgedrückt haben soll. Ruhig und [345] eines Philosophen würdig hauchte Julian sein Leben aus. Die christlichen Schriftsteller, denen Julian als der leibhafte Antichrist erschien, haben die Sage erfunden, daß ein Engel den tötenden Pfeil auf Julian abgeschossen, und daß der sterbende Kaiser, das Blut seiner Wunde zum Himmel spritzend, dabei die halb anerkennenden, halb lästerlichen Worte gesprochen: »Du hast gesiegt, Galiläer.« Der Tod Julians in der Tigrisgegend (Juni 363), raubte den Juden die letzte Hoffnung auf eine ruhige, unangefochtene Existenz. Seine Huld hatte jedoch so viel bewirkt, daß die feindseligen Edikte Konstantins und Konstantius' gegen die Juden nicht sobald wieder erneuert wurden. Julians Verordnungen, insofern sie nicht eine Bevorzugung der Juden betrafen, blieben in Kraft. Jovian, Nachfolger Julians (Juni 363 bis Februar 364), welcher einen schmählichen Frieden mit dem siegreichen Schabur eingehen und unter anderen auch das wichtige Nisibis abtreten mußte, lebte zu kurze Zeit, um eine Änderung durchzusetzen. Er gestattete, daß sich jeder frei, ohne Nachteil zu erfahren, zu jeder Religion bekennen dürfe.20 Abermals hatte das römische Reich zwei Kaiser, Valentinian I. (364-375) und Valens (364-378). Der letztere, Kaiser des Morgenlandes, war Arianer und hatte selbst zu harte Kämpfe mit der mächtigen Partei der Katholiken, um unduldsam zu sein; darum schützte er die Juden und erwies ihnen Ehren und Auszeichnungen.21 Sein Bruder Valentinian I., der Kaiser des Abendlandes, hat in dem Streit zwischen Katholiken und Arianern ebenfalls den Weg der Toleranz gewählt und gestattete, daß jeder sich frei zu der einen oder anderen Religion ohne politische Nachteile bekennen dürfe (371).22 Diese Toleranz kam auch den Juden zugute. Die Synagogen und Religionsstätten befreite Valentinian von der lästigen Einquartierung der Soldaten.


Fußnoten

1 Juliani opera, ed. Spannheim, Fragment, p. 295, auch Epistolae, Nr. 62.


2 Das. p. 430, Julian. apud Cyrillum, p. 238.


3 Julian bei Cyrill I, 9. Vergl. über diese mißverstandene Stelle Theol. Jahrbücher von Baur und Zeller, Jahrg. 1848, S. 260 ff. Das daselbst vorkommende schwierige Wortϑύουσι ἐν ἀδράκτοις Ἰουδαῖοι dürfte doch am besten von δέρκομαι abzuleiten sein und bedeuten: »auf unsichtbare, nicht augenfällige Weise«.


4 S. Clinton, Fasti Romani I, p. 454.


5 Note 34.


6 Dieselbe Note.


7 Ammianus Marcellinus XXIII, 1.


8 Chrysostomus oratio III., contra Judaeos.


9 Ambrosius, epistolae Nr. 40. Sozomen, historia eccles. V, 22.


10 Bar-Hebraeus, Abulfaraǵ, Chronicon Syriacum, p. 68: אניטסירק ועמש דכו אידויל םונילוי רקי .. סיטבארפ ןוהתולד אידוי ןוהלכל ולטקו וננטתא יהרואבד.


11 Die Originalstelle Canticum Rabba I, Ende. In b Ketubbot, p. 111 a ist die Fassung entstellt, anstatt 'ד תועובש heißt es das. שש Ohnehin ist וקחדי אל korrumpiert statt וקהדי. Die Träger dieser interessanten Agada sind nicht leicht zu ermitteln, vielleicht ובלח 'ר יול 'ר םשב, vom Ende des III. und Anfang des IV. Jahrhunderts.


12 Ammianus, das.


13 Orosius, VII, 32.


14 Socrates, historia eccles. III, 20. Sozomen., h.e. V, 22.


15 Theodoret, h.e. III, 15.


16 Ammianus, XXIII, 3, 4. Zosimus, III, 7.


17 Ammianus, das. 5. Zosimus, III, 20.


18 Kidduschin 72 a.


19 Ammianus das.


20 Themesius, oratio ad Jovianum, ed. Petavii, p. 278


21 Cedrenus zum 7. Jahre Valens: ὁ αὐτὸς καὶ Ἰουδαίους ἐτίμα (Οὐάλƞς) Auf Cod. Theodosianus XVI, T. 8, § 13 darf man sich wohl schwerlich berufen, obwohl es daselbst heißt: nos in conservandis eorum (Judaeorum) privilegiis veteres imitemur ... Id enim et divi Constantinus et Constantius et Valentinianus et Valens divino arbitrio decreverant. Diese Berufung scheint bloß eine Phrase oder eine Beschönigung zu sein, denn Konstantius hat schwerlich die Juden privilegiert.


22 Codex Theodosianus L, XI, G. 16, § 9. L. VI, T. 8, § 13.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1908, Band 4, S. 347.
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